15.50

Abgeordneter Clemens Stammler (Grüne): Herr Präsident! Werte Ministerin! Ge­schätzte Kollegen und Kolleginnen! Liebe ZuseherInnen vor den Bildschirmen! Shut­down – Krisenzeiten haben ja auch so manch Gutes, wenn auch nicht auf den ersten Blick, aber sie legen Probleme frei und sie zeigen uns sehr deutlich, was wirklich wichtig ist.

Als Agrarpolitiker und Bauer habe ich mich in den letzten Jahren sehr oft sehr schwer­getan, einem Konsumenten, einer Konsumentin klarzumachen, wie wichtig die Landwirt­schaft in Österreich ist, weil es schwer ist, klarzumachen, wie wichtig die Ernährungssou­veränität eines Landes ist, wenn die Supermarktregale voll sind, und zwar zum Bersten voll. Das waren sie zwar auch in der Krise – bis auf das Klopapier –, aber dennoch hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung geändert und es ist sehr wohl klargeworden, wie wichtig und wie wertvoll regionale Ernährung in einer Krise ist. Genauso hat man das bei Pflegeberufen gemerkt. Das heißt, in einer Krise zeigen sich dann die Grundbe­dürfnisse schon sehr deutlich und diese Grundbedürfnisse werden ganz anders wahrge­nommen und gespürt.

Die europäische Landwirtschaft steckt aber nicht nur in einer Coronakrise, sie kämpft auch mit einer Klimakrise und seit Jahren mit einer Überlastungskrise. Im täglichen Kampf rund um den Strukturwandel wurde von den meisten Bäuerinnen und Bauern die Flucht nach vorne ergriffen und es wurden pro Generation der Stall, der Viehbestand, teilweise zwei Mal verdoppelt. Wie aussichtslos das ist, möchte ich anhand einer Zahl zeigen: Belgiens größter Schweinemäster mästet so viele Schweine wie die gesamte Steiermark zusammen.

Das heißt, Österreichs Weg kann niemals der Ausbau, die Massenproduktion sein, son­dern Österreichs Weg kann nur in der Qualitätsproduktion liegen. Die Landwirtschaft ist ja um einiges mehr als nur das Herstellen von Kalorien. Wir sollen dafür sorgen, dass es in 100 Jahren auch noch eine Welt gibt, in der wir Menschen ernähren können, in der es Böden gibt, die noch CO2 speichern können – und wir sehen gerade, wie uns die Wälder wegsterben, die als CO2‑Speicher dienen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Laut Grünem Bericht beträgt der Stundenlohn für viele tierhaltende Betriebe circa 5 Euro in der Stunde. Wen wundert es, dass in Europa das Alter von mehr als der Hälfte der Betriebsführerinnen und Betriebsführer in der Landwirtschaft über dem Pensionsalter liegt? In Österreich ist es um einiges besser, bei uns ist es gerade einmal ein knappes Viertel – also so zu tun, als wären wir in Österreich so schlecht, stimmt auch nicht ganz.

Ich glaube aber, was man sich viel mehr überlegen soll, ist: Wohin führt das? Wer die Agrarwelt ein bisschen beobachtet, der merkt, dass der Finanzmarkt nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt, aber auch in Österreich, Fläche kauft. Bäuerliche Fläche wird als Geldanlage gekauft. Das merkt man oft gar nicht, weil sie von den bäuerlichen Familien weiterbewirtschaftet wird, aber nicht mehr als Eigengrund, sondern als Pacht­grund.

Gleichzeitig macht sich eine Landwirtschaft 4.0, die Digitalisierung ganz breit. Bereits jetzt werden von Bayer, von Google, von Amazon Unmengen von Daten gesammelt, und diese Daten werden gespeichert und gehören diesen Firmen. Einer älter werdenden Landwirtschaft kann man also auch begegnen, indem man sie industrialisiert, indem man sie mehr oder weniger von Robotik und GPS bewirtschaften lässt. Das funktioniert in Gunstlagen, nicht in Berglagen. Den alten Klassenkampf, den auch die SPÖ immer ganz gerne spielt, die Arbeiterklasse gegen die Bauernklasse, gibt es schon lange nicht mehr; das ist eine Geschichte des vorigen Jahrtausends. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Viel mehr sollte man sich überlegen, ob man wirklich solche Angst vor den Bauern hat, denn wohin gehen Lebensmittelpreise, wenn die Lebensmittelproduktion in der Hand von einzelnen Konzernen liegt, wenn wir von wenigen Konzernen namens Google, na­mens Bayer, namens Amazon abhängig sind? Es geht wie gesagt nicht nur um die Kalorienherstellung, sondern es geht um Biodiversität, um Tierwohl, um Humusaufbau, um die Bewirtschaftung unserer Berggebiete.

Es ist ganz klar, dass wir auch nach der Coronakrise in der Landwirtschaft eine Unter­stützung brauchen. Ein erster Schritt dazu wäre – und darum ersuche ich auch die Frau Bundesminister –, sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass die 1,42 Prozent des Krisen­hilfsfonds der ersten Säule in der GAP an die Bäuerinnen und Bauern ausgeschüttet werden, denn wann sollen die Mittel eines Krisenhilfsfonds ausgeschüttet werden wenn nicht in einer der größten Krisen dieses Jahrhunderts? – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

15.55

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Doppelbauer. – Bitte.