Entwurf

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG) erlassen wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG)

 

Allgemeine Bestimmungen

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, kleine Versicherungsvereine und Sparkassen („Gesellschaften“). Der Begriff „Gesellschafter“ umfasst auch Aktionäre und Mitglieder, der Begriff „Gesellschaftsvertrag“ umfasst auch die Satzung und die Statuten. Der Begriff „Teilnehmer“ umfasst neben den Gesellschaftern auch alle sonstigen zur Teilnahme an der Versammlung berechtigten oder verpflichteten Personen.

(2) Im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft im Sinn des Abs. 1 kann vorgesehen werden, dass eine Versammlung von Gesellschaftern nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt werden kann („virtuelle Versammlung“). Dabei ist auch zu regeln, ob die Versammlungen von Gesellschaftern stets virtuell durchzuführen sind oder ob das einberufende Organ über die Form der Durchführung entscheidet.

(3) Eine virtuelle Versammlung ist als einfache virtuelle Versammlung (§ 2) durchzuführen. Hat die Versammlung einen Leiter, so kann im Gesellschaftsvertrag auch vorgesehen werden, dass stets eine moderierte virtuelle Versammlung (§ 3) durchzuführen ist oder dass die Entscheidung, ob eine einfache oder eine moderierte virtuelle Versammlung durchgeführt wird, dem einberufenden Organ überlassen wird.

(4) Im Gesellschaftsvertrag kann auch vorgesehen werden, dass stets eine Versammlung durchzuführen ist, bei der sich die einzelnen Teilnehmer zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme entscheiden können („hybride Versammlung“) oder dass die Entscheidung, ob eine hybride Versammlung durchgeführt wird, dem einberufenden Organ überlassen wird.

(5) Soweit sich organisatorische und technische Festlegungen für eine virtuelle oder hybride Versammlung nicht aus dem Gesetz oder Gesellschaftsvertrag ergeben, sind sie vom einberufenden Organ zu treffen.

(6) Ist nach Abs. 2 bis 5 das einberufende Organ zur Entscheidung berufen, so hat es bei dieser die Interessen der Gesellschaft sowie der Teilnehmer angemessen zu berücksichtigen. Bei der Durchführung einer virtuellen oder hybriden Versammlung hat das einberufende Organ den Teilnehmern den barrierefreien Zugang zu dieser zu gewährleisten.

(7) Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, gelten für die Einberufung und die Durchführung einer virtuellen oder hybriden Versammlung dieselben gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Regelungen wie für eine sonstige Versammlung dieser Art.

(8) Durch dieses Bundesgesetz werden gesetzliche oder gesellschaftsvertragliche Regelungen, nach denen die Durchführung einer Versammlung von Gesellschaftern oder Organmitgliedern ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer zulässig ist, nicht berührt.

(9) Soweit in diesem Bundesgesetz Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise. Bei der Anwendung der Bezeichnung auf bestimmte natürliche Personen ist die jeweils geschlechtsspezifische Form zu verwenden.

Einfache virtuelle Versammlung

§ 2. (1) Die Durchführung einer einfachen virtuellen Versammlung ist zulässig, wenn eine Teilnahmemöglichkeit an der Versammlung mittels einer akustischen und optischen Zweiweg-Verbindung in Echtzeit besteht. Dabei muss es jedem Teilnehmer möglich sein, sich zu Wort zu melden, an allen Abstimmungen teilzunehmen und gegebenenfalls Widerspruch zu erheben.

(2) In der Einberufung der virtuellen Versammlung ist anzugeben, welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der virtuellen Versammlung bestehen.

(3) Wenn bei einer virtuellen Versammlung Anlass zu Zweifeln an der Identität eines Teilnehmers besteht, so hat die Gesellschaft seine Identität auf geeignete Weise zu überprüfen.

(4) Die Gesellschaft ist für den Einsatz von technischen Kommunikationsmitteln nur insoweit verantwortlich, als diese ihrer Sphäre zuzurechnen sind.

Moderierte virtuelle Versammlung

§ 3. (1) Die Durchführung einer moderierten virtuellen Versammlung ist nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig.

(2) Die Versammlung wird für die Teilnehmer optisch und akustisch in Echtzeit übertragen.

(3) Die Gesellschafter haben während der Versammlung jederzeit die Möglichkeit, sich im Weg elektronischer Kommunikation zu Wort zu melden. Wird einem Gesellschafter das Wort erteilt, ist ihm eine Redemöglichkeit im Weg der Videokommunikation zu gewähren.

(4) Bei allen Abstimmungen können die Gesellschafter ihr Stimmrecht im Weg elektronischer Kommunikation ausüben und auf diese Weise gegebenenfalls auch Widerspruch erheben.

(5) § 2 Abs. 2 bis 4 gelten sinngemäß.

Hybride Versammlung

§ 4. (1) Die Durchführung einer hybriden Versammlung ist nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig.

(2) Die einzelnen Teilnehmer können zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme an der Versammlung entscheiden. Für die virtuelle Teilnahme gelten die Bestimmungen für einfache virtuelle Versammlungen (§ 2) bzw. für moderierte virtuelle Versammlungen (§ 3) sinngemäß.

(3) Es ist zu gewährleisten, dass physische und virtuelle Teilnehmer gleichwertig behandelt werden.

Sonderbestimmung für börsenotierte Aktiengesellschaften

§ 5. (1) Für die Durchführung einer virtuellen oder hybriden Hauptversammlung in einer börsenotierten Aktiengesellschaft (§ 3 AktG) sind zusätzlich zu den §§ 2, 3 oder 4 die folgenden Absätze maßgeblich.

(2) Wenn die Informationen gemäß § 2 Abs. 2 in der Einberufung der Hauptversammlung der Gesellschaft noch nicht enthalten sind, so ist es ausreichend, wenn diese Informationen ab dem 21. Tag vor der Hauptversammlung gemäß § 108 Abs. 3 bis 5 AktG bereitgestellt werden und dies in der Einberufung angekündigt wird.

(3) Unbeschadet der Möglichkeit einer Wortmeldung in der Hauptversammlung gemäß § 2 Abs. 1 oder § 3 Abs. 3 stellt die Gesellschaft den Aktionären einen elektronischen Kommunikationsweg zur Verfügung, auf dem sie Fragen und Beschlussanträge bis zum dritten Werktag oder einem festzusetzenden späteren Zeitpunkt vor der Versammlung an die Gesellschaft übermitteln können. Für die Informationen über diesen Kommunikationsweg gilt Abs. 2 sinngemäß. Die auf diesem Weg gestellten Fragen und Beschlussanträge sind in der Versammlung zu verlesen oder den Teilnehmern auf andere geeignete Weise zur Kenntnis zu bringen.

(4) Die Gesellschaft stellt den Aktionären auf ihre Kosten zumindest zwei besondere Stimmrechtsvertreter zur Verfügung. Dabei handelt es sich um eine dafür geeignete und von der Gesellschaft unabhängige Personen, die von den Aktionären zur Stellung von Beschlussanträgen, zur Stimmabgabe und gegebenenfalls zur Erhebung eines Widerspruchs in der virtuellen Hauptversammlung bevollmächtigt werden kann. Für die Informationen über den besonderen Stimmrechtsvertreter gilt Abs. 2 sinngemäß.

(5) Die Satzung kann auch vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Hauptversammlung öffentlich übertragen wird (§ 102 Abs. 4 zweiter Satz AktG).

(6) Die Satzung kann auch vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre ihre Stimmen schon bis zu einem festzusetzenden Zeitpunkt vor der Hauptversammlung auf elektronischem Weg abgeben können. Solche Aktionäre können ihre Stimmabgabe bis zur Abstimmung in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung widerrufen und allenfalls erneut abstimmen. Im Übrigen gilt § 126 AktG sinngemäß.

(7) Wurde die ordentliche Hauptversammlung nach diesem Bundesgesetz virtuell durchgeführt, so können Aktionäre, deren Anteile zusammen zehn vom Hundert des Grundkapitals erreichen, bis zum Ende des Geschäftsjahres die Einberufung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung in einer Form verlangen, die eine physische Teilnahme der Aktionäre ermöglicht. § 105 Abs. 3 zweiter und dritter Satz sowie Abs. 4 AktG gelten sinngemäß.

(8) Die Satzungsbestimmung, die eine Durchführung virtueller oder hybrider Versammlungen vorsieht oder die Entscheidung hierüber dem einberufenden Organ überlässt (§ 1 Abs. 2 bis 4), ist auf längstens fünf Jahre zu befristen.

Vollziehung

§ 6. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist die Bundesministerin für Justiz betraut.

Inkrafttreten

§ 7. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 14. Juli 2023 in Kraft.

(2) Die Bundesministerin für Justiz hat im Jahr 2028 auf der Grundlage der Auswirkungen der Durchführung von virtuellen und hybriden Gesellschafterversammlungen nach diesem Bundesgesetz und der Erfahrungen in anderen vergleichbaren EU-Mitgliedstaaten die Zweckmäßigkeit der Möglichkeit zur Durchführung solcher Versammlungen zu prüfen und darüber dem Nationalrat zu berichten.