Eingebracht von: Schmidhuber, Friedrich
Eingebracht am: 31.03.2021
Sehr geehrte Damen und Herren!
Als langjähriger Mitarbeiter in der Verkehrssicherheitsarbeit hat man Eindruck, dass mit den beabsichtigten Änderungen von FSG und StVO eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern von marginaler Größe – der man sich unbestritten annehmen muss - als Feigenblatt verwendet wird, um in der Öffentlichkeit Aktivität auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit zu vermitteln.
Allein schon der Begriff „Raser“ ist nicht geeignet sachlich und zielführend auf das Problem der schlechten Geschwindigkeitsdisziplin auf Österreichs Straßen zu reagieren. Wer ist ein „Raser“?
Ist jemand, der mit 90 km/h am Tachometer durch ein Ortsgebiet (50 km/h) fährt kein „Raser“, weil er nach Anwendung der vorgesehenen Toleranzen noch mit einer Anonymverfügung davon kommt?
Die bloße Anhebung von Strafbeträgen, Entzugszeiten udgl. ist in die Kategorie „more of the same“ einzuordnen. Es werden damit jene Maßnahmen verstärkt, die sich schon bisher als wenig zielführend erwiesen haben, ich ersuche daher folgende Vorschläge zu überdenken:
Toleranzgrenzen absenken
Es wird immer wieder die Schweiz als Vorbild für Verkehrssicherheit genannt und da vor allem die hohen Strafbeträge sowie die langen Führerscheinentzüge. In der öffentlichen Diskussion wird jedoch geflissentlich übersehen, dass in der Schweiz bei einer verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h auch 50 km/h gemeint sind. Das heißt, dass zusätzlich zur eichamtlich einzurechnenden Fehlergrenze von +/- 5 km/h bei Radarmessungen bzw. +/- 3 km/h bei Lasermessungen keine weiteren nennenswerten „Toleranzwerte“ zur Anwendung kommen. In Österreich ist man in dieser Beziehung sehr „großzügig“ und gibt in vielen Fällen noch bis zu 10 km/h dazu. In der Folge heißt das, dass jemand, der mit einer Anzeige von nahezu 70 km/h auf dem Tachometer in einer 50er Beschränkung unter Umständen keine Bestrafung zu befürchten hat. Das heißt aber auch, dass tatsächlich stattfindende Geschwindigkeitsüberwachung nicht wahrgenommen wird und damit wirkungslos ist! Das führt wiederum zu der skurrilen Situation, dass von verkehrsgeplagten Anrainern die Verordnung einer 30 km/h Beschränkung gefordert wird, damit in der Praxis wenigsten die gewünschten 50 km/h eingehalten werden.
Die Argumente von Gegnern der Absenkung von Toleranzgrenzen habe ich schon vor 30 Jahren gehört, als über die Alkoholgrenzwerte diskutiert wurde. Damals meinten auch viele, dass sich die Polizei doch zuerst um die hohen Alkoholisierungen jenseits der 2 Promille kümmern solle, bevor man die Gastronomie zu Grunde richte, weil man nicht einmal mehr ein Glas Wein zum Essen trinken könne, wenn die 0,5 Promillegrenze eingeführt würde.
Die Erfahrung hat uns eines Besseren belehrt.
Die Grenzwertsenkung in Verbindung mit intensiver Überwachung hat eine Bewusstseinsänderung bei den Verkehrsteilnehmern bewirkt (Besoffen Autofahren ist nicht sexy!) und die Anzahl der Verkehrsunfälle mit alkoholisierten Lenkern wurde auf Dauer wesentlich vermindert.
Während im Jahr 1989 bei 3.227 Unfällen mit Personenschaden (UPS) Alkohol (Grenzwert 0,8 und mehr Promille) im Spiel war, sank diese Zahl im Jahr 1998 (Absenkung des Grenzwertes auf 0,5 Promille) auf 2.217. Und obwohl in den folgenden Jahren wieder ein leichter Anstieg der Alkoholunfälle zu verzeichnen war, lag der Wert im Jahr 2019 bei 2.536 UPS mit Alkoholbeteiligung, also noch immer um 691 oder ca. 21 % niedriger als 1989 und das obwohl nunmehr auch Lenker mit einem Blutalkoholgehalt schon ab 0,5 Promille als alkoholisiert gezählt werden.
Untrennbar mit der Absenkung der Toleranzgrenzen ist das Thema „Anhalteweg“ verbunden. Viele Autofahrer, die „geringe“ Tempoüberschreitungen bagatellisieren, negieren die Konsequenz der Physik und die Physik kennt keine Toleranzen – siehe dazu die Karikatur. Ein Zusammenstoß mit 48 km/h kann für ungeschützte Verkehrsteilnehmer - insbesondere Kinder und Senioren – fatale Folgen haben. Bei einem Unfall am 25. 8. 2019 mit einem betagten PKW Lenker in der Stadt Salzburg kam ein 5jähriges Mädchen zu Tode und eine 45jährige Ärztin erlitt schwere Verletzungen. Der Unfallsachverständige berechnete die Anprallgeschwindigkeit auf mindestens 26 km/h!
Anonymverfügung
Mit der Anonymverfügung (1991) wurde – wenn man es zynisch formulieren will – eine „Schnellfahrersteuer“ eingeführt. Jede/r der/die es sich leisten will und kann, wird bei Geschwindigkeitsübertretungen unter bestimmten Voraussetzungen (idR. automationsunterstützte Feststellung) nicht persönlich zur Verantwortung gezogen, wenn sie/er einen kleinen Obolus (Strafbetrag der Anonymverfügung) an den Staat entrichtet. So kommt es vor, dass einzelne Zulassungsbesitzer*innen mit ihren Fahrzeugen von Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen 30 Mal und öfter pro Jahr mit Tempoüberschreitungen gemessen werden, ohne dass jemals die/der Lenker*in bekanntgegeben werden muss. Es versteht sich von selbst, dass unter solchen Voraussetzungen eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten ist.
Aktuell werden Anonymverfügungen bei Geschwindigkeitsübertretungen im Ausmaß von bis zu 30 km/h angewendet. Das ist in einer 30er Beschränkung eine Überschreitung von 100 % und im Ortsgebiet bei erlaubten 50 km/h immerhin noch um 60 %!
Die Anonymverfügung ist daher ein Instrument zur Verwaltung von Geschwindigkeitsübertretungen, verfehlt aber ihre Wirkung für eine Verhaltensänderung der Betroffenen.
Vormerksystem
Österreich ist eines der wenigen Länder in dem Geschwindigkeitsübertretungen nicht im Vormerksystem verankert sind. Der Vorteil dieses Systems ist, dass bei geringfügigen Verstößen (zB. bei Überschreitungen ab 20 km/h) mit einer Vormerkung zusätzlich zur Geldstrafe der „gelbe-Karte-Effekt“ eine Verhaltensänderung unterstützt. Ziel der Verkehrsüberwachung soll doch nicht sein, möglichst viele Lenkberechtigungen zu entziehen, sondern den pädagogischen Effekt der Verwarnung zu nutzen, um das Bewusstsein der Gefährlichkeit zu schärfen und eine Verhaltensänderung zu bewirken. Des Effizienz des Systems war schon im früheren BMVIT bekannt. Das zeigt ein Passus im „Verkehrssicherheitsprogramm des Bundes 2011 – 2020“, 2. Auflage, Stand: 2016 auf Seite 59 im Kapitel 3.3.2 Hochrisikolenker*innen.
Führerscheinabnahme an Ort und Stelle
Die Erfahrung zeigt, dass von der Führerscheinabnahme an Ort und Stelle unmittelbar nach der Übertretung eine starke pädagogische Wirkung ausgeht. Nach der aktuellen Rechtslage „können“ Straßenaufsichtsorgane bei eklatanten Geschwindigkeitsübertretungen den Führerschein vor Ort abnehmen. Mit dieser Formulierung im § 39 Abs 1 FSG liegt die Verantwortung für diese einschneidende, aber stark erzieherisch wirkende Maßnahme, beim Exekutivorgan. Bei Beeinträchtigung durch Alkohol- oder Suchtmittelgenuss „haben“ die Organe gemäß derselben Norm, weiter oben im Text, den Führerschein an Ort und Stelle abzunehmen. Diese Rechtslage ist insofern unbefriedigend, weil einerseits laut Rechtsprechung des VwGh vom einschreitenden Organ bei Tempoüberschreitungen eine „Prognose“ über das weitere Verhalten des/der betreffenden Lenkers*in zu erstellen ist und nur im Falle der begründeten Annahme, dass weiterhin hohe Geschwindigkeitsübertretungen begangen werden, der Führerschein abgenommen werden kann. Diese Rechtsprechung führt dazu, dass die einschreitenden Beamt*innen nur in wenigen Fällen diese Maßnahme ergreifen, weil sie für den Fall, dass sie falsche Prognosen erstellen, Amtshaftungsklagen zu befürchten haben. Somit ergibt sich für die betroffenen Lenker*innen – zumindest für jene die es sich leisten können – die Möglichkeit im Instanzenzug der Verwaltung die Führerscheinabnahme durch ausgeklügelte rechtsfreundliche Beratung zu verzögern, wenn nicht sogar abzuwenden. Es gibt Fälle von extremen Übertretungen, bei welchen auch nach vielen Monaten noch kein Führerscheinentzug ausgesprochen wurde.
Teilnahme an illegalen Straßenrennen
Bei diesem Punkt stellt sich die Frage der Definition. Wann sind die Voraussetzungen eines „illegalen Straßenrennens“ erfüllt? Welche Beweise sind erforderlich? Wie können diese gesichert und den Behörden vorgelegt werden? Genügen Zeugenaussagen, braucht es einen Videobeweis?
KFZ Beschlagnahme
Diese bisher nur angekündigte Maßnahme für exzessive Geschwindigkeitsübertretungen halte ich für äußerst wirksam, so sie rechtlich wasserdicht formuliert und die Beschlagnahme bzw. Stilllegung an Ort und Stelle auszusprechen ist. Wenn auch in diesen Fällen die Beschlagnahme erst nach rechtskräftigem Abschluss von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren schlagend wird, ist keine allzu große Wirkung dieser Maßnahme auf die Verkehrssicherheit zu erwarten – siehe dazu die Ausführungen oben zur Führerscheinabnahme an Ort und Stelle.
Zusammenfassung:
Um eine Verhaltensänderung und damit eine spürbare Verbesserung der Verkehrssicherheit zu erreichen, ist in Bezug auf die Geschwindigkeitsdisziplin der Verkehrsteilnehmer ein Paradigmenwechsel notwendig, wie er beim Lenken unter Alkoholbeeinträchtigung gelungen ist und das nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei Politikern, Behördenorganen und Medien.
Ich befürchte, dass die aktuell beabsichtigten Maßnahmen das notwendige Problembewusstsein nicht bewirken. Man geht vielmehr wieder in „Trippelschritten“ voran und dreht an wenigen Schrauben, anstatt die seit Jahren, ja zum Teil seit Jahrzehnten diskutierten und längst überfälligen Maßnahmen (Verkehrssicherheitsprogramm aus 2011 !) endlich umzusetzen, die in anderen europäischen Staaten längst bewährte Praxis sind.
Zu meiner Person:
Ich bin seit 1987 als leitender Exekutivbeamter (seit 1995 als Abteilungsleiter) in der Landesverkehrsabteilung Salzburg tätig.