Eingelangt am 24.02.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper,
Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Was wurde seit 2015 für ein
effizientes Asylsystem am Boden der Rechtsstaatlichkeit getan?
Jede Person, die sich
aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Herkunftsstaates
befindet und den Schutz des Herkunftsstaates nicht in Anspruch nehmen
kann, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu
stellen. Dazu hat sich Österreich mit der Unterzeichnung des Genfer
Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von
1951 verpflichtet.
Im Jahr 2015 stellten in
Österreich 88.340 Menschen einen Asylantrag – ein Höchstwert
seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. An Defiziten in der Handhabung dieser
Ausnahmesituation mangelte es damals nicht: von unendlich langen Verfahren mit
hohen Fehlerquoten in der ersten Instanz, über untragbare Bedingungen in
Erstaufnahmezentren, einen restriktiven Zugang zum Arbeitsmarkt, bis hin zu
Gesetzesnovellen mit Überbürokratisierung ohne dazu in Relation
stehendem Mehrwert („Asyl auf Zeit“) und inkonsequenten
Rückführungen im Falle der Ablehnung eines Asylantrags – um nur
ein paar Beispiele zu nennen.
In den darauffolgenden
Jahren sank die Anzahl an neuen Asylanträgen in Österreich deutlich,
auf einen Tiefstand von 12.886 im Jahr 2019. Im Jahr 2021 gab es einen leichten
Anstieg der Anzahl an Asylanträgen, insgesamt stellten 34.118 Menschen
einen Asylantrag (siehe: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/wanderungen/asyl/068627.html). Trotz der im Vergleich zu 2015 niedrigen Zahl
wiederholen sich die oben genannten Probleme. Desweiteren fügten sich eine
dubiose Verhandlung zur Errichtung eines Abschiebezentrums in Serbien,
mehrere Fälle der Missachtung des Kindeswohl, sowie kostspielige, aber
inadäquate „Hilfe vor Ort“, und schlussendlich
Menschenrechtsverletzungen an der österreichischen Südgrenze,
hinzu.
Auch auf europäischer
Ebene versagte das Dublin-System, welches bestimmt, dass derjenige
europäische Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem
ein Flüchtling zuerst ankommt und somit den Außengrenzstaaten die
größte Verantwortung überlässt – ein Scheitern, das
sich im Elend der überfüllten griechischen Lager und durch zahlreiche
Verstoße gegen das Non-Refoulement-Gebot veranschaulichte – und
somit einen dringenden Reformbedarf auf europäischer Ebene illustrierte.
Auch eine sichere Flucht über Resettlement ist selten möglich, weil
dies von Staaten kaum mehr angeboten wird - insbesondere von Österreich
nicht. Die Grenzen zur EU – ob über Land oder Meer - sind
weiterhin u.a. wegen rechtswidrigen Zurückdrängens oft
gefährlich, wenn nicht tödlich, und in jedem Fall chaotisch. Schlepperorganisationen
sind stark professionalisiert und verdienen mehr, weil die Routen
gefährlicher werden. Alle Versuche, auf europäischer Ebene eine
koordinierte, faire und effiziente Asylpolitik umzusetzen, werden von
Österreich abgelehnt.
Menschen auf der Flucht
sollten nach Registrierung unverzüglich ein schnelles,
qualitätsvolles und faires Asylverfahren erhalten. Dann kann es bei
negativen Entscheidungen zu baldiger Rückführung und bei positiven
Entscheidungen zur sofortigen Integration kommen. Eine Reform der
Grundversorgung, inklusive Valorisierung der Tagessätze würde dazu
führen, dass die Länder ihre Quoten erfüllen und die
Bundesbetreuungseinrichtungen entlastet werden. Das Aufstellen eines
europäischen Asylsystems auf Basis von Rechtsstaat und Menschenrechten mit
einem bindenden Verteilungsschlüssel innerhalb der EU und einer
Residenzpflicht für aufgenommene Asylwerber_innen würde eine faire,
machbare Verteilung der Verantwortung innerhalb der EU ermöglichen. Bis
dahin könnten in diesem Sinne konstruktive Staaten in einer
„Koalition der Entschlossenen“ an einem effizienten Asylsystem
arbeiten, inklusive der Aushandlung funktionierender
Rückführungsabkommen. Um das Risiko zu vermindern, dass Menschen auf
der Flucht sich in Gefahr begeben oder gar ihr Leben in Gefahr bringen, bedarf
es legaler Fluchtwege. Dies trüge auch zur effektiven Bekämpfung von
Schlepperei bei.
Konstruktive
Lösungen, die Ordnung, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sicherstellen
würden, bestehen. Obwohl zahlreiche Beispiele die Ineffizienz der
Asylpolitik der letzten Jahre veranschaulichen, verharren Sie, Herr
Innenminister, auf denselben Positionen. Die Sorge um Pushbacks, die eine
eklatante Menschenrechtsverletzung darstellen und Chaos generieren, kam
aufgrund klarer Gerichtsurteile in letzter Zeit dazu. Vor diesem Hintergrund
und angesichts der geschilderten Sachlage erscheint es berechtigt zu fragen:
Was hat die Bundesregierung seit 2015 für ein funktionierendes,
resilientes Asylsystem auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit gemacht? Was wurde
aus 2015 gelernt?
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um Asylverfahren effizienter zu
gestalten bzw. um die Dauer der Asylverfahren zu reduzieren?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Verfahren von Menschen mit
hoher Bleibewahrscheinlichkeit zu beschleunigen?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um den Verfahrenrückstau zu
reduzieren?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Qualität der
Asylverfahren zu verbessern?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die hohe Fehlerquote in der
ersten Instanz zu reduzieren?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Qualität der
Begutachtung im Asylverfahren zu verbessern?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um auf einen Anstieg der Anzahl an
Asylanträgen zu reagieren?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Personalressourcen im BFA aufzustocken
bzw. aufstocken zu können, falls notwendig?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Personalressourcen im BVwG
aufzustocken bzw. aufstocken zu können, falls notwendig?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Aufenthaltsdauer in
Bundesbetreuungseinrichtungen zu reduzieren?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Länder dazu zu bringen,
ihre Quoten zu erfüllen?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Empfehlungen des Rechnungshofs
hinsichtlich der Asylbetreuungseinrichtungen des Bundes umzusetzen?
- bzgl. der Entwicklung
eines ganzheitlichen, von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen getragenen
und auf die jeweiligen Zielgruppen und die Aufenthaltsdauer abgestimmten
Konzepts?
- bzgl. der Entwicklung
einer Strategie für ein erneutes Ansteigen der Asylantragszahl und
in diesem Kontext, zur Beschaffung von Unterbringungskapazitäten?
- bzgl. der Evaluierung
bzw. der Nachverhandlung bzw. der Anpassung der (nachteiligen)
Mietverträge zu den Betreuungseinrichtungen des Bundes?
- bzgl. der
Sicherstellung einer stabilen und möglichst flexiblen
Personalstruktur in Bundesbetreuungseinrichtungen?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um den Zugang zum Arbeitsmarkt
für Asylwerber_innen zu vereinfachen?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um legale und sichere Fluchtwege zu
schaffen?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Sie, Herr Innenminister,
lehnen die Beteiligung Österreichs an Resettlement-Programmen ab.
Dies haben Sie im Ö1 Morgenjournal des 21.02.2022
folgendermaßen begründet: "Das ist aus unserer Sicht das
falsche Signal (...) weil es noch mehr anlocken würde und ein
sogenannter Pull-Faktor wäre, wenn man bewusst
Wirtschaftsflüchtlinge aufteilt" (https://oe1.orf.at/player/20220221/669183/1645423917000). Der Begriff Resettlement
bezeichnet jedoch nicht die Aufteilung von
"Wirtschaftsflüchtlingen", sondern die dauerhafte
Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in einem
aufnahmebereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz
gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich zu
integrieren. Resettlement stellt somit einen legalen Fluchtweg
für Flüchtlinge dar. Werden Sie sich, nun in Kenntnis der
Bedeutung von Resettlement, weiterhin dagegen positionieren?
- Wenn ja, warum?
- Wenn nein, inwiefern
ist geplant, dass Österreich an Resettlement aus welchen
Ländern teilnimmt?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Rechtsstaatlichkeit im Umgang
mit Asylsuchenden zu wahren bzw. zu stärken?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um menschenrechtliche Standards im
Umgang mit Asylsuchenden zu garantieren und insbesondere, um
Menschenrechtsverletzungen bzw. Verstöße gegen das
Non-Refoulement-Gebot zu vermeiden?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Inwieweit hat die
Gesetzesnovelle des AsylG 2016, mit welcher „Asyl auf Zeit“
gem § 3 Abs 4 AsylG eingeführt worden ist,
im Vollzug dazu beigetragen, das Asylsystem effizienter zu
gestalten?
- Wie viele Verfahren
mussten aufgrund dieser Gesetzesänderung wie oft einer
Überprüfung unterzogen werden? Bitte um Aufschlüsselung
pro Jahr von 2016 bis 2021.
i. In welchen Bundesländern jeweils?
ii. Wie hoch war der damit verbundene Arbeitsaufwand?
iii. In wie vielen Fällen verlängerte sich die
Aufenthaltsberechtigung nach den drei Jahren um eine unbefristete
Gültigkeitsdauer?
iv. In wie vielen Fällen wurde nach den drei
Jahren der Status des Asylberechtigten aberkannt?
- Mit welchen Kosten war
daher die Umsetzung dieser Reform verbunden?
- Halten Sie, Herr
Innenminister, an der Ausarbeitung des Konzepts zur Umsetzung der
Arbeitsvereinbarung mit Serbien, welches „aufgrund der aktuellen
Situation im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und den
diesbezüglichen faktischen Einschränkungen sistiert“
(siehe 8805/AB zu 8968/J) ist, weiterhin fest?
- Mit welchen Kosten war
die Ausarbeitung des Konzepts zur Umsetzung der Arbeitsvereinbarung mit
Serbien bisher verbunden?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um vor der Entscheidung über die
Gewährung von "humanitärem Bleiberecht" die
betroffenen Länder bzw. Gemeinden anzuhören?
- Falls keine Maßnahmen
gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Sie initiierten im
Februar dieses Jahres eine „Rückführungskonferenz“
in Wien (https://orf.at/stories/3248404/). Welche Defizite wurden durch wen bzgl. anscheinend
bisher verzögerte bzw. unterlassene Rückführungen von
Menschen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz bzw. in
Österreich kein Aufenthaltsrecht haben, in Ihrem Innenressort wann
identifiziert, die diese Konferenz aus Ihrer Sicht nötig
machte- und zwar
- bzgl. der freiwilligen Rückkehr?
- bzgl. der zwangsweisen
Außerlandesbringung?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um Menschen, die keinen Anspruch auf
internationalen Schutz bzw. in Österreich kein Aufenthaltsrecht
haben, zurückzuführen, und zwar
- bzgl. der freiwilligen Rückkehr?
- bzgl. der zwangsweisen
Außerlandesbringung?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Welche konkreten
Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die statistische Datenerhebung und
-analyse im Asylwesen zu verbessern?
- Falls keine
Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?