Rechtswissenschaftliche Fakultät

 

 

Institut für Rechtsphilosophie

 

Em. Univ.-Prof. Dr. Richard Potz

Hon.-Prof. Dr. Brigitte Schinkele

 

 

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Herrn

Mag. Oliver Henhapel

 

BMBWF-II/3

Minoritenplatz 5, 1010 Wien

 

 

 

 

Wien, am 30. Juni 2020

Sehr geehrter Herr Mag. Henhapel,

 

Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass die unendliche Geschichte der Implementierung eines Ethikunterrichts in das Regelschulwesen – nicht zuletzt auch im Einklang mit Art. 14 Abs 5a B-VG bzw § 2 Abs 1 SchOG, worin die Einbeziehung von sozialen, religiösen und moralischen Werten unter den Kernaufgaben der österreichischen Schule genannt wird – endlich zu einem guten Ende kommt. Der in den genannten Bestimmungen enthaltene Wertekanon ist als Ausdruck eines Grundkonsenses in einer – auch in sittlich-ethischer und religiös-weltanschaulicher Hinsicht – pluralistischen Gesellschaft zu verstehen.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind dabei sowohl der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, eingebaut in die staatliche Schulhoheit, als auch die spezifischen grundrechtlichen Garantien in den Blick zu nehmen. Auszugehen ist von einem mehrdimensionalen Beziehungsgefüge zwischen dem Staat, den Schülern und Schülerinnen sowie deren Eltern, aber auch den Kirchen und Religionsgesellschaften. Es ist insbesondere auf den im Verfassungsrang stehenden Art 2 des 1. ZP zur EMRK zu verweisen, worin an erster Stelle das Recht auf Bildung verankert ist. Dem folgt in Satz 2 das Elternrecht, wonach der "Staat [...] bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten [hat], die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen." Dies beinhaltet nicht nur ein Abwehrrecht im klassisch-liberalen Sinn, sondern impliziert auch staatliche Gewährleistungspflichten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach ausgesprochen hat.

Der religiös-weltanschaulichen Vielfalt ist dementsprechend in der Schule Raum zu geben, eine Ausklammerung der religiösen Dimension liefe in letzter Konsequenz auf eine Diskriminierung mit der Gefahr einer areligiösen Indoktrinierung hinaus.

In einer pluralistischen Gesellschaft ist der Religionsunterricht primär als eine Form positiver Religionsfreiheit zu begreifen. Religions- und der Ethikunterricht stellen daher unverzichtbare Gegenstände in einem von einem umfassenden Bildungsauftrag getragenen Regelschulwesen dar. Das im Entwurf vorgesehene Modell der Einführung des Pflichtgegenstandes Ethik für alle Schülerinnen und Schüler, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, kommt den verfassungsrechtlichen Vorgaben und den gesellschaftspolitischen Erfordernissen zweifellos nach. Dies im Sinne eines „Verflechtungsmodells“, wonach „beide Fächer wechselseitig die Aufgabe ethischer Bildung für die Schüler wahrnehmen“ und sie nicht als Gegner, sondern als „kooperative Fächergruppe“ verstanden werden (Bundesminister Heinz Fassmann bei der Tagung „Ethik statt Religion“ in Salzburg im März 2020).

Entgegen einer im öffentlichen Diskurs immer wieder vorgebrachten Argumentation ist der verpflichtende Besuch eines Ethikunterrichts in dem nun vorgesehenen Modell weder als Sanktion und schon gar nicht als eine unzulässige Zwangsmaßnahme für eine – in der Tat nicht bestehende – „Religionspflicht“ zu verstehen. Das Nichtvorhandensein eines Alternativfaches Ethik neben dem Religionsunterricht ist vielmehr als eine defiziente Rechtslage zu qualifizieren. Diese bringt für die davon betroffenen Schüler und Schülerinnen Defizite an Wissens- und Wertevermittlung, Orientierungshilfen sowie Reflexionsimpulsen mit sich, was angesichts äußerst komplexer ethisch wie rechtlich kaum mehr bewältigbarer Problemstellungen besonders gravierend ist.

Es muss jedoch betont werden, dass damit keineswegs nur der Staat „in die Pflicht“ zu nehmen ist. Vielmehr gehen damit auch Anforderungen an die Religionsgemeinschaften einher. Dies bedeutet insbesondere, dass sich der konfessionelle Religionsunterricht nicht auf Katechese fokussieren darf, ein Unterricht in dogmatischer oder fundamentalistischer Verengung, in Form von Indoktrinierung oder „ideologisierender Vereinnahmung“ darf keinen Platz im öffentlichen Schulsystem haben. Zu der Persönlichkeitsentwicklung in einer pluralistischen Gesellschaft gehört essentiell auch die Auseinandersetzung mit der religiös-weltanschaulichen Dimension, die nur in einem Gegenüber von Binnen- und Außenperspektive gelingen kann.

Es sollten daher auch einige Begleitmaßnahmen ins Auge gefasst werden. Dazu gehören die Förderung von Kooperationen, nicht nur zwischen den Religionen, sondern gerade auch zwischen Religions- und Ethikunterricht im Sinn schulstufenadäquater Integrationsmodelle. Dies unter Ausschöpfung sämtlicher schulrechtlichen und curricularen Möglichkeiten, mit entsprechenden Differenzierungen hinsichtlich Schultyp, Schulstufe, Standort, modulartigen Lehrplänen udgl.

Des Weiteren könnte die einschlägige – die Kirche stärker in die Pflicht nehmende – Formulierung des Schulvertrags mit der Katholischen Kirche (Art. I, § 5, Abs. 2) in das Religionsunterrichtsgesetz übernommen werden, wonach die Lehrbücher und Lehrmittel der staatsbürgerlichen Erziehung förderlich zu sein haben, und nicht nur nicht im Widerspruch zu dieser stehen dürfen. Dies könnte auch mit einer verstärkten Zusammenarbeit mit dem Staat bei der Qualitätssicherung von Büchern und Materialien im Religionsunterricht verbunden sein.

 

Em. Univ.-Prof. Dr. Richard Potz

Hon.-Prof. Dr. Brigitte Schinkele

Univ. Prof. DDr. Herbert Kalb (Institut für Kanonistik, Europäische Rechtsgeschichte und Religionsrecht an der Johannes Kepler-Universität Linz