Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Problem

In der Praxis bestehen Unklarheiten darüber, ob die im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz vorgesehene (und von der Richtlinie über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher vorgegebene) Kreditwürdigkeitsprüfung eine Kreditvergabe auch dann zulässt, wenn auf Grund des Alters der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers damit gerechnet werden muss, dass die Kreditnehmerin/der Kreditnehmer während der Vertragslaufzeit verstirbt.

 

Ziel

Die Kreditvergabe an ältere Personen soll erleichtert werden.

 

Inhalt des Entwurfs

Durch eine Ergänzung im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz soll klargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen bei der nach diesem Gesetz erforderlichen Kreditwürdigkeitsprüfung die Möglichkeit unberücksichtigt bleiben kann, dass die Verbraucherin/der Verbraucher während der Vertragslaufzeit verstirbt. Zum einen muss wahrscheinlich sein, dass die Verbraucherin/der Verbraucher zu ihren/seinen Lebzeiten den laufenden Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommen kann, und zum anderen muss der Wert der als Sicherheit dienenden Vermögenswerte Gewähr für die Abdeckung der mit dem Kreditvertrag im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten leisten.

Die Richtlinie (EU) 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen, die die EU-Mitgliedstaaten zu einer Vorab-Überprüfung von den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränkenden Regelungen auf ihre Verhältnismäßigkeit verpflichtet, wurde für den Bereich der Rechtsanwaltschaft mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2020 in nationales Recht umgesetzt. Bei diesen Umsetzungsbestimmungen hat sich zwischenzeitig in zwei Punkten ein Präzisierungsbedarf ergeben, dem mit den zur RAO vorgeschlagenen Änderungen Rechnung getragen werden soll. Diese Anpassungen stehen mit den Änderungen im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz in keinem Zusammenhang.

 

Kompetenzgrundlage

Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B‑VG (Zivilrechtswesen, Angelegenheiten unter anderem der Rechtsanwälte).

 

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Keine.


Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz)

Zu Z 1 (§ 9)

Derzeit bestehen Unklarheiten darüber, ob die nach § 9 erforderliche Kreditwürdigkeitsprüfung positiv abgeschlossen werden kann, wenn die angestrebte Kreditlaufzeit die durchschnittliche Lebenserwartung der Verbraucherin/des Verbrauchers übersteigt.

Mit der vorgeschlagenen Ergänzung des Abs. 5 soll klargestellt werden, dass auch in diesen Fällen die Kreditgewährung nicht an den im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz festgelegten Voraussetzungen scheitert, sofern Sicherheiten, die an Vermögenswerten der Verbraucherin/des Verbrauchers bestellt werden, hinreichende Gewähr für die Abdeckung des offenen (Rest-)Betrags bieten. Gleichzeitig muss freilich die Verbraucherin/der Verbraucher in der Lage sein, den zu Lebzeiten fälligen Verbindlichkeiten nachzukommen, also die vereinbarten laufenden Kreditraten zu bezahlen, soweit sie zu ihren/seinen Lebzeiten fällig werden.

Diese Klarstellung steht im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher. Zwar darf die Kreditgeberin/der Kreditgeber nach der Richtlinie (und § 9 Abs. 5) der Verbraucherin/dem Verbraucher einen Kredit nur gewähren, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, dass es wahrscheinlich ist, dass die Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag in der gemäß diesem Vertrag vorgeschriebenen Weise erfüllt werden; im vorliegenden Zusammenhang ist aber die mögliche Verwertung der Liegenschaft bereits implizit Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung. Wenn die Kreditlaufzeit die statistische Lebenserwartung übersteigt, kann davon ausgegangen werden, dass die Vertragspartner die Wahrscheinlichkeit mitbedenken, dass für die Kredittilgung nach dem Tod der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers die als Sicherheit bestellte Liegenschaft herangezogen werden könnte, sofern nicht die Erbinnen/Erben der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers die nach deren/dessen Tod fälligen Verbindlichkeiten (weiter) begleichen (siehe dazu auch den vorletzten Absatz der Erläuterungen zu dieser Bestimmung). Insofern ist die Verwertung der Liegenschaft als durchaus denkbares Geschehen in die Vereinbarung einbezogen, wenngleich keine besonderen Vereinbarungen über die Verwertung der Sicherheit getroffen werden. Die (potentielle) Verwertung der Sicherheit richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die Besonderheit besteht in den hier angesprochenen Fällen darin, dass eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Kreditnehmerin/der Kreditnehmer die Kredittilgung zu seinen Lebzeiten nicht abschließen kann.

Auch § 9 Abs. 3 steht der vorgeschlagenen Klarstellung nicht entgegen. Zwar darf sich die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht hauptsächlich darauf stützen, dass der Wert der Immobilie den Kreditbetrag übersteigt; das bedeutet aber umgekehrt, dass der Wert der Immobilie als einer der Faktoren durchaus berücksichtigt werden darf. Die neue Z 1 erfordert, dass die Kreditnehmerin/der Kreditnehmer zu Lebzeiten den laufenden Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommen kann, und gewährleistet insofern, dass der Wert der Liegenschaft nicht das hauptsächliche Kriterium bei der Kreditwürdigkeitsprüfung ist.

Da im Übrigen die Richtlinie nicht vorschreibt, dass ein Kredit innerhalb der statistischen Lebenserwartung der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers zurückgezahlt werden muss, verlangt die Kreditwürdigkeitsprüfung auch nicht die Vermeidung von Situationen, in denen der Kreditvertrag auf die Rechtsnachfolgerinnen/Rechtsnachfolger von Todes wegen übergeht und die Kreditschuld allenfalls durch Verwertung der als Sicherheit bestellten Liegenschaft abgedeckt wird. Die Variante, auf die sich die Klarstellung in Abs. 5 bezieht, ist aber kein (vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommener) „Immobilienverzehrkredit“, weil die Rückzahlung nicht zur Gänze erst zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt geschuldet ist.

Die Klarstellung in Abs. 5 bezieht sich auf die Kreditwürdigkeitsprüfung hinsichtlich der betroffenen Kreditnehmerin/des betroffenen Kreditnehmers. Sofern es mehrere Kreditnehmerinnen/Kreditnehmer gibt, wird hinsichtlich der anderen Kreditnehmerinnen/Kreditnehmer durchaus auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen sein, dass die laufende Kredittilgung durch einen der Kreditnehmerinnen/Kreditnehmer nicht bis zum Vertragsende wahrscheinlich ist.

Die vorgeschlagene Klarstellung hat keinen Einfluss darauf, ob es im Fall des Ablebens der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers tatsächlich zur Verwertung der Liegenschaft kommt. Vielmehr können die Erbinnen/Erben als Rechtsnachfolgerinnen/Rechtsnachfolger der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers die laufende Kredittilgung fortsetzen und so eine Verwertung vermeiden. Wie bisher kann ein Kündigungsrecht der Kreditgeberin/des Kreditgebers allein für den Fall des Todes der Kreditnehmerin/des Kreditnehmers nicht wirksam vereinbart werden (§ 990 ABGB, RIS-Justiz RS0117369).

§ 33 Abs. 6 Bankwesengesetz ordnet in Umsetzung von Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2017/14/EU an, dass die Kreditinstitute Strategien und Verfahren bezüglich Zahlungsrückständen von Verbrauchern und Zwangsvollstreckungen festzulegen und anzuwenden haben. Diese müssen unter anderem Vorgangsweisen betreffend die Informationsbereitstellung für die/den Verbraucher:in und die Kommunikation mit der/dem Verbraucher:in enthalten. Sollten die Erbinnen/Erben die laufende Kredittilgung nicht fortsetzen können, sollte tunlichst eine einvernehmliche Lösung (wie etwa eine Stundung) gefunden werden, um das Anfallen von Verzugszinsen zu vermeiden. In der Folge sollte den Erbinnen/Erben primär die Möglichkeit eingeräumt werden, die Liegenschaft selbst zu veräußern und den Kredit aus dem Verwertungserlös abzudecken.

 

Zu Z 2 (§ 31)

Die Klarstellung soll am 1. April 2023 in Kraft treten.

Zu Artikel 2 (Änderung der Rechtsanwaltsordnung)

Nach der Richtlinie (EU) 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen, ABl. Nr. L 173 vom 9.7.2018, S. 25, sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Rechts- und Verwaltungsvorschriften, mit denen der Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränkt wird, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Zu beurteilen ist dabei, ob solche in Aussicht genommenen Regelungen durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigt und für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sind; zugleich dürfen sie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen. Die Richtlinie (EU) 2018/958 enthält damit im Zusammenhang detaillierte Kriterien und Anforderungen, anhand derer diese Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. In den Geltungsbereich der Richtlinie können im Bereich der RAO (und des DSt) auch Regelungsvorschläge in einzelnen der Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer zugewiesenen Angelegenheiten (Festsetzung der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer und ihres Ausschusses, Erlassung von Richtlinien für die Errichtung und Führung der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer) fallen; ebenso können davon auch Regelungsvorschläge im Bereich der vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) nach § 37 Abs. 1 RAO zu erlassenden Richtlinien erfasst sein, sofern mit diesen Vorschlägen jeweils eine Beschränkung des Zugangs zum Beruf des Rechtsanwalts oder seiner Ausübung einhergeht. Aus diesem Grund wurde mit dem Berufsrecht-Änderungsgesetz 2020, BGBl. I Nr. 19/2020, die Verpflichtung zur Vornahme entsprechender Verhältnismäßigkeitsprüfungen in diesen Agenden der rechtsanwaltlichen Selbstverwaltung statuiert, die in den Angelegenheiten nach § 27 Abs. 1 lit. a oder lit. g RAO vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer und in den Angelegenheiten nach § 37 Abs. 1 RAO vom Präsidium des ÖRAK vorzunehmen sind.

Wie gegen verschiedene andere Mitgliedstaaten hat die Europäische Kommission zuletzt auch gegen die Republik Österreich ein Verfahren wegen allenfalls nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/958 eingeleitet. In diesem Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2021/2205) vertritt die Europäische Kommission unter anderem die Ansicht, dass durch die Umsetzungsmaßnahmen in der Rechtsanwaltsordnung (und im Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, wo auf die entsprechenden RAO-Bestimmungen verwiesen wird), die objektive und unabhängige Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfungen allenfalls nicht hinreichend sichergestellt sein könnte; Mechanismen (wie zum Beispiel eine rechtliche Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zur aktiven Überwachung und Überprüfung der Verhältnismäßigkeitsprüfung), die dies gewährleisten würden, hätten bislang nicht identifiziert werden können, sodass die Übereinstimmung mit den Vorgaben nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie fraglich sei. Zum anderen könnte Österreich nach Auffassung der Europäischen Kommission seinen Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie allenfalls insofern nicht (hinreichend) nachgekommen sein, als in § 27a Abs. 1 RAO lediglich auf Art. 7 der Richtlinie verwiesen werde, die Kriterien der Richtlinie aber nicht klar genannt würden. Die Analyse der Europäischen Kommission in den genannten beiden Punkten zeigt, dass die betreffenden Regelungen präzisiert werden sollten, weil es zu Missverständnissen oder Unklarheiten bei ihrer praktischen Anwendung kommen könnte.

Bereits nach geltender Rechtslage kann die Bundesministerin für Justiz im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnisse nach § 23 Abs. 8 RAO und § 35 Abs. 3 RAO eine Überprüfung der von den Ausschüssen der Rechtsanwaltskammern bzw. vom Präsidium des ÖRAK gegebenenfalls durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfungen vornehmen; ergeben sich bei dieser Überprüfung Bedenken, dass die vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung den Grundsätzen der Objektivität und Unabhängigkeit nicht oder nicht hinreichend entspricht, so kann das Bundesministerium für Justiz auf eine nochmalige Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Bedachtnahme auf die von ihm mitgeteilten Bedenken dringen und die Rechtsanwaltskammer bzw. den ÖRAK zu einem entsprechenden Vorgehen auffordern. Mit dem vorgeschlagenen § 27a Abs. 2a RAO soll nunmehr eine ausdrückliche dahingehende Verpflichtung des Bundesministeriums für Justiz zur Überwachung und Überprüfung der von den zuständigen Organen der rechtsanwaltlichen Selbstverwaltung vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfungen geschaffen werden. Ergibt sich dabei, dass die jeweilige Verhältnismäßigkeitsprüfung den Grundsätzen der Objektivität und Unabhängigkeit nicht oder nicht hinreichend entspricht, so ist dies dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bzw. dem Präsidium des ÖRAK innerhalb von sechs Wochen nach dem Einlangen des Vorschlags unter Anführung der dafür maßgeblichen Gründe bekanntzugeben. Der Ausschuss bzw. das Präsidium des ÖRAK hat diesfalls die Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der mitgeteilten Bedenken nochmals im erforderlichen Ausmaß durchzuführen.

Unter Beachtung der Bedenken der Europäischen Kommission präzisiert werden soll ferner der in § 27a Abs. 1 RAO festgelegte Inhalt, Umfang und die Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hier sollen die entsprechenden Bestimmungen des (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Berufsrechts-Änderungsgesetzes 2020 noch nicht ergangenen) Verhältnismäßigkeitsprüfungs-Gesetzes (VPG) nutzbar gemacht und auf diese verwiesen werden.