V-15 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Beratungen des Ständigen Unterausschusses des
Hauptausschusses in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Mittwoch, 14. September 2022
Beratungen des Ständigen Unterausschusses des
Hauptausschusses in Angelegenheiten der
Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XXVII. Gesetzgebungsperiode
Mittwoch, 14. September 2022
1.) COM(2020) 152
final
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den
Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der
Geschlechter 2020-2025
(15036/EU XXVII.GP)
2.) COM(2020) 620
final
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat
Eine Union der Gleichheit: Strategischer Rahmen der EU zur Gleichstellung,
Inklusion und
Teilhabe der Roma
(35921/EU XXVII.GP)
3.) COM(2020) 758
final
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den
Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021-2027
(41197/EU XXVII.GP)
Umfassende EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter
Die im März 2020 vorgelegte Strategie der Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025 enthält konkrete politische Ziele für die nächsten Jahre und schlägt zugleich Maßnahmen zu deren Umsetzung vor. Im Fokus stehen dabei die Entfaltung in einer geschlechtergerechten Wirtschaft, die gleichberechtigte Führungsverantwortung in der Gesellschaft, die Berücksichtigung von Gender Mainstreaming vor allem im EU-Haushalt sowie die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau weltweit. Seitens der Kommission wurden diesbezüglich bereits einige Richtlinien-Vorschläge wie etwa zur Bekämpfung häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie zur Lohntransparenz vorgelegt.
Durch die Erhöhung des Frauenbudgets in Österreich habe es große Fortschritte im Bereich Gewaltschutz gegeben, führte Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) aus. Sehr positiv sei auch die diesbezügliche Entwicklung in den Bundesländern. Was den Ausbau der Kinderbetreuungsangebote angeht, so könne man sich ein Beispiel an Tirol nehmen, das einen Rechtsanspruch ab dem Alter von zwei Jahren eingeführt habe. Auch in Niederösterreich werde ein ähnlicher Weg eingeschlagen, stellte Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) fest; teilweise würde es aber an Personalengpässen scheitern. Ihre Fraktionskollegin Gertraud Salzmann erkundigte sich nach Maßnahmen für die Entlastung von unteren Einkommensbezieher:innen sowie vor allem Alleinerzieher:innen. Wichtig sei es, mehr Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern, weil damit auch höhere Gehälter verbunden seien.
SPÖ-Abgeordnete Eva Maria Holzleitner wollte von der Frauenministerin wissen, ob sie die Unterzeichnung der Istanbul Konvention, die ein ganz wichtiges Dokument darstelle, aktiv bewerbe. Laut einem Gutachten sei es möglich, dass die EU der Konvention auch dann beitreten könne, wenn nicht alle Mitgliedstaaten unterzeichnet haben. Mehr Anstrengungen wünschte sie sich auch in den Fragen Frauen in Entscheidungspositionen (Stichwort: mehr weibliche Bürgermeisterinnen) sowie in Sachen Lohntransparenz. Außerdem trat sie im Sinne der Kinderrechte-Konvention dafür ein, dass Ehen erst ab 18 Jahren geschlossen werden dürfen. Katharina Kucharowits (SPÖ) merkte an, dass das erst vor Kurzem beschlossenen Hass im Netz-Gesetz - wie man am tragischen Selbstmord der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr sehe - offenbar nicht greife.
Femizide wissensbasiert analysieren
Die in der Mitteilung der Kommission angeführten Problembereiche wie weibliche Genitalverstümmelung, Früh- und Zwangsehen, Gewalt im Namen der Ehre etc. führte die freiheitliche Mandatarin Rosa Ecker auf sogenannte importierte Formen der Gewalt zurück. Schließlich hätten 47% der Männer, die Femizide begehen, ausländischen oder migrantischen Hintergrund.
Meri Disoski (Grüne) wiedersprach ihrer Vorrednerin, wonach es "importierte" Formen von Gewalt gegen Frauen gebe. Das Grundübel liege bewiesenermaßen in patriarchalen Machtstrukturen; dies sollten auch die Freiheitlichen endlich zur Kenntnis nehmen. Es brauche klar definierte Indikatoren und Datenerfassungsmethoden für bestimmte Formen von Gewalt, inklusive dem Frauenmord (Femizid). Gemeinsam mit der ÖVP brachte sie daher einen Antrag auf Mitteilung ein: "Bedacht auf eine EU-weite Strategie zur Bekämpfung von Frauenmorden ist es den Abgeordneten des Nationalrats ein Anliegen, dass eine EU-weit einheitliche, wissenschaftlich fundierte und konkrete Definition für Frauenmorde erarbeitet wird. Die Abgeordneten möchten die Kommission auffordern, weiterhin gemeinsam mit dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen an diesem Themenkomplex zu arbeiten und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten".
Michael Bernhard (NEOS) zollte der Regierung Anerkennung dafür, dass sie sich mit dem Thema Gewaltschutz ernsthaft befasse. Ansetzen müsste man seiner Meinung nach noch stärker im Bildungssystem und in der Familienpolitik, da es Vorbilder brauche und Rollenklischees aufgebrochen werden müssen. Es gehe ihm dabei nicht nur um eine stärkere Einbindung von Vätern in die Kinderbetreuung sowie die Entwicklung von besseren Instrumenten, sondern auch generell um die Neubewertung von Arbeit.
Raab: Erhöhung des Frauenbudgets zum Großteil für Gewaltschutz
Bundesministerin Susanne Raab sprach von einer sehr umfassenden und breiten Strategie, die sich an alle Ressorts richte. Ganz oben auf ihrer Agenda stehe die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Sie sei daher sehr froh darüber, dass es gelungen sei, das Frauenbudget um 80% zu erhöhen, wobei etwa zusätzlich 8,5 Mio. € für den Ausbau der Gewaltschutzeinrichtungen bereitgestellt wurden. Weitere Mittel fließen in die Familienberatungsstellen, in die Kinderschutzzentren sowie in spezielle Projekte in diesem Bereich. Im Rahmen einer Studie sollen zudem die in den letzten zehn Jahren verübten Femizide genauer untersucht werden, um faktenbasiert weitere Schritte dagegen zu setzen.
Was das Thema Genitalverstümmelung angeht, so gebe es seit Oktober 2021 eine Koordinierungsstelle, die unter Einbeziehung der betroffenen Communities zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung beitrage. Ein Schwerpunkt liege weiters auf dem Thema Hass im Netz, das ihr persönlich sehr wichtig sei, betonte Raab. Sie glaube, dass das von der Regierung geschnürte Maßnahmenpaket "sehr stark" sei. Im Konkreten sprach sie Schulungen gegen Cybergewalt in Paarbeziehungen ein, die unter anderem in Gewaltschutzzentren angeboten werden. Wichtig sei aber auch eine intensive Zusammenarbeit mit dem Justiz-, Innen- und Sozialressort. In ihrem Gesprächen mit ausländischen Kolleg:innen werde sie auch immer wieder darauf angesprochen, dass Österreich als erstes Land ein Gewaltschutzgesetz verabschiedet habe.
Raab stimmte mit Holzleitner überein, dass die Istanbul-Konvention ein wichtiges Abkommen darstelle, das weiter vorangetrieben werden müsse. Sie schloss sich auch der Meinung der SPÖ-Mandatarin an, wonach das Ehefähigkeitsalter angehoben werden soll. Damit es in Zukunft mehr weibliche Bürgermeisterinnen gibt, habe man gemeinsam mit dem Gemeindebund das Projekt "girls in politics" geplant, das 6- bis 18-jährigen Mädchen einen Einblick in diese Berufswelt ermöglichen soll. Auch die Attraktivierung der MINT-Fächer für Mädchen war ihr immer ein Anliegen, da die Innovationskraft von Frauen noch viel besser genutzt werden müsse. Raab verteidigte zudem die sogenannte Kinderbetreuungs-Milliarde, die "kein Trick sei". Alle Bundesländer seien mit dieser Budgetierung höchst zufrieden. Schließlich informierte die Ministerin noch über die finanzielle Unterstützung von Frauen mit niedrigeren Einkommen, die vom Klimabonus bis zur Sonderfamilienbeihilfe reichen würden. Erst heute habe man im Ministerrat die Abschaffung der kalten Progression sowie die Valorisierung zahlreicher Sozialleistungen beschlossen.
Strategischer Rahmen für Teilhabe der Roma
Seit Jahrhunderten haben die Roma zum kulturellen Reichtum, zur Vielfalt, zur Wirtschaft und zur gemeinsamen Geschichte Europas beigetragen, heißt es in der Mitteilung der Kommission. Die EU habe die Pflicht, ihre Roma-Minderheit vor Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung zu schützen, weshalb die Kommission im Oktober 2020 den neuen strategischen Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma bis 2030 präsentiert hat. Das Vorhaben zielt weiterhin auf eine sozioökonomische Inklusion der Roma in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheits- und Sozialdienste sowie Wohnraum und grundlegende Dienste ab. Neu hinzugekommen sind Ziele in den Bereichen Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe. Im Konkreten geht es um etwa um die Bekämpfung von Diskriminierung durch Förderung der Gleichstellung, die Anerkennung von Antiziganismus als spezifische Form eines gegen Roma gerichteten Rassismus, sowie die verstärkte Förderung der Teilhabe von Roma durch Empowerment.
Österreich nehme innerhalb der EU-Staaten eine Vorreiterrolle in der Integration der Roma ein, betonte Integrationsministerin Susanne Raab im Ausschuss. Die im April 2021 beschlossene Fortschreibung der nationalen Roma-Strategie enthalte bereits alle Schwerpunkte samt Zielformulierungen der EU-Strategie. Zudem werde diese aktuell von der Universität Wien unter Einbindung von Angehörigen der Roma evaluiert. Die Ergebnisse würden einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung der nationalen Strategie leisten, zeigte sich Raab überzeugt. In Einklang mit den Empfehlungen des EU-Roma-Rahmens 2030 werde Österreich ab 2023 außerdem alle zwei Jahre über den Fortschritt bei der Umsetzung der nationalen Roma-Strategie berichten.
Auf die Frage Georg Strassers (ÖVP), in wie weit die Roma in Österreich von der Erhöhung der Volksgruppenförderungen profitiert hätten, gab Raab an, dass es 2021 zu einer Aufstockung von über 500.000 € gekommen sei. Gegenüber Eva Maria Holzleitner (SPÖ) verwies die Integrationsministerin etwa auf Sensibilisierungs- und Aufklärungsworkshops zur Verbesserung des Bildes der Roma in Österreich. Für Michel Reimon (Grüne) geht die EU-Strategie nicht weit genug, da diese auf Freiwilligkeit der Mitgliedsstaaten basiere. Der Grünen-Mandatar forderte gesetzliche Gleichstellungsregelungen um die Diskriminierung zu bekämpfen.
EU-Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021-2027
Zudem diskutierten die Abgeordneten den von der EU-Kommission vorgelegten Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021- 2027. Der Aktionsplan will die Inklusion aller Menschen fördern und soll die Hindernisse beseitigen, welche die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund – von Neuankömmlingen bis hin zu EU-Bürgerinnen und -Bürgern – an der europäischen Gesellschaft behindern können. Dabei hat die EU-Kommission vier Bereiche formuliert, in denen die dafür zuständigen Mitgliedsstaaten unterstützt werden sollen. Mit EU-Mitteln soll eine inklusive allgemeine und berufliche Ausbildung – mit Schwerpunkt auf einer einfacheren Anerkennung von Qualifikationen und dem fortdauernden Erlernen der Sprache forciert werden. Zudem soll es zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten und der Anerkennung von Qualifikationen kommen, um den Beitrag von Migranten-Communitys – insbesondere von Frauen – zu würdigen. Weitere Aspekte sind die Förderung des Zugangs zu Gesundheitsdiensten sowie der Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum für Menschen mit Migrationshintergrund.
Von österreichischer Seite wird das EU-Engagement im Bereich Integration, insbesondere in Hinblick auf den Ausbau der Kooperation sowie in Bezug auf europäische Förderinstrumente begrüßt. Der Leitgedanke des Aktionsplans, dass Integration die aktive Teilnahme von Menschen mit Migrationshintergrund sowie auch von der aufnehmenden Gemeinschaft erfordere, werde seit Jahren als Grundsatz der österreichischen Integrationspolitik umgesetzt, erklärte die Bundesministerin im Ausschuss.
Von Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP), Katharina Kucharowits (SPÖ) und Faika El-Nagashi (Grüne) auf konkrete Maßnahmen zur Integration von Frauen und Mädchen angesprochen, verwies Raab etwa auf die Einrichtung von Beratungsformaten des Österreichischen Integrationsfonds, auf die Eröffnung eines Frauenzentrums sowie auf Maßnahmen zur Gewaltprävention. Es gelte jedoch, vor allem im Bereich der Bekämpfung von Diskriminierung und Ausgrenzung weitere Schritte zu setzen und die Synergien zwischen der EU und Österreich zu nutzen.
Edith Mühlberghuber (FPÖ) konnte in dem EU-Aktionsplan keine Lösungsansätze zu "illegaler Massenmigration" sowie zur Bekämpfung des politischen Islams erkennen. Die Strategie sei für die Integration von sich legal in der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen da und nicht etwa für Asylwerber:innen angedacht, erwiderte die Ministerin. Für Michael Bernhard (NEOS) stehen die in Österreich eingerichteten Deutschförderklasse im Widerspruch zu dem von der EU formulierten Ziel der multikulturellen Mehrsprachigkeit. Das sah Raab anders. Die Basis für eine erfolgreiche Integration sei es, gut Deutsch zu sprechen. Die "Bildungssprache Deutsch" müsse für alle zugänglich sein, so die Integrationsministerin.
Folgender Antrag auf Stellungnahme von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS wurde einstimmig angenommen:
Antrag auf Stellungnahme
gemäß Art. 23e B-VG
der Abgeordneten Elisabeth Pfurtscheller, Dipl.-Kffr. (FH), Eva Maria Holzleitner, BSc Mag.a Meri Disoski, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen
zu TOP 1: COM (2020) 152 final Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen/Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025 (015036/EU XXVII.GP)
eingebracht in der Sitzung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union am 14.09.2022
Die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter ist die praktische Umsetzung der Verpflichtung der Kommission Von der Leyen für die Verwirklichung einer Union der Gleichheit.
In der Strategie werden politische Ziele und Maßnahmen dargelegt, wie bis 2025 messbare Fortschritte auf dem Weg zu einem Europa der Gleichstellung erzielt werden können. Als eines der wichtigsten Ziele wird die Beendigung von geschlechterbezogener Gewalt genannt. Die Europäische Kommission hat vor diesem Hintergrund bereits konkrete Maßnahmen gesetzt und am 8. März 2022, am Weltfrauentag, EU-weite Vorschriften zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgestellt.
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind Strafbestände, Menschenrechtsverletzungen und Formen der Diskriminierung. Laut Europäischer Kommission ist Gewalt gegen Frauen unionsweit verbreitet und betrifft schätzungsweise ein Drittel der Frauen in der Union. Die Europäische Kommission führt aus, dass gemäß den jüngsten Daten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zufolge durchschnittlich jede dritte Frau in der EU seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexualisierte Gewalt erfahren hat, wobei die Werte je nach Mitgliedstaat zwischen 10% und 50% liegen. Aus derselben Umfrage geht hervor, dass jede zwanzigste Frau Opfer von Vergewaltigung geworden ist. In der Regel sind Vergewaltigung und sexualisierte Übergriffe gegen Frauen und Mädchen gerichtet. Laut Eurostat machen Frauen und Mädchen mehr als 90 % der Opfer von Vergewaltigung und mehr als 80 % der Opfer sexualisierter Übergriffe aus.[1] Cybergewalt ist ebenso verbreitet und ein zunehmendes Problem. Eine Umfrage der World Wide Web Foundation im Jahr 2020 ergab, dass jeder zweiten jungen Frau geschlechtsspezifische Cybergewalt widerfahren war[2]. Dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen zufolge zögern 51% der jungen Frauen, an Online-Debatten teilzunehmen, weil sie im Internet belästigt wurden. Dieses Phänomen betrifft auch Frauen, die öffentlich in Erscheinung treten, unverhältnismäßig stark. So berichteten beispielsweise in einer Umfrage von 2018 46,5 % der weiblichen Abgeordneten über Morddrohungen oder die Androhung von Vergewaltigung oder Gewalt gegen sich selbst oder ihre Familienangehörigen, die sie meist online erhalten hatten.[3]
Die genannten Daten der Europäischen Kommission machen klar, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Mit der Richtlinie werden Vergewaltigung auf der Grundlage fehlender Einwilligung, Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen sowie Cyber-Gewalt unter Strafe stellt. Des Weiteren sollte ein enger Austausch, inklusive der Möglichkeit des Datenaustausches, zwischen Opferschutzorganisationen und Täterarbeitsorganisationen dabei forciert werden. Durch gezielte Täterarbeit soll eine Gewaltrückfälligkeit verhindert werden, wodurch Frauen wiederholt oder weitere Frauen von Gewalt betroffen würden. Individuelle und gezielte Unterstützung von Betroffenen von Gewalt ist für die Aufarbeitung von erlebten Traumata essentiell. Das Institut für Geschlechtergleichheit unterstreicht, dass Untätigkeit gegenüber geschlechterbasierter Gewalt teuer ist und der EU 366 Milliarden Euro pro Jahr kostet[4]. Der größte Teil der Kosten entsteht durch physische und psychische Auswirkungen auf Betroffene (56 %), gefolgt von Strafverfolgungsmaßnahmen (21 %) und entgangener Wirtschaftsleistung (14 %). Neben physischer, psychischer und sexueller Gewalt muss ökonomische Gewalt ebenfalls als unterdrückender Gewaltbegriff anerkannt werden: Unterhaltpflichtige Elternteile, die sich weigern, für den Unterhalt aufzukommen, drängen Kinder und das Elternteil, bei denen das Kind lebt, in teilweise extrem prekäre ökonomische Situationen.
Mit dem Übereinkommen von Istanbul gibt es bereits einen internationalen Rahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt, allerdings haben sowohl einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie auch die Europäische Union selbst das Übereinkommen von Istanbul bislang nicht ratifiziert. Dies obwohl der Europäische Gerichtshof im Oktober 2021 geurteilt hat, dass die EU auch Mitglied werden könne, wenn nicht jeder einzelne Mitgliedsstaat die Konvention ratifiziert habe. Umso wichtiger wäre es, dass die Richtlinie gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt rasch verhandelt wird, damit zumindest Mindeststandards für die EU-Mitgliedstaaten innerhalb der Zuständigkeitsbereiche der EU festgelegt werden können, insbesondere für jene Länder, die der Istanbul Konvention noch nicht beigetreten sind.
Die unterzeichneten Abgeordneten plädieren für eine rasche Verhandlung der Gewaltschutz Richtlinie und ein starkes und bestimmtes Engagement für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene und stellen damit folgerichtig folgendenAntrag auf Stellungnahme gemäß Art 23e B-VG
„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz und die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt, werden ersucht, sich für einen möglichst raschen Abschluss der Verhandlungen der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt einzusetzen, der einen tatsächlichen Mehrwert im Sinne der Gewaltprävention und des Opferschutzes bedeutet.
Weiters wird die gesamte Bundesregierung aufgefordert, sich innerhalb der Europäischen Union für einen Beitritt der Europäischen Union zur Istanbul Konvention durch umgehende Ratifizierung einzusetzen“.
Folgender Antrag auf Mitteilung von ÖVP und Grünen wurde einstimmig angenommen:
ANTRAG AUF MITTEILUNG
gemäß Art. 23f Abs. 4 B-VG
An die Europäische Kommission, den Rat und das Europäische Parlament
der Abgeordneten Meri Disoski, Elisabeth Pfurtscheller, Kolleginnen und Kollegen
zu TOP 1: COM (2020) 152 final Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen/Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025 (015036/EU XXVII.GP)
eingebracht in der Sitzung des EU-Unterausschusses am 14.09.2022
Der EU-Unterausschuss des Nationalrates wolle beschließen:
Die österreichische Bundesregierung hat es sich in ihrem Regierungsabkommen zu einer ihrer ressortübergreifenden Kernaufgaben gemacht, Gewalt an Frauen und Mädchen sowie häusliche Gewalt durchgreifend zu bekämpfen. Ziel ist eine größtmögliche Reduktion von geschlechtsspezifischer Gewalt in all ihren Erscheinungs- und Intensitätsformen.
Die Österreichische Bundesregierung setzt sich derzeit auch mit der bestmöglichen Erfassung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt auseinander. Um als Mitgliedstaat – aber auch grenzübergreifend als gesamte EU – datenbasiert und somit fundiert gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgehen zu können, bedarf es klar definierter Indikatoren, Datenerfassungsrahmen, und –methoden für bestimmte Formen von Gewalt, inklusive dem Frauenmord (Femizid). In Österreich führt das Fehlen solch einer Definition zu unterschiedlichen Zählweisen einzelner Institutionen und divergierenden Fallzahlen.
Die diesbezügliche Relevanz bei Gewalt gegen Frauen wurde bereits von der Europäischen Kommission im Entwurf zur Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (COM/2022/105) festgehalten. So werden in der Begründung des Vorschlags unter anderen folgende Notwendigkeiten hervorgehoben[5]:
- die Bedeutung klarer Definitionen und Ansätze ohne geschlechtsspezifische Voreingenommenheit, um über die Formen dieser Art von Gewalt aufzuklären, die nach wie vor unsichtbar sind, zu wenig gemeldet und zu wenig erfasst werden,
- der Bedarf an Kapazitätsaufbau und Fortbildung für nationale Datenanbietern,
- die Bedeutung der Datenerhebung, um das Risiko einer wiederholten Viktimisierung genau einzuschätzen und bessere vorbeugende Maßnahmen zu entwickeln.
Bedacht auf eine EU-weite Strategie zur Bekämpfung von Frauenmorden ist es den Abgeordneten des Österreichischen Nationalrats ein Anliegen, dass eine EU-weit einheitliche, wissenschaftlich fundierte und konkrete Definition für Frauenmorde erarbeitet wird. Die Abgeordneten möchten die Kommission auffordern, weiterhin gemeinsam mit dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen an diesem Themenkomplex zu arbeiten und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.
[1] Violent sexual crimes recorded in the EU - Products Eurostat News - Eurostat (europa.eu); aufgerufen am 03.05.2022
[2] WF_WAGGGS-Survey-1-pager-1.pdf (webfoundation.org); aufgerufen am 03.05.2022
[3] Sexism, harassment and violence against women in parliaments in Europe | Inter-Parliamentary Union (ipu.org); aufgerufen am 03.05.2022
[4] https://eige.europa.eu/news/gender-based-violence-costs-eu-eu366-billion-year