9941/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.02.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Was wurde seit 2015 für ein effizientes Asylsystem am Boden der Rechtsstaatlichkeit getan?

 

Jede Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Herkunftsstaates befindet und den Schutz des Herkunftsstaates nicht in Anspruch nehmen kann, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Dazu hat sich Österreich mit der Unterzeichnung des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 verpflichtet.

Im Jahr 2015 stellten in Österreich 88.340 Menschen einen Asylantrag – ein Höchstwert seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. An Defiziten in der Handhabung dieser Ausnahmesituation mangelte es damals nicht: von unendlich langen Verfahren mit hohen Fehlerquoten in der ersten Instanz, über untragbare Bedingungen in Erstaufnahmezentren, einen restriktiven Zugang zum Arbeitsmarkt, bis hin zu Gesetzesnovellen mit Überbürokratisierung ohne dazu in Relation stehendem Mehrwert („Asyl auf Zeit“) und inkonsequenten Rückführungen im Falle der Ablehnung eines Asylantrags – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

In den darauffolgenden Jahren sank die Anzahl an neuen Asylanträgen in Österreich deutlich, auf einen Tiefstand von 12.886 im Jahr 2019. Im Jahr 2021 gab es einen leichten Anstieg der Anzahl an Asylanträgen, insgesamt stellten 34.118 Menschen einen Asylantrag (siehe: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/wanderungen/asyl/068627.html). Trotz der im Vergleich zu 2015 niedrigen Zahl wiederholen sich die oben genannten Probleme. Desweiteren fügten sich eine dubiose Verhandlung zur Errichtung eines Abschiebezentrums in Serbien, mehrere Fälle der Missachtung des Kindeswohl, sowie kostspielige, aber inadäquate „Hilfe vor Ort“, und schlussendlich Menschenrechtsverletzungen an der österreichischen Südgrenze, hinzu. 

Auch auf europäischer Ebene versagte das Dublin-System, welches bestimmt, dass derjenige europäische Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling zuerst ankommt und somit den Außengrenzstaaten die größte Verantwortung überlässt – ein Scheitern, das sich im Elend der überfüllten griechischen Lager und durch zahlreiche Verstoße gegen das Non-Refoulement-Gebot veranschaulichte – und somit einen dringenden Reformbedarf auf europäischer Ebene illustrierte. Auch eine sichere Flucht über Resettlement ist selten möglich, weil dies von Staaten kaum mehr angeboten wird - insbesondere von Österreich nicht. Die Grenzen zur EU – ob über Land oder Meer -  sind weiterhin u.a. wegen rechtswidrigen Zurückdrängens oft gefährlich, wenn nicht tödlich, und in jedem Fall chaotisch. Schlepperorganisationen sind stark professionalisiert und verdienen mehr, weil die Routen gefährlicher werden. Alle Versuche, auf europäischer Ebene eine koordinierte, faire und effiziente Asylpolitik umzusetzen, werden von Österreich abgelehnt.

Menschen auf der Flucht sollten nach Registrierung unverzüglich ein schnelles, qualitätsvolles und faires Asylverfahren erhalten. Dann kann es bei negativen Entscheidungen zu baldiger Rückführung und bei positiven Entscheidungen zur sofortigen Integration kommen. Eine Reform der Grundversorgung, inklusive Valorisierung der Tagessätze würde dazu führen, dass die Länder ihre Quoten erfüllen und die Bundesbetreuungseinrichtungen entlastet werden. Das Aufstellen eines europäischen Asylsystems auf Basis von Rechtsstaat und Menschenrechten mit einem bindenden Verteilungsschlüssel innerhalb der EU und einer Residenzpflicht für aufgenommene Asylwerber_innen würde eine faire, machbare Verteilung der Verantwortung innerhalb der EU ermöglichen. Bis dahin könnten in diesem Sinne konstruktive Staaten in einer „Koalition der Entschlossenen“ an einem effizienten Asylsystem arbeiten, inklusive der Aushandlung funktionierender Rückführungsabkommen. Um das Risiko zu vermindern, dass Menschen auf der Flucht sich in Gefahr begeben oder gar ihr Leben in Gefahr bringen, bedarf es legaler Fluchtwege. Dies trüge auch zur effektiven Bekämpfung von Schlepperei bei. 

Konstruktive Lösungen, die Ordnung, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sicherstellen würden, bestehen. Obwohl zahlreiche Beispiele die Ineffizienz der Asylpolitik der letzten Jahre veranschaulichen, verharren Sie, Herr Innenminister, auf denselben Positionen. Die Sorge um Pushbacks, die eine eklatante Menschenrechtsverletzung darstellen und Chaos generieren, kam aufgrund klarer Gerichtsurteile in letzter Zeit dazu. Vor diesem Hintergrund und angesichts der geschilderten Sachlage erscheint es berechtigt zu fragen: Was hat die Bundesregierung seit 2015 für ein funktionierendes, resilientes Asylsystem auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit gemacht? Was wurde aus 2015 gelernt?
 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um Asylverfahren effizienter zu gestalten bzw. um die Dauer der Asylverfahren zu reduzieren?
    1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Verfahren von Menschen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit zu beschleunigen?
    2. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um den Verfahrenrückstau zu reduzieren?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Qualität der Asylverfahren zu verbessern?
    1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die hohe Fehlerquote in der ersten Instanz zu reduzieren?
    2. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Qualität der Begutachtung im Asylverfahren zu verbessern?
    3. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um auf einen Anstieg der Anzahl an Asylanträgen zu reagieren?
    1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Personalressourcen im BFA aufzustocken bzw. aufstocken zu können, falls notwendig?
    2. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Personalressourcen im BVwG aufzustocken bzw. aufstocken zu können, falls notwendig?
    3. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Aufenthaltsdauer in Bundesbetreuungseinrichtungen zu reduzieren?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Länder dazu zu bringen, ihre Quoten zu erfüllen?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Empfehlungen des Rechnungshofs hinsichtlich der Asylbetreuungseinrichtungen des Bundes umzusetzen?
    1. bzgl. der Entwicklung eines ganzheitlichen, von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen getragenen und auf die jeweiligen Zielgruppen und die Aufenthaltsdauer abgestimmten Konzepts?
    2. bzgl. der Entwicklung einer Strategie für ein erneutes Ansteigen der Asylantragszahl und in diesem Kontext, zur Beschaffung von Unterbringungskapazitäten?
    3. bzgl. der Evaluierung bzw. der Nachverhandlung bzw. der Anpassung der (nachteiligen) Mietverträge zu den Betreuungseinrichtungen des Bundes?
    4. bzgl. der Sicherstellung einer stabilen und möglichst flexiblen Personalstruktur in Bundesbetreuungseinrichtungen?
    5. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber_innen zu vereinfachen?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um legale und sichere Fluchtwege zu schaffen?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Sie, Herr Innenminister, lehnen die Beteiligung Österreichs an Resettlement-Programmen ab. Dies haben Sie im Ö1 Morgenjournal des 21.02.2022 folgendermaßen begründet: "Das ist aus unserer Sicht das falsche Signal (...) weil es noch mehr anlocken würde und ein sogenannter Pull-Faktor wäre, wenn man bewusst Wirtschaftsflüchtlinge aufteilt" (https://oe1.orf.at/player/20220221/669183/1645423917000). Der Begriff Resettlement bezeichnet jedoch nicht die Aufteilung von "Wirtschaftsflüchtlingen", sondern die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in einem aufnahmebereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich zu integrieren. Resettlement stellt somit einen legalen Fluchtweg für Flüchtlinge dar. Werden Sie sich, nun in Kenntnis der Bedeutung von Resettlement, weiterhin dagegen positionieren? 
    1. Wenn ja, warum?
    2. Wenn nein, inwiefern ist geplant, dass Österreich an Resettlement aus welchen Ländern teilnimmt?
  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Rechtsstaatlichkeit im Umgang mit Asylsuchenden zu wahren bzw. zu stärken?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um menschenrechtliche Standards im Umgang mit Asylsuchenden zu garantieren und insbesondere, um Menschenrechtsverletzungen bzw. Verstöße gegen das Non-Refoulement-Gebot zu vermeiden?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Inwieweit hat die Gesetzesnovelle des AsylG 2016, mit welcher „Asyl auf Zeit“ gem § 3 Abs 4 AsylG eingeführt worden ist, im Vollzug dazu beigetragen, das Asylsystem effizienter zu gestalten?
    1. Wie viele Verfahren mussten aufgrund dieser Gesetzesänderung wie oft einer Überprüfung unterzogen werden? Bitte um Aufschlüsselung pro Jahr von 2016 bis 2021.  

                                          i.    In welchen Bundesländern jeweils?

                                        ii.    Wie hoch war der damit verbundene Arbeitsaufwand?

                                       iii.    In wie vielen Fällen verlängerte sich die Aufenthaltsberechtigung nach den drei Jahren um eine unbefristete Gültigkeitsdauer?

                                       iv.    In wie vielen Fällen wurde nach den drei Jahren der Status des Asylberechtigten aberkannt?

    1. Mit welchen Kosten war daher die Umsetzung dieser Reform verbunden?
  1. Halten Sie, Herr Innenminister, an der Ausarbeitung des Konzepts zur Umsetzung der Arbeitsvereinbarung mit Serbien, welches „aufgrund der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und den diesbezüglichen faktischen Einschränkungen sistiert“ (siehe 8805/AB zu 8968/J) ist, weiterhin fest?
    1. Mit welchen Kosten war die Ausarbeitung des Konzepts zur Umsetzung der Arbeitsvereinbarung mit Serbien bisher verbunden?
  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um vor der Entscheidung über die Gewährung von "humanitärem Bleiberecht" die betroffenen Länder bzw. Gemeinden anzuhören?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Sie initiierten im Februar dieses Jahres eine „Rückführungskonferenz“ in Wien (https://orf.at/stories/3248404/). Welche Defizite wurden durch wen bzgl. anscheinend bisher verzögerte bzw. unterlassene Rückführungen von Menschen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz bzw. in Österreich kein Aufenthaltsrecht haben, in Ihrem Innenressort wann identifiziert, die diese Konferenz aus Ihrer Sicht nötig machte- und zwar
    1. bzgl. der freiwilligen Rückkehr?
    2. bzgl. der zwangsweisen Außerlandesbringung?  
  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um Menschen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz bzw. in Österreich kein Aufenthaltsrecht haben, zurückzuführen, und zwar
    1. bzgl. der freiwilligen Rückkehr?
    2. bzgl. der zwangsweisen Außerlandesbringung?  
    3. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die statistische Datenerhebung und -analyse im Asylwesen zu verbessern?
    1. Falls keine Maßnahmen gesetzt worden sind, ist dies geplant?

                                          i.    Wenn ja, wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?