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beratungen des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union

V-7 der Beilagen zu den stenografischen protokollen
des nationalrates XXVII. GP


Auszugsweise Darstellung

Donnerstag 18. März 2021

 

 


Beratungen des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses
in Angelegenheiten der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

Donnerstag 18. März 2021

 

 

Tagesordnung

1.)  COM(2020) 795 final

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Eine EU-Agenda für Terrorismusbekämpfung: antizipieren, verhindern, schützen und reagieren

(46468/EU XXVII.GP)

 

2.)  COM(2020) 796 final

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/794 in Bezug auf die Zusammenarbeit von Europol mit privaten Parteien, die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Europol zur Unterstützung strafrechtlicher Ermittlungen und die Rolle von Europol in Forschung und Innovation

(49029/EU XXVII.GP)

 

3.)  COM(2020) 610 final

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Asyl- und Migrationsmanagement und zur Änderung der Richtlinie (EG) 2003/109 des Rates und der vorgeschlagenen Verordnung (EU) XXX/XXX [Asyl- und Migrationsfonds] (Text von Bedeutung für den EWR)

(37693/EU XXVII.GP)

 

4.)  COM(2020) 613 final

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl (Text von Bedeutung für den EWR)

(36925/EU XXVII.GP)

 

5.)  COM(2020) 611 final

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU

(37638/EU XXVII.GP)


 

Terrorismusbekämpfung

Der europäische Rahmen zur Terrorismusbekämpfung soll strategisch verbessert und ausgebaut werden. Die EU-Agenda soll laut der entsprechenden Kommissionsmitteilung auf vier Säulen - Antizipation, Prävention, Schutz und Reaktion – gestellt werden und unter anderem Maßnahmen zur Sicherheitsforschung, zur Stärkung des Austauschs zwischen den Ländern und der Resilienz kritischer Infrastruktur beinhalten. Österreich wertet dies positiv, insbesondere den Informationsaustausch mit relevanten Drittstaaten über Europol. Die angestrebte internationale Zusammenarbeit mit der Westbalkan-Region sei für den Bereich Radikalisierungsprävention, die Unterbindung von Terrorismusfinanzierung und die Bekämpfung von illegaler Verbreitung von Schusswaffen maßgeblich.

Innenminister Karl Nehammer betonte, dass es bei diesem ernsthaften Thema intensive Zusammenarbeit auf europäischer Ebene gebe, von der auch Österreich im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Wien profitiert habe. Es gebe mehrere Initiativen für eine stärkere Vernetzung. Österreich habe insbesondere beim Kampf gegen Extremismus eine Vorreiterrolle übernommen.

Martin Engelberg (ÖVP) bezeichnete es als wichtig, dass das Thema Terrorismusbekämpfung auf EU-Ebene in Angriff genommen werde, zumal es eine der zentralen Herausforderungen für die Europäische Union sei. Der gewählte Ansatz sei mit den vier Säulen "antizipieren, verhindern, schützen und regieren" holistisch, so Engelberg. Auch Nehammer zufolge handle es sich um ein umfassendes Paket. Auf die Frage von Karl Mahrer (ÖVP) nach der Kooperation mit Drittstaaten führte der Innenminister ein Abkommen mit Tunesien für die Ausbildung von GrenzschutzpolizistInnen als sehr relevant an.

Agnes Sirkka Prammer (Grüne) strich das Management von Wissen als wesentlichen Teil der Bekämpfung von Terrorismus heraus und begrüßte vor diesem Hintergrund das in der EU-Agenda vorgeschlagene EU-Wissenszentrum. Auch Stephanie Krisper (NEOS) drückte Unterstützung für die EU-Agenda aus. Im Bereich der Prävention werde momentan zu wenig getan. Sie hoffe, dass im Sinne des EU-Vorschlags auch in Österreich in Zukunft mehr in Prävention investiert werde. Reinhold Einwallner (SPÖ) äußerte dieselbe Ansicht. Er unterstütze alle vier vorgesehenen Aspekte. Der Bereich der Prävention komme in Österreich auch bei den von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen aber zu kurz. Innenminister Nehammer setzte dem entgegen, dass nicht nur strafrechtliche Maßnahmen geplant seien, sondern etwa auch ein Ausbau der Deradikalisierungsprogramme. Hannes Amesbauer (FPÖ) fand den Plan der Europäischen Union grundsätzlich gut, er komme aber verspätet. Amesbauer fragte nach einer Präzisierung, was unter dem vierten Aspekt "reagieren" zu verstehen sei. In diesem Zusammenhang begrüßte der Innenminister den Vorschlag für ein Mandat für die Aushandlung eines Kooperationsabkommen der EU mit Interpol. Zudem gehe es um Maßnahmen, um die Situation von Terrorismusopfern zu verbessern.

           Europol

Zur verbesserten Kooperation überarbeitetet werden sollen einige Artikel der Europol-Verordnung, damit die Strafverfolgung - auf dem neuesten Stand der Technik - auf künftige Gefahren besser reagieren kann. Europol soll etwa eine gestaltende Rolle im Bereich Forschung und Innovation einnehmen und künftig Daten aus seinem Kompetenzbereich in das Schengener Informationssystem (SIS) eintragen können. Die Weiterentwicklung der Europol durch die Stärkung der Kernaufgaben ist aus Sicht des Innenressorts der richtige Ansatz, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. So erfordere etwa die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität die effektive Vernetzung von kriminalpolizeilichen Informationen. Auch die geplante verbesserte Zusammenarbeit mit dem Privatsektor im Rahmen datenschutzrechtlicher Standards und die Sicherstellung der Kompetenz zur Analyse großer Datenmengen ("Big Data") für die Bekämpfung von Online-Kriminalität seien wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Nehammer bezeichnete sich als "großen Fan von Europol", weil organisierte Kriminalität keine Grenzen kenne und daher nur multinational effizient bekämpft werden könne. Die Grundlage, etwa bei der Analyse von großen Datenmengen, sei immer die DSGVO, stellte er klar.

Karl Mahrer (ÖVP) wollte wissen, ob das neue Mandat auch Fortschritte im Kampf gegen internationalen Terrorismus bringen werde. Nehammer zeigte sich überzeugt, dass es hier die Kooperation mit privaten Firmen brauche, insbesondere, wenn es darum gehe, Terrorpropaganda in sozialen Netzwerken aufzuspüren. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) unterstrich, dass die Wahrung von datenschutzrechtlichen Grundsätzen und von Grundrechten in diesem Zusammenhang sehr wichtig sei.

Auch Katharina Kucharowits (SPÖ) wollte mehr über diesen Aspekt wissen und fragte nach der Gefahr einer "Generalüberwachung". Petra Steger (FPÖ) betonte ebenfalls, dass die Privatsphäre von unbescholtenen BürgerInnen gewahrt werden müsse. Nehammer betonte, dass es derzeit keine rechtliche Grundlage für das Einsehen in Nachrichten aus verschlüsselten Diensten gebe. Es handle sich hier immer um eine Abwägung des Grundrechts auf Privatsphäre mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.


 

           Asyl- und Migrationspaket

Die Europäische Kommission plant einen Neustart zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, womit etwa die Dublin-Regelung durch eine neue Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung ersetzt werden soll. Mit der Schaffung eines solchen gemeinsamen Regelwerks zur Migrationssteuerung wird das Ziel verfolgt, die Zuständigkeitsregeln für das Ersteinreisekriterium – also die Vorschriften zur Bestimmung des Landes zu straffen, das für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Zudem schlägt die Kommission einen Solidaritätsmechanismus vor, indem besonders belastete Mitgliedstaaten durch Verteilung oder die Übernahme von Rückkehrpatenschaften sowie durch andere Solidaritätsbeiträge unterstützt werden sollen, was seitens Österreichs in der vorgeschlagenen Form abgelehnt wird. Besonders der gemäß eines weiteren Verordnungsvorschlags geplante Fokus auf Umsiedlung ("Relocation") wird im Innenressort als ungeeignet wahrgenommen. Die Mitgliedstaaten sollten eher selbst über entsprechende Maßnahmen und alternative Formen der Solidarität entscheiden können, etwa durch verstärktes Engagement in den Drittstaaten.

Teil des neuen Asyl- und Migrationspakets ist ferner ein Änderungsvorschlag zur weiteren Harmonisierung der Asylverfahren und der derzeit unterschiedlichen Verfahrensregelungen in den Mitgliedstaaten. Österreich begrüßt die damit vorgesehene Stärkung des Konzepts der verpflichtenden Außengrenzverfahren, das vorgelagerte Screening-Verfahren und die stärkere Verknüpfung zwischen Asyl- und Rückkehrverfahren. Allerdings wird die Vielzahl an Ausnahmetatbeständen kritisch gesehen, die dazu führen, dass das Grenzverfahren entweder nicht zur Anwendung kommt oder jederzeit abgebrochen werden kann. Diese umfassenden Ausnahmen könnten den Mehrwert der Bestimmungen untergraben, so die Ressorteinschätzung. Generell müsse gewährleistet werden, dass die gemeinsamen Regeln eingehalten werden und den EU-Agenturen eine starke Rolle bei der Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie im Bereich Monitoring zukommt.

Österreich begrüße einige der Vorschläge, aber nicht alle, legte der Innenminister dar. Die Bekämpfung von irregulärer Migration auf den Migrationsrouten und die Hilfe vor Ort strich er als positiv heraus. Die Frage einer verpflichtenden Verteilung etwa halte er aber für nicht zweckmäßig. Weil Österreich eines der meistbelasteten Länder der EU sei, habe man intensiv Verbündete gesucht, um das Thema voranzutreiben. Die Bestrebungen der Mitgliedstaaten, sich bei den Rückführungen zu vereinen, bildeten einen wichtigen Schritt.

Der ÖVP-Abgeordnete Ernst Gödl legte ebenfalls dar, dass der geplante Pakt nicht in allen Punkten den Vorstellungen der Fraktion entspreche. Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten, der verstärkte Außengrenzschutz und die Rückkehrprogramme seien jedoch positiv. Insgesamt begrüße man die Diskussion über das Thema auf EU-Ebene ausdrücklich. Michel Reimon (Grüne) zeigte sich angesichts der sehr unterschiedlichen Positionen der einzelnen Staaten skeptisch, dass der Pakt in absehbarer Zeit geschlossen werden könne. Er erkundigte sich nach Kooperationen des Innen- mit dem Außenministerium. Diese gebe es, erläuterte Innenminister Nehammer. Das einzig sinnvolle Modell, um irreguläre Migration zu verhindern, sei es schließlich, Abkommen mit den Herkunftsstaaten und sicheren Drittstaaten zu schließen.

Hannes Amesbauer und Petra Steger (beide FPÖ) äußerten sich ablehnend zum Vorschlag. Der vorgesehene "Solidaritätsmechanismus" sei nichts anderes als eine Zwangsverteilung von illegalen MigrantInnen, so Amesbauer. Steger fand es bedauerlich, dass es um die Frage der Verteilung von Flüchtlingen gehe und nicht um die Frage der Verhinderung von illegaler Migration. Nach weiteren Kritikpunkten gefragt, führte der Innenminister den vorgesehenen Krisenmechanismus als Knackpunkt an. Es sei jedoch sehr positiv, das die Kommission bereit für Gespräche sei, so Nehammer. Steger zeigte sich anderer Hinsicht. Sie brachte einen Antrag auf Stellungnahme ein, mit dem sie den Innenminister unter anderem auffordern wollte, sich gegen den Verordnungsvorschlag auszusprechen, jeglichen Zwang zur Aufnahme von MigrantInnen abzulehnen und für die Beibehaltung der nationalen Souveränität im Asylwesen einzusetzen. Der Antrag fand keine Zustimmung der anderen Fraktionen.

In eine gänzlich andere Richtung gingen die Forderungen der SozialdemokratInnen. Die SPÖ-Abgeordnete im Europäischen Parlament Bettina Vollath sprach sich für eine dringende Reform des Systems aus. Das jetzige sei schließlich gescheitert. Sie betrachte das Konzept der sicheren Drittstaaten sehr kritisch und befürchte eine Absenkung der Anforderungen für einen solchen sicheren Staat. Zudem dürfe das Grundrecht auf ein faires Verfahren nicht unterlaufen werden. Vollath und ihre Parteikollegin Katharina Kucharowits sowie die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper thematisierten zudem die Lage der Kinder in den Flüchtlingslagern in Griechenland und forderten den Innenminister zum Handeln auf. Diese Problematik löse sich nicht, indem man einzelne Kinder aufnehme, so Nehammer. Österreich habe sofort Hilfe vor Ort geleistet, wenngleich es beim effizienten Einsatz dieser Hilfe Luft nach oben gebe. Schnellere Verfahren würden nicht per se zu einem Qualitätsverlust führen, sagte der Minister zu Vollath. Zudem sei ein starker Grenzschutz nicht das einzig Wahre. Entscheidend wäre, wenn sich die Menschen gar nicht erst auf den Weg machten. Deshalb seien Verhandlungen mit sicheren Drittstaaten so wichtig, wie Nehammer ausführte.

Kucharowits brachte zudem einen Antrag auf Stellungnahme ein. Sie wollte den Innenminister auffordern, sich auf allen Ebenen für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten und eine Evakuierung aus den sogenannten "Elendslagern" einzusetzen. Außerdem solle er die offiziellen Frontex-Untersuchungen unterstützen, um etwaige Grundrechtsverletzungen aufzuklären, und er solle Grundrechtsverletzungen an den Grenzen, wie illegale Pushbacks, verurteilen. Im Rahmen der Verhandlungen über das Asyl- und Migrationspaket solle sich der Innenminister zudem dafür einsetzen, dass ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit einheitlichen Asylverfahren entsteht. Stephanie Krisper (NEOS) äußerte sich unterstützend. Es sei wichtig, dass sich Österreich für ein solidarisches neues System nach Dublin einsetze. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit.


 

Folgender FPÖ-Antrag blieb mit den Stimmen der FPÖ in der Minderheit:

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG

 

der Abgeordneten Petra Steger, Hannes Amesbauer

und weiterer Abgeordneter

 

betreffend Punkt 3 der Tagesordnung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union COM (2020) 610 final Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Asyl- und Migrationsmanagement und zur Änderung der Richtlinie (EG) 2003/109 des Rates und der vorgeschlagenen Verordnung (EU) XXX/XXX [Asyl- und Migrationsfonds] (Text von Bedeutung für den EWR) (037693/EU XXVII.GP)

 

eingebracht in der Sitzung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union am 18. März 2021

 

Die Europäische Kommission hat mit großer Verzögerung am 23.09.2020 ihr neues Migrations- und Asylpaket (COM(2020) 609) vorgelegt. Der insgesamt zehn Dokumente umfassende Plan der Kommission stieß in Folge dessen bereits Anfang Oktober im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments auf weitgehende Bedenken zahlreicher Mitgliedsstaaten. Insbesondere, dass darin keine entschlossene Haltung gegenüber illegal Einreisenden formuliert wurde, sorgte vor dem Hintergrund der katastrophalen Migrationskrise 2015 und der Überlastung der EU-Außengrenzen für Verwunderung. Einige Abgeordnete kritisierten zudem das Fehlen der Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Einrichtung von Hotspots, um Asylanträgen außerhalb des europäischen Territoriums bearbeiten zu können. Stattdessen sind nunmehr EU-Grenzverfahren geplant, deren genaue Errichtung und Betreibung weiterhin unklar bleiben und sogar für einen noch größeren Massenandrang als bisher sorgen könnten.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Umstand, dass anstatt konsequent gegen Schlepper vorzugehen, Bootsflüchtlinge per „Search and Rescue“ (SAR) automatisch nach Europa geholt werden sollen – in Anbetracht der zahlreichen ertrunkenen Asylsuchenden und des bekannten Pull-Faktors der Seenotrettung auf europäisches Territorium eine Entscheidung mit fataler Signalwirkung.

 

In der einheitlichen Länderstellungnahme vom 7. Jänner 2021 äußerten die Länder gegenüber des Verordnungsvorschlages zum Asyl- und Migrationsmanagement schwere Bedenken hinsichtlich mehrerer Punkte: So beispielsweise zur Verpflichtung der Erstellung nationaler Strategien und der damit verbundenen Gewährleistung von „ausreichenden Kapazitäten“ (welche nicht näher definiert werden) für die Umsetzung des neuen Migrationsmanagementsystems unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität. Aus Sicht der Verhältnismäßigkeit stelle sich die Frage, „inwieweit mit dem vorgeschlagenen Asyl- und Migrationsmanagement tatsächlich eine Steuerungswirkung erreicht“ werde. Seitens der  Länder gehe man von einem „deutlichen Mehraufwand“ aus, weshalb das Unterfangen kritisch gesehen wird. Auch der in Art. 54 des Verordnungsvorschlages definierte Verteilungsschlüssel wird in der Frage der Verhältnismäßigkeit kritisiert.

 

Aus dem EU-Jahresbericht 2021 des Innenministeriums geht ebenfalls hervor, dass man mit einigen Punkten dieses Vorschlags nicht zufrieden sei, darunter der im Verordnungsvorschlag vorgeschriebene Solidaritätsmechanismus.

 

Neben diesen zahlreichen Kritikpunkten klingen weiters manche Passagen des Dokuments nahezu zynisch: So funktioniere durch innereuropäische Abstimmungsmängel die Rückführung von illegalen („irregulären“) Migranten bislang nur mangelhaft. Das hat jedoch weniger mit der angeblichen Dysfunktionalität realexistierender nationalstaatlicher Lösungen zu tun, sofern sie angewandt werden, sondern viel mehr mit der mangelnden Bereitschaft gescheiterter Asylwerber, Europa zu verlassen. Jährlich werden in der EU durchschnittlich 370.000 Asylanträge abgelehnt, doch nur ein Drittel der Abgelehnten verlassen tatsächlich die EU. Bundesminister Schallenberg führte noch am 16.03.2021 aus, dass hier der Knackpunkt des Migrationspaketes liege, da lediglich 3 von 10 abgelehnten Asylwerbern die EU tatsächlich verlassen.

 

Eine weitere Fehleinschätzung liegt in der Bewertung des Dublin-Abkommens: Dieses müsse abgeschafft und durch eine den realen Verhältnissen angepasste Regelung ersetzt werden, da es 2015 versagt habe. Doch das Dublin-System hat mitunter deshalb 2015/16 nicht gegriffen, da es nie vollständig implementiert und damit nie im vollen Maße umgesetzt wurde. In den Jahren 2015 und 2016 wurde es schließlich einfach ausgesetzt, was in einem Urteil des EuGH vom Juli 2017 nachträglich bestätigt, aber als unrechtmäßig verurteilt wurde[1]. Damit das Dublin-System funktioniert, müsste in erster Linie der Druck auf die Außengrenzen reduziert werden. Durch die geplanten Maßnahmen des Migrationspaketes wird aber durch die Vereinfachung von Einreise und Niederlassung für Migranten – es dürfen nämlich keine „Push-Back-Aktionen“ durchgeführt werden - genau das Gegenteil erzeugt. Um den Druck auf die Außengrenzen tatsächlich drastisch zu reduzieren, müsste ein illegaler Grenzübertritt die automatische Rückführung zur Folge haben.

 

Die fehlende Unterscheidung von illegal Einreisenden zu anderen Personengruppen beziehungsweise von Flüchtlingen und Migranten in den vorliegenden Dokumenten des neuen Migrationspaketes sorgt im höchsten Maß für Irritierung. Diese undifferenzierte Herangehensweise an das Grenzmanagement wird außerhalb Europas gehört werden, rasche Verbreitung erfahren und zu einem Massenandrang an den EU-Außengrenzen führen. Damit würde aber automatisch der sogenannte Krisenmechanismus des Migrationspaketes zur Anwendung kommen, womit die Fristen des Solidaritätsmechanismus‘ – genauer: der Rückkehrpatenschaften – verkürzt werden und es im Falle einer nicht durchgeführten Rückführung, illegal Aufhältige verpflichtend von den jeweiligen Mitgliedsländern aufgenommen werden müssten.

Aus diesem Grund führt sich der geplante Solidaritätsmechanismus des vorliegenden Vorschlags ad absurdum. Um diesen zu aktivieren braucht es geradezu einen „höheren Migrationsdruck“ in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten. Dieses Szenario stellt aber in der Theorie des Verordnungsvorschlages eine Ausnahmesituation dar - tatsächlich ist dies in der Realität der letzten Jahre öfter die Regel als die Ausnahme gewesen. Erst im Jahr 2020 hatte Österreich mit 14.192 Asylanträgen ein Plus von über 10% im Vergleich zum Vorjahr[2]. Wenn ein Mitgliedsland nun eine sogenannte Rückkehrpatenschaft übernimmt, ist es auf die Kooperationswilligkeit des Herkunftslandes angewiesen. Schafft der Mitgliedsstaat die Abwicklung der Rückkehr jedoch nicht innerhalb einer bestimmten (und bei größeren Migrationsdruck verkürzten) Frist, muss die illegal aufhältige Person verpflichtend übernommen werden. Dies würde logischerweise einen langfristigen, enormen Mehraufwand an Kosten bedeuten – ein Umstand, den sich Österreich nach der Coronakrise mit einem Budgetloch von über 22,5 Milliarden Euro und dem größten Wirtschaftseinbruch in der EU nicht leisten kann.

 

Trotz dieser überwältigenden Kritik an dem neuen Migrationspaket schweigt die Regierung seit dessen Veröffentlichung beharrlich.

 

Vor diesem Hintergrund stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG

 

Die Bundesregierung wird aufgefordert,

·         sich auf EU-Ebene gegen den gegenständlichen Verordnungsvorschlag zum Asyl- und Migrationsmanagement auszusprechen,

·         sich gegen jegliche Art von Zwang und Automatismen zur Aufnahme „irregulärer“ und anderer Migranten im Zuge eines sogenannten Solidaritätsmechanismus einzusetzen

·         und für die Beibehaltung der nationalen Souveränität und Zuständigkeit in Fragen des Grenzschutzes und Asyl- und Fremdenwesens einzutreten.

Darüber hinaus sollen der Bundeskanzler bzw. die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung bei den Verhandlungen über das Neue Migrations- und Asylpaket auf ein gemeinsames Vorgehen hinsichtlich

·         eines starken und lückenlosen Außengrenzschutzes,

·         einer vollständigen Implementierung und Anwendung der Dublin-III-Verordnung,

·         und der Einrichtung von Hotspots zur Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb des europäischen Territoriums

hinwirken.

 

Das gegenständliche Vorhaben ist auf die Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes gerichtet, der sich auf die Erlassung von Bundes-(verfassungs)gesetzen auf dem im Rechtsakt geregelten Gebiet auswirken würde.


 

Folgender SPÖ-Antrag blieb mit den Stimmen von SPÖ und NEOS in der Minderheit:

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG

 

der Abgeordneten Kucharowits, Einwallner

Genossinnen und Genossen,

 

zu TOP 3:COM (2020) 610 final Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Asyl- und Migrationsmanagement und zur Änderung der Richtlinie (EG) 2003/109 des Rates und der vorgeschlagenen Verordnung (EU) XXX/XXX [Asyl- und Migrationsfonds] (Text von Bedeutung für den EWR) (037693/EU XXVII.GP)

 

eingebracht in der Sitzung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union am 18.03.2021

 

Die Europäische Kommission hat am 23.09.2020 ein neues Migrations- und Asylpaket vorgestellt, welches einen Neuanfang in der europäischen Migrationspolitik darstellen soll. Das Paket gliedert sich in verschiedene legislative und nicht-legislative Vorschläge, die teilweise gänzlich neue Entwürfe und teilweise überarbeitete Entwürfe enthalten, aufbauend auf einzelnen Vorschlägen aus dem Gesetzgebungspaket für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem, das die Europäische Kommission bereits im Jahr 2016 vorgelegt hatte und aufgrund einer Blockade im Rat nie beschlossen wurde.

Die EU-Kommission hat nach eigenen Angaben versucht, die aktuelle Situation zusammenzufassen und allen Mitgliedstaaten Gehör zu geben: Migration und Asyl sind ein komplexes Thema mit vielen Facetten, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Die Sicherheit von Menschen, die internationalen Schutz oder nach einem besseren Leben suchen, die Bedenken der Länder an den EU-Außengrenzen, die befürchten, dass der Migrationsdruck ihre Kapazitäten übersteigt, und die Solidarität von anderen benötigen. Oder die Bedenken anderer EU-Mitgliedstaaten, die befürchten, dass ihre eigenen Asyl-, Integrations- oder Rückführungssysteme großen Zuströmen nicht standhalten, wenn die Verfahren an den Außengrenzen nicht eingehalten werden. Auf der Grundlage einer ganzheitlichen Bewertung schlägt die Kommission neben wirksameren Verfahren zwar einen neuen Zugang zu Verantwortung und Solidarität vor[3], die von der Kommission vorgeschlagenen gesetzlichen Neuerungen geben jedoch keine Antworten auf viele der aktuell bestehenden Probleme: Den Mitgliedstaaten an der Außengrenze wird immer noch wenig Unterstützung entgegengebracht. Die Vorschläge beinhalten keine Abkehr des Ersteinreisestaat-Prinzips und auch die Dublin-Kriterien bleiben im Grunde erhalten. Zudem erscheint unklar, wie ohne verpflichtende Mechanismen eine nachhaltige und langfristige Lösung insbesondere bei der bisher schon sehr umstrittenen Verteilung von Geflüchteten herbeigeführt werden soll. Europäische Solidarität sollte nicht nur in Sonderfällen, z.B. bei der Seenotrettung oder in „Stress und Krisensituationen“ gelten, sondern das Grundprinzip in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik darstellen. Die so dringend benötigte schnelle Einigung auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit einheitlichen Asylverfahren, fairer Kostenverteilung, standardisierten Verfahren und auf Solidarität basierend, liegt in weiter Ferne.

Während sich eine erneute Blockade im Rat anbahnt, erreichen uns weiterhin Bilder von Flüchtlingslagern in und vor den Toren Europas, in denen Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen in Zelten leben müssen: Seit über einem Jahr machen Expertinnen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor Ort, wie Ärzte ohne Grenzen, der UNHCR und das Rote Kreuz, auf die menschenunwürdigen und menschenrechtswidrigen Lebensumstände der geflüchteten Menschen in Griechenland und in Bosnien bzw. Kroatien aufmerksam. Dabei betonen diese immer wieder die Notwendigkeit eines fairen Verteilungsschlüssels als Lösung für eine menschenrechtskonforme EU-Asylpolitik.

Gleichzeitig dokumentieren Menschenrechtsorganisationen Verstöße der EU-Agentur FRONTEX gegen das in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgehaltene Prinzip der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement-Prinzip), wonach Menschen an der Grenze der EU das Recht auf Einreise und Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren, also einem Asylverfahren, haben. Es existieren ebenso ausführliche Berichte von Menschenrechtsorganisationen unter anderem von Human Rights Watch oder Amnesty International über illegale Pushback-Aktionen an den EU-Außengrenzen sowohl von kroatischen als auch von bosnischen Behörden. Auch an der österreichisch-slowenischen Grenze soll es zu Zurückweisungen und zu Kettenabschiebungen bis nach Bosnien-Herzegowina gekommen sein. Damit werden von EU-Mitgliedstaaten und EU-Beitrittskandidaten Menschenrechte gebrochen, Menschenrechtsverletzungen toleriert und die Genfer Flüchtlingskonvention und damit das Recht auf Asyl ausgehebelt.

Vor diesem Hintergrund stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG

 

„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, werden aufgefordert,

 

-   sich auf allen Ebenen mit Nachdruck für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten einzusetzen und sicherzustellen, dass eine rasche Evakuierung aus den sogenannten „Elendslagern“ erfolgt und angebotene Hilfe durch österreichische Gemeinden, Kommunen und BürgerInnen nicht länger ignoriert wird,

-   aktiv die offiziellen Frontex-Untersuchungen, die das Europäische Parlament als auch die EU-Anti-Korruptionsbehörde OLAF gestartet haben, zu unterstützen und auch auf nationaler Ebene voran zu bringen, um alle im Raum stehenden Grundrechtsverletzungen restlos aufzuklären und den Vorgängen einen Riegel vorzuschieben,

-   die systematischen Grundrechtsverletzungen an den Grenzen wie illegale Pushbacks zu verurteilen und sich dafür einzusetzen, diese sofort zu beenden, sodass Menschen nicht mit Gewalt daran gehindert werden, einen Asylantrag zu stellen.

 

Darüber hinaus wird der Bundesminister für Inneres aufgefordert, sich im Rahmen der Verhandlungen über das neue Asyl- und Migrationspaket dafür einzusetzen, dass ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit einheitlichen Asylverfahren entsteht, welches auf echter Solidarität basiert, die Einhaltung menschenrechtlicher Standards garantiert und eine faire Kostenverteilung sowie standardisierte Verfahren sicherstellt.

 

Das gegenständliche Vorhaben ist auf die Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes gerichtet, der sich auf die Erlassung von Bundes(verfassungs)gesetzen auf dem im Rechtsakt geregelten Gebiet auswirken würde.



[1] Gerichtshof der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 86/17, Luxemburg, den 26. Juli 2017 -https://images.derstandard.at/2017/07/26/CP170086DE.pdf

[2] https://www.diepresse.com/5942484/mehr-asylantrage-trotz-corona-osterreich-als-antithese-zum-rest-der-eu

[3] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/new-pact-migration-and-asylum_de; Stand: 12.03.2021