37/PET XXVII. GP
Eingebracht am 14.09.2020
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Petition
Abgeordnete/r zum Nationalrat
Friedrich Ofenauer
An Herrn
Präsidenten des Nationalrates Mag. Wolfgang
Sobotka
Parlament
1017 Wien, Österreich
Neidling, am 13.9.2020_____
Sehr geehrter Herr Präsident!
In der Anlage überreiche ich/ überreichen wir Ihnen gem. §100 (1) GOG-NR die Petition betreffend Rechtssicherheit von konkurrenzlosen Dorfläden im ruralen Raum
Seitens der Einbringerlnnen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:
Gesetzesänderung in der Gewerbeordnung
Dieses Anliegen wurde bis zur Einbringung im
Nationalrat von 900 BürgerInnen unterstützt. Mit der Bitte um
geschäftsordnungsmäßige Behandlung dieser Petition verbleibe
ich/verbleiben wir mit
freundlichen Grüßen
Anlage
Hinweis: Ggf. vorgelegte Unterschriftenlisten werden nach dem Ende der parlamentarischen Behandlung datenschutzkonform vernichtet bzw. gelöscht, soweit diese nicht nach den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes zu archivieren sind.
Neidling, am 12.9.2020
Sachverhaltsdarstellung Petition:
_wir
sind die Vorstandsmitglieder eines Vereins in
Neidling mit dem Namen „Verein Dorfleben",
dessen Ziel es ist, Projekte zu unterstützen und zu
initiieren, die das soziale Dorfleben erhalten oder
zurückholen. Aktuell geht es um einen neu
eröffneten Dorfladen, dessen Existenz momentan
bedroht ist. Die Anzeige eines Anrainers brachte
gesetzliche Missstände an die Oberfläche.
Durch die bestehenden gesetzliche Vorgaben ist unser Selbstbedienungsdorfladen in seinem innovativen Gesamtkonzept bedroht. Gleichzeitig zeigt sich auch die Rechtsunsicherheit fast aller Dorfläden, die ähnlich und in verschiedensten Arten ihre Produkte unter die Bevölkerung bringen, jedoch einfach keine*n Kläger*in haben.
Daher unsere Petition:
Neidlinger Dorfladen im Dilemma - historische Entwicklung der Nahversorgung
• Neidling ist eine niederösterreichische Gemeinde mit: 1462 Einwohner*innen HWs (Stand 01/2019). Sie liegt im Dunkelsteinerwald und ca. 7 km von St.Pölten entfernt.
• Seit dem Jahr 2017 gibt es in Neidling keine Lebensmittelnahversorgung mehr (Schließung des Adeg-Geschäftes aufgrund einer Pensionierung). Die Verkaufsläden des Bäckers und Fleischhauers hatten bereits in den Jahren davor ihre Pforten geschlossen.
• Gespräche mit großen Handelsketten scheiterten, auch so wollte auf mehrmaligen Aufruf niemand aus der Gemeinde das Risiko eines Handelsgewerbes übernehmen.
• Im Jahr 2018 bemühte sich auf Initiative der Gemeindepolitik und des Bürgermeisters ein bürgernaher Verein um die Wiederbelebung der Nahversorgung. Die Bürger*innen partizipierten solidarisch mit der Wertschöpfung aus der Region und der Schaffung einer Nahversorgung und unterstützen auch finanziell dieses innovative Projekt. Diese Initiative scheiterte jedoch knapp vor Ladenumbau und Öffnung an wirtschaftlichen Entscheidungen des Standort-Vermieters.
• Im Jahr 2020 gibt es einen neuerlichen Versuch die Nahversogung in Neidling zu sichern. Noch dazu fällt der Start dieses innovativen Projektes in eine sehr herausfordernde Zeit, nämlich die der Corona-Pandemie. Ein junger Neidlinger gründet einen Verein mit dem Namen „Neidlinger Dorfladen“, er selbst ist unter anderem Landwirt, und vereint weitere Interessierte im Vorstand. Sein Ziel war und ist es, die Nahversorgung mit Grundnahrungsmitteln in Neidling zu sichern. Die Nahrungsmittel sollen vor allem aus bäuerlicher Direktvermarktung der Region stammen. Er bezog innovativerweise auch einen regionalen Bäcker und Fleischer in das neue Geschäftskonzept mit ein, um alle Grundnahrungsmittel des täglichen Bedarfs abzudecken. Mit großem persönlichen Einsatz leistete er umfangreiche Netzwerkarbeit und nur deshalb kann der Dorfladen nun mit einem hervorragendem Produktmix punkten. Diese Verkaufsstelle wird ohne Personal geführt und basiert auf Selbstbedienung, jedoch mit einem modernen Kassensystem, dass es den Kund*innen erlaubt, alle Produkte bei einer Computerkasse in bar oder bargeldlos und kontaktlos mit Bankomatkarte zu bezahlen. Ein Verkaufslokal wurde von der Gemeinde in einem aufgelassenen Technikraum und eigenem Gebäudeteil der Volksschule gegen Miete zur Verfügung gestellt und technisch adaptiert. Für die Regale, Kühlschränke und das Kassasystem kam im ersten Ansatz der Vereinsobmann auf. Der Vereinsobmann hat sich bei Vereinsgründung am Vereinsreferat der BH erkundigt und bekam auch Musterstatuten ausgehändigt, die für andere Dorfläden bereits Geltung gefunden haben. Anfang Mai wurde die Verkaufsstelle geöffnet und wurde von der Bevölkerung sensationell angenommen.
• Und jetzt beginnt die Problematik:
Ein*e Anrainer*in, der*die, sehr auf seine*ihre Ruhe bedacht ist, tätigte eine Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft, da er sich durch die Autos, die zum Dorfladen fahren, belästigt fühlte.
• Die Abteilung Anlagenrecht musste der Sache natürlich nachgehen und es kristallisierten sich einige gesetzliche Missstände heraus. Dies hier genauer zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen. Wir können Ihnen jedoch gern die gesamten Aufzeichnungen zur Verfügung stellen (auf der BVB St.Pölten unter der Geschäftszahl: PLW2-A1710/061 nachzulesen). Ein interessantes Detail ist, dass alle anderen Bauernläden, die keine*n Kläger*in haben, so weitermachen wie zuvor und nur dieser eine Laden „torpediert" und in die Zwickmühle getrieben wird.
Kurz gesagt: Problem sind verschiedene bestehende Gesetze (Gewerbeordnung, Öffnungszeitenverordnung,...), die unterschiedlichen Interessen von Solidargemeinschaften abbilden und nicht mehr zeitgemäß sind und bis dato wenig Rücksicht auf nachteilige Entwicklungen im ländlichen Raum und die Pandemie nehmen.
• Seit 12.5. sind der Vereinsobmann und wir als seine Unterstützer*innen täglich gefordert uns in neue Themen einzulesen und eine Hürde nach der anderen zu bewältigen.
• Seither droht dem Laden ständig eine Betriebssperre, obwohl die Öffnungszeiten zum Leidwesen der Kund*innen, vor allem jener die in zeitlich herausfordernden Schlüsselberufen arbeiten, bereit rigoros verkürzt und an die NÖ Öffnungszeitenverordnung angepasst wurden.
• Weiters verlangt die gesetzliche Lage auch noch, dass ein Lebensmittelhandel nach Gewerbeordnung angemeldet werden muss. Der Vereinsobmann sieht sich nahezu gezwungen dies zu tun, wenn er den Laden für die Bevölkerung erhalten möchte.
• Die Gemeindebevölkerung und die Bürger*innen des Umlandes stehen hinter dem Dorfladen und haben dies auf einer Unterschriftenliste bekundet (dzt. rund 1000 Unterschriften).
• Auch die Kommunalpolitik (alle Parteien im Gemeinderat), sowie natürlich der Bürgermeister wollen den Dorfladen in diesem Konzept erhalten.
Was gerade von Solidargemeinschaften angeboten wird und wo wir dabei Hürden in der Durchführung sehen:
Der Gemeindebund bemüht sich gerade um die Ausarbeitung neuer Konzepte und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung.
Die vertragsfertigen Konzepte von Gemeindebund und Post mögen in der nicht informierten Öffentlichkeit sehr löblich klingen, jedoch in der Durchführung werden sie meist, so wie wir 2018 am Standort und der geringen Risikobereitschaft von Personen im ländlichen Raum eine klassische Lebensmittelversorgung über eine Handelskette anzubieten, scheitern. Hier wird die Verantwortung einer Gemeinwohlthematik auf Einzel-Personen und deren unternehmerisches Risiko übertragen. Und was nicht zu unterschätzen ist, wenn nicht ein Großteil der Gemeindebevölkerung hinter so einem Projekt steht, ist es wirtschaftlich zum Scheitern verurteilt. Es fehlt hier die gelebte Solidarität.
Ebenso hat der Bauernbund gerade eine breite Kampagne, um die Dorfläden zu unterstützen.
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Was das Konzept des Neidlinger Dorfladens als reproduzierbares „good practice" Beispiel für
Wirkungen erzielt:
Für die Konsument*innen:
• Nahversorgung mit Lebensmitteln in der Gemeinde
• Qualitativ hochwertige bäuerliche Produkte aus der Region
• Kontaktloses Zahlen
• Einkaufen im sicheren Laden durch flexible Öffnungszeiten (Risikogruppe kann auch bereits um 6.00 oder um 21.00 einkaufen gehen, um Kontakte zu vermeiden)
• Mobilitätsarme Menschen (vor allem ältere Personen) sind nicht gezwungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt zu fahren, um sich im Supermarkt mit Lebensmitteln zu versorgen, sondern können direkt vor Ort einkaufen und so ihre Selbständigkeit erhalten
Für die Gemeindeverwaltung und Politik:
• Erfüllung des Gemeinwohl-Auftrages - Sicherung der Nahversorgung
• Beitrag zum Schutz der Gemeindebevölkerung vor allem der Risikogruppe während der Pandemie
• Unterstützung regionaler Wertschöpfung
• Inklusion von Randgruppen
• Selbstvernetzung von Vereinen und Bürger*innen zu kostenfreier Gemeinwesenarbeit (spart Gemeindebudget, wenn man die Expertise von Gemeindebürger*innen nutzt)
Für die Landwirt*innen:
• Produkte können zu einem fairen Preis direkt an den*die Konsument*in gebracht werden
• Wertschätzung für ihre Arbeit
• Kurze Transportwege
Für Gewerbetreiben (Bäcker, Fleischer,..) der Region:
• Finanzielle Einbußen durch Coronamaßnahmen in geringem Ausmaß kompensieren können und dadurch Arbeitsplätze zu erhalten und weniger staatliche Förderungen in Anspruch nehmen zu müssen
• Entstehen von wirtschaftlichen Kooperationen zwischen Direktvermarkter*innen und Gewerbetreibenden in der Verarbeitung der regionalen Urprodukte
Für uns alle:
• Stärkung der Dorfgemeinschaft
• Unterstützung eines gemeinsamen Projektes zur Nahversorgung
• Klimaschonend (kurze Transportwege der Landwirt*innen, Laden kann von Konsument*innen wenn möglich mit Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden)
• Sozialer Austausch kann wieder stattfinden
• Dörfer werden „reanimiert" und der ländliche Raum auch für Zuzügler*innen wieder interessanter und daher auch weiterführend ein Erhalt von Schulstandorten, Wirtshäusern, Bankstellen, Arztpraxen, usw. gesichert
Es zeichnen:
Patricia Grünauer BA MA Mag. Sarah Glaser-Schweighofer Dr. Johanna Sohm Mag. Eva Kostial, MPH
Kontaktdaten: www.dorfleben-neidling.com
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Hier am Foto sehen Sie ein paar der Vorstandsmitglieder des Dorfladens und eine 93-jährige Bürgerin, die täglich mit dem Rollator sicher im Dorfladen einkaufen kann. Sie hat sich sogar vor einem Monat erstmalig auf der Bank eine Bankomatkarte gelöst, da sie das kontaktlose Bezahlen mit dem Kassensystem so praktisch findet.
Exkurs: In Wahrheit bietet dieses Konzept, gesamtheitlich betrachtet, Potential, um ein sozialraumorientiertes Gemeinwesenprojekt im ruralen Raum, zur Rettung, sogar Revitalisierung der Dörfer und Attraktivierung der Vorteile eines dörflichen Zusammenhaltes, als Pilotprojekt zu starten.