132/PET XXVII. GP

Eingebracht am 15.11.2023
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Petition

Abgeordnete/r zum Nationalrat

Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer Michael Bernhard

An Herrn

Präsidenten des Nationalrates

Mag. Wolfgang Sobotka

Parlament, 1017 Wien, Österreich

                                               Wien , am  09.11.2023                 

Sehr geehrter Herr Präsident!

In der Anlage überreiche ich/ überreichen wir Ihnen gem. §100 (1) GOG-NR die Petition betreffend

Petition der österreichischen Umweltanwaltschaften zur Baumhaftung - Anregung zur Änderung/Adaptierung des ABGB und des ForstG

Seitens der Einbringer:innen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:

§ 1319 ABGB (Baumwerkehaftung), Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB, §§ 364 und 364a ABGB (Nachbarrecht) und § 176 ForstG

Dieses Anliegen wurde bis zur Einbringung im Nationalrat von Bürger:innen unterstützt. Mit der Bitte um geschäftsordnungsmäßige Behandlung dieser Petition verbleibe ich/verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

 

 

Anlage

Hinweis: Ggf. vorgelegte Unterschriftenlisten werden nach dem Ende der parlamentarischen Behandlung datenschutzkonform vernichtet bzw. gelöscht, soweit diese nicht nach den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes zu archivieren sind.

 


 

 

Petition an den Nationalrat

Baumhaftung –

Anregung zur Änderung/Adaptierung des ABGB und des ForstG

BEGRÜNDUNG des Begehrens;

Die Problematik rund um das Thema der Baumhaftung ist keine neue. Strenge Haftungsbestimmungen führen dazu, dass Bäume frühzeitig ohne gewichtigen Grund zurückgeschnitten oder gefällt werden, um sich vor den potenziellen Folgen des unvorhersehbaren Haftungsregimes als Baumhalter zu entziehen. Doch wie kam es überhaupt zu solch einer unzufriedenstellenden Situation?

Die Ausgangslage und der (Holz-)Weg zu einer Verbesserung

Von Gesetzes wegen gibt es keine explizite Regelung bei Schadensfällen außerhalb des Waldes zur Haftung für umstürzende Bäume oder abgerissene Äste. Daher kommen die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätze nach §§ 1293 ff ABGB zur Anwendung. Je nach Anlassfall ist nach ständiger Rechtsprechung bei Schäden durch Bäume § 1319 ABGB (Bauwerkehaftung) analog zu prüfen.


 

De lege lata sind die Voraussetzungen für eine Baumhaftung demnach die Mangelhaftigkeit des Baumes und die Erkennbarkeit dieser Mängel. Es handelt sich sohin um eine Umkehr der Beweislast, das heißt der betroffene Baumhalter ist nur dann haftungsfrei, wenn er nachweist, dass er die erforderliche Sorgfalt eingehalten hat. Nicht zuletzt deswegen heißt es, dass nicht der Recht bekommt, der im Recht ist, sondern der, der sein Recht beweisen kann[1], denn Baummängel sind oft schwer erkennbar und dadurch entstandene Zweifel im Beweisverfahren wirken sich zum Nachteil des Baumhalters aus. Insbesondere die (Einzelfall‑)Judikatur der letzten Jahre hat zu großer Rechtsunsicherheit bei den Betroffenen geführt, was in der Praxis überschießende, auch unwirtschaftliche Baumfällungen zur Folge hatte. Nicht zu vergessen ist vor allem der ökologische Wert der Bäume, welcher durch diese – oft nicht erforderlichen – Sicherungsschnitte verloren geht.

Denkbar ist bei Schadenseintritt verursacht durch Bäume oder deren Äste auch eine Anwendung der Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB.


Hier kommt es zu einer Haftung für eröffnete Wege, wenn der Weghalter grob schuldhaft gehandelt hat.

Sonstige gesetzliche Bestimmungen, welche je nach Ausgangsfall einschlägig sein können, sind

       die §§ 364, 364a ABGB (Nachbarrecht),

       allgemeine Verkehrssicherungspflichten,

       das Ingerenzprinzip und

       die ÖNORM L 1121[2] und L 1122.

Als lex specialis zu den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu erwähnen ist § 176 ForstG, welcher naturgemäß für Haftungsfälle innerhalb eines Waldes Anwendung findet.


Das privilegierte Haftungsregime nach dem Forstgesetz sieht abseits von Forststraßen und gekennzeichneten Wegen keine Haftung für den natürlichen Zustand des Waldes vor. Schäden im Zuge der Waldbewirtschaftung führen nur dann zu einer Haftung, wenn diese grob fahrlässig herbeigeführt wurden.

Seit Jahren wird an einer Nachschärfung der gesetzlichen Grundlagen gearbeitet und debattiert - es wurden Arbeitsgruppen bestellt und Studien in Auftrag gegeben. Ergebnisse daraus wurden präsentiert - jedoch bis jetzt ohne fruchtenden Erfolg. Selbst eine Festlegung im Regierungsprogramm samt interdisziplinärer Baumhaftungssymposien zeigt bis jetzt wenig Erfolgsaussichten auf eine rasche Gesetzesänderung. Zwar ist bekannt, dass es durch ein Haftungsrechtsänderungsgesetz eine neue spezifische Grundlage für diesen Haftungsfall geben soll, doch ist es viel wichtiger diesen Schritt auch in die Tat umzusetzen und den Entwurf zum Leben zu erwecken.

Was braucht es konkret? - rechtspolitischer Vorschlag

Falls nicht bereits jetzt im aktuellen Entwurf vorgesehen, wird eine Implementierung einer speziellen Haftungsbestimmung für Bäume vorgeschlagen:

Ergänzung im § 1319 ABGB

Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatz verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. "Der Baum ist kein Werk im Sinne dieser Bestimmung."

Eine analoge Anwendung von § 1319 ABGB wird dadurch ausgeschlossen.

Neueinführung des § 1319b ABGB

Abs 1: Wird jemand durch einen Baum geschädigt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Halter eines Baumes zum Ersatz verpflichtet, wenn er die ihn hinsichtlich des Baumbestandes treffende Verkehrssicherungspflicht nicht eingehalten hat.

Abs 2: Der Baumhalter entspricht jedenfalls seiner Verkehrssicherungspflicht, wenn

a)      der Baumbestand bei einer jährlichen Begehung augenscheinlich keine Auffälligkeiten aufweist oder dabei augenscheinliche oder erkannte Gefahren beseitigt werden und

b)       zwischen den jährlichen Begehungen eingetretene und dem Baumhalter bekannte Gefahren beseitigt werden. Bei einem gebotenen Rückschnitt ist tunlichst die Baumsubstanz zu wahren.

Abs 3: Bundes- und landesgesetzliche Regelungen über den Schutz von oder vor Bäumen und anderen Pflanzen, insbesondere über den Wald-, Flur-, Feld-, Ortsbild-, Natur- und Baumschutz bleiben unberührt.

Durch solch eine gesetzliche Anordnung würde die Baumhaftung auf vollkommen neue rechtliche Beine gestellt und die Verkehrssicherungspflichten für Bäume auf ein realistisches und zumutbares Maß beschränkt werden. Die Beweislastumkehr der bisherigen rechtlichen Regelung fällt somit weg. Unter dem Begriff „Gefahr“ in Abs 2 sind nur baumtypische Gefahren zu subsumieren. „Bekannte Gefahren“ sind nur solche, die dem Baumhalter tatsächlich, in Form von sicherem Wissen, bekannt sind. Aktive Handlungs- oder Nachforschungspflichten des Baumhalters für den Zeitraum zwischen den jährlichen Begehungen resultieren daraus nicht.

Ergänzung § 1319a Abs 2 ABGB

Abs 2: Ein Weg im Sinn des Abs. 1 ist eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehres benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benutzerkreis bestimmt ist; zu einem Weg gehören auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Ob der Zustand eines Weges mangelhaft ist, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist. „Der Wegehalter ist nicht für die von fremdem Grundstück ausgehenden Baumgefahren verantwortlich.“ oder „Auch für Baumgefahren von fremden Grundstücken findet der Sorgfaltsmaßstab des Abs 1 mit der Maßgabe des § 1319b Anwendung, sofern sich aus öffentlich-rechtlichen Gesetzen keine spezielleren Regelungen ergeben.“

Mit Ergänzung um diese Sätze wird das Verhältnis zwischen Baumhalter und Weghalter klarer definiert und auch die Problematik rund um die Haftung für Bäume auf fremden Grundstücken bereinigt.

Ergänzung im § 176 Abs 1 ForstG

Abs 1: Wer sich im Wald abseits von öffentlichen Straßen und Wegen aufhält, hat selbst auf alle ihm durch den Wald, im Besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren zu achten. „Er handelt insofern allein auf seine eigene Gefahr.“

Streichung des 2. Satzes in Abs 4

Für die Haftung für den Zustand einer Forststraße oder eines sonstigen Weges im Wald gilt § 1319a ABGB; zu der dort vorgeschriebenen Vermeidung von Gefahren durch den mangelhaften Zustand eines Weges sind der Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen jedoch nur bei Forststraßen verpflichtet sowie bei jenen sonstigen Wegen, die der Waldeigentümer durch eine entsprechende Kennzeichnung der Benützung durch die Allgemeinheit ausdrücklich gewidmet hat. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter.

Einführung eines Abs 5 und 6

Abs 5: Waldeigentümer und Wegehalter (klarstellend: Wegehalter sonstiger Wege iSd Abs 4) haften weder nach vorstehenden noch anderen gesetzlichen Bestimmungen für waldtypische Baumgefahren im Wald.

Abs 6: Für öffentliche Verkehrswege außerhalb des Waldes gilt für den Waldeigentümer der Sorgfaltsmaßstab des § 1319b ABGB. Gleiches gilt für Flächen auf denen ein Verkehr ausdrücklich eröffnet wurde.

Dadurch wird die Eigenverantwortung der Waldbesucher in den Vordergrund gerückt und klargestellt, dass für waldtypische Baumgefahren keine Sorgfalts- und Einstandspflichten des Waldeigentümers bestehen.

Feststeht, dass es an der Zeit ist, die gesetzlichen Grundlagen für eine der Rechtssicherheit dienende Baumhaftung zu schaffen. Die erforderlichen Instrumente dazu hat man in der Vergangenheit bereits ausgearbeitet und den zuständigen Akteuren unterbreitet. Nun liegt es an denen aktiv zu werden und möglichst rasch – ohne erneutes Zuwarten, den Gesetzwerdungsprozess zu durchlaufen.

Aus den angeführten Gründen wird daher um geschäftsordnungsmäßige Behandlung der Petition gebeten.

Freundliche Grüße

Für die Bgld. Umweltanwaltschaft:                           Für die Kärntner Umweltanwaltschaft:

e.h.                                                                                         e.h.

DI Dr. Michael Graf                                                   Mag. Rudolf Auernig

Für die Nö Umweltanwaltschaft:                               Für die ÖO Umweltanwaltschaft:

e.h.                                                                                         e.h.

Mag. Thomas Hansmann                                           DI Dr. Martin Donat

 

Für die Salzburger Umweltanwaltschaft:                  Für die Stmk. Umweltanwaltschaft:

e.h.                                                                                         e.h.

Mag. DI Dr. Gishild Schaufler                                    HR MMag. Ute Pöllinger

 

Für die Tiroler Umweltanwaltschaft:                        Für die Wiener Umweltanwaltschaft:

e.h.                                                                                         e.h.

Mag. Johannes Kostenzer                                         Iris Tichelmann, MSc, BSc

 

Für die Naturschutzanwaltschaft Vorarlberg:

e.h.

DI Katharina Lins



[1] Ferdinand Kerschner, Neue Baumhaftung in Sicht?, RFG 2020/10

[2] https://www.baumundraumkultur.at/o.php