144/PET XXVII. GP

Eingebracht am 10.05.2024
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Petition

 

Abgeordnete/r zum Nationalrat

Dr. Astrid Rössler

An Herrn

Präsidenten des Nationalrates

Mag. Wolfgang Sobotka

Parlament, 1017 Wien, Österreich

                        Wien , am 07.05.2024                     

Sehr geehrter Herr Präsident!

In der Anlage überreiche ich/ überreichen wir Ihnen gem. §100 (1) GOG-NR die Petition betreffend

Eigenrechtsfähigkeit der Natur – Anregung auf Abänderung der Bundesverfassung und von Bundesgesetzen

Seitens der Einbringer:innen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:

Artikel 10 Abz 1 B-VG Zivilrechtswesen sowie Forstwesen, Wasserrecht und andere Bundesmaterien

Dieses Anliegen wurde bis zur Einbringung im Nationalrat von Bürger:innen - unterstützt. Mit der Bitte um geschäftsordnungsmäßige Behandlung dieser Petition verbleibe ich/verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

Anlage

Hinweis: Ggf. vorgelegte Unterschriftenlisten werden nach dem Ende der parlamentarischen Behandlung datenschutzkonform vernichtet bzw. gelöscht, soweit diese nicht nach den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes zu archivieren sind.


 

 

Linz, 5. Juli 2024

 

An den Herrn

Präsidenten des Nationalrates

Mag. Wolfgang Sobotka

Parlament

1017 Wien

 

Eingereicht durch die Abgeordnete zum Nationalrat Dr. Astrid Rössler

 

 

 

Petition an den Nationalrat


Sicherung und Wiederherstellung der Natur –Notwendigkeit auf Erlassung von Verfassungsbestimmungen und bundesgesetzlichen Regelungen

 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

 

untenstehend wird Ihnen gemäß § 100 Abs. 1 GOG-NR die

 

P E T I T I O N

 

betreffend Eigenrechtsfähigkeit der Natur – Anregung auf Abänderung der Bundesverfassung und von Bundesgesetzen übermittelt.

 

 

https://portal.ooe.gv.at/intranet/Mediendateien/Abt_Pr/Oberoesterreich-Logo.jpgSeitens der Einbringerin wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:

 

 

ZUSTÄNDIGKEIT

Die österreichischen Umweltanwaltschaften regen gesetzliche Änderungen und/oder Ergänzungen an, die jedenfalls Kompetenzen des Bundes betreffen, da Verfassungs-, Staatszielbestimmungen sowie einfach gesetzliche Regelungen auf Bundesebene aufgrund dieses Vorschlags betroffen sein werden. Die Zuständigkeit für u.a. die Ergänzung des Kompetenzkatalogs bzw. Festlegung einer Kompetenz hat aufgrund der Kompetenzhoheit der Bundes(verfassungs)gesetzgeber.[1]

EINLEITUNG UND ZIELRICHTUNG

Die Natur ist Teil und Grundlage unseres Lebens. Es liegt im Interesse von uns allen, als Gesellschaft, als einzelnes Individuum, als Landwirt/in, Naturschützer/in, Jäger/in, Spaziergänger/in, Arbeiter/in, Kind, Grundeigentümer/in, Pensionist/in, Unternehmer/in, usw. – kurz gesagt – als Mensch, dass der Natur ein rechtlicher Stellenwert eingeräumt wird. Es geht um eine Position, die der Natur die Möglichkeit schafft, weiterhin farbenprächtig, vielfältig, erstaunlich und artenreich zu existieren und sich zu entfalten. Natur hat einen unersetzbaren Wert für uns, aber auch einen Wert für sich. In unserer Kulturlandschaft muss dazu in festgelegten Gebieten Naturlandschaft sein dürfen, wo sich Natur gemäß ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann und darf.

Basis unseres Seins, also auch unseres Wirtschaftens und unserer Gesellschaft sind natürliche Systeme. Die Natur ist für unseren Fortbestand nicht nur bedeutsam, sondern von entscheidender Wichtigkeit, sodass als logische Konsequenz der eigenständige Wert der Natur rechtsverbindlich festzulegen ist. Die Natur für sich hat in ihrer Artenvielfalt und ihren Erscheinungsformen ein nahezu unbegrenztes Spektrum, das es – nicht zuletzt auch aufgrund der damit immanenten Lebensgrundlage des Menschen – zu erhalten gilt. Es ist daher auch legistisch zu verankern, dass die Natur nicht nur Lebensraum, sondern vielmehr unumstößliche Lebensgrundlage unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ist. Durch diesen systemischen Umbruch und mit einem grundliegenden Respekt gegenüber allen Lebensformen, kann die Natur in ihrem Sein gestärkt werden, und sich nicht zuletzt vom rein nutzdienlichen „Eigentum“ der Menschen, zu einer rechtetragenden Partnerin entwickeln.

Nehmen wir also unsere Verantwortung wahr und legen den Grundstein für eine neue Art von Generationenvertrag. Statten wir die Natur mit eigener Rechtspersönlichkeit aus, um natürliche Kreisläufe zu erhalten und auch wiederherzustellen, um Ähren-Blauweiderich, Schöne Feder-Nelke, Klein-Hundswurz, Birkenmaus, Baumschläfer, Rohrammer und viele mehr weiterhin miterleben zu können und künftig darüber in Geschichtsbüchern zu lesen, wie der Natur ihr rechtmäßiger Platz gegeben wurde. Denn wo bei uns hier kann oder darf die Natur tatsächlich „ihre Schönheit und Kraft im Werden und Wirken“ (Darwin) entfalten?

Wir brauchen die Natur. Sauberes Wasser, reine Luft, naturnahe Lebensräume oder ausreichend Bestäuber-Insekten sind keine Anliegen von gesellschaftlichen Randgruppen oder einzelnen Öko-Hardlinern. Daher müssen wir die Natur auch rechtlich – entsprechend der Anforderungen unserer Zeit – positionieren. Österreich kann sich dabei an Regelungen in Staaten wie Irland oder Spanien orientieren. Wir dürfen aber den Mut haben, zusammen mit anderen Mitglieder der Europäischen Union wegweisend vorauszugehen und gleichzeitig auch in einer weitsichtigen Regelung den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur und die Reparatur geschädigter Ökosysteme setzen. Durch diesen Rechtsrahmen zur Wiederherstellung und Erhaltung eines breiten Spektrums von Ökosystemen soll ein rechtlicher Beitrag zur dauerhaften, langfristigen und nachhaltigen Erholung der biologischen Vielfalt und Widerstandsfähigkeit der Natur geleistet werden.

WARUM BEDARF ES EINER (VERFASSUNGS)RECHTLICHEN REGELUNG[2]

Die rechtliche Umstrukturierung zum Schutz der Natur und ihrer Interessen trägt dem stetigen Wirtschaftswachstum und der damit einhergehende Umweltzerstörung, Umweltverschmutzung und des Verlustes der Biodiversität Rechnung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen klar, dass die Natur rein aus menschlichem Interesse zu schützen zu wenig für ihren Erhalt bedeutet hat. Somit muss die Natur bzw. müssen Teile von ihr also nicht mehr aufgrund unseres Befindens geschützt werden, sondern wegen ihrer selbst. Eine Rechts- und Parteifähigkeit der Natur ist damit eine logische Konsequenz, auf deren Grundlage auch in anderen Staaten Naturrechte in unterschiedlichen Ausgestaltungsformen eingeführt wurden.

Kommt man in Versuchung und verweist auf das BVG Umweltschutz als bereits vorhandenes Instrument zur Lösung dieses Anliegens, übersieht man, dass es sich um eine Staatszielbestimmung handelt, von der keine subjektiven Rechte für den/die Einzelne/n oder gar die Natur abzuleiten sind. Auch wenn dadurch bestimmte Staatsorgane zu einem Handeln verpflichtet werden und deren Gestaltungsspielraum eingeengt wird, kann dem umfassenden Umweltschutz erst dann entsprochen werden, wenn sich die Natur durch geeignete Vertreter/innen am Verfahren selbst beteiligen und mit allen den Verfahrensparteien zustehenden Mitteln verteidigen kann.

Wird die Natur als juristische Person oder auch als lebendiges Wesen/Ökosystem etabliert, dann ist sichergestellt, dass sie als Partei u.a. auch im Verwaltungsverfahren teilnehmen kann – und dementsprechende Rechte nach den Verwaltungsvorschriften erhält. Auch nach dem bürgerlichen Recht wären dann die Rechts- und Handlungsfähigkeit sichergestellt.

Unterscheidung zwischen Umwelt- und Naturrechtsgesetzen[3]

Die Rechte der Natur gesetzlich anzuerkennen bedeutet, dass die Sichtweise geändert wird: die Natur wäre nicht länger bloßes Eigentum, sondern sie bekäme ein eigenständiges Recht auf Existenz, Gedeihen und Entwickeln. Gesetze, die die Rechte der Natur manifestieren, ändern den Status von Ökosystemen und natürlichen Gemeinschaften in die Anerkennung als rechtstragende Einheiten. Als solche haben sie Rechte, die im Namen der Natur durchgesetzt werden können.

Global gesehen geht es bei einem Großteil der derzeitigen Umweltgesetze um Regulierung – um eine vom Menschen ausgehende materielle Entwicklung zu ermöglichen, wird ein Preis festgelegt, zu dem die Natur geschädigt werden darf. Beispiele gibt es in den unterschiedlichen Rechtssystemen zu Hauf, denkt man u.a. an Gas/Fracking, Bergbau, Massentierhaltung usw. Oft drehen sich diese gesetzlichen Bestimmungen im Kern um die Legalisierung ökosystemzerrstörender Aktivitäten durch Konzerne oder Großunternehmen.

Die Schaffung der rechtlichen Eigenständigkeit der Natur darf aber keinesfalls als Blockade-Bestimmungen für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben verstanden werden. Vielmehr geht es um ein Überdenken unserer Aktivitäten und dem, was wir von unserem Planeten mit endlichen Ressourcen verlangen können. Es ist Zeit, moralische Verantwortung für das Handeln von Menschen und der Wirkung dessen auf die Umwelt, die gesamten Natursysteme und zukünftige Generationen zu übernehmen sowie einen Systemwechsel einzufordern und voranzutreiben.

ENTWICKLUNGEN IN ANDEREN STAATEN

Naturrechtsgesetze gibt es bereits in einigen Staaten in unterschiedlicher Ausgestaltung: Bangladesch, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Indien, Mexiko-Stadt, Neuseeland, USA. Aber auch innerhalb der EU (Irland, Spanien) gibt es dazu erste Schritte.

Irland[4]

In Irland soll ein Rechtsanspruch auf eine saubere, gesunde und sichere Umwelt für Bürgerinnen und Bürger in der Verfassung verankert werden. Dazu soll die Natur mit Eigenrechten ausgestaltet werden, deren Grundlage eine Empfehlung eines dafür gegründeten Bürgerrates bildet.

 

Das irische Volk soll dann in einem Referendum über eine Verfassungsänderung zum Schutz der Biodiversität entscheiden:

 

·         Materielle Umweltmenschenrechte, wie das Recht auf eine saubere, gesunde und sichere Umwelt; ein Recht auf ein stabiles und gesundes Klima, auch für künftige Generationen

 

·         Umweltverfahrensrechte, wie der in der Aarhus-Konvention rechtlich gewährte Zugang zu Umweltinformationen, Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungs-prozessen und Umweltrechtsverfahren

 

·         Materielle Rechte der Natur, die die Natur als Inhaberin von Rechtsansprüchen anerkennen, vergleichbar bereits bestehenden Rechten von Unternehmen oder Personen, zu existieren, nicht verschmutzt und bei Degradierung wiederhergestellt zu werden.

 

·         Verfahrensrechte für die Natur als Partei bei Verwaltungsentscheidungen, Rechtsstreitigkeiten und anderen Verfahren[5]

 

Zuletzt wurde im Dezember 2023 der Bericht der Bürgerversammlung im „Ausschuss für Umwelt und Klimapolitik“ behandelt. Dort haben die Mitglieder des Ausschusses wichtige Empfehlungen formuliert, die u.a. die Regierung zu vorbereitenden Schritten für die Durchführung eines Referendums oder einer Volksabstimmung anhalten. Ziel ist es, die biologische Vielfalt zu schützen, indem die Rechte der Natur und/oder das Recht auf eine gesunde Umwelt noch während der Amtszeit des derzeitigen Dáil Éireann [Anmerkung: Unterhaus des Parlaments in Irland] in die Verfassung aufgenommen werden.[6]

Spanien[7]

Obwohl es für die Lagune Mar Menor in Murcia, Spanien bereits zahlreiche Schutzbestimmungen gab, kam es in den Sommern 2019 und 2021 zu verheerenden Massensterben für die Krebstiere und Fische der Lagune. So sahen die Bürgerinnen und Bürger Murcias es in ihrer Verantwortung die Rechte des Mar Menor einzufordern. Über 640.000 Menschen unterzeichneten ein Volksbegehren, dass die Salzwasserlagune als Rechtssubjekt anerkannte und die spanische Regierung zum Handeln aufforderte – mit Erfolg.

Als erstes Ökosystem innerhalb der EU erhielt das Mar Menor den Rechtstatus einer juristischen Person. Jede Privatperson kann nun im Namen der Lagune Klage einreichen. In der Praxis bedeutet das, dass Personen, die der Lagune Schaden zufügen, gerichtlich belangt und zu einer Geldstrafe verurteilt werden können.  

Ecuador[8]

Als erstes und bisher einziges Land hat Ecuador bereits 2008 die Eigenrechtsfähigkeit der Natur in der nationalen Verfassung verankert und strebt damit „eine neue Form des bürgerlichen Zusammenlebens, in Vielfalt und Harmonie mit der Natur um das gute Leben“ an.

 

Die Ausgestaltung erfolgte nicht über bloße Staatszielbestimmungen, sondern einerseits über die Verpflichtung des Staates, Artensterben, Zerstörung von Ökosystemen und die dauerhafte Veränderung natürlicher Kreisläufe zu verhindern und andererseits wurden konkrete Rechte verankert, die gerichtlich durchsetzbar sind:

 

·         Recht der Natur auf uneingeschränkte Achtung ihrer Existenz

·         Recht auf Regeneration ihrer kompletten Lebenszyklen, Strukturen und evolutionären Prozesse

·         Recht auf Wiederherstellung

 

Zudem wurden einige weitere Bestimmungen zur umfassenden Implementierung und Durchsetzbarkeit der Eigenrechtlichkeit der Natur verankert.

NOTWENDIGKEIT IN ÖSTERREICH[9]

Der Staatszielbestimmung des umfassenden Umweltschutzes kann nur dann entsprochen werden, wenn sich die Natur durch geeignete Vertreter am Verfahren selbst beteiligen und mit allen den Verfahrensparteien zustehenden Mitteln verteidigen kann. Damit von einer geeigneten Verteidigung und Berücksichtigung der Interessen der Natur gesprochen werden kann, darf man die Umwelt nicht mehr als ein bloßes Interesse der Menschen, sondern als ein eigenständiges übergeordnetes Interesse ansehen.

 

Hat die Gesellschaft an der Natur ein übergeordnetes und auch überindividuelles Interesse anerkannt, so ist die Gründung einer juristischen Person „Natur“ rechtlich möglich.

 

Internationalen Vorbildern folgend bedarf es der Zuerkennung von Rechtsfähigkeit an Naturrechtsgüter, um größtmöglich Effektivität des Schutzes von Ökosystemen zu erreichen. Da die partielle Rechtsfähigkeit der Natur einer Handlungsfähigkeit bedarf, gilt es befriedigende Vertreterlösungen zu finden, deren Anforderungen oben bereits eingehend thematisiert wurden.

 

Konkrete Lösungsvorschläge für mögliche legistische Anpassungen finden sich in der Studie „Eigenrechtsfähigkeit der Natur“, die als Beilage vorhanden ist.

 

Aus den angeführten Gründen wird daher um geschäftsordnungsmäßige Behandlung der Petition gebeten.

 

 

 


 

Beilage:

Studie – Eigenrechtsfähigkeit der Natur, Wagner, Bergthaler, Krömer, Grabmair, 2022

 

 

 

Freundliche Grüße

 

 

Für die Bgld. Umweltanwaltschaft:                                Für die Kärntner Umweltanwaltschaft:
e.h.                                                                                           e.h.

DI Dr. Michael Graf                                                     Mag. Rudolf Auernig

 

Für die NÖ Umweltanwaltschaft:                                   Für die ÖO Umweltanwaltschaft:
e.h.                                                                                           e.h.

Mag. Thomas Hansmann                                               DI Dr. Martin Donat

 

Für die Salzburger Umweltanwaltschaft:                        Für die Stmk. Umweltanwaltschaft:
e.h.                                                                                           e.h.

Mag. DI Dr. Gishild Schaufler                                       HR MMag. Ute Pöllinger

 

Für die Tiroler Umweltanwaltschaft:                              Für die Wiener Umweltanwaltschaft:
e.h.                                                                                           e.h.

Mag. Johannes Kostenzer                                              Iris Tichelmann, MSc, BSc

Für die Naturschutzanwaltschaft Vorarlberg:

e.h.

DI Katharina Lins


 

 


 

 

EIGENRECHTS FÄHIGKEIT DER NATUR

 

 

Erstellt von:

Mag.a Michaela Krömer, Rechtsanwaltskanzlei | Krömer

Univ.-Prof.in Dr.in Erika Wagner, Institut für Umweltrecht, JKU Linz Dr. Wilhelm Bergthaler, Institut für Umweltrecht, JKU Linz

Mag. Lukas Grabmair, Institut für Umweltrecht, JKU Linz


Univ.-Prof.in Dr.in Erika Wagner Vorständin des

Instituts für Umweltrecht

 

T +43 732 2468 3571

F +43 732 2468 5751

erika.wagner@jku.at

 

Sekretariat: Renate Madlmayr

DW 3570

renate.madlmayr@jku.at


 

 

 

 

 

 


 


Inhalt


Abkürzungsverzeichnis............................................................................................................. VI

I.  Teil    Internationaler Rechtsvergleich..................................................................................... 1

A.      Einleitung................................................................................................................ 1

B.       Eigenrechte der Natur auf verfassungsrechtlicher Ebene Ecuador...................... 2

I.         Entstehungsgeschichte..................................................................................... 3

II.      Verfassungsrechtliche Ausgestaltung.............................................................. 4

III.    Rechtliche Implikationen................................................................................. 6

IV.   Praxis und Rechtsprechung.............................................................................. 8

C.      Eigenrechte der Natur auf einfachgesetzlicher Ebene Bolivien, Uganda.......... 15

I.         Bolivien.......................................................................................................... 15

1.       Entstehungsgeschichte............................................................................. 15

2.       Gesetzliche Ausgestaltung....................................................................... 16

3.       Rechtliche Implikation............................................................................. 18

4.       Praxis und Rechtsprechung..................................................................... 19

II.      Uganda........................................................................................................... 20

D.      Eigenrechte der Natur auf föderalistischer Ebene Mexiko................................ 21

E.       Eigenrechte der Natur auf Gemeindeebene Vereinigte Staaten von Amerika, Brasilien................................................................................................ 21

I.         Vereinigte Staaten von Amerika.................................................................... 21

1.       Entstehungsgeschichte............................................................................. 22

2.       Rechtliche Implikation............................................................................. 25

3.       Gesetzliche Ausgestaltung....................................................................... 26

4.       Praxis und Rechtsprechung..................................................................... 28

II.      Brasilien.......................................................................................................... 30

F.        Einzelne    Eigenrechte    der   Natur Neuseeland, Australien, Indien, Bangladesch, Kolumbien, Belize.......................................................................... 31

I.         Einzelrechte der Natur durch Gesetz Neuseeland....................................... 31

1.       Entstehungsgeschichte............................................................................. 32

2.       Gesetzliche Ausgestaltung....................................................................... 33

3.       Rechtliche Implikationen......................................................................... 35

II.      Einzelrechte der Natur durch Gesetz Australien......................................... 37

III.    Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen - Indien.................... 39

IV.   Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Bangladesch.......... 42

V.      Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Kolumbien............ 43

VI.   Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Belize.................... 47

G.      Internationale Tendenzen...................................................................................... 47

H.      Eigenrechte der Natur und Klimaklagen............................................................... 48

I.         Zusammenfassung................................................................................................. 49

J.         Literaturverzeichnis............................................................................................... 51

II.  Teil Eigenrechtsfähigkeit der Natur.................................................................................... 55

A.      Einleitung.............................................................................................................. 55

I.         Projektauftrag................................................................................................. 55

II.      Generelle Vorbemerkungen............................................................................ 55

1.       Grundlegendes zu Umwelt und Interessenverfolgung im Recht............. 55

2.       Wahrnehmung von Umweltinteressen in der österreichischen Rechtsordnung......................................................................................... 57

3.       Umweltsituation in Österreich und in der EU......................................... 61

4.       Die Bewegung rund um Tierrechte.......................................................... 66

5.       Gang der Untersuchung........................................................................... 66

B.      Grundbegriffe: Rechtssubjekte und Rechtsobjekte............................................... 66

I.         Das Rechtssubjekt.......................................................................................... 66

1.       Grundsatz................................................................................................ 66

II.      Rechtsobjekte................................................................................................. 73

1.       Definition................................................................................................. 74

2.       Historisches Verständnis des Sachbegriffs (ABGB 1811)...................... 74

3.       Ältere Lehre: Ehrenzweig und Klang...................................................... 75

4.       Jüngere Lehre.......................................................................................... 76

5.       Rechtsprechung....................................................................................... 78

6.       Exkurs: Öffentliche Sache, öffentliches Gut und Gemeingebrauch

im öffentlichen Recht.............................................................................. 78

7.       Reflexion der Verfasser*innen................................................................ 78

8.       Deutsche Lehre........................................................................................ 79

9.       Zu den einzelnen Naturgütern / Zugehörigkeit zum Eigentumsrecht?...... 80

10.   Zwischenbewertung: „Should Trees have standing?“............................. 85

III.    Prozessfähigkeit und Parteifähigkeit.............................................................. 87

IV.   Exkurs: Ökologie der Subjekte....................................................................... 89

C.      Die Natur als Rechtsobjekt im geltenden Recht................................................... 92

D.      Defizite der fehlenden Rechtssubjektivität........................................................... 95

I.         Beispiel Wasserrecht...................................................................................... 95

1.       Die ungenügende Möglichkeit der Wahrnehmung von

Naturinteressen durch die Umweltanwaltschaft...................................... 95

2.       Die Interessensabwägung durch die Behörde.......................................... 95

3.       Das Wasserwirtschaftliche Planungsorgan.............................................. 96

4.       Das öffentliche Wassergut....................................................................... 97

5.       Umweltorganisationen als bloße Beteiligte............................................. 98

6.       Fazit: Keine ausreichende Berücksichtigung der Interessen der Natur.... 98

II.      Ökologisierung von Menschenrechten........................................................... 99

E.       Verankerung der Natur als Rechtssubjekt in der österreichischen Rechts- ordnung de lege ferenda..................................................................................... 100

I.         „Sprachrohre“ der Natur in der Rechtsordnung / Kompetenzen/ Kompetenzgrenzen als Schutzlücken........................................................... 100

1.       Direkte Demokratie und Umweltschutzinteresse.................................. 100

2.       Drei Modelle der Vertretung von Umweltinteressen............................. 102

II.      Die Entwicklung der Eigenrechtsfähigkeit im internationalen Kontext – Entstehungshintergründe, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur österreichischen Rechtsordnung.................................................................. 103

1.       Die Klärschlammverordnung des Bezirks Tamaqua, Philadelphia....... 104

2.       Rechte der Natur in Ecuador und Bolivien............................................ 107

3.       Der Fluss als juristische Person in Neuseeland und Indien................... 108

III.    Beispiele: Rechtsfähige Gebilde im Interesse der Gesellschaft de lege lata... 110

1.       Vermögensmassen als juristische Personen........................................... 110

2.       Ruhender Nachlass................................................................................ 111

3.       Insolvenzmasse...................................................................................... 111

IV.   Die Tierrechtsdiskussion als Parallelbewertung........................................... 112

1.       Rechtsfähigkeit / partielle Rechtsfähigkeit /

Verfassungsbeschwerde........................................................................ 113

2.       Wahrnehmung der Tierrechte................................................................ 117

3.       Conclusio: Unterscheidung zwischen Nutztieren und Wildtieren

bzgl der Rechtsstellung de lege ferenda nicht haltbar........................... 121

V.      Die rechtsfähige Natur de lege ferenda: Denkmodelle................................ 122

1.       Die Natur als juristische Person– Grundlagen und legistische Konsequenzen........................................................................................ 122

2.       Natur als Ganzes oder sektorale Ausschnitte der Natur........................ 124

VI.   Die rechtsfähige Natur de lege ferenda: Rechtsfragen................................. 127

1.       Grundlagen............................................................................................ 127

2.       Formulierungsvorschlag kleine Lösung............................................. 129

3.       Formulierungsvorschläge – große Lösung............................................ 130

F.        Literaturverzeichnis............................................................................................. 136


Abkürzungsverzeichnis

µg/m3 ................ = Mikrogramm pro Kubikmeter

aaO.................... =  am angegebenen Ort

AarhK ............... = Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu  Gerichten  in  Umweltangelegenheiten  samt  Erklärung BGBl III 2005/88

ABGB ............... = Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch JGS 946 ABl ................... = Amtsblatt der Europäischen Union

Abs.................... =  Absatz

ACS .................. = American Cancer Society

AEUV ............... = Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl C 2008/115, 47 AG .................... = Aktiengesellschaft

Anh ................... =  Anhang

arg ..................... = argumento (folgt aus)

Art..................... =  Artikel

AußStrG ............ = Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111

AVG.................. = Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 BGBl 1991/151 BAO.................. = Bundesabgabenordnung BGBl 1961/194

Bd ..................... =  Band

Beschl ............... = Beschluss

BG..................... =  Bundesgesetz

BGB .................. = (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl................. =  Bundesgesetzblatt

Bgld .................. = Burgenland, burgenländisch

BITWA ............. = Bangladesh Inland Water Transport Authority

BMLFUW ......... = Bundesminister(ium)    für   Land-   und   Forstwirtschaft,   Umwelt   und Wasserwirtschaft

BMNT............... = Bundesminister(ium) für Nachhaltigkeit und Tourismus Bsp .................... = Beispiel

bspw.................. =  beispielsweise

BStFG ............... = Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz 2015 BGBl I 2015/160 BVerfG ............. = (deutsches) Bundesverfassungsgericht

BVG.................. =  Bundesverfassungsgesetz

B-VG ................ = Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1

BVwG ............... = Bundesverwaltungsgericht

bzgl ................... =  bezüglich

bzw ................... =  beziehungsweise

ca ...................... =  zirka

CCCA ............... = Climate Change Centre Austria CELDF.............. = Community Environmental Legal Defense Fund CO2 ................... = Kohlendioxid                                     =

COM ................. = Dokumente der Europäischen Kommission (englisch) dh ...................... = das heißt

e.V. ................... = eingetragener Verein

ecolex ................ = Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht EG..................... = Europäische Gemeinschaft(en)

EMRK............... =  Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210


EP ..................... = Europäisches Parlament

EPA................... = Environmental Protection Agency

ErbRÄG ............ = Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 BGBl I 2015/87 Erk .................... = Erkenntnis

et al ................... = et alii, et aliae (und andere

etc ..................... =  et cetera

EU..................... =  Europäische Union

EuGH ................ = Europäischer Gerichtshof

EUR .................. =  Euro

EurUP ............... = Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht EUV .................. = Vertrag über die Europäische Union, ABl C 1992/191, 1 evtl .................... = eventuell

f......................... = und der/die folgende

FAO .................. = Food and Agriculture Organization of the United Nations (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen)

FARC................ = Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutionäre Streit- kräfte Kolumbiens)

FerkBetSachkV . = (deutsche) Ferkelbetäubungssachkundeverordnung BGBl I Nr 3 vom 16.1.2020

ff ....................... = und der/die folgenden

fin...................... =  final

FN ..................... =  Fußnote

ForstG ............... = Forstgesetz 1975 BGBl 1975/440 g ........................ = Gramm

G ....................... =  Gesetz

GARN ............... = Global Alliance of Rights of Nature GewO................ = Gewerbeordnung 1994 BGBl 1994/194

GlUNF .............. = Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes, Neue Folge

GmbH ............... = Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GNL .................. = Vbg Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung LGBl 1997/22 GRC .................. = Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000, ABl C

2000/354, 1 ha ...................... = Hektar

hA ..................... = herrschende Auffassung

hL...................... =  herrschende Lehre

hM..................... = herrschende Meinung

HRPB................ = Human Rights and Peace for Bangladesh (Menschenrechtsorganisation) Hrsg .................. = Herausgeber*in

HS ..................... =  Halbsatz

ibid .................... = ibidem (am angegebenen Ort)

idF..................... =  in der Fassung

idR .................... = in der Regel

idS..................... =  in diesem Sinne

idZ..................... =  in diesem Zusammenhang

IE-RL ................ = Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 über Industrieemissionen, ABl L 2010/334, 17–119 vom 17.12.2010

iHv .................... = in Höhe von

inkl .................... =  inklusive


insb ................... =  insbesondere

IO...................... = Bundesgesetz über das Insolvenzverfahren (Insolvenzordnung), RGBl 1914/337

iSd..................... =  im Sinne des

iSe ..................... =  im Sinne eines/einer

iSv..................... =  im Sinne von

IUCN ................ = International Union for Conservation of Nature and Natural Resources iVm ................... = in Verbindung mit

iZm ................... = in Zusammenhang mit

JBl..................... =  Juristische Blätter

Jg ...................... =  Jahrgang

Jh ...................... =  Jahrhundert

JuS .................... = (deutsche) Juristische Schulung

Kap ................... =  Kapitel

KG .................... =  Kommanditgesellschaft

KI ...................... = künstliche Intelligenz

krit..................... =  kritisch

KSchG............... = Bundesgesetz vom 8.3.1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz) BGBl 1979/140

LB ..................... =  Lehrbuch

LEBOR ............. = Lake Erie Bill of Rights

leg cit ................ = legis citae (der zitierten Vorschrift)

LGBl ................. = Landesgesetzblatt lit....................... =  litera (Buchstabe)

L-UAG .............. = Gesetz vom 18.4.2002 über die Burgenländische Landesumweltanwalt- schaft LGBl 2002/78

LUA-G .............. = Gesetz vom 23.4.1998 über die Salzburger Landesumweltanwaltschaft LGBl 1998/67

MinroG ............. = Mineralrohstoffgesetz BGBl I 1999/38 Mio ................... = Million

Mrd ................... =  Milliarde

MS .................... =  Motorschiff

mwN ................. = mit weiteren Nachweisen

NACLA............. = North American Congress on Latin America

NAPV ............... = Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung BGBl II 2017/385 NGO.................. = Non Governmental Organisation

NGP .................. = Nationaler Gewässerbewirtschaftungsplan für Österreich NÖ .................... = Niederösterreich, niederösterreichisch

Nov ................... =  Novelle

Nr...................... =  Nummer

NRPC................ = National River Protection Commission NSchG............... = Naturschutzgesetz (allgemein)

NZ..................... =  Österreichische Notariats-Zeitung

NZZ .................. = Neue Züricher Zeitung

...................... =  oder ähnlich

OGH.................. = Oberster Gerichtshof

ÖJK................... =  Österreichische Juristenkommission

ÖJZ ................... = Österreichische Juristenzeitung

.................... = Oberösterreich, oberösterreichisch


PAIS.................. = Patria Altiva i Soberana (Aufrechtes und Souveränes Vaterland)

PETA ................ = People for the Ethical Treatment of Animals (Menschen für die ethische Behandlung von Tieren)

PGE................... = Pennsylvania Energy Company

PIL .................... = Public Interest Litigation (Antrag auf Erlass einer geschriebenen Anordnung)

PIVAC .............. = Intergenerational pact for the life of the Colombian Amazon PM .................... = Particular Matter

PM10 .................. = Particular Matter 10

PM2,5 ................. = Particular Matter 2,5

RdU................... = Recht der Umwelt

RdW.................. =  Recht der Medizin

REV .................. =  Revista

REVIHAAP ...... = Review of Evidence on Health Aspects of Air Pollution RGBl................. = Reichsgesetzblatt

RL ..................... =  Richtlinie

Rs ...................... =  Rechtssache

Rspr................... =  Rechtsprechung

RWRG .............. = Reichswasserrechtsgesetz RGBl 1869/93 Rz...................... = Randziffer

S........................ =  Seite

sog..................... =  sogenannt

Sp...................... =  Spalte

SPG................... =  Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566

StGB ................. = Strafgesetzbuch BGBl 1974/60

SUP................... =  Strategische Umweltprüfung

SVP................... =  Schweizer Volkspartei

SZ ..................... = Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- (und Justizverwaltungs-)sachen, veröffentlicht von seinen Mitgliedern

TATA................ = Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Act TIPNIS.............. = Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure TiRuP................ = Tier- und Artenschutz in Recht und Praxis

TNSchG ............ = Tiroler Naturschutzgesetz 2005 LGBl 2005/26

TSchG ............... = (Schweizer) Tierschutzgesetz vom 1.9.2008, AS 2008 2965

TVG .................. = Bundesgesetz über Versuche an lebenden Tieren (Tierversuchsgesetz 2012) BGBl I 2012/114

U ....................... =  Urteil

U.S. ................... = United States

ua ...................... = a) und andere

b) unter anderem udgl ................... = und dergleichen

uE...................... =  unseres Erachtens

UGB.................. = Unternehmensgesetzbuch dRBGl 1897, 219

UmwRG ............ = (deutsches) Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz idF der Bekanntmachung vom 23.8.2017 (BGBl I S 3290)

UN .................... = United Nations (Vereinigte Nationen)

UNESCO .......... = United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (Orga- nisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation)

UNTS................ = United Nations Treaty Series


UOG.................. = Universitäts-Organisationsgesetz BGBl 1993/805 USA .................. = United States of America

USchG............... = Umweltschutzgesetz 1996 LGBl 1996/84 usw.................... = und so weiter

uU ..................... =  unter Umständen

UVP .................. =  Umweltverträglichkeitsprüfung

UVP-G .............. = Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 BGBl 1993/697 v ........................ = vom

va ...................... = vor allem

Vbg ................... =  Vorarlberg

VfGH ................ = Verfassungsgerichtshof

VfSlg................. = Sammlung      der     Erkenntnisse     und     wichtigsten     Beschlüsse     des Verfassungsgerichtshofes

VG .................... = (deutsches) Verwaltungsgericht

vgl ..................... =  vergleiche          =

Vic .................... = Victoria (Bundesstaat von Australien

Vill .................... = villanova Law (Environmental Law Journal)

vs ...................... =  versus

VwGH............... =  Verwaltungsgerichtshof

VwSlg ............... = Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes W.D................... = Western District

WHO................. = World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation) WPO ................. = wasserwirtschaftliches Planungsorgan

WRG ................. = Wasserrechtsgesetz 1959 BGBl 1959/215

Writ ................... = geschriebene Anordnung der Gerichte im Common Law

WRRL............... = Wasserrahmenrichtlinie (RL 2000/60/EG), ABl L 2000/327, 1 vom 22.12.2000

WVK................. =  Wiener Vertragsrechtskonvention

WWF ................ = World Wide Fund For Nature

YRPA................ = Yarra River Protection Act

zB...................... =  zum Beispiel

zit ...................... =  zitiert

Zl ...................... =  Zahl

ZPO................... = Zivilprozessordnung RGBl 1895/113

zT...................... =  zum Teil


I.   Teil    Internationaler Rechtsvergleich

 

A.         Einleitung

Seit Jahrtausenden anerkennen indigene Völker weltweit die Natur als ein dem Menschen gleichwertiges Lebewesen. Ungeachtet ihrer spirituellen und philosophischen Differenzen teilen alle diese naturverbundenen Kulturen ein ökozentrisches Weltbild. Demnach ist ein gutes Leben für Menschen ausschließlich in Einklang mit und in Respekt vor der Natur möglich. Beginnend mit dem berühmten Aufsatz des Rechtsprofessors Christopher Stone Should trees have standing 1972 wurde erstmalig in westlichen Rechtsystemen eine Diskussion über die Verankerung eines ökozentrischen Weltbildes, somit über die rechtliche Rolle der Natur begonnen. Bezugnehmend auf das Konstrukt von nichtmenschlichen Rechtspersonen wie Gesellschaften plädierte Stone für die Ausdehnung dieses Konzeptes auf andere Lebewesen wie Bäume.1 Bereits in den 1980iger Jahren entwickelte sich ein internationales Netzwerk für Eigenrechte der Natur („Earth Jurisprudence“) 2 und 2001 wurde die erste internationale Earth Jurisprudence Konferenz im Bundesstaat Virginia veranstaltet. Fünf Jahre später wurde die Natur als Rechtssubjekt in der Gemeindeverordnung von Tamaqua Borough im Bundesstaat Pennsylvania anerkannt.3 Es handelte sich hierbei um die erste offizielle Anerkennung von Eigenrechten der Natur in westlich-orientierten Rechtsystemen. Diese diente wiederum als Inspiration für die Verfassung Ecuadors aus 2008, die als erste und einzige Verfassung weltweit die Natur als Rechtssubjekt anerkennt.4

Bereits anhand dieser Entwicklung lässt sich erahnen, dass die Umsetzung von Eigen- rechten der Natur in westlich geprägten Rechtssystemen keinem vorgegebenen Schema folgt, sondern vielmehr eine organisch wachsende Entwicklung darstellt, die sich gegenseitig be- fruchtet. Die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt bedeutet letztlich ein Neudenken eines westlich geprägten Verständnisses von Eigentums- und Umweltrechten. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel, der über die Bedeutung eines Rechts auf eine gesunde Umwelt und auf eine nachhaltige Entwicklung, sog Menschenrechte der dritten Generation, hinausgeht. Dieser Wechsel von einem anthropozentrischen Weltbild hinzu einer ökozentrischeren Sicht- weise erfolgt zunehmend in Anlehnung an internationale Vorbilder und dennoch jeweils in einem länderspezifischen Kontext.

Um einen möglichst akkuraten Einblick zu erhalten, wie unterschiedliche Rechtsysteme sich der Herausforderung der rechtlichen Umsetzung eines ökozentrischen Verständnisses der Natur gestellt haben, wird jedes Land eigenständig analysiert. Relevant sind hierfür die kon-


1 Stone, Should Trees Have Standing? Revisited: How Far Will Law And Morals Reach? A Plu- ralist Perspective, Southern California Law Review (1972) 450.

2 Kauffman/Martin, Can Rights of Nature Make Development More Sustainable? Why Some Ecuadorian lawsuits Succeed and Others Fail, World Development (2016) 130 (132).

3    Community Legal Defense Fund, https://celdf.org/2015/08/tamaqua-borough/ (Abfrage: 25.3.2020).

4 Kauffman/Martin, Can Rights of Nature Make Development More Sustainable? Why Some Ecuadorian lawsuits Succeed and Others Fail, World Development (2016) 130 (132).


kreten Hintergründe, die rechtliche Umsetzung und Implikation sowie letztlich die praktische Anwendung dieser neuen Rechte. Es bestehen nationale Unterschiede betreffend verfügbare Daten und Erfahrungswerte hinsichtlich dieser relativ jungen Rechtsbewegung, weshalb nicht jedes Land im selben Umfang analysiert werden kann.

Die Reihenfolge der Länderanalyse folgt letztlich dem klassischen Stufenbau einer westlich geprägten Rechtsordnung: Den Beginn setzt die Umsetzung auf höchstmöglicher Ebene, nämlich im Verfassungsrang, gefolgt von einer einfach gesetzlichen Umsetzung, über die Umsetzung durch einzelne Bundesstaaten eines föderalen Staates bis letztlich einer Um- setzung von Eigenrechtlichkeit der Natur auf lokaler Ebene. In einem ersten Schritt werden all jene Länder analysiert, die Eigenrechte der Natur weit gefasst umgesetzt haben, sprich: die Natur in ihrer Gesamtheit als Rechtsubjekt anerkannt haben. Anschließend wird in einem zweiten Schritt die Gruppe all jener Staaten untersucht, die konkrete Aspekte der Natur, bspw Flüsse, als Rechtsubjekte anerkannt haben. Auch hier werden wiederum in Anlehnung an ei- nen klassischen Stufenbau zuerst jene Staaten analysiert, die eine Eigenrechtlichkeit der Natur im Wege des Gesetzes anerkannt haben, gefolgt von jenen, deren Anerkennung auf richter- lichen Einzelentscheidungen basiert. Abschließend an die Analyse der tatsächlichen Umset- zung von Rechten der Natur, werden kurz internationale Tendenzen skizziert.

 

B.         Eigenrechte der Natur auf verfassungsrechtlicher Ebene Ecuador

Als erstes und bisher einziges Land weltweit verankerte Ecuador 2008 die Eigenrechtlich- keit der Natur, bezeichnet als Mutter Erde („Pachamama5) in seiner nationalen Verfassung. Basierend auf dem andinen Konzept „sumak kawsay6 (ins Spanische als „Buen Vivir“ über- setzt, was auf Deutsch so viel wie „gut leben“ bedeutet), strebt die Verfassung,

eine neue Form des bürgerlichen Zusammenlebens, in Vielfalt und Harmonie mit der Natur um das gute Leben, sumak kawsay7

zu erreichen. Tief verwurzelt in andinem Denken stellt Buen Vivir einen Paradigmenwechsel zu einer neoliberalen, dualen Weltanschauung dar: Menschliches Wohl ist nur im Gleichklang mit der Natur möglich. Dem Wohlergehen der Menschen und der Natur ist Vorrang vor wirt- schaftlicher Entwicklung einzuräumen.8 Dieser Paradigmenwechsel sollte als Leitbild für die Zukunft Ecuadors gelten.9

 


5 Pachamama ist eine Gottheit der indigenen Kultur, in der ecuadorianischen Verfassung wird der Begriff mit der Natur selbst gleichgesetzt.

6 Chuji Sumak kawsay versus desarrollo, in Hidalgo-Capitán, Guillén García, Deleg Guazha, Antología del pensamiento indigenista Ecuatoriano sobre sumak kawsay (2014) 229; Radcliffe, De- velopment of a postneoliberal era? Sumak kawsay, living well and the limits of decolonization in Ecuador, Geoforum (2012) 240 (242).

7 Präambel der ecuadorianischen Verfassung.

8 Kotzé/Calzadilla, Somewhere between Rhetoric and Reality: Environmental Constitutionalism and the Rights of Nature in Ecuador, Transnational Environmental Law (2017), 401 (417).

9 Cortez/Wagner, Zur Genealogie des indigenen „guten Lebens“ („sumak kawsay“) in Ecuador; in Gabriel/Berger (Hrsg), Lateinamerikas Demokratien im Umbruch (2010).


I.             Entstehungsgeschichte

Nach einer langen Phase des ökonomischen Stillstandes verzeichnete Ecuador Ende der Neunzigerjahre die höchste Inflationsrate ganz Lateinamerikas. Das Land wies auch die höchste Arbeitslosenrate des Kontinents auf und zählte zu den meist verschuldeten Ländern der Erde. Die Zeit war von politischen Unruhen, Instabilität, Korruption und ständigem Regierungswechsel geprägt: Alleine zwischen 1996 und 2000, also innerhalb von fünf Jahren, hatte Ecuador fünf verschiedene Präsidenten.10 Nach diesen Dekaden extremer politischer und wirtschaftlicher Instabilität wurde 2006 Rafael Correa zum Präsidenten von Ecuador gewählt. Seinen Sieg verdankte Correa ua dem Programm einer „bürgerlichen Revolution“, das eine neue Verfassung, ein neues Parlament, eine staatlich regulierte Wirtschaft und eine gerechtere Verteilung des Volkseinkommens vorsah. 11 Zu diesem Zweck gründete Correa die neue politische Bewegung „Alianza PAIS“.12 Dieses politische Projekt richtete sich gegen die tradi- tionelle Parteienherrschaft sowie gegen ein neoliberales, westlich geprägtes Wirtschafts- system.13 Ziel war ein an Sumak Kawsay („Buen Vivir“, zu Deutsch „das gute Leben“) ange- lehnter Sozialismus.14 Das Kernstück dieser neuen, nun an die Macht gelangten, Bewegung war eine neue Verfassung. Die zu diesem Zeitpunkt bestehende Verfassung wurde in der Bevölkerung mehrheitlich als ein Bündel von zahnlosen Zugeständnissen anstelle von tatsäch- lichen Rechten wahrgenommen.15 Aus diesem Grund kam es bereits seit 2000 zu wiederhol- ten Massenprotesten geprägt von dem Wunsch einer de-facto Neugründung des Staates.16 Der Druck auf Correa’s versprochene Neugestaltung des Staates war somit entsprechend groß.17

Das neue Verfassungsprojekt wurde partizipatorisch ausgerichtet mit dem Ziel, die Stimme aller Bevölkerungsgruppen und -schichten in der Verfassung zu repräsentieren.18 Die verfassungsgebende Versammlung („Asamblea Nacional Constituyente) unter dem Vorsitz von Alberto Acosta bestand aus zahlreichen Mitgliedern der Akademie, Wissenschaft und unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die in verschiedensten Kommissionen berie- ten.19 Nebst umfassenden Informationsveranstaltungen für die breite Öffentlichkeit wurden auch über 3.000 konkrete Vorschläge seitens der Zivilgesellschaft eingereicht,20 so auch von Befürwortern einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Eigenrechtlichkeit der Natur, die maßgeblich von der amerikanischen NGO Community Environmental Legal Defense Fund


10 Ibid.

11 Hilmar, Frisch gestrichen, ZeitOnline, https://www.zeit.de/zuender/2006/48/wahlen-ecuador- correa (Abfrage: 25.3.2020).

12 PAIS steht für Patria Altiva i Soberana, zu Deutsch: Aufrechtes und Souveränes Vaterland; vgl auch Akchurin, Constructing the Rights of Nature: Constitutional Reform, Mobilization, and Environ- mental Protection in Ecuador, Law § Social Inquiry (2015) 937 (942).

13 Becker, The stormy relations between Rafael Correa and social movements in Ecuador, Latin American Perspectives (2013) 43.

14 Radcliffe, Geoforum (2012) 240.

15 Ibid 242.

16 Ibid 242 mwN.

17 Ibid.

18 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (132).

19 Kotzé/Calzadilla, Transnational Environmental Law (2017) 401 (416).

20 Ibid.


(CELDF) unterstützt wurden. CELDF konnte bereits eine erfolgreiche Umsetzung der Eigenrechtlichkeit der Natur in der Gemeindeverordnung von Tamaqua, Pennsylvania ver- zeichnen. 21 Das Projekt wurde weiteres auch von prominenten Unterstützern wie Alberto Acosta, vormaliger Energieminister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung, mitgetragen.22 Acosta stellte letztlich sicher, dass das Konzept betreffend die Eigenrechtlich- keit der Natur letztlich in den finalen Entwurf gelangte, der 2008 von 63 % der ecuadoriani- schen Bevölkerung mittels Volksabstimmung angenommen wurde.23

Ergänzend ist festzuhalten, dass Umweltschutz auch in früheren Verfassungen Ecuadors eine große Rolle spielte und somit bereits ein Weg in Richtung Anerkennung der Natur als Rechtsubjekt gelegt wurde. Als eines der ersten Länder weltweit anerkannte Ecuador bereits das Recht auf eine saubere und ökologisch gesunde Umwelt an.24

Die nunmehrige Verfassung ist dem neuen Konstitutionalismus („nuevo constituciana- lismo) zuzuordnen, einer Verfassungsentwicklung Lateinamerikas deren Fokus auf der Garantie sozialer, kollektiver und indigener Rechte, und weitgehende Partizipationsmöglich- keiten liegt, die eine neuen Rolle der indigenen Bevölkerung und deren Weltanschauungen im Staat sicherstellen sollen.25 Somit gewinnt letztlich auch die Natur an Bedeutung und wird vom „Schutzobjekt zum Rechtssubjekt“.26

II.         Verfassungsrechtliche Ausgestaltung

Bereits in der Präambel der Verfassung wird verankert, dass die andine Weltanschauung sumak kawsay (Buen Vivir) nunmehr die verfassungsrechtliche Grundlage für staatliches Handeln und dessen Begrenzung ist. Das Individuum wird sohin nur mehr als ein Teil der Natur betrachtet. 27 Art 10 des allgemeinen Teiles der Verfassung hält fest, dass die Natur selbst Rechtsträgerin bezüglich der ihr in der Verfassung verliehenen Rechte ist. Die verliehenen Rechte gehen somit über den Gehalt des Rechtes auf eine intakte Umwelt, ein klassisches Menschenrecht der dritten Generation, hinaus.28

In dem eigenständigen Kapitel 7, das den Titel „Rechte der Natur“ („Derechos de la naturaleza) trägt, werden diese Rechte konkretisiert. Es handelt sich hierbei um konkrete Rechte und keine Staatszielbestimmungen. Art 71 dieses Kapitels definiert die Natur, auch als Pacha Mama („Mutter Erde), generisch als Ort, an dem Leben auftritt und sich reproduziert. Konkret setzen sich die Eigenrechte der Natur aus drei Rechten zusammen:

(i)       das Recht der Natur auf uneingeschränkte Achtung ihrer Existenz gem Art 71,

 


21 Community Environmental Legal Defense Fund (CELDF), http://celdf.org/2015/08/tamaqua- borough, (Abfrage: 12.3.2020).

22 Ibid.

23 Kotzé/Calzadilla, Transnational Environmental Law (2017) 401 (416).

24 Echeverría, Rights of Nature: The Ecuadorian Case, Revista Esmat (2013) 77.

25 Kuppe, Die neue Verfassung Boliviens Ausdruck des neuen lateinamerikanischen Konstitutionalismus, juridikum 2009, 194 (195); Gutmann/Franco, Kritische Justiz 2019, 58.

26 Bertel, Rechte der Natur in südamerikanischen Verfassungen, juridikum 2016, 451 (458).

27 Ibid.

28 Gutmann/Franco, Kritische Justiz 2019, 58.


(ii)     das Recht auf Regeneration ihrer kompletten Lebenszyklen, Strukturen und evolutionären Prozesse gem Art 71, sowie

(iii)   das Recht auf Wiederherstellung gem Art 72. Letzteres ist somit mehr als bloßer Schadenersatz im Falle einer Rechtsverletzung.29

Jede Person, Gemeinschaft, Volk oder Nationalität kann gem Art 71 die Erfüllung der Rechte der Natur verlangen. Bemerkenswert ist, dass diesbezüglich keine Einschränkung auf StaatsbürgerInnen vorgesehen ist.30

Die Rechte der Natur beinhalten gem Art 73 auch die Pflicht des Staates vorsorgende Maßnahmen zu treffen um Artensterben, die Zerstörung von Ökosystemen und die dauerhafte Veränderung natürlicher Kreisläufe zu verhindern. Art 74 gestattet Personen, Personengrup- pen sowie Staaten das Recht die Natur so zu nutzen, wie es ein gutes Leben erlaubt. Festge- halten wird, dass es gem Art 74 Aufgabe des Staates ist, diese Nutzungen zu verwalten.

Art 83 Abs 6 verpflichtet darüber hinaus alle StaatsbürgerInnen die Rechte der Natur zu respektieren, für eine gesunde Umwelt zu sorgen und natürliche Ressourcen nachhaltig zu ver- wenden. Art 83 Abs 6 erweitert diese Verpflichtung auf das natürliche (und kulturelle) Erbe Ecuadors. Letztlich verankert die Verfassung in Art 395 Abs 4 das Prinzip „in dubio pro na- tura“,31 womit im Zweifel die für die Umwelt günstigere Gesetzesinterpretation zu wählen ist.

Die Rechte der Natur werden durch die Bestimmungen der Art 396 und 397 verstärkt. Diese sehen Handlungspflichten des Staates zur Vorbeugung von Umweltschäden sowie Schadenminimierungspflichten im Falle von bereits eingetretenen Schäden vor. Art 396 und 397 nehmend somit nicht direkt Bezug auf die Eigenrechte der Natur, sondern beziehen sich auf das in Art 66 Abs 27 verankerte Recht auf ein Leben in einer intakten Umwelt. Korres- pondierend zu Art 71 (Eigenrechte der Natur) besteht auch im Fall von Umweltschäden eine Wiederherstellungspflicht. Eine Verjährungsfrist ist ausgeschlossen. Gem Art 397 haben alle natürlichen Personen und Rechtspersonen, das Recht Umweltschäden vor Gericht geltend zu machen, die Beweislast trägt der Schädiger.32 Gepaart mit Art 71 wird in der Lehre von der Verankerung einer „universellen Jurisdiktion“ gesprochen.33

Gem Art 399 soll die staatliche Schutzherrschaft und die Verantwortlichkeit aller Bür- ger*Innen über die Natur im Rahmen eines nicht weiter definierten, dezentralen Umwelt- managementsystems34 erfolgen. Dementsprechend untersagt es Art 403 dem Staat, Verbind- lichkeiten und Vereinbarungen einzugehen, welche die Rechte der Natur unterwandern.

Zusätzlich zu den Eigenrechten der Natur anerkennt die Verfassung Ecuador als pluri- nationalen Staat. Demnach sieht die Verfassung umfassende Rechte der indigenen Bevölke- rung auf ihre naturverbundene Lebensweise vor, inklusive des Rechts auf Eigenverwaltung ihrer Gebiete gem Art 57 Abs 4 und Art 5 Abs 5. So Rohstoffe vorhanden sind, müssen indi-


29 Ibid 63.

30 Ibid 450.

31 Fellmeth/Horwitz, Guide to Latin in International Law, Oxford University Press (2011).

32 Vgl Art 397 der ecuadorianischen Verfassung.

33 Pietari, Ecuador’s Constitutional Rights of Nature: Implementation, Impacts and Lesson Learned, Williamette Environmental Law Journal (2016) 37 (44).

34 Der spanische Originalwortlaut: un sistema nacional descentralizado de gestión ambiental“.


gene Völker gem Art 57 Abs 7 in Projekten betreffend deren Nutzung vorab konsultiert zu werden. Sie haben somit auch das Recht, an den Gewinnen zu partizipieren.

III.      Rechtliche Implikationen

Die Verfassung Ecuadors sieht – wie andere Verfassungen Südamerikas35 – einen weit gefassten locus standi hinsichtlich der gewährleisteten Rechte vor. Somit können gem Art 11 Abs 3 alle Rechte der Verfassung von jeder Person vor jedem Gericht unmittelbar und unein- geschränkt geltend gemacht werden. Art 88 sieht vor, dass jede Person auch die Rechtsverlet- zung von kollektiven, verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten geltend machen kann. Bezüglich des neuen Rechtsubjekts „Natur“, wird nochmalig in Art 71 klargestellt, dass jede Person in Vertretung der Natur die Einhaltung ihrer Rechte einfordern kann. Mangels Erlasses von Sekundärrechten zur praktischen Umsetzung der Eigenrechte der Natur entstand nach Inkrafttreten der Verfassung eine Debatte darüber, wer diese Verfassungsrechte in Zivilver- fahren (basierend auf Art 11 iVm Art 71 der Verfassung) geltend machen kann. Bezugneh- mend auf Art 38 der allgemeinen Prozessordnung36 wurde klargestellt, dass alle (Rechts-)Per- sonen und Gruppen sowie die Volksanwaltschaft die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte der Natur geltend machen können, letztere von Amts wegen.37 In der Praxis stellt die Zulässigkeit in der Geltendmachung mit Ausnahme von strafrechtlichen Verfahren somit kein Problem dar. Im Strafverfahren ist ein Privatbeteiligtenanschluss bzw die Erhebung einer Anzeige nur mit Nachweis einer unmittelbaren Rechtsverletzung erforderlich.

Art 71 beschreibt die Natur als Ort, an dem Leben entsteht und reproduziert wird und be- zieht sich hier auf die indigene Gottheit „Pachamama“. Rein auf Basis des Verfassungstextes samt Gesetzesmaterialien ist jedoch unklar, wie das Rechtssubjekt Natur konkret zu defi- nieren ist.38 So stellt sich prinzipiell die Frage, ob das Rechtssubjekt Natur teilbar ist, sprich einzelne Flüsse, Tiere oder Wälder ihre Rechte für sich geltend machen können, und ob Luft und Wasser auch unter Natur iSd Art 71 subsumierbar sind.39 In der Judikatur werden sowohl Flüsse sowie Tiere als Rechtssubjekte iSd Art 71 der Verfassung anerkannt und als auch der Natur in ihrer Gesamtheit.40 Angesichts der bisherigen Judikatur ist davon auszugehen, dass sowohl einzelne Flüsse als auch die Natur in ihrer Gesamtheit Rechte geltend machen kann. Bis dato gibt es allerdings noch keine Entscheidung betreffend abstrakterer Elemente der Natur wie Wasser und Luft bzw eine Unterscheidung zwischen Natur und natürlichen Ressourcen.41


35 Bspw Kolumbien.

36 Código Orgánico General de Procesos, Kap 4, 245 ff (Official Registry No 506, 22 May 2015), http://www.funcionjudicial.gob.ec/pdf/CODIGO%20ORGANICO%20GENERAL%20DE%20PROC ESOS.pdf (abgerufen 26. 3.2020).

37 Bertel, juridikum 2016, 451 (456) mwN.

38 Bertel, juridikum 2016, 451 (458).

39 Ibid.

40 Ibid.

41 Defensoría del Pueblo, Manual de normas y jurisprudencia de derechos de la naturaleza y ambiente (2013), http://repositorio.dpe.gob.ec/handle/39000/105 (Abfrage: 5.4.2020), 27. Community Environmental Legal Defense Fund, Amicus Curiae Rio Dulcepamba, No 502-19-JP.


Die Verfassung selbst enthält auch keine Anleitung darüber, wann ein Eingriff in die Rechte der Natur bereits vorliegt. Festgehalten ist jedoch, dass die Natur ein Recht auf Ach- tung ihrer Existenz, ihrer natürlichen Lebenszyklen und ihre eigene, evolutionäre Entwicklung hat. Den Staat trifft diesbezüglich gem Art 73 die Pflicht, vorsorgende Maßnahmen zu treffen, die eine Zerstörung einer Spezies, des Ökosystems und die permanente Veränderung natürlicher Zyklen zur Folge haben. Dennoch ist die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen gem Art 83 Abs 6 verfassungsrechtlich gestattet. Die Frage, in welchem Ausmaß eine derartige Nutzung, wie die von Wasser verfassungskonform ist, wird in einem derzeit vor dem Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren zu klären sein.42

Ungeklärt ist auch, ob durch die Klimakrise verursachte Schäden und Veränderungen des Ökosystems als Rechtsverletzungen anzusehen sind.43 Eine Stellungnahme der Volksanwalt- schaft lässt diesbezüglich auf ein eingeschränktes Verständnis schließen:44 So hielt die Volks- anwaltschaft fest, dass nur dann von einer Rechtsverletzung auszugehen sei, wenn diese kon- kret auf menschliche Eingriffe in die Natur zurückzuführen ist. Probleme, die sich aus der Natur selbst ergeben, wie zB im Falle von Hochwasser, stellen laut Volksanwalt keine Rechtsverletzungen dar.45 Eine gerichtliche Entscheidung liegt noch nicht vor. Besonders in wirtschaftlich bedeutsamen Großprojekten stellt diese offen gehaltene Definition Eigenrechte gepaart mit den verankerten Nutzungsrechten eine juristische (und auch politische) Herausfor- derung dar.

Da die Verfassung Ecuadors gem Art 11 Abs 6 keine hierarchische Ordnung vorsieht, sind die Rechte der Natur anderen Rechten weder über- noch untergeordnet. Daraus können sich Fragen im Falle von Kollisionen zwischen Natur- und Menschenrechten ergeben, wobei angesichts Art 74 der Verfassung auf das indigenes Lebenskonzept „Buen Vivir“ – Leben im Einklang mit der Natur – abzustellen ist.46 Anzumerken ist, dass „Buen Vivir“ die Einführung einer indigenen Weltanschauung bedeutet, somit nach westlich-orientiertem Rechtsdenken konzeptionell schwierig zu fassen ist.47 Art 427 der Verfassung sieht vor, dass in Fragen der Wortlautinterpretation grundsätzlich Vorzug zu geben ist und subjektive Rechte derart zu interpretieren sind, dass diese Rechte umfassend verwirklicht werden können.

Gem Art 425 sind die Rechte der Verfassung unmissverständlich die höchsten aller Nor- men und somit auch (theoretisch) internationalen Verträgen übergeordnet. Art 403 untersagt es dem Staat, Verbindlichkeiten und Vereinbarungen einzugehen, die ua die Rechte der Natur unterwandern/unterbinden (könnten). Es ist noch unklar, welche Kategorien von Verträgen unter Art 403 zu subsumieren ist, jedoch ist anzunehmen, dass Verträge mit Öl- und

 

 

 

 


42 Corte Constitutional Ecuador, No 502-19-JP, 6.5.2019. Community Environmental Legal De- fense Fund, Amicus Curiae Rio Dulcepamba.

43 Bertel, juridikum 2016, 451 (458).

44 Ibid.

45 Resolución de Revisión No 022-ADHN-DPE-2014, vom 28.4.2014.

46 Bertel, juridikum 2016, 451 (456).

47 Bertel, juridikum 2016, 451 (456) mwN.


Gasunternehmen davon jedenfalls umfasst sind.48 Bis dato wurde diese Frage allerdings noch in keinem Verfahren thematisiert.

Ergänzend ist festzuhalten, dass 2014 das ecuadorianische Strafgesetzbuch um das neues Kap 4 erweitert wurde und Verbrechen gegen die Umwelt, die Natur oder Pachamama inklusive Verbrechen gegen Biodiversität, natürliche Ressourcen inklusive Wasser, Luft und Boden als neue Tatbestände eingeführt wurden.49

2019 wurde ein neuer Verfassungsgerichtshof in Ecuador ernannt. Dieser hat klarge- stellt, dass er sich umfassend mit Eigenrechten der Natur und der Definition dieses neuen Rechtsubjektes im Zusammenhang auseinandersetzen wird. Insgesamt wurden bis 2021 be- reits 17 Fälle zugelassen. Sämtliche dieser Verfahren werfen entscheidende Fragen hinsicht- lich des Zusammenspieles von nachhaltiger Nutzung natürlicher Ressourcen und den Eigen- rechte der Natur auf. Auf die dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Fragen und Entwick- lung einer klaren Judikaturlinie wird an späterer Stelle nochmals ausführlicher eingegangen.50

IV.      Praxis und Rechtsprechung

Angesichts der Pläne der Regierung Correas, die natürliche Ressourcen Ecuadors wirt- schaftlich zu nutzen, wurde mit Ausnahme einer Ergänzung des Strafgesetzbuches 2014 kein Sekundärrecht zur Stärkung der verfassungsrechtlich gewährten Eigenrechte der Natur ge- schaffen.51 Bereits 2009, kurz nach Erlass der neuen Verfassung, erließ die Regierung unter Correa ein umfassendes Bergbaugesetz.52 Der Fokus auf den Ausbau des Bergbaus und öko- nomischen Wohlstand hatte einerseits zur Folge, dass die Justiz in großen Umweltverfahren massiv unter Druck gesetzt wurde, Regierungsprojekte zu genehmigen, andererseits berief sich die Regierung selbst auf die Eigenrechte der Natur, um gegen illegalen Raubbau vorzugehen und trug somit zum Ausbau der Judikatur zugunsten der Natur bei.53

Das weltweit erste erfolgreiche Verfahren

Das weltweit erste erfolgreich zugunsten der Natur geführte Verfahren betraf die Beein- trächtigung des natürlichen Flusslaufes des Vilcabamba durch ein staatliches Straßenbaupro- jekt und die damit verbundene direkte Entsorgung von Aushubmaterial und Geröll in den Fluss. Zwei in unmittelbarer Nähe des Flusses Vilcabamba lebende US-amerikanische Staatsbürger beantragten den Stopp dieses Bauprojektes und brachten diesbezüglich vor, dass sie

 

 

 

 


48 Kotzé/Calzadilla, Transnational Environmental Law (2017) 401 (423).

49 Código Orgánico Integral Penal, Registro Oficial No 180 - Lunes 10 de febrero de 2014, Kap 4, Art 245f, https://www.asambleanacional.gob.ec/es/system/files/document.pdf (Abfrage: 26.3.2020).

50 Corte Constitutional Ecuador, No 502-19-JP, 6.5.2019. Community Environmental Legal De- fense Fund, Amicus Curiae, Rio Dulcepamba.

51 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (133).

52 Ley de Minería, 2009; vgl auch Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (132).

53 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (134).


durch die Störung des Flusslaufes einer erhöhten Gefahr von Überflutungen ausgesetzt seien. Zusätzlich argumentierten sie, dass das Projekt die Eigenrechte des Flusses verletze.54

Das Provinzgericht Loja gab dem Antrag statt und stellte eine Verletzung der ver- fassungsrechtlich gewährleisteten Eigenrechte des Flusses fest. Das Gericht hielt diesbezüg- lich fest, dass die Umsetzung des Bauprojektes ohne umweltrechtliche Genehmigung eine Verletzung der Rechte der Natur darstelle. Weiters betonte das Gericht, dass es die Rechte der Natur auf Basis der Verfassung zu schützen habe, solange nicht nachgewiesen werden kann, dass keine Gefahr der Verschmutzung oder Schäden der Natur durch dieses Bauprojekt ent- stünden. Im Zweifel seien die Rechte der Natur gegenüber anderen Verfassungsrechten vor- rangig zu behandeln. Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Berufung der Antragsteller auf die verfassungsrechtlich gewährten Eigenrechte der Natur ein adäquates Mittel sei, um gegen derartige Umweltschäden vorzugehen. Diesbezüglich hielt das Gericht fest, dass Schäden an der Natur negative Folgewirkungen für bestehende, aber auch für zukünftige Generation haben könnte. Abschließend hielt das Gericht jedoch fest, dass das Bauprojekt grundsätzlich durchsetzbar sei, wenn es auf die Rechte der Natur entsprechend Rücksicht nähme.55

Das Gericht ordnete den sofortigen Baustopp sowie Sofortmaßnahmen zur Wiedergut- machung der bereits eingetretenen Schäden an. Weiters wurde die Regierung verpflichtet sämtliche umweltrechtliche Auflagen einzuhalten und umfassende Bodensanierungsmaßnah- men durchzuführen. Diesbezüglich wurde der Regierung die Vorlage eines Sanierungsplanes binnen 30 Tagen nach Rechtskraft aufgetragen. Darüber hinaus ordnete das Gericht an, dass die Regierung eine einseitige, öffentliche Entschuldigung in einer nationalen Tageszeitung zu veröffentlichen habe. Trotz dieser umfangreichen Auflagen ist die Entscheidung bis dato nicht vollständig umgesetzt worden. Ungeachtet des Baustopps wurden keine Aufräumarbeiten und Bodensanierungsmaßnahmen durchgeführt.56 Die Entscheidung stellt jedoch in juristischer Hinsicht einen entscheidenden Präzedenzfall dar.

Nebst den Problemen der praktischen Umsetzung veranschaulicht diese Entscheidung auch die mit diesen neuen Verfassungsrechten verbundenen konzeptionellen Schwierigkeiten. Die Entscheidung orientiert sich an einem anthropozentrische Weltbild und daher primär an den Rechten der Antragsteller. Ungeachtet eines Bekenntnisses zu den Eigenrechten der Natur, enthält die Entscheidung keine klare Unterscheidung zwischen den Rechten der Natur und dem Recht der Antragsteller auf eine gesunde Umwelt. Das Gericht legte umfassenden Auflagen an die Regierung fest, definierte dabei allerdings nicht das Recht der Natur auf ihre Wiederherstellung. Die Auflagen des Gerichts orientieren sich vielmehr an standardisierten, umweltrechtlichen Auflagen im Rahmen von Bauprojekten, ohne sich hierbei mit der vollständigen Wiederherstellung des Ökosystems des Flusses konkret auseinanderzusetzen.57

 

 

 


54 Wheeler vs Director de la ProcuraduriaGeneral del Estado en Loja, Judgment, Provincial Court of Loja, Case No 11121-2011-0010.

55 Ibid.

56 Ibid.

57 Kotzé/Calzadilla, Transnational Environmental Law (2017) 401 (428).


Rechte der Natur und Bergbauprojekte

Eine weitere, wesentliche Entscheidung betraf die geplante Ausweitung des Bergbaus in Condor Mirador. Bekämpft wurde eine Bergbaulizenz, welche dem in chinesischem Eigen- tum stehende Unternehmen Ecuacorriente erteilt wurde. Ecuacorriente plante die Inbetrieb- nahme der größten Tagebaumine Ecuadors, die eine Auswirkung auf rund 20.000 ha Primär- wald in der Cordillera des Condor haben würde. Cordillera des Condor ist eine Region mit großer Artenvielfalt im südlichen ecuadorianischen Amazonas, in der sich zahlreiche Territo- rien indigener Völker befinden.58 Selbst die seitens des Unternehmens eingeholten Wirkungs- analysen ergaben, dass diese Tagebaumine dramatische Folgen für dieses Ökosystem, das Aussterben von bereits bedrohten Tierarten, sowie das Grundwasser haben würde.59 In beiden nationalen Instanzen wurde dennoch keine Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte der Natur oder Verletzung von Mitsprachenrechten indigener Völker festgestellt. Be- gründet wurde dies damit, dass dieses Projekt im öffentlichen Interesse sei und dieses Vorrang vor speziellen Interessen Einzelner, somit auch vor den Rechten der Natur habe. Es wurde letztlich bekannt, dass diese richterliche Entscheidung maßgeblich auf einer internen Anordnung Correas basierte, wonach staatliche Wirtschaftsprojekte zu gestatten seien, ande- renfalls einzelne Richter einer Haftung ausgesetzt würden.60 Angesichts der komprimierten Unabhängigkeit der staatlichen Gerichte wurde die Entscheidung des Gerichtshofs in zweiter Instanz nicht vor dem ecuadorianischen Verfassungsgerichtshof, sondern vor dem inter- amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte bekämpft, wo der Fall derzeit noch anhängig ist.61 In diesem Verfahren wurden aber nicht mehr die Rechte der Natur geltend gemacht, son- dern ausschließlich die durch das Bergbauprojekt verletzten Rechte der dort wohnhaften indi- genen Bevölkerung.62 Zwischenzeitlich wurde die Tagebaumine bereits in Betrieb genommen. Einige Umweltaktivisten und Anwälte führen den Misserfolg dieser Verfahren nicht ausschließlich auf politischen Druck, sondern auch auf eine generelle Unkenntnis unter der Richterschaft bezüglich dieses neuen Rechtssubjektes zurück.63

In einem späteren, weniger politisch motivierten Verfahren stärkte der Verfassungs- gerichtshof die Stellung von Kommunen, deren Existenz durch ein Bergbauvorhaben bedroht war. Der Verfassungsgerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, demnach das konkrete Bauvorhaben dem Prinzip des Buen Vivir entgegenstünde. In dieser Entscheidung wurde jedoch primär auf die kollektiven Rechte der Antragsteller und nur sekundär auf die Rechte der Natur Bezug genommen.64 Auch der Ausbau einer Goldmine in Rio Blanco durch das chinesische Unternehmen Ecuagoldmining wurde durch den Verfassungsgerichtshof ge- stoppt, dies allerdings aufgrund der Tatsache, dass der Bau gestartet wurde, ohne vorab die


58 Thurber/Noboa, Estudio de impacto ambiental para la fase de explotacio ́n a cielo abierto del proyecto minero de Condor Mirador. Walsh Environmental Scientists and Engineers (2010) 374.

59 Ibid.

60 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (136); vgl auch Mera, Oficio Circular No T1.C1-SNJ-10-1689. Presidencia del Republica. Quito, Ecuador (2010).

61 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (136).

62 Ibid.

63 Ibid 135.

64 Corte Constitucional del Ecuador (10.2.2016), Sentencia No 040-16-SEP-CC.


indigenen Bevölkerung zu konsultieren, und somit eine Verletzung kollektiver Rechte vorlag. Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass es sich hierbei um eines der strategisch wichtigsten Bergbauprojekte des Landes handelte,65 insb da Ölbohrungen im Nationalpark Yasuní, einem der artenreichsten Gebiete der Welt, trotz mehrfacher Verfahren auf Basis kollektiver Rechte, sowie Eigenrechte der Natur, bis dato nicht verhindert werden konnten. Das Versagen im Falle von Yasuní wird mehrheitlich der Einflussnahme Correas zugeschrieben.66 Angemerkt wird, dass die Entscheidung betreffend Ecuagoldmining zu einem späteren Zeitpunkt als die bisherigen Entscheidungen betreffend Yasuni, nämlich 2019, erfolgte. Ob dies als ein Zeichen von zunehmender richterlicher Unabhängigkeit und von besseren Kenntnissen um die neuen Verfassungsrechte zu werten ist, bleibt abzuwarten.

Rechte der Natur und Monokulturen

Angesichts der Schwierigkeiten, gegen Regierungsvorhaben vorzugehen, versuchten Um- weltaktivisten neue Wege, wie zB im sog Tangabana Fall, zu beschreiten. Dieser Fälle betraf den Ausbau einer staatlich geförderten Pinienmonokultur des Privatunternehmens ERVIC in Gebieten, welche im kollektiven Eigentum indigener Völker stehen. Aufgrund des intensiven Wasserverbrauchs sind monokulturlastige Aufforstungsprojekte seitens des Umweltministeri- ums in territorialen Gebieten indigener Völker grundsätzlich untersagt. So sah man seitens der Umweltaktivisten eine Möglichkeit, Rechte der Natur gemeinsam mit Rechten der dort leben- den Bevölkerung auf ihre Ernährungssouveränität erfolgreich geltend zu machen. Der Antrag wurde jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass das betroffene Land nicht im Eigen- tum der Antragsteller stehe.67 Verkannt wurde jedoch, dass betreffend die Eigenrechte der Natur gem Art 71 der Verfassung, jeder Person und jeder Gruppe die Möglichkeit gewährt wird, die Eigenrechte der Natur einzuklagen. Der Nachweis von Eigentum ist hierfür nicht erforderlich. Weiters wurde – entgegen der Bestimmung des Art 73 – festgehalten, dass die Antragsteller keinen Schaden nachweisen konnten, dies entgegen dem unmissverständlichen Wortlaut des Art 73 der ecuadorianischen Verfassung, nach dem die Regierung zu vorsorgendem Handeln verpflichtet ist, um bereits das Entstehen eines Schadens an der Natur zu verhindern.68

Die Geltendmachung der Eigenrechte durch die Regierung

Die Eigenrechte der Natur wurden bis dato nicht nur seitens der Umweltaktivisten, son- dern auch durch die ecuadorianische Regierung selbst geltend gemacht. Ironischerweise hatte der Fokus der Regierung auf die Nutzung von Rohstoffen eine Stärkung der Eigenrechte der Natur zu Folge. Die Regierung sah unter Berufung auf die Rechte der Natur eine Möglichkeit, gegen illegalen Rohstoffabbau vorzugehen. So wurde die Regierung unter Berufung auf die Eigenrechte der Natur durch das Strafgericht in Pichincha berechtigt, vorsorgliche Maßnah-


65 Bermúdes- Liévano, Ecuador mining conflict evolves into a battle for indigenous identity, Diálogo Chino, https://dialogochino.net/en/extractive-industries/28022-ecuador-mining-conflict- evolves-into-a-battle-for-indigenous-identity/ (Abfrage: 21.4.2020).

66 Kingsbury/Kramarz/Jacques, Populism or Petrostate?: The Afterlives of Ecuador’s Yasuní-ITT Initiative, Society & Natural Resources, (2019) 530.

67 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (135).

68 Ibid 136.


men zu treffen und aus diesem Grund sämtliche Maschinen, Geräte und Anlagen illegaler Bergbauarbeiter in den Provinzen Zamora-Chinchipe und Esmeraldas zu zerstören.69 Bereits einen Tag nach dieser Urteilsverkündung marschierten rund 600 Soldaten in diese Gebiete ein und zerstörten das gesamte Privateigentum der Bergleute.70 Als Konsequenz dieser Entschei- dung wurden eine Reihe an Verbrechen gegen die Rechte der Natur als neue Straftatbestände in die Strafrechtsordnung aufgenommen, sowie vorgesehen, dass diesbezüglich die Zerstörung von privatem Eigentum als Maßnahme zum Schutz der Rechte der Natur richterlich an- geordnet werden kann.71

Die Regierung obsiegte auch betreffend die Auflösung eines illegalen Garnelenzuchtbe- triebes, der in einem Naturschutzgebiet betrieben wurde und Teile des Mangrovenwalds zer- störte. Dieser Fall ist der einzige von bis dato sieben zugunsten der Natur eingebrachten Fäl- len, der durch den Verfassungsgerichtshof positiv entschieden wurde. Bemerkenswert ist dar- über hinaus, dass diese Entscheidung ausschließlich auf den Eigenrechten der Natur basierte. So wurden zugunsten der Regierung die vorangegangenen Entscheidungen der unteren Instan- zen aufgehoben, die jeweils den wirtschaftlichen Interessen einzelnen gegenüber den Rechten der Natur den Vorrang einräumten.72 Der Verfassungsgerichtshof stellte in der Folge klar, dass Buen Vivir und die damit verbundenen Eigenrechte der Natur einen zentralen Bestandteil der Verfassung darstellen und diese gem Art 395 Abs 2 der Verfassung im Verhältnis zu allen anderen Rechten Gültigkeit haben. Die Verfassung wiederspiegle daher eine biozentrische Weltsicht und stelle somit einen Gegenpol zur herrschenden, anthropozentrischen Sichtweise dar, die die Natur als Mittel zum Zweck betrachte. Die Natur habe das Recht auf ihre eigene Existenz, ihren Erhalt sowie das Recht sich gemäß ihren eigenen Strukturen und evolutionä- ren Prozessen zu entfalten, zu entwickeln sowie zu regenerieren. Die Natur darf in diesen Pro- zessen nicht eingeschränkt werden und eine Nutzung der natürlichen Ressourcen dürfe keine Störung dieser natürlichen Zyklen zur Folge haben.73 Der Gerichtshof hielt weiters fest, dass die Missachtung dieser Rechte durch die Gerichte eine Verletzung eines fairen Verfahrens darstellen und die Rechte der Natur zwingend zu berücksichtigen seien.74

Illegaler Fischfang

Neben diversen Bauprojekten wurde die Eigenrechtlichkeit der Natur iZm illegalem Fischfang geltend gemacht. Prominent sind hier zwei Fälle im Meeresschutzgebiet der Gala- pagos Inseln. Der erste Fall betraf den illegalen Fischfang von rund 200 Hammer- und Seidenhaien. Es kam zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kapitän und die Besat- zung des Frachtschiffes. Unter Berufung auf die Eigenrechte der Natur versuchten Natur-


69 Ibid 137.

70 Fuego a maquinaria de mineras en Esmeraldas,” El Universo, 24.5.2011, http://www.eluniverso.com/2011/05/24/1/1447/fuego-maquinar-ia-mineras-esmeraldas.html (Abfrage: 21.4.2020).

71 Código Orgánico General de Procesos, Art 551 (Official Registry No 506, 22 May 2015). http://www.funcionjudicial.gob.ec/pdf/CODIGO%20ORGANICO%20GENERAL%20DE%20PROC ESOS.pdf (abgerufen 26.3.2020). vgl auch Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (137).

72 Corte Constitucional del Ecuador (2015), Sentencia No 166-15-SEP-CC, Caso No 0507-12-EP.

73 Corte Constitucional. Sentencia No 166-15-SEP-CC.

74 Ibid.


schutzorganisation sich in Vertretung der Haie dem Strafverfahren als Privatbeteiligte gem Art 71 der Verfassung anzuschließen. Dies war aufgrund des bereits erwähnten eng gefassten locus standi in Strafrechtsverfahren nicht möglich, da die Privatbeteiligten laut Richter weder Ankläger noch die Haie selbst seien.75 Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben, ein amicus curiae allerdings zugelassen und die beteiligten Personen letztlich unter Berufung auf Art 71 bis 73 der Verfassung (Eigenrechte der Natur) zu Haftstrafen verurteilt.76

Das zweite Verfahren betraf die Beschlagnahmung eines chinesischen Hochseefischerei- schiffes, das mit 600 illegal getöteten Haien das Meeresschutzgebiet der Galapagos Inseln durchqueren wollte. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren kam es zur Verurteilung der Mannschaft einschließlich Verhängung von Haftstrafen und zur Beschlagnahme des chinesi- schen Frachtschiffes. Das Gericht hielt diesbezüglich fest, dass die Verurteilung auch auf- grund der Verletzung der Eigenrechte der Natur erfolge, da letztlich die Natur das Opfer in diesem Verfahren sei. Die Entscheidung ging letztlich bis zum Verfassungsgerichtshof, aller- dings ausschließlich aufgrund der prozessualen Frage, ob das Frachtschiff des chinesischen Unternehmens beschlagnahmt werden durfte, da das Unternehmen selbst nicht Partei des Strafverfahrens gewesen war. Der Verfassungsgerichtshof stützte indirekt die auf den Eigen- rechten der Natur basierte Entscheidung der ersten Instanz, da es die Beschlagnahme des chi- nesischen Frachtschiffes aufrecht hielt, da dies als Mittel zur Durchführung der Straftat einge- setzt worden war. Dieses Verfahren wird als ein klares Signal gegen illegalen Fischfang auf den Galapagos Inseln gewertet, da selbst die Durchquerung des Gebietes mit illegal gefangenen Fischen zu Haftstrafen und Beschlagnahme des Frachters führt.77

Zusammenfassend wird ersichtlich, dass die Eigenrechte der Natur wirtschaftlich bedeut- same und umweltrechtlich brisante Projekte, wie Ölbohrungen im Nationalpark Yasuní, in den seltensten Fällen verhindern konnten. Dies ist einerseits auf politischen Druck auf die Richter- schaft, andererseits auch auf mangelnde Kenntnis über diese konzeptuell neuen Rechte unter der Richterschaft zurückzuführen. An der Historie der Judikatur wird jedoch andererseits er- sichtlich, dass zunehmendes Wissen zu vermehrt positiven Entscheidungen führt und die Eigenrechte der Natur kein totes Verfassungsrecht darstellen, insb im Fall von greifbaren Rechtsverletzungen, wie betroffenen Flüsse und illegalem Fischfang, sowie in wirtschafts- politisch weniger brisanten Fällen.78 Positive Entscheidungen sind zuletzt auch der ecuadoria- nischen Regierung in ihrem Vorgehen gegen illegalen Rohstoffabbau geschuldet.

Zur jüngsten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs

Bis zur Neubesetzung des Verfassungsgerichtshofes 2019 war erst eine einzige positive, höchstgerichtliche Entscheidung betreffend der Eigenrechte der Natur (zur bereits ausgeführ- ten illegalen Garnelenzucht in einem naturgeschützten Mangrovenwald) erlassen worden.79


75 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (137).

76 Ibid.

77 Corte Constitutional del Ecuador, 0501-12-EP, 20.5.2015.

78 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (139).

79 Community Environmental Legal Defense Fund, Amicus Curiae Rio Dulcepamba, No. 502-19- JP. Corte Constitucional para el Período de Transición. Primera Sala. Resolución No. 0567-08-RA. Corte Constitucional para el Período de Transición. Sentencia No. 017-12-SIN-CC.


Durch das neu besetzte Höchstgericht, das es sich zum Ziel gesetzt hat für mehr Klarheit hin- sichtlich der konkreten Auslegung dieser Verfassungsrechte zu sorgen, gewinnen die Eigen- rechte der Natur an realer Bedeutung. Die dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Fragen betreffen primär die Bedeutung von Eigenrechte der Natur hinsichtlich der Nutzung von na- türlichen Ressourcen. Betreffend diese Thematik hat der Verfassungsgerichtshof in einer Ankündigung bereits festhalten, dass natürliche Ressourcen zum Wohl der Gesellschaft ge- nützt werden dürfen, solange dadurch die Natur in ihren natürlichen, evolutionären Zyklen nicht gestört wird.80 Die Natur hat laut Ankündigung des Verfassungsgerichtshofes das Recht auf ihre eigene Existenz, ihren Erhalt sowie das Recht sich gemäß ihren eigenen Strukturen und evolutionären Prozessen zu entfalten, zu entwickeln sowie zu regenerieren. Die Natur darf in diesen Prozessen nicht eingeschränkt werden.81 Somit stellt sich die Frage, inwieweit die Verwendung von natürlichen Ressourcen wie Wasser im Einklang mit diesen Existenz-

,Entwicklungs- und Regenerationsrechten‘ rechtmäßig erfolgen kann.

Im Juni 2021 erging die erste Entscheidung des neu besetzten Gerichtes, und zwar im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Normenkontrolle. Der Verfassungsgerichtshof prüfte eine vom Umweltministerium erlassene Verordnung, demnach Flussläufe zugunsten diverser Bauprojekte verändert werden dürfen. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Verordnung als verfassungswidrig auf und hielt diesbezüglich fest, dass ein Eingriff in die verfassungsrecht- lich gewährleisteten Rechte des Flusses nur durch den Gesetzgeber, nicht durch Verordnung erfolgen könne. Der Verfassungsgerichtshof stellte somit klar, dass es sich bei den Eigenrech- ten der Natur um ordentliche Verfassungsrechte handelt, die aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung nicht durch Verordnungen beschränkt werden dürfen.82

Am 8.9.2021 entschied der Verfassungsgerichtshof zum zweiten Mal, auch diesmal im Rahmen einer Normenkontrolle, zugunsten der Natur. In dieser Entscheidung hob der Verfas- sungsgerichtshof eine einfachgesetzliche umweltrechtliche Bestimmung auf, demnach pro- duktive Aktivitäten in einem Mangrovenwald grundsätzlich und ohne Einschränkungen zuläs- sig waren. Der Verfassungsgerichtshof hielt fest, dass Mangrovenwälder fragile Rechtssub- jekte seien, die durch zahlreiche Eingriffe bereits massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden. Da das Gesetz Verfassungsrechte der Wälder berühre, darf ein Eingriff nur sehr konkret und in Abwägung dieser Rechte erfolgen. Der gesetzliche Eingriff hingegen sei generisch und vage und ermögliche somit eine destruktive Nutzung von Ökosystemen, dies im Vergleich zu einer traditionellen (indigenen) Nutzung von Ökosystemen, die im Einklang mit der Natur und in Wahrung ihrer Rechten erfolge. Aus diesem Grund hob der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung als verfassungswidrig auf hielt fest, dass die auf dieser – nunmehr verfas-

 

 

 


80 Corte Constitucional. Sentencia No. 065-15-SEP-CC; Corte Constitucional para el Período de Transición. Primera Sala. Resolución No. 0567-08-RA.

81 Corte Constitucional. Sentencia No. 166-15-SEP-CC; Corte Constitucional para el Período de Transición. Primera Sala. Resolución No. 0567-08-RA.

82 CASO No. 32-17-In El Pleno De La Corte Constitucional Del Ecuador, En Ejercicio De Sus Atribuciones Constitucionales Y Legales, Emite La Siguientesentencia No. 32-17-In/21, insb. para 62f.


sungswidrigen – Bestimmung basierende Shrimpszucht nunmehr ebenso illegal und zu unter- sagen sei.83

Die jüngste Entscheidung erging im November 2021 und betraf die Testbohrungen zwecks Rohstoffgewinnung im artenreichen Regenwald Gebiet „Los Cedros“. Der Verfas- sungsgerichtshof stellte klar, dass ungeachtet der Frage, ob dieses Gebiet unter besonderem Naturschutz stünde oder nicht, Bergbau und Rohstoffgewinnung in der Eigenrechte der Wäl- der eingreife. Die der Genehmigung zugrunde liegende Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht gründlich und unter genauer Abwägung der Eingriffe in diese Verfassungsrechte erfolgt. Aus diesem Grunde untersagte der Verfassungsgerichtshof weitere Untersuchungen und ord- nete darüber hinaus an, dass bisher eingetretener Schaden wiedergutzumachen sei.84

 

C.         Eigenrechte    der    Natur   auf   einfachgesetzlicher    Ebene    Bolivien, Uganda

Während Bolivien als eines der ersten Länder weltweit bereits 2010 die Natur als Rechts- subjekt einfachgesetzlich anerkannte, zählt das 2019 in Kraft getretene Umweltgesetz in Uganda zu den diesbezüglich jüngsten gesetzlichen Umsetzungen. Der unterschiedliche Um- fang der folgenden Analyse ist einzig diesem (zeitlichen) Umstand geschuldet und lässt keine Schlüsse auf die rechtlichen Auswirkungen dieser beiden Gesetzgebungen zu.

I.             Bolivien

Im Unterschied zu Ecuador wurde die Eigenrechtlichkeit der Natur trotz Erlass einer neuen Verfassung nicht in den Verfassungsrang gestellt. Basierend auf dem in der Verfassung verankerten umfassenden Schutz der Umwelt wurde 2010 das Gesetz über die Rechte der Mutter Erde85 erlassen, welches 2012 durch ein Rahmengesetz ergänzt und aufgewertet wurde.

1.       Entstehungsgeschichte

Ähnlich wie in Ecuador wurde nach Jahren der politischen Unruhe Evo Morales Ayma als erster indigener Präsident und Anführer der sozialistischen Bewegung „Movimiento al Socialismo“ 2005 zum Präsidenten von Bolivien gewählt. Morales versprach einen auf dem indigenen Konzept „Buen Vivir“ oder „Suma Qamaña“ aufgebauten Staat, befreit von westli- cher Vorherrschaft. Teil dieser Neuordnung war eine neue Verfassung, welche kollektive, soziale und indigene Rechte, die Anerkennung eines plurinationalen Staates sowie nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen sicherstellen soll. Diese wurde ähnlich wie in Ecuador in einem partizipativen Prozess ausgearbeitet und 2009 mit deutlicher Mehrheit des bolivianischen Volkes per Referendum angenommen.86

 


83 Corte Constitutional Ecuador, Caso Nº. 22-18-IN, 8.9.2021.

84 Corte Constitutional Ecuador, Caso Nº. No. 1149-19-JP/21, 10.11.2021.

85 Ley de Derechos de la Madre Tierra, Gesetz 071 vom 21.12.2010.

86 Calzadilla/Kotzé, Living in harmony with nature? A critical appraisal of the rights of Mother Earth in Bolivia, Transnational Environmental Law (2018) 397.


2.       Gesetzliche Ausgestaltung

Im Unterschied zu Ecuador sieht die Verfassung selbst keine dezidierten Rechte der Natur vor. Dennoch stellt sie die Basis für die gesetzlich verankerten Eigenrechte der Natur dar, weshalb eine kurze Analyse der wesentlichsten Bestimmungen vorgenommen wird.

Bereits in der Präambel der Verfassung wird auf die heilige Mutter Erde Bezug genom- men. Das indigene Prinzip Vivir Bien oder Suma Qamaña stellt – gleich dem ecuadoriani- schen Pendant Buen Vivir – gem Art 8 den Leitfaden dar. Art 33 verankert jedoch nur ein Recht auf eine gesunde Umwelt und keine Eigenrechte der Natur. Die Ausübung des Rechtes auf eine gesunde Umwelt soll auch zukünftigen Generationen zustehen. Art 34 berechtigt diesbezüglich jede Person, Rechtshandlungen zur Verteidigung dieses Recht auf Umwelt auszuführen, zuzüglich der Verpflichtung öffentlicher Institutionen, die von Amts wegen Angriffe gegen die Natur untersagen müssen. Art 108 Abs 15 und 108 Abs 16 sehen weiters vor, dass alle Bolivianer verpflichtet sind, die natürlichen Ressourcen zu schützen und zu verteidigen, einen Betrag zu deren nachhaltigen Nutzung für künftige Generationen zu sichern sowie die Umwelt zu schützen und zu verteidigen. Art 373 der Verfassung definiert Wasser als ein elementares Grundrecht für das Leben und verpflichtet den Staat zu umfassendem Schutz der Wasserressourcen und Nutzung des Wassers für alle Bewohner Boliviens. Darüber hinaus wird an mehreren Stellen eine Pflicht zum Umweltschutz des Staates, der Gebietskörperschaften und von Wirtschaftsorganisationen festgelegt. Die Verfassung verankert keine Rechtsubjektivität der Natur, anerkennt jedoch mehrfach die Wichtigkeit und die Pflicht des Umweltschutzes als menschliche Lebensgrundlage.87

Basierend auf den verfassungsrechtlich verankerten Pflichten des Umweltschutzes und dem Prinzip von Vivir Bien trat 2010 das Gesetz der Rechte von Mutter Erde in Kraft.88 In diesem Gesetz wird die Mutter Erde („Pachamama) als Rechtsträgerin anerkannt. Das Gesetz hält ausdrücklich fest, dass Mutter Erde für Nationen und indigene Völker heilig ist. Mutter Erde wird als ein lebendiges und komplexes System definiert, bestehend aus allen lebendigen Systemen und Organismen, die miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Die Eigenrechte der Natur beinhalten das Recht auf unversehrte Existenz, Entfaltung und auf Wiederherstellung. Alle diese Rechte sind im Einklang mit menschlichen Aktivitäten zu wahren und müssen von jeder Person, jeder Gruppe und dem Staat gewahrt und geschützt werden. Das Gesetz definiert die Eigenrechte konkret als ein Recht auf Leben, Recht auf Diversität, Recht auf Wasser, Recht auf saubere Luft, Recht auf Gleichgewicht, Recht auf Wiederherstellung und ein Recht auf ein verschmutzungsfreies Leben. Darüber hinaus wird noch die Schaffung eines eigenen Ombudsmanns als Pendant zur Volksanwaltschaft eingeführt. Da die Struktur und der Aufbau dieses Ombudsmanns einer zukünftigen Gesetzgebung überlassen wurden, wurde dieser bis dato noch nicht gegründet.89

 

 

 


87 Constitute, Bolivia (Plurinational State of)'s Constitution of 2009, https://www.constituteproject.org/constitution/Bolivia_2009.pdf (Abfrage: 12.4.2020).

88 Ley de Derechos de la Madre Tierra, Gesetz 071 vom 21.12.2010.

89 Ibid; vgl auch Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (410).


2012 wurde dieses Gesetz durch ein Rahmengesetz90 erweitert, dessen normativer Rah- men von sektoraler Gesetzgebung, wie bspw dem Bergbau, eingehalten werden muss.91 Ziel ist die Schaffung von Grundprinzipien zur Integration der Rechte der Natur als Bestandteil in Gesetzgebung, Politik und Verwaltung sowie das Schaffen von Rahmenbedingungen zum Umgang und Nutzung von Mutter Erde.92 Dieses Rahmengesetz ergänzt in Ausbau und Ausführung das einfache Gesetz der Rechte der Mutter Erde.93 Zu diesen Grundprinzipien zählen das umweltrechtliche Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip sowie das Wiederher- stellungsprinzip.94 Das Rahmengesetz sieht weiters die Gründung einer Umweltanwaltschaft vor, ohne dessen Umsetzung näher zu konkretisieren.95 Die Umweltanwaltschaft soll wiede- rum Teil eines plurinationalen Rates für gutes Leben in Harmonie und Balance mit Mutter Erde darstellen.96

Gemäß diesem Rahmengesetz stellt eine Verletzung der Rechte der Mutter Natur gleich- zeitig eine Verletzung kollektiver und individualer Rechte dar.97 Die Rechte der Natur werden durch das Gesetz nicht näher definiert und somit wird die Möglichkeit der konkreten Umset- zung letztlich beschränkt.98

Jede Person ist grundsätzlich verpflichtet, eine Rechtsverletzung an öffentliche Stellen zu melden. Eine Rechtsverletzung der Rechte der Natur kann in Folge nur nur von öffentlichen Stellen und direkt betroffenen Personen vor der Umweltanwaltschaft geltend gemacht werden. Es ist wiederum ausschließlich der Umweltanwaltschaft überlassen, die Rechtsverletzung der Eigenrechte der Natur gerichtlich geltend zu machen.99 Dieser eng gefasste locus standi steht in gewissem Widerspruch zur weit gefassten actio popoluaris der Verfassung, wonach jede bolivanische Person die Verletzung ihrer Rechte, die in Verbindung zur Umwelt stehen, geltend machen kann.100

Eine Verletzung der Rechte der Natur kann Haftungen sowie Verwaltungsstrafen mit sich ziehen. Eine Verjährung der Eigenrechte der Natur wird durch das Rahmengesetz ausdrück- lich ausgeschlossen.101


90 Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien. http://www.ftierra.org/index.php/recursos-naturales/110-ley-n-300-marco-de-la-madre-tierra-y-desarrollo-integral-para-vivir-bien (Abfrage: 30.3.2020)

91 Lalander, Ethnic rights and the dilemma of extractive development in plurinational Bolivia, International Journal of Human Rights (2017) 464 (472).

92 Art 3 Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien; vgl auch Cal- zadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (412).

93 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (412).

94 Art 4 Abs 4, Art 4 Abs 7. und Art 4 Abs 8. Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.

95 Art 39 Abs 3. Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.

96 Consejo Plurinactional para Vivr Bien en Armonía y Equilibrio con la Madre Tierra.

97 Art 38 Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.

98 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (414).

99 Art 135 der bolivianischen Verfassung.

100 Gudynas, Development Alternatives in Bolivia: The impulse, the resistance, and the restora- tion, NACLA Report on the Americas (2013) 22 (25).

101 Art 44 I und II Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.


Gem Art 9 des Rahmengesetzes ist das Konzept Vivir Bien derart umzusetzen, dass es so- wohl Menschenrechte als auch Eigenrechte der Natur gleichermaßen berücksichtigt. Demzu- folge ist der Abbau von Rohstoffen zwar nicht untersagt, er ist jedoch auf die umweltscho- nendste Art und Weise durchzuführen.102 Das Rahmengesetz betont die Bedeutung von wirt- schaftlichem Wachstum und der Nutzung natürlicher Ressourcen in der Bekämpfung von Ar- mut.103 Es sieht sogar die Möglichkeit des Staates vor, die Industrialisierung von nationalen Ressourcen als nationale Priorität zu verfolgen.104 Wie wirtschaftliches Wachstum, die Nut- zung von Rohstoffen und die Rechte der Natur miteinander zu vereinbaren sind, lässt das Rahmengesetz offen.105

3.       Rechtliche Implikation

Entgegen dem einfachen Gesetz der Mutter Erde kennt das Rahmengesetz keine klaren Definitionen. Somit bleibt das Verhältnis zwischen den konkreten Rechten der Natur und dem Streben nach Wirtschaftswachstum und Wohlstand für die Bevölkerung letztlich unklar. Das Rahmengesetz enthält sowohl ein prinzipielles Anerkenntnis der Rechte der Natur als auch ein klares Bekenntnis zu ökosozialem Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung unter Einsatz natürlicher Ressourcen. Es fehlt an klaren Rahmenbedingungen, unter denen wirtschaftliches Wachstum und die Nutzung natürlicher Ressourcen zu erfolgen hat. Angesichts dessen wurde das Rahmengesetz auch als Mittel der Legitimation für Wirtschaftswachstum unter dem Denkmantel des Prinzips Vivir Bien kritisiert.106 Es wurden keine weiteren Gesetze basierend auf dem Gesetz über die Rechte der Mutter Erde und dem Rahmengesetz erlassen. Auch das vor Erlass dieser neuen Gesetze bereits bestehende Umweltgesetz wurde bis dato nicht entsprechend adaptiert.107 Ebenso wurde die für die Vertretung der Rechte der Natur zuständige Umweltanwaltschaft bis dato nicht gegründet.108

Auch die rechtlichen Möglichkeiten indigener Völker, im Namen der Natur einzuschrei- ten sind rechtlich beschränkt. Grundsätzlich ist eine Vertretung der Eigenrechte vor Gericht und staatlichen Behörden nur durch die (noch nicht gegründete) Umweltanwaltschaft möglich. Art 16 Abs 1 des Rahmengesetzes sieht das Recht der indigenen Völker auf Anhörung und Vorabinformation betreffend die Nutzung natürlicher Ressourcen109 vor, verleiht den Völkern jedoch kein Recht auf Zustimmung und Verweigerung der Nutzung ihrer Gebiete. Diese Einschränkung steht im Widerspruch zu Art 256 der Verfassung, wonach internationale Vereinbarungen, Verträge und durch die Regierung unterzeichnete oder ratifizierte Instrumen- tarien in Menschenrechtsangelegenheiten vorrangig anzuwenden sind, sofern diese günstigere Rechte vorschreiben. Das Rahmengesetz steht somit im Widerspruch zur der (auch) von Boli-


102 Art 15 Abs 3. Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.

103 Art 18 und Art 19 Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivit Bien.

104 Art 9 Abs 6, Art 316 Abs 6 und Art 355 Ley N°300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo In- tegral para Vivit Bien.

105 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (414).

106 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (415 mwN).

107 Ley de Medio Ambiente No 1333 (1992).

108 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (415).

109 Wörtlich Pachamama, also Mutter Erde.


vien unterzeichnete UN-Erklärung der „Rechte indigener Völker“, wonach indigene Völker das Recht auf Selbstbestimmung,110 Selbstverwaltung,111 sowie das Recht auf Besitz ihrer Gebiete und Ressourcen112 haben.

4.       Praxis und Rechtsprechung

Im Jahr 2014 trat ein neues Gesetz über Bergbau und Metallurgie113 in Kraft, welches als offener Angriff auf die Rechte der Natur angesehen wird.114 Gem Art 220 sind Bergbau- arbeiten in Naturschutz- und Waldgebieten zulässig, so sie im Einklang mit den bestehenden Vorschriften des Umweltgesetzes erfolgen. Problematisch ist hierbei, dass das besagte Um- weltgesetz115 vor der Verfassungsänderung und Erlass des Gesetzes über die Rechte der Mut- ter Erde und des Rahmengesetzes in Kraft trat und auch später nicht entsprechend adaptiert worden ist. Da Art 220 des Gesetzes über Bergbau und Metallurgie spezifisch auf umwelt- rechtliche Vorschriften und nicht auf die Natur bzw Mutter Erde Bezug nimmt, ist das Gesetz über die Rechte der Mutter Erde nicht zu berücksichtigen.116Durch das Gesetz über Bergbau und Metallurgie werden bereits erteile Lizenzen aufrechterhalten. Eine weitere Lizenz bzw Auflagen für die Nutzung von Wasserressourcen ist dem Gesetz nach nicht erforderlich, mit der Konsequenz, dass 2014 in Summe 1.848 Flüsse und 39 Seen sich in Bergbaugebieten be- fanden.117 Der einst zweitgrößte See Boliviens, Poopó, ist durch extensive Bergbauarbeiten mittlerweile fast vollständig ausgetrocknet.118

Die bolivianische Regierung investierte auch – ungeachtet der Rechte der Natur – intensiv in die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen in geschützten Gebieten indigener Völker. Die Verordnung 2366 119genehmigte Probebohrungen in mehr als 60 Naturschutzgebieten und in 22 Nationalparks. Die Verordnung wurde durch weitere Regierungserlässe ergänzt und auf diesem Wege die Öl- und Gasförderungen in den Amazonasgebieten und der Region Gran Chaco ausgebaut.120

Nebst dem Ausbau des Abbaus von Öl- und Gasvorkommen und anderen Rohstoffen, in- vestierte die Regierung unter Morales in den Bau einer Autobahn durch die Gebiete des Isi- boro Sécure National Parks und durch indigene Gebiete, Territorio Indígena y Parque Nacio- nal Isiboro Sécure („TIPNIS“). Dieses Straßenbauprojekt wurde ohne Konsultation der be-


110 Art 3 Resolution 61/295. Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker.

111 Ibid Art 4.

112 Ibid Art 8 Abs 2b.

113 Ley 535 de Minería y Metalurgia.

114 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (419 mwN).

115 Ley de Medio Ambiente No 1333 (1992).

116 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (414 mwN).

117 Ibid 419 mwN.

118 Howard, ‘Bolivia’s Second Largest Lake Has Dried Out: Can It Be Saved?’, National Geo- graphic, 21.1.2016, https://www.nationalgeographic.com/news/2016/01/160121-lake-poopo-bolivia- dried-out-el-nino-climate-change-water/ (Abfrage: 21.4.2020); vgl auch Calzadilla/Kotzé, Transna- tional Environmental Law (2018) 397 (419 mwN).

119 Supreme Decree 2366, 15.5.2015.

120 Calzadilla/Kotzé, Transnational Environmental Law (2018) 397 (419 mwN).


troffenen indigenen Bevölkerung und ohne Umweltverträglichkeitsprüfungen gestartet. Nach Massenprotesten kam es 2011 zu einem vorläufigen Baustopp, 2017 wurde der Schutz des Nationalparks allerdings per Gesetz aufgehoben und der Straßenbau fortgesetzt. Bolivianische Indigene versuchten allerdings ihre Rechte nicht vor bolivianischen Gerichten geltend zu ma- chen, sondern wandten sich an das Internationale Tribunal für die Rechte der Natur, ein von diversen NGOs gegründetes Tribunal der Zivilgesellschaft, das sich für die Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Rechte der Mutter Erde einsetzt. Die Erklärung sowie das Tribu- nal sind reine zivilgesellschaftliche Instrumente und somit ohne Rechtswirkung. Das aus Ju- risten zusammengesetzte Tribunal überprüft und urteilt jedoch über konkrete Fälle mit ent- sprechender politischer Wirksamkeit. Das Tribunal kam nach Überprüfung im Jahre 2019 in seinem Urteil zu dem Schluss, dass Bolivien durch das Straßenbauprojekt die Rechte der Mutter Erde sowie der dort wohnhaften indigenen Völker verletzt hat und ordnete eine Reihe von Sofortmaßnahmen an.121 Noch hat diese Entscheidung keine faktischen Konsequenzen gebracht, auch von einer Einleitung eines offiziellen Gerichtsverfahrens unter Verwendung dieses Urteils ist bis dato nichts bekannt.

II.         Uganda

Art 39 der 1995 in Uganda erlassenen Verfassung enthält das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt, ein sog Menschenrecht der dritten Generation. Im Zuge einer Reform des nationalen Umweltrechts erließ Uganda im Februar 2019 ein vollständig neues Umweltgesetz und anerkannte darin die Eigenrechte der Natur.

Neben der Anerkennung des Rechtes auf eine gesunde Umwelt in Art 3 wird in Art 4 die Natur selbst als Rechtssubjekt definiert. Diesbezüglich wird in Art 4 Abs 1 festgehalten, dass die Natur ein Recht hat zu existieren, fortzubestehen, vollständig erhalten zu bleiben und sich in ihren Zyklen zu regenerieren und zu entfalten. Art 2 erteilt jeder Person das Recht, diese Eigenrechte gerichtlich geltend zu machen. Gem Art 3 ist die Regierung verpflichtet, vorbeu- gende Maßnahmen zum Schutz der Zerstörung von Spezies und Ökosystemen vorzunehmen. Art 3 Abs 4 schränkt den stark formulierten Abs 1, in welchem die Eigenrechte der Natur an- erkannt werden, wiederum ein, indem per Verordnung durch den zuständigen Minister festzu- legen ist, welchen Teilen der Natur die Rechte des Art 3 Abs 1 konkret zugutekommen. Anzumerken ist, dass das Gesetz lediglich von Natur und nicht von der Natur als Person oder als Lebewesen spricht. Eine Definition der Natur selbst ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.122 Die rechtlichen Implikationen des 2019 erlassenen Gesetzes sind abzuwarten. Unter der indi- genen Bevölkerung, wie bspw den Bagungu wird das Gesetz als großer Erfolg und Anerken- nung ihrer Lebensweise gefeiert.123

 

 


121 International Tribunal for the Rights of Nature, Commission Report in situ: Case of Tipnis, 14.1.2019; abrufbar unter https://www.movementrights.org/wp/wp-content/uploads/2019/01/Report- TIPNIS-Commission-pdf-blue.pdf (Abfrage: 7.12.2021).

122 The National Environment Act, 2019, https://nema.go.ug/sites/all/themes/nema/docs/National

%20Environment%20Act,%202019%20(1).pdf (Abfrage: 21.4.2020).

123 Rhoades, Reviving nature and culture in Uganda, Ecologist, 2.4.2020, https://theecologist.org/ 2020/apr/02/reviving-nature-and-culture-uganda (Abfrage: 22.4.2020).


D.         Eigenrechte der Natur auf föderalistischer Ebene Mexiko

In Mexiko wurde die Natur als Rechtssubjekt nicht auf Bundesebene aber auf föderalisti- scher Ebene anerkannt. Dies einerseits im Rahmen des Umweltgesetzes von Mexiko Stadt, und andererseits in der Verfassung des Bundesstaates Guerrero.

Art 5 Abs 4 der mexikanischen Bundesverfassung anerkennt das Recht auf eine gesunde Umwelt zum Zwecke der persönlichen Entwicklung der Bürger*Innen und dem allgemeinen Wohlbefinden. Die Verfassung des Bundesstaates Guerrero hingegen sieht in Art 2 vor, dass der Bundesstaat die Naturrechte in den jeweiligen Rechtsvorschriften zu garantieren und zu schützen hat. Eine über Art 2 hinausgehende Konkretisierung findet sich jedoch nicht.124

Das Umweltgesetz der Stadt Mexiko ist demgegenüber etwas ausführlicher ausformuliert: Art 86 Bis 1–6 anerkennen die Erde als dynamischen Aufbau von Lebenssystemen und Lebe- wesen, die miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. In Art 82 Bis 2 ist festge- halten, dass auch menschliche Gemeinschaften ein Teil dieses Lebenssystems darstellen und mit der Natur interagieren. Art 83 Bis 3 anerkennt die Erde als kollektive Einheit, deren Schutz im öffentlichen Interesse liegt und für diese Einheit alle Einwohner gem Art 86 Bis 5 Verantwortung tragen. Diese Pflichten werden in Art 86 Bis 5 genau aufgelistet und umfassen die Erhaltung der natürlichen Vielfalt, der Sauberkeit des Wassers und der Luft, die Pflicht zur Wiederherstellung von Ökosystemen und die Pflicht die Umwelt frei von Verunreinigungen zu halten. Art 86 Bis 6 verpflichtet die Politik und die öffentliche Hand zur Entwicklung von Maßnahmen und Strategien zum Schutz der Erde und zur Bekämpfung des Klimawandels.125 Die Gesetzespassagen sind dem Aufbau und Inhalt nach eher an Umweltschutzbestimmungen orientiert, da sie keine Regelungen über die Implikation der Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt enthalten sowie offengelassen wird, wer die Umsetzung dieser Rechte im Namen der Natur rechtlich einfordern kann. Es sind keine aus diesen Gesetzesbestimmungen resultierenden Gerichtsfälle und weitere Implikationen bekannt.

 

E.         Eigenrechte    der   Natur   auf   Gemeindeebene      Vereinigte Staaten von Amerika, Brasilien

In folgenden Staaten erfolgte die Anerkennung der Natur auf lokaler Ebene (Gemeinde, Bezirk) und ist somit auch vor dem Hintergrund einer verfassungsrechtlich gewährten Selbst- verwaltung zu betrachten.

I.             Vereinigte Staaten von Amerika

Losgelöst von indigenen Traditionen wurde der Paradigmenwechsel von einer anthropo- zentrischen zur einer ökozentrischen Weltsicht erstmalig in den Vereinigten Staaten – primär auf Gemeindeebene – thematisiert und realisiert.


124 Constitución Política Del Estado Libre Y Soberano De Guerrero, 8.11.2016, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload665.pdf (Abfrage: 20.4.2020).

125 Constitución Política De La Ciudad De México, Artículos aprobados por el Pleno de la Asam- blea Constituyente hasta el 24 de enero de 2017, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/ upload687.pdf (Abfrage: 20.4.2020).


1.       Entstehungsgeschichte

Überlegungen betreffend die Umsetzung der Eigenrechtlichkeit Natur in ausschließlich westlich orientierten Rechtssystemen fußen im Wesentlichen auf Prof. Christopher Stone 1972 verfassten Aufsatz Should trees have standing, welcher im Verfahren Sierra Club v Morton vor dem Verfassungsgerichtshof durch den Verfassungsrichter Douglas in seiner ab- weichenden Meinung zitiert wurde.126

In diesem mittlerweile weltberühmten Aufsatz argumentiert Stone, dass die Natur ähnlich wie Unternehmen, Stadtverwaltungen oder Universitäten das Recht haben sollte, ihre eigenen Rechte zu vertreten. Stone führte diesbezüglich aus, dass es dem Rechtsystem nicht fremd sei, neue Rechtsubjekte anzuerkennen und verwies ua auf die Entwicklung von Kinderrechten oder die rechtliche Gleichstellung von Frauen. Darüber hinaus kenne das Rechtsystem zahlreiche nicht menschliche Rechtsträger, wie Stiftungen, Gesellschaften und Staaten. Auch die Tatsache, dass ein Rechtssubjekt nicht in der Lage sei, sich zu artikulieren, schmälere per se seine Rechte nicht. Stone verwies diesbezüglich auf das Konstrukt von rechtlichen Vertretern wie bspw im Falle geistig beeinträchtigter Menschen. Dieses Konstrukt des Vormunds sollte auch im Falle der Natur, die nicht für sich selbst sprechen kann, zur Anwendung kommen.127 Stone plädierte nicht für die Erteilung von Rechten gleich einer menschlichen Person, dies auch in Referenz zu Gesellschaften, die ebenso nicht über dieselben Rechte wie Menschen verfügen.128 Erforderlich sei aber, so Stone, das Recht, die eigenen Interessen vor Gericht vertreten zu können, wobei Stone diesbezüglich auf Eingriffe in die Existenz der Natur und damit verbundene Schäden verwies. 129 Die Erteilung von Eigenrechten der Natur würde letztlich nach Stone auch eine Veränderung des gesamten Rechtssystems mit sich bringen,130 eine Änderung, die angesichts der wissenschaftlich prognostizierten Gefährdung des Planeten durch den Klimawandel im Interesse der Menschen sei.131

Die abweichende Meinung des Verfassungsrichters Douglas, welcher sich auf Stone be- zog, betraf die Frage, ob die gemeinnützige Organisation Sierra Club das Recht haben sollte die Bewilligung für den Bau eines Disney Ski Resort im Sierra Nationalpark aus Umwelt- schutzgründen zu bekämpfen. Im Unterschied zu der Mehrheitsentscheidung des Verfas- sungsgerichtshofes vertrat Douglas bezugnehmend auf Stone die Meinung, dass diejenigen, die eine enge Beziehung zu gefährdeten Objekten haben, das Recht haben sollten, als deren


126 U.S. Supreme Court, Sierra Club vs Morton, 405 U.S. 727 (1972).

127 Stone, Should Trees Have Standing? Revisited: How Far Will Law And Morals Reach? A Plu- ralist Perspective, Southern California Law Review (1972) 450.

128 Ibid 457: „Now, to say that the natural environment should have rights is not to say anything as silly as that no one should be allowed to cut down a tree. ·We say human beings have rights, but-at least as of the time of this writing-they can be executed.28 Corporations have rights, but they cannot plead the fifth amendment;29 In re Gault gave 15-year-olds certain rights in juvenile proceedings, but it did not give them the right to vote. Thus, to say that the environment should have rights is not to say that it should have every right we can imagine, or even the same body of rights as human beings have. Nor is it to say that everything in the environment should have the same rights as every other thing in the environment.

129 Ibid 482.

130 Ibid 489.

131 Ibid 492.


rechtliche Vertreter aufzutreten.132 Diese abweichende Meinung bewirkte zwar eine Stärkung der Bewegung für Eigenrechte der Natur, hatte jedoch keinen Einfluss auf die weitere Judika- tur des Verfassungsgerichtshofes. So entschied der Verfassungsgerichtshof in Lujan vs Natio- nal Wildlife Federation (Lujan I),133 dass aus der unmittelbaren räumlichen Nähe zu öffent- lichem Grund den Beschwerdeführern kein prozessuales Recht erwachse, gegen Bergbau- arbeiten auf diesem Gebiet rechtlich vorzugehen. In Lujan II134 hielt der Verfassungsgerichts- hof weiters fest, dass das Gesetz zum Schutz von gefährdeten Tierarten135 einzelnen Bür- ger*Innen kein Recht verleihe, für den Schutz dieser Tiere vor Gericht einzutreten, so ihnen oder ihrem Unternehmen daraus kein Schaden erwachse.

Angesichts der rechtlichen Barriere der Zuständigkeit verlagerte sich die Debatte be- treffend Eigenrechtlichkeit der Natur auf die Gemeindeebene. In Reaktion auf lokale, indust- riell verursachte Umweltverschmutzungen wurden Gemeindeverordnungen bzw Gemeinde- verfassungen136 erlassen, welche diverse industrielle Aktivitäten auch unter Anerkennung von Eigenrechte der Natur untersagten.137 Maßgeblich unterstützt wurden sämtliche lokale Be- wegungen, inklusive die erste, die Eigenrechte der Natur anerkennende Verordnung, hierbei vom Community Environmental Legal Defense Fund (CELDF).138

 


132 US Supreme Court. Sierra Club vs Morton, 405 U.S. 727, 741–45 (1972), Auszug der abwei- chenden Meinung von Douglas, J.: „The critical question of standingwould be simplified and also put neatly in focus if we fashioned a federal rule that allowed environmental issues to be litigated before federal agencies or federal courts in the name of the inanimate object about to be despoiled, defaced, or invaded by roads'and bulldozers and where injury is the subject of public outrage. Contemporary public concern for protecting nature's ecological equilibrium should lead to the conferral of standing upon environmental objects to sue for their own preservation…. Inanimate objects are sometimes parties in litigation. A ship has a legal personality, a fiction found useful for maritime purposes. The corporation sole-a creature of ecclesiastical law-is an acceptable adversary and large fortunes ride on its cases. The ordinary corporation is a personfor purposes of the adjudicatory processes, whether it represents proprietary, spiritual, aesthetic, or charitable causes. So it should be as respects valleys, alpine meadows, rivers, lakes, estuaries, beaches, ridges, groves of trees, swampland, or even air that feels the destructive pressures of modem technology and modem life. The river, for example, is the living symbol of all the life it sustains or nourishes-fish, aquatic insects, water ouzels, otter, fisher, deer, elk, bear, and all other animals, including man, who are dependent on it or who enjoy it for its sight, its sound, or its life. The river as plaintiff speaks for the ecological unit of life that is part of it. Those people who have a meaningful relation to that body of water-whether it be a fisherman, a canoeist, a zoologist, or a loggermust be able to speak for the values which the river represents and which are threatened with destruction. Those who have that intimate relation with the inanimate object about to be injured, polluted, or otherwise despoiled are its legitimate spokesmen.

133 U.S Supreme Court, Lujan vs Nat’l Wildlife Fed’n, 497 U.S. 871, 871 (1990); vgl auch Schaefer, The Standing of Nature: The Delineated Natural Ecosystem Proxy, George Washington Journal of Energy & Environmental Law (2018), https://gwjeel.com/2018/04/18/the-standing-of-nature-the-delineated-natural-ecosystem-proxy/ (Abfrage: 23.4.2020).

134 U.S Supreme Court, Lujan vs Defs. of Wildlife, 504 U.S. 555, 555 (1992).

135 Endangered Species Act.

136 Sog Community Bill of Rights”.

137 Sog Ordinances”.

138 Fitz-Henry, Challenging Corporate „Personhood“: Energy Companies and the „Rights” of Non-Humans, Political and Legal Anthropology Review (2018) 85 (90). CELDF, https://celdf.org/2015/08/tamaqua-borough/ (Abfrage: 12.4.2020).


Die erste Gemeinde, die diesen Schritt wagte, war 2006 Tamaqua Borough, Pennsylva- nia, eine ehemalige Kohleregion, deren nunmehr unbenützten Gruben von Kohleunternehmen zur Entsorgung von Klärschlamm verwendet wurden. Diese Aktivitäten hatten eine Vergif- tung der umliegenden Flüsse und Gewässer und eine damit verbundene Gesundheitsgefähr- dung der lokalen Bevölkerung zur Folge, die letztlich auch zum Tod mehrere Kinder führte. 139 Um die Region und die Bevölkerung zu schützen, erließ Tamaqua eine Klär- schlammverordnung, mit dem Ziel, Unternehmen die Nutzung des Landes für die Ablagerung und Entsorgung von Klärschlamm zu untersagen. In dieser Untersagung berief man sich auch auf eine Anerkennung von Ökosystemen als Personen.140 2007 erließ Tamaqua eine weitere Verordnung zur Untersagung der Entsorgung von Giftmüll.141

Die Verordnung in Tamaqua dient nicht nur (in Teilen) als Vorlage der neuen Verfassung Ecuadors, 142 sondern auch zahlreichen US-amerikanischen Gemeinden und Bezirken als Inspiration: So folgten ua 2008 die Gemeinden Halifax (Vermont), Mahanoy (Pennsylvania), Nottingham (New Hampshire), 2009 Newfield (New Jersey), 2010 Licking, Packer, Wales (New York), 2011 Baldwin, Forest Hills, State College, W. Homestead (Pennsylvania), Mountain Lake Park (Massachusetts), 2012 Broadview Height und Yellow Spring (Ohio), Mora County (New Mexico), Santa Monica (Kalifornien), 2017 Lincoln County (Oregon) sowie 2018 Crestone (Colorado). 2010 erließ Pittsburgh (Pennsylvania) als erste Stadt eine Verordnung zur Untersagung von Fracking.143 2014 erließen Mendocino (Kalifornien), Grant Township (Pennsylvania) entsprechende Gemeindeverfassungen, die Verfassung von Columbus (Central Ohio) ist derzeit noch in der Fertigstellung. Die Verordnungen wurden alle in Reaktion auf industriell verursachte Umweltbelastungen wie die Ablagerung von Giftmüll sowie gegen Fracking, insb aufgrund der damit verbundenen, eingebrachten giftigen Chemikalien erlassen. Alle Verordnungen sowie Gemeindeverfassungen anerkennen die Eigenrechte der Natur.

Die Bewegungen auf Gemeindeebene inspirierten 2018 die Chippewa die Rights of Ma- noomin zur Anerkennung der Rechtspersönlichkeit von Wildem Reis und den Wasserressour- cen der White Earth Reservate. 2019 anerkannte der Yurok Stamm Eigenrechte des Klamath Flusses. 2019 erließ Toledo (Ohio) erstmals eine eigene Verfassung für den Eriesee. Darüber hinaus existieren Bestrebungen Eigenrechte der Natur im Rahmen der Verfassung einzelner

 

 

 

 

 

 

 


139 Community Environmental Legal Defense Fund (CELDF), Tamaqua Borough, Pennsylvania, https://celdf.org/2015/08/tamaqua-borough/ (Abfrage: 22.4.2020).

140 Tamaqua Borough, Schuylkill County, Pennsylvania, Verordnung 612 (2006),

141 Community Environmental Legal Defense Fund (CELDF), Tamaqua Borough, Pennsylvania, https://celdf.org/2015/08/tamaqua-borough/ (Abfrage: 22.4.2020).

142 Kauffman/Martin, World Development (2016) 130 (132).

143 Hydraulic Fracturing oder kurz Fracking bezeichnet eine (neue) Methode zur Gewinnung von Gas und Öl aus Lagerstätten in sehr tiefem Untergrund.


Bundesstaaten anzuerkennen. 144 Sämtliche dieser Gemeindeverordnungen wurden von den betroffenen Unternehmen bekämpft.145

Losgelöst von den Bestrebungen auf Gemeindeebene beantragten Umweltorganisationen 2017 die rechtliche Anerkennung des Colorado Flusses in einem separaten Verfahren vor Gericht. Im Wesentlichen wurde dieser Antrag damit begründet, dass die gegenwärtigen Um- weltschäden des Flusses durch die Anerkennung des Flusses als reines Rechtsobjekt ermög- licht werden und diese Rechtsansicht somit dramatische Umweltschäden mit sich brächte.146 Dieser Antrag wurde letztlich aufgrund von massivem Druck auf die Anwälte zurückgezo- gen.147

2.       Rechtliche Implikation

Da die Anerkennung der Eigenrechte primär als Reaktion auf lokale, industriell verur- sachte Umweltverschmutzungen erfolgte, ist die Diskussion rund um die Eigenrechtlichkeit der Natur auch Ausdruck für einen – in den Vereinigten Staaten nicht untypischen – Kampf gegen die Macht von Konzernen.148 Die Anerkennung von Unternehmen als Rechtssubjekte und die damit verbundene Macht wird daher oftmals in gerichtlichen Verfahren gegen diesel- ben als Argument für eine Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt angeführt.149

Die Diskussion rund um diese Gesetzgebungsakte sowie die Relevanz derselben spielt sich auch vor dem Hintergrund einer bereits vor Gründung der Vereinigten Staaten bestehenden Debatte rund um Umfang und Ausmaß des Kompetenzbereiches der lokalen Selbst- verwaltung ab. Dieser Kontext ist für das Verständnis der rechtlichen Umsetzung der Eigen- rechte auf lokaler Ebene sowie die darauffolgenden Rechtsstreitigkeiten wesentlich.

Grundsätzlich sind zwei Positionen zu unterscheiden: Einerseits die sog Home Rule, wo- nach Gemeinden sehr wohl ermächtigt sind, spezifischere und strengere Regelungen als der Bund bzw Bundesstaaten für ihre Bürger*Innen zu erlassen und diese Regelungen im Zweifel vorrangig gelten.150 Demgegenüber steht die sog Dillon’s Rule, die sich aufgrund der Ent- scheidung des Verfassungsrichter Dillon ua in Clinton v Cedar Rapids and the Missouri River

 

 


144 Diesbezügliche Bestrebungen gibt es ua in Colorado, New Hampshire, Oregon. CELDF, Ad- vancing Legal Rights of Nature: Timeline, https://celdf.org/advancing-community-rights/rights-of- nature/rights-nature-timeline/ (Abfrage: 16.4.2020)

145 Schromen-Wawrin/Newman, Nature's Rights through Lawmaking in the United States in La Folette/Maser (Hrsg), Sustainability and Rights of Nature in practice (2020) 331.

146 Colorado River Ecosystem vs State of Colorado, Complaint for Declaratory and Injunctive Re- lief [hereinafter Amended Complaint], Colorado River Ecosystem vs State (filed Nov. 3, 2017) (No 1:17-cv-02316-NYW); vgl auch Climate Case Chart (2017), http://climatecasechart.com/case/ colorado-river-ecosystem-v-state-colorado/?cn-%20reloaded=1(Abfrage: 22.4.2020).

147 Spitz/Peñalver, Nature’s Personhood and Property’s Virtues, 45 Harvard Environmental Law Review 67 (2021), verfügbar unter: https://digitalrepository.unm.edu/law_facultyscholarship/838 (Ab- frage: 9.12.2021)

148 Fitz-Henry, Political and Legal Anthropology Review (2018) 85 (88).

149 Ibid 90.

150 Spitzer, „Home Rule“ vs „Dillon's Rule“ for Washington Cities, 38 Seattle U. L. Rev. (2015) 809 (820).


Railroad151 und mit Hunter v Pittsburgh152 als herrschende Rechtsansicht etablierte. Gemäß Dillon bestehen Gemeinden nur aufgrund der Gesetze der Bundesstaaten und können daher nur im Rahmen der ihnen von den Staaten ausdrücklich erteilten Ermächtigung des Bundes agieren. Gemeinden sind daher nicht ermächtigt, strengere Regelungen als die einzelnen Staaten, geschweige denn als der Bund zu erlassen.153

Der Rechtsstreit zwischen diesen beiden Positionen war jedoch nicht vollständig beseitigt und insb zu Beginn des zwanzigstens Jahrhunderts kam es vermehrt zu Forderungen nach mehr lokaler Macht. Basierend auf dem Grundsatz von Home Rule entstand eine Bewegung unter Bundesstaaten, Gemeinden durch ihre Verfassungen zur (teilweisen) eigenständigen Selbstverwaltung zu ermächtigen. Eigenmächtige Gemeindeerlässe werden von Gerichten allerdings nach wie vor nur auf Basis einer konkreten bundesstaatlichen Ermächtigung aner- kannt. Mehrheitlich stammen die Natur als Rechtssubjekt anerkennenden Verordnungen aus Gemeinden in Home Rule Bundesstaaten.154

3.       Gesetzliche Ausgestaltung

Die Umsetzung der Eigenrechte der Natur im Rahmen von Gemeindeverordnungen bzw Gemeindeverfassungen wurde von jeder Gemeinde individuell ausgestaltet, sie folgt jedoch meist einem gewissen Schema. Exemplarisch werden zwei Verordnungen sowie die Bill of Rights des Eriesees analysiert.

Die erste Gemeindeverordnung, welche zur Verhinderung des Einbringens von Klär- schlamm 2006 in Tamaqua Borough erlassen wurde, stellt primär ein Verbot von unterneh- merischen, potentiell gesundheitsgefährdenden Aktivitäten dar. Das Verbot wird ua mit einer in der Verordnung enthaltenen Anerkennung der Eigenrechte der Natur begründet. Der für die Verordnungen typische Aufbau beginnt mit einer Auflistung der aus Sicht der Ge- meinde relevanten verfassungsrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Bundesstaates, im Fall von Tamaqua das Recht zur Ausübung gewährter Bürgerrechte und der vorgesehene Schutz der Umwelt. In der Folge wird Bezug auf Ermächtigungen der Gemeinde, eigene An- gelegenheiten wirksam zu regeln, genommen. Im Fall von Tamaqua sieht der Borough Code das Recht zur Erlassung von Gemeindeverordnungen zum Schutz der Gesundheit, Sauberkeit, des allgemeinen Wohlbefindens und ähnlichen öffentlichen Interessen vor. Der Borough Code ermächtigt weiters zur Untersagung von Geschäftsaktivitäten und Vorhaben, welche schädlich oder gefährdend für die Bevölkerung sein könnten. Bezugnehmend auf diese Bestimmungen sowie Abfallwirtschaftsregelungen untersagt die Klärschlammverordnung die Nutzung sowie Weitergabe von Landflächen zum Zwecke der Entsorgung von Klärschlamm. Gem § 5 der V sind unter Personen alle Personen oder Gemeinschaften zu verstehen, die keine Unternehmer iSd V sind. Eine Differenzierung auf Ebene der Personen erfolgt also ausschließlich zwischen Unternehmer- und Nichtunternehmern. Art 7 Abs 6 ergänzt weiteres,


151 City of Clinton vs Cedar Rapids & Mo. River R.R. Co., 24 Iowa 455, 475, 479 (1868).

152 U.S. Supreme Court, Hunter vs Pittsburgh, 207 U.S. 161 (190).

153 Spitzer, „Home Rule“ vs „Dillon's Rule“ for Washington Cities, 38 Seattle U. L. Rev. (2015)

820.

154 Schromen-Wawrin/Newman, Nature's Rights through Lawmaking in the United States in La

Folette/Maser (Hrsg), Sustainability and Rights of Nature in practice (2020) 331.


dass auch Ökosysteme und Naturgemeinschaften als Bürger iSd V anzusehen sind und ihnen dieselben Bürgerrechte wie allen anderen Bürger zuzuerkennen sind. Die V unterscheidet sohin nicht zwischen den Einwohnern von Tamaqua, Ökosystemen und natürlichen Gemein- schaften. Gem Art 7 Abs 7 der V besitzen alle Bürger das Recht auf eine gesunde Umwelt, worunter auch saubere Luft, Wasser, Boden, Flora und Fauna zu verstehen ist.155

Über einen ähnlichen Aufbau verfügt bspw auch die Verordnung von Mora County, die den Schutz der natürlichen, örtlichen Wasserressourcen bezweckt. Mora County ist ein Bezirk in New Mexico und ebenfalls ein Home Rule Bundesstaat. Somit anerkennt der Bundesstaat grundsätzlich die Kompetenz der Gemeinden/Bezirke, im Rahmen der Selbstverwaltung strengere Gesetze als Bundesstaaten und Bund zu verfassen.156

Wie in der Verordnung in Tamaqua werden zunächst verfassungsrechtliche Bestimmun- gen des Bundesstaates New Mexico als Grundlage angeführt. Konkret werden dann Bestim- mungen erlassen, die zum Schutz der Wasserressourcen jegliche Form von Fracking oder andere Gewinnungsarten von Öl, Gas und anderen Kohlenwasserstoffen untersagen. Im Unterschied zur Tamaqua-V führt die V konkrete Rechte der Bürger wie das Recht auf Was- ser, das Recht auf Wasser für die Landwirtschaft, das Recht auf nachhaltige Energiezukunft etc an, so auch unter Art 4 Abs 3 die Eigenrechte von Naturgemeinschaften und Ökosystemen, die konkreter umschrieben werden. Das Recht in Art 4 Abs 3 beinhaltet das Recht dieser, nicht durch Öl- und Gasförderung in ihrer Existenz beeinträchtigt zu sein. Art 4 Abs 3 sieht vor, dass alle Bürger in Mora County das Recht haben Ökosysteme und Naturgemeinschaften rechtlich zu vertreten. Im Unterschied zur KlärschlammV in Tamaqua Borough nimmt die Präambel ausdrücklich auf die indigene Wurzeln der Bürger in der Region Bezug. Im Gegensatz zu Tamaqua enthält Art 12 auch die ausdrückliche Aufforderung an den Bundesstaat, die Verfassung entsprechend zu verändern, um die Rechte der Gemeinden auf eine strengere Selbstverwaltung explizit zu verankern.157 In Tamaqua wird in Bezug auf die Kompetenz der Gemeinden, strengere Verordnungen zu erlassen, auf die konkrete Gesetzgebung des Bundesstaates im Rahmen des Borough Code verwiesen.158

Im Gegensatz zu diesen beiden Gemeindeverordnungen verleiht die Lake Erie Bill of Rights („LEBOR”) ausschließlich dem Eriesee und dem damit verbundenen Wassereinzugs- gebiet eigene Freiheitsrechte. Bezugnehmend auf die gegenwärtigen Umweltprobleme und die Gefahr einer irreversiblen Zerstörung hält die Stadt fest, dass aufgrund dieses Notstandes der Erlass neuere Regelungen unabdingbar ist. Aus diesem Grund erklärt die Stadt Toledo mittels dieser Bill of Rights den Eriesee zur eigenen Rechtsperson.159 Die Rechte des Sees in Art 1a enthalten das Recht auf dessen Existenz, das Recht zu gedeihen und sich natürlich zu entfalten. Der See wird als Ökosystem anerkannt, zu dem Organismen, der Boden, das Unter-


155 Tamaqua Borough, Schuylkill County, Pennsylvania Ordinance No 612 of 2006.

156 Lang, Dillon's Rule And The Birth Of Home Rule, the Municipal Reporter (1991), https://nmml.org/wp-content/uploads/dillon.pdf (Abfrage: 16.4.2020).

157       State       of      New      Mexico,      County      of      Mora,       Ordinance      2013-01. http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload682.pdf (Abfrage: 25.3.2020).

158 Art 2 Tamaqua Borough, Schuylkill County, Pennsylvania Ordinance No 612 of 2006.

159 Schromen-Wawrin/Newman, Nature's Rights through Lawmaking in the United States in La Folette/Maser (Hrsg), Sustainability and Rights of Nature in practice (2020).


wasserleben sowie ein Wassereinzugsgebiet zählen. Neben den Rechten des Sees werden folglich in Art 1b die Rechte der Bürger von Toledo auf eine gesunde und saubere Umwelt, sowie in Abs 1c und 1d das Recht auf Selbstverwaltung festgehalten. Art 2 untersagt Unter- nehmen und Regierungen eine Verletzung dieser Rechte und hält fest, dass jegliche seitens des Bundesstaates oder des Bundes ausgestellte Genehmigung, welche im Widerspruch zu diesen Rechten steht, keine Gültigkeit innerhalb des Großraumes von Toledo hat. Die Stadt sowie alle Bürger*Innen sind gem Art 3 jeweils ermächtigt, die Einhaltung dieser Rechte gerichtlich geltend zu machen.160

4.       Praxis und Rechtsprechung

Einer der bekanntesten und anschaulichsten Fälle betraf den Eriesee. Im Sommer 2014 war die Region Toledo von einer historischen Wasserversorgungskrise betroffen. Die Kom- bination aus steigenden Temperaturen und industrielandwirtschaftlich verursachtem Abfall (phosphathaltiger Dünger) bewirkte eine Zunahme von Algen (inklusive giftigen Algenblüten) im See, der Toledos Trinkwasserversorgung darstellt. Es kam zu massiven Einschränkungen der öffentlichen Trinkwasserversorgung, welche auch eine vorübergehende Schließung von Unternehmen und Restaurants zur Folge hatte. Um die Gesundheit der Bevölkerung aber auch den See selbst zu schützen, erließ die Stadt Toledo 2019 schließlich eine Bill of Rights für den Eriesee und anerkannte auf diesem Wege auch dessen Eigenrechte. Ein Tag nach Erlass dieser Bill of Rights im Rahmen eines Referendums brachte eine familienbetriebene Landwirtschaft einen Antrag auf Aufhebung dieser Bill of Rights wegen Verfassungswidrigkeit ein. 161

Die Drewes Familie gewann in der ersten Instanz, die Stadt Toledo legte allerdings Beru- fung ein, Verfahren ist derzeit noch anhängig. Das Gericht erster Instanz erklärte die Bill of Rights für verfassungswidrig und sohin nichtig, im Wesentlichen mit der Argumentation, dass die gewährten Rechte zu vage formuliert seien. Das Gericht vertrat somit auch die Ansicht, dass eine Stadt keine grundrechteähnlichen Rechte erlassen kann.162 Diese Entscheidung ver- anschaulicht die generelle Tendenz von Gerichten, eigenmächtige, lokale Satzungen bzw Ge- meindeordnungen nicht per se anzuerkennen, dies auch vor dem Hintergrund einer generellen Debatte betreffend den Kompetenzbereich vor dem Hintergrund der Dichotomie von Dillon’s Rule und Home Rule.163

Ein weiteres, prominentes Verfahren betraf die Gemeinde Grant Township in Pennsylva- nia. 2014 erließ Grant Township eine Community Bill of Rights als Reaktion auf den seitens der staatlichen Umweltschutzagentur (Environmental Protection Agency „EPA“) zugunsten


160 Lake Erie Bill of Rights, https://beyondpesticides.org/assets/media/documents/ LakeErieBillofRights.pdf (Abfrage: 22.4.2020).

161 McDonough, Will the River Ever Get a Chance To Speak? Standing Up For the Legal Rights of Nature, Nature, 31 Vill. Envtl. L.J. (2020) 144 (163). Schromen-Wawrin/Newman, Sustainability and Rights of Nature in practice (2020).

162 Drewes Farms Partnership vs City of Toledo, Case No 3:19 CV 434, Northern District Court of Ohio, Western Divison, https://www.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.ohnd.251736/ gov.uscourts.ohnd.251736.63.0.p (Abfrage: 16.4.2020).

163 Spitzer, „Home Rule“ vs „Dillon's Rule“ for Washington Cities, 38 SEATTLE U. L. REV. (2015) 809.


der Pennsylvania Energy Company („PGE“) genehmigten Schluckbrunnen zwecks Entsor- gung des beim Fracking entstandenen, giftigen Schmutzwassers. Die Bewohner von Grant Township waren diesbezüglich besorgt, dass dieses Schmutzwasser in die Little Mahoning Wasserscheide geraten und auf diesem Wege die Trinkwasservorräte der Gemeinde verun- reinigen könnte. Die Community Bill of Rights anerkannte nicht nur die Eigenrechte von Öko- systemen und Naturgemeinschaften, sondern auch der Little Mahoning Wasserscheide. Diese Eigenrechte beinhalten das Recht, schadhafte Umweltaktivitäten zu untersagen. Darüber hin- aus sah die Community Bill of Rights vor, dass jegliche Form von Abfallwirtschaft und Ent- sorgung resultierend aus der Öl- und Gasgewinnung untersagt sind.164

Zwei Monate nach Inkrafttreten dieser Community Bill of Rights verklagte PGE die Ge- meinde und beantragte die gerichtliche Aufhebung dieser Verordnung. Unter anderem wurde seitens PGE vorgebracht, dass die V verfassungswidrig sei, da sie natürlichen Personen mehr Rechte einräume als Unternehmen. CELDF unterstütze die Gemeinde und schloss sich dem Verfahren als Streitgenosse im Namen der Wasserscheide Little Mahoning an. Erstmalig mussten sich die amerikanischen Gerichte mit dem Verfahrensbeitritt eines Ökosystems aus- einandersetzen und somit auch mit der Frage, ob Little Mahoning das Recht hatte, diesem Verfahren als Streitgenosse beizutreten. Little Mahoning war von der Ableitung des giftigen Frackingschmutzwassers faktisch am stärksten betroffen.165

PGEs Argumente beruhten im Wesentlichen darauf, dass eine Wasserscheide das Mini- malerfordernis einer Person nicht erfülle, da es weder über Gewissen, Bewusstsein, Intelligenz noch die Fähigkeit sich zu artikulieren, verfüge.166 CELDF fokussierte sich in seiner Gegendarstellung darauf, dass ähnlich wie im Falle von Gesellschaften, anerkannte juristische Personen, die ebenso nicht über ein eigenes Bewusstsein, Intelligenz etc verfügen, das Konzept von Personen im rechtlichen Sinne erweitert werden müsse.167

Das Gericht verneinte Little Mahoning das Recht, dem Verfahren beizutreten und hob das durch die Community Bill of Rights verordnete Verbot des Schluckbrunnens für Schmutzwas- ser auf. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Gerichts erster Instanz und hielt fest, dass die V zum Schutze der Eigenrechte der Natur eine Verletzung verfassungsrechtlich ge- währleisteter Unternehmensrechte sei.168 Diesbezüglich führte das Gericht aus, dass es sich bei den Aktivitäten von PGE um legale, wirtschaftliche Handlungen von Unternehmern handle und ergänzte diesbezüglich, dass die amerikanische Verfassungsgerichtshof Unterneh-

 

 


164 Schromen-Wawrin/Newman, Sustainability and Rights of Nature in practice (2020) 331.

165 Dunne/Schromen-Wawrin, The Rights of Nature MovementEarth Law in the United States: Is This Land „My” Land? From Domination to Cohabitation, in Wolters Kluwer, Rechtshandbuch (Pub- likation in Vorbereitung Aspen Casebook Series, Earth Law: Emerging Ecocentric Law (2019).

166 Plaintiff’s Brief in Opposition to Motion to Intervene by Little Mahoning Watershed and East Run Hellbenders Society, Pennsylvania General Energy Co. vs Grant Township, No 2014-cv00209, ECF No 45 (W.D. Pa. December 8, 2014).

167 Reply to Plaintiff’s Opposition to Motion to Intervene by Little Mahoning Watershed and East Run Hellbenders Society, Inc., Penn. General Energy Co. vs Grant Twp., No 2014- cv00209, ECF No 54, at *10 (W.D. Pa. December 18, 2014).

168 Fitz-Henry, Political and Legal Anthropology Review (2018) 85 (95).


men seit mehr als 100 Jahren gleich Personen behandle und diese im Unterschied zur Natur somit über verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte verfügen.169

Losgelöst von den Initiativen und Verfahren auf Gemeindeebene wurde 2017 die Aner- kennung des Colorado River als Rechtsubjekt beantragt. 170 Das gegen den Bundesstaat Colorado initiierte Verfahren betraf die Feststellung der Eigenrechte des Colorado Flusses. Beantragt wurde den Fluss gleich einer Person als Rechtsträger und dessen Recht auf Existenz, Wachstum und Regeneration anzuerkennen. Eingebracht wurde der Antrag durch eine Umweltorganisation im Namen des Flusses und auf Basis des Grundsatzes „next friends“. Demnach können sich Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen, welche über keinen Sachwalter verfügen, sich vor Gericht durch Freunde vertreten lassen. Unter Druck des Generalbundesanwaltes, der den Anwälten mit Sanktionen wegen missbräuchlicher Verfah- rensführung androhte, wurde das Verfahren schließlich seitens der Umweltorganisation zu- rückgezogen.171

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt in den USA mehrheitlich in Reaktion auf lokale, industriell verursachte Umweltschäden erfolgte, die eine Bedrohung für die Gesundheit der dort ansässigen Bevölkerung darstellten. Eigenrechte der Natur werden demnach als ein Lösungsansatz im Kampf gegen Umweltver- schmutzung und Zerstörung von natürlichen Ressourcen wahrgenommen, der nunmehr von einer zunehmend wachsenden Bürgerbewegung unterstützt wird. Die rechtliche Debatte be- treffend Eigenrechte der Natur vermischt sich somit einerseits mit dem Kampf gegen multi- nationale und nationale Konzerne sowie mit der langjährigen Debatte um das Ausmaß und den Umfang des Kompetenzbereiches der lokalen Selbstverwaltung der Gemeinden.172

II.         Brasilien

Beginnend mit 2017 wurden in den drei Gemeinden Bonito, Paudalho und Florianopolis dreier unterschiedlicher Bundesstaaten die jeweiligen Gemeindeverfassungen dahingehend adaptiert, dass die Natur als Rechtsperson anerkannt wurde. Die Anerkennung in den jeweili- gen Verordnungen ist sehr ähnlich. Das Recht der Natur auf Existenz, Entfaltung und Ent- wicklung wird anerkannt, um allen Lebewesen, menschlich oder nicht-menschlich, ein Recht auf eine gesunde Umwelt und ein ausgeglichenes Leben zu gewähren. Die öffentliche Hand sowie alle Bürger haben das Recht, den Schutz von Ökosystemen für die jetzige als auch für zukünftige Generationen einzufordern und sicherzustellen. Die Gemeinde soll sich bemühen, die Rechte der Natur in entsprechenden Verordnungen sicherzustellen und ihren Bür-

 


169 Memorandum Opinion, Penn. General Energy Co vs Grant Twp., No 2014 – cv00209, ECF No 113, at * 16 (W.D. Pa. October 2014, 2015); vgl auch Fitz-Henry, Political and Legal Anthropology Review (2018) 85 (95).

170 Colorado River Ecosystem vs State of Colorado, Complaint for Declaratory and Injunctive Re- lief [hereinafter Amended Complaint], Colorado River Ecosystem vs State (filed Nov. 3, 2017) (No 1:17-cv-02316-NYW) vgl auch Climate Case Chart (2017), http://climatecasechart.com/case/ colorado-river-ecosystem-v-state-colorado/?cn-%20reloaded=1(Abfrage: 22.4.2020)

171 Spitz/Peñalver, Nature’s Personhood and Property’s Virtues, Legal Studies Research Paper Series (2020-01), Harvard Environmental Law Review (geplante Publikation 2021) mwN.

172 Dillon’s Rule vs Home Rule.


ger*Innen ein Leben im Einklang mit der Natur zu ermöglichen.173 Die Änderung der Ge- meindeverfassung in Paudalho hatte zur Folge, dass die Wasserquelle San Severino Ramos ein Jahr später per Verordnung ausdrücklich als Rechtssubjekt anerkannt wurde.174

Losgelöst von den Entwicklungen auf lokaler Ebene entwickelte das brasilianische Höchstgericht in einer Entscheidung 2019 einen ökologischen Judikaturansatz. Der Fall betraf die Verhängung von Ordnungsstrafen iZm der Misshandlung von Wildtieren. In die- sem Urteil anerkannte das Höchstgericht Tiere als Rechtssubjekte. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass in der brasilianischen Gesetzgebung die Bedeutung des Schutzes der Umwelt auch zur Wahrung von Grundrechten anerkenne. Die derzeit vorherrschende, menschlich verursachte Zerstörung der Umwelt erfordere nunmehr ein Umdenken hin zu ei- ner Anerkennung der Umwelt als Selbstzweck. Bezugnehmend auf die verfahrensgegenständ- liche Angelegenheit, nämlich die Misshandlung von Wildtieren, führte das Gericht aus, dass es an der Zeit sei, das anthropozentrische Konzept von der Würde der Tiere neu zu überdenken, anderenfalls Tiere in ihrer Existenz bedroht seien. Das Verbot der Verdinglichung sollte nicht nur für das menschliche Leben, sondern für alle anderen Lebensformen gelten. Das Gericht hielt fest, dass die Auffassung von der Natur als Ausdruck des Lebens es rechtlich ermögliche, den eigenen Wert der Umwelt und von nichtmenschlichen Wesen wie Tieren anzuerkennen. Deshalb verdiene sie Respekt und Fürsorge. Die Rechte und eigene Würde der Natur seien daher anzuerkennen. Mehrfach betonte das Gericht in seiner Entscheidung, dass die Beziehung zwischen Menschen und anderen Lebewesen neu überdacht werden muss und diese Entscheidung ein erster Schritt sei, um diese notwendigen Veränderungen aufzuzeigen und herbeizuführen.175

 

F.          Einzelne Eigenrechte der Natur Neuseeland, Australien, Indien, Bangladesch, Kolumbien, Belize

Im Unterschied zu den bisher geschilderten Umsetzungen wurden in den folgenden Län- dern ausschließlich einzelne Elemente der Natur, bevorzugt Flüsse, als Rechtssubjekte aner- kannt. Diese „Teilanerkennung“ ist nicht als Ablehnung einer Erteilung von Rechten an die Natur per se zu verstehen, sondern stellt vielmehr ein Ergebnis konkreter gerichtlicher und außergerichtlicher Rechtsstreitigkeiten einzelner Ökosysteme dar.

I.             Einzelrechte der Natur durch Gesetz Neuseeland

Die gesetzliche Anerkennung von Einzelrechten Neuseelands als Teil des Aussöhnungs- prozesses mit Neuseelands Ureinwohnern, kollektiv als Mãori bezeichnet, stellt die detaillier- teste Umsetzung von Eigenrechten der Natur dar und diente weltweit als Vorbild.

 


173 Vgl bspw Diário Oficial dos Municípios do Estado de Pernambuco ANO IX | No 2034, Per- nambuco, 8 de Março de 2018.

174 Estado de Pernambuco, Município de Paudalho, Gabinete do prefeito, LEI 878/2018.

175 Superior Tribunal De Justiça, Maria Angelica Caldas Uliana Vs. Fazenda Do Estado De São Paulo, Recurso Especial No 1.797.175 - Sp (2018/0031230-0). Die Zusammenfassung der Entschei- dung erfolgte durch die Autorin.


1.       Entstehungsgeschichte

Rund 170 Jahre dauerte der Streit zwischen den Mãori und der neuseeländischen Regie- rung176 über die Auslegung des Vertrages von Waitangi,177 der seinerzeit zwischen der briti- schen Krone und den Mãoris unterzeichnet wurde. Der Vertrag gilt als Gründungsdokument Neuseelands.178 Im Rahmen dieser Vereinbarung gaben die Mãori ihre Souveränität auf und wurden britische Bürger. Gleichzeitig wurde ihnen von der britischen Krone vertraglich zuge- sichert, ihr Land und all ihren Besitz behalten zu dürfen. Diskrepanzen über die Bedeutung dieses Vertrages hatten Unstimmigkeiten sowie letztlich die Neuseelandkriege von 1845– 1872 zur Folge. Inspiriert durch Bürgerrechtsbewegungen der westlichen Welt in den 1960er und 70er Jahren begannen die Mãori den Vertrag als Plattform für die Geltendmachung ihrer Rechte, die Rückgabe ihres verlorenen Landes und die Entschädigung für koloniale Verbre- chen zu nutzen. 1975 wurde das Waitangi Tribunal gegründet, bei dem Rechtsstreitigkeiten gemeldet werden können. Das Tribunal kann jedoch nur unverbindliche Empfehlungen abge- ben.179 1989 wurde eine eigene Einheit im Justizministerium geschaffen, um die Regierung in den Reparationsverhandlungen mit den Mãori zu beraten.180 Die Rückgabe von Land und die Anerkennung von den kulturellen und spirituellen Werten der Mãori war ein und ist ein wesentlicher Aspekt in diesen langwierigen Verhandlungen, die mit den einzelnen Stämmen individuell geführt wurden und werden.181

Von besonderem Interesse im Rahmen dieser Auseinandersetzungen rund um die Wiedergutmachung kolonialen Unrechtes war ua die Rückgabe des historisch umkämpften Whanganui Fluss. Dieser Fluss, unter den Mãori als Te awa tupua bezeichnet, ist für den Mãori Stamm der Whanganui Iwi von besonderer kultureller und spiritueller Bedeutung. Te awa tupua bedeutet, dass der Fluss ein eigenständiges Wesen und eine mit seiner Umgebung integrierte Einheit ist. So sehen sich die Whanganui Iwi als Teil dieses Flusses: „Ich bin der Fluss und der Fluss ist ich“ („Ko au te awa, ko te awa ko au“).182 Auch aufgrund seiner besonderen historischen Bedeutung wurde der drittgrößte Fluss Neuseelands zu einem der größten Streitpunkte in den Verhandlungen mit der neuseeländischen Regierung betreffend die Wiedergutmachung kolonialer Verbrechen.183 Im Jahr 2012 kam es zu einer ersten Vereinba- rung zwischen den Whanganui Iwi und der Regierung im Rahmen dieser der Whanangui


176 Neuseeland ist eine konstitutionelle Monarchie, weshalb die Verträge mit den Māori offiziell im Namen der Krone vertreten durch die Regierung unterzeichnet wurden. Der Einfachheit halber wird somit von der Regierung gesprochen und kein Bezug auf die Besonderheiten des Commonwealth genommen.

177 Te Tiriti O Waitangi.

178 Sanders, Beyond Human Ownership’? Property, Power and Legal Personality for Nature in Aotearoa New Zealand, Journal of Environmental Law (2018) 207.

179 Bierley/Tadaki et al, A geomorphic perspective on the rights of the river in Aotearoa New Zealand, Wiley (2018) 1640 (1641).

180 Te Tai - Treaty Settlement Stories, https://teara.govt.nz/en/te-tai/about-treaty-settlements (Ab- frage: 23.4.2020); Te Ara – the Encyclopedia of New Zealand, https://teara.govt.nz/en/nga- whakataungatirititreaty-of-waitangi-settlement-process (Abfrage: 23.4.2020).

181 Vgl ua Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 208 mwN.

182 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 212 mwN.

183 Ibid.


Fluss seitens der Regierung als Te awa tupua, somit als eigenständiges Lebewesen anerkannt wurde. Die Regierung gab hierin die Absichtserklärung ab auf dieser Basis sowie unter Aner- kennung der Prinzipien Te Mana o Te Awa, welches die Gesundheit des Flusses, und Te Mana o Te Iwi, welches die Beziehung der Whanganui Iwi und dem Fluss anerkennt, weitere Verhandlungen zu führen.184

Abseits dieser Verhandlungen wurde 2014 das sehr umfassende Te Urewera Gesetz durch das neuseeländische Parlament beschlossen, wodurch die für den Mãori Stamm der Tūhoe bedeutsame Region Te Urewera im Norden Neuseelands, vormals ein Nationalpark, als Rechtsperson anerkannt wurde.185 Erstmalig für Neuseeland wurden Teile der Natur vom Rechtsobjekt zum Rechtsubjekt.

2.       Gesetzliche Ausgestaltung

Te Urewera wird gemäß dem Rechtsverständnis der Mãori als Lebewesen und im Sinne seiner intrinsischen Existenz mit den Tūhoe und seiner Region als Rechtsperson mit allen Rechten und Pflichten anerkannt. Te Urewera hat somit auch das Recht auf Erhalt seiner vollständigen Existenz inklusive der damit verbundenen Erde, Wasser und Walderhal- tung.186 Die Region hat das Recht, sich selbst zu verwalten und wird diesbezüglich durch einen eigenen Vorstand beraten und vertreten. Der Vorstand ist auch bevollmächtigt, Land dem Te Urewera hinzuzufügen oder wegzunehmen sowie Verordnungen zu erlassen. Der Vorstand ist kollektiv ausgestaltet und setzt sich aus Mitgliedern der Regierung und der Tūhoe zusammen. In den ersten drei Jahren nach Rechtskraft handelt es sich hierbei um drei Mitglieder der Regierung und drei Mitglieder der Tūhoe. Danach setzt sich der Vorstand aus neun Mitgliedern zusammen, wovon sechs von den Tūhoe gestellt werden und drei vom Minister für Naturschutz ernannt werden. Der Rechtsakt enthält umfassende Regelungen über die genaue Wahl der Vorstandsmitglieder inklusive der Wahl des Vorsitzenden sowie die Arbeitsweise und Aufgaben des Vorstandes betreffend die Selbstverwaltung der Region. Strukturell handelt es ich hierbei um ein System kollektiver Leitung und kollektiven Managements. Der Vorstand hat genaue Managementpläne zu erstellen, über Nutzungsrechte zu entscheiden, Verordnungen zu erlassen und jedes Jahr einen Jahresbericht zu veröffentlichen.187 Der Akt enthält klare Regelungen über das Budget des Te Urewera sowie über seine steuerrechtliche Behandlung und diesbezügliche Pflichten. In starker Anlehnung an die Regelungen für Nationalparks regelt das Gesetz welche Aktivitäten in der Region durchgeführt werden, die Aufgaben des Vorstandes und welche Benutzerrechte/Lizenzen durch Te Urewera erteilt werden müssen.188 Besucher dürfen Te Urewera gleich den Vorgaben für Nationalparks besuchen.189 In täglichen Aufgaben der Region Te Urewera wird der Vorstand durch den Gene-


184       Whanganui      Iwi       and      the       Crown,      Tūtohu      Whakatupua,       30.8.2012 http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload664.pdf (Abfrage: 6.4.2020)

185 Te Urewera Act 2014, Public Act 2014 No 51, http://www.legislation.govt.nz/act/public/2014/

0051/latest/whole.html (Abfrage: 23.4.2020).

186 Part 1, Art 3, 5, 11 Te Urewera Act.

187 Art 16 62 Te Urewera Act.

188 Art 14, 62 Te Urewera Act.

189 Art 5 Abs 2 Te Urewera Act.


ral Direktor für Naturschutz, ein Mitglied der Regierung und den Geschäftsführer des Tūhoe Te Uru Taumatua unterstützt.190 Bei letzterem handelt es sich ebenfalls um ein kollektives Organ, das sowohl durch die Tūhoe als auch den Generaldirektor für Naturschutz, ein Organ der Regierung, bestellt wird.191 Ebenso wird festgehalten, dass die Ressourcen des Te Urewera genutzt werden können und diesbezüglich die Region als im Eigentum der Regierung an- gesehen wird. Dies hat zur Folge, dass Bergbau auch ohne Zustimmung des Vorstandes des Te Urewera durchgeführt werden könne.192

Gestärkt durch das Te Urewera-Gesetz fanden die zähen Verhandlungen rund um den Fluss Whanangui und seiner Anerkennung als Rechtsperson durch das das neuseeländische Parlament am 15.3.2017 im Rahmen des Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Gesetz einen positiven Abschluss.193 Grundsätzlich ist die gesetzliche Ausführung über den Fluss Whanangui um einiges umfassender und komplexer als das Gesetz betreffend den ehemaligen Nationalpark Te Urewera, das sich stark den Regelungen für Nationalparks orientiert hat.194

Te Awa Tupua wird als volle und unteilbare Rechtsperson im Sinne dieses indigenen Konzeptes, also als eine mit seinem Ökosystem intrinsisch verbundene juristische Person, anerkannt. Auch das Konzept Tupua te Kawa wird seitens der Regierung rechtlich anerkannt. Tupua te Kawa bedeutet letztlich, dass Te Awa Tupua ein spirituelles Wesen ist, das den Fluss und seine Umgebung inklusive der dort lebenden Mãori nährt, unteilbar ist und durch den Whanganui Fluss verkörpert wird.195 Der Akt anerkennt auch die rechtliche Bedeutung der Verbindung der Mãori Whanganui Iwi und dem Fluss Te Awa Tupua. Der Fluss wird als voll- ständige Rechtsperson mit allen damit verbunden Rechten und Pflichten anerkannt,196 mit der primären Verantwortung, sich um sein eigenes Wohlbefinden zu sorgen.197 Die Region des Te Awa Tupua ist unveräußer- und unersitzbar.198

Die Rechtsperson des Flusses wird hinsichtlich verschiedener, taxativ aufgelisteter Gesetze rechtlich unterschiedlich behandelt. Je nach Gesetz wird Te Awa Tupua rechtlich einerseits einer wohltätigen Stiftung, andererseits einer Körperschaft öffentlichen Rechts oder einer Behörde gleichgestellt.199 Nach außen wird der Fluss durch das kollektiv zusammen- gesetzte Amt des Te Pou Tupua vertreten, welches sich zu gleichen Teilen aus Vertretern der Mãori und der Regierung zusammensetzt. Te Pou Tupua bedeutet übersetzt so viel wie das lebendige Gesicht. Zusätzlich zu diesen Vertretungsaufgaben ist es Aufgabe des Te Pou Tupua, das Wohlbefinden und das Land des Flusses in dessen Interesse zu schützen und alle


190 Art 50 Te Urewera Act.

191 Tūhoe Trust Deed, 5.8.2011 auf welchen der Te Urewera Act verweist.

192 Art 56b, Art 64 auch bezugnehmend auf Crown Minerals Act 1991.

193 Am 15.3.2017 wurde Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Act durch das neu- seeländische Parlament beschlossen („TATA“).

194 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 226.

195 Art 3, 8, 10-17 TATA.

196 Art 14 Abs 1 TATA.

197 Art 19 Abs 1c TATA.

198 Art 43 TATA.

199 Art 22 f TATA.


dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen.200 Eine früherer Vertragsentwurf, welcher Te Pou Tupua als Beschützer des Flusses beschrieb, wurde abgelehnt, da nach dem Verständnis der Mãori Flüsse nicht von Menschen beschützt und kontrolliert werden können.201 In der gülti- gen Fassung des Rechtsaktes wird klargestellt, dass es Aufgabe des Amtes Te Pou Tupua ist, menschliche Aktivitäten im Interesse des Flusses zu verwalten und zu regeln.202

Te Pou Tupua ist weiters verpflichtet, allen Mãori, welche Interessen an dem Fluss haben, regelmäßig Bericht zu erstatten. Das Amt Te Pou Tupua wird in seinen Tätigkeiten durch den Beirat Te Kopuka beratend unterstützt, der sich aus einem Vertreter der Whanganui Iwi, einem Vertreter der Iwi und einem Vertreter der jeweils relevanten lokalen Behörde zusammen- setzt.203 Strategische Unterstützung sowie Überprüfung der Management Pläne des rechtlichen Vertreters des Flusses, des Amts des Te Pou Tupua, erfolgen durch das Te Kōpuka nā ein beratendes Organ, das aus maximal 17 unterschiedlichen Interessensvertretern wie der Whanganui Iwi und relevanten nationalen oder lokalen Behörden, Umweltorganisationen, Tourismusverbänden etc besteht.204

Das Gesetz enthält umfassende Regelungen über die steuerrechtliche Behandlung des Flusses, die damit verbunden Pflichten seines Rechtsvertreters sowie Regelungen betreffend die Anwendung einzelner umwelt-, naturschutz- und wasserrechtlicher Bestimmungen auf den Fluss und seine Region.205 Einzelne Rechte der Regierung wie öffentliche Nutzungsrechte und bereits bestehende Privatrechte bleiben weiterhin aufrecht.206 Die besondere Beziehung der Whanganui Iwi mit ihrem Fluss wird anerkannt und klargestellt, dass traditionelle Bräuche und Rituale einen wesentlichen Bestandteil für die Beziehung des Flusses zu den Mãori darstellen. Der Rechtsakt enthält auch eine offizielle Entschuldigung der Regierung für die Verletzung des Vertrages von Waitangi und für den Schaden, den die Regierung der Beziehung der Whanganui Iwi und des Whanganui Fluss durch diesen Vertragsbruch zugefügt hat.207

3.       Rechtliche Implikationen

Zusammenfassend gilt für die beiden Gesetze Te Urewera Bill und Te Awa Tupua (Whan- ganui River Claims Settlement) Bill, dass streng genommen nicht von der Schaffung von neuen Rechtspersonen auszugehen ist, sondern die Region Te Urewera und der Fluss Whanganui (Te Awa Tupua) zunächst als Rechtsidentitäten in der (Rechts)Systematik der Mãori (tikanga Mãori ) anerkannt wurden.208 Auf Basis dieser Anerkennung wird gefolgt, dass diese mit allen Rechten, Befugnisse, Verpflichtungen und Haftungen einer juristischen Person

 


200 Art 19 TATA.

201 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 207 (213).

202 Art 19 TATA.

203 Art 27 ff TATA.

204 Art 29 Abs 2, Art 32 TATA.

205 Vgl ua Art 16, 41, 44, 46 TATA.

206 Art 16 und 36 TATA.

207 Art 70 TATA.

208 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 207 (222).


ausgestattet sind. 209 Somit wird letztlich das Rechtsystem der Mãori bestmöglich in das neuseeländische Rechtssystem übersetzt, sodass de facto letztlich von einer neu gestalteten Rechtsperson aufgrund dieser einzigartigen Mischung an Systemen auszugehen ist.210 In bei- den Fällen ist die rechtliche Vertretung, Verwaltung und Organisation der Rechtspersonen kollektiv und unter starker Einbindung von Interessensgruppen ausgestaltet.211 Die diesbezüg- liche Ausgestaltung erfolgt in starker Anlehnung an das Rechtsverständnis der Mãori, soweit sich dieses mit dem neuseeländischen Rechtsverständnis vereinbaren lässt. Die Präambel der beiden Gesetze sowie die rechtliche Definition sind sowohl auf Englisch als auch in der Spra- che der Mãori (Te Reo Mãori) verfasst.212

Ungeachtet der Anerkennung als Rechtspersonen bleiben grundsätzliche Bestimmungen wie die des Wasser- und Bodenrechtes, aber auch des Steuerrechts aufrecht und werden nur entsprechend modifiziert bzw Funktionen der Regierung an die rechtliche Vertretung des Flusses und der Region übertragen.213 Die Ausgestaltung von der Region Te Urewera erfolgt bspw in starker Anlehnung an die Regelungen für bestehende Nationalparks, die nunmehr von der Region selbst, im Unterschied zur Regierung, wahrgenommen werden.214

Zur Nutzung von Rohstoffen wurde bezüglich der Region Te Urewera festgehalten, dass Rohstoffvorkommen nach wie vor im Eigentum der Regierung stehen. Anders als herkömmli- che Nationalparks hat hingegen die Region Te Urewera das Recht selbst nach Maßgabe des Art 61 b des Crown Minerals Act zu entscheiden, welcher Lizenzberechtiger Zugang zur Region erhält.215 Die Rohstoffvorkommen bezüglich Whanganui sind hingegen aufgeteilt: Einige seltene Erden des Flussbetts des Whanganui Flusses stehen im Eigentum der Regierung, andere hingegen im Eigentum des Flusses selbst.216 Bestimmte Rechte der Regierung, wie das öffentliche Nutzungsrechte sowie bereits bestehende Privatrechte betreffend die Region des Flusses, bleiben ebenso weiterhin aufrecht.217 Die Nutzung des Flussbetts obliegt der Geneh- migung durch den Fluss vertreten durch sein „Gesicht“ Te Pou Tupua. Die Nutzung des Was- sers hingegen kann durch die Regierung auch ohne Zustimmung des Flusses erfolgen.218

Die beiden Gesetze, insb die Anerkennung des Flusses Whanganui dienten und dienen zahlreichen Jurisdiktionen, insb aber auch Höchstrichtern als Vorbild. Kritiker meinen hinge- gen, dass die Anerkennung von Eigenrechten letztlich einen Ausweg für die Regierung dar- stellte, den Konflikt mit den Mãori zu lösen, ohne ihnen dabei Eigentum über die ihrerseits beanspruchten Gebiete (samt natürlichen Ressourcen) zu übertragen.219 Zusammenfassend ist


209 Der Originaltext lautet: all the rights, powers, duties, and liabilities of a legal person“.

210 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 207 (223).

211 Ibid 229.

212 Ibid 229 mwN; Te Urewera Act; TATA.

213 Ibid 222 mwN; vgl ua Art 46 Abs 3 TATA.

214 Art 14, 62 Te Urewera Act.

215 Crown Mineral Act 1991, Art 61 B; vgl auch Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 207 (225).

216 Art 41(3) und 44 (2) TATA.

217 Art 16 und 36 TATA.

218 Art 16 und 46 TATA.

219 Sanders, Journal of Environmental Law (2018) 207 (221 mwN).


festzustellen, dass diese Gesetze in jedem Fall erstmalige Synthese zwischen dem Rechtssys- tem der indigenen Mãori und Neuseelands darstellen und exemplarisch auch die grundsätzli- che Beziehung zwischen Mãori und der Regierung vollkommen neu regeln. Angesichts der vielen grundsätzlichen Fragen die sich ungeachtet der umfangreichen Regelungen in der Pra- xis stellen, wurden die beiden Rechtsakte in der Lehre sogar mit einer Verfassung vergli- chen.220

Weitere Anerkennungen in Aussicht

Im Dezember 2017 unterzeichneten die Regierung und der Mãori Stamm der Ngā Iwi O Taranaki eine Absichtserklärung demnach Ngã Maunga als Lebewesen, das intrinsisch mit den Ngā Iwi O Taranaki und dem Berg Taranki verbunden ist, seitens der Regierung akzeptiert und respektiert wird. Art 5.5 dieser Absichtserklärung hält fest, dass Ngã Maunga als Rechtsperson anerkannt werden soll und das mit Ngã Maunga verbundene Land der Regierung dieser neuen Rechtsperson übertragen werden soll. Auch der Edmont Nationalpark, in dem sich der Berg Taranki befindet, wird als Ngã Maunga anerkannt aber soll gem Art 5.6.2 und 5.13 den Regelungen für Nationalparks unterliegen. Die Absichtserklärung sieht weiters bereits in Art 5.16 f eine kollektive Form der rechtlichen (kollektiven) Vertretung von Ngã Maunga vor.221 Bis dato sind die Vertragsverhandlungen noch nicht abgeschlossen und in kein Gesetz gegossen.

Weiters führte die Regierung noch Vergleichsgespräche mit dem Mãori Stamm der Ngāti Maru und anerkannte im Wege einer Absichtserklärung 2018 bereits, dass der Whangaehu, Te Waiū-o-Te-Ika als eigenständiges Lebewesen untrennbar mit dem Crater See, Te-Wai-a-Moe sowie mit der Region bis zum Meer selbst verbunden ist. Weiters wurden auch die intrinsi- schen Strukturen und Werte des Flusses, Ngā Toka o Te Waiū-o-Te-Ika, durch die Regierung anerkannt.222 Es handelt sich hierbei um die letzten Vergleichsgespräche, welche aus dem Vertragsbruch des ursprünglichen Vertrages von Waitangi, dem Gründungsvertrag von Neu- seeland, resultieren.223

II.         Einzelrechte der Natur durch Gesetz Australien

Im Zuge der Auseinandersetzung Australiens mit kolonialem Unrecht und Bestrebungen, die Rolle der Ureinwohner, der Aborigines, im australischen Staat aufzuwerten, wurde 2017 der Yarra River Protection Act durch das Parlament des Bundesstaates Viktoria erlassen. Im Unterschied zu den neuseeländischen Gesetzesbestimmungen stellt dieses Gesetz eines ein-


220 Ibid 213 mwN.

221 Ngã Iwi O Taranaki and the Crown, Te Anga Pūtakerongo mō Ngā Maunga o Taranki, Pouãkai me Kaitake, Record of Understanding Mount Taranki, Pouākai and the Kaitake Ranges, 20.12.2017,   https://www.govt.nz/assets/Documents/OTS/Taranaki-Maunga/Taranaki-Maunga-Te-

Anga-Putakerongo-Record-of-Understanding-20-December-2017.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

222 Ngãti Rangi and the Trustees of te Tõtarahoe o Paerangi Trust and the Crown, Deed to Amend Rukutia te Mana, Deed of Settlements of Historical Claims, 19.7.2018, https://www.govt.nz/assets/ Documents/OTS/Ngati-Rangi/Ngati-Rangi-Deed-to-Amend.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

223 Rukutia te Mana, Deed of Settlement between the Crown and the Ngãti Rangi, Summary, https://www.govt.nz/assets/Documents/OTS/Ngati-Rangi/Ngati-Rangi-Deed-of-Settlement-Summary- 10-March-2018.pdf (Abfrage: 23.4.2020).


zelnen Bundesstaates keine Anerkennung des Yarra Flusses als eigenständige Rechtsperson, sondern als Lebewesen dar.224

Die australischen Aborigines leisteten traditionell einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der australischen Gewässer.225 Die Interessen der Aborigines in Anerkennung dieser Rolle wurden zunehmend in Umweltplänen des Bundesstaates Viktoria berücksichtigt. 226 Unter Druck von Umweltorganisationen, den Schutz des Yarra Flusses zu garantieren, der als Kul- turgut des Bundesstaates Viktoria zählt, kam es schließlich zur Einberufung eines Komitees,227 um den nachhaltigen Schutz des Flusses sicherzustellen. Unter Einbindung der Öffentlichkeit und der Aborigines in einem partizipatorischen Prozess kam es am 27.9.2020 zur Ver- abschiedung des Yarra River Protection Act („YRPA“).228

Die Präambel des YRPA bestätigt den Fluss als Lebewesen unter Anerkennung der intrin- sischen Beziehung der Woi-wurrung Aborigines und des Flusses Yarra von den Woi-wurrung, auch als Birrarung bezeichnet. Die Woi-wurrung werden als Vormund und Beschützer des Birrarung unter Bezugnahme auf die Weltanschauung der Woi-wurrung anerkannt. Die Prä- ambel ist sowohl auf Englisch als auch in der Sprache der Woi-wurrung verfasst. Art 1a des YRPA bestätigt die Anerkennung des Flusses als lebendige, integrierte, natürliche und unteil- bare Einheit. Eine durch den Minister ernannte Agentur hat einen strategischen Plan zur Er- haltung des Flusses zu erstellen, welcher eine langfristige Vision für die nächsten 50 Jahre229 unter Berücksichtigung der Charakteristika des Yarra Flusses und den Werten der Gemein- schaft zu enthalten hat.230 Die gemeinsame Vision ist, unter Partizipation der Öffentlichkeit231 und unter Einhaltung grundlegender Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Schutz vor Klimawandel, Generationengerechtigkeit, allgemeines Wohlbefinden zu verfassen.232 Weiteres sieht der Akt die Einhaltung sozialer, ökonomischer und kultureller Prinzipien vor, die sich stark an den Werten und der Weltanschauung der Woi-wurrung orientieren.233 Der YRPA sieht die Grün- dung des Birarrung Rates vor, der sich aus zwölf unabhängigen, vom Minister ernannten Be- ratern zusammensetzt, wovon zumindest zwei Personen aus dem Kreis der in der Umgebung des Yarra Flusses wohnhaften Aborigines auszuwählen sind.234 Aufgabe dieses Rates ist die

 

 

 


224 Yarra River Protection (Wilip-Gin Birrarung Murron) Act 2017, http://classic.austlii.edu.au/ au/legis/vic/consol_act/yrpbma2017554/ (Abfrage: 23.4.2020).

225 O’Bryan, The changing face of river management in Victoria: The Yarra River Protection (Wilip-gin Birrarung murron) Act 2017 (Vic), Water International (2019) 769 (775).

226 Ibid 773 mwN.

227 Dem sog „Ministerial Advisory Committee”.

228 O’Bryan, The changing face of river management in Victoria: The Yarra River Protection (Wilip-gin Birrarung murron) Act 2017 (Vic), Water International (2019) 769 (775).

229 Art 17 YRPA.

230 Art 17.2. YRPA.

231 Art 17 und 18 YRPA.

232 Art 8 YRPA.

233 Art 9 bis 13 YRPA.

234 Art 49 YRPA.


Beratung des Ministers zur Umsetzung des YRPA und des strategischen Planes für den Fluss

Yarra.235 Der Rat verfügt über keine rechtlichen Kompetenzen.236

Zusammenfassend stellt der Rechtsakt zwar eine Anerkennung des Flusses als schützens- wertes und eigenständiges Lebewesen dar, jedoch kein Anerkenntnis einer eigenständigen Rechtsperson. Diesbezüglich existieren sehr wohl nationale Bestrebungen, wie zuletzt die Vorlage eines nationalen Gesetzesvorschlages, einer First Rights of Nature Bill im nationalen Parlament durch die Abgeordnete Diane Evers 2019.237

III.      Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen - Indien

Die Anerkennung von Eigenrechten in Indien basiert bis dato ausschließlich auf richterli- chen Entscheidungen. Diese wurden zum Teil in Anlehnung an internationale Vorbilder ge- troffen und stellen eine Weiterentwicklung des Rechtes durch die Gerichte dar.238

Erstmalig wurde das Konzept von Eigenrechte der Natur durch den indischen Verfas- sungsgerichtshofes 2012 ansatzweise thematisiert. In der Entscheidung T.N. Godavarman Thirumulpad vs Union of India & Others betreffend den gewährten Schutz von Wildbüffeln führten die Verfassungsrichter aus, dass Umweltgerechtigkeit nur durch Ökozentrismus und nicht durch Anthropozentrismus erreicht werden kann. Den Richtern zufolge basiere der an- zuwendende, nationale Plan zum Schutz von Wildtieren auf dem Prinzip des Ökozentrismus und anerkenne folglich den intrinsischen Wert von Natur und Tieren.239

Die erste konkrete Anerkennung von Eigenrechten erfolgte 2017 durch das Höchstgericht des Bundesstaates Uttarakhand. Vier Tage, nachdem das neuseeländische Parlament die Eigenrechte des Whanganui Fluss anerkannte, entschied das Höchstgericht, dass die für die Hindu heiligen Flüsse Ganges und Yamuna und alle ihre Nebenflüsse, Bäche und natürliche Gewässer, welche mit dem Strom dieser Flüsse fließen, als Lebewesen und Rechtspersonen mit allen entsprechenden Rechten, Pflichten und Haftungen anzuerkennen sind.240


235 Art 48 YRPA.

236 O’Bryan, Water International (2019) 769 (776).

237 Australian Earth Laws Alliance, Media Release: First Rights of Nature bill introduced in Aus- tralia (2019), http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload897.pdf (Abfrage: 8.4.2020).

238 So führte das Höchstgericht des Bundesstaates Uttarakhand zur Frage der Schaffung von neu- en Rechtspersonen in Lalit Miglani vs State of Uttarakhand And Others, bspw wie folgt aus (Hervor- hebung erfolgt durch die Autorin): „Corpus Juris Secundum, Vol.6, page 778 explains the concept of juristic persons/artificial persons thus: Artificial persons. Such as are created and devised by human laws for the purposes of society and government, which are called corporations or bodies politic.A juristic person can be any subject matter other than a human being to which the law attributes perso- nality for good and sufficient reasons. Juristic persons being the arbitrary creations of law, as many kinds of juristic persons have been created by law as the society require for its development. (See Salmond on Jurisprudence 12th Edition Pages 305 and 306). Thus, the Himalayan Mountain Ran- ges, Glaciers, rivers, streams, rivulets, lakes, jungles, air, forests, meadows, dales, wetlands, grass- lands and springs are required to be declared as the legal entity/legal person/juristic person/juri- dicial person/moral person/artificial person for their survival, safety, sustenance and resurgence.

239 Supreme Court Of India, T.N. Godavarman Thirumulpad vs Union Of India & Ors, 13 Februar 2012 Rz 17.

240 High Court of Uttarakhand, Mohd. Salim vs State of Uttarakhand & others, Writ Petition (PIL) No 126 of 2014 Rz 19.


Der konkrete Rechtsstreit betraf die Verletzung der Bundesstaaten Uttarakhand und Uttar Pradesh von gerichtlichen Anordnungen bezüglich der Errichtung eines Ganga Management Boards zum Schutz der beiden Flüsse Ganges und Yamuna.241 Das Gericht hatte sich bereits in einer vorangegangenen Entscheidung mit der Verletzung von Schutzvorschriften durch die Regierung dieser Bundestaaten und der daraus resultierenden Verschmutzung dieser beiden Flüsse im Detail auseinandergesetzt. Die diesbezüglichen gerichtlichen Anweisungen wurden jedoch seitens der (lokalen) Regierung nicht eingehalten, weshalb das Gericht in seiner Ent- scheidung rechtlich neue Wege einschlug, um die Durchsetzung der Maßnahmen zu erwir- ken.242

Zu Beginn der Entscheidung hielt das Gericht fest, dass die beiden Flüsse kurz vor ihrem Versiegen stünden.243 Unter Hinweis auf die Judikatur des indischen Verfassungsgerichtsho- fes zur Anerkennung von Hindu Gottheiten als juristische Personen244 führte der Gerichtshof zunächst aus, dass es sich bei den Flüssen Ganges und Yamuna aus hinduistischer Sicht um Gottheiten von essentieller spiritueller Bedeutung handle.245 Das Gericht führte weiters aus, dass der Glaube und die Anerkennung dieser Gottheiten wie die gegenständlichen Flüsse ge- schützt werden müsse, insb da diese Flüsse das Leben und die natürlichen Ressourcen menschlicher Gemeinschaft darstellen würden.246 Inspiriert durch die seitens der Antragsteller vorgebrachte neuseeländische Gesetzgebung den Fluss Whanganui betreffend verknüpfte das Gericht die hinduistische Weltanschauung mit natur- und klimawissenschaftlichen Überlegun- gen und hielt in Folge die zentrale Rolle der beiden Flüssen für das Ökosystem und für das allgemeine Wohlbefinden der angesiedelten Bevölkerung fest. 247 Diesbezüglich nahm das Gericht auch Bezug auf Art 48-A und 51A lit (g) der indischen Verfassung, wonach der Staat und jeder indische Staatsbürger verpflichtet ist, sich um den Schutz der Umwelt, Wälder und Tiere des Landes zu bemühen. Das Gericht begründete somit seine Entscheidung in einer Kombination aus hinduistischer Weltanschauung, verfassungsrechtlicher Bestimmungen, wissenschaftlicher Fakten und Konzepten der neuseeländischen Gesetzgebung.248

 


241 Ibid.

242 Pecharroman, Rights of Nature: Rivers That Can Stand In Court, MDPI (2018) 13. Shivshan- kar, The Personhood of Nature, Law and other Things, https://lawandotherthings.com/2017/04/the- personhood-of-nature/ (Abfrage: 9.4.2020).

243 High Court of Uttarakhand, Mohd. Salim vs State of Uttarakhand & others, Writ Petition (PIL) No 126 of 2014 Rz 10.

244 Alley, River Goddesses, Personhood and Rights of Nature: Implications of Spiritual Ecology, MPDI (2019), 502: Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Anerkennung hinduistischer Gottheiten als juristische Personen in der indischen Jurisprudenz seinen Ursprung in der britischen Kolonialherrschaft hat. Eingeführt von britischen Juristen bot die rechtliche Anerkennung der Gottheiten den Briten einen Lösungsansatz in komplexen Streitigkeiten um Grund und Boden. Dieser Ansatz wurde beibehalten und das Rechtskonstrukt der juristischen Person von Gottheiten in Streitigkeiten rund um Tempelbauten und damit verbundenen Liegenschaften angewendet.

245 High Court of Uttarakhand, Mohd. Salim vs State of Uttarakhand & others, Writ Petition (PIL) No 126 of 2014 Rz 11.

246 Ibid Rz 16.

247 Ibid Rz 18.

248 Ibid; vgl auch Pecharroman, MDPI (2018) 13.


Bezugnehmend auf die common law Doktrin Parens Patrie, wonach das Gericht zum Wohl eines Kindes Anweisungen in dessen bestem Interesse treffen kann, ernannte das Gericht den Chefsekretär und den Generalanwalt des Bundesstaates Uttarkhand in Abwesenheit

in loco parentis249 zum Vormund250 der Flüsse Ganges, Yamuna und ihrer Nebenflüsse, wobei ausschließlich der Generalanwalt mit der rechtlichen Vertretung der Flüsse beauftragt wurde.251 Konkrete rechtliche Implikationen, die sich aus der Anerkennung der Flüsse als Rechtspersonen ergeben würden, wurden vom Gericht nicht ausgeführt.252

Zehn Tage später anerkannte dieselbe Richterbank die Gletscher Gangotri & Yamunotri (welche jeweils in die Flüsse Yamuna und Ganges übergehen), damit verbundene Flüsse, Bä- che, Seen, Luft, Wiese, Blumen, Urwald, Wald, Moor, Wasserfälle und Quellen als juristische Personen an. Im Unterschied zur Vorgängerentscheidung geht der Gerichtshof noch einen Schritt weiter und anerkennt diese Ökosysteme nicht nur als juristische Personen, sondern auch als auch Lebewesen.253

Die der Entscheidung zugrundeliegende Auseinandersetzung betraf ein langjähriges Ver- fahren über die Verschmutzung des Ganges. In mehreren Zwischenentscheidungen hielt das Gericht bereits fest, dass jede Person gem Art 21 der Verfassung ein Recht auf sauberes Was- ser habe und hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Flusses Ganges hervor. Das Gericht ordnete die Vornahme verschiedenster Umweltsanierungsmaßnahmen an. Bezugneh- mend auf die eben erst ergangene Entscheidung des Gerichtes in Mohd. Salim betreffend die Flüsse Ganges und Yamuna beantragte der Antragsteller, das Gericht möge nunmehr „den Himalaya, Gletscher, Flüsse, Seen, die Luft, Wasserfälle, Wälder inklusive Urwälder und Wiesen als rechtliche Personen gleich den Flüssen Ganges und Yamuna anerkennen.254

In ausschließlicher Referenz auf naturwissenschaftliche Studien und rechtliche Doktrinen, somit nunmehr unter Außerachtlassung religiöser Weltanschauungen,255 gab das Gericht die- sem Antrag statt. Das Gericht hielt diesbezüglich fest, dass Flüsse, Wälder, Seen, Luft, Glet- scher, Wasserfälle das Recht auf eine dauerhafte Existenz und Regernation ihres Ökosystems haben. Das Gericht führte weiters aus, dass anzuerkennen sei, dass Flüsse derzeit „nach Luft schnappen“ und es an der Zeit sei, Verfassungsrechte auch der „Mutter Erde“ zu gewähren.256 Unter ausführlicher Bezugnahme auf Parens Patriae Doktrin257 des Common Law, wonach


249 Ibid Rz 19.

250 Wortwörtlich heißt es to be the human face of”.

251 Ibid Rz 19.

252 Pecharroman, MDPI (2018) 13.

253 High Court of Uttarakhand, Lalit Miglani vs State of Uttarakhand And Others, Writ Petition (PIL) No 140 of 2015, 30.3.2017.

254 High Court of Uttarakhand, Writ Petition (PIL) No 140 of 2015, Lalit Miglani vs State Of Uttarakhand And Others, Writ Petition (PIL) No 140 of 2015, 30.3.2017.

255 Pecharroman, MDPI (2018) 9.

256 Ibid 64; wortwörtlich :“Rivers are grasping for breath. We must recognize and bestow the Constitutional legal rights to the 'Mother Earth'.

257 Ibid 46; wortwörtlich heißt es ua „The Court can take judicial notice of the fact that few cities are not liveable due to higher level of pollutants in the atmosphere. The Courts are duty bound to protect the environmental ecology under the 'New Environment Justice Jurisprudence' and also under the principles of parens patriae.


das Gericht bevollmächtigt ist, Menschen zu schützen, die sich selbst nicht verteidigen kön- nen, erklärte das Gericht die Gletscher Gangotri & Yamunotri, damit verbundene Flüsse, Bä- che, Seen, Luft, Wiese, Blumen, Urwald, Wald, Moor, Wasserfälle und Quellen als juristische Personen mit allen entsprechenden Rechten, Pflichten und Haftungen einer lebendigen Person, sodass diese bewahrt und erhalten bleiben. Die vergangenen Generationen hätten Mutter Erde in all ihrer Schönheit übergeben und nun bestünde die moralische Pflicht, dieselbe Mutter Erde an die nächste Generation zu übergeben.258 Das Gericht hielt außerdem fest, dass diese auch Rechtsträger von grundrechtsähnlichen Rechten seien.259 Die Rechte sollen gleich aller den Menschen zustehenden Rechte sein und eine Verletzung an ihren „Körpern“ wie eine menschliche Verletzung behandelt werden.260 Das Gericht beauftragte den Bundesstaat Uttarakhand in loco parentis“ als Vormund und genehmigte dem Bundesstaat, mit sieben offiziellen Vertretern von allen Dörfern, Städten im Bundesstaat zu kooperieren, um eine adä- quate Vertretung der Bevölkerung, welche in der Umgebung der Flüsse, Seen und Gletscher lebe, sicherzustellen.261Auch wenn die zweite Entscheidung des Höchstgerichtes des Bundes- staates Uttarakhand eine Ausweitung der Eigenrechte der Natur hinsichtlich des Umfanges, aber auch hinsichtlich der Rechte (dezidierte Ausweitung auf Grundrechte) darstellt, so fehlt es nach wie vor an einer Definition hinsichtlich der rechtlichen Auswirkung dieser Rechte.262

Gegen beide Entscheidungen wurde 2017 eine Beschwerde vor dem indischen Ver- fassungsgerichtshof eingebracht. Das Verfahren ist noch anhängig. Die Anordnungen des Höchstgerichtes Uttarakhand sind bis zur endgültigen Entscheidung des Verfassungsgerichts- hofes nicht vollziehbar.263

IV.      Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Bangladesch

Im Jahr 2019 anerkannte das Höchstgericht von Bangladesch den Fluss Turag als Rechtssubjekt und hielt fest, dass damit dieselben Rechte für alle Flüsse in Bangladesch gel-

 

 

 

 


258 Ibid 65; wortwörtlich: „The past generations have handed over the 'Mother Earth' to us in its pristine glory and we are morally bound to hand over the same Mother Earth to the next generation.

259 Ibid 66; wortwörtlich: „We, by invoking our parens patriae jurisdiction, declare the Glaciers including Gangotri & Yamunotri, rivers, streams, rivulets, lakes, air, meadows, dales, jungles, forests wetlands, grasslands, springs and waterfalls, legal entity/legal person/juristic person/juridicial per- son/moral person/artificial person having the status of a legal person, with all corresponding rights, duties and liabilities of a living person, in order to preserve and conserve them. They are also accorded the rights akin to fundamental rights/legal rights.

260 Ibid wortwörtlich: „The rights of these legal entities shall be equivalent to the rights of human beings and the injury/harm caused to these bodies shall be treated as harm/injury caused to the human beings.

261 Ibid.

262 Pecharroman, Rights of Nature: Rivers That Can Stand In Court, MDPI (2018) 9. Shivshan- kar, The Personhood of Nature, Law and other Things, https://lawandotherthings.com/2017/04/the- personhood-of-nature/ (Abfrage: 9.4.2020).

263 O'Donnell/Talbot-Jones, Creating legal rights for rivers: lessons from Australia, New Zealand, and India. Ecology and Society (2018) 23 mwN.


ten.264 Die Entscheidung beruhte auf einen Antrag der Menschenrechtsorganisation Human Rights and Peace for Bangladesh („HRPB“) aus 2016 und betraf im Wesentlichen die Zerstö- rung des Flusses durch Umweltverschmutzungen und illegale Bauarbeiten. Bezugnehmend auf die Common Law Doktrin des Public Trust hielt das Gericht fest, dass die Regierung Schutzpflichten gegenüber dem Fluss habe. Darauf aufbauend und bezugnehmend auf die Parens Patriae-Judikatur265 anerkannte das Gericht den Fluss Turag als eigene Rechtsperson, und ernannte die National River Protection Commission (NRPC) zu dessen Vormund sowie zum Vormund sämtlicher Flüsse in Bangladesch. Ebenfalls basierend auf die Parens Patriae- Doktrin erließ das Gericht eine Vielzahl von Anordnungen gegenüber der Regierung, bspw, dass an Personen und Unternehmen, welche Landraub betreiben keine Kredite vergeben wer- den dürfen, oder Schulen und Universitäten in ihrem Unterricht über die Bedeutung von Flüs- sen lehren sollen. Medienberichten zu Folge bewirkte die Entscheidung ein rigoroseres Vor- gehen seitens der Bangladesh Inland Water Transport Authority („BITWA“) gegen illegale Bauarbeiten in der Region des Flusses.266

V.          Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Kolumbien

Ähnlich wie in Indien beruht die Anerkennung der Eigenrechte der Natur ausschließlich auf gerichtlichen Entscheidungen und keinen Gesetzesänderungen bzw lokalen Verordnun- gen.

Im November 2016 anerkannte der kolumbianische Verfassungsgerichtshof den Fluss Atrato als eigenständiges Rechtssubjekt mit dem Recht auf Schutz, Pflege und Erhaltung, sowie Wiederherstellung.267 Das Verfahren betraf eine von in der Region des Flusses ansässi- gen indigenen Volksstämme und afroamerikanischen Gruppierungen eingebrachte sog acción de tutela“. Darunter versteht man eine Popularklage, derer sich jede Person zur Durchsetzung ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte bedienen kann und die somit einen sehr weit gefassten Grundrechtsschutz bietet.268 Die Antragsteller machten die Gefährdung ihrer Rechte auf Leben, Gesundheit, Wasser, gesunde Umwelt und Ernährungssicherheit geltend. Diesbezüglich verwiesen sie auf die durch den Bergbau verursachten Schäden des Atrato Flusses und dessen Nebenflüsse und der damit verbundenen Gesundheitsgefährdung für die Bewohner vor Ort. Der Verfassungsgerichtshof gab diesem Antrag statt und anerkannte den Fluss Atrato samt seiner Nebenflüssen als eigenständige Rechtsperson. Angesichts der Tat-


264 High Court Devision, Writ Petition No 13989 (2016), River Turag; Zusammenfassung der An- tragsteller HRPB, http://www.hrpb.org.bd/upload/judgement/Writ-Petition-No.-13989-of-2016-only- 17-directions--River-Turag-Case.pdf (Abfrage: 24.4.2020).

265 Demnach ein Gericht zum Schutz eines Kindes Anordnung zu dessen Wohl treffen darf. Auch das indische Höchstgericht in Uttarakhand bediente sich dieser Argumentation.

266 Halder, Treating rivers as living entities, Financial Times, 12.7.2019, https://www.thefinancialexpress.com.bd/views/treating-rivers-as-living-entities-1562860873 (Abfrage: 16.4.2020).

267 Constitutional Court of Colombia, USA Center for Social Justice Studies et al. vs Presidency of the Republic et al., Judgment T-622/16 (The Atrato River Case), Translation: Dignity Rights Project, Delaware Law School (2016).

268 Carrera -Silva, La acción de tutela en Colombia – The Action of Guardianship in Colombia, Rev. IUS (2011) 72.


sache, dass die kolumbianische Verfassung im Unterschied zu Ecuador keine Eigenrechte der Natur vorsieht, basiert die Entscheidung des Verfassungsrichters auf sämtlichen Grundrechten im Bereich Biodiversität, kulturelle Rechte und Menschenrechte.

Der Richter hielt fest, dass die Rechte der Bewohner der Choco Region, eine der arten- reichsten Regionen der Welt, unauflöslich mit den Rechten des Flusses verbunden seien und aufgrund dieses geteilten Schicksals auch der Fluss als Rechtsperson anzuerkennen sei.269 Die Entscheidung wurde ua damit begründet, dass die kolumbische Verfassung umfassende sozi- ale Rechte sowie Regelungen betreffend den Schutz der Umwelt und natürlicher Ressourcen vorsehe und somit de facto eine ökologische Verfassung sei. Die Prinzipien der Verfassung rechtfertigen nicht nur den Schutz einer pluralistischen Gesellschaft bestehend aus unter- schiedlichsten Kulturen, sondern auch den Schutz der Umwelt, in welcher diese Personen leben.270

Zuzüglich zu den Rechten der Verfassung bezieht sich Richter Palacios auch auf interna- tionale Verträge und Erklärungen, wie bspw die Biodiversitätskonvention und die UN-Erklä- rung über die Rechte indigener Völker. Das Urteil nimmt auch Bezug auf das in Neuseeland zugunsten des Flusses Whanganui erlassene Gesetz. Zum Schutz der Rechte des Flusses ver- fügte das Gericht die Schaffung einer Kommission binnen drei Monaten, bestehend aus zwei Personen als Vormund sowie aus einem Expertenteam bestehend aus dem WWF Kolumbiens und dem Humboldt Institute, da beide bereits umfassend in der Region tätig waren. Weiters wurde die Schaffung einer beratenden Expertengruppe zur Unterstützung der Kommissionen angeordnet. Das Gericht verfügte weiters, dass die Kommission gemeinsam mit dem Umwelt- minister einen umfassenden Plan zur Reinigung und Wiederherstellung des Flusses, der Been- digung von illegalen Bergbauaktivitäten sowie einer Wiederaufforstung von betroffenen Ge- bieten erstellen müsse.271 Diese Anordnungen des Gerichtes wurden befolgt. Medienberichten zufolge fanden jedoch aufgrund von andauernden Konflikten unter diversen paramilitärischen Gruppen bis dato keine umfassende Wiederherstellung statt.272

Letztendlich beruht die Entscheidung des zuständigen Verfassungsrichters nach seinen ei- genen Angaben darauf, dass die dominante anthropozentrische Weltsicht durch eine öko- zentrische Sichtweise ersetzt wird, wonach Menschen nur eine Spezie in der Natur, wie Fauna, Flora und anderen Spezies darstellen.273

 

 

 


269 Constitutional Court of Colombia, USA Center for Social Justice Studies et al. vs Presidency of the Republic et al., Judgment T-622/16 (The Atrato River Case), Translation: Dignity Rights Project, Delaware Law School (2016), Rz 35 f.

270 Ibid Rz 26 f.

271 Ibid.

272 Gillingham, Toxic River: Mining, mercury and murder continue to plague Colombia’s Atrato, Mongabay  (2019),  https://news.mongabay.com/2019/10/toxic-river-mining-mercury-and-murder-

continue-to-plague-colombias-atrato/ (Abfrage: 17.4.2020).

273 Jorge Ivan Palacio: El Centinela del Rio Atrato,” El Espectador, December 3, 2017, Accessed

19 March 2018, https://www.elespectador.com/noticias/judicial/jorge-ivan-palacio-el-centinela-del-rio-atrato-articulo-726304 (Abfrage: 17.4.2020).


Basierend auf diesem Präzendenzfall anerkannte 2019 das Landesgericht von La Plata- Huila den Fluss La Plata,274 das Verwaltungsgericht Tolima die Flüsse Coello, Combeima und Cocora samt deren Nebenflüssen,275das Höchstgericht von Medellin den Fluss Cauca samt Nebenflüssen, 276 das Strafgericht Neiva in erster Instanz den Magdalena Fluss samt Nebenflüssen277 sowie das Verwaltungsgericht von Quindío den Fluss Quindío278 jeweils als Rechtssubjekte. Die Anerkennung dieser Flüsse als Rechtssubjekte inkludiert das Recht auf Schutz, Erhalt und Wiederherstellung. Mehrheitlich ordnen diese Entscheidungen auch einen Stopp des Rohstoffabbaus in dieser Region an.279

Eine weitere, prominente Entscheidung des Verfassungsgerichtshof betraf die Anerken- nung der Amazonas Region als Rechtsperson im Jahr 2018.280 25 junge KolumbianerInnen verklagten die Regierung, einige Behörden und Unternehmen wegen Verletzung ihres Rechts auf eine gesunde Umwelt sowie ihre Rechte auf Leben, Nahrung, Wasser und Gesundheit. Die Antragsteller brachten in dieser Popularklage vor, dass das Fortschreiten des Klimawandels gepaart mit dem Versäumnis der Regierung die Abholzung des Amazonas zu unterbinden, eine Verletzung ihrer Grundrechte darstelle. Insbesondere aufgrund ihres Alters seien sie von den Folgen des Klimawandels und durch das Nichthandeln der Regierung besonders betroffen.281 Die Antragsteller orientierten sich in ihrem Vorbringen und ihrer Strategie an dem erfolgreichen philippinischen Fall Oposa vs Factoran in welchem Kinder und Eltern die Rechte von zukünftigen Generationen hinsichtlich der Folgen des Klimawandels geltend machten.282 Die Antragsteller brachten vor, dass die Regierung durch die massive Abholzung der Regenwälder, gepaart mit den zunehmenden Folgen des Klimawandels das Recht der

 


274 Uzgado Único Civil Municipal La Plata – Huila, 41-396-40-03-001-2019-00114-00, 19.3.2019, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload823.pdf (Abfrage: 24.4.2020).

275 República De Colombia, Tribunal Administrativo Del Tolima Magistrado Ponente: José Andrés Rojas Villa, 73001–23–00–000–2011–00611-00, 30.5.2019,

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload836.pdf (Abfrage: 24.4.2020).

276 Tribunal Superior Medellin, Juan Luis Castro Córdoba y Diego Hernán David Ochoa vs Ministerio de Ambiente y Desarrollo Sostenible, EPM, Hidroeléctrica Ituango S.A. E.S.P. y otros, 05001 31 03 004 2019 00071 01, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload837.pdf (Ab-

frage: 23.4.2020).

277 Rama Judical, Consejo Superior de la Judicatura, República de Colombia, Juzgado Primero Penal del Circuito con Funciones de Conocimiento Neiva Huila, Rad. 41001-3109-001-2019-00066-00, Sentencia de Tutela de Primera Instancia No071, 24.10.2019, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload869.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

278 El Nuevo Siglo, Río Quindío, otro cuerpo fluvial que es sujeto de derechos, https://www.elnuevosiglo.com.co/articulos/12-2019-rio-quindio-otro-cuerpo-fluvial-que-es-sujeto-de-derechos (Abfrage: 23.4.2020).

279 Herrera-Santoyo, The Rights Of Nature (Rivers) And Constitutional Actions In Colombia, https://gnhre.org/2019/07/08/the-rights-of-nature-rivers-and-constitutional-actions-in-colombia/#_ftn4 (Abfrage: 17.4.2020).

280 Corte Suprema de Justicia, Sala de Casación Civil, Luis Armando Tolosa Villabona, Magis-trado ponente, STC4360-2018, Radicaión n. 11001-22-03-000-2018-00319-01, 5.4.2018,

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload605.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

281 Ibid.

282 Oposa vs Factoran (G.R. No 101083 | 1993-07-30).


Jugend sowie das Recht zukünftiger Generationen auf Leben und Gesundheit verletzen würde.283

Die Antragsteller verloren in der ersten Instanz, der Verfassungsgerichtshof entschied al- lerdings zu ihren Gunsten. So hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass Grundrechte wie das Recht auf Leben, Gesundheit, Freiheit und menschliche Würde untrennbar mit der Umwelt und dem Ökosystem verbunden sind. Das Gericht setzte sich umfassend mit den Konsequenzen des Klimawandels für die zukünftige Generation und der Bedeutung des Amazonas im Kampf gegen den Klimawandel auseinander. Es hielt fest, dass es trotz umfassender internationaler Verträge bis dato keine effektive Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Verhinderung der weltweiten Abholzung existiere. Um den Erhalt des Amazonas auch für zukünftige Generationen sicherzustellen, anerkannte der Verfassungsgerichtshof den kolumbianischen Amazonas als Rechtssubjekt. Diesbezüglich nahm der Gerichtshof explizit Bezug auf die frü- here Entscheidung betreffend den Fluss Atrato. Das Recht des Amazonas umfasse das Recht auf Schutz, Erhalt und Wiederherstellung. Der Verfassungsgerichtshof ordnete weiters an, dass die Regierung eine generationsübergreifende Kommission zum Schutz des Amazonas, „intergenerational pact for the life of the Colombian Amazon – PIVAC284 gründen solle. Der Verfassungsgerichtshof anerkannte – im Unterschied zu dem philippinischen Vorbild- verfahren – nicht explizit das Bestehen generationsübergreifende Rechte auf Schutz vor den Folgen des Klimawandels, aber begründet die Anerkennung des Amazonas als Rechtsperson mit den Interessen und Rechten von zukünftigen Generationen auf eine gesunde Umwelt.285

Nachdem die Regierung jedoch den Anordnungen des Verfassungsgerichtshofs nicht Folge leistete, insb keine Maßnahmen zur Beendigung der Abholzung vorlegte, geschweige denn durchführte, reichten die Antragsteller 2019 einen Antrag auf Feststellung der Nichterfüllung der richterlich angeordneten Maßnahmen ein.286

Zusätzlich zu der Anerkennung von Flüssen als Rechtspersonen anerkannte der Oberste Gerichtshof 2017 den Bären Oso de Anteojos als Rechtsperson. Festzuhalten ist, dass die kolumbianische Verfassung nur den Schutz von Tieren stipuliert, nicht deren Eigenrechte. Auch in dieser Entscheidung begründete der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung damit, dass die Zerstörung des Planeten die Anerkennung von neuen Rechtspersonen zum Schutz dieser und dem gesamten Ökosystem, auch für zukünftige Generationen erfordere.287 Auch einzelne Regionen wurden in Kolumbien als Rechtspersonen anerkannt. So anerkannte


283 Corte Suprema de Justicia, Sala de Casación Civil, Luis Armando Tolosa Villabona, Magis- trado ponente, STC4360-2018, Radicaión n. 11001-22-03-000-2018-00319-01, 5.4.2018,

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload605.pdf (Abfrage: 23.4.2020);

284 Englische Urteilsübersetzung der Antragsteller Dejusticia“.

285 Corte Suprema de Justicia, Sala de Casación Civil, Luis Armando Tolosa Villabona, Magis- trado ponente, STC4360-2018, Radicaión n. 11001-22-03-000-2018-00319-01, 5.4.2018,

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload605.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

286 Ardila-Sierra, The Colombian government has failed to fulfill the Supreme Court’s landmark order to protect the Amazon, 5.4.2019, https://www.dejusticia.org/en/the-colombian-government-has-failed-to-fulfill-the-supreme-courts-landmark-order-to-protect-the-amazon/ (Abfrage: 16.4.2020).

287 Corte Suprema de Justicia, Sala de Casacíon Civil, Luis Armando Tolosa Villabona Magistrado ponente AHC4806-2017Radicación n.° 17001-22-13-000-2017-00468-02, Bogotá, D. C., veintiséis (26) de julio de dos mil diecisiete (2017).


2018 das Verwaltungsgericht Boyacá das Pisba Hochland als Rechtssubjekt.288 Die Sonder- justiz für den Frieden, eine Kommission zur Aufarbeitung der Verbrechen der FARC-Rebel- len, anerkannte 2019 die Region der indigenen Awá, Katsa Su, als Rechtssubjekt und Opfer des bewaffneten Konflikts. Auch diese Entscheidung beruht auf der Anerkennung der intrinsi- schen Beziehung zwischen den Awá und der Region Kata Su.289

VI.      Einzelrechte der Natur durch Gerichtsentscheidungen Belize

Eine Einzelentscheidung zugunsten der Natur traf auch der Verfassungsgerichtshof von Belize. Der Fall betraf die Havarie des mit Containern beladenen Frachtschiffes MS Westerhaven in unmittelbarer Nähe eines Wallriffs, welches aufgrund seiner Artenvielfalt und Größe als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt wurde. Der Generalanwalt beantragte Schadenersatz für das Riff aufgrund der durch den Unfall verursachten Schäden dieses Öko- systems. Diesbezüglich brachte er vor, dass das Riff im Eigentum und unter Schutz der Regie- rung stünde. Dem Antrag auf Schadenersatz wurde stattgeben, allerdings wurde seitens des Gerichts festgehalten, dass das Riff nicht im Eigentum der Regierung stünde. Der zugespro- chene Schadenersatz beruhe auch auf keiner Vertragsverletzung. Es handle sich hierbei um einen Antrag sui generis, der auf der Achtung der Ökologie, des Wallriffs und der Meeresum- welt beruhe.290 Das Gericht zweiter Instanz bestätige im Wesentlichen das Urteil der ersten Instanz und korrigierte das Urteil nur hinsichtlich der Schadenshöhe aufgrund der Größe des Frachtschiffes.291

 

G.        Internationale Tendenzen

Zusätzlich zu der geschilderten (verfassungs-)rechtlichen Umsetzung und der gerichtli- chen Anerkennung von Eigenrechten der Natur sind in unterschiedlichen Staaten Tendenzen in diese Richtung zu bemerken.

In der belgischen Gemeinde Lennik brachten Bürger einen Antrag im Namen von 100 individuell angeführten Bäumen als Reaktion auf die Änderung eines Flächenwidmungs- plans ein. Begründet wurde der Antrag mit der Bedrohung der Umgebung durch den mensch- lich verursachten Klimawandel. Davon seien auch die Antragsteller, die Bäume, betroffen, die unter verstärktem Schädlingsbefall leiden. Ausgeführt wird hierbei, dass es sich bei den An- tragstellern (den Bäumen) um Lebewesen handelt, deren durchschnittliche Lebenserwartung die eines Menschen übersteigt. Vorgebracht wird außerdem, dass die Antragsteller durch die

 


288 Tribunal Administrativo de Boyacá, Juan Carlos Alvarado Rodríguez y otros vs Ministerio de Medio Ambiente y otros, 15238 3333 003 2018 00016 01, 9.8.2018,

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload731.pdf (Abfrage: 23.4.2020).

289 República de Colombia Jurisdicción Especial para la Paz, Salas de Justicia, Sala de Reconoci- miento de Verdad, de Responsabilidad y de Determinación de los Hechos y Conductas, Caso No 02 de 2018, Auto SRVBIT-079, Bogotá, 12 noviembre de 2019.

290 MS Westerhaven Schiffahrts GmbH & Co KG Redier Shipping Bv V. The Attorney General Of Belize, Supreme Court Of Belize Claim No 45 Of 2009.

291 MS Westerhaven Schiffahrts GmbH & Co KG Redier Shipping Bv V. The Attorney General Of Belize, Court Of Appeal Of Belize, A.D. 2011 Civil Appeal No 19 Of 2010.


Klimakrise bereits stark in ihrer Existenz betroffen sind und dass die Bäume als Rechtsper- sonen anzuerkennen seien. Das Verfahren ist derzeit noch anhängig.292

Costa Rica erklärte den 22.4. zu einem nationalen Feiertag, nämlich zum „Tag der Mut- ter Erde“.293

Die zu Frankreich gehörende Pazifikinselinselgruppe, Iles Loyauté (zu Deutsch: „Loyali- tätsinseln“), die zu 90 % von den indigenen Kanak bewohnt wird, erarbeitete ein eigenes Umweltgesetz, in dem die Natur als Rechtssubjekt anerkannt werden soll.294 Der konkrete Status Quo dieses Gesetzgebungsprozesses konnte aktuell nicht ermittelt werden.

Der Stadtrat der Stadt Santa Fe (Argentinien) beschloss eine Verordnung über das Ver- bot von Glyphosat und bestimmten toxischen Pflanzenschutzmitteln und hielt in Art 4 dieser V fest, dass diese Maßnahmen auch zum Schutz der Rechte der Natur durchgeführt werden.295 Diese V muss jedoch vom Bürgermeister der Stadt Santa Fe beschlossen werden, was nach derzeitigem Wissensstand noch nicht erfolgt sein dürfte. In den Verhandlungen rund um die Verfassungsreform des Bundesstaates Santa Fe wurde darüber hinaus ein Vorschlag über die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt eingebracht.296

Der Verfassungsgerichtshof Südafrikas entschied 2018, dass die Dwesa Cwebe das Recht haben, gemäß ihren eigenen Rechtsstrukturen und im Einklang mit ihrer Weltanschauung in einem Naturreservoir zu fischen. Die Entscheidung enthält keine Anerkennung von Eigenrechten der Natur aber eine Anerkennung des Rechtssystems der Dwesa Cwebe, welches die Natur als eigenständiges Lebewesen und somit als Rechtssubjekt anerkennt.297

 

H.        Eigenrechte der Natur und Klimaklagen

Wie bereits iZm der Anerkennung der Eigenrechtlichkeit des kolumbianischen Amazonas im Rahmen einer Klimaklage298 und dem gescheiterten Klimaverfahren betreffend die Aner- kennung des Colorado 299 erörtert wurde, gewinnen Eigenrechte der Natur als rechtliches Werkzeug auch in Klimaschutzverfahren an Bedeutung. Insgesamt verzeichnet die Klima-


292 Requête en intervention volontaire Art 813 du Code judiciare, Au tribunal de première instance francophone de Bruxelles, section civile, numéro de rôle 15/4585/A.

293 Executive Decree No 39659-Minae-Mcj-Mepthe President Of The Republic, The Minister Of Environment And Energy, The Minister Of Culture And Youth And The Minister Of Public Education

294 Nouvelle-Caledonie, Province des îles Loyautés, Délibération n° 2016-13/API du 6 avril 2016 portant adoption du Code de l’environnement de la province des îles Loyauté, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload704.pdf (Abfrage: 17.4.2020); Harmony with Nature Report des Generalsekretärs an die Vollversammlung der Vereinigten Nationen, A/72/221, 23.7.2018, https://undocs.org/pdf?symbol=en/A/73/221 (Abfrage: 17.4.2020).

295 Honorable Concejo Municipal De La Ciudad De Santa Fe, Comisión de Gobierno y Seguridad Ciudadana, El Expediente N° CO-0062-01489129-5 Adj. CO-0062-01486894-7, Y;

http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload725.pdf (Abfrage: 17.4.2020).

296 Aportes para la reforma de la Constitución de la Provincia de Santa Fe en materia ambiental, http://files.harmonywithnatureun.org/uploads/upload692.pdf (Abfrage: 17.4.2020).

297 Gongqose & others v Minister of Agriculture, Forestry & Fisheries and others; Gongqose & others v State & others (1340/16 & 287/17) [2018] ZASCA 87 (1.6.2018).

298 Demanda Generaciones Futuras vs Minambiente.

299 Colorado River Ecosystem vs State of Colorado.


datenbank300 der Columbia Universität bereits fünf Klimaverfahren, in denen die Eigen- rechtlichkeit der Natur eine Rolle im Verfahren bzw im Verfahrensausgang spielt. Be- merkenswert ist hierbei, dass die Notwendigkeit einer Anerkennung va in den letzten zwei Jahren vermehrt ins Treffen geführt wurde.

Ähnlich wie in Kolumbien wurde sowohl in Argentinien als auch in Peru eine Klimaklage, jeweils im Namen einer Gruppe von Jugendlichen eingebracht. In Argentinien wurde unter Bezugnahme auf Judikatur und Gesetzgebung in Ecuador, Kolumbien, Indien und Neuseeland die Anerkennung des Paraná Delta als eigene Rechtsperson beantragt.301 Diese Anerkennung sei laut Antragsteller notwendig um die bedeutende Rolle der Flussregion im Kampf gegen die Klimakrise sicherzustellen. Der Antrag wurde 2020 eingebracht, das Verfahren ist derzeit noch anhängig. 2021 reichte eine Gruppe von Jugendlichen wiederum eine Klimaklage gegen die peruanische Regierung wegen unzureichender Klimaschutzmaßnahmen ein.302 Die Antragsteller beantragen neben der Verschärfung der Reduktionsziele von CO2-Treib- hausgasemissionen die Anerkennung des peruanischen Amazonas als eigene Rechtsperson, da dieser eine essentielle Rolle im Kampf gegen die Klimakrise spielte. Auch dieses Verfahren ist nach wie vor anhängig.

Jüngst wurde in Pakistan im Rahmen eines umfassenden UVP Verfahrens, in dem die Er- richtung pakistanische Zementproduktionsanlage letztlich aus Klimaschutzgründen untersagt wurde, seitens des pakistanischen Verfassungsgerichtshofes festgehalten, dass die Natur selbst als Rechtsperson anerkannt werden müsse.303

 

I.            Zusammenfassung

Wie sich an den unterschiedlichen Beispielen und deren zeitlichem Auftreten festmachen lässt, stellt die Anerkennung der Eigenrechtlichkeit der Natur eine im Wachstum begriffene Rechtsbewegung dar, die sich quer über Rechtsysteme und Kontinente hinweg gegenseitig inspiriert. So diente die lokale Umsetzung eines Gemeindebezirkes in den Vereinigten Staaten einer Verfassungsreform in Ecuador zum Vorbild. Die rechtliche Anerkennung der Eigen- rechte eines Flusses in Neuseeland beeinflusste wiederum zahlreiche Richter in Bangladesch, Kolumbien und Indien zur gleichartigen Anerkennung von Flüssen als Rechtsubjekte durch Einzelentscheidungen.

Ungeachtet dieses organischen Wachstums lassen sich einzelne Faktoren feststellen, die diese Rechtsentwicklung zumeist veranlassten. So erfolgte die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt oftmals in der Auseinandersetzung eines Landes mit den eigenen historischen Wurzeln, bspw im Falle der lateinamerikanischen Staaten wie Ecuador und Bolivien, die im Rahmen einer kompletten Neugestaltung des Staates durch eine neue Verfassung die eigene Plurinationalität anerkannten, eine Entwicklung, der in beiden Ländern Jahrzehnte der wirt- schaftlichen und politischen Krise und ein Erstarken der indigenen Bewegung des Landes vorangegangen sind. Die Bestätigung und Achtung der Rechte der indigenen Bevölkerung


300 Sabin Center for Climate Change Law, https://climate.law.columbia.edu/ (Abfrage: 8.9.2021).

301 Asociación Civil por la Justicia Ambiental vs Province of Entre Ríos et al.

302 Álvarez et al vs Peru.

303 D. G. Khan Cement Company vs Government of Punjab.


bedeutet letztlich die verfassungsrechtliche Umsetzung kollektiver Rechte und die Einführung eines ökozentrischen Weltbildes. Anzumerken ist, dass die zahlreiche jüngere Verfassungen304 in Südamerika eine umfassende Umsetzung von kollektiven Rechten, Umweltrechten sowie Rechte auf nachhaltige Entwicklung, sog Menschenrechte der dritten Generation, beinhalten und somit ein gewisser Nährboden für Eigenrechte der Natur gegeben ist. Exemplarisch ist hier die Anerkennung von Flüssen in Kolumbien zu nennen.

Auch in Neuseeland entsteht das neue Rechtsubjekt Natur in der Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen Identität. Im Unterschied zu lateinamerikanischen Staaten allerdings nicht im Rahmen einer Neustrukturierung des Staates, sondern vielmehr in der Auseinander- setzung mit kolonialem Unrecht und der Aussöhnung und Eingliederung der indigenen Bevöl- kerung des Landes. Die Eingliederung des māorischen Weltbildes und Rechtsverständnisses bot für Neuseeland die Möglichkeit, jahrhundertelange Landstreitigkeiten zu beenden, ohne tatsächlich Land an die Mãori übertragen zu müssen. Auch in Australien ist eine ähnliche Entwicklung, zB im Bundesstaat Viktoria, zu beobachten.

Ein vollkommen anderer Entstehungshintergrund ist in den Vereinigten Staaten ersicht- lich, wo die Anerkennung der Natur als Rechtsubjekt als Mittel gegen industriell verursachte Umweltschäden angesehen wird. Die Einführung eines neuen Rechtsverständnisses der Natur spielt sich in den USA vor dem Hintergrund eines Kampfes gegen nationale und multinatio- nale Konzerne und dem Wunsch nach lokaler Selbstverwaltung ab. Die Anerkennung der Na- tur als Rechtsubjekt entsteht hier vielmehr in Reaktion auf ein akutes Umwelt- und Macht- problem denn in Kontemplation über die eigene nationale Identität.

Die Tendenz, die Natur als Rechtsubjekt anzuerkennen, um auf diesem Weg eine rechtlich wirksame Handhabe gegen Umweltschäden zu haben, stellt in den letzten zehn Jahren wohl den häufigsten Grund für die Rechtsentwicklung der Natur vom Schutzobjekt zum Rechtssubjekt dar. So ist in den Entscheidungen der Richterbank Indiens die Frustration mit der Nichtumsetzung von angeordneten Umweltschutzmaßnahmen erkennbar und auch in Ko- lumbien denken Richter über die Notwendigkeit eines neuen Rechtsansatzes nach, um die Auslöschung von Flüssen in Folge von Umweltschäden zu vermeiden. In jüngster Zeit, wie bspw im Fall der Anerkennung der Eigenrechte des Amazonas erkennbar, erfolgt die Aner- kennung der Eigenrechte der Natur in der Überzeugung, dass die vorherrschende anthropo- zentrische Sichtweise das Aussterben des Planeten zur Folge hat, das nur durch einen Paradig- menwechsel abgewendet werden kann. Eigenrechte der Natur werden somit auch als mögli- cher Lösungsansatz im Kampf gegen die Folgen der Klimakrise erkannt. Eine Zunahme an positiven Entscheidungen ist zu vermerken.

So unterschiedlich die rechtliche Motivation für und die Umsetzung von Eigenrechten der Natur national ausgestaltet sein mag, so deutlich wird, dass die Anerkennung der Natur (oder Teile davon) einen herausfordernden Paradigmenwechsel darstellt. Dies zeigt sich auch an- hand des Beispiels von Ecuador. Ungeachtet des indigenen Bevölkerungsanteils von rund 40 Prozent erfordert die rechtliche Umsetzung des bekannten indigenen Konzeptes von Pachamama eine umfassende Bildung der Richterschaft sowie einen starken politischen Um- setzungs- und Änderungswillen. Die erste Anerkennung von Eigenrechten der Natur erfolgte


304 Diese Verfassungen zählen zum sog nuevo constitucionalismo“.


zunächst hinsichtlich eines konkreten Ökosystems, des Flusses Vilcabamba. Daran ist erkenn- bar, dass dieser Paradigmenwechsel am ehesten schrittweise und anhand konkreter, greifbarer Elemente der Natur, wie Flüsse oder Tiere, erfolgt. Auch die internationale Vorbildwirkung ist nicht zu unterschätzen, denn nicht ohne Grund sind weltweit mehrheitlich Flüssen Eigenrechte zugestanden worden, anstelle von bspw Bergen oder Bäumen. Eine großzügig angelegte Umsetzung der Eigenrechte, wie die verfassungsrechtliche Ausgestaltung in Ecuador, bietet letztlich auch bei vagen Formulierungen die Möglichkeit, konkrete rechtliche Definitionen und eine Einbettung des neuen Rechtsubjektes im Wege der Judikatur schrittweise zu erlangen.

Ebenfalls großzügig und dennoch konkret ausgeführt ist im Vergleich dazu die Umset- zung einzelner Eigenrechte in Neuseeland. Selbst steuerrechtliche Aspekte des Flusses Whan- ganui in Bezug auf erhaltene Förderungen sind geregelt, viele Schnittstellen zwischen den letztlich konträren Weltanschauungen bereits berücksichtigt und das Rechtsubjekt selbst ist klar definiert. Auch der Ansatz die Verknüpfung der Rechtsysteme des common law und der Mãori nicht nur in der Gesetzesausführung, sondern auch durch ein kollektives Vertretungsorgan des neuen Rechtsystems sicherzustellen ist vielversprechend. Denn die Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt bringt in letzter Konsequenz einen Paradigmenwechsel mit sich, der über die Schaffung eines neuen Rechtsubjektes hinausgeht und somit einigen Diskussionsbedarf aufweist.

 

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II.   Teil Eigenrechtsfähigkeit der Natur

 

A.         Einleitung

 

I.             Projektauftrag

Angesichts der vorstehend aufgezeigten internationalen Entwicklungen geht das Projekt der Frage nach, inwiefern die Eigenrechtsfähigkeit der Natur als solche in der österr Rechts- ordnung umsetzbar ist. Dass ein solcher Paradigmenwandel einer eingehenden thematischen Behandlung bedarf, liegt auf der Hand.

II.         Generelle Vorbemerkungen

1.       Grundlegendes zu Umwelt und Interessenverfolgung im Recht

Das Umweltrecht als verhältnismäßig junge juristische Disziplin sieht sich mit einer Grundfrage konfrontiert, die in den Naturwissenschaften seit Jahrhunderten diskutiert wird: Wie steht der Mensch, wie steht die Gesellschaft zur Natur? Oder, juristisch formuliert: Warum – zu welchem Zweck, mit welchem Ziel – soll das Recht der menschlichen Gesellschaft die Natur schützen?

Schon in dieser Fragestellung, die dem Telos, dem Ziel des Umweltrechts, nachgeht, zeigt sich ein Wurzelproblem – die inhärente Vorstellung, der Mensch stehe der Natur gegenüber, sie sei ein von ihm getrenntes, zu unterscheidendes Objekt, dessen Aneignung und Nutzung es zu regulieren und zu gestalten gelte.

Mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften ist diese Sichtweise nicht vereinbar: Wie die Physik spätestens seit der kopernikanischen Wende das Bild von der Erde als Mittelpunkt des Universums erschüttert hat, so haben die biologischen Wissenschaften – neben der dar- winistischen Evolutionstheorie va die moderne Ökologie (Ernst Haeckel; Justus von Liebig) – das Bild vom Menschen, der sich „gern als ein Gegenüber der Natur sieht und versucht, sich ökologischen Kreisläufen zu entziehen überwunden: „Der Mensch ist in übergreifende ökolo- gische Systeme eingebunden“.1 Diese sind nach ihrem inneren Bauplan und ihren Wirkungs- zusammenhängen – nicht dem Menschen als „Krone der Schöpfung“ zugeordnet, sondern durch ein Geflecht ökosystemarer Beziehungen miteinander und untereinander verbunden. Kurz gesagt: Die modernen Naturwissenschaften sehen den Menschen „ohne Rest als Teil der Natur“.2

Diese Erkenntnis schlägt auch auf das Recht durch: Gerät nämlich die dualistische Sicht – Mensch vs Natur – ins Wanken, so stellt sich unweigerlich die Frage, ob unsere juristische Differenzierung und die tradierte Zuordnung von Rechtssubjekten vs Rechtsobjekten noch haltbar ist. Zeitgenössische Philosoph*innen ziehen diese Kategorien grundsätzlich in Zwei- fel: Nach Caccia etwa sind die Spezies keine Substanzen, keine realen Entitäten. Sie sind


1 Soentgen, Ökologie der Angst (2018) 13.

2 Fehrenbach im Vorwort zur Reihe De Natura (2012).


‚Lebensspiel‘, unbeständige und notwendigerweise ephemere Konfigurationen eines Lebens, das mit Vorliebe von einer Form zur anderen wandert und zirkuliert“.3 Prägnant fasst dies Birgit Recki in eine Definition: „Natur ist (…) der Inbegriff der wirkenden Kräfte“;4 diese Kräfte wirken auf, in, durch den Menschen; sie umgeben, umfassen, enthalten ihn.

In der umweltethischen und -juristischen Debatte entzündet sich an dieser Erkenntnis die Streitfrage, ob der Natur ein Eigenwert zukomme, mehr noch: ein eigener Status zuerkannt werden müsse, ob sie – unabhängig von menschlichen Nutzungsansprüchen und Schutz- bedürfnissen (nach Wahrung seiner Lebensgrundlagen) – zu schützen sei und selbst Trägerin eines Rechts auf Schutz sein könne An dieser Frage scheiden sich der anthropozentrische und der ökozentrische Ansatz (shallow vs deep ecology):

Für den anthropozentrischen Ansatz hat die Natur va „instrumentelle“ Bedeutung: Sie erbringt die lebensnotwendigen „Ökosystemdienstleistungen“, 5 bietet Erholungswert und ästhetischen Genuss und ist – auch aus Sicht der Verantwortung für die künftigen Generatio- nen – zu wahren.

Der ökozentrische Ansatz durchbricht diese perspektivische Engführung, die alleinige funktionale Zuordnung zum Menschen, und schützt die Natur und die biologische Vielfalt um ihrer selbst willen – auch in Dimensionen und Erscheinungsformen, „die aus Sicht des Men- schen keinen (erkennbaren) Nutzen für sein Wohlempfunden und seine (wirtschaftliche und soziale) Entwicklung haben“.6

Anknüpfend an diese Sichtweise ist die Frage zu erörtern, wie dieser Eigenwert der Natur im Recht der menschlichen Gesellschaft geschützt wird. Die banale Erkenntnis, dass weder die Natur als Gesamtheit noch die einzelnen Arten in der Lage sind, ihre Interessen zu artikulieren, zwingt keineswegs zu einer allein anthropozentrischen Schutzrichtung des Rechts. Sie bedingt nur, dass der Schutz vom Menschen – also „anthroporelational“ – erkannt und geltend gemacht werden muss; der Mensch ist allerdings durchaus in der Lage, über die eigenen Interessen hinauszusehen, in einer „trans-anthroporelationalen“ Sichtweise die Natur als etwas Größeres als er selbst ist anzuerkennen und ihr einen „nutzungsunabhängigen Wert zuzuerkennen und ihn zu schützen“.7

Und: Der Mensch kann noch einen Schritt weitergehen, indem er die Natur nicht nur als Objekt ökozentrisch schützt, sondern die Natur, deren Teil er ist, als Subjekt anerkennt, sie mit Status und Stimme ausstattet (durch bewährte Rechtstechniken wie Vertreter*innen, Organe), sodass sie ihre Ansprüche geltend macht.

Dies führt zum Kernthema der vorliegenden Studie: Wie und von wem kann/soll dieser Eigenwert der Natur, diese Gesamtsicht, die über einzelnen Nutzungs- oder Schutzinteressen hinausgeht, im Rechtssystem geltend gemacht werden?

 


3 Caccia, Metamorphosen (2021) 15.

4 Recki, Natur und Technik (2021) 73.

5 Kiefer, Warum schützt das Recht die biologische Vielfalt? (https://studzr.de/medien/beitraege/ 2014/1/pdf/StudZR-WissOn_2014-1_Kiefer_Schutz_biologische_Vielfalt.pdf) 73 f.

6 Ibid.

7 Ibid 82.


2.       Wahrnehmung von Umweltinteressen in der österreichischen Rechtsordnung

Die eingangs erwähnten Fragen nach der Schutzrichtung – entweder nach dem anthropo- zentrischen Ansatz, wonach der Schutz der Natur um des Menschen willen erfolgt oder dem ökozentrischen Ansatz, der den Schutz der Natur um ihrer selbst willen verfolgt8 – und dem Rechtsstatus der Natur – als Objekt, das geschützt wird, oder als Subjekt, das seinen Schutz geltend macht – stellen sich auch im österr Umweltrecht.

In der österr Rechtsordnung herrscht dabei kein „Entweder-Oder“ vor, sondern es besteht eine Vielfalt an Schutzansätzen und Konzepten, die in den unterschiedlichen Materiengeset- zen zum Schutz der Umweltgüter führen. In diesen Gesetzen wird die Natur durchgehend als Objekt, als „Sache“, anthropo- oder ökozentrisch geschützt wird. Die Interessen des Umwelt- schutzes werden zwar mitunter durch bestimmte Rechtsträger vertreten, diese nehmen aber nur Interessen zum Schutz von Umweltgütern wahr; sie vertreten die Natur nicht. Die Umwelt bleibt Schutzobjekt, Sache. Eine Emanzipation vom Sachbegriff ist zwar ansatzweise in

§ 285a ABGB für Tiere gelungen; im Umweltrecht hat dies bislang keine tiefgreifenden Kon- sequenzen.

Im Folgenden soll das Wechselspiel zwischen Interessenwahrung und Akteuren im Um- weltrecht näher in den Blick genommen werden.

Der Schutz der Natur erfolgt zum einen im öffentlichen Recht zum anderen im Privatrecht. Im öffentlichen Recht kommt es einerseits von Amts wegen durch die Behörden in Wahrnehmung des öffentlichen Interesses an dem in den Materiengesetzes eingeräumten Standard an Umweltschutz. Dieser Standard beruht auf jenem Kompromiss, den die im Natio- nalrat vertretenen Parteien in der konkreten Zeit und den konkreten gesellschaftlichen Bedürf- nissen, uU auch an allenfalls konfligierenden öffentlichen Interessen (Schaffung von Arbeits- plätzen; dieses und jenes) den öffentlichen Interessen an einer intakten Umwelt angedeihen lassen. In vielen Fällen handelt es dabei um nivellierende Kompromisslösungen. Beim rein amtswegigen Vollzug ohne Beteiligung von (rechtsmittellegitimierten) Parteien und fehlender Kontrolle durch Rechtsmittelinstanzen droht ein Abgleiten in ein „folgenloses Umweltrecht“ (B. Raschauer); in weiterer Konsequenz resultieren aus Vollzugsdefiziten Schutzdefizite und aus diesen wiederum ein Fortschreiten degenerativer Entwicklungen in unserer Natur.

Zum anderen werden Umweltinteressen in öffentlichen Verfahren durch die Parteien als Träger von subjektiv-öffentlichen Rechten eingebracht. Eine spezifisch verwaltungsdog- matische Ausprägung ist idZ die Amts- oder Formalpartei, die der Gesetzgeber mit einem formalen Teilnahmerecht ausstattet, das aber weitgehend inhaltsleer und im Rechtsmittelver- fahren ineffektiv bleibt, wenn die jeweilige Partei nicht zugleich ausdrücklich ermächtigt wird, spezifische Schutzinteressen als subjektive Rechte geltend zu machen.

Die Parteien nehmen vorderhand ihre Rechte wahr, mittelbar können damit auch Umwelt- interessen miteingeschlossen sein, so zB der Gesundheits- oder Belästigungsschutz (zB Lärm-, Luft-, Geruchsbeeinträchtigung). Ob derartige Interessen im Verfahren eine Rolle spielen, hängt daher neben der Wahrnehmung von Amts wegen (siehe oben) von der Parteidisposi- tion im Verfahren ab. Die Parteien sind zwar berechtigt, in der Regel aber (mit Ausnahme von


8 Wagner in Wagner (Hrsg), Umwelt- und Anlagenrecht, Band I: Interdisziplinäre Grundlagen2 (2021) 63.


Amtsparteien, deren Rechte allerdings schwächer sind; dazu unten) nicht verpflichtet, die Umweltinteressen auch tatsächlich geltend zu machen und durchzusetzen.

Damit regiert vielfach das Prinzip „Zufall“, da angesichts der divergenten, mitunter defi- zitären Rechtslage nicht grundsätzlich gewährleistet ist, ob, und in welcher Intensität, etc die Partei umweltspezifische Rechte überhaupt aufgreifen kann bzw tatsächlich aufgreift oder nicht. In der Praxis ist damit der Schutz von Umweltgütern durch Zufälligkeiten und Un- wägbarkeiten häufig relativiert.

Vor dem Hintergrund dieser und anderer Defizite hat die Aarhus-Konvention die Rechte der Öffentlichkeit und damit den Schutz der Umweltgüter in umweltbezogenen Entscheidungsverfahren (Art 6 Abs 2 iVm Art 9 Abs 2 AarhK) sowie bei sonstigen Hand- lungen und Unterlassungen (Art 9 Abs 3 AarhK) aufgewertet: Einzelne und NGOs können die formelle und materielle Rechtswidrigkeit von Entscheidungen aufgreifen und mittels „access to justice“ einschreiten. Nun hängt freilich auch die Wahrnehmung von Umweltinteressen in dieser Form von Unsicherheiten, wie etwa den finanziellen Möglichkeiten der NGOs, der hinreichenden Sachkenntnis etc ab. Hinzu kommt, dass die Umsetzung der Aarhus-Konven- tion in Österreich in den Materiengesetzen zahlreiche Defizite aufweist und regelmäßig (ca halbjährlich, Forstrecht,9 jüngst Aktionsplan Nitrat,10…) vom EuGH nachgebessert werden muss. Gerade die Dimension der dritten Säule wurde in Österreich (wie auch in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten) lange unterschätzt und sorgte für Schockwirkungen im System: Als tradierte Rechtsinstitute wie zB die Präklusion ins Wanken gerieten und bewährte Institu- tionen wie die Umweltanwaltschaften im Mahnschreiben der EU als nicht Aarhus-konforme

„Sachwalter“ qualifiziert wurden, kam eine Dynamik in Gang, bei der zum einen die Reform- schritte möglichst „minimalinvasiv“ angelegt wurden (unter weitestgehender Bewahrung tra- dierter Systeme und Strukturen). Zum anderen wurde, wo dies politisch opportun war, die Gelegenheit ergriffen, um die Rechte der Umweltanwaltschaften zu beschneiden. Der politi- sche Wille des (damals türkis-blauen) Bundes-Gesetzgebers war eine knappe Umsetzung der internationalen und europarechtlichen Verpflichtung aus der Aarhus-Konvention „am unteren Rand“, die Länder sind dem Beispiel gefolgt. Die Chance, die Rechte der Öffentlichkeit den internationalen Verpflichtungen entsprechend auszubauen und insgesamt – durch eine Gene- ralreform des Systems und neue Aufgabenzuweisungen an die Umweltanwaltschaften (etwa iSe ökologischen Planungsorgans) – so den Schutz der Umweltgüter zu verbessern, wurde nicht erkannt bzw nicht genutzt.

Ergänzend zur amtswegigen Wahrnehmung von Umweltschutzinteressen und zur mittel- baren Wahrnehmung derselben durch die Parteien des Verfahrens wurden zu Beginn der 90er- Jahre des vorherigen Jahrhunderts die Umweltanwaltschaften in den Ländern11 eingerichtet.

 


9 Bundesgesetz vom 3.7.1975, mit dem das Forstwesen geregelt wird (Forstgesetz 1975), BGBl 1975/440.

10 Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über das Aktionsprogramm zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirt- schaftlichen Quellen (Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung – NAPV), BGBl II 2017/385.

11 § 1 Bgld L-UAG, LGBl 2002/78; § 3 Wiener Umweltschutzgesetz, LGBl 1996/36; § 4 NÖ Umweltschutzgesetz, LGBl 8050-0; § 4 USchG, LGBl 1996/84; § 1 LUA-G, LGBl 1998/67;


Die Umweltanwaltschaft ist als sog Formalpartei an jenen Verfahren beteiligt, bei denen der Materiengesetzgeber dies – wiederum aufgrund politischer Willensbildung – eingeräumt hat. In anderen Verfahren (zB GewO, WRG, ForstG, StraßenG, ….) ist eine Beteiligung gar nicht erst vorgesehen, bzw ist jüngst in OÖ die Tendenz erkennbar, jene Verfahren, bei denen die Umweltanwaltschaft Formalparteistellung besitzt, einzuschränken: zB im OÖ Baurecht, No- vellierung des § 5 OÖ UmweltschutzG durch die Nov 2016,12 im Naturschutzgesetz Novellie- rung des § 39 NSchG mit der Nov 2019,13 wonach der Umweltanwaltschaft die Parteistellung in Europaschutzgebieten genommen wurde.

Die Umweltanwaltschaften sind dazu berechtigt, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, als subjektives Recht geltend zu machen.14 Diese Formu- lierung („als subjektives Recht“) ist allerdings nicht als solches zu verstehen, sondern eine Fehlbezeichnung. Tatsächlich handelt es sich bei den vom Umweltanwalt geltend gemachten Rechten um Kompetenzen, die nicht zur Durchsetzung subjektiver Rechte, sondern zur Ver- wirklichung des objektiven Rechts beitragen sollen. Dem Umweltanwalt kommt daher hin- sichtlich der Umweltschutzinteressen keine eigene, gegen den Staat gerichtete Interessens- sphäre zu. Er ist, wie andere Landesorgane, auf die Vollziehung des ihm übertragenen Auf- gabenbereiches beschränkt.

Gem § 5 Abs 1 OÖ USchG 199615 hat die OÖ Umweltanwaltschaft, in den von den je- weiligen Landesgesetzen bezeichneten Verfahren zur Wahrung des Umweltschutzes, insb zur Vermeidung von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, Parteistellung. Damit wird die Stellung des Umweltanwalts als Partei allerdings explizit von einer Regelung im jeweiligen Materiengesetz abhängig gemacht. Fehlt diese, kommt der Umweltanwaltschaft mangels ge- setzlicher Verankerung keine Parteistellung im jeweiligen Verfahren zu.

Relativ stark ausgeprägt ist die Rechtsstellung der Umweltanwaltschaft im UVP-Verfah- ren: Gem § 19 Abs 3 UVP-G 20002 steht ihr das Rechtsmittel der Beschwerde an das BVwG sowie die Revision an den VwGH zu – mit dem Recht, die Verletzung der Einhaltung der Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, als subjektives Recht geltend zu ma- chen. Die Erhebung einer Beschwerde nach Art 144 Abs 1 B-VG an den VfGH ist allerdings unzulässig.16

Im Vergleich dazu ist die Parteistellung im Landesrecht, in dem die Institution eigent- lich eingerichtet ist, defizitär. Es bestehen nur singuläre, relativ eng abgegrenzte Parteirechte

 

 


§ 61 Abs 2a K-NSG 2002, LGBl 2002/79; § 50 Vbg Gesetz über Naturschutz und Landschaftsent- wicklung (GNL), LGBl 1997/22; § 6 StESUG, LGBl 1988/78; § 36 TNSchG 2005, LGBl 2005/26.

12 Landesgesetz, mit dem das OÖ Umweltschutzgesetz 1996 geändert wird (OÖ Umweltschutz- gesetz-Novelle 2016), LGBl 2016/32.

13 Landesgesetz, mit dem das OÖ Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001, das OÖ National- parkgesetz und das OÖ Umwelthaftungsgesetz geändert werden (OÖ Natur- und Landschaftsschutz- novelle 2019), LGBl 2019/54.

14 ZB § 19 Abs 3 UVP-G 2000.

15 Landesgesetz vom 4.7.1996 über Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und den Zugang zu In- formationen über die Umwelt (OÖ Umweltschutzgesetz 1996 – OÖ USchG), LGBl 1996/84.

16 Schmelz/Schwarzer, UVP-G-ON1.00 § 19 UVP-G 2000 Rz 113 ff mwN.


– etwa im Naturschutzrecht, in dem der gesamte Bereich des europäischen Naturschutzes von seiner Partizipation ausgeklammert ist.

Eine alle Materiengesetze übergreifende Sprachrohrfunktion für sämtliche Umweltgüter kommt der Umweltanwaltschaft im österr Recht also keinesfalls zu. Aus der bloß punktuellen Wahrnehmung von Umweltschutzinteressen in einzelnen Verfahrensarten entstehen abermals gravierende Schutzlücken für die betroffene Umwelt. Zudem schränkt § 5 OÖ UmweltschutzG die Mitsprachemöglichkeit des Umweltanwalts weiterhin ein:

In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinden besteht diese Partei- stellung nur dann, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine erhebli- che Gefährdung oder Schädigung für die Umwelt vorliegt oder das Vorhaben geeignet ist, eine solche erhebliche Gefährdung oder Schädigung herbeizuführen.“ Mit dem Kriterium der Erheblichkeit wird die Schwelle, ab wann der Schutz eingreift, zum Nachteil der Umweltgüter hinaufgesetzt. Das betrifft va Bauverfahren.

Außerdem ist die Wahrnehmungskompetenz der OÖ Umweltanwaltschaft auch um eine weitere Kautele beschränkt: Die OÖ Umweltanwaltschaft hat bei der Ausübung ihrer Partei- stellung auf andere, insb sonstige öffentliche Interessen soweit wie möglich Rücksicht zu neh- men. Sie hat ihre Parteistellung objektiv und unabhängig von den Parteien und vom beantrag- ten Gesamtziel oder Ergebnis des Verfahrens sowie nach den Erfordernissen der Hintanhal- tung erheblicher und dauernder Schädigungen der Umwelt, jedoch unter größtmöglicher Schonung anderer Interessen,17 auszuüben und ihre Anbringen gegenüber der Behörde zu begründen. Das bedeutet eine Vorverlagerung der Interessenabwägung, die von der Behörde in der Entscheidung zu treffen ist, in die Interessenvertretung, die der Umweltanwalt wahrzu- nehmen hat; dies führt in extremis zu einer Art Selbstzensur und belegt ein grundsätzliches Missverständnis in der Rollenverteilung in kontradiktorischen Verfahrenskonstellation: Der Umweltanwalt wird damit im Ergebnis in seiner anwaltlichen Funktion, in der er sich für von ihm zu vertretenden Interessen bestmöglich einzusetzen hätte, eingeschränkt und zu einem amtsspezifischen Entscheidungskalkül, das auch die gegenläufigen Interessen zu beachten hat, verhalten.

Keinerlei anwaltliche Befugnisse hat die Umweltanwaltschaft im gesamten Komplex des historisch gewachsenen, nach wie vor für die Effektivität des Umweltschutzes hochbedeut- samen Zivilrechts – und zwar weder, was das klassische Immissionsschutzrecht betrifft, noch was den Aspekt der Amtshaftung für Fehlverhalten von Behörden betrifft. Grundsätzlich könnte das Zivilrecht bei entsprechender Ausgestaltung wesentliche Rechtsschutz- und Voll- zugsdefizite beseitigen. Derzeit steht der Rechtsgüterschutz ausschließlich dem Eigentümer zu, die Rechtsgüter werden zum Teil als eigentumsfähig angesehen (dazu unten). Nur dort, wo Eigentumsfähigkeit gegeben ist, bestehen derzeit Handlungsmöglichkeiten im Privatrecht, damit sind die umweltrelevanten Naturgüter nicht ausreichend geschützt. Ihr Schutz ist außer- dem von der Willkür des Eigentümers abhängig in wie fern dieser seinen Schutz aufgreift. Unabhängig von der Erweiterung des privatrechtlichen Güterschutzes der natürlichen Rechts- güter erschiene es daher notwendig, die beschriebene Lücke im Schutz der Naturgüter durch ein Einschreiten des Umweltanwalts auch im Zivilrecht zur füllen.


17 Hervorhebung durch die Autor*innen.


Derzeit erfolgt der Schutz der Umweltgüter, neben dem öffentlich-rechtlichen Schutz über das Zivilrecht. Dies erfolgt dadurch, dass die Umweltgüter zT in Privateigentum stehen, so etwa Boden und Grundwasser. Wie weit die Privatgüter den Schutz von Umweltinteressen in sich tragen, hat die Arbeit von Friedrich Bamer18 treffend aufgezeigt: Der Eigentümer kann nicht nur die vollständige Zerstörung aufgreifen, sondern auch Verschlechterungen in der ökologischen Funktionsfähigkeit.

Selbst wenn man solcherart das Eigentum in seiner ökologischen Dimension mitdenkt – was aber sicher noch nicht als herrschend bezeichnet werden kann – bleibt es beim zentralen Problem des Umweltschutzes durch Privatrecht: Es liegt nämlich in Willkür des Eigentü- mers, ob und inwieweit er überhaupt seine Rechte als Eigentümer geltend macht. Dazu kommt, dass Eigentum disponibel ist und der Eigentümer selbst Verschlechterungen in der Qualität seines Bodens oder Grundwassers vertraglich vereinbaren kann. Er kann diese auch einfach so – infolge Untätigkeit – in Kauf nehmen.

Dazu kommt, dass im Privatrecht die Abgrenzung zwischen individuellen Schäden und überindividuellen Schäden bei sämtlichen Rechtsgütern (Wasser, Boden, Wald etc) in Literatur und Judikatur seit jeher extreme Schwierigkeiten bereitet, dazu noch eingehend nä- her unten B.II.9.).

3.       Umweltsituation in Österreich und in der EU

a.       Die kontinuierliche Verschlechterung der Naturgüter

Die Europäischen Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 3. Mai 2011 eine zentrale Aussage getätigt: Die Biodiversität ist die Lebensversicherung der menschlichen Gesell- schaft. Sie stellt ua Medizin, Nahrung und Trinkwasser zur Verfügung, bietet Unterschlupf, schützt vor Naturkatastrophen und trägt zur Klimaregulierung bei. Daneben ist die Biodiversi- tät auch Naturkapital, da sie Ökodienstleistungen bereitstellt, die die Grundlage der Wirtschaft bilden. Die Kommission sieht daher – uE mit Recht – den Biodiversitätsverlust neben dem Klimawandel als die kritischsten Umweltbedrohungen, welche darüber hinaus miteinander verknüpft sind. Diesbezüglich ist man – laut EU-Kommission – mit einem Artensterben in beispiellosem Tempo konfrontiert. Der Mitteilung der Kommission ist hierbei weiters zu ent- nehmen, dass – nach Angaben der FAO19 im Jahr 2010 – sich 60 % der weltweiten Ökosys- teme verschlechtert haben oder unnachhaltig genutzt werden; 75 % der Fischbestände sind überfischt bzw stark abgefischt und seit 1990 gingen weltweit 75 % der genetischen Vielfalt landwirtschaftlicher Kulturen verloren. Daneben werden geschätzte 13 Millionen Hektar Regenwald jährlich geschlagen und 20 % der tropischen Korallenriffe der Welt sind bereits verschwunden, während 95 % Gefahr laufen, bis 2050 zerstört oder extrem geschädigt zu werden, wenn der Klimawandel ungebremst fortschreitet.20

 


18 Friedrich Bamer, Die Ersatzfähigkeit von Ökoschäden im Zivilrecht, Dissertation Linz 2009.

19 Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agricul- ture Organization of the United Nations).

20 Mitteilung der Kommission an das EP, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- schuss und den Ausschuss der Regionen, Lebensversicherung und Naturkapital: Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020, 3.5.2011, COM(2011) 244 fin.


In der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 20.5.2020 über die EU-Biodiversi- tätsstrategie für 2030 hebt die Kommission nochmals den dringenden Handlungsbedarf zum Schutz der biologischen Vielfalt und Natur hervor: „Die Natur ist für unser psychisches und physisches Wohlergehen ebenso wichtig wie für die Fähigkeit unserer Gesellschaft, globalen Veränderungen, Gesundheitsbedrohungen und Katastrophen standzuhalten. Wir brauchen Natur in unserem Leben.“ Zudem ist die biologische Vielfalt auch für die Ernährungssicher- heit von entscheidender Bedeutung. Dem Verlust der Biodiversität ist eine Bedrohung unserer Lebensmittelsysteme immanent. Die EU-Kommission hält diesbezüglich fest: Mehr als 75 % der weltweiten Lebensmittelkulturen sind auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen.21

Auskunft über den Status des weltweiten Artensterbens findet man in der Roten Liste Ge- fährdeter Tierarten der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN Red-List22). Mit Stand 2018 wurden insgesamt 96.500 Spezien in die Rote-Liste aufgenommen, davon waren über 26.500 vom Aussterben bedroht, darunter 40 % der Amphibien, 34 % der Nadelbäume, 33 % der riffbildenden Korallen, 25 % der Säugetiere und 14 % der Vögel.23

In Österreich werden – laut Umweltministerium Stand 2014 – ca 80 % der Landesfläche für die Land- und Forstwirtschaft genutzt. 56 % des Grünlandes werden extensiv beansprucht, was im Vergleich zu anderen Ländern einen überdurchschnittlich hohen Anteil ausmacht. Von den in Österreich lebenden Tierarten sind – laut Roter Liste – ca 37 % Vögel, 64 % Kriechtiere, 60 % Lurche und Fische einer Gefährdungskategorie zugewiesen. Bei den Farn- und Blütenpflanzen lag der Anteil der gefährdeten Arten, vor 15 Jahren, bei 40 %. Von den in Österreich vorkommenden 488 Biotoptypen wurden 246 als gefährdet und stark gefährdet eingestuft, 33 sind von der vollständigen Vernichtung bedroht und fünf sind bereits voll- ständig vernichtet.24

Viele der in Österreich heimischen Blütenpflanzen sind auf die Bestäubung durch Schmetterlinge angewiesen. Daneben ist der Nachtfalter für die Mehrzahl der einheimischen Fledermäuse die bevorzugte Nahrungsquelle. Zudem ernähren sich auch Singvögel, wie etwa die Blaumeise, besonders von den Schmetterlingsraupen. Von den in Österreich lebenden Tagfaltern werden allerdings bis zu 51,6 % als gefährdet eingestuft, während fünf Arten be- reits als ausgestorben gelten. Hinsichtlich der Nachfalterarten gelten von den 800 bundeswei- ten Arten ca 40,3 % als gefährdet, davon gelten 35 Arten als ausgestorben bzw verschollen. Die Ursache im Rückgang der Schmetterlingsarten liegt in der massiven Änderung der Grün- landbewirtschaftung iVm den spezifischen Ansprüchen einzelner Arten an Habitatstruktur und Raupenfutterpflanzen.25 Neben den Schmetterlingen gelten andere Insektenarten Österreichs ebenfalls als gefährdet. So werden etwa 48 der in Österreich lebenden 121 vorkommen-


21 Mitteilung der Kommission an das EP, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- schuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, 20.5.2020, COM(2020) 380 fin, 1.

22 International Union for Conservation of Nature Red List of Threatened SpeciesTM.

23 Vgl FAO, The State of the World´s Biodiversity For Food and Agriculture (2019) 124.

24 BMLFUW, Biodiversitäts-Strategie Österreich 2020+ Vielfalt erhalten – Lebensqualität und Wohlstand für uns und zukünftige Generationen sichern! (2014) 6.

25 P. Huemer, Ausgeflattert: Der stille Tod der österreichischen Schmetterlinge, Weckruf für den Schutz der Biodiversität in Österreich (2016).


den Heuschreckenarten als gefährdet eingestuft, wobei 33 % sogar als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht angesehen werden. Hauptgrund für das Artensterben liegt im Verlust der Lebensräume aufgrund intensiver menschlicher Landnutzung. Von dem flächendeckenden Rückgang der Insektenarten sind auch insektenfressende Tiere wie Spinnen, Vögel, Amphi- bien und Reptilien betroffen.26 Insekten stellen die Basis der Nahrungskette dar und sind dar- über hinaus auch für viele Ökosystemleistungen verantwortlich.27

Hinsichtlich der in Österreich lebenden Brutvögel ist ein durchaus negativer Trend aus- zumachen. Im Zeitraum von 1998 bis 2016 wurden 66 Vogelarten beobachtet und einer Zäh- lung unterzogen. Hierbei konnte bei 36 Arten (54,4 %) eine statistisch signifikante Abnahme festgestellt werden.28 In der Roten Liste der in Österreich lebenden 213 Brutvögelarten, wer- den 67 Arten einer der drei Gefährdungskategorien zugeordnet. Bezüglich Rothalstaucher, Schlangenadler, Weißflügel-Seeschwalbe und Blaumerle, ist darüber hinaus kein regelmäßi- ges Brutvorkommen mehr feststellbar.29

Feinstaubbelastung geht Hand in Hand mit einer Vielzahl an Gesundheitsbeeinträch- tigungen und gilt auch als der größte negative Einfluss auf die menschliche Gesundheit.30 Mehrere Studien belegen eine erhöhte Sterblichkeitsrate aufgrund einer langjährigen Fein- staubaussetzung. So wird – gem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestützt auf eine Studie aus den Niederlanden (aus dem Jahr 2008) – eine Erhöhung der Sterblichkeitsrate von 6 % pro 10 µg/m3 PM2.5 für natürliche Tode ausgewiesen, was mit den Prognosen der Studie der American Cancer Society (ACS) identisch ist. Daneben wird – als ein Beispiel von vielen möglichen Gesundheitsschädigungen durch Feinstaub – das Risiko einer ischämischen Herz- erkrankung, zu der auch Herzinfarkte gehören, besonders stark und konsistent mit PM2.5 asso- ziiert. Weiters können durch langfristige Feinstaubbelastungen auch andere Krankheiten als Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen eintreten. So gibt es – laut WHO – Hinweise dahingehend, dass sich Feinstaub auf Diabetes, die neurologische Entwicklung von Kindern und neurologischen Störungen von Erwachsenen auswirke.31

Einer österr Studie zufolge, war daher in Österreich – mit Stand 2005 – mit einer Reduk- tion der Lebenserwartung im ländlichen außeralpinen Raum zwischen 7 und 11 Monaten, in Wien und den größeren Städten Niederösterreichs zwischen 11 und 12 Monaten zu rechnen, wobei für Linz (14 Monate) und Graz (17 Monate) eine höhere Reduzierung der Lebenser- wartung errechnet wurde. Die Reduktion ergab sich aus einem Vergleich mit einem Referenz- niveau (bzgl einer PM2,5-Belastung) von 8 µg/m3, Linz erreichte im Jahr 2005 vergleichswei-

 

 


26 Heinrich Böll-Stiftung/Global 2000/Naturschutzbund, Insektenatlas 2020: Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft.

27 Umweltbundesamt, Zwölfter Umweltkontrollbericht: Umweltsituation in Österreich (2019) 39 f.

28 Teufelbauer/Seaman/Dvorak, Bestandsentwicklungen häufiger österreichischer Brutvögel im Zeitraum 1998–2016 – Ergebnisse des Brutvogel-Monitoring (2017).

29 Umweltbundesamt, Zwölfter Umweltkontrollbericht: Umweltsituation in Österreich 41.

30 Umweltbundesamt, Zwölfter Umweltkontrollbericht: Umweltsituation in Österreich 70.

31 Hierzu ausführlicher WHO, Review of Evidence on Health Aspects of Air Pollution – REVI- HAAP Project (2013), A. Health effects of PM, 6 ff.


se einen Jahresmittelwert von 21,7 µg/m3.32 Die WHO-Richtwerte geben für PM10 einen Ta- gesmittelwert von 50 µg/m3 und einen Jahresmittelwert von 20 µg/m3 vor. Hinsichtlich PM2,5 liegt der von der WHO festgelegte Tagesmittelwert bei 25 µg/m3 und der Jahresmittelwert bei 10 µg/m3.33 Diese von der Weltgesundheitsorganisation vorgegebenen Richtwerte wurden in Österreich für den PM2,5-Tagesmittelwert an allen Messstellen überschritten, während Über- schreitungen des PM2,5-Jahresmittelwerts an rund 90 % der Messstellen gemessen wurden.34

b.       Die Situation der Erderwärmung: ohnmächtig zuschauen oder handeln?

Der schlechte Zustand der Naturgüter ist auch vor dem Hintergrund der Erderwärmung zu sehen: So betrachten – laut der EU-Kommission35 – bereits ein Viertel der europäischen Bürger*Innen und Bürger den Klimawandel als ein sehr ernstes Problem, während die Kommission selbst den Klimawandel und den Biodiversitätsverlust als die kritischste Umweltbedrohung ansieht (siehe vorangegangenes Kapitel). Tatsächlich beläuft sich der gesamte gemeldete wirtschaftliche Verlust durch Wetter- und andere mit dem Klima zusam- menhängende Extreme im Zeitraum von 1980–2016 auf über € 436 Mrd. Bei unveränderten Rahmenbedingungen könnte sich daher der zu erwartende jährliche Klimaschaden an kriti- schen Infrastrukturen in Europa von € 3,4 Mrd auf € 34 Mrd verzehnfachen. Diese Prognose ist realistisch, da alleine im Jahr 2018 die weltweiten wirtschaftlichen Belastungen und Schäden durch Naturkatastrophen, Kosten in Höhe von 165 Mrd US-Dollar verursachten.36 Die Kommission rechnet damit, dass sich die Klimaauswirkungen sowohl zeitlich als auch räum- lich ungleichmäßig in Europa verteilen werden und nennt diesbezüglich drei Beispiele:

·         Der Mittelmeerraum wird stärker von den Auswirkungen von hitzebedingter menschli- cher Sterblichkeit, beschränktem Zugang zu Wasser, dem Verlust von Lebensräumen, dem Energieverbrauch für die Kühlung sowie von Waldbränden betroffen sein.

·         Küstenregionen könnten in Szenarien mit hohen Emissionen (weltweiter Temperaturan- stieg um 3,2 °C bis 5,4 °C in den Jahren 2081–2100) unter wirtschaftlichen Schäden von etwa 39 Mrd. EUR jährlich bis 2050 und bis zu 960 Mrd. EUR jährlich gegen Ende des Jahrhunderts leiden.

·         Vorläufige Erkenntnisse weisen auf einen erheblichen Schwund der Ökosysteme der alpi- nen Tundra in Europa hin, sogar wenn die Erderwärmung, wie im Übereinkommen von Paris vorgesehen, unter 2 °C gehalten wird. Abgesehen von ihrer Schlüsselrolle für die Wasserregulierung und das Frischwasser für den menschlichen Verbrauch ist die alpine Tundra auch für den Tourismus und ländliche Gemeinschaften von Bedeutung und bietet den Lebensraum für endemische Arten, die nur in Europa vorkommen.37

 

 


32 Umweltbundesamt, Abschätzung der Gesundheitsauswirkungen von Schwebestaub in Öster- reich (2005) 32 ff.

33 Umweltbundesamt, Luftgütemessungen in Österreich 2018: Jahresbericht 30, 37.

34 Umweltbundesamt, Zwölfter Umweltkontrollbericht: Umweltsituation in Österreich 72.

35 Bericht der Kommission an das EP über die Umsetzung der EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, 12.11.2018, COM(2018) 738 fin.

36 World Economic Forum, The Global Risks Report 2020, 31.

37 COM(2018) 738 fin, S 2.


Dem Klimastatusbericht des Climate Change Centre Austria (CCCA) ist klar zu entneh- men: Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Österreich spürbar. So war das Jahr 2019 um +2,3°C wärmer als das Mittel 1961–1990 und gilt als das drittwärmste in der 252- jährigen Messgeschichte Österreichs. Neun der zehn wärmsten Jahre liegen damit im 21. Jh. Daneben war der Juni 2019 mit einer Abweichung von +5,5°C zum Mittel 1961–1990 der wärmste Juni seit Messbeginn (österreichweit). Demgegenüber nimmt die Anzahl der Frost- tage in allen Höhenlagen ab, wobei die relative Abweichung 2019 unter 500 m mit -35 % am stärksten ausgeprägt war. Im Jänner 2019 gelangten feuchte und kalte Luftmassen an die Al- pennordseite und brachten gebietsweise enorme Schneemengen mit sich. Als Resultat kam es zu zahlreichen spontanen Lawinenabgängen. Der Klimawandel brachte daher – laut CCCA – in Österreich auch finanzielle Schäden an Gebäuden und Infrastruktur mit sich. Für Kärnten wurden bspw Hilfszahlung im Ausmaß von € 5,5Mio angekündigt, während in Osttirol mit Elementarschäden iHv € 6 Mio gerechnet worden ist. Daneben schätze man in Salzburg die Schäden von Privatgeschädigten auf rund € 20 Mio (Stand: 2019).38

Auch die Situation hinsichtlich der österr Gletscher gibt Aufschluss über die Auswirkun- gen des Klimawandels. Der Gletscherschwund im Jahr 2018 betrug im Durchschnitt 17,2 m, wobei die Gletscher der sog „Venedigergruppe“ den größten Rückgang verzeichneten. So ergab sich bspw bei dem Gletscher „Untersulzbachkee“ ein Rückgang von -53,0 m, während das „Viltragenkees“ bis zu -128,0 m den höchsten Rückzugswert aller österr Gletscher aufwies.39 Daneben verzeichneten dreißig Referenzgletscher mit kontinuierlicher Massenbilanz- messungen seit 1975 für die Jahre 1996–2005 einen durchschnittlichen Masseverlust von 0,58 m Wasseräquivalent. Darin liegt eine Verdopplung der Verlustrate aus der Periode 1986– 1995 (0,25 m) und eine mehr als vierfach höhere Verlustrate gegenüber der Periode 1976– 1985 (0,14 m).40 Einer europäischen Studie zufolge ist daher im Zeitraum von 2017–2050, hinsichtlich der Gletscher Europas, mit einem Gesamtvolumenverlust von 50 % und einem Flächenverlust von 45 % zu rechnen. Die europäischen Alpen werden daher bei einer starken Erwärmung bis zum Ende des 21. Jh weitestgehend eisfrei sein.41

c.        Fazit

Man braucht wohl kein Pessimist zu sein, um aus den zahlreichen Befunden den Schluss zu ziehen, dass die Naturressourcen zum Eigennutz der Menschen und auf Kosten der Natur ausgebeutet werden und dies zu bleibenden Schäden führt. Genau in dieser Situation hat sich in den in Kap I dargestellten Ländern das Konzept der Eigenrechte der Natur entwickelt. Die entsprechenden Bewegungen haben sich zumindest soweit durchgesetzt, dass die rechtliche Ausgestaltung den Status des geschriebenen Verfassungsrechts erlangt hat und von den

 


38 Climate Change Centre Austria (CCCA), Klimastatusbericht Österreich 2019.

39 Lieb/Kellerer-Pirklbauer, Gletscherbericht 2017/2018: Sammelbericht über die Gletscher- messungen des Österreichischen Alpenvereins im Jahre 2018, Bergauf 2/2018, Jg 73 (143) 20–29.

40 Zemp/Haeberli, Glaciers and Ice Caps: Global Outlook for Ice and Snow, http://glaciers.pdx.edu/fountain/MyPapers/ZempEtAl2007_GlaciersAndIceCaps.pdf, 17.5.2020 .

41 Zekollari/Huss/Farinotti, Modelling the Future Evolution of Glaciers in the European Alps un- der the EURO-CORDEX RCM Ensemble, https://www.the-cryosphere.net/13/1125/2019/, Abfrage: 17.5.2020.


Gerichten dieser Länder angewandt wird. Dass das Konzept nach wie vor der Bewährungs- probe in der Praxis ausgesetzt ist, ist ebenso unzweifelhaft (siehe oben).

4.       Die Bewegung rund um Tierrechte

Ebenso langwierig und schwierig gestaltet sich die Bewegung rund um die sog Tierrechte. In den Nachbarländern Österreichs wuchs das Anliegen der Tierrechtler, die bereits seit der Jahrtausendwende darauf hinweisen, dass Säuge- und Krebstieren und anderen schmerzemp- findsamen Wesen eine eigene Rechtsfähigkeit zukommen soll. Hintergrund der Tierbewegung sind va die gesetzlich erlaubten, aber eklatant verfassungswidrigen Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft. Jüngst hat Bahn42 die Diskussion für Österreich aufgegriffen und mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Thematik den Weg für einen verstärkten Tierschutz aufbereitet: Die Untersuchung schließt mit der Conclusio, dass die Einführung einer Rechtsfähigkeit für gewisse Tierarten höchst an der Zeit ist und bildet eine Parallel- bewertung zu der Eigenrechtsfähigkeit der Natur (dazu näher eingehend unten).

5.       Gang der Untersuchung

Vor all den genannten Umständen und der Erkenntnis der zahlreichen gewollten und ungewollten Lücken der österreichischen Rechtsordnung im Schutz der Naturgüter ist die Frage berechtigt, inwieweit der international eingeschlagene Weg der Eigenrechtsfähigkeit der Natur ein taugliches Instrument auch innerhalb unserer Rechtsordnung darstellen kann. Immerhin wurde mit der Figur der juristischen Person eine Kategorie geschaffen, deren Rechtsfähigkeit nicht mit der Identität einer menschlichen Person verknüpft, sondern abstrahiert ist. Zwar ist die Ausstattung der Natur mit Eigenrechtsfähigkeit in unserer Rechtstradition noch ohne Beispiel, aber nicht ohne taugliche Vorbilder.

Im weiteren Gang bedarf es daher der Durchdringung des Grundsatzes der Rechtsfähig- keit, der Begriffe der Rechtssubjekte und Rechtsobjekte sowie die nähere Beleuchtung des Konzepts der juristischen Person, um diese Vorbilder und Konzepte für die gegenständliche Frage fruchtbar und für die Natur dienstbar zu machen (dazu im Folgenden).

 

B.         Grundbegriffe: Rechtssubjekte und Rechtsobjekte

I.             Das Rechtssubjekt

1.       Grundsatz

Die österr Rechtsordnung beruht – aufgrund historischer Prägung – auf einer Dichotomie: Es gibt Rechtssubjekte und Rechtsobjekte. Tertium non datur. Zwar gab es in früheren Rechtsformen auch weniger dogmatisierte Konzepte, welche die Natur in ihrer organischen Gesamtheit erfassten; diese Ansätze wurden allerdings in der weiteren Rechtsentwicklung nicht mehr weiterverfolgt.

 

 


42 Bahn, Tierrechte in Österreich (2018).


Wer Rechtsubjekt ist, bestimmt die Rechtsordnung. Rechtsubjekt (Person) ist, wer

„rechtsfähig“ ist, dh Träger von Rechten und Pflichten sein kann.43 Der Mensch ist Rechts- subjekt und wird synonym natürliche Person genannt 16). So beschreibt es auch Aicher:

Jeder Mensch ist, weil er ‚angeborene‘ Rechte hat und daher als Person zu betrachten ist, rechtsfähig und kann infolgedessen auch Träger erwerblicher Rechte sein“.44 Im römischen Recht waren Sklaven nicht Rechtssubjekte, sondern Rechtsobjekte, was zeigt, dass in der Rechtsgeschichte die Denkkonzepte nicht zwingend an bestimmte natürliche Eigenschaften angeknüpft haben.

Während der natürlichen Person die Qualität als Rechtssubjekt schon kraft ihres Mensch- seins zukommt, sind andere Gebilde nur dann rechtsfähig, wenn ihnen die Eigenschaft vom Gesetz besonders eingeräumt wird. Gebilde, denen solcherart Rechtssubjektivität verliehen ist, heißen „juristische Person“.45 Das ABGB 1811 spricht in diesem Zusammenhang von

moralischer Person“ (§ 26). Zu den moralischen Personen gehören Personenverbände (Ge- sellschaften, Korporationen) oder Sachgesamtheiten (Stiftungen, Fonds und Anstalten).

Den Begriff der natürlichen und juristischen Person gilt es im Folgenden näher zu be- leuchten, um Erkenntnisse für die vorliegende Fragestellung ableiten zu können:

a.       Naturrecht / ABGB 1811

Die Rechtsfähigkeit der natürlichen Person ergibt sich aus § 16 ABGB (idF 1811): „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.

Die rechtliche Grundlage für juristische Personen bildet § 26 ABGB (idF 1811): „Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich werden durch den Vertrag oder Zweck und die besondern für dieselben bestehenden Vorschriften bestimmt. Im Verhältnisse gegen Andere genießen erlaubte Gesellschaften in der Regel gleiche Rechte mit den einzelnen Personen. Unerlaubte Gesellschaften46 haben als solche keine Rechte, weder gegen die Mit- glieder, noch gegen Andere, und sie sind unfähig, Rechte zu erwerben. Unerlaubte Gesell- schaften sind aber diejenigen, welche durch die politischen Gesetze ins besondere verbothen werden, oder offenbar der Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten wider- streiten.

b.       Pandektistik

Nach Savigny, Begründer der historischen Rechtsschule, geht der Begriff des Rechtssub- jekts und der Person immer mit dem Menschen an sich einher: „Jeder Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig“. Daneben sei der Personenbegriff durch das positive Recht allerdings auch modifizierbar, einschränkbar und ausdehnbar. So könne die Rechtsfähigkeit


43 Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht, Bd I15 Rz 171.

44 Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 16 Rz 3; vgl weiters Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB- ON1.02 § 16 Rz 1.

45 Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht, Bd I15 Rz 173.

46 Als sog „unerlaubte Gesellschaften“ gelten gem § 26 S 4 ABGB jene, die aufgrund einer Ver- botsvorschrift untersagt sind oder gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder die guten Sitten verstoßen; vgl Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 26 Rz 2.


auf irgendetwas außerdem dem einzelnen Menschen übertragen, also eine juristische Person künstlich gebildet werden.47 Die Bildung einer juristischen Person wird von Savigny dahin- gehend begründet, dass es Rechtskomplexe gibt, die kein physisches Subjekt darstellen. Dem- entsprechend muss ein Rechtssubjekt da sein, welches nicht physisches Rechtssubjekt ist, und das wird durch die juristische Person erfüllt. Die juristische Person ist ein vermögensfähiges künstlich angenommenes Subjekt. Sie setzt aber – laut Savigny – einen verschiedenen selb- ständigen Zweck voraus, der eben durch die Vermögensfähigkeit gefördert werden soll und an sich weit wichtiger ist als diese. Nur für das System des Privatrechts sind sie nichts außer vermögensfähige Subjekte und jede andere Seite ihres Wesens liegt völlig außer dessen Gren- zen.48

In der Folge legt Savigny dar, dass die Verschiedenheit der Zwecke und Arten von juristi- schen Personen nicht ohne Einfluss auf die juristische Natur derselben ist.49 Schließlich weist er darauf hin, dass zur Entstehung der juristischen Person die Genehmigung des Staates not- wendig ist, welche nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend, durch wissentliche Duldung und tatsächliche Anerkennung erteilt werden kann.50

Savigny unterteilt nach dem Mitglieder-Vorhandensein in zwei Gruppen: Die Korporatio- nen (Gemeinden, Innungen etc); charakteristisch für diese Gruppe sei, dass sie aus einzelnen Mitgliedern bestehe, die als ein Ganzes zusammengefasst, die juristische Person bilden.51 Zur Zweiten Gruppe gehören juristische Personen, die kein sichtbares Substrat haben, sondern eine „mehr ideale Existenz“, die auf einem allgemeinen, durch sie zu erreichenden Zweck beruht. Der Unterschied zur Korporation besteht darin, dass das Substrat der Personen fehlt.

 

 

 


47 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, § 60, S 2: „Alles Recht iſt vorhanden um der ſittlichen, jedem einzelnen Menſchen inwohnenden Freyheit willen (§ 4. 9.52) (a). Darum muß der urſprüngliche Begriff der Perſon oder des Rechtsſubjects zuſammen fallen mit dem Begriff des Men- ſchen, und dieſe urſprüngliche Identität beider Begriffe läßt ſich in folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Menſch, und nur der einzelne Menſch, iſt rechtsfähig.

48 Savigny, System II 253 f: nunmehr koͤnnen wir den Begriff der juriſtiſchen Perſon noch näher

dahin beſtimmen: ſie iſt ein des Vermögens fähiges künſtlich angenommenes Subject. — Indem nun hier das Weſen der juriſtiſchen Perſonen ausſchließend in die privatrechtliche Eigenſchaft der Ver- mögensfähigkeit geſetzt wird, ſoll damit keinesweges behauptet werden, daß an den wirklich vorhan- denen juriſtiſchen Perſonen nur allein dieſe Eigenſchaft zu finden oder doch von Wichtigkeit wäre. Im Gegentheil ſetzt ſie ſtets irgend einen von ihr verſchiedenen ſelbſtſtändigen Zweck voraus, der eben

durch die Vermoͤgensfähigkeit gefoͤrdert werden ſoll, und der an ſich oft ungleich wichtiger iſt als dieſe

(g). Nur für das Syſtem des Privatrechts ſind ſie durchaus Nichts als vermögensfähige Subjecte, und jede andere Seite ihres Weſens liegt völlig außer deſſen Gränzen. Ich gebrauche dafür lediglich den Namen der juriſtiſchen Perſon (welcher dann die natürliche Perſon, das heißt der einzelne Menſch, entgegengeſetzt iſt), um auszudrücken, daß ſie nur durch dieſen juriſtiſchen Zweck ein Daſeyn als Per-

ſon hat. Früher war ſehr gewoͤhnlich der Name der moraliſchen Perſon, den ich aus zwey Gründen

verwerfe: erſtens weil er überhaupt nicht das Weſen des Begriffs berührt, der mit ſittlichen Verhältniſ- ſen keinen Zuſammenhang hat: zweytens weil jener Ausdruck eher dazu geeignet iſt, unter den einzel- nen Menſchen den Gegenſatz gegen die unmoraliſchen zu bezeichnen“.

49 AaO 256.

50 AaO 275.

51 Savigny, System II 243.


Diese juristische Person wird als Stiftung bezeichnet. Ihr hauptsächlicher Zweck sei Religion, Geistesbildung und Wohltätigkeit.52

Laut Savigny wird die Rechtsfähigkeit der juristischen Person mit den Mitteln der Diktion übertragen, sie sei begrenzt: Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person beschränke sich auf die Vermögensfähigkeit. Vermögen könne nicht selber entstehen, sondern durch Handlungen erworben werden. Der Widerspruch zwischen Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit müsse durch eine Vertretung aufgelöst werden.

Diese von Savigny vertretene Meinung wird „Fiktionstheorie“ genannt. Zu den Vertretern der Fiktionstheorie zählt ua Hans Julius Wolff.53 Dieser artikuliert wie folgt: „Da und soweit die positive Rechtsordnung der juristischen Person die Berechtigungen und Verpflichtungen zurechnet, ist die juristische Person ein rechtstechnisches, rechtsfähiges Zurechnungssub- jekt“.54

Theorie der realen Verbandsperson

Gegenüber der Fiktionstheorie entwickelte sich aus der deutschen Rechtsanschauung die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, die auch germanistische Theorie genannt wird. Die Theorie Don Beseler55 und wurde von seinem akademischen Schüler v. Gierke56 weiter- entwickelt. Entgegen Savigny geht v. Gierke davon aus, dass die juristische Person nicht bloß eine erdichtete, sondern eine wirkliche Person sei: „Die Verbandsperson ist eine wirkliche und volle Person gleich der Einzelperson, jedoch im Gegensatz zu dieser eine zusammengesetzte Person.57 Die juristische Person sein eine von der Rechtsordnung anerkannte wirkliche Person, es handle sich um eine reale Gesamtperson, der Körperschaft komme eine Seele, ein Gemeinwille inne. Die Verbandsperson wird nach v. Gierke kraft Rechtssatzes zur Rechts- persönlichkeit. Sie ist eine Schöpfung objektiven Rechts und besteht nur insoweit, als das objektive Recht sie anerkennt.58

Im Rahmen seiner Lehre kristallisiert v. Gierke zwei Arten von Verbandspersonen heraus, nämlich Körperschaften und Anstalten. Eine Körperschaft sei eine reale Gesamtperson und habe einen einheitlichen Gemeinwillen. Die Seele der Körperschaft sei der Gemeinwille, der Körper die Vereinsorganisation.59 Die Anstalt dagegen sei ein Verband mit von außen einge- pflanzter Persönlichkeit. Die Seele der Anstalt sei ein einheitlicher Stiftungswille, der Körper eine organische Einrichtung, vermöge derer fort und fort Menschen diesem Willen dienstbar werden (zB Stiftung).60

Dieser im 19. Jahrhundert über die Rechtsnatur geführte Theorienstreit, dessen markan- teste Ergebnisse v. Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit und v. Savignys


52 Savigny, System II 243.

53 H. J. Wolff, Organschaft und juristische Person, Band I (1968) 208.

54 H. J. Wolff Organschaft und juristische Person I 232.

55 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (1843).

56 Gierke, Deutsches Privatrecht I (1895).

57 Gierke, Deutsches Privatrecht 470.

58 Gierke, Deutsches Privatrecht 471.

59 Gierke, Deutsches Privatrecht 474.

60 Gierke, Deutsches Privatrecht 635 f.


Fiktionstheorie waren, spielt heute keine Rolle mehr. Aus heutiger Sicht ist für die Anerken- nung juristischer Personen als selbstständige Rechtssubjekte nicht von einem einzigen Grund, sondern von einem Bündel von Gründen auszugehen, die im Einzelfall auch in Kombination vorliegen können (dazu näher unten).61

c.        Rechtpositivismus

Ganz nüchtern betrachtet der Rechtspositivismus, allen voran sein berühmtester Vertre- ter, nämlich Hans Kelsen, die Rechtsfähigkeit: „Die physische oder juristische Person ist ein Komplex von Rechtspflichten und subjektiven Rechten, deren Einheit im Begriff der Person figürlich zum Ausdruck kommt. Die Person ist nur die Personifikation dieser Einheit.62

So hat auch Georg Jelinek, ebenso berühmter Vertreter des Rechtspositivismus, festgehal- ten: „Ein Wesen wird zur Rechtspersönlichkeit erhoben, … der Staat schafft die Rechtsper- sönlichkeit“.63

Aufschlussreich ist auch die Sichtweise Altwicklers zur Rechtsperson im Rechtspositivis- mus:64 Auch er hebt hervor, dass die Rechtsperson nicht etwas außerrechtlich Existierendes sei. Sie ist kein der Rechtsordnung vorausliegendes Geschöpf, sondern Produkt der Normenordnung des Rechts. Welche Entitäten Rechte zugeordnet werden, wem die Rolle als Rechtsperson zukommt, wird normativ definiert.

Kelsen hat deutlich gemacht, dass juristische Personen letztlich Teilrechtsordnungen sind, die das Verhalten von Menschen in Bezug zu einem Teil- oder Gesamtsystem regeln, mit dem sie eine systematische Einheit bilden; auf diese Weise können die dem Menschen zuer- kannten bzw auferlegten „Pflichten und Rechte der juristischen Person zugerechnet wer- den“.65

d.       Rechtsphilosophie

Der Rechtsphilosoph Radbruch führt wie folgt aus: Person zu sein ist das Ergebnis eines Personifikationsaktes der Rechtsordnung. Alle Personen, die physischen wie die juristischen, sind Geschöpfe der Rechtsordnung. Auch die physischen Personen sind im strengsten Sinne juristische Personen. Über die fiktiveund dh künstlich Natur aller, der physischen und juristischen Personen ist also ein Streit nicht möglich“.66

e.        Rechtssoziologie

Der Rechtssoziologe Raiser beschäftigt sich mit dem Unternehmen als juristische Person, dem Rechtssubjektivität eingeräumt wird. Er stützt sich auf die Auffassung von v. Gierke,

 

 


61 Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 26 Rz 5 (Stand 1.3.2017, rdb.at).

62 Hans Kelsen/Matthias Jestaedt (Hrsg), Reine Rechtslehre, Studienausgabe der 2. Auflage (1960) 314.

63 Georg Jelinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Auflage 1905, Nachdruck 2011,

S 82.

64 Altwickler, Rechtsperson im Rechtspositivismus, in Grötschner/Kirste/Lembcke, Person und Rechtsperson (2015) 225, 238.

65 Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) 183.

66 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie (1932), Studienausgabe, Hrsg Dreier et al 1999, S 124 f.


wonach das Unternehmen als Organisation die Merkmale beider Begriffe nämlich von Stif- tungen und Anstalt in sich trage.67

Eugen Ehrlich, Vertreter der Rechtssoziologie, betrachtete die Rechtsfähigkeit als die Fä- higkeit, in Rechtsverhältnisse zu treten und die daraus entspringenden rechtlich geschützten Vorteile zu genießen; wobei es sich hierbei, wie auch bei der Familie, dem Eigentum, der Freiheit oder dem Bürgerrecht, bloß um einen juristischen Grundbegriff handle. Die Rechts- fähigkeit ist, wie auch die anderen Begriffe, eine gesellschaftliche Einrichtung, die auf einer historischen Entwicklung beruht. So war ua der römische Haussklave vollkommen rechts- unfähig, während der Haussohn politische und familiäre Rechte, aber keinen Anspruch auf Schutz der Persönlichkeit, des Lebens, der Freiheit oder der körperlichen Integrität, gegenüber seinem Gewalthaber genoss.68

f.         Definition der juristischen Person in der jüngeren privatrechtlichen Lehre

Eine Legaldefinition der juristischen Person gibt es nicht.69 Es handelt sich bei juristischen Personen daher jedenfalls um rechtliche Konstrukte zur Verfolgung unterschiedlicher Interessensstrategien, mit dem Ziel, bestimmte Rechtsträgerschaften und rechtliche Prozesse zu ermöglichen. Juristische Personen werden in Personenverbände sowie Sachgesamtheiten unterteilt. Unter dem zuletzt Genannten versteht man ein Rechtsobjekt, das eine Rechtspersönlichkeit erhalten hat.70 Die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, basiert auf der Interessenstheorie. Danach sollen jene Gebilde, die ein besonderes von den Mitgliedern oder Nutznießern unterscheidbares Interesse haben und dieses auch in Form einer bestimmten Organisation zeigen, Rechtssubjektivität erlangen. Dadurch wird die Strukturierung einer komplexen Gesellschaft ermöglicht und der rechtsgeschäftliche Verkehr vereinfacht.71

Nach Barta sind drei Kriterien für ein Kennzeichen für eine (vollausgereifte) juristische Person: Die Fähigkeit selbstständiger (gemeinsamer) Interessensverfolgung sowie das Vorhandensein von Organen, und zwar solcher, die aufgrund des Trennungsprinzips von der Haftung befreit sind.72

Juristische Personen sind grundsätzlich handlungsunfähig. Die Vertretung wird durch ein oder mehrere dafür bestellte Organe vorgenommen. Die Vertreter können die juristische Per- son berechtigen oder verpflichten. Die Rechte und Pflichten der zur Vertretung bestellten natürlichen Personen müssen aufgrund des Trennungsprinzips von jenen der juristischen Person unterschieden werden. Dies trifft auch auf den Fall der Haftung zu. Die Organe haften nicht für die Verpflichtungen des Rechtssubjekts, welches sie vertreten (dementsprechend die juristische Person). Ein Haftungsdurchgriff auf die natürlichen Personen kommt nur dann in

 


67 Raiser, Das Unternehmen als Organisation (1969) 168

68 Eugen Ehrlich, Die Rechtsfähigkeit (1973) 1 f.

69 Vgl Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 26 Rz 4 mit Verweis auf Heise.

70 Benke/Steindl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) §§ 26, 27 Rz 29 f.

71 Floßmann/Kalb/Neuwirth, Österreichische Privatrechtsgeschichte8 (2019) 62.

72 Barta, Zivilrecht Online, Kapitel 4.B: Die juristische Person, https://www.uibk.ac.at/zivilrecht/ buch/kap4_0.xml?section-view=true;section=2, Abfrage: 14.5.2020.


Frage, wenn deren Handlungen nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften und den zugrundeliegenden Wertungen stehen.73

g.       Ableitungen für aktuelle Denkansätze

aa.   Rechtsfähigkeit der Tiere

Ziehm vertritt die Rechtsfähigkeit der Tiere für das deutsche Recht abgeleitet aus den historischen Grundlagen Savignys und den Grundrechten bereits de lege lata.

Dementsprechend ist laut Ziehm die Rechtsperson bloß eine figurative Bezeichnung für ein Bündel von Rechtsbeziehungen, weshalb – abermals bezugnehmend auf Kelsen – die Rechtspersönlichkeit keine natürliche Realität sei, sondern „eine juristische, von der Rechts- wissenschaft geschaffene Konstruktion, ein Hilfsbegriff in der Darstellung rechtlich relevan- ter Tatbestände.74

bb.   Rechtsfähigkeit der Natur

Fischer-Lescano beschäftigt sich mit dem hier einschlägigen Thema der Rechtsfähigkeit der Natur: Seiner Ansicht nach ist eine Öffnung des juridischen Personenbegriffs deshalb möglich, weil die Person des Rechts, egal ob natürlich oder juristisch, keine einheitliche, real existierende, ontologisch nachweisbare Person darstellt, sondern bloß eine rechtswissen- schaftliche Reformulierung eines außerjuristischen Vorgangs ist. Er charakterisiert die Rechtspersönlichkeit daher als eine rechtlich verliehene, juridisch übergestülpte Charakter- maske. Alles hinter dieser Maske sei diesbezüglich bloß ein Ausschnitt der Welt, den das Recht für die eigenen Operationen mit Relevanz ausgestattet hat.75

cc.    Rechtsfähigkeit der Automaten

Kersten beschäftigt sich mit der modernen Diskussion rund um die Rechtsfähigkeit von Maschinen. Die heutzutage bestehende Fülle an rechtstheoretischen Ansätzen veranschauli- che laut Kersten die funktionale Relativierung der Rechtssubjektivität, welche nicht mehr als eine bloße Reflexion eines (moralischen) Menschenbilds in Form eines fixen Rechtsstatus ist. Vielmehr sei das Rechtssubjekt nichts anderes als die Summe seiner Rechte und Pflichten. Gestützt auf dieses Verständnis öffnet sich, so Kersten, das Konzept der Rechtssubjektivität auch für nicht-menschliche Personen, wie soziale, ökologische und wirtschaftliche Entitäten. Hierzu hält er fest: „In dem relativen, weil relational fundierten Begriff von Rechtssubjektivi- tät ist ein rechtspluralistisches Verständnis von sehr unterschiedlichen Rechtsstatus unmittel- bar angelegt: Menschen und Maschinen, Tiere und Pflanzen, Unternehmen und Vermögens- massen sowie politische Körperschaften können vom Rechtssystem als Rechtssubjekte begrif- fen und ausgestaltet werden.76

 

 


73 Benke/Steindl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) §§ 26, 27 Rz 45–48.

74 Ziehm, Tiere als Rechtspersonen – Verfassungsbeschwerde gegen die Zulassung der betäubungslosen Ferkelkastration, EurUP 2020, 105–122 (108); vgl zur Rechtsfähigkeit näher Hans Kelsen/Matthias Jestaedt (Hrsg), Reine Rechtslehre, Studienausgabe der 2. Auflage 316.

75 Fischer-Lescano, Natur als Rechtsperson: Konstellation der Stellvertretung im Recht, ZUR 2018, 205–216 (207).

76 Kersten, Relative Rechtssubjektivität, ZfRSoZ 37 (1), 8–25 (11).


Auf ähnlichen Überlegungen basiert auch das Konzept der Einrichtung einer eigenen E-Person, das das Europäische Parlament forciert. 77 Dazu hat die Kommission am 18.12.2018 sog Ethik-Leitlinien beschlossen. Wesentliche Kriterien der Vertrauenswürdigkeit sollen Benefizienz, Schadensverhütung, Wahrung menschlicher Autonomie, Gerechtigkeit und Erklärbarkeit sein. Die Grundsätze der Vertrauenswürdigkeit von künstlicher Intelligenz (KI) soll schon auf frühester Phase bei der Entwicklung von KI berücksichtigt werden. Das Dokument enthält neben der „ethischen“ Ausrichtung noch Ausführungen betreffend die Not- wendigkeit technischer Robustheit und Zuverlässigkeit der Systeme. Die Präzisierung von Haftungsfragen bleibt indes vage, die E-Person findet keine Erwähnung.78

h.       Juristische Person im öffentlichen Recht

Auch im öffentlichen Recht wurden kraft (Verfassungs-)Gesetz oder Verordnung zahlrei- che juristische Personen geschaffen, so etwa Bund, Länder, Gemeinden, Interessensvertretun- gen, Universitäten, Wassergenossenschaften.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rechtsfigur der öffentlichen Fonds und Stif- tungen. Dabei handelt es sich um Vermögensmassen, die bestimmten Zwecken gewidmet sind. Werden sie als selbstständige Fonds konstituiert, gelten sie als juristische Personen des öffentlichen Rechts (wie zB der Forschungsförderungsfonds); bloß unselbständige Fonds sind hingegen Verwaltungsvermögensmassen ohne Rechtspersönlichkeit.79

Die vielfältigen Beispiele und Erscheinungsformen der Fonds belegen, dass die Entschei- dung, Fonds mit oder ohne Rechtspersönlichkeit zu begründen, innerhalb der Gestaltungsfrei- heit des jeweiligen Bundes- oder Landesgesetzgebers liegt. Aufschlussreich ist dazu die kom- petenzrechtliche Verankerung, die explizit an die öffentliche Interessenlage anknüpft. Gem Art 10 Abs 1 Z 13 ist die Kompetenz für Gesetzgebung und Vollziehung im „Stiftungs- und Fondswesen“ Bundessache, „soweit es sich um Stiftungen und Fonds handelt, die nach ihren Zwecken über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen und nicht schon bisher von den Ländern autonom verwaltet wurden. Zur Gebarungsprüfung durch den Rechnungshof siehe Art 126b B-VG.

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 ist auch die Europäische Union mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet.

II.         Rechtsobjekte

Für die gegenständliche Untersuchung ist ferner die Frage, inwiefern gegenwärtig die Na- tur bzw einzelne Naturgüter unter den Begriff der Rechtsobjekte zu subsumieren sind.

 

 

 

 


77 Europäisches Parlament, Bericht v 27.1.2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivil- rechtlichen Regelungen im Bereich der Robotik (2015/2013 (NL) PE 582443v02-00, A 8-0005/2017; daraus resultierend die Entschließung des EP v 16.2.2017.

78 Müller, Kommt die E-Person? Auf dem Weg zum EU-Robotikrecht (Editorial), InTeR 2019, 1, der der Einrichtung einer „konturlosen, vermögenslosen E-Person“ kritisch gegenübersteht.

79 Vertiefend Stolzlechner, Öffentliche Fonds (1982).


1.       Definition

Der rechtliche Begriff der Sachen (Rechtsobjekte) wird in § 285 ABGB festgehalten und lautet: Alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, wird im rechtlichen Sinne eine Sache genannt.“ Folgt man dem Gesetzeswortlaut, können natürliche Personen iSv § 16 oder juristische Personen iSv § 26 ABGB keine Sachen sein.80

Rechtsobjekte hat der Berechtigte in seiner Rechtsmacht.

So kommen auch Kletečka/Welser zur logischen Folgerung, dass der Mensch auch als Rechtsobjekt bezeichnet werden kann: „Gegenstand der Persönlichkeitsrechte sei die eigene Person“.81 Gerade dieses Beispiel zeigt, dass die Kategorien Rechtssubjekt / Rechtsobjekt bzw natürliche Person / juristische Person keine „übergesetzlichen“, „vorgezeichneten“ Prämissen der Rechtsordnung sind, sondern auch als Denkmodelle aufgefasst werden können. Unstrittig ist dabei freilich, dass die Anerkennung der natürlichen Person als Rechtssubjekt ein Menschenrecht ist. Es ist auch nachweislich dem ABGB als sog naturrechtlicher Grundsatz vorgelagert und in § 16 ABGB ausdrücklich verankert.82

Allerdings scheint sich die moderne Lehre vom weiten Sachbegriff des ABGB (uE zwei- felhaft: zu Recht) distanziert zu haben und „hantiert“ – ausgehend vom Kriterium „zum Ge- brauche der Menschen“ – mit allerlei zusätzlichen Kriterien. Das führt – wie zu zeigen sein wird – dazu, dass die Zweiteilung des ABGB in Rechtssubjekt und Rechtsobjekt zu einer Dreiteilung, nämlich Rechtssubjekt, Rechtsobjekt und freie Güter wird.

2.       Historisches Verständnis des Sachbegriffs (ABGB 1811)

Zeiller erörtert zum Begriff der Sache im rechtlichen Sinne Folgendes:83Die vernunft- losen Wesen sind durch die Ordnung der Natur zu beliebigen Zwecken der vernünftigen We- sen (Personen) bestimmt, und werden, zum Unterschied von Personen, Sachen genannt. […]

In die Klasse von Sachen gehören also a) leblose Gegenstände; b) lebende, aber vernunft- lose, wie die Thiere; c) selbst die Kraftäußerungen vernünftiger Wesen; somit d) auch die ausschlißenden Rechte, von anderen Kraftäußerungen oder Handlungen, und Unterlassungen zu fordern (§ 303).

Wenngleich die Prämisse Zeillers klar zu sein scheint, so ist sie zumindest im gegenständlichen Kontext – am Maßstab der heutigen Verhältnisse – hinterfragenswert:

Ist es wirklich so, dass die Ordnung der Natur vernunftlos ist? Ist es wirklich so, dass vernunftlose Wesen vernünftigen Wesen (Personen) zugeordnet sein müssen? Ist es wirklich so, dass man Personen im Umgang mit der Natur noch als „vernünftige Wesen“ bezeichnen kann? Die Einführung der Rechtssubjektivität für Naturgüter ist die radikale Konsequenz

 


80 Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 285 Rz 1.

81 Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht, Bd I15 Rz 308.

82 Siehe Zeiller, Das Natürliche Privat-Recht3 (1819), I. Abschnitt; nachzulesen bei E. Wagner, Gesetzliche Unterlassungsansprüche im Zivilrecht: zugleich eine Untersuchung des Beseitigungs- anspruchs (2006).

83 Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie II (1812) § 285.


dafür, dass die Prämissen des hochgeschätzten Humanisten und Rechtsgelehrten Zeillers nicht mehr zutreffend sind.

Entsprechend den Verfassern des ABGB können Rechtsobjekte im Privat-Besitz einzelner oder mehrerer, natürlicher oder juristischer Personen stehen oder als „öffentliches Gut“ im Eigentum des Staates stehen (§ 286). Auch diesfalls eröffnet die Kommentierung von Zeiller klar, was die Verfasser des ABGB meinten: „Es gibt inner dem Gebiethe keine herrenlosen Sachen, worauf niemanden ein vorzügliches, ausschließendes Recht zustünde. Denn der Staat hat das ganze Gebieth mit allen darin eingeschlossenen Sachen im Besitze […]. Die Sachen inner dem Staatsgebiethe sind also, in Hinsicht auf das Subject, dem sie gehören, entweder ein Staats- oder ein Privat-Gut.“

Wenn also die hM mit den „freien Gütern“ nunmehr eine Kategorie außerhalb des Sach- begriffs bildet (dazu näher unten), so entspricht dies nicht der Sichtweise des ABGB. Viel- mehr erklärt § 287 das Aneignungsrecht wie folgt: „Sachen, welche allen Mitgliedern des Staates zur Zueignung überlassen sind, heißen freistehende Sachen. Jene, die ihnen nur zum Gebrauche verstattet werden, als: Landstrassen, Ströme, Flüße, Seehäfen und Meeresufer, heißen ein allgemeines oder öffentliches Gut. Was zur Bedeckung der Staatsbedürfnisse be- stimmt ist, also: Münz- oder Post- und andere Regalien, Kammergüter, Berg- und Salzwerke, Steuern und Zölle, wird das Staatsvermögen genannt.“

Zeiller führt dazu aus, dass es neben dem Staatsvermögen auch jene Sachen gibt, die dem Staat zwar gehören, die er aber seinen Staatsbürgern zum Gebrauch überlässt:

2)       Andere sind vermöge ihrer Beschaffenheit und angemessenen Bestimmung, wie die im Paragraphe angeführten Beispiele zeigen, zum Gebrauche aller Einwohner, als ein allgemeines, ö f f e n t l i c h e s G u t gewidmet; die P r o p r i e t ä t verbleibt dem Staate.

3)       Wieder andere Sachen werden weder von Privaten besessen, noch auch von Privaten oder dem Gesamtkörper benutzt, oft ist sogar ihre Ersitzung unbekannt. Von dieser Art sind z.B. öde liegende Grundstücke, Steine am Ufer des Flusses, viele unterirdische Erzeugnisse u.d.gl. Diese Gegenstände sind kein Privat-Gut, man kann sie aber auch nicht als herrnlos ansehen (§.286 Nr.1 ); der Staat hat ein vorzügliches Recht darauf, er hätte das Recht, von denselben Gebrauch zu machen; allein mehrere Ursachen, vorzüglich, damit sie früher endeckt, bearbeitet, zum Gebrauche vervollkommnet, und in Umlauf gesetzt werden, machen es rathsam, sie den Mitgliedern zur Zueignung (Occupation, §.381.) als f r e y s t e h e n d e Sachen zu überlassen. Durch die erfolgte Zueignung gehen sie in ein Privat-Gut über.

Die Ausführungen Zeillers ergeben ein relativ klares Bild. Wenn die Redaktoren des ABGB auf die Gebrauchbarkeit abstellen, um ein Ding Sache zu nennen, dann reicht auch eine bloß potentielle Brauchbarkeit aus, so zB die noch gar nicht aufgefundenen oder erschlossenen Sachen.

3.       Ältere Lehre: Ehrenzweig und Klang

Ehrenzweig und ebenso Klang haben im Anschluss daran das Kriterium der Beherrsch- barkeit durch den Menschen herausgebildet. Gebrauchbarkeit iSd Redaktoren und Be- herrschbarkeit sind aber wie nachstehende Beispiele zeigen, unterschiedliche Momente.


So meinte Klang: Was sich mangels einer festen Umgrenzung und wegen des steten Wechsels seiner Bestandteile der Beherrschung durch den Menschen entziehe und deshalb rechtlich nicht erfassbar sei – wie etwa die freie Luft, das offene Meer oder das fließende Wasser – sei keine Sache.

Luft, offenes Meer, und fließendes Wasser fehle das Kriterium der Beherrschbarkeit. Auch Ehrenzweig84 leugnet mit Hinweis auf das Fehlen einer bestimmten Umgrenzung die Sacheigenschaft des fließenden Wassers.

Damit ergibt sich – irgendwie überraschend –, dass Luft zwar zum Gebrauch des Men- schen dient (kein Mensch kann ohne Luft leben!), aber wegen des ab nun maßgeblichen Kri- teriums der Beherrschbarkeit vom Sachbegriff des ABGB ausscheidet.

4.       Jüngere Lehre

Den Ausführungen der älteren Lehre hat sich die jüngere hL angeschlossen.

Holzner85 – basierend auf den Ausführungen Spielbüchlers in der Vorauflage86 und im Anschluss an Klang87 – meint, dem Gebrauche des Menschen diene nach hA nur, was von Menschen beherrscht werden kann, daher nicht die freie Luft, das fließende Wasser oder der praktisch nicht mehr beherrschbare Raum über einem Grundstück. Bezüglich des fließenden Wassers anerkennt er lediglich das Recht der Besitzergreifung, nicht aber die Sacheigenschaft.

Zweifelhaft sei laut Holzner auch die Beherrschbarkeit von Grundwasser, soweit über die eigene Liegenschaft hinausreichend.88 Dagegen sei laut Holzner Wild auf freier Bahn schon vor seiner Ergreifung Gegenstand menschlichen Interesses und daher Sache, wenngleich noch herrenlos (freistehend, §§ 381 ff, siehe dort).

Bei beherrschbaren Naturkräften oder künstlich erzeugten Energien (Dampfkraft, GlUNF 5281; Elektrizität, GlUNF 669; 2 Ob 880/22 SZ 4/83; 1 Ob 1050/25 SZ 7/410;

2 Ob 74/07g RdW 2008/96: Kaufvertrag) bejaht Holzner89 die Sacheigenschaft.

Stabentheiner 90 führt dazu aus, dass das Kriterium der Beherrschbarkeit den Sinn habe, den Sachbegriff auf fass- und umgrenzbare Dimensionen zu bringen. Er konzediert, dass dies zwar über reinen Wortlaut des § 285 hinausgeht, aber durchaus im Einklang mit der Konzep- tion des ABGB in Einklang stehe. Zudem erörtert Stabentheiner, dass Sache iSd § 285 – als potentieller Gegenstand eines Rechts – nur sein könne, was zur Befriedigung irgendeines menschlichen Interesses geeignet sei. Dass die Sache auch einen Geldwert habe, sei nicht notwendig.

 

 

 


84 Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I/2: Sachenrecht § 158, 14.

85 In Rummel/Lukas, ABGB4 § 285 Rz 5, 6.

86 In Rummel, ABGB3 § 285 Rz 5.

87 In Klang II/2, 2.

88 Anderes vertritt allerdings Ramsebner, Das Recht am Grundwasser 11 ff.

89 Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 285 Rz 5, 6.

90 In Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 285 Rz 10.


Bezüglich der Sachqualität von fließendem Wasser geht Stabentheiner91 mit den anderen Stimmen in der Lehre allerdings nicht konform: „Nicht zuzustimmen ist allerdings der Mei- nung, dass es fließendem Wasser schlechthin an der Beherrschbarkeit und damit an der Sachqualität mangle; beispielsweise ist in einem Bachbett fließendes Wasser sehr wohl der Beherrschung durch den Menschen zugänglich. Überdies stünde ein Verständnis, wonach fließendem Wasser kein Sachcharakter zukomme, in Widerspruch zu § 287, weil dort unter anderem Ströme und Flüsse dem öffentlichen Gut zugeordnet werden, das aber – wie aus der Formulierung des § 287 eindeutig erkennbar – ebenfalls aus Sachen im Sinn des weiten Be- griffskreises des § 285 besteht.

Stabentheiner weist zu Recht darauf hin, dass auch res omnium communes den Sachbe- griff erfüllen. Erst bei der Besitz- und Eigentumsfähigkeit würden sie ausscheiden, weil sie als Privatgut eben nicht in Betracht kämen. Letzteres ist zwar ebenso nicht mit den Ausführungen Zeillers in Einklang zu bringen, da zum Teil Aneignungsmöglichkeiten bestehen. Zu- sammenfassend hat dieser Autor zumindest erkannt, dass auch das Gemeingut fällt trotz sei- ner fehlenden Eignung als Gegenstand des Rechtsverkehrs unter den umfassenden Sachbe- griff des ABGB fällt.

Auch Eccher/Riss92 vertreten, dass die Eignung eines Gegenstands zum Gebrauch durch den Menschen dessen – vom technischen Fortschritt abhängige – Beherrschbarkeit voraus- setze (vgl Bodenschätze, Meeresgrund, Himmelskörper). Zudem vertreten diese Autoren, dass als weitere vom ABGB nicht ausdrücklich genannte Voraussetzung die (zumindest relative) Knappheit eines Gutes sei und der daraus entstehende Interessenkonflikt. Ohne Bedürfnis der Güterzuordnung liege keine Sache im rechtlichen Sinn vor (zB Luft, Meereswasser, natürliche Energien wie Sonnenwärme oder Wind; anders aber etwa bei einem Eimer Wasser oder einer Sauerstoffflasche). An solchen wirtschaftlich nicht zuordenbaren Gütern stehe jedermann unbegrenzt eine Gebrauchsmöglichkeit zu. Dies sei vom Aneignungsrecht freistehender (herrenloser) Sachen (§ 381) und vom Gemeingebrauch am öffentlichen Gut (§ 287) zu unter- scheiden. Eccher/Riss verweisen diesbezüglich auf den von Klang93 geprägten Begriff der

„freien Güter“. Auch diese Ausführungen führen die von Klang eingeführte Differenzierung der freien Güter, die nicht Sachen seien, damit weiterhin fort.

Helmich94 erklärt, dass nur solche Objekte Sachen im Rechtssinn sind, die vom Menschen – in Abhängigkeit vom jeweiligen technischen Fortschritt – aktuell beherrscht werden können. Keine Sache sind daher nach hA die freie Luft, das Sonnenlicht, das fließende Wasser. Sie stehen allen Menschen zum Gebrauch offen und werden in der Lehre bisweilen als Gemeingut oder als freie Güter bezeichnet. Zu unterscheiden sei dies aber vom Gemeingebrauch an öffentlichem Gut: Öffentliches Gut ist durchaus eine Sache; sie steht im Eigentum der öffentlichen Hand.

 

 

 


91 In Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 285 Rz 10.

92 In KBB6 (2020) § 285 Rz 3.

93 In Klang III2, 44.

94 In Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 285 Rz 12.


Auch Kodek95 geht davon aus, dass die Eignung zum Gebrauch „das Erfordernis der Be- herrschbarkeit“ in sich trage, „die freilich vom technischen Fortschritt abhängig ist (zB Bo- denschätze, Meeresgrund)“. Ob darüber hinaus die Knappheit eines Gutes und der daraus resultierende Interessenkonflikt Voraussetzung für das Vorliegen einer Sache sei, sei strittig, aber praktisch ohne Bedeutung. Teilweise werde hier von freien Gütern, Gemeingut oder All- gemeingütern (7 Ob 60/00z) gesprochen. Beispiele sind Luft, fließendes Wasser und Grund- wasser, solange diese nicht abgegrenzt und einer wirtschaftlichen Verwertung zugeführt wer- den.

Allein Gimpel-Hinteregger spricht sich gegen eine Differenzierung nach Beherrschbarkeit aus. Gerade die freie Luft und das fließende Wasser dienten im besonderen Interesse dem Menschen, da sie ja Voraussetzung für menschliches Leben seien. Zu Recht weist sie darauf hin, dass die Ausklammerung dieser Güter aus dem Privatrecht zur Folge hätte, dass die Rechtsschutzmechanismen des Privatrechts für sie nicht anwendbar seien.96

5.       Rechtsprechung

Der OGH hat in der E v 27.9.2000, 7 Ob 60/00z lapidar gemeint, „dass Allgemeingüter wie Luft, fließendes Wasser oder Grundwasser nicht als Sachen iSd §§ 285 ff ABGB angesehen werden können, anders verhält es sich, wenn diese allgemeinen Güter abgegrenzt oder einer gesonderten wirtschaftlichen Verwendung zugeführt werden und dass deren Verlust durch den Versicherungsfall nicht zu deckenden Vermögensschaden, sondern einen zu deckenden Sachfolgeschaden darstelle. Der OGH schließt daraus, dass im Leitungsrohr gefasstes Wasser eine Sache sei (uE völlig unzweifelhaft).

6.       Exkurs:

Öffentliche Sache, öffentliches Gut und Gemeingebrauch im öffentlichen Recht

In der öffentlich-rechtlichen Dogmatik bezeichnet der Terminus der „öffentlichen Sache“ eine Sache, die im Eigentum eines Rechtsträgers der Verwaltung steht und als solche der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dient. Sind diese Sachen dem Gemeingebrauch gewid- met, gelten sie als „öffentliches Gut“.

Gemeingebrauch“ bezeichnet ein besonderes Nutzungsrecht, das von jedermann (idR unentgeltlich) ausgeübt werden kann; es kann auch an Sachen bestehen, die im Eigentum eines Privaten bestehen (zB das Betretungsrecht des Waldes).

Diese Unterscheidungen verdeutlichen, dass Rechte an der Natur und die Befugnis, Rechte für die Natur wahrzunehmen, nicht mit der Eigentumszuordnung verknüpft sein müssen.97

7.       Reflexion der Verfasser*innen

Die Ausführungen der Meinungen in der Lehre sowie die zusätzlichen Kriterien beruhen abgesehen vom Kriterium der Beherrschbarkeit zum Teil auf sehr subjektiven Bewertun-


95 In Schwimann/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar5 (2020) § 285 ABGB Rz 1.

96 Grundfragen der Umwelthaftung 234 f.

97 Vertiefend Merli, Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch (1995).


gen der jeweiligen Autoren. Zum Teil stehen sie auch in klarem Widerspruch mit der Sicht- weise Zeillers, der fließendes Wasser ausdrücklich als Sache, damals eben noch im Eigentum des Staates, nennt.

Dass Wild Gegenstand des menschlichen Interesses sei (so Holzner), weshalb die Sach- eigenschaft – trotz Flüchtigkeit bereits vor der Aneignung – zu bejahen sei, zeigt den Wider- spruch in Hinblick auf das fließende Wasser klar auf – dieses benötigt der Mensch jedenfalls, während Fleischkonsum (so gesund Wildfleisch auch sein mag) für den Menschen nicht not- wendig ist. Auch der Umstand, dass etwas „zur Befriedigung eines menschlichen Interesses sein muss“, wird für mehr oder weniger willkürliche Abgrenzungen herangezogen: Regenwürmer, Schnecken, Heuschrecken stehen zwar nicht auf dem Speiseplan der Verfasser der gegenständlichen Studie, werden aber weltweit von Menschen als Tierfutter (das Haustier ist des Menschen „bester Freund“), zT auch als „Super“lebensmittel verwendet. Nicht der Sach- begriff des ABGB ist das Problem bei flüchtigen Objekten wie Luft, Wasser, Insekten, sondern die Frage der Zugehörigkeit zum Eigentumsrecht, da (und sofern) sie dort nicht eingesperrt sind. Ebenso relativ ist die Frage, ob sich der Rechtsverkehr dafür interessiert: Hallstattluft in Dosen ist wegen ihrer Abgrenzbarkeit zweifellos eine Sache – noch dazu Ge- genstand eines Rechtsgeschäfts (meist mit chinesischen Touristen), der guten Luft in Hallstatt fehlt es nach hA an der Sachqualität, nach Zeiller dagegen handelte es sich um Staatseigen- tum, das dem Gebrauch und der Zueignung aller Bürger offen steht.

Schließlich ist die Behauptung, dass Sache nur das sein könne, was mengenmäßig in rela- tiver Knappheit zur Verfügung stehe, und deshalb Interessenskonflikt vorprogrammiert sein müsse, äußerst fraglich und führt zu mehr Rechtsunsicherheit als fruchtbarer Lösung.

Dass Luft und Wasser aus dem Sachbegriff herausfallen, ist auch deshalb äußerst eigenar- tig, da sie in höchstem Maße für den Gebrauch des Menschen relevant sind: Sie sind Voraus- setzung menschlichen Lebens. Nur wenn man allerdings bedenkt, dass Abgrenzbarkeit und Beherrschbarkeit für das Sachenrecht in weiterer Folge eine Rolle spielt (zB § 366), macht das Kriterium der Beherrschbarkeit Sinn.98 So genüge es für Ramsebner,99 wenn der Berechtigte das betreffende Objekt genau bestimmen kann und andere davon ausschließen kann.

Die vorliegende Studie schließt sich – trotz der davon abweichenden Sichtweise aus his- torischer Sicht – bezüglich des Kriteriums der Beherrschbarkeit der hM an und sieht die- ses Kriterium als konstituierendes Merkmal an, ohne das von einem „freien Gut“, nicht aber von einem Rechtsobjekt (= Sache iSd § 285 ABGB), gesprochen werden kann. Die übrigen Anforderungen werden dagegen als nicht mit der Rechtslage konform gehend verworfen.

8.       Deutsche Lehre

Auch die deutsche Rechtslehre knüpft vorwiegend an das Kriterium der „beherrschbaren Sache“ an. Laut Meyer-Abich sind mögliche Objekte eines ökologischen Schadens Wasser, Boden, Luft, Klima, die Tier- und Pflanzenwelt mitsamt ihren jeweiligen Wechselwirkun- gen. Für das Vorliegen einer ökologischen Schädigung von Boden, Wasser und Pflanzen, kommt es so Meyer-Abich va auf die damit verbundene Einschränkung der Funktionali-


98 IdS auch Bamer, Die Ersatzfähigkeit von Ökoschäden im Zivilrecht 61.

99 Ramsebner, Das Recht am Grundwasser (2013) 15.


tät des damit verbundenen Grundstücks an. Nutzt der Grundstückseigentümer daher etwa sein Grundstück für ökologische Zwecke, so ist jede Einwirkung, die eine Beeinträchtigung dieses ökologischen Zwecks, einschließlich der darüber liegenden Luftsäule, mit sich bringt, als eine Eigentumsverletzung anzusehen. Die freie Luft, das Kima sowie zumindest teilweise das Wasser (Hohe See) seien mangels der notwendigen Beherrschbarkeit allerdings keine Sachen iSv § 90 BGB100.101

Daneben hat sich Seibt mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Grundstückseigentümer, neben den abiotischen, auch die biotischen Bodenbestandteilen (wie zB Regenwürmer) zuge- ordnet sind. Hierbei argumentiert er zutreffend, dass kein reiner abiotischer Boden existieren kann, da ohne Flora und Fauna praktisch jedes Grundstück tot sei und nur noch eine An- sammlung von Steinen übrigbliebe. Es sei daher sachgerecht, dass der Grundstückseigentümer Einwirkungen abwehren und im Zuge der Wiederherstellung auch den Wiederbesatz von Insekten oder Bodenorganismen verlangen könne. Dem Eigentümer sind – laut Seibt – daher nicht nur die abiotischen, sondern auch die spezifischen organischen Bodenbestandteile, einschließlich standortbezogener tierischer Mikroorganismen zugeordnet. Diese Zuordnung sollte sich aber nicht auf die weiteren nicht-jagdbaren, herrenlosen Tiere wie Vögel und In- sekten, erstrecken. Dem Grundeigentümer würde dadurch die Möglichkeit eingeräumt wer- den, in die Offenheit bestehender Ökosysteme einzugreifen, indem er freilebende Tiere auf seinem Grundstück festhält, um über sie zu verfügen.102

9.       Zu den einzelnen Naturgütern / Zugehörigkeit zum Eigentumsrecht?

Es hat sich gezeigt, dass bezüglich der einzelnen Naturgüter sehr genau differenziert wer- den muss, und dass ihre generelle Einordnung als sog freie Güter nicht der Rechtsordnung entspräche. Vielmehr stellt sich die Frage, welcher Teil der Naturgüter zum Eigentumsrecht zählt, welcher Teil der Naturgüter zu dem öffentlichen Gut zählt und welcher Teil der Natur- güter freistehend ist. Besondere Bedeutung erlangt die Frage nach der Zugehörigkeit von Na- turgütern zum privaten Eigentum oder zu den „freien Gütern“ im Rahmen der Ersatzfähig- keit von ökologischen Schäden. Diesbezüglich besteht seit geraumer Zeit Diskurs in der österreichischen und deutschen Lehre (dazu im Folgenden).

a.       Die Eigentumsfähigkeit der einzelnen Umweltgüter

aa.   Luft

Die Luftsäule über dem Grundstück sowie der Bereich des Bodens unter dem Grundstück werden bis zur Grenze der Beherrschbarkeit dem Eigentümer des Grundstücks zugeordnet.

 

 

 

 

 

 


100 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002 (BGBl I S 42, 2909; 2003 I S 738), das zuletzt durch Art 1 des Gesetzes vom 19.3.2020 (BGBl I S 541) geändert worden ist.

101 Meyer-Abich, Haftungsrechtliche Erfassung ökologischer Schäden (1999) 127 ff.

102 Seibt, Zivilrechtlicher Ausgleich ökologischer Schäden (1994) 15 (51 f).


bb.   Biodiversität in der Luft

Nach hA sind Insekten, Schmetterlinge, Vögel etc in der Luft herrenlos.103

cc.    Boden, Bäume, Gras, Früchte, Kräuter, Schwämme

Nach hA erstreckt sich das Grundeigentum in die Tiefe in Form eines dreidimensionalen keilförmigen Kegels zum Erdmittelpunkt hin. 104

Gras, Bäume, Früchte und alle brauchbaren Dinge, welche die Erde auf ihrer Oberfläche hervorbringt, bleiben so lange ein unbewegliches Vermögen, als sie nicht von Grund und Bo- den abgesondert werden. Sie sind Zubehör der Liegenschaft (§ 293 S 2) und werden erst durch ihre Abtrennung sonderrechtsfähig (§ 405). Gem § 421 ABGB wird das (Privat-)Eigentum an Bäumen anhand des Baumstammes bestimmt.

dd.   Bodenschätze

Dazu noch näher unten b). Bodenschätze sind vom Grundeigentum erfasst, besonderes gilt aber für mineralische Rohstoffe. Diesbezüglich enthält das MinroG die Einteilung zwischen bergfreien, bundeseigenen und grundeigenen mineralischen Rohstoffen und nimmt derart die Zueignungs- und Aneignungsbefugnis vor.

ee.    Biodiversität am Boden

Wild untersteht dem Aneignungsrecht des Jagdberechtigten.

ff.       Tiere

Gem § 285a sind Tiere keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit anzuwenden, als keine abwei- chenden Regelungen bestehen. Die Vorschrift wurde durch das BG über die Rechtsstellung von Tieren eingefügt,105 während Zeiller noch die Tiere klar den Sachen unterordnete. Die Neuregelung hat insb von der zivilrechtlichen Lehre viel Kritik erfahren,106 die die Verfas- ser*innen der gegenständlichen Studie nicht einmal ansatzweise teilen. Einzig zu kritisieren ist, dass der Gesetzgeber auf halber Strecke stehen geblieben ist und den Tieren nicht den Status einer rechtsfähigen, tierlichen Person zuerkannt hat.107 Zu dieser klaren Konsequenz, die es zu verfolgen gilt; vgl noch weiter unten in der Studie.

Einen Tier-Mensch-Vergleich im Hinblick auf die Eigenschaft als Person bzw die Zuer- kennung von Rechtsfähigkeit hat jüngst Bahn108 untersucht. Sie stützt sich auf qualitative Merkmale (Empfindungsfähigkeit, Schmerzfähigkeit, Gedächtnis, Interessensfähigkeit). Es wird darauf näher unten eingegangen.


103 Vgl dazu Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 383 Rz 1; weiters die Nw in OGH 8.11.2011, 10 Ob 52/11m, RZ 2012/22, 283.

104 Ganner, Eigentumsverhältnisse bei großflächigen Bodenverschiebungen, ÖJZ 2001, 785; ein- gehend zu Tunneln und Hohlräumen Bamer, Die Ersatzfähigkeit von Ökoschäden im Zivilrecht 64.

105 BGBl 1988/179.

106 P. Bydlinski, Das Tier, (k)eine Sache, RdW 1988, 157; umfassend dazu die Darstellung von

Bahn, Tierrechte in Österreich 68.

107 Eingehend zur Diskussion rund um die Rechtsfähigkeit von Tieren Bahn, Tierrechte in Öster- reich; siehe dazu Ziehm, Tiere als Rechtspersonen, EurUP 2020, 105.

108 Bahn, Tierrechte in Österreich.


gg.   Wasser

In Anlehnung an § 287 ABGB hat § 1 WRG die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Gewässern zum Inhalt. Gewässer sind Sachen iSd ABGB. Hierzu hebt auch Bachler – mit Verweis auf § 1 RWRG 1869 – hervor, dass es sich bei Gewässern um Sachen iSd ABGB handelt.109 Die Einteilung in öffentlich oder privat erfolgt anhand der Bedeutung für die Allgemeinheit. Weiters behandelt das österr Wasserrecht Gewässer außerdem als All- gemeingut und nicht als Vermögen des Staates110 – siehe zu dieser Unterscheidung bereits oben bei Zeiller.111 Der Bund übt zwar das Eigentumsrecht an den öffentlichen Gewässern aus. Die Einteilung in öffentliche und private Gewässer bezieht sich nur auf die Wasserwelle, nicht auch auf das Wasserbett. Die Gestalt des Bettes ist daher für die Zuordnung als öffentliches oder privates Gewässer nicht entscheidend. Die Einteilung in öffentliche und private Gewässer ist wegen der unterschiedlichen Nutzungsbefugnisse wesentlich.

Das in einem Grundstück enthaltene unterirdische Wasser (Grundwasser) und das aus ei- nem Grundstücke zutage quellende Wasser (§ 3 Abs 1 lit a), die sich auf einem Grundstück aus atmosphärischen Niederschlägen ansammelnden Wässer (§ 3 Abs 1 lit b), das in Brunnen, Zisternen, Teichen oder anderen Behältern enthaltene und das in Kanälen, Röhren usw für Verbrauchszwecke abgeleitete Wasser (§ 3 Abs 1 lit c), Seen, die nicht von einem öffentlichen Gewässer gespeist oder durchflossen werden (§ 3 Abs 1 lit d), die Abflüsse aus den vorstehend genannten Gewässern bis zu ihrer Vereinigung mit einem öffentlichen Gewässer, zählen zum Privatgewässer.

Grundwasser ist ein privatrechtlicher Teil der Liegenschaft, wenngleich durch das öffent- liche Recht (zB § 10 WRG) die Befugnis des Liegenschaftseigentümers darüber zu verfügen, eingeschränkt ist (§ 364 Abs 1).112 Immer wieder ranken sich fragliche Sichtweisen rund um die Zugehörigkeit des Grundwassers, insb iZm Entschädigungsfragen bei Grundwasserentzug: Richtig ist vielmehr, dass das Grundwasser als Teil der Liegenschaft allein dem Eigentümer zur Aneignung offensteht. Das umgefasste fließende Wasser ist zwar herrenlos, der Eigentümer kann sich aber dieser Güter bemächtigen.113 Warum dann, wenn diese Aneignungsmöglichkeit durch Dritte geschmälert wird (Brunnen versiegt etc) oder gar im Rahmen der Verordnung eines Wasserschutzgebiets ein Erschließungsverbot verhängt wird, kein Entschädigungsanspruch zustehen soll, ist uE nicht nachvollziehbar.114

Das öffentliche Wassergut ist in der Bestimmung des § 4 WRG geregelt, der die unter- schiedlichen Zwecke des Wasserguts auch in ökologischer Hinsicht aufzeigt, ohne dass hier im Einzelnen darauf eingegangen werden kann. Ihre Nutzung hat daher im Rahmen des Ge-

 

 


109 Bachler in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 1 Rz 1.

110 Bachler in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 1 Rz 1.

111 Hervorhebungen durch die Autor*innen.

112 Gimpel-Hinteregger, Grundfragen der Umwelthaftung 236 f.

113 Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 354 Rz 4; Bachler in Oberleitner/Berger, WRG4 § 3 Rz 2.

114 Vgl dazu Bachler in Oberleitner/Berger, WRG4 § 3 Rz 2; VwGH 28.6.2001, 2000/07/0248 und OGH 12.10.2004, 1 Ob 141/04y.


meingebrauchs gem § 8 Abs 1 WRG oder nach Maßgabe einer behördlichen Bewilligung iSv

§ 9 Abs 1 leg cit zu erfolgen.115

hh.   Biodiversität im Wasser: Fische und Gewässerökologie

Als Begriff definiert Fischereirecht im subjektiven Sinne die Befugnis, im Fischwas- ser Wassertiere, das sind Fische, Muscheln und Krustentiere zu hegen, zu fangen und sich anzueignen. Der OGH ging schon sehr früh davon aus, dass das Fischereirecht in Privat- gewässern grundsätzlich Ausfluss des Eigentums sei; wo nicht der Eigentümer des Gewäs- sers selbst berechtigt sei, werde das Fischereirecht, als Dienstbarkeit angesehen.116 In ähnli- cher Weise geht der OGH auch in seiner neueren Judikatur117 davon aus, dass das Fischerei- recht Ausfluss des Eigentums an eigenem Gewässer oder ein dingliches Recht an einem fremden Gewässer sein könne. Das Höchstgericht betont, dass das Fischereirecht nicht Aus- fluss der Rechtsverhältnisse an der Wasserwelle sei, sondern an jenes des Wasserbetts ge- knüpft ist.

b.       Die Diskussion rund um die Ersatzfähigkeit von ökologischen Schäden

aa. Rechtsprechung

Eine höchstgerichtliche Entscheidung betrifft die Schädigung des Fischbestandes durch Entzug/Kontamination der Fischnährtiere; vgl OGH 21.12.1993, 1 Ob 21/93. In der E lässt der OGH offen, ob Ersatz für Schäden an Ökosystemen der Fische gebührt. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass es bei funktioneller Betrachtung des Zuweisungsgehalts des jeweili- gen Rechts unlogisch erscheint, lediglich die Fische zu schützen, nicht aber deren lebensnot- wendige Grundlagen (Ökosysteme). Vorsichtig die Kontamination von Fischnährtieren (kon- taminierten Insekten) berücksichtigend: OGH 27.2.2001, 1 Ob 278/01i. Der OGH hat im durch Verdauungsstörungen verursachten Zuwachsverlust der Fische uE völlig zu Recht eine Schädigung des Fischereirechts bejaht.

Eine andere Fallgruppe in der Rspr betrifft Schäden am Wild (OGH 28.4.1994, 2 Ob 25/94): Bei schuldhafter Schädigung von Tieren, die vom Jagdrecht umfasst waren, spricht der OGH Ersatzansprüche zu (unzweifelhaft). Ob Eingriffe in die Ökologie, die zu einem Rückgang des Ertrags aus dem Jagdrecht führen, vom Ersatzanspruch umfasst sind, bleibt offen (uE zu bejahen).

Eine weitere Fallgruppe bilden die Gewässerkontaminationen: zB OGH 29.11.2007, 1 Ob 132/07d (private Quelle wird durch Gülle verunreinigt); OGH 16.1.1991, 1 Ob 39/90 (Pflanzen und ein privater Hausbrunnen werden durch die Verunreinigung von Grundwasser mit Bor beeinträchtigt). Da diesfalls die geschädigten Gewässer im privaten Eigentum stan- den, hat der OGH in beiden Fällen einen Ersatz für den durch Qualitätseinbuße bewirkten Entgang der bisherigen Nutzung bejaht.

Inwiefern allein die ökologische Funktionsfähigkeit des Wassers und allfällige Regenera- tionszeiten bei Beeinträchtigung derselben zivilrechtlich relevant sind, bleibt in der Rspr bis- lang offen.


115 Bachler in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 2 Rz 2.

116 SZ 69/144 = JBl 1997/568 = NZ 1997, 126.

117 1 Ob 203/96g; 1 Ob 19/01b.


Auch hinsichtlich der Schäden am Boden ist zu kritisieren, dass in den einschlägigen Entscheidungen (OGH 19.12.2000, 1 Ob 178/00h) kein Ausspruch über die ökologische Funktionsfähigkeit des Bodens getroffen wurde.

Auch hinsichtlich der Schädigung von Pflanzen (24.1.2008, 6 Ob 104/06x [Winterzwie- beln], 4.11.2004, 2 Ob 230/04v [Chinakohl] hatte der OGH bislang nur die Schädigung von Nutzpflanzen zu behandeln und stellt dabei ausschließlich auf das Ertragsinteressen des je- weiligen Pflanzers ab. Wie also die Schädigung eines „lediglich der Freude des Pflanzers dienenden Blumenbeets“ oder gar einer Blumenwiese ersatzrechtlich zu behandeln ist, bleibt offen.

Aus der Analyse der Judikatur lässt sich folgendes Zwischenergebnis ziehen: Insekten, andere Kleinlebewesen, Tier- und Pflanzenarten, die Ökologie des Gewässers, Fauna und Flora sind nur mittelbar geschützt, wenn ein anerkanntes Privatrecht verletzt wird.

bb. Lehre

In der österr Lehre ist dazu va die grundlegende Untersuchung von Dr. Friedrich Bamer, die im Jahr 2009 unter der Erstbetreuung von Univ.-Prof.in Dr.in Erika Wagner (Zweitbetreu- ung: Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner) am Institut für Umweltrecht entstanden ist, zu nennen. Er beschäftigt sich vorerst mit den in Österreich vertretenen Meinungen in der Lehre zum Thema Ökoschaden. Unter reinen Ökoschäden versteht die hA einhellig den Schaden an Gütern, die keinem Privaten zugeordnet sind (sog „überindividuelle Schäden“). Deshalb könnten diese Schäden – so die hM – nicht mit Mitteln des Privatrechts geltend gemacht wer- den. Bamer setzt sich dabei – neben den Ansichten Bergers,118 Wilhelms,119 Kerschners120 und Kinds121 – mit der grundlegenden Untersuchung von Hinteregger122 auseinander. Bamer zeigt auf, dass die bislang herrschende Ansicht die Ersatzfähigkeit von Ökoschäden davon abhängig macht, ob das geschädigte Umweltgut auch privatrechtliches Eigentum darstellt.

Die Untersuchung Bamers stellt erstmals für Österreich die entscheidende These in den Raum: Ein Normalbestand von Lebewesen lasse sich von einem Grundstück nicht tren- nen. Deshalb seien im Boden lebende Würmer und Käfer vom Grundeigentum umfasst. Für diese uE zutreffende Sicht kann sich Bamer auch auf Teile der österr123 und deutschen124 Lehre stützen. Bamer zeigt zugleich auch den damit einhergehenden Nachteil auf: Das Aus- sterben einer Mückenart – mag sie auch ökologisch noch so wertvoll sein – kann vom Eigen- tümer idR als Vorteil empfunden werden, weshalb derartige Schäden idR unsaniert bleiben.

Völlig zutreffend zeigt Bamer die Schwächen der derzeitigen zivilrechtlichen Umwelthaf- tung auf: Begrenzter Schutzbereich des Eigentums, die Frage der Überindividualität rein öko- logischer Güter, die begrenzte Pflicht zur Naturalrestitution, die Dispositionsfreiheit des Eigentümers, das Fehlen einer einheitlichen Gefährdungshaftung, der Umstand, dass ökologi-


118 ecolex 1991, 673.

119 Der Ökoschaden lege Rhodia de iactu, ecolex 1992, 156.

120 In Hanreich/Schwarzer, Umwelthaftung (1991) 43.

121 Haftungsgrundlagen im Umweltrecht, RZ 1997, 80.

122 Grundfragen der Umwelthaftung (1994).

123 Gimpel-Hinteregger, Grundfragen der Umwelthaftung 236 f.

124 Baumann, Die Haftung für Umweltschäden aus zivilrechtlicher Sicht, JuS 1989, 439.


sche Schäden keine Eigentumsgrenzen kennen, die mangelnde Klagebereitschaft des Einzel- nen.

Bamer gelangt in seiner Untersuchung zur Auffassung, dass die ökologische Funktions- fähigkeit von Umweltgütern denklogisch vom Schutzbereich des Eigentums umfasst ist: Kleinlebewesen, Mikroorganismen, Insekten müssen vom Eigentum am Boden bzw Wasser umfasst sein. Wird ein spezielles Ökosystem geschädigt (Biotop ua), so umfasst der Schutzbe- reich des Eigentums die Wiederherstellung des gesamten Ökosystems, dh auch die Wieder- herstellung der Tiere, die für die Intaktheit des Systems notwendig sind. Schadenersatzrecht- lich geschuldet ist immer jener Zustand, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat.

Bamer schlägt eine Erweiterung der Naturalrestitutionspflicht im Rahmen der Verschul- denshaftung de lege ferenda vor. Bamer folgt dabei jener Sichtweise, die die Erweiterung der Wiederherstellungspflicht bei gleichzeitiger Extension der Eigentumsgrenzen (ökologische Funktionsfähigkeit) annimmt. In dieser Hinsicht verfolgt Bamer seinen Lösungsansatz konse- quent weiter.

Im Rahmen der dargestellten Verschuldenshaftung will Bamer allerdings nur bei vorsätz- licher oder grob fahrlässiger Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit die tat- sächlich aufgewendeten Kosten unabhängig vom Wert der beschädigten Sache ersetzen. Diese Einschränkung erscheint den Verfassern der gegenständlichen Studie insofern systematisch inkonsequent, als sie den rechtsgutbezogenen Ansatz der ökologischen Funktionsfähigkeit de facto bei leicht fahrlässigen Handlungen völlig zurücknimmt. Bei leicht fahrlässigen Hand- lungen dürfte Bamer im Rahmen der Restitutionspflicht auf den „Wert der Sache“ (mit oder ohne ökologische Funktionsfähigkeit?) abstellen. Die von Bamer selbst mehrfach angespro- chene Problematik der Materie, die darin besteht, dass Sachen mit geringem Wert eine große ökologische Bedeutung für die Umwelt zukommt, wird damit bei leicht fahrlässiger Schädi- gung nicht gelöst, ja uE völlig ausgespart. Ist die ökologische Funktionsfähigkeit von den Rechtsgutgrenzen erfasst (und bleibt sie diesbezüglich quasi unbewertet), so sprechen uE die besseren Gründe dafür, die Grenzen der Naturalrestitution unabhängig vom Verschuldensgrad an einem einheitlichen Maßstab (ökologisch orientierter Sachbesitzer) festzumachen. Das Integritätsinteresse an der Natur besteht unabhängig davon wem das Zivilrecht das Rechtsgut zuordnet.

Im Rahmen der Gefährdungshaftung will Bamer – uE zu Recht – auf die ökologische Funktionsfähigkeit abstellen und dabei Wiederherstellung unabhängig vom Wert der beschä- digten Sache zulassen, sofern die Kosten tatsächlich aufgewendet wurden.

Die Untersuchung Bamers durchdringt die Materie in hohem Maße, weshalb die Verfas- ser der gegenständlichen Studie ihr über weite Strecken uneingeschränkt folgen. Was offen bleibt, ist die Frage, ob die Geltendmachung des Umweltschadens allein dem Eigentümer vorbehalten bleiben soll. Wie auch oben konstatiert besteht nämlich das Integritätsinteresse der Natur unabhängig davon ob der Eigentümer den Schaden aufgreift oder nicht.

10.   Zwischenbewertung: „Should Trees have standing?“

Die Einordnung der Natur als Sache iSd § 285 – im privaten oder öffentlichen Eigen- tum stehend – geht auf die Erstfassung des ABGB 1811 zurück. Sie gilt auch heute noch und wird in der Lehre um den Begriff des „freien Gutes“ erweitert. Dieser Begriff führt aber dazu,


dass die „freien Güter“ außerhalb jeglicher Rechtsverhältnisse stehen, das hat Vorteile, aber auch Nachteile: Vorteil ist, dass sie nicht unmittelbar Gegenstand eines Rechtsverhältnisses sind. Das ändert sich aber schnell: Da der Mensch die „freien Güter“ qua seiner technischen Allmacht, die ihm die Herbeiführung ihrer Beherrschbarkeit ermöglicht, jederzeit zum Gegen- stand des Rechtsverkehrs machen kann (zB Luft aus Hallstatt abgefüllt in Dosen125), ist der Schutzstatus der sog freien Güter“ eher als „vogelfrei“ zu bezeichnen. Die Luftverschmutzung sowie die Verschmutzung der Ozeane sind Beweise für diesen Befund.

Es mag im Jahre 1811 als zeitgemäß erachtet gewesen sein, die Natur als ein Rechtsobjekt zu sehen, dies ist allerdings unter heutigen Gesichtspunkten der stetigen Umweltverschmut- zung und dem drohenden Klimawandel wohl nicht mehr der Fall.

Aber auch dort, wo Naturgüter einen Eigentümer haben, ist der angemessene Schutz nicht immer gewährleistet. Ja vielmehr ist es idR der Eigentümer, der die in seinem Eigentum ste- henden Naturgüter, der rechtmäßigen oder rechtswidrigen Zerstörung aussetzt. Die rechtmä- ßige Zerstörung ist mit wirtschaftlicher Tätigkeit verbunden.

Die rechtswidrige Zerstörung bleibt oftmals unsaniert.

Aber auch Sanierungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen sind zum Teil nicht in der Lage, den Zustand der Natur vor der Beeinträchtigung wiederherzustellen. Dies hat auch in der US-amerikanischen Rechtsdogmatik zu schon früh zu einem Umdenken in Richtung Rechtsfähigkeit und Rechtspersönlichkeit der Natur geführt.

Christopher D. Stone hielt 1972 fest, dass das Rechtssystem eine sich stetig verändernde Dynamik besitzt, welche den Gegebenheiten der sich ebenfalls stetig ändernden Gesellschaft entsprechen soll. Er bezieht sich hierbei auch auf die Menschenrechtsbewegung und die fort- laufende Erweiterung und Gewährung von Rechten für unterschiedliche Ethnizitäten. So be- fand sich bspw die Jüdische Bevölkerung des Mittelalters im 13. Jh hinsichtlich der Rechts- position auf der Ebene von „Rogen und Hirsch“ und wurde von einem quasi-Forstrecht ge- schützt; eine Position, die in der heutigen Zeit vollkommen zu Recht untragbar und menschenverachtend ist. Gleichermaßen verweist Stone auch auf die Etablierung einer fahr- lässigen Tötung des ungeborenen Fötus (Nasciturus), welche heutzutage allgemein akzeptiert wird, aber in damaligen Zeiten als schlichtweg „undenkbar erschien. Diese „Undenkbarkeit“ zieht sich durch die gesamte Rechtsgeschichte. Vor jeder Erweiterung des Rechtsystems auf neue Rechtspersönlichkeiten sah man sich immer auch mit dem Undenkbaren konfrontiert. Die Rechtlosigkeit von rechtlosen Sachen wird – so Stone – von der Gesellschaft fortwährend als eine Form der natürlichen Ordnung gesehen und nicht als eine rechtliche Übereinkunft, die den Erhalt des Status quo unterstützen soll.126 Stone meint damit – uE –, dass die Rechtlosigkeit eine bloße nicht überprüfte Prämisse ist, die aus der Tatsache abgeleitet wird, dass Sachen nicht postulationsfähig sind; wer dieser Prämisse folgt, übersieht, dass es sich dabei bloß um eine rechtliche Übereinkunft handelt oder nicht.

 

 

 


125 Siehe hierzu Hallstatt Air: Breeze; EVAIRY Hallstatt Air.

126 Stone, Christopher D. „Should Tress Have Standing? Towards Legal Rights for Natural Object.”, Southern California Law Review 45 (1972): 450–501, S 453–454 mwN.


III.      Prozessfähigkeit und Parteifähigkeit

Die Rechtsfähigkeit wird in § 16 ABGB (natürliche Personen) und § 26 ABGB (juristi- sche Personen) geregelt und erlaubt es, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die Hand- lungsfähigkeit – die Befähigung, durch eigenes Verhalten Rechte und Pflichten zu begründen – ist von der Rechtsfähigkeit getrennt zu betrachten und unterteilt sich in die Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Rechte und Pflichten zu begründen (Geschäftsfähigkeit) und für eigenes rechtswidriges und damit unerlaubtes Verhalten verantwortlich gemacht zu werden (Delikts- fähigkeit). An die Geschäftsfähigkeit wird darüber hinaus die Fähigkeit angeknüpft, selbstän- dig vor Gericht als Partei zu handeln (Prozessfähigkeit). Die Befähigung, vor Gericht als Kläger oder auch als Beklagter aufzutreten (Parteifähigkeit), wird demgegenüber mit der Rechtsfähigkeit verbunden.127 Bloß teilrechtsfähige Rechtssubjekte sind nach Nunner- Krautgasser stets als voll parteifähig anzusehen: Eine bloß teilweise (partielle) Partei- fähigkeit ist ausgeschlossen“.128 Die Parteifähigkeit als solche ist ungeteilt danach zu beurtei- len, ob jemand im Verfahren als Partei auftreten kann oder nicht. Die österr Rechtsordnung kennt daher keine bloß „partielle Parteifähigkeit“. Der Umstand, dass jemand in Anspruch genommen wird, der Beanspruchte aber hinsichtlich dieses Anspruches nicht rechtsfähig ist, ist kein Problem der mangelnden Parteifähigkeit, sondern ein Problem der mangelnden Sach- legitimation. Daher sind auch natürliche oder juristische Personen, die selbst nur eingeschränkt Träger von Rechten und Pflichten sein können, dennoch als voll parteifähig anzusehen.129 Zu den Begriffen der Geschäftsfähigkeit und Parteifähigkeit hat der OGH zB wie folgt Stellung genommen: „Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist, demnach alle natürlichen und juristischen Personen, aber auch alle jene Gebilde, denen die Rechtsordnung die Fähigkeit, klagen und geklagt zu werden, zubilligt, ohne ihnen im übrigen die Rechtsfähigkeit zu verleihen (SZ 64/17 mwN), und ferner Einrichtungen, denen von deren Organisationsgesetz privatrechtliche Teilrechtsfähigkeit zuerkannt wird (wie etwa gemäß § 3 UOG 1993 der Universität, deren Fakultäten und Instituten). Solche Einrichtungen sind aber nach § 4 Abs 1 und § 30 des Kärntner Krankenanstalten-Betriebsgesetzes auch die Landeskrankenanstalten, weil ihnen dort – mit der Formulierung: Sie ‚haben eigene Rechtspersönlichkeit hinsichtlich aller von ihnen wahrzunehmenden Aufgaben‘ – in diesem Umfang Teilrechtsfähigkeit verliehen ist (JBl 1996, 396 mwN aus dem Schrifttum). Zwar hat die Teilrechtsfähigkeit zur Folge, daß Rechts- geschäfte außerhalb der gesetzlich vorgegebenen Zwecke oder solche, die den aus derartigen Geschäften erworbenen Deckungsfonds überschreiten, materiell unwirksam sind (Rummel, Zur Privatrechtsfähigkeit von Universitäten [1987], 26 f und 29 f), sofern sie nicht als Rechts- geschäfte des Rechtsträgers der Einrichtung außerhalb deren Teilrechtsfähigkeit umzudeuten sind, weil die Organe der Einrichtung in Wahrheit mit entsprechender Vertretungsbefugnis für den Rechtsträger eingeschritten sind, doch hat diese Einschränkung auf die – insofern unteilbare – Parteifähigkeit keinen Einfluß. So sprach auch der Verfassungsgerichtshof be- reits aus, daß aus § 2 Abs 2 UOG 1975 keineswegs abzuleiten sei, die Legitimation von Universitäten zur Beschwerdeführung gemäß Art 144 Abs 1 B-VG sei bloß im Umfang ihrer


127 Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 16 Rz 3 ff; vgl Posch in

Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar5 (2018) § 16 Rz 9 ff.

128 Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 Vor § 1 ZPO Rz 26.

129 OGH 28.1.1997, 1 Ob 2405/96z.


Privatrechtsfähigkeit gegeben (JBl 1994, 107). Somit ist die rein verfahrensrechtliche Frage nach der Parteifähigkeit allein danach zu beantworten, ob die Partei im Verfahren überhaupt als solche aufzutreten befähigt ist (Fasching, Komm II 117; derselbe, LB2 Rz 338), wogegen die Frage nach der materiellrechtlichen Sachlegitimation, deren Mangel die Abweisung des Klagebegehrens zur Folge hat, auch davon abhängt, ob der Partei in diesem Belang Rechts- fähigkeit zukommt (JBl 1996, 396 mwN).

Überträgt man diese Grundgedanken der Rechtsordnung, dass Rechtsfähigkeit gesetzlich eingerichtet werden kann und so Rechtssubjekte geschaffen werden können, auf die hier erörterte Thematik, so lässt sich folgendes konstatieren: Es stünde auch einer prozess- und parteifähigen Natur, die ihre eigenen subjektiven Rechte durch Stellvertreter wahrnimmt (wie etwa auch eine AG oder GmbH) nichts im Wege. Dieser Gedanke wird weiter zu verfolgen sein.

Verfolgt man den Gedanken, dass aufgrund der fundamentalen Bedeutung der ökologi- schen Ressourcen (wie dies die Studie im Auftrag des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EU mehrfach betont) eine Rechtsfähigkeit für Naturrechtsakte notwendig ist, so stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass im Verfahren die Vertretung der Natur auch tat- sächlich die Interessen der Natur vertritt (Ökologisches Mandat). Unstrittig ist, dass dieses ökologische Mandat eine/mehrere natürliche Personen oder eine Personengesamtheit wahr- nehmen muss, sodass Artikulationsfähigkeit gegeben ist. Freilich sichert das alleine noch nicht die Qualität der Interessensverfolgung ökologischer Interessen. Es bedarf daher in formeller Hinsicht der Rückbindung an qualitätssichernde Organe (zB einen Beirat) und in materieller Hinsicht fachlicher Ressourcen, zB durch das Recht auf Beiziehung eigener Sachverständige im Verfahren, um die relevanten Ökosystemparameter auf gleicher fachliche Ebene wie der der Behörde beigegebene Amtssachverständige bzw der der Behörde zur Verfügung stehende Privatsachverständige beurteilen zu können.

In einem System, in dem die Naturgüter nicht (nur) als Rechtsobjekte, sondern die Natur (oder ein spezifisches Ökosystem) als Subjekt des Verfahrens verstanden werden, in dessen Integritätsinteresse – vielfach mit negativen Auswirkungen – eingegriffen werden soll, müs- sen alle Beteiligten, um die Fairness des Verfahrens zu gewährleisten, ihre Rechte wirksam geltend machen können.

In weiterer Konsequenz gilt es daher Mechanismen zu finden, die sicherstellen, dass das ökologische Integritätsinteresse der Natur als Subjekt im Verfahren ungeschmälert zum Ausdruck gebracht werden kann und nicht durch eine bestimmte objekttypische Nutzungszu- ordnung (sei es die Jagd oder Fischerei, die Forst- oder Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft) von vornherein auf einzelne Aspekte eingeengt wird. In der Interessenvertretung ist sicherzu- stellen, dass ausschließlich ökologische Interessen wahrgenommen werden (und insb keine politischen Einflussnahmen stattfinden). Ein Interessensausgleich findet auf zwei Ebenen statt: bei ökologischen Binnen- oder Zielkonflikten innerhalb der Strukturen der juristischen Person, etwa indem diesen auf hoher fachlicher Ebene bereits im Rahmen des ökologischen Mandats durch Rückbindung an den Beirat Rechnung getragen wird. Konflikte mit naturfremden Interessen sind hingegen nicht schon in der Willensbildung der juristi- schen Person zu moderieren, sondern extern, also im Verfahren, auszutragen und abzu- wägen.


Im Verwaltungsverfahren ist die Stellung als Partei oder Beteiligter in § 8 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG)130 geregelt: „Personen, die eine Tätigkeit der Be- hörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, sind Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Inter- esses beteiligt sind, Parteien.“ Demnach erlaubt § 8 leg cit allen natürlichen und juristischen Personen, die einen Rechtsanspruch oder ein rechtliches Interesse vorweisen können, die Teil- nahme als Partei oder Beteiligter an einem Verwaltungsverfahren. Die Stellung als Partei wird anhand der genannten Bestimmung an das Vorliegen von eigenen subjektiven Rechten ange- knüpft und geht mit umfassenden Verfahrensrechten einher, wie bspw dem Recht auf Akten- einsicht, der Ablehnung von nichtamtlichen Dolmetschern oder Sachverständigen oder der Erhebung von ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln. Durch § 8 AVG werden die materiellen subjektiven Rechte zu durchsetzbaren subjektiven Rechten, wodurch der Einzelne vom Objekt des Verfahrens zum Subjekt des Verfahrens wird und mit der Behörde auf einer Stufe steht.131 Auch dieses Beispiel zeigt, dass das Gesetz darüber ent- scheidet, ob Objekt- oder Subjekteigenschaft in rechtlicher Hinsicht anzunehmen ist. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit für Verwaltungsverfahren regelt § 9 AVG: „Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vor- schriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.Das Vorliegen einer Rechts- und Hand- lungsfähigkeit, und damit auch das Vorliegen einer Prozess- und Parteifähigkeit, wird iSv § 9 AVG daher primär an den Regelungsinhalt der Verwaltungsvorschriften (ein- schließlich des Unionsrechts) und sekundär an das Zivilrecht (inkl UGB, Insolvenzord- nung etc) angeknüpft.132

Fingiert man die Natur wegen ihrer besonderen Naturbelassenheit/Werthaltigkeit/Einzig- artigkeit als teilrechtsfähige „künstliche Person“ (juristische Person) – die juristische System- logik hat zur Folge, dass dem Leben in der Natur Künstlichkeit als Rechtssubjekt unterstellt werden muss, um in der Zweiteilung zwischen natürlicher und juristischer Person zu bleiben – so ist klar, dass ihr qua Gesetz in öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verfahren Par- teifähigkeit und Prozessfähigkeit dann zukommt, wenn dies der Gesetzgeber vorsieht.

IV.      Exkurs: Ökologie der Subjekte

Dass die Natur in der rechtlichen Dichotomie zwischen Subjekten und Objekten bislang den Objekten zugeschlagen wurde, wurzelt im stark physikalisch geprägten Naturverständnis, das unserer Rechtsordnung zugrunde liegt. Jens Soentgen133 hat diese Vereinseitigung des Naturbegriffs im wissenschaftlichen Diskurs des letzten Jahrhunderts überzeugend nachge- wiesen. Demnach wird „Natur als eine Sphäre bloßer Dinge betrachtet, die lediglich durch äußere Relationen verbunden sind, insbesondere durch Stoff und Energieströme. Entspre-

 


130 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 AVG, BGBl 1991/51.

131 Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz § 8 AVG Rz 1, 2, 9.

132 Hengstschläger/Leeb, AVG § 9 Rz 3, 4.

133 Soentgen, Ökologie der Angst 18 f, 113 f.


chend wird Naturpolitik vor allem ökonomistisch, als Management wie in einem Unternehmen aufgefasst.

Doch dieses Verständnis greift zu kurz und vernachlässigt die subjektiven Elemente in den Relationen: Die Natur ist mehr als die Summe der Stoffkreisläufe“, die nachhaltig zu

„bewirtschaften“ sind. „Es ist nicht genug, die große Fabrik Natur so zu führen, dass sie auch in Zukunft, wenn auch vielleicht stark vereinfacht, laufen kann. Die Perspektive einer Ökolo- gie der Subjekte führt zur Vorstellung, dass die Menschen Teil einer größeren Gemeinschaft sind“.

Soentgen versucht damit eine Denktradition wiederzubeleben, welche die Natur als ein Geflecht von Beziehungen versteht, in dem die Existenzbedingungen der Lebewesen von- einander abhängen, sich gegenseitig voraussetzen. „Weil ein Ökosystem nicht aus autonomen Elementen besteht, sondern ein Netzwerk ist, in dem die Beziehungen die einzelnen Organis- men geradezu formen und erhalten, kann die Entnahme eines Teils unabsehbare Folgen für das Ganze haben. Ein Ökosystem baut sich nicht stückweise aus seinen Teilen auf, sondern entsteht als Ganzes und vergeht als Ganzes“.134

Interessanterweise zieht Soentgen selbst Parallelen zu den Naturvorstellungen, die Hans Kelsen in „Vergeltung und Kausalität“ (1941) analysiert hat und beruft sich in FN 181 aus- drücklich auf die diese Studie, deren Entstehungs- und Wirkungsgeschichte für die vorliegen- de Thematik aufschlussreich ist. Kelsen hat diese Arbeit 1940, auf der Flucht vor dem Natio- nalsozialismus in Genf geschrieben. Sie fällt in eine Phase, in der er sich – notgedrungen – von der Befassung mit der kontinentalen Verfassungstradition löst und eine durch vielerlei rechts- und naturwissenschaftliche Einflüsse geprägte Perspektive auf die „Rechtszivilisationen“ entwickelt.135

Kelsen zeigt, dass der naturwissenschaftliche Erkenntnisfortschritt auch das Rechtsdenken weiterentwickelt hat und auch dazu zwingt, es künftig weiterzuentwickeln. Er zeigt, wie das Vergeltungsprinzip, das Naturerscheinungen als Ausdruck übernatürlicher Mächte deutete, durch das Kausalgesetz, das naturwissenschaftliche Verknüpfungen zwischen Ursache und Wirkung herstellt, abgelöst wurde. Damit ändert sich – so Kelsen – auch das Weltbild: „Der letzte Rest der […] anthropo- oder richtiger: soziozentrischen Naturbetrachtung, das ptole- mäische Weltbild mit der menschlichen Erde als Mittelpunkt, wird mit der Restauration des kausalen Denkens in der kopernikanisch-keplerschen Astronomie überwunden.136

Aber bei dieser Einsicht bleibt Kelsen nicht stehen, denn die moderne Physik hat das Kau- salgesetz erschüttert: Dieses resultiert, wie Erwin Schrödinger schrieb, aus der „ererbten Gewohnheit, kausal zu denken“; naturwissenschaftlich betrachtet ist der „allgemein verbrei- tete Glaube an die absolute, kausale Determinierbarkeit des molekularen Geschehens137 nicht haltbar, wir müssen uns mit statistischen Wahrscheinlichkeiten begnügen. Was bedeutet das für unser Weltbild? Die Natur ist nicht nur ein Gegenstand, den die menschliche Gesellschaft nach ihrem Willen formt und steuert. Die menschliche Gesellschaft ist vielmehr einge-


134 Ibid 10.

135 Jedstaedt, Vorwort IXXX.

136 S 280.

137 Erwin Schrödinger, Was ist ein Naturgesetz? zit nach Soentgen, Ökologie der Angst 1.


bettet in die Natur, unterliegt mit und in ihr bestimmten Vorgängen und Entwicklungen, die sie (mehr oder weniger gut) erklären und beeinflussen, aber nicht absolut vorherbestimmen und gestalten kann. Kelsens Schlusssatz: „War die Natur zu Beginn der menschlichen Spekulation ein Stück der Gesellschaft, so ist die Gesellschaft nunmehr – dank der völligen Emanzipation der Kausalität von der Vergeltung im modernen Gesetzesbegriff – ein Stück Natur“.138

Damit öffnet Kelsen das Rechtsdenken für eine ökosystemare Betrachtung, in Rah- men welcher die Zusammenhänge auch in neue Rechtsfiguren und Rechtsformen gegossen werden können. Speziell seine Konzeption der juristischen Person als Teilrechtsordnung, die das Verhalten von Menschen in Bezug zu einem Teil- oder Gesamtsystem regeln, eignet sich dafür, weil sie den Menschen über die Zurechnung seiner Rechte und Pflichten zur systemati- schen Einheit, der er angehört und die er vertritt, in die Verantwortung für das System stellt.139 Kelsen warnt ausdrücklich davor, diese Systemverantwortung aus den Augen zu verlieren und bloße Partikularinteressen zu verfolgen. Der „Anspruch des Sollens“, mit dem die Gesellschaften Gesetzlichkeiten“ proklamieren, wird so Kelsen als eine bloße

‚Ideologie‘ durchschaut, hinter der sich in der Realität höchst konkrete Interessen von Indivi- duen und Gruppen verbergen, die, zur Herrschaft gelangt, ihr Wollen als Sollen und dessen Ausdruck als Norm darstellen“.140

Kelsens Arbeit hat eine bislang kaum wahrgenommene Wirkungsgeschichte: In der eng- lischsprachigen Fassung 1943 unter dem Titel „Society and Nature“ erschienen wurde sie in Österreich zuletzt (soweit ersichtlich) 1982 in der Reihe „Vergessene Denker, vergessene Werke141 aufgelegt. Anders im angelsächsischen Sprachraum: „Society and Nature“ wurde 2009 nachgedruckt, ist seit 2014 als e-book erhältlich und gilt als Klassiker, dessen Wieder- entdeckung lohnt.142

Diese Wiederentdeckung ist allerding nicht in der juristischen Community, sondern jener der Ökologie gelungen, die Kelsens profunde, disziplinenübergreifende Einsichten in vormo- derne und moderne Naturvorstellungen wertschätzt,143 namentlich Jens Soentgen, der den Blick zu einer Ökonomie und Ökologie der Versöhnung öffnet, die sich nicht in Management- aufgaben einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Natur erschöpft. Soentgen bringt diese not- wendige Erweiterung der Perspektive treffend auf den Punkt: „Es ist nicht genug zu versuchen, die große Fabrik Natur so zu führen, dass sie auch in Zukunft, wenn auch vielleicht stark vereinfacht, laufen kann. Die Perspektive einer Ökologie der Subjekte führt zur Vorstellung, dass die Menschen Teil einer größeren Gemeinschaft sind“.144

Tatsächlich erweist sich der positivistische Begriff der juristischen Person als personifi- ziertes Beziehungsgeflecht als aufnahmefähig für einen subjektivierten Naturbegriff im Sinne

 

 


138 Soentgen, Ökologie der Angst 282.

139 Kelsen, Allgemeine Staatslehre 183.

140 FN 1, S 281 f.

141 Hans Kelsen, Vergeltung und Kausalität (1982, Böhlau).

142 2013 ist auch eine kroatische Übersetzung im Verlag Breza, Zagreb, erschienen.

143 Soentgen, Ökologie der Angst 113 FN 181.

144 Olechowski, Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers (2020) 891.


Soentgens. Im Ergebnis zeigt sich, dass ökologische und juristische Denktraditionen zum Be- griff des Subjekts durchaus konvergieren können.

 

C.         Die Natur als Rechtsobjekt im geltenden Recht

Die Natur ist nach derzeit geltendem Rechtsverständnis ein Rechtsobjekt und genießt selbst keine Rechts- und Parteifähigkeit. Sie wird als ein Interesse gehandhabt, welches mit anderen Interessen abgewogen werden kann. Allerdings ist mit einer gesunden Umwelt auch eine Fülle von zusammenhängenden Interessen verbunden. Zu nennen wären etwa die nachhaltige Entwicklung, der Artenschutz oder aber auch der Schutz der Gesundheit des Menschen. Diese durch den Umweltschutz intendierten Schutzbereiche können als ein übergeordnetes Interesse klassifiziert werden, die die Entstehung der juristischen Person „Natur“ begründen. Das drückt sich auch bereits im ersten Erwägungsgrund der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)145 aus: „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“ Daneben heißt es im dritten Erwägungsgrund der Vogelschutzrichtlinie (Vogelschutz-RL),146 dass der Rückgang der Bestände an wildlebenden Vogelarten eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt darstellt, wodurch insb das biologische Gleichgewicht bedroht wird.

Die EU-Kommission erkannte in ihrem Vorschlag für die Schaffung der Bodenrahmen- RL147 den hohen Stellenwert des Bodens an. So konnte dem ersten Erwägungsgrund des Vor- schlags für eine Bodenschutz-RL entnommen werden: „Der Boden ist ein äußerst dynami- sches System, das zahlreiche Funktionen hat und für menschliche Tätigkeiten und das Überle- ben der Ökosysteme von grundlegender Bedeutung ist. Zu diesen Funktionen zählen neben der Erzeugung von Biomasse, der Speicherung, Filterung und Umwandlung von Nährstoffen und Wasser, die Tatsache, dass er als Pool für die biologische Vielfalt dient, als Plattform für die meisten menschlichen Tätigkeiten fungiert, Rohstoffe liefert, als Kohlenstoffspeicher dient sowie das geologische und archäologische Erbe beherbergt.148 Letztendlich wurde die sog Bodenschutz-RL zwar nie verabschiedet, die inhaltlichen Äußerungen für den hohen Stellen- wert der Natur werden dadurch aber nicht abgeschwächt. Vor allem mit der Biodiversitäts- strategie 2030 hielt die EU unlängst fest: „Von den großen Regenwäldern der Welt bis hin zu kleinen Parks und Gärten, vom Blauwal bis hin zu mikroskopischen Pilzen: Biodiversität ist die außergewöhnliche Vielfalt des Lebens auf der Erde. Wir Menschen sind Teil dieses lebendigen Netzes und komplett davon abhängig, denn es gibt uns die Nahrung, die wir essen, filtert das Wasser, das wir trinken, und liefert die Luft, die wir atmen. Die Natur ist für unser psychisches und physisches Wohlergehen ebenso wichtig wie für die Fähigkeit unserer Gesellschaft, globalen Veränderungen, Gesundheitsbedrohungen und Katastrophen standzuhal-


145 RL 2000/60/EG des EP und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl L 2000/327, 1.

146 RL 2009/147/EG des EP und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl L 2010/20, 7.

147 Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Vorschlag für eine RL des EP und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Bodenschutz und zur Änderung der RL 2004/35/EG, 22.9.2006, COM(2006) 232 fin.

148 COM(2006) 232 fin, 10.


ten. Wir brauchen Natur in unserem Leben.149 Daneben ist – laut EU-Kommission – der Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt die einzige Möglichkeit, die Qua- lität und die Kontinuität des menschlichen Lebens auf der Erde zu erhalten.150

Die Verteidigung der Natur – am Beispiel des Gewässers als „geerbtes Gut“ – könne aber nur dann verwirklicht werden, wenn der Natur selbst eine Rechtspersönlichkeit und damit eine Rechts- und Parteifähigkeit zugestanden wird. Dies zeigt sich va dadurch, dass die Behörden nicht geeignet sind die „Natur-Interessen“ wahrzunehmen, während die Umweltanwaltschaft nur zur Wahrnehmung des objektiven Rechts berufen sind und Umweltorganisationen im Hinblick auf ihre Parteistellung nach wie vor „stiefmütterlich“ behandelt werden. Die rechts- und parteifähige Natur kann zwar im Gegensatz zu anderen Rechtssubjekten nur eine begrenzte Palette an Verpflichtungen eingehen, dies ist allerdings hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit nicht schädlich, da die österr Rechtsordnung keine eingeschränkte Parteifähigkeit kennt.

Umweltressourcen sind nicht unendlich vorhanden, werden aber in einem beispiellosen Tempo abgebaut. Das hat nun auch den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss dazu bewegt eine Studie zu veröffentlichen, die sich klar für die Etablierung einer eigenrechts- fähigen Natur ausspricht. 151 Dem EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss folgend, muss Naturkapital in erster Linie als unersetzlich betrachten werden. Zugleich müssen gesetzliche Regelungen die Natur nicht nur schützen, sondern diese auch respektieren. Normen dürfen nicht in die Stabilität und die Funktion der Ökosysteme eingreifen.152

Aufbruch zu einem neuen Verständnis der Natur im Recht

Mit dem angesprochenen Dokument „Towards an EU-Charter of the Fundamental Rights of Nature” wird ein Umdenken sichtbar. Folgende Passagen erscheinen zentral:

Substantive rights

A long list of Rights of Nature can be generated, looking at all the experiences currently available in the world. We can try to divide them into homogeneous categories, in order to ease picking them up.

Rights related to Nature's life or existence: the right to life and to exist; integral respect for its existence and for the maintenance and regeneration of its life cycles, structure, func- tions and evolutionary processes; the right for its essential processes not to be impaired; the right to be respected; not to compromise genetic viability; protection from degradation.

Rights related to conservation: as we have demonstrated throughout our study, conserva- tion must not be limited to protected areas. The ecological mandateand the whole systems approach require a guarantee of conservation in all areas of the Earth. Some examples of


149 COM(2020) 380 fin, 1.

150 COM(2020) 380 fin, 27.

151 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Towards an EU Charter of the Fundamental Rights of Nature (2020).

152 EU Charter of the Fundamental Rights of Nature 10.


formulations could be: the right to maintain the population levels of each species to a suffi- cient number; safeguarding of habitats and ecosystems; the right to regenerate Nature's bio- capacity and to continue its vital cycles and processes; the right to maintain its identity and integrity as a distinct, self-regulating and interrelated being; the right to maintain diversity among species.

Rights of specific natural components: right to clean water and air, free from contami- nation;

Right to health: the right to be free from contamination, pollution and toxic or radioac- tive waste.

Standing rights: recognition of the legal personality to Nature implies indicating the sub- jects that will act on its behalf, that is to say identifying guardians. The most common provi- sion is giving to every person (not only to citizens) the right to stand in courts or to participate in administrative proceedings or decision-making process to represent Nature's interests and rights. This same right could be assigned to communities, peoples and nations, environmental NGOs, associations, trusts, funds, etc. In this case, it is necessary to specify on the basis of which criteria standing will be recognized (statutory objectives; scope of the organization; territorial presence; number of members; democracy of the internal structure; etc.).

Right to restoration: the fundamental point it that restoration shall be apart from the ob- ligation of the State and natural persons or legal entities to compensate individuals and communities that depend on affected natural systems. A safe-guard clause that recognizes that the list of rights is open is to be recommended: «Nothing in this Charter shall be interpreted as restricting or adversely affecting Rights of Nature eventually recognised, by Union law and international law and by international agreements to which the Union or all the Member States are party, and by the Member States' constitutions or legislation».”

Zum Zweck des effektiven und nachhaltigen Naturschutzes müssen der Natur mate- rielle Rechte eingeräumt werden, die sich in folgende Kategorien aufteilen: Rechte auf Le- ben, Rechte auf Schutz aller natürlichen Gebiete,153 Rechte auf Kontaminationsfreiheit natür- licher Bestandteile (sauberes Wasser, saubere Luft), Rechte auf Gesundheit (frei von Ver- schmutzungen, giftigen oder radioaktiven Abfällen), prozessuale Rechte und Rechte auf Wie- derherstellung unabhängig von Ausgleichszahlungen.154

Das Dokument geht allerdings weiter und postuliert auch ein übergeordnetes Integritäts- interesse der Natur als evolutionärer Prozess und Lebenszyklus, der sich beständig erneuert. Dieses lebensspendende Integritätsinteresse verlangt nach Zuerkennung einer Rechtsper- sönlichkeit durch spezifisch einzurichtende Organisationsformen und/oder Vertretungsrechte (Hüter/Wächter der Natur), wobei als häufigstes Modell ein „Jedermannsrecht“, das von je- dem/jeder geltend gemacht werden kann, postuliert wird. Letzteres mag den Vorteil der Bür-


153 Laut EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss ist die Einschränkung auf Schutzgebiete ungenü- gend; vgl EU Charter of the Fundamental Rights of Nature 126.

154 EU Charter of the Fundamental Rights of Nature 125 f.


ger*innennähe haben, deckt aber den notwendigen Aspekt der Qualitätssicherung und der fachlich fundierten Interessenwahrung in allen Belangen nicht ab.

 

D.         Defizite der fehlenden Rechtssubjektivität

I.              Beispiel Wasserrecht

1.       Die ungenügende Möglichkeit der Wahrnehmung von Naturinteressen durch die Umweltanwaltschaft

Gem § 19 Abs 3 UVP-G155 ist die Umweltanwaltschaft berechtigt, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, als subjektives Recht geltend zu ma- chen. Diese Formulierung („als subjektives Recht“) ist allerdings nicht als solche zu verstehen, sondern eine Fehlbezeichnung. Tatsächlich handelt es sich bei den vom Umweltanwalt geltend gemachten Rechten um Kompetenzen, die nicht zur Durchsetzung subjektiver Rechte, sondern zur Verwirklichung des objektiven Rechts beitragen sollen. Dem Umweltanwalt kommt daher hinsichtlich der Umweltschutzinteressen keine eigene, gegen den Staat gerichtete Interessenssphäre zu, er ist wie andere Landesorgane auf die Vollziehung des ihm über- tragenen Aufgabenbereiches beschränkt. Dahingehend steht der Umweltanwaltschaft einzig das Rechtsmittel der Amtsbeschwerde an den VwGH zu. Die Erhebung einer Beschwerde nach Art 144 Abs 1 B-VG an den VfGH ist unzulässig.156 Gem § 5 Abs 1 OÖ USchG 1996157 hat die OÖ Umweltanwaltschaft in den von den jeweiligen Landesgesetzen bezeichneten Verfahren zur Wahrung des Umweltschutzes, insb zur Vermeidung von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, Parteistellung. Damit wird die Stellung des Umweltanwalts als Partei allerdings explizit von einer Regelung im jeweiligen Materiengesetz abhängig gemacht. Fehlt diese, kommt der Umweltanwaltschaft mangels gesetzlicher Verankerung keine Parteistellung im jeweiligen Verfahren zu. Dies betrifft auf bundesrechtlicher Ebene die Gewerbeordnung und das Wasserrechtsgesetz.158

2.       Die Interessensabwägung durch die Behörde

Die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen iSv § 105 WRG,159 wie etwa die Beschaf- fenheit des Wassers (lit e) oder der ökologische Zustand des Gewässers (lit m), erfolgt alleine durch die Behörde von Amts wegen. Hierbei hat die wasserrechtliche Behörde nicht nur auf die Verletzung von öffentlichen Interessen zu achten, sondern auch eine Interessensabwägung vorzunehmen.160 Dies ist in dem Sinne problematisch für die Umwelt, da gem § 104a WRG


155 Bundesgesetz über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungs- gesetz 2000 – UVP-G 2000), BGBl 1993/697.

156 Schmelz/Schwarzer, UVP-G-ON1.00 § 19 Rz 113 ff mwN.

157 Landesgesetz vom 4.4.1996 über Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und den Zugang zu In- formationen über die Umwelt (OÖ Umweltschutzgesetz 1996 – OÖ USchG), LGBl 1996/84.

158 OÖ Umweltanwaltschaft, Parteistellung in Behördenverfahren, https://www.ooe-umweltanwaltschaft.at/48_DEU_HTML.htm, Abfrage: 30.3.2020.

159 Wasserrechtgesetz 1959 – WRG 1959, BGBl 1959/215.

160 Berger in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 105 Rz 4.


auch Vorhaben mit negativen Auswirkungen auf den Gewässerzustand bewilligt werden kön- nen, wenn die Vorgaben des Abs 2 leg cit eingehalten werden. So erachtete bspw der VwGH – gestützt auf das Urteil des EuGH in der Rs C-346/14161 – die Verschlechterung der Wasser- qualität der Schwarzen Sulm durch die Errichtung eines Wasserkraftwerks im Hinblick auf das Ziel der Schaffung erneuerbarer Energiequellen als zulässig.162 Es kann also nie von einer gänzlichen Wahrung der Interessen der Natur ausgegangen werden. § 104a WRG wurde im Zuge der Umsetzung von Art 4 Abs 7 WRRL163 geschaffen, wodurch künftige menschliche Entwicklungstätigkeit trotz des Verschlechterungsverbots ermöglicht werden soll. 164 Dem Interesse der Natur wird daher auch stets das Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung ent- gegengehalten. Ein gänzlicher Schutz der Interessen der Natur kann daher nicht von der Behörde im selben Ausmaß wahrgenommen werden, wie es einem Rechtssubjekt mög- lich gemacht wird. Das wasserwirtschaftliche Planungsorgan (WPO) hat gem § 55 Abs 5,

§ 55g Abs 3 und § 104a Abs 3 WRG eine Beschwerdemöglichkeit, bei der so Lindner – unter Umständen sogar von einer amtlichen Verpflichtung zur Beschwerdeerhebung bei Ver- stoß gegen die wasserwirtschaftlichen Interessen die Rede sein könne. Die ist allerdings inso- weit problematisch, als das WPO in die Weisungshierarchie eingebunden ist.165 Daneben ist, wie auch der Umweltanwalt, das wasserwirtschaftliche Planungsorgan eine Formalpartei, wo- nach diesem rein die Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit oder die Wahrnehmung be- stimmter öffentlicher Interessen, zusteht.166 Nimmt die Behörde daher eine objektiv rechts- konforme Interessensabwägung (wenn auch zum Nachteil der Umwelt) vor, ist das WPO nicht zur Beschwerdeerhebung veranlasst.

3.       Das Wasserwirtschaftliche Planungsorgan

Konzeptionell ist das wasserwirtschaftliche Planungsorgan als zentrale Koordinations- stelle wasserwirtschaftlicher Planungen eingerichtet, das die wasserwirtschaftlichen öffentli- chen Interessen in den Wasserrechtsverfahren und in gewerberechtlichen, abfallrechtlichen, bergrechtlichen und UVP Verfahren vertreten soll.

Schon in dieser Aufgabenstellung ist eine Schutzlücke auszumachen, weil das wasser- wirtschaftliche Planungsorgan nur auf wasserwirtschaftliche Interessen ausgerichtet ist. Damit stehen wasserhaushaltliche Nutzungszwecke im Fokus, nicht aber das Integritätsinteresse des Schutzguts Wasser per se.

Mit dem WRG 1959 und dem „Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz Umwelt, Abfall, Wasser“ (2013) wurde dem Planungsorgan Parteistellung (mit Ausnahme der Verfah- ren des Landeshauptmannes) einschließlich Beschwerdelegitimation an das Verwaltungsge- richt und Revisionsmöglichkeit an den VwGH zuerkannt.

 


161 EuGH 4.5.2016, C-346/14 (Kommission/Österreich).

162 VwGH 24.5.2016, 2013/07/0227-15 Rz 41.

163 RL 2000/60/EG des EP und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl L 2000/327, 1.

164 Berger in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 104a Rz 1.

165 Lindner in Oberleitner/Berger, WRG-ON4.00 § 55 Rz 13.

166 Schmelz/Schwarzer, UVP-G-ON1.00 § 19 Rz 30, 122.


In der zitierten Ausnahme offenbart sich auch eine Vertretungslücke, die auf das Erk des VfGH v 16.3.2012, G 126/11-12, zurückgeht. In dieser Entscheidung hat der VfGH das Di- lemma – genauer: den Interessenkonflikt – eines Organs, das einerseits funktional und orga- nisatorisch in die Verwaltung eingegliedert ist, andererseits aber nur spezifische Teilinteres- sen wahrnehmen und durchsetzen soll, exemplarisch illustriert. Zutreffend spricht der VfGH von einem unauflösliche[n] Rollenkonflikt zwischen dem Gebot der einem Organ gesetzlich aufgetragenen Beachtung spezifischer öffentlicher Teilinteressen auf der einen und dem Ge- bot einer ausschließlich am Gesetz orientierten, gegebenenfalls zwischen privaten Interessen und dem Gemeinwohl abwägenden Entscheidungsfindung, sodass es auszuschließen ist, dass beide Aufgaben gleichzeitig erfüllt werden können. Es ist dem Gesetzgeber ungeachtet seines in staatsorganisatorischen Fragen besonders weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums daher von Verfassung wegen verwehrt, auf dem Gebiet der Aufgabenverteilung auf Behörden und Organe eine Regelung staatsorganisatorischen Inhalts zu treffen, die in einer in sich nicht kohärenten Weise dadurch das gewählte Organisationskonzept wechselt, indem sie das Modell der Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch die erkennende Behörde mit jenem der Einschaltung einer Amtspartei zur Wahrung der öffentlichen Interessen in der Weise ver- mischt, dass ein und dasselbe Organ in bestimmten Verfahren zugleich als Amtspartei und als erkennende Behörde tätig wird.

4.       Das öffentliche Wassergut

Als öffentliches Wassergut definiert § 4 WRG „wasserführende und verlassene Bette öffentlicher Gewässer sowie deren Hochwasserabflußgebiet (§ 38)“ – allerdings unter der Voraussetzung, dass „der Bund als Eigentümer in den öffentlichen Büchern eingetragen ist“.

Die Zweckwidmung umfasst gem Abs 2 insbesondere:

a)       der Erhaltung des ökologischen Zustands der Gewässer,

b)       dem Schutz ufernaher Grundwasservorkommen,

c)        dem Rückhalt und der Abfuhr von Hochwasser, Geschiebe und Eis,

d)       der Instandhaltung der Gewässer sowie der Errichtung und Instandhaltung von Wasserbauten und gewässerkundlicher Einrichtungen,

e)        der Erholung der Bevölkerung.

 

Dass der Bund in Wahrnehmung seiner Eigentümerschaft die ökologischen Interessen nicht vollumfänglich vertreten kann, wird an den tatbestandlichen Limitierungen dieser Norm evident: Nicht nur fehlen die Privatgewässer (denen in Österreich ganze Seen zugehören); durch die Einschränkung auf das Gewässerbett fällt das ufernahe Ökosystem nahezu gänzlich aus dem Schutzzweck; nur ufernahe Grundwasservorkommen sind vom Schutz umfasst. Das wasserrechtliche Planungsorgan ist in der verwaltungsinternen Weisungsgebundenheit verhaftet; es ist als Koordinationsstelle eingerichtet und vertritt explizit wasserwirtschaftliche Interessen; damit ist ihm einerseits eine Beschränkung auf Nutzungsansprüche, ande- rerseits ein interner Ausgleich zwischen den verschiedenen Nutzungsinteressen aufgetra- gen. Beides ist, wie oben gezeigt, mit einer wirksamen Vertretung der Natur nicht verein- bar.


5.       Umweltorganisationen als bloße Beteiligte

Umweltorganisationen sind gem § 102 Abs 2 WRG Beteiligte iSd § 8 AVG, um einen möglichen Verstoß gegen die Verpflichtungen des § 104a WRG zu verhindern, insb dann, wenn erheblich negative Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen und/oder mengen- mäßigen Zustand und/oder das ökologische Potential der betreffenden Gewässer iSd § 104 Abs 1 lit b zu erwarten sind.167 Daneben sind die anerkannten Umweltorganisationen gem Abs 5 leg cit berechtigt, Verstöße gegen die Verpflichtungen des § 104a WRG mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht geltend zu machen. Hierdurch werden Umweltorganisationen hinsichtlich ihres Status als Beteiligte oder ihrer Rechtsmittellegitimation ausdrücklich auf die Verfahren iSv § 104a WRG beschränkt. Eingeführt wurde die Stellung der Umwelt- organisationen als Beteiligte mit dem Aarhus- Beteiligungsgesetz 2018,168 welches angesichts des EuGH-Urteils in der Rs C-664/15 (Protect)169 erlassen worden ist. Darin wurde für Um- weltorganisationen die Möglichkeit eingeführt, in Verfahren nach § 104a WRG als Beteiligte teilzunehmen und die daraus ergehenden Entscheidungen anzufechten. Allerdings wurde der Kreis dieser Beteiligungsrechte viel zu eng gezogen. Dies wurde auch vom Ökobüro in seiner Stellungnahme betreffend das Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018 gerügt. Art 9 Abs 3 Aarhus- Konvention170 kommt laut EuGH zwar nicht unmittelbar zur Anwendung, iVm Art 47 GRC171 sind die Mitgliedstaaten allerdings verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz von unionsrechtlich gewährleisteten Rechten einzuräumen. Laut Ökobüro gehen die Schutz- bestimmungen der WRRL allerdings über den durch § 104a WRG eingeräumten Anwen- dungsbereich hinaus. Die unionsrechtliche Verpflichtung zum Schutz der Gewässerqualität nach der Wasserrahmen-RL wird erst zum Inhalt des § 105 WRG. In der Bestimmung sind allerdings keine Verfahrensbeteiligung und kein Rechtsschutz für Umweltorganisationen vor- gesehen. Diese sind auf Verfahren iSv § 104a WRG beschränkt. Darüber hinaus ist die Stel- lung der Umweltorganisation als bloße Beteiligte auch dahingehend problematisch, als dass bloße Verfahrensbeteiligte gegenüber den Parteien hinsichtlich ihrer Rechte schlechter gestellt sind. Diese sind im Gegensatz zu den Verfahrensparteien nicht dazu berechtigt Einwendungen zu erheben, Anträge zu stellen oder Sachverständige abzulehnen.172

6.       Fazit: Keine ausreichende Berücksichtigung der Interessen der Natur

Die Natur wird daher von der Rechtsordnung als Rechtsobjekt und als bloßes öffentliches Interesse verstanden. Dies führt im Beispiel der Interessensdurchsetzung der Natur zu vieler-


167 §102 Abs 2 WRG.

168 Bundesgesetz, mit dem das Abfallwirtschaftsgesetz 2002, das Immissionsschutzgesetz – Luft und das Wasserrechtsgesetz 1959 geändert werden (Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018), 22.11.2018, BGBl I 2018/73.

169 EuGH 20.12.2017, C-664/15 (Protect).

170 Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten samt Erklärung, BGBl III 2005/88, von Österreich am 17.1.2005 ratifiziert.

171 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl C 2000/364, 1.

172 Ökobüro, 24.7.2018, BMNT-UW.1.4.2/0077-I/1/2018, Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Abfallwirtschaftsgesetz 2002, das Immissionsschutzgesetz – Luft und das Wasserrechtgesetz 1959 geändert wird (Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018) 3–4.


lei Problemen. Die Umweltanwaltschaft ist auf der einen Seite ein geeigneter Vertreter für die Interessen der Umwelt, allerdings ist die Parteistellung des Umweltanwalts an die ausdrückli- che Festlegung in den Materiengesetzen gebunden. Das ist bspw im Bereich des Wasserrechts nicht der Fall. Darüber hinaus ist die Umweltanwaltschaft eine bloße Formalpartei und nur zur Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit berechtigt. Subjektive Interessen des Umwelt- schutzes oder Interessen der Natur können von den Umweltanwälten nicht wahrgenommen werden.

Diese Mängel können auch das wasserwirtschaftliche Planungsorgan und der Bund als Vertreter des öffentlichen Wasserguts infolge wesentlicher Schutz- und Vertretungslücken nicht kompensieren. Beide vermögen nur in Teilbereichen Schutzaspekte zu verfolgen; sie sind auf wasserwirtschaftliche Aspekte fokussiert und infolge ihrer Eingliederung in die Be- hördenhierarchie in ihrer Durchsetzungsmacht limitiert; auch die Eigentümerstellung am öffentlichen Wassergut greift zu kurz. Eine umfassende ökologische Interessensicherung ist mit diesen Funktionen nicht zu bewerkstelligen.

Die Beh sind im Bereich des Wasserrechts damit beauftragt, die öffentlichen Interessen zu wahren. Hierbei könne allerdings nie von einem ausschließlichen Handeln zum Wohle der Natur ausgegangen werden. Die Behörde muss verschiedene Interessen miteinander abwiegen und kann – unter gewissen Voraussetzungen – auch trotz einer negativen Auswirkung auf die Wasserqualität gewisse Projekte dennoch genehmigen, sofern das öffentliche Interesse daran überwiegt (Energieversorgung).

Daneben könne auch nicht von der Wahrnehmung eines umfassenden Umweltschutzes durch die Umweltorganisationen gesprochen werden. Diese sind im Bereich des Wasserrechts an die Verfahren nach § 104a WRG gebunden. Sie haben darüber hinaus im Behördenverfah- ren nur die Stellung als Beteiligte, wodurch es zu einer Schlechterstellung gegenüber den Ver- fahrensparteien kommt. Das Interesse eines Gewässers wird daher nie vollends in den Verfah- ren nach dem österr. Wasserrecht berücksichtigt.

Dem Problem der mangelnden Berücksichtigung der Naturinteressen könne mit einer An- erkennung der Rechtsfähigkeit der Natur entgegnet werden. Spricht man der Natur zu, Träger von Rechten zu sein, so würde das für Gewässer die Stellung als Verfahrenspartei nach § 102 Abs 1 lit b WRG („diejenigen, die zu einer Leistung, Duldung oder Unterlassung verpflichtet werden…) bedeuten, welche von einer geeigneten Person, sei es ein hierfür bestelltes Organ, die Umweltanwaltschaft oder auch Umweltorganisation, vertreten werden kann.

II.         Ökologisierung von Menschenrechten

Gem Art 2 Abs 1 UN-Zivilpakt173 verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, „die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen ohne Unterschied, wie insb der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. Allerdings ist so Fischer-Lescano die deutsche Sprachfassung des UN-


173 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 19.12.1966, 999 UNTS 171 und

1057 UNTS 407.


Zivilpakts nicht Teil der verbindlichen Sprachfassungen. Diese sprechen an Stelle der „unter- stehenden Personen“ von „tous les individuals“, „all individuals“ und „todos los individuals“. Die Auslegung internationaler Verträge richtet sich nach Art 31 und 32 der Wiener Vertrags- rechtskonvention (WVK). Im Zuge einer dynamischen Auslegung müssen nach Fischer-Lesca- no allerdings auch andere zwischen den Vertragsstaaten abgeschlossenen Übereinkommen berücksichtigt werden. Betrachtet man dahingehend die Entwicklungen des Umweltschutzes im 20 Jh, verdeutlicht sich, dass der Schutz von Ökosystemen und Tieren zu einem zentralen Thema der internationalen Staatengemeinschaft wurde. Laut Fischer-Lescano muss der Be- griff „Individuum“ im Zuge einer dynamischen Auslegung auch für Tiere und die Natur gel- ten und nicht-menschliche Personen mit Rechten und Durchsetzungsmöglichkeiten ausstat- ten.174

Diese dynamische Auslegung im Zuge von Art 31 und 32 WVK müsse va auch auf die EMRK und die GRC angewendet werden. So muss die EMRK– nach Fischer-Lescano – im Kontext mit den Umwelt- und Tierschutzabkommen175 betrachtet werden, die im Rahmen des Europarats abgeschlossen worden sind. Selbiges gilt auch für die GRC, welche angesichts des Umwelt- und Tierschutzes iSd EU-Primärrechts – wie etwa Art 3 Abs 3 EUV, Art 11 AEUV, Art 36 AEUV oder Art 191 AEUV – ebenfalls ökologisch zu interpretieren ist. Daher kommt Fischer-Lescano zutreffend zu der Feststellung, dass Natur und Tiere als nicht-menschliche Rechtspersonen autonome Rechte genießen, die sie mit Hilfe von anderen (vor Gericht hand- lungsfähigen) Personen auch prozessual durchsetzen können.176

 

E.         Verankerung      der     Natur     als     Rechtssubjekt      in     der österreichischen Rechtsordnung de lege ferenda

I.             „Sprachrohre“ der Natur in der Rechtsordnung / Kompetenzen / Kompetenzgrenzen als Schutzlücken

1.       Direkte Demokratie und Umweltschutzinteresse

Das Anliegen, vor Eingriffen in die Natur die Stimme zu erheben, geht auf zwei Wurzeln zurück, die zwar häufig zu konvergierenden gesellschaftlichen Bewegungen geführt haben, aber gerade im gegenständlichen Kontext zu unterscheiden sind:

·         Die erste Wurzel liegt in einem direkt-demokratischen Beteiligungsinteresse an Entscheidungen weittragender Bedeutung.

·         Die zweite Wurzel geht auf das spezifische Interesse am Umweltschutz zurück.

 

In der historischen Entwicklung haben sich diese beiden Motive häufig wechselseitig be- feuert und überlagert; Jane Holder verweist zutreffend auf das Schlagwort „environmentalism as a democratic reform“.


174 Fischer-Lescano, Natur als Rechtsperson, ZUR 2018, 205 (214 f).

175 Wie etwa das Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention), 1.9.1983, BGBl 1983/372.

176 Fischer-Lescano, Natur als Rechtsperson, ZUR 2018, 205 (215 f).


Die aus dieser Entwicklung hervorgegangenen Proponenten und Sprachrohre spiegeln diese Unterschiede deutlich wider; sie zeigen sich auch in den Beweggründen der österr Legistik. Der damalige Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, Gerhart Holzinger, hat dies in zwei Vorträgen deutlich herausgearbeitet: zunächst zur „Demokratisierung des Rechtsschutzes“177 und danach zur „Bürgerbeteiligung im Verwaltungsverfahren“178 bei der Richterwoche in Bad Gastein, die dem Thema „Recht und Umweltschutz“ gewidmet war:

Worum geht es aber? Es geht darum, jenen, die prinzipiell ‚gutwillig‘ sind, zu zeigen, daß nicht hinter verschlossenen Türen parteiische Entscheidungen getroffen werden, sondern daß die Karten offen auf den Tisch gelegt werden, und zwar so frühzeitig wie möglich, und daß in einem rechtlich geordneten Verfahren eine gesetzmäßige Entscheidung getroffen wird, die letztlich – und zwar gegebenenfalls auf Initiative der Kritiker – auch von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts kontrolliert werden kann.

Hier geht es zunächst rein um den Informations- und Beteiligungsanspruch, noch ohne spezifische ökologische Zielrichtung; diese tritt in seinen rechtspolitischen Schlussfolgerun- gen zutage:

Vom Standpunkt des sachverständigen Legisten aus gesehen wäre es nicht seriös, den Eindruck zu erwecken, daß für die rechtspolitische Lösung der dargestellten demokratiepoliti- schen Probleme ausschließlich der in der Regierungsvorlage beschrittene Weg offen steht. So wären etwa die Schaffung eines Umweltanwaltes, die Partizipation von Umweltschutzverbän- den beides in Verbindung mit der Parteistellung solcher Institutionen in Verwaltungsverfah- ren mit besonderer Umweltrelevanz aber auch ganz allgemein der Ausbau von Instrumenten der direkten Demokratie in der Verwaltung in die Überlegungen einzubeziehen. Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, diese Alternativen umfassend abzuwägen. Soviel sei aber festge- stellt: Die Einbeziehung spontan gebildeter Initiativgruppen in das Verwaltungsverfahren über umweltrelevante Großprojekte hat den – wie ich meine – entscheidenden Vorzug der unmittelbaren Mitwirkungsmöglichkeit der sich betroffen erachtenden Bürger und vermeidet die partizipativen Defizite der Mediatisierung von Bürgerinteressen, die selbst bürokratie- ferne Einrichtungen wie ein Umweltanwalt oder Umweltschutzverbände letztlich nicht gänz- lich vermeiden können.

Darin findet sich die Rüge der Europäischen Kommission im Mahnschreiben vom 10.7.2014179 vorweggenommen, wonach der Umweltanwalt im Lichte der Aarhus-Konvention keine ausreichend direkte Beteiligung der Öffentlichkeit gewährleiste. Konkret sehe nämlich die Aarhus-Konvention, so die Kommission wörtlich, „keinen Sachwalter vor, durch den die Interessen der Öffentlichkeit geschützt werden sollen, sondern das Übereinkommen verfolgt vielmehr das Ziel, den Vertretern der Öffentlichkeit, worunter gemäß Artikel 2 Nr. 4 des Übereinkommens von Aarhus eine oder mehrere juristische oder natürliche Personen ein- schließlich Nichtregierungsorganisationen fallen, einen direkten Zugang zu den Gerichten zu


177 Bürgerbeteiligung im Verwaltungsverfahren, in: Recht und Umweltschutz. Vorträge, gehalten bei der Richterwoche 1986 (1987) 145.

178 Demokratisierung des Rechtsschutzes, in ÖJK (Hrsg), Strukturfragen des Rechtsschutzes. Re- ferate bei der Tagung der Österreichischen Juristenkommission in Weißenbach am Attersee (1987) 233.

179 Zl 201/4111; C (2014) 4883 fin.


gewähren.Holzingers Problemsicht schürft freilich tiefer: Er ortet ein gleichartiges „partizi- patorisches Defizit“ auch bei den Umweltverbänden.

Aus der Perspektive des Umweltschutzes ist dieser Vorhalt allerdings nicht stichhaltig, weil es bei der Vertretung von Umweltschutzinteressen um mehr als die Mitsprache der betroffenen Bürgerinnen und Bürger geht. Dieses „Mehr“ liegt gerade in den Netzwerkbeziehungen des ökologischen Naturbegriffs begründet, die über die einzelnen Individualinteressen der Bürgerinnen und Bürger hinausgehen. Die Vertretung der Natur kann sich daher nicht in einem direkt-demokratischen Prozess oder Gebilde erschöpfen; sie braucht sach- und fachkundige, allein dem Umweltschutzinteresse verpflichtete Akteure. Sie braucht – um die Formulierung der EU-Kommission umzukehren – spezialisierte Sachwalter.

Bekanntlich hat die österr Umweltgesetzgebung ab den 1990er-Jahren, insb im UVP- Recht, eine Vielfalt von Beteiligungsmöglichkeiten entwickelt und sowohl institutionalisier- ten Vertretern wie Umweltanwälten und Umweltorganisationen als auch lokal gebildeten Bür- gerinitiativen Parteirechte eingeräumt. Versucht man diese zu systematisieren, so zeigen sich zwei Grundmodelle und der Bedarf nach einem dritten Modell, das in dieser Studie entwickelt werden soll:

2.       Drei Modelle der Vertretung von Umweltinteressen

a.       Amtsparteien und öffentlich-rechtlich Beauftragte

Grundsätzlich ist es dem einfachen Gesetzgeber freigestellt, zur Wahrung öffentlicher In- teressen (wenngleich nicht als Träger subjektiv-öffentlicher Rechte – VfSlg 17.220/2004) Formal(Amts-)parteien einzurichten. Er hat davon im Umweltrecht mehrfach Gebrauch ge- macht, etwa beim Umweltanwalt oder beim wasserwirtschaftlichen Planungsorgan. Dies ist ein zulässiges Instrument der doppelten Sicherung öffentlicher Interessen, einerseits durch die Behörde, die von Amts wegen für die Einhaltung der Rechtsordnung zu sorgen hat, und andererseits durch ein weiteres staatliches Organ, dessen Kompetenz in der Ausübung von Parteirechten besteht.

Freilich ist schon die Amtsparteistellung schwächer als jene „normaler“ Parteien (siehe oben); umso mehr gilt dies für bloß Beauftragte, wie etwa Bärenanwälte oder Wolfs- beauftragte, die lediglich vermittelnd tätig werden.

b.       Privatpersonen (natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts) mit subjektiv-öffentlichen Rechten (ohne Verpflichtung)

Der zweite Lösungsansatz besteht darin, Private mit dem Recht auszustatten, öffentliche Umweltinteressen als subjektive Rechte geltend zu machen. Auch dies ist verfassungsrecht- lich zulässig und wurde in der österr Rechtsordnung partiell für NGOs und Bürgerinitiativen umgesetzt. Die Prozessposition bleibt aber durch private Interessen motiviert, wie der VfGH im vorzitierten Erk deutlich macht:

Subjektive-öffentliche Rechte sind zumindest auch dem Schutz bestimmter privater Inter- essen zu dienen bestimmt (vgl. etwa beispielhaft VwSlg. 9151 A/1976, 10.511 A/1981). Der Schutz privater Interessen verdichtet zu subjektiv-öffentlichen Rechten steht im Falle der For- mal- oder Amt‐ oder auch Organpartei aber gerade nicht in Rede (anders als etwa im Falle von bestimmten Bürgerinitiativen, denen wegen der Repräsentation von subjektiv-öffentlich-


rechtlich anerkannten privaten Interessen unter bestimmten Voraussetzungen Parteistellung bis hin zur Beschwerdebefugnis vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B-VG zur Wahrung bestimmter subjektiv-öffentlicher Rechte eingeräumt werden kann – vgl. VfSlg. 17.389/2004).

Die wesentlichste Konsequenz dieser Konstruktion besteht darin, dass damit zwar ein Recht, aber keine Verpflichtung begründet wird, die Umweltschutzinteressen auch wahrzunehmen.

c.        Der dritte Weg: Eine juristische Person öffentlichen Rechts mit subjektiv- öffentlichen Rechten und Pflichten

Die Defizite der ersten beiden Modelle weisen auch den Weg, wie die Schutzlücke ge- schlossen werden kann: Durch Begründung einer juristischen Person öffentlichen Rechts als Vertreterin der Natur, die

1.        aus den Hierarchiebeziehungen der öffentlichen Verwaltung herausgelöst ist und

2.        mit Eigenrechten ausgestattet wird und zugleich

3.        mit rechtlicher-öffentlicher Verantwortung versehen ist.

Dafür kommen mehrere Rechtsinstitute in Frage. Beispiele wären der öffentlich-rechtli- che Fonds oder die Stiftung, weil diese bewährte Modelle darstellen, wie Sachgesamthei- ten durch Gesetzgebungs- oder Verordnungsakt mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet werden.

II.         Die Entwicklung der Eigenrechtsfähigkeit im internationalen Kontext – Entstehungshintergründe, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur österreichischen Rechtsordnung

Die Natur als bloßes Rechtsobjekt zu betrachten, mag zwar im Hinblick auf den gesell- schaftlichen Fokus bereits vergangener Epochen als zeitgemäß erachtet worden sein. Um die Natur und ihre Interessen allerdings ausreichend zu schützen, ist es angesichts des stetigen Wirtschaftswachstums und der damit einhergehenden Umweltzerstörung, Umweltverschmut- zung und dem Verlust der Biodiversität notwendig, auch der Natur eine Rechts- und Partei- fähigkeit zuzuerkennen. Die Umsetzung der Naturrechte erfolgte bereits in verschiedenen Ländern, zwar auf unterschiedliche Art (sei es durch eine Verordnung, durch ein Gesetz, eine gerichtliche Entscheidung oder sogar durch die Verfassung), beruhte aber stets auf demselben Gedankengang: Eine gesunde Umwelt und die Sicherung der Interessen der Natur sind unab- dingbar für das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen.

In Österreich wird dieser Stellenwert auch bereits auf Verfassungsebene mit dem BVG Umweltschutz180 anerkannt. Darin heißt es in § 3: „Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zum umfassenden Umweltschutz (Abs 1). Umfassender Umwelt- schutz ist die Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen vor schädlichen Einwirkungen. Der umfassende Umweltschutz besteht insbesondere in Maßnah-


180 Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umwelt- schutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung, BGBl I 2013/111.


men zur Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie zur Vermeidung von Stö- rungen durch Lärm.“ Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Umweltschutz. Vielmehr wurde mit § 3 ein Staatsziel festge- legt, welches dementsprechend keine ableitbaren Rechte für den Einzelnen und damit potenti- ell auch für die Umwelt zulässt. Staatszielbestimmungen sind dazu bestimmt Staatsorgane zu einem bestimmten Handeln zu verpflichten und engen deren Gestaltungsspielraum ein.181 Tat- sächliche subjektive Rechte bedürfen daher eines weiteren Umsetzungsaktes. Allerdings, wie bereits in Bezug auf das WRG dargestellt wurde, könne (am Beispiel des WRG) nicht von einem umfassenden Umweltschutz ausgegangen werden, wie ihn das B-VG Nachhaltigkeit vorsieht.

Es muss daher uE auch in Österreich zu einem Umdenken im Hinblick der Rechtsfähig- keit der Natur kommen. Der Staatszielbestimmung des umfassenden Umweltschutzes könne nur dann entsprochen werden, wenn sich die Natur durch geeignete Vertreter am Verfahren selbst beteiligen und mit allen den Verfahrensparteien zustehenden Mitteln verteidigen kann. Damit von einer geeigneten Verteidigung und Berücksichtigung der Interessen der Natur ge- sprochen werden kann, dürfe man die Umwelt nicht mehr als ein bloßes Interesse der Men- schen, sondern als ein eigenständiges übergeordnetes Interesse ansehen. Die Etablierung der Natur als juristische Person oder auch als lebendiges Wesen/Ökosystem hätte dann zur Folge, dass diese gem § 8 AVG (arg „Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, …“) als Partei in Verwaltungsverfahren teilnehmen kann, wenn iSv § 9 AVG nach Verwaltungsvorschriften oder den Vorschriften des bürgerlichen Rechts eine Rechts- und Handlungsfähigkeit in Frage kommt. Die Natur wäre dann am Beispiel des österr Wasserrechts gem § 102 Abs 1 lit b WRG (arg: „… die zu einer Leistung, Duldung oder Unterlassung verpflichtet werden sollen, …“) als eine Partei anzuse- hen, da durch wasserrechtliche Projekte die Gewässer naturgemäß zu einer Duldung ver- pflichtet werden.

1.       Die Klärschlammverordnung des Bezirks Tamaqua, Philadelphia

a.       Inhalt

Die weltweit erste rechtliche Verankerung der Natur als „Person“ und der damit verbun- denen Gewährung von Rechten findet sich in der Klärschlammverordnung182 des Bezirks Tamaqua im Bundesstaat Philadelphia wieder.183 Die KlärschlammV war so Kauffman/Mar- tin – insb deshalb als neuartig anzusehen, weil sie Gemeinschaften und Ökosysteme den Sta- tus als Rechtspersonen zuerkennt und gleichzeitig Unternehmen nicht davon erfasst. Diese Differenzierung wurde mit dem Hintergrund geschaffen, Unternehmen die Möglichkeit zu nehmen, die Existenz und das Gedeihen von natürlichen Gemeinschaften und Ökosystemen

 


181 Randl in Ennöckl/N. Raschauer/Wessely (Hrsg), Handbuch Umweltrecht3, 531.

182 Tamaqua Borough Schuylkill County Pennsylvania, Ordinance No 612 of 2006, Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance; Übersetzung von den Autor*innen der Studie.

183 Hinsichtlich der Chronologie siehe Global Alliance of Rights of Nature (GARN), Timeline: http://therightsofnature.org/timeline/ sowie Enviromental Justice Atlas (EJAtlas) https://ejatlas.org/ conflict/tamaqua-borough-passes-ordinance-on-rights-of-nature, Abfrage: 24.3.2020.


zu behindern.184 Zweck der Verordnung ist gem § 3 der Schutz der Gesundheit, Sicherheit und des Wohlbefindens der Einwohner, des Bodens, des Grundwassers, der Umwelt und ihrer Flora und Fauna, und den Praktiken einer nachhaltigen Landwirtschaft.185 Im Rahmen der Verordnung soll va der Schutz der Flora und Fauna und der Einwohner Tamaquas vor der Einbringung von Klärschlamm, durch Unternehmen und andere juristische Personen mit be- schränkter Haftung ermöglicht werden.186

Demgemäß lautet § 7 Abs 6 letzter Satz KlärschlammV: „Es ist für jedes Unternehmen oder seine Direktoren, leitenden Angestellten, Eigentümer oder Manager ungesetzlich, die Existenz und das Gedeihen natürlicher Gemeinschaften oder Ökosysteme zu stören oder diesen natürlichen Gemeinschaften und Ökosystemen Schaden zuzufügen. Der Bezirk Tamaqua, sowie jeder Einwohner des Bezirks haben das Recht, Feststellungs-, Unterlassungs- und Entschädigungsansprüche für Schäden an natürlichen Gemeinschaften und Ökosystemen innerhalb des Bezirks geltend zu machen, unabhängig von der Beziehung dieser natürlichen Gemeinschaften und Ökosysteme zu den Einwohnern des Bezirks oder dem Bezirk selbst. Ein- wohner des Boroughs, natürliche Gemeinschaften und Ökosysteme gelten als ‚Personen‘ für die Zwecke der Durchsetzung der Bürgerrechte dieser Bewohner, natürlichen Gemeinschaften und Ökosysteme als ‚Personen‘ betrachtet.187 Unter den Begriffsbestimmungen iSv

§ 5 KlärschlammV sind Personen „natürliche Personen oder eine Gemeinschaft von natürli- chen Personen, die kein Unternehmen im Sinne der Verordnung sind“ zu verstehen. Dement- sprechend ist hierbei anzumerken, dass eine Differenzierung zwischen natürlichen und juristi- schen Personen nur im Bereich Unternehmen und Nicht-Unternehmen vorgenommen wird. Die Einwohner des Bezirks werden in einem Atemzug mit den Ökosystemen und natürlichen Gemeinschaften in § 7 Abs 6 KlärschlammV genannt und haben das Recht, Feststellungs-, Unterlassungs- und Entschädigungsansprüche geltend zu machen.

§ 11 KlärschlammV regelt die Vollziehung bei Zuwiderhandeln gegen die Verordnungs- bestimmungen unter Anwendung des Pennsylvania Rules of Criminal Procedure188 für das Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten. Für erstmalige Verstöße wird gem Abs 2 leg cit eine Strafe von 750 US-Dollar statuiert, ab dem zweiten Vergehen beläuft sich die Bußgeldsumme auf 1000 US-Dollar und bei jedem weiteren Zuwiderhandeln wird neben einer Summe von 1000 US-Dollar   auch   eine   Haftstrafe   verhängt.   Diesbezüglich   wird   in

§ 11 Abs 3 KlärschlammV festgehalten, dass „für jeden Tag oder Teil davon, an dem eine Verletzung auftritt, und für jeden Abschnitt dieser Verordnung, der als verletzt befunden wird, ein separater Straftatbestand entsteht.“ Zusätzlich wird gem § 11 Abs 6 bei Verstoß gegen die Bestimmungen der KlärschlammV auch ein gänzliches Verbot weiteren Ausbringens von Klärschlamm in Tamaqua normiert. Dieses Verbot gilt für die Mutter-, Schwester- und Nach-


184 Kauffmann/Martin, Constructing Rights of Nature Norms in the US, Ecuador, and New Zea- land (2018) 54

185 Section 3 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.

186 Craig Kauffman/Pamela L. Martin, Comparing Rights of Nature Laws in the U.S., Ecuador and New Zealand: Evolving Strategies in the Battle Between Environmental Protection and „Development” (2017) 10.

187 Section 7.6 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.

188 Abrufbar unter: https://casetext.com/regulation/pennsylvania-code-rules-and-regulations.


folgegesellschaften, Tochtergesellschaften und Alter Egos dieser Person, Gesellschaft oder anderen Einheit sowie für jede Person, Gesellschaft oder andere Einheit, die sich im wesentli- chen im Besitz oder unter der Kontrolle der Person, Gesellschaft oder anderen Einheit (ein- schließlich ihrer leitenden Angestellten, Direktoren oder Eigentümer) befindet, die zweimal gegen diese Verordnung verstößt, und für jede Person, Gesellschaft oder andere Einheit, die im wesentlichen im Besitz oder unter der Kontrolle der Person, Gesellschaft oder anderen Einheit ist, die zweimal gegen diese Verordnung verstößt.189

Die Durchsetzung ziviler Rechte wird in § 12 KlärschlammV geregelt:

(1) Jede Person, die unter der Autorität einer von der Umweltschutzbehörde ausgestell- ten Genehmigung handelt, jedes Unternehmen, das unter einer staatlichen Satzung arbeitet, oder jeder Direktor, Vorstandsmitglied, leitender Angestellter, Eigentümer oder Manager einer Körperschaft, der unter einer staatlichen Satzung tätig ist, die einem Einwohner des Bezirks, eine natürliche Gemeinschaft oder ein Ökosystem irgendwelche Rechte, Privilegien oder Immunitäten die durch diese Verordnung, die Verfassung von Pennsylvania, die Verfassung der Vereinigten Staaten oder anderen Gesetzen gesichert sind beeinträchtigen, haften gegenüber der geschädigten Partei und sind verantwortlich für die Zahlung von Entschädigungs- und Strafschadensersatzes und aller Kosten des Rechtsstreits, einschließlich und ohne Einschränkung von Experten- und Anwaltshonoraren. Entschädigungs- und Strafschadenser- satz, der zur Behebung der Verletzung der Rechte natürlicher Gemeinschaften und Ökosys- teme gezahlt werden, sind an den Tamaqua Borough zu zahlen für Wiederherstellung dieser natürlichen Lebensgemeinschaften und Ökosysteme gezahlt werden.190

(2) Jeder Einwohner des Boroughs ist berechtigt und befugt, eine Klage gemäß den Bür- gerrechtsbestimmungen dieser Verordnung oder gemäß den Bürgerrechtsgesetzen der Bun- desstaaten und des Bundes einzureichen, wenn die Rechte der natürlichen Gemeinschaften, der Ökosysteme und der Einwohner des Boroughs nach § 7 Abs 6 und 7 der Verordnung verletzt werden.191

Demnach kann die Gemeinde Tamaqua sowie jeder Gemeindebewohner im Namen der Ökosysteme und der Natur Schäden einklagen bzw schädigendes Verhalten anzeigen, die durch die Beeinträchtigung der Natur iSd Verordnung entstanden sind. Die auf dem Klageweg lukrierten Geldmittel müssen an die Gemeinde gezahlt werden und von dieser zur Wie- derherstellung der Natur und Ökosysteme genutzt werden.192

b.       Umsetzbarkeit („goes“) Systemschranken („no goes“)

Die Konstruktion eines Rechts aller Bürger*innen in der betreffenden Region auf Gel- tendmachung von Umweltinteressen wäre in Österreich grundsätzlich implementierbar.

Sie wäre – durch die Anknüpfung an die Einwohnerstellung in der Region – mit der Bür- gerinitiative nach dem UVP-G 2000, die sich aus dem Umfeld des Standortorts rekrutiert,

 


189 Section 11.6 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.

190 Section 12.1 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.

191 Section 12.2 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.

192 Vgl Cormac Cullinan, If Nature Had Rights: „What would people need to give up?”, Orion Magazine, Jan/Feb 2008.


vergleichbar; allerdings würde die Rechtseinräumung nicht an ein Kollektiv, sondern an jedes Individuum einzeln erfolgen.

Damit sind im Hinblick auf eine wirksame Vertretung der Interessen der Umwelt mehr- fache Nachteile verbunden:

Zunächst wäre zu regeln, wie mit widersprüchlichem Vorbringen einzelner Bür- ger*innen (etwa wenn ökologische Binnenkonflikte aufbrechen) umzugehen wäre: Wer spricht dann für die Umwelt? Denkbar wäre eine Günstigkeitsregelung in Anlehnung an die ZPO: Jenes Vorbringen, das den größten, am weitesten gehenden Schutzanspruch geltend macht, hat Vorrang. Damit ist aber die inhaltliche Kernfrage nicht gelöst, welches ökologische Schutzgut überwiegt.

Zudem fehlt jedwede Qualitätssicherung, jedwede demokratische Legitimation, jed- wede Einbindung in ein größeres System. So kann etwa der Einzelne notwendige Forderun- gen nach verstärkten Maßnahmen des Biotopmanagements nicht wirksam geltend machen, weil er sie selbst weder fachgerecht konzipieren, damit auch nicht mit der gebotenen Klarheit geltend machen, geschweige denn organisieren noch durchführen kann.

Im Ergebnis würde diese Konstruktion zwar eine breitere Partizipation im Verfahren er- öffnen; daraus resultiert für die Natur aber keine wirksamere Vertretung. Würde diese Kon- struktion auf unser bestehendes Rechtssystem „aufgesetzt“, drohte nämlich eher die Gefahr einer Selbstblockade infolge von Binnenkonflikten und schwachen Durchsetzungsmög- lichkeiten.

2.       Rechte der Natur in Ecuador und Bolivien

a.       Inhalt

2008 kam es zur ersten verfassungsrechtlichen Verankerung der Rechte der Natur durch die Verfassung der Republik Ecuador,193 im zweiten Hauptstück unter dem Kapitel 7 „Rechte der Natur“. Darin heißt es in Art 71: „Die Natur, oder Pacha Mama, in der das Leben re- produziert wird und stattfindet, hat das Recht auf integralen Respekt für ihre Existenz und für die Aufrechterhaltung und Regeneration ihrer Lebenszyklen, ihrer Struktur, ihrer Funktionen und ihrer Evolutionsprozesse.“ Daneben wird in Art 72 der Verfassung von Ecuador ua festgehalten, dass die Natur auch ein Recht auf Wiederherstellung genießt, welches unabhän- gig von dem Entschädigungsanspruch des Einzelnen und der Gemeinschaften, die auf die Na- tur angewiesen sind, gegenüber dem Staat, natürlichen oder juristischen Personen ist. Dementsprechend bietet die Verfassung Ecuadors einen tatsächlichen Anspruch auf Durchset- zung von Rechten der Natur. Auch in Bolivien wurde 2009 der Naturschutz auf Verfassungs- ebene verankert, gewährt aber im Gegensatz zur ecuadorianischen Verfassung keinen An- spruch auf Rechtsdurchsetzung. Diese wurde auf einfachgesetzlicher Ebene durch das Gesetz Nr 71 über die Rechte von Mutter Erde194 sowie das Gesetz Nr 300 über Mutter Erde und in-


193 Die politische Verfassung der Republik von Ecuador, Gesetzesverordnung 000, Offizielles Register 1 vom 11.8.1998 (Decreto Legislativo 000, Registro Oficial 1 de 11 de Agosto de 1998, Con- stitución política de la República del Ecuador).

194 Gesetz Nr 071 vom 21.12.2010 über die Rechte von Mutter Erde; Abrufbar (auf Englisch): http://peoplesagreement.org/?p=1651 .


tegrale Entwicklung für ein gutes Leben195 eingeführt. Hierbei regelt Art 5 des Gesetzes Nr 71 über die Rechte von Mutter Erde: „Zum Zwecke des Schutzes und der Durchsetzung ihrer Rechte nimmt Mutter Erde den Charakter eines kollektiven öffentlichen Interesses an. Mutter Erde und alle ihre Bestandteile, einschließlich der menschlichen Gemeinschaften, haben An- spruch auf alle in diesem Gesetz anerkannten Rechte. Bei der Ausübung der Rechte von Mut- ter Erde werden die Besonderheiten und Eigenheiten ihrer verschiedenen Bestandteile be- rücksichtigt. Die Rechte nach diesem Gesetz schränken die Existenz anderer Rechte von Mutter Erde nicht ein.196

b.       Umsetzbarkeit („goes“) Systemschranken („no goes“)

Die Verankerung des Integritätsinteresses der Natur als „kollektives öffentliches Interesse“ wäre in Österreich problemlos möglich; derartige Interessenpositionen sind bereits auf mehreren Ebenen verankert. Die Frage, wer dieses Interesse vertritt, und wie dies möglichst wirksam erfolgt, ist damit noch nicht gelöst.

Die bloße Verankerung des öffentlichen Interesses allein reicht jedenfalls nicht aus, um wirksamen Schutz zu gewährleisten: Die traditionelle Konsequenz im österr Rechtssys- tem ist, dass letztlich alle derartigen Normen meist in eine Interessenabwägung münden; in diesem „Abwägungseintopf“ drohen Schutzinteressen allzu leicht verwässert zu werden.

3.       Der Fluss als juristische Person in Neuseeland und Indien

a.       Inhalt

Prominent ist auch die gesetzliche Anerkennung des Whanganui Flusses als eine juristi- sche Person in Neuseeland, durch das Te Awa Tupua Gesetz 2017.197 § 14 des Gesetzes lau- tet: „Te Awa Tupua ist eine juristische Person und hat alle Rechte, Befugnisse, Pflichten und Verpflichtungen einer juristischen Person (Abs 1). Die Rechte, Befugnisse und Pflichten von Te Awa Tupua müssen von Te Pou Tupua im Namen von und im Auftrag von Te Awa Tupua198 in der in diesem Teil und in Ruruku Whakatupua-Te Mana o Te Awa Tupua vorgesehenen Weise ausgeübt oder erfüllt werden, und die Verantwortung für seine Verbindlichkeiten muss von Te Pou Tupua übernommen werden (Abs 2).“ Nach neuseeländischem Recht sind juristische Personen, wie auch in der österr Rechtsordnung, als Träger von Rechten und Pflichten definiert. Das zur Wahrnehmung der Interessen des Flusses errichtete Amt des „Te Pou Tupua“ wird gem § 20 Te Awa Tupua Gesetz 2017 von zwei Personen gemeinsam ausgeübt. Gem § 21 Abs 1 leg cit haften die zur Vertretung bestellten Personen nicht persönlich für Handlungen oder Unterlassungen, die in ihrer Eigenschaft als „Te Pou Tupua“ vorgenommen werden, wenn sich die Handlungen und Unterlassungen auf ihre Befugnisse und Funktionen


195 Gesetz Nr 300 über Mutter Erde und integrale Entwicklung für ein gutes Leben (Ley N° 300 Marco de la Madre Tierra y Desarrollo Integral para Vivir Bien).

196 Gegenüber der tatsächlichen Umsetzung in Bolivien kritisch: Villavicencio Calzadilla, Paola & Kotze, Louis (2018), Living in Harmony with Nature? A Critical Appraisal of the Rights of Mother Earth in Bolivia, Transnational Environmental Law 1–28.

197 Te Awa Tupua (Whangaui River Claims Settlement) Act 2017, 20.3.2017.

198 § 12 Te Awa Tupua Gesetz 2017 lautet: „Te Awa Tupua ist ein unteilbares und lebendiges Ganzes, das den Whanganui Fluss von den Bergen bis zum Meer umfasst und all seine physischen und metaphysischen Elemente einschließt.


nach diesem Gesetz beziehen und sie in gutem Glauben gehandelt haben. Nach § 21 Abs 2 ist allerdings das Amt des „Te Pou Tupua“, mit Ausnahme der Bestimmungen in § 56, für die Verbindlichkeiten des „Te Awa Tupua“ verantwortlich.199

Auch in Indien wurde zeitweilig den Flüssen Ganges und Yamuna der Status als juristi- sche Person zuerkannt. Im Urteil des Gerichtshofs von Uttarakhand vom 20.3.2017 in der Rs Salim vs State of Uttarakhand hieß es: „Die Flüsse Ganga und Yamuna sind von zentraler Bedeutung für die Existenz der Hälfte der indischen Bevölkerung sowie für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden. Die Flüsse haben uns allen seit jeher sowohl physische als auch spirituelle Nahrung gegeben. Die Flüsse Ganga und Yamuna haben eine spirituelle und physische Nahrung. Sie unterstützen und fördern sowohl das Leben und die natürlichen Ressourcen als auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der gesamten Gemeinschaft. Die Flüsse Ganga und Yamuna atmen, leben und erhalten die Gemeinschaften von den Bergen bis zum Meer.“ Die Anerkennung des Ganges und des Yamuna als juristische Personen sei, laut Gerichtshof, von äußerster Zweckmäßigkeit. Dies ergäbe sich zum einen aus Art 48-A und 51A lit (g) der indischen Verfassung:

Art 48-A. Schutz und Verbesserung der Umwelt und Sicherung von Wäldern und Wildtie- ren. – Der Staat bemüht sich um den Schutz und die Verbesserung der Umwelt sowie um den Schutz der Wälder und der Tierwelt des Landes.

51A. Grundlegende Pflichten. Es ist die Pflicht eines jeden indischen Staatsbürgers - (g) die natürliche Umwelt einschließlich Wälder, Seen, Flüsse und wild lebende Tiere zu schützen und zu verbessern und Mitgefühl mit den Lebewesen zu haben.

In diesem Zusammenhang sprach der Gerichtshof von Uttarakhand aus, dass die Flüsse Ganges und Yamuna inklusive all ihrer Nebenflüsse, Bäche sowie jedes natürliche Gewässer, welches mit dem Strom dieser Flüsse fließt, als „juristische/rechtliche Personen/lebendige Wesen erklärt werden, die den Status einer juristischen Person mit allen entsprechenden Rechten haben.200 Hierbei ging der Gerichtshof von Uttarakhand – wie dem Wortlaut der Entscheidung zu entnehmen ist – weiter, als dem Ganges und dem Yamuna „nur“ den Status als juristische Person zuzuerkennen (arg „lebendige Wesen“). Der Bundesstaat Uttarakhand hat allerdings gegen die Entscheidung eine Beschwerde vor dem Obersten Gerichtshof Indiens eingereicht, welcher die Wirkung des Urteils vom 20.3.2017 bis zur endgültigen Entscheidung über die Beschwerde aufgehoben hat.201

b.       Umsetzbarkeit („goes“) Systemschranken („no goes“)

In der neuseeländischen Konstruktion werden die Rechte einem eigens eingerichteten Vertretungskörper eingeräumt. Mit dieser Lösung wäre Systemschwächen der beiden zuvor behandelten Lösungen vermeidbar. Der Vertretungskörper könnte mit demokratischer


199 Vgl Collins, Toni & Esterling, Shea (2019), Fluid Personality: Indigenous Rights and the Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Act 2017 in Aotearoa New Zealand, 20 Melbourne Journal of International Law 197.

200 High Court of Uttarakhand at Naintal, 20.3.2017 (Salim vs State of Uttarakhand) Writ Petition (PIL) No 126 of 2014, Rz 17–19.

201 Vgl O'Donnell, Erin (2018), At the intersection of the sacred and the legal: rights for nature in Uttarakhand, India, Journal of Environmental Law, 2018, 30, 135–144.


Legitimation errichtet werden, durch entsprechende Ressourcen fachlich ausgerüstet und neben Rechten auch Verantwortung für das Biotopmanagement übertragen erhalten.

III.      Beispiele:

Rechtsfähige Gebilde im Interesse der Gesellschaft de lege lata

1.       Vermögensmassen als juristische Personen

Die österr Rechtsordnung kennt neben den natürlichen und juristischen Personen auch sog rechtsfähige Gebilde. Diese können die Fähigkeit zu klagen oder beklagt zu werden ausdrück- lich durch das Gesetz erhalten. Daneben ist es auch möglich, dass sich die Rechtsfähigkeit dieser Gebilde aus der durch die Rechtsordnung zugebilligten Funktion heraus als eine Not- wendigkeit ergibt. Zu nennen sind hierbei der ruhende Nachlass (Verlassenschaft) und die Insolvenzmasse. Die Natur ist unstrittig mehr als eine Insolvenzmasse.

Die Insolvenzmasse und der ruhende Nachlass (zu beiden im Folgenden) haben gemein- sam, dass beide den Schutz des menschlichen Vermögens im Fokus haben und daraus ihre Daseinsberechtigung als rechts- und damit parteifähige Vermögensmassen begründen. Mit dem ErbRÄG 2015 ist die Verlassenschaft als eine Vermögensmasse in den Stand einer juristischen Person gehoben worden und verfolgt den Schutz des menschlichen Vermögens.

Daneben kennt der österreichische Typen-Katalog der juristischen Personen auch jene, die einen gemeinnützigen Charakter haben. Stiftungen iSd österreichischen Rechtsordnung werden durch das Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz 2015 (BStFG)202 geregelt. Gem § 2 Abs 1 BStFG sind Stiftungen durch eine Anordnung des Gründers dauernd gewidmete Vermögen mit Rechtspersönlichkeit, deren Erträgnisse der Erfül- lung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke iSv Abs 3 und 4 leg cit dienen. Unter „ge- meinnützig“ versteht man wiederum jene Tätigkeiten, die unter § 35 Abs 2 Bundes- abgabenordnung (BAO)203 fallen204 und durch deren Erfüllung die Allgemeinheit geför- dert wird.205 Diese Förderung der Allgemeinheit kann gem § 35 Abs 2 S 2 BAO auch im Naturschutz begründet sein.

Die Natur ist, wie bereits etabliert wurde (siehe oben), eine Sache und nach der derzeit geltenden Rechtsordnung als bloßes Rechtsobjekt anzusehen. § 285 ABGB lautet: Alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, wird im rechtli- chen Sinne eine Sache genannt.“ Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass alles von den Personen „brauchbarer“ Gegenstand von Rechtsbeziehungen sein kann. Die dem Rechtssub- jekt zugeordneten bestehenden Rechte an Gegenständen bilden ihr Vermögen.206 Dementspre- chend müsse nach derzeit geltendem Recht auch die, dem menschlichen Gebrauch zugängli-


202 Bundesgesetz über die Regelung des Bundes-Stiftungs- und Fondswesens (Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz 2015 – BStFG 2015) BGBl I 2015/160.

203 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgaben- behörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 1961/194.

204 § 2 Abs 3 BStFG.

205 § 35 Abs 1 BAO.

206 Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 285 Rz 1.


chen, Umweltmedien als ein Vermögen angesehen werden. So wies bspw Österreich im Jahr 2016 eine Waldfläche von 3.746.073 Hektar aus, wobei sich hiervon rund 2.663.002 Hektar (inklusive Kirchenwald) im Privatbesitz befanden.207

Wie den Ausführungen von Krömer entnommen werden kann, ist auch die gesetzliche Ausgestaltung des Te Awa Tupua teilweise an die Position einer rechtsfähigen Vermögens- masse angelehnt: „Je nach Gesetz wird Te Awa Tupua rechtlich einerseits einer wohltätigen Stiftung, andererseits einer Körperschaft öffentlichen Rechts oder einer Behörde gleichge- stellt“,208 weshalb dementsprechend auch im internationalen Vergleich die Natur als rechts- fähige Vermögensmasse bereits in einfachgesetzlicher Form stattfindet.

2.       Ruhender Nachlass

Die Verlassenschaft wurde mit dem ErbRÄG 2015209 in § 546 ABGB ausdrücklich als ju- ristische Person anerkannt. Davor ergab sich die Stellung des ruhenden Nachlasses als rechts- fähiges Sondervermögen aus § 811 ABGB.210 Gebildet wird die Verlassenschaft von den ver- erblichen Vermögenswerten, Rechten und Pflichten des Erblassers im Todeszeitpunkt. Die Rechte und Verbindlichkeiten umfassen insb alle rechtlichen Positionen, aus denen zukünftige Rechtsverhältnisse entstehen, untergehen oder sich ändern können. 211 Die Verlassenschaft ist bis zur Einantwortung des Erben iSv § 797 Abs 1 ABGB auch für diesen als ein fremdes Vermögen anzusehen und dementsprechend zu respektieren.212 Die Verlassenschaft genießt als juristische Person den Besitzschutz und setzt die Rechtspositionen des Verstorbenen fort. Vertreten wird der ruhende Nachlass entweder durch die Erben gem § 810 ABGB oder gem § 156 AußStrG213 durch den Verlassenschaftskurator.214

3.       Insolvenzmasse

Ein weiteres Sondervermögen mit Parteifähigkeit ist die Insolvenzmasse, welche zwar im Gegensatz zur Verlassenschaft keine juristische Person ist, aber als ein rechtsfähiges Sonder- vermögen angesehen wird. Sie erhält ihre Rechtsfähigkeit aus der in Österreich herrschenden Organtheorie, wonach die Insolvenzmasse die gem § 2 Abs 2 Insolvenzordnung (IO)215 auf sie übergegangene Rechte geltend macht, während der Insolvenzverwalter als ihr gesetzlicher Vertreter (und dementsprechend als das waltende Organ der Insolvenzmasse) vor Gericht auf- tritt. Im Sinne der Organtheorie ist die Insolvenzmasse daher ein eigenständiges Zurechnungs-

 


207 BMLFUW, Nachhaltige Waldwirtschaft in Österreich: Datensammlung zum österreichischen Wald, Stand: November 2017.

208 Siehe oben I. Teil, S 34.

209 Erbrecht-Änderungsgesetz 2015 ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87.

210 Vgl Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 Vor § 1 ZPO Rz 89 ff; Apathy/Neumayr

in KBB6 § 546 Rz 1.

211 Welser, Erbrechts-Kommentar (2018) § 531 Rz 1.

212 Apathy/Riss, Zivilrecht VII: Erbrecht6 Rz 5/8.

213 Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl I 2003/111.

214 Nemeth in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar5 (2020) § 546 Rz 2.

215 Bundesgesetz über das Insolvenzverfahren (Insolvenzordnung – IO), RGBl 1914/337.


subjekt und der Insolvenzverwalter ist ihr Organ.216 Eine weitere Begründung für die Partei- fähigkeit der Insolvenzmasse läge laut Aicher auch in ihrer Eigenschaft als Zweckvermögen und führt va die anfallenden Masseforderungen iSv § 46 IO als guten Grund für die Partei- fähigkeit an.217

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten:

Die österr Rechtsordnung kennt auch juristische Personen (Stiftungen), die einen ge- meinnützigen Zweck (Naturschutz) verfolgen. Anzudenken wäre in dieser Hinsicht daher die Natur als rechtsfähige Vermögensmasse zur Verfolgung des Naturschutzes als gemein- nützigen Zweck. Die Umwelt war für die Menschheit schon immer überlebenswichtig und wird es auch immer bleiben. Sie ist allerdings unlängst im Hinblick auf das erkannte Klima- problem, das zum Überlebensproblem der Menschheit werden kann, zu einem sehr wichtigen Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung geworden. Wenn nun sonderrechtsfähige Zweck- vermögen wie die Insolvenzmasse (iSd in Österreich hM von der Organtheorie) und die Ver- lassenschaft als Vermögensmasse mit Rechtspersönlichkeit kraft Gesetzes gilt, müsse auch die Natur angesichts ihres Stellenwerts als eine rechtsfähige Sachgesamtheit deklariert werden.

Darüber hinaus ist die Umwelt zwar ein Interesse der menschlichen Gesellschaft, aller- dings dürfe diese nicht mit dem bloßen Vermögen gleichgestellt werden, da ihr tatsächlicher Stellenwert weitaus größer ist.

IV.      Die Tierrechtsdiskussion als Parallelbewertung

Neben der Etablierung einer Rechtsperson „Natur“ ist auch die Gewährung einer Rechts- persönlichkeit für Tiere bereits unlängst zum Fokus wissenschaftlicher Thesen geworden.

Bereits mit der Schaffung von § 285a ABGB im Jahre 1989 wurden die Tiere von den Sa- chen klar abgegrenzt. Die genannte Bestimmung lautet: „Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit anzuwenden, als keine abweichenden Regelungen bestehen.“ Eine faktische Rechts- änderung wurde mit dieser Norm allerdings nicht bewirkt. Das Tier sollte zwar nicht mehr als eine Sache angesehen werden, erhielt durch § 285a ABGB aber auch keine rechtliche Besser- stellung. Tiere sind aber dennoch als leidens- bzw schmerzempfindsame Lebewesen anzuse- hen, welche mit dem Menschen viele Interessensgebiete teilen, aber auch eigene Interessen besitzen, die sich nicht mit den menschlichen überschneiden.

Tiere sollen als etwas Eigenes angesehen werden und den Dualismus von Sachen und Personen durch die Schaffung einer dritten Rechtspersönlichkeit durchbrechen. Dies va auf- grund der Empfindsamkeit von Tieren, die es nicht rechtfertigt sie als bloße Sachen zu be- trachten, während das Tier aufgrund seiner Andersartigkeit auch nicht mit der natürlichen Person des Menschen gleichgestellt werden dürfe. Tiere sollen Teilrechtsubjekte sein, die in

 

 

 


216 Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 Vor § 1 ZPO Rz 138, 139.

217 Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 26 Rz 21 mwN.


manchen Thematiken nach wie vor ihren Status als Rechtsobjekt behalten müssen, da es fak- tisch nicht möglich sei, den Tieren einen vollumfassenden Subjektstatus zu gewähren.218

1.       Rechtsfähigkeit / partielle Rechtsfähigkeit / Verfassungsbeschwerde

a.       Rechtsfähigkeit vs partielle Rechtsfähigkeit

Juristische Personen sind Träger von Rechten und Pflichten und sind dementsprechend Rechtssubjekte. Allerdings gibt es auch Gemeinsamkeiten mit den Rechtsobjekten, da Eigen- tumsrechte durch Schenkung, Verkauf oder im Zuge einer Erbschaft an juristischen Personen begründet werden können. Es werden zwar immer nur die Anteile an der juristischen Person übertragen und nicht die Rechtsperson an sich, allerdings lässt sich daraus auch folgender Schluss ziehen: Die Fähigkeit, Eigentum zu sein, schadet der Rechtsfähigkeit nicht. Die der- zeit gängigen Modelle juristischer Personen haben überdies auch gemeinsam, dass die von ihr verfolgten Interessen der menschlichen Interessensverfolgung dienen. Allerdings merkt Bahn bezugnehmend auf Raspé219 – auch an, dass am Beispiel von Stiftungen der menschliche Wille zunehmend schwerer nachvollziehbar sei, weshalb dieser auch an Bedeutung verliere. Ein großer Unterschied zwischen juristischen Personen und Tieren ist allerdings, dass Letzt- genannte keine Verpflichtungen eingehen können, während eine GmbH dazu durchaus im Stande ist. Allerdings ging mit Einführung der juristischen Person auch eine Liberalisierung des Begriffs der Rechtsfähigkeit einher. Laut Bahn sind weder Handlungs- noch Willens- fähigkeit conditio sine qua non und so sei auch die Fähigkeit, Verpflichtungen einzugehen, keine notwendige Voraussetzung für die Rechtsfähigkeit.220

Indiziert wird – so Bahn – die Rechtssubjektivität des Tieres durch die Tierwürde. Die Tierwürde ist mutatis mutandis die Parallele zur Menschenwürde.

In der Tierwürde ist laut Ziehm auch eine Parallele zu den Menschenrechten zu ziehen, da unstrittig ist, dass der Begriff der Menschwürde auf den Wert- und Achtungsanspruch eines Menschen abstellt. Daneben sind auch Tiere interessensfähige und intrinsisch schutzwürdige Lebewesen.221 Die Interessensfähigkeit bedeutet, – so Ziehm – Interessen oder Wohlergehen zu haben oder haben zu können, wobei auf die Empfindungsfähigkeit von Schmerz und Leid abzustellen ist. Tiere haben (wie auch der Mensch) ein Interesse frei von Schmerz und Leid zu leben, sie haben ein Bestreben nach Wohlergehen und sind damit interessensfähig. Daneben wird auch bereits durch Art 13 AEUV festgehalten, dass bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union, die EU und die Mitgliedstaaten, dem Wohlergehen der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung tragen.222

 

 

 


218 Vgl hierzu ausführlicher Bahn, Tierrechte in Österreich 112 ff mwN.

219 Raspé, Die tierliche Person: Vorschlag einer auf der Analyse der Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basierenden Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtsystem (2013).

220 Bahn, Tierrechte in Österreich 82–84.

221 Ziehm, Tiere als Rechtsperson, EurUP 2020, 105 (116) mwN.

222 Ziehm, Tiere als Rechtsperson, EurUP 2020, 105 (109).


Eine Definition der Würde findet sich in Art 3 lit a Schweizer Tierschutzgesetz (TSchG):223Würde: Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss. Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insb Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tiefgreifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermässig instrumentalisiert wird“. Die Definition der Tierwürde (nach der Schweizerischen Rechtsordnung) ist daher deutlich umfangreicher als die bloße Vermeidung von Schmerz oder Leid, da Art 3 lit a leg cit bereits den Eigenwert der Tiere anerkennt.224 In der gegenwärtigen österr Rechtsordnung werden die Tiere allerdings unter den Rechtsobjekten angeordnet. Tiere werden gem § 285a ABGB zwar ausdrücklich von den Sachen ausgenommen, sind aber nichtsdestotrotz als solche zu behandeln.225 Dementsprechend können nach wie vor mensch- liche Rechte an den Tieren begründet werden, wobei es laut Bahn nicht ausreichend sei, die rechtliche Stellung des Tieres mit dem eines Objekts zu bewerten.226 Eigene Handlungs- und Willensfreiheit sowie die Fähigkeit sich rechtlich zu verpflichten sind längst keine Vorausset- zungen mehr um Rechtssubjekt zu sein. Tiere sind zwar Teil des Rechtsverkehrs und auch Gegenstand von Rechtsgeschäften, müssen aber ihrer selbst willen geschützt werden und ha- ben eigene Interessen. Dadurch müsse man von der anthropozentrischen Sichtweise abgehen und den Tieren ihre eigene Stellung im Rechtssystem zwischen den Objekten und Subjekten gewähren.227

Die neue Kategorie „Tier“ würde nach Bahn dann als Tertium zwischen den Sachen und Personen eingeordnet werden und hätte eine Teilrechtsubjektivität. Den Tieren allerdings einen vollumfassenden Subjektstatus zu gewähren, sei nicht sachgerecht, da man im nächsten Schritt den Objektstatus der Tiere in manchen Rechtsgebieten wieder aufleben lassen müsste. Verweisend auf die Ausführungen zu den Rechtsobjekten (siehe oben) muss nochmals festgehalten werden, dass „[a]lles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, […] im rechtlichen Sinne eine Sache genannt [wird],228 weshalb laut Helmich weder natürliche Personen gem § 16 noch juristische Personen gem

§ 26 ABGB (ergo keine Personen im rechtlichen Sinn) Sachen sein können. 229 Das Tier müsse daher einer rechtliche Neupositionierung im Rechtssystem erfahren und als ein neues teilrechtsfähiges Rechtssubjekt neben den Sachen und den Personen angesehen werden.230

 

 

 


223 Tierschutzgesetz (TSchG) vom 1.9.2008, AS 2008 2965.

224 Bahn, Tierrechte in Österreich 86–88.

225 Vgl Stabentheiner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 285a Rz 3, der von einer Untergruppe „Tiere“ innerhalb der Kategorie Sachen“ spricht; weiters auch Eccher/Riss in KBB6 § 285a Rz 1.

226 Bahn, Tierrechte in Österreich 79.

227 Bahn, Tierrechte in Österreich 89.

228 § 285 ABGB.

229 Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 285 Rz 1.

230 Bahn, Tierrechte in Österreich 123–125.


b.       Die Verfassungsbeschwerde im Namen der Tiere

Das Tier als Rechtsperson wurde unlängst zum Inhalt einer Verfassungsbeschwerde vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht (BVerfG).231 Die Beschwerde wurde gegen § 21 Abs 1 S 1 Tierschutzgesetz (TierSchG)232 sowie gegen die Verordnung zur Durchführung der Betäubung mit Isofluran bei der Ferkelkastration durch sachkundige Personen (Ferkelbetäu- bungssachkundeverordnung FerkBetSachkV)233 erhoben. Demnach ist es gem § 21 Abs 1 S 1 TierSchG erlaubt, bis zum Ablauf des 31.12.2020 die Kastrierung von unter acht Tage alten Schweinen betäubungslos vorzunehmen. Grundsätzlich hätte die betäubungslose Kastration, nach einer Umstellungsfrist von ca vier Jahren, bis zum 1.1.2017 verboten werden sollen. Die ursprüngliche Übergangsfrist wurde allerdings nach einer Intervention des Bundes- tagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, bis zum 1.1.2019 verlängert. Im Dezember 2018 beschloss der deutsche Gesetzgeber allerdings, die Frist noch- mals bis zum 31.12.2020 zu verlängern, obwohl im internationalen Vergleich die betäubungs- lose Kastration vielerorts bereits verboten wurde und es zahlreiche Alternativlösungen gibt. Hervorzuheben ist hierbei, dass als Beschwerdeführer die männlichen Schweine, vertreten durch die Tierrechtsorganisation PETA Deutschland e.V., angeführt wurden.234

Ähnliches hatte man bereits mit der sog „Robbenklage“ versucht, in der die Seehunde der Nordsee als Kläger am 22.9.1988 vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hamburg auftraten. An- lass war, dass mit Mai 1988 etwa 80 % der Seehundpopulation der Nordsee als verstorben galt. Als Grund für das Massensterben vermutete man das geschwächte Immunsystem der Robben, ausgelöst durch die Dünnsäureverklappung und Müllverbrennung auf hoher See. Laut Schröter/Bosselmann stützten die Verfasser der Klage ihr Vorbringen auf das Instrument der richterlichen Rechtsfortbildung: Besteht im Rechtsystem eine Regelungslücke, so könne diese durch Richterentscheidung, orientiert am Rechtssystem, geschlossen werden. Haupt- argumentationspunkt der Robbenklage war, mit welcher Begründung der Mensch sich das Recht herausnehme, der Natur alle Rechte zu verweigern, um sie letztendlich nur ihm allein zuzusprechen. Darin sahen Schröter und Bosselmann den Versuch einer Beweislastumkehr:

Muss sich nicht vielmehr der Mensch mit seinen zahlreichen Eingriffen in die Natur vor die- ser rechtfertigen statt sich wie selbstverständlich an ihr zu bedienen und jeden, der Einspruch erhebt auf die Rechtslosigkeit der Natur und ihrer Geschöpfe zu verweisen? Schließlich ist der Mensch aus der Natur hervorgegangen und nicht andersherum.235 Der Mensch ist Teil der Natur und ihr nicht überlegen. Die Robbenklage wurde vom VG Hamburg ua deshalb als unzulässig zurückgewiesen, weil es der deutschen Rechtsordnung fremd sei, die Personen- Eigenart und damit die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben auf Tiere zu übertragen, da


231 Die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht ist abrufbar unter https://www.peta.de/mediadb/PETA_Verfassungsbeschwerde_tierliche-Rechtspersonen_19112019.pdf (Abfrage: 16.5.2020).

232 Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.5.2006 (BGBl I S 1206, 1313), das zuletzt durch Art 101 des Gesetzes vom 20.11.2019 (BGBl I S 1626) geändert worden ist.

233 Verordnung zur Durchführung der Betäubung mit Isofluran bei der Ferkelkastration durch sachkundige Personen (Ferkelbetäubungssachkundeverordnung – FerkBetSachkV), BGBl I Nr 3 (16.1.2020).

234 Ziehm, Tiere als Rechtspersonen, EurUP 2020, 105 (105 f).

235 Schröter/Bosselmann, Die Robbenklage im Lichte der Nachhaltigkeit, ZuR 2018, 195–205.


diese rechtlich nicht als Personen (Rechtssubjekt), sondern als Sachen (Rechtsobjekt) anzuse- hen sind.236

Die nunmehr bei dem BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde wird von Ziehm ua auf die Formulierung der Rechtsperson von Kelsen gestützt: „Rechtsperson ist ein Komplex von Rechtspflichten und subjektiven Rechten, deren Einheit im Begriff der Person figürlich zum Ausdruck kommt. Die Person ist nur die Personifikation dieser Einheit. 237 Die positive Rechtsordnung legt deshalb selbst fest, welche Entitäten Rechtspersonen sind. Nach Ziehm ist die Interessensfähigkeit, die Befähigung eigenes Wohlempfinden und eigene Interessen zu besitzen. Demnach müsse das Lebewesen dazu im Stande sein, einen gewissen Zustand oder einen gewissen Gegenstand in einem basalen Sinn als positiv oder negativ zu bewerten. Das ist bei empfindungsfähigen Lebewesen jedenfalls gegeben, da diese ein elementares Interesse an der Schmerzvermeidung aufweisen. Tiere besitzen auf ihr Wohlergehen bezogene Interessen und haben dementsprechende Wünsche, Triebe und Bestrebungen. Die Interessensfähigkeit ist daher bei Schweinen gegeben, sie sind empfindungs-, schmerz- und leidensfähig und weisen ein Bedürfnis auf frei von Schmerzen und Leid zu leben. Tiere als Träger von Rechten und Pflichten, sind daher nicht nur ethisch und rechtsphilosophisch denkbar, sondern nach der Rechtsordnung grundsätzlich möglich. Schweine (wie auch die restliche Tierwelt) weisen darüber hinaus auch eine intrinsische Schutzwürdigkeit auf, da das geltende Recht Tiere als Lebewesen einstuft, die nicht nur im Besitz eigener Interessen sind, sondern auch um ihrer selbst schutzwürdig sind und denen gegenüber direkte, ihnen geschuldete Rechte bestehen. Hierbei verwiesen die Beschwerdeführer besonders auch auf Art 13 HS 1 AEUV:238

Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirt- schaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raum- fahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung …

Die fehlende Verpflichtungsfähigkeit der Tiere steht zudem einer Rechtsfähigkeit nicht im Wege, da – so Ziehm ja auch handlungs- und urteilsunfähige Menschen unzweifelhaft als rechtsfähig gelten.239 Nunner-Krautgasser äußert sich dazu wie folgt: „Die Parteifähigkeit stets ungeteilt, sie ist allein danach zu beurteilen, ob die Partei im Verfahren überhaupt als solche aufzutreten befähigt ist. Wird gegen ein teilrechtsfähiges Gebilde ein Anspruch verfolgt, in Ansehung dessen die Rechtsfähigkeit nicht gegeben ist, so liegt kein Mangel der Par- teifähigkeit, sondern ein Mangel der Sachlegitimation vor, der zur Klagsabweisung führt. Der Umstand, dass jemand in Anspruch genommen wird, der Beanspruchte aber hinsichtlich dieses Anspruches nicht rechtsfähig ist, ist kein Problem der mangelnden Parteifähigkeit, sondern ein Problem der mangelnden Sachlegitimation ist.240

 

 


236 VG Hamburg, Beschl vom 22.9.1988 7 VG 2499/88.

237 Für die nähere historische Auseinandersetzung siehe Kapitel „Grundbegriffe: I Das Rechts- subjekt“.

238 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl EG C 2008/115, 47 vom 9.5.2008.

239 Ziehm, Tiere als Rechtspersonen, EurUP 2020, 105.

240 Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 Vor § 1 ZPO Rz 26.


2.       Wahrnehmung der Tierrechte

Als geeignete Sprachrohre für die Wahrnehmung der Tierrechte nennt Bahn mehrere Ver- tretungsmodelle, wobei nachfolgend der Tierschutzombudsmann (seit der Nov 2017241 Tier- schutzombudsperson), der Schweizer Tieranwalt und die deutsche Verbandsklage – als die geeigneteren Vertretungsmodelle – näher beschrieben werden sollen. Die Tierversuchs- kommission des Bundes gem § 35 TVG242 würde – so Bahn – den Interessen der Tiere nur ungenügende Beachtung schenken können, da wegen der unterschiedlichen Zusammenset- zung des Mitgliederkreises eben auch unterschiedliche Interessengruppen im Vordergrund stehen. Daneben würde die bereits in Österreich existierende Ethikkommission aufgrund von starkem Lobbying – sowohl in Österreich als auch in Deutschland – eine nur eingeschränkte praktische Wirksamkeit hinsichtlich der Durchsetzung von Tierrechten erzielen. Der von Bahn als Beispiel herangezogene Tierschutzbeauftragte gem § 8b TierSchG sei zwar ein bekanntes und bereits bewährtes Kontrollorgan, allerdings sei es nicht sinnvoll sich auf die Selbstkontrolle von Betrieben hinsichtlich der Einhaltung von Tierrechten zu verlassen.243

a.       Tierschutzombudsperson

Die Tierschutzombudsperson wird gem § 41 Abs 1 TSchG244 für jedes Land von der Bun- desministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt, welche die Interessen des Tierschutzes zu verfolgen hat (Abs 3). Gem Abs 2 können nur Personen zum Tierschutz- ombudsmann bestellt werden, die über ein abgeschlossenes Studium der Veterinärmedizin, Zoologie oder Agrarwissenschaften oder eine vergleichbare Ausbildung und über eine Zusatz- ausbildung im Bereich des Tierschutzes verfügen. Die Funktionsperiode der Tierschutz- ombudsperson beträgt fünf Jahre; eine Wiederbestellung ist zulässig. Sie ist gem Abs 9 leg cit weisungsfrei und vergleichbar mit dem Umweltanwaltschaft iSv § 19 Abs 3 UVP-G. Der Tierschutzombudsperson kommt gem § 41 Abs 4 TSchG Formalparteistellung zu, weshalb sie nicht eigene subjektive Rechte wahrnimmt, sondern für die Einhaltung der objektiven Recht- mäßigkeit des Verfahrens und der Tierschutzinteressen sorgt.245 Hierzu kommt ihr in Verwal- tungsverfahren ua das Recht auf Akteneinsicht, auf Ablehnung von nicht-amtlichen Sachver- ständigen sowie auch ein Antragsrecht auf die bescheidmäßige Verhängung verwaltungspoli- zeilicher Maßnahmen wie bspw einem Haltungsverbot zu.246

Mit der Nov zum TSchG 2017 ging (neben einer geschlechterneutralen Bezeichnung) auch eine Stärkung der Rechte der Tierschutzombudsperson einher, wobei der Fokus auf Strafverfahren wegen Tierquälerei und dem Zugang zu Rechtsmittelverfahren lag. So wurde in § 41 Abs 5 TSchG das Recht zuerkannt, Entscheidungen der Landesverwaltungsgerichte mit Revision an den VwGH zu bekämpfen, um Verstöße gegen die Einhaltung der tierschutz-

 


241 Bundesgesetz, mit dem das Tierschutzgesetz geändert wird, BGBl I 2017/61.

242 Bundesgesetz über Versuche an lebenden Tieren (Tierversuchsgesetz 2012 TVG 2012), BGBl I 2012/114.

243 Bahn, Tierrechte in Österreich 182–184.

244 Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz TSchG), BGBl I 2004/118.

245 N. Raschauer, Die Parteistellung des Tierschutzombudsmanns nach § 41 Abs 4 TSchG, RdU 2007/47, 119.

246 Bahn, Tierrechte in Österreich 171–173.


rechtlichen Bestimmungen sowie die Interessen des Tierschutzes geltend zu machen. Bei be- gründetem Verdacht wegen Verstoßes gegen das Verbot der Tierquälerei hat die Tierschutz- ombudsperson gem Abs 6 die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Daneben ist die Staatsanwaltschaft gem § 41 Abs 7 TSchG dazu verpflichtet, nach Beendigung des Ermitt- lungsverfahrens der zuständigen Tierschutzombudsperson Namen, Geschlecht, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnanschrift jener Personen zu übermitteln, bei denen aufgrund der bisherigen Ermittlungen der konkrete Verdacht besteht, dass diese einen Verstoß gegen § 222 des Strafgesetzbuches (StGB)247 begangen haben. Zusätzlich hat die Tierschutz- ombudsperson iSv § 41 Abs 8 TSchG auch das Recht auf Akteneinsicht bei Strafverfahren wegen Tierquälerei.248

Die Tierschutzombudsperson ist – so Bahn – ein durchaus geeignetes Mittel, um die Rechte der Tiere zu vertreten. Damit sie ihre Position als Vertreter der Tierrechte wahrnehmen kann, müsse – so Bahn – allerdings auch eine Verpflichtung von Amts wegen eingeführt werden, wodurch gewährleistet werden solle, dass die Pflicht zum Tätigwerden auch erfüllt wird. Weiters gäbe es – auch nach der Nov 2017 – noch Lücken im System einer „umfassenden“ Tierrechtswahrnehmung, welche es zu schließen gilt. So zeigt Bahn zutreffend auf, dass neben dem Recht auf Akteneinsicht der Tierschutzombudsperson auch eine Parteistellung in gerichtlichen Strafverfahren zukommen müsse.249 Denkbar wäre an dieser Stelle, die Position als Vertreter gem § 73 StGB: „Vertreter stehen Haftungsbeteiligten, Opfern, Privatbeteiligten, Privatanklägern und Subsidiaranklägern beratend und unterstützend zur Seite. Sie üben, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt wird, die Verfahrensrechte aus, die den Vertretenen zustehen. Als Vertreter kann eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft berechtigte, eine nach § 25 Abs. 3 SPG anerkannte Opferschutzeinrichtung oder eine sonst geeignete Person bevollmächtigt werden.

b.       Der Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen (Tieranwalt)

Der Tieranwalt war ein von 1992 bis 2010250 in der Schweiz existierender Vertreter für Anliegen von geschädigten Tieren in Strafsachen, dessen Tätigkeit sich allerdings nur auf den Kanton Zürich beschränkte. Der Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen hatte das Recht auf Akteneinsicht, die Teilnahme an parteiöffentlichen Untersuchungshandlungen und Ge- richtsterminen, Erstatten von Strafanträgen, Benennen von Zeugen und Gutachtern und die Wahrnehmung von sämtlichen Rechtsmitteln. Zudem war eine Interessensvertretung durch den Tieranwalt auch dann möglich, wenn das geschädigte Tier bereits durch den Tierhalter vertreten wurde.


247 Bundesgesetz vom 23.1.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Straf- gesetzbuch – StGB), BGBl 1974/60.

248 Hintermayr, Die Novelle zum Tierschutzgesetz 2017 Licht und Schatten, TiRuP 2018/A, 20–21.

249 Bahn, Tierrechte in Österreich 174 f.

250 Der Tieranwalt wurde im Zuge einer Nov des Schweizer Tierschutzgesetzes abgeschafft, da mit dieser Gesetzesänderung das Veterinäramt zukünftig für den Tierschutz in Strafsachen zuständig sein sollte; Susanne Ellner, Die Stimme der Tiere verstummt, Neue Züricher Zeitung (NZZ) (2010), https://www.tierimrecht.org/documents/2411/NZZ.ch-2010-12-16-Die-Stimme-der-Tiere-verstummt- Tieranwalt.pdf, Abfrage: 25.1.2021, 20:13 Uhr.


Den Anfang nahm das Ende des Tieranwalts mit der eidgenössischen Abstimmung zur Tierschutz-Initiative, die die landesweite Einführung von Tieranwälten verlangte. Der Tier- schutzanwalt hat dies nicht initiiert, sondern hatte Bedenken, dass der Tierschutzanwalt daraufhin abgeschafft würde. Nach dem miserablen Abstimmungsergebnis (im Kanton Zürich wurde die Initiative mit 63,5 % verworfen) wurden im Kantonsrat Stimmen laut, die den Zür- cher Tieranwalt abschaffen wollten. Fast zur gleichen Zeit war das Amt des Tieranwalts aber just von diesem Parlament bereits aufgehoben worden: Die Politiker hatten in der revidierten Strafprozessordnung eine entscheidende Änderung im Tierschutzgesetz durchgewinkt – ohne es zu merken. Mit seiner parlamentarischen Initiative habe er „einen überflüssigen Posten“ abschaffen wollen, sagt Claudio Zanetti.251Schliesslich gibt es auch keinen speziellen Anwalt für Kinder.“ Die Agenden des Tieranwalts wurden dem Veterinäramt übertragen.252

Für die Autor*innen der vorliegenden Studie besteht der starke Verdacht, dass mit dieser Aktion offensichtlich der Landwirtschaftslobby, die auch in der Schweiz sehr stark ist, zum Durchbruch verholfen wurde. Dem Anliegen des Tierschutzes wurde damit kein guter Dienst getan. Im Übrigen darf darauf hingewiesen werden, dass die Kinder- und Jugendanwaltschaft in Österreich existiert, Kinder einen Verfahrensbeistand im Verfahren haben können, sodass die diesbezüglichen Aussagen überholt sind. Da Kinder ohnedies natürliche Personen sind, hinkt der Vergleich zudem.

Das Vertretungsmodell des Schweizer Tieranwalts ist durchaus auch in Österreich denk- bar. Der Tieranwalt und der Tierhalter hätten die Position einer einheitlichen Streitpartei gem

§ 14 ZPO inne. Bei widersprechenden Erklärungen der Streitgenossen käme das prozessuale Günstigkeitsprinzip zur Anwendung. Danach wäre jene Prozesshandlung wirksam, die abs- trakt und objektiv für den Prozessstandpunkt des Klägers bzw des Beklagten am günstigsten ist.253 Der Tieranwalt unterlag zudem der Geheimhaltungspflicht und war weisungsfrei. Diese umfassende Vertretungsmöglichkeit wurde allerdings nur auf die Strafverfahren beschränkt, der Zugang zu Verwaltungsverfahren blieb dem Tieranwalt zur Gänze verwehrt. Der Rechts- anwalt für Tierschutz in Strafsachen war – so Bahn – ein sehr gelungenes Konzept für den Tierschutz. Eine Integration dieses schweizerischen Vertretungsmodelles in die österr Rechts- ordnung wäre daher durchaus geeignet, den Tierschutz in Österreich zu effektuieren. Man müsse dem Tieranwalt allerdings auch einen umfassenden Zugang zu verwaltungsgerichtli- chen Verfahren zukommen lassen. Als Befähigungsnachweis sollte, wie bei der Tierschutz- ombudsperson, eine umfassende Veterinärausbildung mit einschlägigen Kenntnissen im juris- tischen Bereich vorliegen.254 Darin ist auch eine weitere Parallele zur österr Umweltanwalt- schaft zu sehen, welche ebenfalls umfassende Kenntnisse im Bereich der Naturwissenschaft,

 

 

 


251 Zanetti ist Vertreter der Schweizer Volkspartei (SVP), gehört zu prominentesten Befürwortern von Donald Trump, er leugnet den menschengemachten Klimawandel, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Claudio_Zanetti, Abfrage: 23.2.2021, 17:24.

252 Vgl Susanne Ellner, Die Stimme der Tiere verstummt Neue Züricher Zeitung (NZZ) (2010).

253 Fucik in Rechberger/Klicka (Hrsg), Kommentar zur ZPO5 (2019) § 14 Rz 6; Schneider in Fa- sching/Konecny3 II/1 § 14 ZPO Rz 104.

254 Bahn, Tierrechte in Österreich 177 f.


Technik oder Geisteswissenschaft sowie theoretischer und praktischer Erfahrung im Bereich des Umweltschutzes nachweisen muss.255

c.        Die Verbandsklage

Die Verbandsklage wurde mit der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes 2002 in Deutschland eingeführt, was laut Schröter/Bosselmann eine gewisse Hinwendung zum treu- händerischen Schutz der Natur um ihrer selbst willen darstellte“.256 Sie wird im Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG)257 geregelt. § 1 Abs 1 UmwRG regelt den Anwendungsbe- reich der Verbandsklage, womit ua Zulassungsentscheidungen im Rahmen der Umweltver- träglichkeitsprüfung oder genehmigungspflichtigen Anlagen angefochten werden können. Aktivlegitimiert sind gem § 2 UmwRG die nach § 3 leg cit anerkannten inländischen oder ausländischen Vereinigungen. Die Verbandsklage erfasst zudem sämtliche Zulassungsent- scheidungen, die auf der Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften beruhen, unabhän- gig davon, ob diese Vorschriften dem deutschen Bundes- oder Landesrecht oder dem Unions- recht angehören. Zusätzlich können auch Pläne und Programme angefochten werden, sofern diese mit einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) verbunden sind. Vorbild für den um- fassenden Anwendungsbereich der Verbandsklage bildete Art 9 Abs 3 AarhK258.259 Von den im Zeitraum 2007–2012 eingereichten Verbandsklagen führten 171 zu einer Entscheidung in der Sache und man verzeichnete in allen Bereichen der Klage eine Erfolgsquote von mindestens 40 %, weshalb Verbandsklagen im Vergleich zum Durchschnitt anderer verwaltungsgerichtlicher Klagen (10–12 %) wesentlich erfolgreicher sind.260

Nach Bahn bringt die Verbandsklage große Vorteile mit sich, da Tierschutzorganisationen über einen guten Sachverstanden verfügen und das Prozessrisiko nicht bei nur einer einzelnen Person liegt. Sie merkt jedoch an, dass die Verbandsklage kein Instrument sei, welches das Schutzniveau erhöhe, sondern eine bessere Durchsetzung des geltenden Rechts ermögliche. Verbandsklagen sind – bis auf die Verbandsklage nach § 28 KSchG261 – der österr Rechtsord- nung allerdings bislang fremd.

Das Modell der tierrechtlichen Verbandsklage – aber auch einer effektiven Verbandsklage generell262 harrt nach Ansicht der Verfasser der gegenständlichen Studie sowohl im


255 § 2 V der OÖ Landesregierung vom 21.7.1997 betreffend das Verfahren zur Bestellung des OÖ Umweltanwaltes, LGBl 1997/94.

256 Schröter/Bosselmann, Die Robbenklage im Lichte der Nachhaltigkeit, ZuR 2018, 201.

257 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz idF der Bekanntmachung vom 23.8.2017 (BGBl I S 3290), das durch Art 4 des Gesetzes vom 17.12.2018 (BGBl I S 2549) geändert worden ist.

258 Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten samt Erklärung, vom 17.4.2005, BGBl I 2005/88.

259 Deutscher Bundestag, Die Verbandsklage im Naturschutz- und Umweltrecht: Historische Ent- wicklung, europarechtliche Vorgaben, Klageberechtigung, WD 7 - 3000 - 208/18, S 10.

260 Schmidt/Ziesche, Verbandsklagen im Natur- und Umweltschutzrecht 2011 und 2012 unter Be- rücksichtigung der Entwicklungen von 2007 bis 2010 (2013) 3.

261 Bundesgesetz vom 8.3.1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz – KSchG), BGBl 1979/140.

262 RL (EU) 2020/1828 des EP und des Rates vom 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der RL 2009/22/EG, ABl L 2020/409, 1.


öffentlichen Recht als auch im Zivilrecht einer konsistenten Umsetzung durch die österr Rechtsordnung. Die neue Verbandsklage-RL ist bis 25.6.2023 umzusetzen, allerdings fehlen wesentliche klima-, umweltschützende und tierschützende Rechtsakte in Anh I, sodass sie aus umweltrechtlicher Sicht wenig Verbesserung bringt.

Geht man der Frage nach, ob generell die Naturschutzorganisationen die Wahrnehmung der Eigenrechte der Natur überantwortet werden soll, diese also die Rolle der Verbandskläger innehaben, so ist festzuhalten, dass die auf Art 114 AEUV gestützte Verbandsklage-RL einer anderweitigen Regelung für nicht in Anh I der RL genannte Bereiche nicht entgegensteht. Der Harmonisierungsbereich der RL erstreckt sich nämlich nur auf die in Anh I genannten Rechts- akte, sodass eine anderweitige/weitergehende/ähnliche Regelung im Bereich des Tier-/Natur-

/Gewässer-/Luftschutzes jederzeit möglich erscheint. Eine derartige Regelung ist nicht auf Verbraucherinteresse beschränkt. Ob man sich für ein derartiges Modell entscheiden sollte, ist insofern zu diskutieren, als unterschiedliche NGOs als juristische Person des Privatrechts in keinerlei Pflichtverhältnis bezüglich der Wahrnehmung ökologischer Interessen stehen. Ihr Einschreiten obliegt ihrem Ermessen, schreiten sie ein, so könnte die Konstruktion dahin- gehend erfolgen, dass sie dann als „Stimme der Natur“ die eigenrechtsfähige Natur vertreten. E contrario bedeutet dies, dass die Natur nur dann eine Stimme hat, wenn NGOs tätig werden wollen.

3.       Conclusio: Unterscheidung zwischen Nutztieren und Wildtieren bzgl der Rechtsstellung de lege ferenda nicht haltbar

Die Differenzierung zwischen Nutz- und Haustieren ist nicht sachgerecht. Auch die Argu- mentation, wonach nur den Wirbeltieren eine Empfindsamkeit und Schmerzfähigkeit zuge- sprochen wird, ist nicht nachvollziehbar. Empfindungsfähige Lebewesen haben – so Ziehm – ein elementares Interesse an der Schmerzvermeidung. Sie besitzen auf ihr Wohlergehen bezo- gene Interessen und haben dementsprechende Wünsche, Triebe und Bestrebungen.263 Nach Bahn sei bislang noch nicht vollständig bewiesen, dass auch andere Tiere keine Schmerzen fühlen können. Dementsprechend müsse es die Möglichkeit geben, den von der Kategorie

„Tier“ erfassten Kreis anhand neuer Erkenntnisse ständig anzupassen.264 Eine ebenso vorge- nommene Unterscheidung zwischen Nutz- und Wildtieren ist aufgrund der intrinsischen Schutzwürdigkeit der Tiere nicht sachgerecht und fadenscheinig. Art 13 AEUV spricht klar davon, dass den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung getragen werden muss. Auch § 2 B-VG Tierschutz normiert: Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zum Tierschutz“. Eine Unterscheidung zwischen Nutz- und Haustieren wird demnach sowohl auf europarechtlicher als auch auf verfassungsrecht- licher Ebene nicht vorgenommen.

Hinsichtlich der Vertretung der Tierrechte biete es sich laut Bahn an, das Konzept der Tierschutzombudsperson weiter auszubauen. Diesbezüglich müsse eine Ausweitung der Zu- ständigkeiten in Bezug auf das Zivil- und Strafrecht auch auf das Tierversuchsrecht vor- genommen werden. Als Vorbild auf dem Gebiet des Strafrechts solle hierbei der Schwei-


263 Ziehm, Tiere als Rechtsperson, EurUP 2020, 105 (109) mwN.

264 Bahn, Tierrechte in Österreich 124 f.


zer Tieranwalt herangezogen werden, der sich als gut umsetzbar erwies. Eine Befürwortung der deutschen Verbandsklage, würde – so Bahn – den Vorteil bringen, dass man sich an dem bereits gut bewährten Verbandsklagerechts Deutschlands orientieren könne.265

V.          Die rechtsfähige Natur de lege ferenda: Denkmodelle

1.       Die Natur als juristische Person– Grundlagen und legistische Konsequenzen

Eine Legaldefinition der juristischen Person gibt es nicht.266 Die rechtliche Grundlage bil- det § 26 ABGB: „Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich werden durch den Vertrag oder Zweck und die besonderen für dieselben bestehenden Vorschriften bestimmt. Im Verhältnisse gegen Andere genießen erlaubte Gesellschaften in der Regel glei- che Rechte mit den einzelnen Personen. Unerlaubte Gesellschaften haben als solche keine Rechte, weder gegen die Mitglieder, noch gegen Andere, und sie sind unfähig, Rechte zu er- werben. Unerlaubte Gesellschaften sind aber diejenigen, welche durch die politischen Gesetze ins besondere verbothen werden, oder offenbar der Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerstreiten.“ Es handelt sich bei juristischen Personen daher jedenfalls um rechtliche Konstrukte zur Verfolgung unterschiedlicher Interessensstrategien, mit dem Ziel bestimmte Rechtsträgerschaften und rechtliche Prozesse zu ermöglichen. Juristische Personen werden in Personenverbände (wie etwa die GmbH oder AG) sowie Sachgesamtheiten (wie etwa der Nachlass oder die Insolvenzmasse) unterteilt. Unter letztgenanntem versteht man ein Rechtsobjekt, das eine Rechtspersönlichkeit erhalten hat.267

Der im 19. Jahrhundert über die Rechtsnatur geführte Theorienstreit, dessen markanteste Ergebnisse v. Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit und v. Savignys Fiktions- theorie waren, spielt heute keine Rolle mehr.268 Nach Schauer ist für die Anerkennung juristi- scher Personen als selbstständige Rechtssubjekte nicht von einem einzigen Grund, sondern von einem Bündel von Gründen auszugehen, die im Einzelfall auch in Kombination vorliegen können: Juristische Personen können der kollektiven, überindividuellen Interessenverfolgung dienen (Körperschaften privaten Rechts). Sie können eine Haftungsbeschränkung bei Aus- übung unternehmerischer Tätigkeiten ermöglichen, worin va die Rechtfertigung der Ein-Per- sonen-Kapitalgesellschaft zu erblicken ist. Ferner kann eine juristische Person die dauerhafte Verfolgung eines bestimmten Zwecks durch ein gewidmetes Vermögen zulassen (Stiftungen). Schließlich kann eine juristische Person der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dienen (juristische Personen öffentlichen Rechts).269

In der heutigen juristischen Lehre umschreiben ua Benke/Steindl die juristische Person wie folgt: „Im Zentrum steht dabei das Ziel, bestimmte Rechtsträgerschaften sowie bestimmte Prozesse rechtlich relevanten Handelns zu ermöglichen, diese aber von der natürlichen Ein- zelperson getrennt zu halten. Im Instrumentcharakter liegt die Nützlichkeit wie das Gefahren- potential der juristischen Person. Gestaltung und Einsatz juristischer Personen sind mit Blick


265 Bahn, Tierrechte in Österreich 185.

266 Vgl Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 26 Rz 4 mit Verweis auf Heise.

267 Benke/Steindl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) §§ 26, 27 Rz 29 f.

268 Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 26 Rz 5.

269 Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 26 Rz 5.


auf die Legitimität der jeweils verfolgten Interessensstrategie zu prüfen: Die Trennung der Rechtssubjektivität von jener der natürlichen Person soll keine unzulässigen Privilegierungen erzeugen.270

Flossmann/Kalb/Neuwirth erläutern, die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, basiere auf der Interessenstheorie. Danach sollen jene Gebilde, die ein besonderes, von den Mitgliedern oder Nutznießern unterscheidbares Interesse haben und dieses auch in Form einer bestimmten Organisation zeigen, Rechtssubjektivität erlangen. Dadurch wird die Struk- turierung einer komplexen Gesellschaft ermöglicht und der rechtsgeschäftliche Verkehr ver- einfacht.271

Sowohl die dargestellte Meinung von Schauer als auch jene von Benke/Steindl zeigt auf, dass die Motivation einer juristischen Person die Rechtsfähigkeit zu verleihen, von einer Viel- zahl von Gründen getragen sein kann. Es ist daher – wie auch die historische Betrachtung eindeutig zeigt – in keiner Weise notwendig, dass das Gebilde Mitglieder haben müsse (so zB die Stiftung). Wenn manche Autoren ein unterscheidbares Interesse zwischen juristischer Per- son und Mitglieder fordern, spielt es keine Rolle, ob tatsächlicher Interessensgleichklang oder Interessensgegensatz besteht. Es geht um lediglich um den gesetzlichen Idealtypus, der damit beschrieben werden solle. Dies schließt aber nicht aus, dass es Gesamtheiten mit Rechtsper- sönlichkeit geben kann, die keine Mitglieder haben (siehe Stiftung, Nachlass, Insolvenz- masse).

An dieser Stelle ist wieder auf die globalen Entwicklungen in ausländischen Rechtssyste- men einzugehen, welche die Errichtung einer rechtsfähigen Natur qua Personenstatus bereits vollzogen haben. Die KlärschlammV des Bezirks Tamaqua etwa hat den Schutz der Gesund- heit, Sicherheit und des Wohlbefindens der Einwohner von Tamaqua, des Bodens, des Grund- wassers, der Umwelt und ihrer Flora und Fauna und den Praktiken einer nachhaltigen Land- wirtschaft zum Inhalt und etabliert auf Basis dieser Interessen natürliche Gemeinschaften und Ökosysteme als Personen zur Durchsetzung ihrer Rechte. Selbiges hat auch der indische Ge- richtshof von Uttarakhand erkannt, als er den Flüssen Ganges und Yamuna den Status als ju- ristische Person zuerkannt hatte (arg: „Sie unterstützen und fördern sowohl das Leben und die natürlichen Ressourcen als auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der gesamten Ge- meinschaft.). Als Paradebeispiel für die Etablierung der Umwelt als juristische Person gilt das neuseeländische Te Awa Tupua Gesetz 2017. Darin wird die Natur als überindividuelles Interesse erkannt, welches geschützt werden muss. Folglich wird der Whanganui zu einer juristischen Persönlichkeit erklärt und durch zwei, nicht persönlich haftende Organe vertreten, die ihr Amt zeitgleich ausüben.

Die Tatsache, dass die Umwelt integral für die menschliche Gesundheit und damit maßgeblich für eine nachhaltige Entwicklung ist, wird auch in Österreich und der Europäi- schen Union anerkannt. Laut Art 2 Z 33 WRRL ist die „Verschmutzung“ die durch menschli- che Tätigkeiten direkt oder indirekt bewirkte Freisetzung von Stoffen oder Wärme in Luft, Wasser oder Boden, die der menschlichen Gesundheit schaden können. Diese Begriffsbestim- mung ist im Kontext mit der Zielsetzung der RL zu sehen. Art 1 lit d WRRL normiert die Si-


270 Benke/Steindl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) §§ 26, 27 Rz 29.

271 Floßmann/Kalb/Neuwirth, Österreichische Privatrechtsgeschichte8 (2019) 62.


cherstellung einer schrittweisen Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und Ver- hinderung seiner weiteren Verschmutzung. Die WRRL intendiert daher den Schutz der Ge- sundheit des Menschen durch den Schutz der Gewässer vor Verschmutzung. § 16 ABGB nor- miert die Rechtsfähigkeit natürlicher Personen und lautet: „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.“ § 16 ABGB gewährt subjektive Rechte auf Leben, Gesundheit und körperliche Integrität ohne im Verfassungsrang zu stehen.

Der Gesundheitsschutz ist aber nur einer von vielen Aspekten, die mit einer gesunden Umwelt einhergehen. Die Natur selbst darf deshalb nicht bloß singulär (zB nur der Schutz des Gewässers, ohne den damit verbundenen Mikroorganismen) betrachtet werden und ist als ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren anzusehen. Das verdeutlich sich anhand der Kiessohle der Flüsse, welche bis zu einer Tiefe von einem Meter von Makrozoobenthos-Organismen (Bsp Schnecken, Larven, Insekten, Kleinkrebse) besiedelt ist und verschiedenen Fischarten als Laichsubstrat dient. Diese Mikroorganismen sind für die Selbstreinigungskraft der Gewässer und die Qualität des ufernahen Grundwassers von entscheidender Bedeutung. Durch den Bau von Wasserkraftwerken wird die Selbstreinigungsfähigkeit vermindert und wichtige Jung- fischhabitate verschwinden schrittweise. Die Auswirkungen treten allerdings sehr schleichend ein, da die Schäden nicht gleich sichtbar werden (50+ Jahre).272 Neben dem Schutz der Um- welt vor Verschmutzungen und Schädigungen müsse die Natur auch hinsichtlich ihrer Nut- zung geschützt werden und ein Mitspracherecht besitzen. Angesichts der rasant ansteigenden Weltbevölkerung ist eine effiziente Ressourcennutzung unausweichlich, weshalb die Umwelt sorgsamer, verantwortungsbewusster, rationeller und vergeudungsfreier genutzt werden soll.273

In legistischer Hinsicht führt dies zu folgenden Konsequenzen:

·         Ein wirksamer Schutz von Umweltgütern muss überindividuell begründet und verankert sein; Als Anknüpfungspunkte bieten sich die Rechtsfiguren des Gemeingebrauchs und der Gemeinnützigkeit an.

·         Zur Geltendmachung dieses Schutzanspruchs ist ein Rechtsträger zu berufen der im öffentlichen Recht verankert ist, öffentlich-rechtlicher Verantwortung unterliegt und von Hierarchiebeziehungen und wirtschaftlichen Einflusssphären möglichst entkoppelt ist.

·         Die Schutzrichtung muss sich von sektoralen Einengungen lösen und auf das Integritäts- interesse am Ökosystem insgesamt und seiner Funktionsfähigkeit als Lebensraum orien- tieren.

2.       Natur als Ganzes oder sektorale Ausschnitte der Natur

Als Vorfrage ist zu klären, ob nach dem Zweck der Ausdehnung der Rechtsfähigkeit auf Naturgüter die Natur in ihrer Gesamtheit erfasst sein soll oder lediglich einzelne Naturgüter.


272 Umweltanwaltschaft, 3. NGP – Themenvorschläge: Wiederherstellung der Geschiebe- durchgängigkeit und Evaluierung der Restwasserstrecken (24.2.2020) 2 f.

273 Reimer, Ressourceneffizienz – Leitkonzept zur Umweltnutzung innerhalb der planetaren Grenzen? Ein Problemaufriss, in Reimer (Hrsg), Ressourceneffizienz – Leitbild für das Umweltrecht? (2016) 21.


Die internationalen Vorgaben zeigen, dass beide Modelle im internationalen Kontext geläufig sind. Die Verleihung von bloßen Ausschnitten aus der Natur (Seen, Flüsse, Flussgebietssys- teme, evtl Gletscher) hat allerdings den Nachteil, dass möglicherweise die Vernetzung mit anderen natürlichen Ressourcen zu kurz kommt, die gesamthafte Beurteilung erschwert wird und sogar die einzelnen Teilsegmente miteinander konfligieren können. Um allfällige Ziel- konflikte zu vermeiden, ist ein weit gefasster Begriff der Natur erstrebenswert. Von einem derart weiten Begriff erfasst sind auch Tiere als Teil des Ökosystems. In konkreten Fallge- staltungen sollen freilich auch bloß Teile der Natur ihre Rechtsfähigkeit geltend machen kön- nen. So wie das Rechtssubjekt Person Rechtsobjekt im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht ist, so ist das Rechtssubjekt Natur Rechtsobjekt bezüglich seiner Schutzrechte auf Existenz, Regeneration und Wiederherstellung. Die Schaffung einer konkreten Definition bezüglich des Naturbegriffs erscheint legistisch sinnvoll.

Es stellt sich auch die Frage, inwiefern bezüglich natürlicher Vorgänge subjektive Rechte geltend gemacht werden können (Naturkatastrophen, Klimakrise). Aber auch das ist kein spe- zifisches, ausschließlich das Rechtssubjekt Natur betreffendes Problem: So wie das Rechts- subjekt Mensch in seiner Integrität von höherer Gewalt heimgesucht wird (Krebs, Corona etc), können das Rechtsgut betreffende Eingriffe auch beim Rechtssubjekt Natur auf höherer Gewalt beruhen. Anzumerken bleibt, dass gerade die Klimakrise auf menschlichem Zutun basiert, sodass es sich gerade nicht um höhere Gewalt handelt. Die Natur ist ein lebendiges, komplexes System, das auch ökosystemare Abgrenzungen erlaubt.

a.       Lebendiges Ökosystem mit Eigenwert

Hat die Gesellschaft an der Natur ein übergeordnetes und auch überindividuelles Interesse anerkannt, so ist die Gründung einer juristischen Person Natur rechtlich möglich. Die Natur diesbezüglich aber nur als eine rechtsfähige Sachgesamtheit zu betrachten, ist zu wenig. In der natürlichen Umwelt bestehen Interdependenzen, die charakteristisch für lebendige Ökosys- teme, die aus Flora und Fauna bestehen, sind.274 Die wechselseitige Abhängigkeit von Umwelt und Lebewesen wurde auch bereits in der KlärschlammV erkannt, diese lautet wiederholend: Einwohner des Bezirks, natürliche Gemeinschaften, und Ökosysteme sind Personenzum Zweck der Durchsetzung von Zivilrechten der Einwohner des Bezirks, der natürlichen Gemeinschaften, und der Ökosysteme.275 Hierbei ist nochmals auf die fehlende Unterschei- dung zwischen Natur und Einwohner hinsichtlich deren „Persönlichkeit“ einzugehen: Be- trachtet man den Wortlaut der genannten Verordnungsbestimmung, so erkennt man, dass die Bewohner des Bezirks Tamaqua mit den natürlichen Gemeinschaften und Ökosystemen in einem Atemzug genannt werden. Ökosysteme werden nach der Klärschlammverordnung da- her wie auch die Einwohner als Personen zur Durchsetzung von Zivilrechten angesehen, ohne dass eine Differenzierung zwischen juristischen oder natürlichen Personen stattfindet. Darüber hinaus bezeichnet die Begriffsbestimmung des § 5 KlärschlammV ausdrücklich nur die Unternehmen als juristische Person iSd V.

 


274 Vgl OÖ Umweltanwaltschaft, NGP – Themenvorschläge: Wiederherstellung der Geschiebe- durchgängigkeit und Evaluierung der Restwasserstrecken (24.2.2020).

275 Section 7.6 Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance.


Die Natur, sofern man sie unangetastet lässt, ist zwar ein sich selbst erhaltendes System, reagiert aber auf Eingriffe von außen äußerst sensibel. Schädigt bzw stört man dieses System, kann es zu ungeahnten Folgen nicht nur für die menschliche Gesellschaft, sondern auch für die Umwelt selbst kommen. So wird ua durch den Straßenbau und deren Instandhaltungsmaß- nahmen ein Rückgang der einheimischen Pflanzenarten nachgewiesen.276 Im Rio-San-Fran- cisco-Tal sind – laut Gawlik daher bereits menschliche Veränderungen wahrzunehmen, wel- che ein „zerstörerisches Ausmaß angenommen haben“. Diese führen zu einer Verdrängung des natürlichen Habitats und zu einem Artenverlust. Den Menschen fehle das Bewusstsein dafür, wie abhängig ihr Leben von der Natur ist. Tropische Wälder stellen eine Reihe von Ökosystemdienstleitungen dar. Diese Dienstleistungen umfassen ua die Lieferung zahlreicher Produkte sowie die Regulierung des Klimas, des Nährstoffkreislaufes, der Bodeneigenschaf- ten und die Erhaltung von Wasser- und Luftqualitäten.277

Die Umweltpolitik der EU beruht gem Art 191 Abs 2 AEUV278 auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip. führte hinsichtlich der Formulierung des Vorsorgeprinzips aus, es sei notwendig, diese dahingehend zu ergänzen, dass die Natur um ihrer selbst willenzu schützen ist. Dies würde eine Anerkennung der Eigenrechte der Natur gewährleisten und die Abhängigkeit der Umwelt vom Menschen beenden. Zusätzlich würden – so Bosselmann – die Eigenrechte der Natur auch Vollzugsdefizite im Umweltrecht beheben, indem sie Klagemöglichkeiten erweitern.279

b.       Flüsse, Gletscher

Wiederholend muss an dieser Stelle nochmals auf die Wasserrahmen-RL (ähnlich auch die Definition der IE-RL) eingegangen werden. Laut Art 2 Z 33 WRRL ist die „‘Verschmutzung‘ die durch menschliche Tätigkeiten direkt oder indirekt bewirkte Freisetzung von Stoffen oder Wärme in Luft, Wasser oder Boden, die der menschlichen Gesundheit, oder der Qualität der aquatischen Ökosysteme oder der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme schaden können, zu einer Schädigung von Sachwerten führen oder eine Beeinträchtigung oder Störung des Erholungswertes und anderer legitimer Nutzungen der Umwelt mit sich bringen. Diese Begriffsbestimmung ist in Kontext mit der Zielsetzung der RL zu sehen. Art 1 lit d WRRL normiert die Sicherstellung einer schrittweisen Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und Verhinderung seiner weiteren Verschmutzung. An dieser Stelle ist noch- mals auf den 1. Erwägungsgrund der WRRL zu verweisen: „Wasser ist keine übliche Han- delsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“ Die Wasserrahmenrichtlinie intendiert daher zwar zum einen Schutz der Ge- sundheit des Menschen, aber zum anderen auch den Schutz der Ökosysteme vor menschlichen Tätigkeiten. Der in der WRRL zu findende Schutz der menschlichen Gesundheit ist da-


276 Gawlik, Der Einfluss von natürlichen und anthropogenen Störungen auf die Phytodiversität in den Anden Südecuadors, Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (2014) 90.

277 Gawlik, Der Einfluss von natürlichen und anthropogenen Störungen auf die Phytodiversität in den Anden Südecuadors 152.

278 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl C 2012/326, 47.

279 Bosselmann, Ökologische Grundrechte: Zum Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Natur (1998) 231.


her nur als ein mittelbarer Gesundheitsschutz zu sehen. Vorrangig sollen die Gewässer vor anthropogener Verschmutzung geschützt werden. Dieser Gewässerschutz bringt dann eben in weiterer Folge den Gesundheitsschutz des Menschen mit sich. Zudem werden die Gewässer in der WRRL explizit als „ererbtes Gut“ und nicht als eine Handelsware angesehen. Die Europäische Kommission betrachtet Wasser dahingehend als eine Leistung der Daseinsvor- sorge. 280 Das ist – laut EU-Kommission – eine marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeit, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden. Diese Leistungen der Daseins- vorsorge erfüllen grundlegende Bedürfnisse und halten die Gesellschaft – über das Materielle hinaus – auch symbolisch zusammen: Sie sind die festen Bezugspunkte eines Gemeinwesens und begründen die Zugehörigkeit der Bürger zu diesem Gemeinwesen.281 Darin liegt auch das Argument dafür, dass die Gewässer nicht bloß der Gesellschaft dienen (arg: halten die Ge- sellschaft – über das Materielle hinaus – auch symbolisch zusammen“).

Das Gesagte gilt erst recht für Gletscher, die zu den Wasserreserven der Menschheit zäh-

len.

Im Ergebnis könne also davon ausgegangen werden, dass der Mensch von einer gesunden

Umwelt abhängig ist und nicht anders herum. Die Natur ist dem menschlichen Schaffen viel- mehr ausgeliefert und es ist an der modernen Gesellschaft, diese für die gegenwärtigen und nachkommenden Generationen noch weit mehr als bislang zu schützen und zu erhalten.

c.        Legistische Konsequenzen

Internationalen Vorbildern folgend bedarf es der Zuerkennung von Rechtsfähigkeit an Naturrechtsgüter, um größtmöglich Effektivität des Schutzes von Ökosystemen zu erreichen. Da die partielle Rechtsfähigkeit der Natur einer Handlungsfähigkeit bedarf, gilt es befriedi- gende Vertreterlösungen zu finden, deren Anforderungen oben bereits eingehend thematisiert wurden.

Generell kann das Ziel der Natur Rechtsfähigkeit zuzuerkennen auf zweierlei Arten ver- wirklicht werden:

·         Zum einen durch eine „große Lösung“, mit der auf Verfassungsebene die Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit von Naturrechtsgütern ermöglicht wird.

·         Zum anderen durch ein bloß „kleine Lösung“. Bei dieser können herkömmliche Gebilde wie etwa die Stiftung dienstbar gemacht werden, um dem Anliegen der Rechtsfähigkeit für Naturrechtsgüter zum Durchbruch zu verhelfen.

VI.      Die rechtsfähige Natur de lege ferenda: Rechtsfragen

1.       Grundlagen

a.        Aus kompetenzrechtlicher Sicht findet sich im Katalog der Art 10 bis 15 B-VG keine klare nor- mative Verortung für die Zuständigkeit zur Einführung einer eigenen Rechtspersönlichkeit für Natur und Ökosysteme. Dieser Befund deckt sich mit der Situation der Schaffung des Umwelt- verträglichkeitsprüfungsgesetzes; auch zum damaligen Zeitpunkt fehlte für einen gesamthaft integrativen Umweltbegriff ein tauglicher Anknüpfungspunkt innerhalb der Kompetenzen des


280 ABl C 1997/184, 20 vom 17.6.1997.

281 ABl C 1996/281, 3 f vom 26.9.1996.


B-VG nicht verortet werden.

Um dieses Dilemma zu lösen, wären zwei Möglichkeiten gangbar:

          Zum einen eine große Lösung, bei der ein eigener Kompetenztatbestand für die Errichtung einer solchen Rechtspersönlichkeit eingeführt wird oder

          eine kleine Lösung, die bestehende Rechtsfiguren konkret jene der Stiftung und des Fonds

zur Ausstattung mit Rechtspersönlichkeit im Dienste der Natur nutzt.

b.        Um die große Lösung umzusetzen, bietet sich eine Orientierung an der derzeitigen kompetenz- rechtlichen Verankerung für Stiftungen und Fonds in Art 10 Abs 1 Z 13 an. Konkret vorgeschlagen werden könnte, die entsprechende Wortfolge zu erweitern, sodass sie zukünftig wie folgt lautet: „Stiftungs- und Fondwesen sowie Rechtspersönlichkeiten für Naturräume und Ökosysteme, soweit es sich um Rechtsträger handelt, die nach ihren Zwecken über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen und nicht schon bisher von den Ländern autonom verwaltet wurden.

Gestützt auf diese Kompetenznorm könnten sowohl der Bund als auch die Länder ei- gene Einrichtungsgesetze erlassen, in denen sie die näheren Bestimmungen über die Be- gründung von Rechtspersönlichkeiten für Naturräume und Ökosysteme regeln. Denkbar wäre eine legistische Lösung, in der das jeweiligen Bundes- oder Landesgesetz die Erzeu- gungsbedingungen für die Einrichtung solcher Rechtspersönlichkeiten regelt und die Wahrnehmung dieser Kompetenz dann jeweils durch eine Verordnung erfolgt, konkret etwa auf Bundesebene durch eine Verordnung des Umweltressorts, auf Landesebene durch eine entsprechende Verordnung im Landesbereich.

c.        Im Unterschied dazu würde sich die kleine Lösung auf die schon derzeit bestehende Gesetz- gebungskompetenz des Bundes gem Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG für Stiftungen und Fonds stützen.

Gestützt auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG für Stiftungen und Fonds, die über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen, kann der Bundesgesetzgeber Naturräume und Ökosysteme, die Ländergrenzen überschreitend gefasst sind, mit Rechtspersönlichkeit ausstatten.

Gleiches gilt – mutatis mutandis – für Länder hinsichtlich der allein in ihrem Landes- gebiet gelegenen Naturräume und Ökosysteme.

d.        Die Einräumung einer Parteistellung für diese Rechtsträger obliegt dem jeweiligen Materien- gesetzgeber. Soweit diese an Begriffe des bürgerlichen Rechts anknüpfen – wie etwa die Termini des „Eigentums“ und der „dinglichen Rechte“ –, kann die Erweiterung oder Ausfüllung der Begriffe im Rahmen der Zivilrechtskompetenz erfolgen.

e.        Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Rechte dieser Rechtsträger wäre an das Institut des Gemeingebrauchs wie folgt anzuknüpfen: die Rechte des Gemeingebrauchs zum Schutz der Integrität und ökologischen Funktionsfähigkeit von Naturräumen und Ökosystemen werden vom Bund und den Ländern als Legalservitut geltend gemacht. Die Legalservitut ist auf Erhaltung der ökologischen Funktionsfähigkeit gerichtet. Sie begründet für den Eigentümer eine Duldungs- pflicht und kann insoweit problemlos innerhalb der etablierten Typen verortet werden.

f.         Für die organisatorische Ausgestaltung der Stiftungen oder Fonds gibt es im B-VG keine spezifischen Vorgaben. Das Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz betrifft nur privatrechtlich begründete Stiftungen und Fonds und kann (ebenso wie die gesetzlich eingerichteten Fonds, etwa der Forschungsförderungsfonds) allenfalls als Orientierungshilfe dienen.

g.        Zu entscheiden wären bei Ausgestaltung der Rechtspersönlichkeit

          die räumliche Erstreckung (gesamtes Bundesgebiet oder ein Bundesland)


          die rechtliche Anknüpfung an die betreffenden Liegenschaften; denkbar wäre eine Eigentumsanknüpfung (im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Liegenschaften) und/oder eine Anknüpfung an den Gemeingebrauch; letztere hätte den Vorteil, dass damit auch Privatliegenschaften erfasst würden.

          der Umfang und die Schutzrichtung der Rechte: Verwaltungs- und/oder Zivilverfahren und die Konkurrenz mit weiteren anspruchs- bzw schutzlegitimierten Parteien. Vorschlag: ökologisches Günstigkeitsprinzip (ähnlich der ZPO-Regelung für Streitgenossen)

          innere Organisation

 

2.       Formulierungsvorschlag – kleine Lösung

 

„§ 1. (1) Gegenstand dieses Bundesgesetzes ist der Schutz der ökologischen Integrität und Funktionsfähigkeit von Naturräumen und Ökosystemen, die sich über mehrere Bundesländer erstrecken.

(2)    Der Schutz der Integrität und ökologischen Funktionsfähigkeit von Naturräumen und Ökosystemen ist Gegenstand des Gemeingebrauchs und wird vom Bund und den Ländern als Legalservitut an jenen Liegenschaften geltend gemacht, die innerhalb des jeweils betroffenen Gebiets liegen.

(3)    Die Geltendmachung dieser Rechte kann auch dafür eingerichteten öffentlichen Rechtsträgern übertragen werden.

§ 2. (1) Zum Schutz von Naturräumen und Ökosystemen, die sich über mehrere Bundes- länder erstrecken und als Lebensraum eine Ländergrenzen überschreitende Bedeutung auf- weisen, ist die Bundesministerin für Klimaschutz ermächtigt, Stiftungen nach Maßgabe fol- gender Bestimmungen einzurichten:

(2)    Die Stiftung dient gemeinnützigen Zwecken und ist nicht auf Gewinn gerichtet.

(3)    Die Stiftung besitzt eigene Rechtspersönlichkeit.

 

§ 3. (1) Die Stiftung ist Berechtigte der Legalservitute gem § 1 Abs 2, die auf Erhaltung der ökologischen Funktionsfähigkeit gerichtet sind.

(2)    Die Legalservitutsberechtigten haben in den einzelnen Materiengesetzen jedenfalls auch jene Rechte, die dem Eigentümer oder dinglich Berechtigten zustehen.

(3)    Die Legalservitutsberechtigten sind berechtigt, den Schutz der ökologischen Funk- tionsfähigkeit der Ökosysteme als subjektives Recht im Verwaltungsrecht und als dingliches Recht im Zivilverfahren geltend zu machen.

§ 4. Organe der Stiftung sind

a)       Delegiertenversammlung, die sich zusammensetzt aus:

-           Umweltanwälte der Länder

-           Vertreter der Universitäten

-           Umweltbundesamt

-           Umweltministerium

b)       Kuratorium, zusammengesetzt aus:


-           Vertretern aus dem Kreis der Umweltanwälte

-           Den Mitgliedern des Präsidiums

c)       Präsidium, bestehend aus einem Präsidenten und einem Vizepräsidenten, wobei der Prä- sident aus dem Kreis der Landesumweltanwälte zu bestellen ist, die Vizepräsidenten aus dem Kreis der Universitäten

§ 5. Rechtsmittelbefugnis

(1)     Die Stiftung ist zur Erhebung sämtlicher zivilrechtlicher Rechtsmittel befugt.

(2)     Die Stiftung ist berechtigt, im öffentlich-rechtlichen Verfahren die Wahrung ihrer dinglichen Rechte als subjektiv-öffentliche Rechte geltend zu machen, einschließlich der Beschwerdeführung an die Verwaltungsgerichte und der Anrufung der Gerichtshöfe öffent- lichen Rechts.

(3)     Als Servitutsberechtigte ist die Stiftung hinsichtlich der ihr eingeräumten Legalser- vitut Grundrechtsträgerin, die sowohl die Unversehrtheit des Eigentums, als auch die Rechte auf ein faires Verfahren geltend machen kann.

§ 6. Ökologisches Günstigkeitsprinzip

Wenn mehrere Rechtsträger, die zur Vertretung von Umweltinteressen legitimiert sind, widersprüchliche Schutzansprüche geltend machen, so ist im Zweifel jener Rechtsverfolgung der Vorzug zu geben, der für die Umwelt am besten ist.“

3.       Formulierungsvorschläge große Lösung

 

Art I Änderung des BVG Nachhaltigkeit: Bundesverfassungsgesetz über die Nach- haltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Was- ser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung, BGBl I Nr 111/2013

§ 3 Abs 3: „Zur Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen kann an Bestandteile der Natur die Rechtsfähigkeit verliehen und ihre Handlungsfähigkeit durch geeignete Vertreter gestellt werden.

 

Art II Änderung der Bundesverfassung

Art 10 Abs 1 Z 16a B-VG lautet: Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit an Naturrechts- güter zum Schutz der Umwelt in bundesrechtlichen Materien.

Art 12 Z 3 B-VG: Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit an Naturrechtsgüter zum Schutz der Umwelt in landessrechtlichen Materien.

Erläuterungen zu Art 10 Abs 1 Z 16a und Art 12 Z 3 B-VG:

Die Einrichtung von juristischen Personen und damit die Schaffung von neuen Rechtsper- sönlichkeiten war bislang in Gesetzgebung und Vollziehung hauptsächlich zum Teil eine Bundesmaterie, zum Teil auch eine Annexkompetenz, zum Teil unter Berufung auf Art 15 Abs 9 eine Landeskompetenz. Die Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit an Umweltgüter war bislang in der österr Rechtsordnung nicht vorgesehen.


Die aktuelle Klima- und Biodiversitätskrise zeigt, dass sowohl die derzeitigen materiellen als auch verfahrensrechtlichen Instrumente ungenügend sind, um der anthropogen bewirkten Erderwärmung entgegen zu wirken. Dabei gilt es, grundlegende Weichenstellungen der der- zeitigen Rechtslage sowohl in materieller als auch in prozessualer Hinsicht zu verändern.

Die Natur wurde bislang von der Rechtsordnung als Rechtsobjekt verstanden. Die Wahr- nehmung von Interessen an der Natur erfolgt als bloßes öffentliches Interesse durch zum Teil weisungsabhängige Behördenvertreter. Dies führt etwa im Rahmen von Interessenabwägun- gen oftmals zu nachteiligen Ergebnissen für Naturgüter. Auf Basis eines internationalen Rechtsvergleichs wurden im Rahmen einer umfassenden Projektstudie alternative Modelle der prozessualen Vertretung der Natur vorgestellt. Angesichts des bisherigen Systemversagens gilt es neue Wege zu gehen und diese unterschiedlichen Schutzansätze für Österreich aufzubereiten: Diese beruhen auf der Etablierung einer Eigenrechtsfähigkeit der Natur. Im internationalen Vergleich wurde bspw in der Gemeindeverordnung des Bezirks Tamaqua282 im Bundesstaat Pennsylvania, die Rechtssubjektivität der Natur bereits unlängst anerkannt. Weitere nennenswerte Entwicklungen finden sich in Neuseeland durch das Te Awa Tupua Gesetz 2017.283 Daneben sprach sich der indische Gerichtshof von Uttrakhand mit seinem Urteil vom 20.3.2017 in der Rechtssache „Salim vs State of Uttarakhand“284 auch für die Zuerkennung der Rechtssubjektivität der Flüsse Ganges und Yamuna aus. Weitere Entwicklungen in der Eigenrechtlichkeit der Natur finden sich in Mexiko, Bolivien, Ecuador, Bangladesch, Kolumbien, Belize und Australien.

Der vorliegende Gesetzesentwurf beruht auf der dogmatischen Sichtweise, die der Natur Eigenrechtsfähigkeit verleiht und diese prozessual vertretungsbefugten, unabhängigen Orga- nen überantwortet.

 

Art III Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit der Umwelt (Ökozentrischer Ansatz)

„Gegenstand des Gesetzes

§ 1. (1) Gegenstand dieses Bundesgesetzes ist der Schutz der ökologischen Integrität und Funktionsfähigkeit von Naturräumen, die sich über mehrere Bundesländer erstrecken, sowie von Ökosystemen, in Angelegenheiten die Bundessache sind.

(2)    Naturräume und Ökosysteme iSd Abs 1 gelten als Rechtspersonen und sind juristische Personen des öffentlichen Rechts. Ihre räumliche Erstreckung ist durch Verordnung der Bun- desministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie an- hand von ökosystemaren Kriterien zu bestimmen. Die eigenrechtsfähige Natur ist berechtigt, die ökologische Integrität und Funktionsfähigkeit als ökozentrisch personalisiertes Recht durch geeignete Vertreter (Abs 4) geltend zu machen.

 


282 Tamaqua Borough Schuylkill County Pennsylvania, Ordinance No 612 of 2006, Tamaqua Borough Sewage Sludge Ordinance

283 Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Act 2017, 20. März 2017.

284 High Court of Uttarakhand at Naintal, 20 März. 2017 (Salim vs State of Uttrakhand) Writ Petition (PIL) No 126 of 2014.


(3)    Dieses Recht erstreckt sich als Legalservitut über alle Liegenschaften innerhalb der durch Verordnung gem Abs 2 ausgewiesenen Grenzen.

(4)    Die Wahrnehmung und Geltendmachung dieser Rechte erfolgt durch die Umweltan- wälte der betreffenden Länder. Sollte ein betroffenes Land über keine Umweltanwaltschaft verfügen, bestimmt der beim Klimaschutzministerium mit Verordnung einzurichtende Beirat der österr Umweltanwaltschaften einen geeigneten Vertreter. Der Beirat beschließt durch Mehrheitsbeschluss, die Geschäftsordnung wird durch Verordnung der Ministerin für Klima- schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie festgelegt.

(5)    Zur Feststellung des Umweltzustandes ist der Umweltanwalt berechtigt, nach vor- heriger Ankündigung, bei Gefahr in Verzug auch ohne, die Liegenschaft zu betreten, Proben zu nehmen und auf sonstige Weise Schadeinflüsse zu dokumentieren.

Pflichten des Eigentümers

§ 2. (1) Die Eigentümer der betroffenen Grundstücke sind zur Wahrung des Eigenrechte der Natur gem § 3 verpflichtet.

(2) Das Recht des Eigentümers, bei Eingriffen Dritter den Zivilrechtsweg nach §§ 364 ff ABGB zu beschreiten, bleibt unberührt. Umweltanwalt und Eigentümer gelten als einheitliche Streitparteien gem § 14 ZPO, sofern der Umweltanwalt dem Verfahren beitritt.

Eigenrechte der Natur und prozessuale Durchsetzung

§ 3. (1) Die Eigenrechte der Natur gem § 1 Abs 2 umfassen:

1.       Abwehr unmittelbarer und     mittelbarer    substanz-    oder systemvernichtender oder wesentlich beeinträchtigender Eingriffe.

2.       Das Recht auf Wiederherstellung nach Eingriffen iSd Z 1. Bisher bestehende Wiederher- stellungsverpflichtungen bleiben unberührt.

3.       Ergreifung von Maßnahmen in Bezug auf Handlungen, die eine Gefährdung der Schädigung iSd Z 1 nahelegen (Abwehrmaßnahmen).

(2)    Zum Schutz dieser Rechte genießt die Natur Parteirechte in Verfahren, die sie betrifft und kann die Einhaltung der auf den Schutz ihrer ökologischen Integrität abzielenden Geneh- migungskriterien als subjektives Recht durch geeignete Vertreter (§ 2 Abs 4) geltend machen. Die eigenrechtsfähige Natur ist zur Erhebung sämtlicher Rechtsmittel, einschließlich der Be- schwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, legitimiert.

(3)    Die eigenrechtsfähige Natur ist in sämtlichen Zivilverfahren partei- und prozessfähig, soweit derartige Verfahren ihrer Art nach in Frage kommen. Sofern erforderlich, kann die Umweltanwaltschaft in diesen Verfahren durch einen Rechtsbeistand vertreten werden. Die Erforderlichkeit richtet sich neben einer allfälligen zivilprozessualen Anwaltspflicht nach Art und Ausmaß des Eingriffs in die Natur, Bedeutung der gefährdeten Naturgüter, Gewicht gegenläufiger Interessen. Der Streitwert von Aktivprozessen beträgt….

Klimaschutz

§ 4. (1) (Verfassungsbestimmung) Die in Gesetzgebung und Vollziehung handelnden Organe bekennen sich dazu, in ihren Handlungen den umfassenden Klimaschutz als Maßstab


zugrunde zu legen, sodass eine nachhaltige Entwicklung des Ökosystems auf hohem Niveau möglich ist.

(2)     Sämtliche klimaschutzrelevante Pläne auf Bundesebene sind dem Beirat der Umwelt- anwaltschaften zur Stellungnahme vorzulegen. Dieser hat in Bezug auf die Eigenrechtsfähig- keit der Natur eine Stellungnahme mit Mehrheitsbeschluss zum jeweiligen Plan abzugeben. Die Stellungnahme kann im Zuge einer strategischen Umweltprüfung, einer Umweltverträg- lichkeitsprüfung oder einer Naturverträglichkeitsprüfung erfolgen, kann aber auch davon unabhängig erstattet werden. Organe iSd Abs 1 haben die Stellungnahme iSv Abs 2 im Laufe der Annahme des Plans/Ablehnung des Plans tunlichst zu berücksichtigen.

(3)     Zum Schutz der eigenrechtsfähigen Natur, sowohl in Bundes- als auch in Landes- materien, richtet der Bund einen Fonds ein, dessen Mittel für die Abschwächung von bzw An- passung an klimarelevante Veränderungen der Ökosysteme verwendet werden.

(4)     Klimaschutzprojekte zum Schutz der eigenrechtsfähigen Natur können auch vom je- weils zuständigen Umweltanwalt angeregt werden. Primär ist zur Ausarbeitung des Plans das Umweltbundesamt heranzuziehen, in besonderen Fällen können auch geeignete Sachverstän- dige damit betraut werden. Die hierfür erforderlichen Mittel sind aus dem Fond zu bestreiten. Über die Durchführung des Projekts aufgrund des vorgelegten Plans entscheidet die Ministe- rin aufgrund einer positiven Stellungnahme des Beirats der österr. Umweltanwaltschaften.

 

Art IV Bundesgrundsatzgesetz über die Rechtspersönlichkeit der Natur

 

„Gegenstand des Gesetzes

§ 1. (Grundsatzbestimmung) (1) Die Ausführungsgesetze haben den Schutz der ökologi- schen Integrität und Funktionsfähigkeit von Naturräumen, die sich innerhalb des Bundeslands befinden, sowie von Ökosystemen, in Angelegenheiten die Ländersache sind, nach folgenden Grundsätzen vorzusehen.

(2)    Naturräume und Ökosysteme iSd Abs 1 gelten als Rechtspersonen. Ihre räumliche Er- streckung ist durch Verordnung des Landeshauptmanns anhand von ökosystemaren Kriterien zu bestimmen. Die eigenrechtsfähige Natur ist berechtigt, die ökologische Integrität und Funktionsfähigkeit als ökozentrisch personalisiertes Recht geltend zu machen.

(3)    Dieses Recht erstreckt sich als Legalservitut über alle Liegenschaften innerhalb der durch Verordnung gem Abs 2 ausgewiesenen Grenzen.

(4)    Die Wahrnehmung und Geltendmachung dieser Rechte erfolgt durch die Umweltan- wälte der betreffenden Länder. Sollte ein betroffenes Land über keine Umweltanwaltschaft verfügen, bestimmt ein Beirat, der sich aus Vertretern aus Wissenschaft und Praxis zusam- mensetzt, einen geeigneten Vertreter. Die Zusammensetzung des Beirats und dessen Ge- schäftsordnung wird durch Verordnung des Landeshauptmanns festgelegt.

(5)    Abgesehen von dem in Abs 4 genannten Fall übt der Beirat die in diesem Gesetz vorgesehen Kompetenzen aus.

(6)    Zur Feststellung des Umweltzustandes ist der Umweltanwalt berechtigt, nach vor- heriger Ankündigung, bei Gefahr in Verzug auch ohne, die Liegenschaft zu betreten, Proben zu nehmen und auf sonstige Weise Schadeinflüsse zu dokumentieren.


Pflichten des Eigentümers

§ 2. (Grundsatzbestimmung) (1) Die Ausführungsgesetze haben vorzusehen, dass die Eigentümer der betroffenen Grundstücke zur Wahrung des Eigenrechte der Natur gem § 3 verpflichtet sind.

(2) Das Recht des Eigentümers, bei Eingriffen Dritter den Zivilrechtsweg nach §§ 364 ff ABGB zu beschreiten, bleibt unberührt. Umweltanwalt und Eigentümer gelten als Streit- genossen gem § 14 ZPO, sofern der Umweltanwalt dem Verfahren beitritt.

Eigenrechte der Natur und prozessuale Durchsetzung

§ 3. (Grundsatzbestimmung): Die Ausführungsgesetze haben folgende Aspekte vorzu- sehen

1.       Abwehr unmittelbarer und mittelbarer substanz- oder systemvernichtender oder wesentlich beeinträchtigender Eingriffe.

          Das Recht auf Wiederherstellung nach Eingriffen iSd Z 1. Bisher bestehende Wieder- herstellungsverpflichtungen und Ausgleichszahlungen bleiben unberührt.

          Ergreifung von Maßnahmen in Bezug auf Handlungen, die eine Gefährdung der Schädigung iSd Z 1 nahelegen (Abwehrmaßnahmen).

2.       Zum Schutz dieser Rechte genießt die Natur Parteirechte in Verfahren, die sie betrifft und kann die Einhaltung der auf den Schutz ihrer ökologischen Integrität abzielenden Geneh- migungskriterien als subjektives Recht geltend machen. Die eigenrechtsfähige Natur ist zur Erhebung sämtlicher Rechtsmittel, einschließlich der Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, legitimiert.

3.       Die eigenrechtsfähige Natur ist in sämtlichen Zivilverfahren partei- und prozessfähig, soweit derartige Verfahren ihrer Art nach in Frage kommen. Sofern erforderlich, kann die Umweltanwaltschaft in diesen Verfahren durch einen Rechtsbeistand vertreten werden. Die Erforderlichkeit richtet sich neben einer allfälligen zivilprozessualen Anwaltspflicht nach Art und Ausmaß des Eingriffs in die Natur, Bedeutung der gefährdeten Naturgüter, Gewicht gegenläufiger Interessen. Der Streitwert von Aktivprozessen beträgt…

Klimaschutz

§ 4. (Grundsatzbestimmung) In den Ausführungsgesetzen der Länder sind folgende As- pekte zu konkretisieren:

1.       Sämtliche klimaschutzrelevante Pläne auf Landesebene sind dem Beirat (§ 1 Abs 5) zur Stellungnahme vorzulegen. Dieser hat in Bezug auf die Eigenrechtsfähigkeit der Natur eine Stellungnahme mit Mehrheitsbeschluss zum jeweiligen Plan abzugeben. Die Stellungnahme kann im Zuge einer strategischen Umweltprüfung, einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer Naturverträglichkeitsprüfung erfolgen, kann aber auch davon unabhängig erstattet werden.

2.       Die Organe des Landes haben die Stellungnahme im Laufe der Annahme des Plans/Ablehnung des Plans tunlichst zu berücksichtigen.


3.       Zum Schutz der eigenrechtsfähigen Natur richtet das Land einen Fonds ein, dessen Mittel für die Abschwächung von bzw Anpassung an klimarelevante Veränderungen der Ökosys- teme in Landesmaterien verwendet wird.

4.       Klimaschutzprojekte zum Schutz der eigenrechtsfähigen Natur können ua vom jeweils zuständigen Umweltanwalt angeregt werden. Primär ist zur Ausarbeitung des Plans das Umweltbundesamt heranzuziehen, in besonderen Fällen können auch geeignete Sachver- ständige damit betraut werden. Die hierfür erforderlichen Mittel sind aus dem einschlägi- gen Landesfonds zu bestreiten. Über die Durchführung des Projekts aufgrund des vor- gelegten Plans entscheidet der für Klimaschutz zuständige Landesrat aufgrund einer positiven Stellungnahme des Beirats der österr. Umweltanwaltschaften.“


F.          Literaturverzeichnis

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Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 285

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Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 285

Klang in Klang II/2, 2

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Kodek in Schwimann/Neumayr, ABGB: Taschenkommentar5 (2020) § 285 ABGB

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Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 16

Nemeth in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar5 (2020) § 546


Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 Vor § 1 ZPO

Posch in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar5 (2018) § 16 Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 16 und § 26 Schmelz/Schwarzer, UVP-G-ON1.00 § 19

Schneider in Fasching/Konecny3 II/1 § 14 ZPO

Stabentheiner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), ABGB3 (Klang) § 285, § 285a

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Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken

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Cullinan Cormac, If Nature Had Rights: „What would people need to give up?”, Orion Magazine, Jan/Feb 2008

Ellner Susanne, Neue Züricher Zeitung (NZZ): Die Stimme der Tiere verstummt (2010), https://www.tierimrecht.org/documents/2411/NZZ.ch-2010-12-16-Die-Stimme-der-Tiere-verstummt-Tieranwalt.pdf, abgerufen am 25.1.2021, 20:13 Uhr

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[1]  Verfassungsrecht, Berka, 2021

[2]  vgl Eigenrechtsfähigkeit der Natur, Wagner ua., 2022

[3]  vgl https://www.earthlaws.org.au/aelc/rights-of-nature/#different

[4]  https://www.oireachtas.ie/en/press-centre/press-releases/20231214-joint-committee-on-environment-and-climate-action-published-report-on-the-examination-of-the-recommendations-of-the-citizens-assembly-report-on-biodiversity-loss/

[5]  https://citizensassembly.ie/wp-content/uploads/Report-on-Biodiversity-Loss_mid-res.pdf

[6]  https://www.oireachtas.ie/en/press-centre/press-releases/20231214-joint-committee-on-environment-and-climate-action-published-report-on-the-examination-of-the-recommendations-of-the-citizens-assembly-report-on-biodiversity-loss/

[7]  https://www.sueddeutsche.de/wissen/mar-menor-spanien-personenrechte-1.5663043

[8]  Eigenrechtsfähigkeit der Natur, Wagner ua., 2022

[9]  Eigenrechtsfähigkeit der Natur, Wagner ua., 2022