Transkript der Veranstaltung:

Afghanistans starke Frauen. Ein Jahr Widerstand gegen die Talibanherrschaft

Michael Fanizadeh (Moderation): Herzlich willkommen zur heutigen Veranstaltung „Afghanistans starke Frauen“. Mein Name ist Michael Fanizadeh und ich bin Koordinator am VIDC, dort zuständig für Migration und Entwicklung mit einem Schwerpunkt zum Nahen und Mittleren Osten.

Mit mir wird heute Frau Dr. Edit Schlaffer von Frauen ohne Grenzen moderieren und Sie durch den Abend führen.

Die Gastgeberin der heutigen Veranstaltung, die Zweite Präsidentin des Nationalrates Doris Bures, bedauert sehr, dass sie heute nicht dabei sein kann, sie lässt die besten Grüße ausrichten und wird von Frau Parlamentsvizedirektorin Dr.in Susanne Janistyn-Novák vertreten. – Ich danke Ihnen fürs Kommen. (Beifall.)

Willkommen auch im Namen des VIDC und Women without Borders – wir sind neben der Parlamentspräsidentin die Veranstalter:innen des heutigen Abends.

Es ist mir eine besondere Freude, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter des Corps Diplomatique begrüßen zu dürfen. An ihrer Spitze und stellvertretend die Botschafterin der Islamischen Republik Afghanistan in Österreich, Ihre Exzellenz Manizha Bakhtari. (Beifall.)

Wir werden nachher Gelegenheit haben, eine Rede von ihr auch zu haben.

Es freut mich sehr, dass die Frau Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichtshofes, Dr.in Anna Sporrer, bei uns ist. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

Und namentlich begrüßen darf ich natürlich auch die Referent:innen, die Akteur:innen des heutigen Abends: die Direktorin des VIDC, Mag.a Sybille Straubinger (Beifall), Exekutive Director von Women without Borders, Laura Kropiunigg (Beifall), die Direktorin der Voice of Women Organization, Suraya Pakzad – welcome Suraya! (Beifall) –, die Gründerin des Vereins Fivestones in Graz, Mag.a Masomah Regl – welcome (Beifall) –, und die afghanische Frauenrechtsaktivistin Husna Jalal – Husna, welcome! (Beifall.)

Wir freuen uns sehr auf Ihre Beiträge nachher.

Herzlich willkommen heißen möchte ich außerdem noch die anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat, die Mitglieder des Bundesrates.

Ein besonderer Gruß geht natürlich an Sie, liebe Gäste, sowie die Zuseherinnen und Zuseher, die per Livestream heute zugeschaltet sind. Wir haben zwei Livestreams, zur Information, einen auf Deutsch, einen auf Englisch, und das bringt mich auch dazu, darauf hinzuweisen, dass die Veranstaltung auch zweisprachig durchgeführt werden wird, also in Englisch und in Deutsch. Wenn Sie einen Kopfhörer für die Simultandolmetschung brauchen, wäre es jetzt eine gute Gelegenheit, sich noch einen zu besorgen.

Kanal 1 später ist dann für Deutsch, Kanal 2 für Englisch. Und an der Stelle möchte ich mich dann auch schon bei Gabriele Gallo und Herrn Schmolz bedanken für die schwierige Arbeit des Dolmetschens. – Danke schön. (Beifall.)

Dann würde ich Sie bitten, die Handys auszuschalten.

Diejenigen von Ihnen, die pünktlich gekommen sind oder überpünktlich gekommen sind, haben am Anfang ein paar Bilder gesehen, die wir dann auch am Ende der Veranstaltung noch einmal einspielen werden. Diese Bilder sind von der Künstlerin Elham Tajik, sie wurde in Herat, Afghanistan, geboren und kam gemeinsam mit ihrem Mann 2015 nach Österreich. Elham Tajiks erste Ausstellung in Österreich fand dann unter dem Motto: Stoppt Gewalt an afghanischen Frauen statt und wurde von afghanischen Verein Akis organisiert; bei Akis ist sie auch seit fünf Jahren aktiv.

Elham Tajik, danke schön, dass du da bist – Elham, ich habe dich gesehen, da – (Beifall), und danke, dass wir deine Bilder heute zeigen dürfen.

Ja, Edit, jetzt darf ich an dich einmal übergeben, dass du unsere erste Rednerin begrüßt und vorstellst.

Edit Schlaffer (Moderation): Michael, danke, Michael Fanizadeh, für die freundliche Einladung, ein impressive Line-up, würde ich sagen.

Es ist ganz fantastisch, dass das Parlament die Plattform für Sie alle hier gegeben hat, um die Frauen in Afghanistan und außerhalb Afghanistans zu unterstützen.

Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei der Zweiten Präsidentin des Nationalrates bedanken, die leider nicht bei uns sein kann. Wir haben vor einigen Monaten hier in diesem Haus über die Situation der Frauen in Afghanistan gesprochen und ich glaube, diese Unterstützung, diese Empathie von offizieller Stelle, von einem Ort, der Demokratie symbolisiert, ist extrem wichtig. Ich glaube, wir wissen alle zu schätzen, wo wir heute sind und welche Unterstützung wir für die Frauen von Afghanistan mobilisieren konnten.

Ich möchte mich natürlich auch, Michael, beim VIDC, und Frau Direktor, bei Ihnen, für die wunderbare Kooperation bedanken, das zeigt ja auch den Spirit von Kooperation, also zwei NGOs haben diese Organisation heute auf die Beine gestellt, und wir machen das für ein ganz wichtiges Thema: für die Situation in Afghanistan, die uns alle etwas angeht. Es ist nicht ein distantes Problem in einem distanten Land, es geht um uns alle dabei. Die Frauen in Afghanistan kämpfen jeden Tag mit Entschlossenheit für ihre Rechte, für ihre Freiheit, etwas, was wir haben oder zu weiten Teilen haben. Ich glaube, da müssen wir ganz stark dahinterstehen. Und das ist auch unser Kampf. Und diesen Frauen, diesen starken Stimmen, die wir heute hören werden, will das Parlament eine Bühne geben. Vielen Dank dafür.

Sehr geehrte Frau Vizedirektorin Dr. Janistyn-Novák, wir haben, wie gesagt, vor kurzem über die Situation der afghanischen Frauen hier gesprochen und wir freuen uns sehr, dass diese Veranstaltung heute hier stattfinden kann als Zeichen, dass alle hinter den Forderungen der Frauen in Afghanistan stehen. – Ich darf Sie nun auf die Bühne bitten. (Beifall.)

Susanne Janistyn-Novák (Parlamentsvizedirektorin): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Bilder machen uns zu Augenzeugen, aber manche Bilder sagen so viel, dass sie uns darüber hinaus sprachlos machen – das Bild vom internationalen Flughafen Kabul im August 2021 ist eines davon. Die chaotischen Zustände beim überhasteten Abzug der internationalen Truppen und die Menschen, die auf der Startbahn auf anrollende Flugzeuge klettern wollten, ließen uns fassungslos zurück. Über Nacht sind die Zukunftsperspektiven vieler Menschen, vor allem die der Frauen und Mädchen in Afghanistan zerstört worden.

Die Machtübernahme der Taliban wurde für viele die Wiederholung eines Alptraums. Die ideologischen Vorschriften der neuen Machthaber schlossen und schließen Frauen und Mädchen aus Bildungseinrichtungen, aus der Öffentlichkeit ohne Begleitung aus, unterwerfen sie strengen Bekleidungsvorschriften und bedeuten für die meisten auch den Verlust des Berufs. Diese allgegenwärtigen Einschränkungen drängen Frauen zurück ins Private, zurück unter männliche Kontrolle. Es ist der Versuch, Frauen und Mädchen durch Gesetze und Regeln und Einschüchterung Teilhabe und Selbstbestimmung zu nehmen und sie ohnmächtig zu machen.

Trotz alledem gibt es sie, die mutigen, willensstarken und solidarischen Frauen, die nicht aufgeben und die durch ihr Wirken anderen Hoffnung geben. Es ist mir eine große Freude, dass wir heute drei solche Frauen hier haben, die uns ihre Geschichte erzählen, die uns daran teilhaben lassen, wie sie trotz der aktuellen Bedrängnis alles in ihrer Macht Stehende tun und mit all ihrer Tapferkeit und Kreativität Wege gefunden haben, für Afghanistans Frauen zu kämpfen.

Suraya Pakzad hatte schon unter der ersten Talibanherrschaft Unmögliches möglich gemacht, sie organisierte aus dem Untergrund Bildungsräume für Frauen und schuf sicheren Unterschlupf für Frauen, die aus gewalttätigen Beziehungen fliehen mussten. Nach der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 geriet sie in Lebensgefahr und sie musste fliehen. Aus dem Exil organisiert sie nun wieder sichere Zufluchtsorte für die von Gewalt betroffene Frauen und Bildungszugänge für Frauen und Mädchen.

Husna Jalal ist die Tochter der ersten und bisher einzigen weiblichen Präsidentschaftskandidatin Afghanistans, sie gehört zu jener Generation, die im Zeitfenster der Möglichkeiten und Chancen aufgewachsen ist, jene Möglichkeiten, die ihre Mütter für sie erkämpft haben und aufgebaut haben. Auch sie musste fliehen. Heute vernetzt und bestärkt sie Frauen in Afghanistan über ihr aus dem Exil geführtes Netzwerk Young Afghan Women Movement. Mit über 5 000 jungen ambitionierten Afghaninnen sorgt sie dafür, dass das Schicksal von Afghanistans Frauen international wahrgenommen wird. Gemeinsam arbeiten sie an ihrem Traum von einem demokratischen, geschlechtergerechten, freien Afghanistan.

Ein Zitat der Schriftstellerin Nadia Hashimi, die afghanische Wurzeln hat, führt mich zur dritten Rednerin des heutigen Tages. Sie sagte: Es ist nie leicht, sein Zuhause zu verlassen, besonders dann, wenn vor einem nur verschlossene Türen liegen. Masomah Regl ist jemand, die diese verschlossenen Türen aufhält und Brücken baut für Menschen, die in Österreich Fuß fassen wollen. Als Kind ist sie verletzt zur Behandlung nach Österreich gekommen, danach kehrte sie zurück zu ihrer alleinerziehenden Mutter und ihren vier Geschwistern. Kurz darauf kehrte sie erneut nach Österreich zurück und fand hier eine zweite Heimat und eine zweite Familie. Sie weiß, was es heißt, zwischen zwei Welten zu leben. Mit diesem Wissen setzt sie sich heute für ein gelungenes Miteinander von Migrant:innen und Österreicherinnen und Österreichern ein, für Integration, Austausch und Arbeitsperspektiven.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist klar: Um die Situation von Frauen in Afghanistan zu verbessern, braucht es jede Menge Engagement, Beistand und Beharrlichkeit. Wir sind derzeit mit einer Vielzahl von Krisen konfrontiert, die zweifellos unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen; die Wirtschaftskrise, die Energiekrise, die Coronapandemie, die Klimakrise und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine überschatten unseren Alltag.

Aber wir werden die Frauen in Afghanistan nicht aus den Augen verlieren. Die Afghaninnen sind auf die internationale Solidarität angewiesen. Wir sehen die Frauen und Mädchen in Afghanistan, wir sehen ihr Schicksal, kein Schleier und keine verschlossene Türe können sie verstecken, wir lassen nicht zu, dass sie unsichtbar werden. Wir schauen hin und erheben mit ihnen und für sie unsere Stimme.

Zwei, die immer hinsehen und dabei auch immer wiederum zum Dialog einladen, sind Sybille Straubinger, die Direktorin des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation, und Edit Schlaffer, die Gründerin und Vorsitzende der Vereinigung Women without Borders. Mein Dank und meine Anerkennung gelten Ihnen beiden und Ihren Teams für den Dialog mit Afghanistans Community und mit den Frauen weltweit sowie für ihre Solidarität mit jenen, die auf Ihre Unterstützung und Ihre Stärke angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, auch die internationale Staatengemeinschaft ist sich ihrer Verantwortung Afghanistans Frauen gegenüber bewusst. Das zeigt sich zum einen darin, dass in ausnahmslos allen Verhandlungen zur finanziellen Unterstützung Afghanistans Frauenrechte zu einem Hauptthema gemacht werden. Das zeigt sich auch zum anderen in einer Feststellung der Resolution des Europarates vom September 2021, der Europarat als Hüter der Menschenrechte sagt ganz klar, dass eine afghanische Regierung nur dann internationale Anerkennung erhalten und von Dauer sein wird, wenn sie die Frauen inkludiert.

Der Europarat ruft die Taliban als De-facto-Machthaber auch dazu auf, Mädchen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, Frauen Bewegungsfreiheit, Zugang zu Erwerbsarbeit, Gesundheitseinrichtungen und Sport zu ermöglichen und ihre aktive Partizipation in allen öffentlichen und politischen Lebensbereichen zu fördern.

Maliha Zulfacar, die ehemalige afghanische Botschafterin in Deutschland, hat die Geschlechterpolitik in Afghanistan einmal als ein Pendel beschrieben, das seit 100 Jahren zwischen den Polen moderat und extrem hin- und herschwingt. Zu schnell ist dieses Pendel nach 20 Jahren des mühsamen Aufbaus wieder in die falsche Richtung ausgeschlagen.

Aber die Vergangenheit zeigt uns auch, dass das Pendel auch wieder in eine frauengerechte Position zurückschwingen kann. Genau daran arbeiten Suraya Pakzad, Husna Jalal, Masomah Regl und viele andere. Sie führen uns in ihrer engagierten und mutigen Arbeit vor Augen, dass ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmtheit nicht selbstverständlich ist.

Ich denke, die folgenden Vorträge von ihnen werden uns inspirieren und dazu beitragen, dass wir unseren Anteil daran leisten, das Pendel der Geschlechterpolitik wieder in die andere, richtige Richtung zu stoßen und auch dort wieder zu fixieren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! (Beifall.)

Edit Schlaffer: Frau Vizedirektorin, ich möchte Ihnen für Ihre einfühlsamen und klaren Worte danken. Danke für diese Eröffnung!

Und jetzt möchte ich gerne als nächstes die Frau Sybille Straubinger, Direktorin des Vienna Institute for International Dialogue – Dialogue and Cooperation, wichtig!,– des VIDC, vorstellen.

Sie sind seit 2018 schon geschäftsführende Direktorin am VIDC und waren unter anderem vorher lange als Landtagsabgeordnete in Wien tätig und in diesem Zusammenhang immer frauenpolitisch aktiv. Und ich glaub, da ist es ganz wichtig, dass die Frauen in Afghanistan wissen, hier sind Aktivistinnen im Raum. Frauen, die sie unterstützen, die hinter und neben ihnen stehen. Frau Sybille Straubinger, jetzt bitte ich Sie zum Rednerpult. Danke! (Beifall.)

Sybille Straubinger (Direktorin, Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation): Sehr geehrte Frau Vizedirektorin! Sehr geehrte Frau Botschafterin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich - - es ist sehr schade, dass die Frau Nationalratspräsidentin heute nicht hier sein kann, aber vielleicht kann sie ja online dabei sein. Und ich möchte mich wirklich auch für das VIDC und auch für Women without Borders noch einmal sehr herzlich bei ihr bedanken, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man hinschaut quasi, wie es Frauen geht am anderen Ende der Welt. Und es ist schon gar nicht selbstverständlich, dass man ein Jahr sozusagen nach dieser Machtübernahme immer noch hinschaut, nämlich dann, wenn sich die mediale Aufmerksamkeit woandershin verlagert hat und wenn sozusagen das auch aus diesem Fokus geraten ist.

Dafür möchte ich mich wirklich sehr bedanken, denn ich bin mir sicher, dass nicht nur wir, sondern dass die gesamte afghanische Diaspora in Österreich diese Einladung ins Parlament sehr zu schätzen weiß und diese Wertschätzung sozusagen auch sieht. Vielen Dank dafür!

Vielen Dank möchte ich auch sagen an Women without Borders für die gute Zusammenarbeit und bei diesen Vorbereitungen, auch dieser heutigen Veranstaltung!

Und Ihnen möchte ich kurz erklären, wie es dazu kommt auch, dass das VIDC heute auch Mitveranstalterin und Miteinladerin ist. Das Institut beschäftigt sich im Rahmen seines Schwerpunkts zum Nahen und Mittleren Osten seit 2014 intensiv auch mit Afghanistan. Das hat begonnen damit, dass wir informieren wollten darüber, warum gerade jetzt, also 2014 und in Folge dann auch 2015, es zu so vielen geflüchteten Menschen in Österreich aus Afghanistan gekommen ist. Was also denn falsch läuft in einem Land, das in Folge von 9/11 2001 von den USA und seinen Verbündeten von den Taliban befreit worden ist?

Unser Interesse hat aber nicht nur den Geflüchteten hier gegolten, sondern auch dem Österreichischen Bundesheer, das nämlich in Afghanistan im Rahmen eines UN-Mandats engagiert war und als Teil sozusagen dieser Sicherheits- und Wiederaufbaumission International Security Assistance Force im Einsatz war und damit auch einen Teil der Verantwortung mitübernommen hat im Land.

Wir haben in der Folge zivilgesellschaftliche Intellektuelle nach Österreich, nach Wien eingeladen und einen Austausch versucht in Gang zu setzen. Einen Austausch, der vor allem auch von Anfang an mit Frauenaktivist:innen aus Afghanistan und in Afghanistan auch passiert ist. Und diese haben schon vor einigen Jahren vor der neuerlichen Machtübernahme der Taliban gewarnt.

Unter anderem haben wir betont, dass es keinen nachhaltigen Frieden geben kann, wenn nicht Frauen einbezogen werden in die Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban. Zuletzt noch im April 2021, im Rahmen eines Webinars mit der ehemaligen Abgeordneten Fausia Kufi und der ersten Frauenministerin von Afghanistan Sima Samar.

Gekommen ist es dann im August 2021, wie befürchtet und wie sie alle hier auch wissen - - mit der Machtübernahme hat sich auch unsere Tätigkeit geändert, denn alle Ansprechpersonen, die wir hatten, aus der Wissenschaft, aus dem Journalismus, aus der Zivilgesellschaften mussten das Land verlassen oder man könnte auch sagen, konnten Gott sei Dank auch das Land verlassen.

Mittlerweile ist sicher auch die Unterstützung der afghanischen Diaspora bei der Suche nach einer nachhaltigen Perspektive für Afghanistan eine zentrale Aufgabe, also nicht nur für das VIDC, sondern für alle mit der Thematik befassten.

Und ich möchte am Anfang oder am Ende meiner Einleitung auch noch einmal an den Anfang zurückkommen, wo ich davon gesprochen habe, dass das mediale Scheinwerferlicht sich immer sehr schnell auf eine andere Krise richtet und derer haben wir ja aktuell genug. Ein Teil unserer Arbeit ist es zurzeit auch, die Situation in Afghanistan nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Und unter anderem gibt es dafür auch eine Artikelserie auf unserer Homepage. Unter dem Titel „Life under the Taliban“ versuchen wir oder haben wir in den letzten Monaten Frauen und Männer aus verschiedensten Teilen Afghanistan zu Wort kommen lassen. Wir wollten direkt hören und berichten, wie es ihnen geht. Und ich muss Ihnen leider sagen, es ist erschütternd diese Berichte zu lesen. Und es ist nochmal erschütternder die Berichte der Frauen zu lesen und die Verzweiflung, die daraus spricht.

Und gleichzeitig ist es aber sozusagen neben dieser Verzweiflung, die so spürbar ist, auch eine Stärke, die zu spüren ist, in diesen Berichten der afghanischen Frauen. In diesen Berichten, aber auch in den Demonstrationen in Kabul, in diesen mutigen Demonstrationen, und auch in der engagierten und kämpferischen Arbeit der Diaspora hier in Österreich, in Europa, in den USA.

Der Titel „Afghanistans starke Frauen“ wurde für die heutige Veranstaltung also sehr bewusst gewählt, denn die starken Frauen Afghanistans, sie geben Hoffnung, sie machen Mut und sie gehören gehört. Und ich danke Ihnen, dass Sie heute hier sind, und dass sie das hören. Danke schön! (Beifall.)

Michael Fanizadeh: Danke, Sybille, für die Vorstellung unserer Arbeit beim VIDC, und ich bitte jetzt Frau Laura Kropiunigg auf die Bühne. Frau Laura Kropiunigg leitet und entwickelt seit sieben Jahren die internationalen Projekte bei Frauen ohne Grenzen mit dem Fokus auf dem Westbalkan, Ostafrika und Südostasien. Sie ist seit 2022 die neue Executive Director von Women without Borders.

Frauen ohne Grenzen ist eine international tätige Non-Profit-Organisation, die sich seit 2001 für die Beteiligung von Frauen auf allen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Ebenen einsetzt. Mit ihrem weltweiten Netzwerk für Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus bietet sie Frauen eine Plattform, um eine neue Sicherheitsarchitektur mitzugestalten.

Laura, ich bitte dich um deine eröffnenden Worte. (Beifall.)

Laura Kropiunigg (Executive Director, Women without Borders): Danke. Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Bures via Livestream! Sehr geehrte Frau Parlamentsvizedirektorin Dr.in Janistyn-Novák! Sehr geehrte Frau Botschafterin Bakhtari! Liebe Kolleg:innen vom VIDC! Liebes Team von Frauen ohne Grenzen! Sehr geehrtes Publikum! Was führt uns heute hier zusammen im Österreichischen Parlament? – Es ist der Appell aus Afghanistan! Der Appell der Frauen, die täglich Zielscheibe des Terrors sind! Terror der ihren Alltag bestimmt! Sie sind politische Gefangene eines Systems, das ihnen einen einzigen Vorwurf macht: Sie sind Frauen! Wir wissen alle, wo wir zu 9/11 waren. Jede Frau und jeder Mann aus Afghanistan weiß, wo sie sich am 15. August 2021, den Fall von Kabul, befanden. Das war das Datum, das Hoffnung, Aufbruch und Veränderung vor allem für Frauen abrupt beendete.

Die Frauen waren bereits in den Jahren des ersten Talibanregimes das Gesicht des Widerstands. Sie haben das soziale Leben in den Untergrund verlagert und vor allem mit ihren Netzwerken von Geheimschulen dafür gesorgt, dass die Töchter nicht zurückgelassen werden. Dann, vor 20 Jahren, stürzten die Alliierten das erste Talibanregime. Sie waren, so das kollektive Narrativ, über die frauenverachtenden Maßnahmen gestürzt. Die internationalen Truppen sind als sogenannte Befreier gekommen.

Die Frauen haben das Fenster in die neue Welt geschlossen geöffnet. Sie haben sich den Weg in die Schulen und Universitäten gebahnt. Sie haben Mitbestimmung in den politischen Versammlungen gefordert. Sie haben den Weg sich in die Öffentlichkeit erkämpft. Sich selbstverständlich frei zu bewegen, war ein täglicher Triumph und eine Absage an die alte Ordnung.

Der Motor der Veränderung waren die Frauen. Sie haben mit weltweiter Unterstützung dazu beigetragen, ihre Gesellschaft aufzubauen. Bildung, Arbeit und das Versprechen, dass Frauenrechte synonym mit Menschenrechten sind, gab ihnen Kraft, diese neue Gesellschaftsarchitektur mit hohem Einsatz, vielen Widerständen mitzugestalten.

Eine globale Frauenallianz gab ihnen Rückenwind. Dann, am 15. August 2021, die internationalen Truppen hofften einen endlosen Krieg zu beenden. Und sie taten es unvorbereitet und überstürzt. Die Frontlinien haben sich abermals verschoben. Heute, 20 Jahre später, es herrscht weiter Krieg, Krieg gegen Frauen.

Kurz war die internationale Gemeinschaft geblendet von trügerischer Hoffnung, dass die Taliban 2.0 reformwillig sein könnten. Jedoch, das neue Afghanistan kommt im alten Outfit daher. Und es scheint noch schlimmer als befürchtet. Die ersten beunruhigenden Vorboten für eine rapide Rückwärtsentwicklung waren das Schulverbot für Mädchen.

Denn je länger die Mädchen ein Ausbildungsverbot trifft, desto mehr Zeit gewinnen die Machthaber, um ihre Herrschaft zu zementieren. Der Ausschluss der Frauen aus Bildung und die Blockierung ihrer Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft sind das Fundament des Emirats. So garantieren sie ihre Alleinherrschaft. Genderapartheit, so sehen wir ganz klar, ist abermals der Pfeiler des politischen Gefüges. Gestützt von einer Flut der neuen Verordnungen, dem Gebot der Kleidervorschriften, dem Verbot, ohne männliche Begleitung zu reisen. Die Liste ist lang.

Vor allem die Art und Weise, in der diese Gebote und Verbote durchgesetzt werden, ist erschütternd. Sie werden mit Gewalt durchgesetzt. Die Meldungen, die uns ereilen, sind verstörend. Frauen, die es wagen, Widerstand zu leisten, werden verfolgt, verschleppt, vergewaltigt, und manche zahlen dafür mit ihrem Leben. Margaret Atwoods Gilead ist Realität für die Frauen in Afghanistan.

Frauen stehen heute wieder täglich zwischen den Fronten. Sie haben bereits zu viel erkämpft, riskiert, durchgemacht, um noch einmal alles aufzugeben. Es tobt ein Konflikt um akzeptable Lebensformen und die Panik vor einer als bedrohlich erlebten Geschlechterunordnung. Es geht dabei um alles, um Chancen auf Leben, auf Glück und um Freiheit.

Wir stehen mit den Frauen Afghanistans, denn ihr Kampf muss auch unser Kampf sein. Vielen Dank! (Beifall.)

Edit Schlaffer: Vielen Dank, Laura, für deine, ja, starken Worte, die eine Realität, die unvorstellbar ist, und doch Alltagsrealität für Millionen Frauen widerspiegeln.

Jetzt möchte ich Frau Botschafterin Bakthari vorstellen. Sie ist eine der tapfersten Frauen, die ich jemals kennenlernen durfte, und ich möchte Sie so vorstellen, wie Sie sich selber vorgestellt haben. Ich habe das öfters gehört und gelesen: Als Botschafterin der Islamischen Republik, aber nicht als Botschafterin der Taliban. Danke für diese klaren Worte. (Beifall.)

Ich möchte noch kurz Ihren - - Sie müssen noch etwas Geduld haben mit mir, aber bitte kommen Sie her, kommen Sie näher! Kommen Sie ruhig näher, bitte! Ich möchte heute einen flammenden Appell von Ihnen wiederholen. Es ist ein Zitat, das mich auch sehr berührt hat. Schon vor Monaten habe ich es gelesen.

Es ist leicht, von Afghanistan wegzusehen. Die Aufmerksamkeit, die Afghanistan im August und September 2021 erhielt, hat nicht angehalten. Bitte vergessen Sie Afghanistan nicht!

Und genau deswegen sind wir heute da. Sie sind eine starke Stimme, Sie stehen für Gleichberechtigung von allen ethnischen Gruppen in Ihrem Land. Sie stehen für die Gleichberechtigung von Frauen. Sie waren all das, was Frauen in Afghanistan heute nicht mehr sein dürfen. Das ist unglaublich, Sie waren Chefredakteurin, Universitätsprofessorin, man mag sich vorstellen, Genderspezialistin bei einer NGO, Botschafterin in Skandinavien. Also die Liste ist sehr eindrucksvoll, aber das zeigt auch diesen Aufbruch, den Weg, die Erfolgsgeschichte der afghanischen Frauen in den letzten 20 Jahren. Sie waren eben eine Wegbegleiterin des Aufbruchs, des Aufbaus, den afghanischen Frauen geleistet haben, uns Sie geben auch heute nicht auf. Und danke dafür, dass Sie hier stehen und jetzt bitte ich um Ihre Grußbotschaft. (Beifall.)

Manizha Bakthari (Botschafterin der Islamischen Republik Afghanistan in Österreich): Vielen Dank, Frau Dr. Edit, für diese so freundlichen Worte! Ich bin sehr berührt von dieser freundlichen Einführung. Exzellenzen! Werte Gäste! Liebe Afghaninnen und Afghanen! Meine Damen und Herren!

Zu Beginn möchte ich mich bei der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures bedanken, auch wenn sie nicht hier sein kann, und auch bei Dr. Janistyn-Novák für die Organisation dieser Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit und Frauen ohne Grenzen.

Ich bin wirklich sehr dankbar für diesen Schwerpunkt und die Unterstützung, die Sie den Frauen in Afghanistan und auf der ganzen Welt in dieser Zeit der Not zukommen lassen. Nach mehr als einem Jahr der Besetzung waren die Taliban nicht in der Lage eine repräsentative und zur Rechenschaft verpflichtete Regierung zu bilden, die die Achtung der Rechte aller Afghaninnen und Afghanen, insbesondere von Frauen und Mädchen, gewährleistet und den humanitären und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht wird.

Leider haben nicht alle afghanischen Frauen und Mädchen die gleichen Chancen wie andere Frauen in der Welt. Seit dem 15. August 2021 sind Afghaninnen nach wie vor geschlechterspezifischer Diskriminierung, Segregation, Apartheit und Gewalt sowie anderen Einschränkungen ihrer grundlegenden Menschenrechte ausgesetzt.

Die frauenfeindliche Haltung der Taliban gehört zum Alltag. Frauen wird der Schulbesuch verwehrt, Frauen wird es verwehrt zu arbeiten und Frauen müssen sich strengen Bekleidungsvorschriften unterwerfen. Afghanistan ist zum ersten Land weltweit geworden, in dem es eine geschlechterabhängige Beschränkung der Schulbildung gibt.

Die Besetzung Afghanistans durch die Taliban hat Auswirkungen auf alle Afghaninnen und Afghanen, insbesondere aber auf Frauen und Mädchen. Afghaninnen sehen wie ihre Rechte vor ihren Augen verschwinden. Diese Gruppierung hat weder drakonische Maßnahmen und Vorschriften erlassen, die Mädchen den Besuch einer weiterführenden Schule verbieten und Frauen und Mädchen systematisch aus dem öffentlichen Leben ausradieren, indem sie ihre Grundrechte auf Arbeit und eine aktive Rolle in der Gesellschaft beschneiden.

Im vergangenen Jahr haben Hunderte von Afghaninnen, sowohl in Afghanistan als auch im weltweiten Exil, für ihre Rechte demonstriert und gegen die Talibanherrschaft protestiert. In Afghanistan wurde den Demonstrantinnen mit Gewalt begegnet. Frauen wurden angegriffen, geschlagen, ausgepeitscht und beschossen. Vor drei Tagen wurde ein Mädchenbildungszentrum angegriffen. 51 junge Mädchen aus der Hazaravolksgruppe wurden sofort umgebracht und über Hunderte wurden schwer verletzt. Das ist Frauenfeindlichkeit und Völkermord gegen unserer Hazara.

Ich bitte um eine Schweigeminute für die, die den letzten Preis für Bildung zu zahlen hatten. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stiller Trauer.) – Ich danke Ihnen. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wieder ein.)

Trotz dieser Drohungen und dieser Gewalt haben die Afghaninnen nicht klein beigegeben. Die Demonstrantinnen wurden angegriffen, sie haben sich aber nicht von der Gewalt aufhalten lassen, sie haben nicht aufgegeben. Sie haben so unglaublich viel Mut bewiesen. Wir verneigen uns vor diesen Frauen. Wir stehen ihnen in ihrem Kampf für Recht, Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung bei.

Die Frauen Afghanistans sind stark, aber allein. Wir haben viel zu oft erlebt, dass Frauen für ihre Rechte kämpfen, ohne dass Männer an ihrer Seite stehen. Wir müssen die Gesellschaft von den Vorteilen und der Notwendigkeit der Geschlechterparität überzeugen und eine entsprechende Dynamik erzeugen, damit sie anerkennt, dass die Gleichstellung der Geschlechter eine notwendige Voraussetzung für Frieden, Menschenrechte, Wohlstand und Wohlergehen aller ist.

Die Frauen Afghanistans sind auf sich allein gestellt, ohne jegliche nationale und internationale Unterstützung. Die internationale Gemeinschaft hat uns im Stich gelassen, ohne starke Unterstützung durch internationale Führungspersönlichkeiten und insbesondere ohne Unterstützung durch weibliche Führungspersönlichkeiten.

Natürlich bin ich sehr dankbar, dass diese Veranstaltung hier stattfindet. Wir sehen, dass wir hier in Österreich Unterstützung und Aufmerksamkeit bekommen. Ich bin für Ihre Solidarität und für diese Veranstaltung heute Abend wirklich sehr, sehr dankbar.

Jetzt brauchen die afghanischen Frauen und Mädchen mehr denn je die Unterstützung und Solidarität der internationalen Gemeinschaft. Die geschätzte internationale Gemeinschaft muss eine entscheidende Rolle spielen, um Afghaninnen zu unterstützen und ihre Rechte zu gewährleisten. Die afghanischen Frauen zählen auf sie, wenn es um die Wahrung ihrer Rechte geht.

Wir müssen Plattformen mobilisieren und unsere globalen Netzwerke zur Unterstützung der Rechte afghanischer Frauen nutzen. Die Rechte der Frauen müssen geschützt und verteidigt werden. Die Frauenrechte sind Menschenrechte, und Menschenrechte sind für alle. – Vielen Dank. (Beifall.)

Edit Schlaffer: Vielen Dank für diesen Aufruf zum Handeln. Wir alle hier, auch in diesem Saal, müssen Plattformen mobilisieren! Auch hier sind einflussreiche Männer und Frauen. Es müssen Netzwerke mobilisiert werden. – Vielen Dank.

Michael Fanizadeh: Wir haben die Möglichkeit, uns zwei kurze Filme anzuschauen, die Women without Borders produziert hat. Sie müssen sich Folgendes vorstellen: Wir reden dann nachher vielleicht ganz kurz über die Filme, aber diese Frauen, die wir jetzt sehen werden, leben in Afghanistan, die sind in einer wirklich schwierigen Situation. Die sind so mutig – man kann sich das gar nicht vorstellen, wie mutig sie sind, dass sie unter den jetzigen Bedingungen auf die Straße gehen.

Ich würde jetzt bitten, dass wir die Videosequenz einspielen.

Edit Schlaffer: Ich würde ganz gern zum Verständnis noch - - Danke, Michael, für deine Worte. Sie sind wahnsinnig mutig, das ist für uns unvorstellbar, aber ich glaube, diese Ausnahmesituation würde auch jeder von uns diese Kraft geben, weil diese Frauen das Gefühl haben, nichts mehr verlieren zu können.

Sie sehen zwei Frauen. Eine zeigt ihr Gesicht und ihren vollen Namen. Diese Frau ist in einem Versteck; sie wird von den Taliban gejagt. Wir haben lange diskutiert – wirklich nächtelang; wir haben sie ja schon öfters interviewt – und haben gesagt: Bitte nimm nicht dieses Risiko auf dich! – Sie sagt: Nein, das ist meine Identität, ich stehe dafür ein und ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich will mit meinem Gesicht, mit meinem Namen Testimonial ablegen.

Die zweite Frau ist ebenfalls wahnsinnig mutig, aber sie denkt trotzdem an ihre Familie, sie denkt an diese große Gruppe von Menschen um sie herum, die gefährdet werden könnten. Sie hat vor zwei Wochen – sie haben sich ja selber gefilmt – den Film gemacht, ohne ihr Gesicht zu verdecken. Dann hat uns die Nachricht erreicht, dass die Situation immer kritischer wird – da sieht man, wie schnell das geht: innerhalb von zwei Wochen –, und sie bittet um Verständnis, dass sie das jetzt anonym macht, und wir haben ihr einen Decknamen gegeben.

Auch sie ist irrsinnig mutig. Gestern waren die Frauen in Herat draußen auf der Straße, und sie hat uns durch unsere Kontaktperson wissen lassen: Bitte, ich bin bereit, mein Gesicht zu zeigen, wenn meine Schwestern da draußen sind. – Wir haben gesagt: Nein, das nützt gar nichts, deine Botschaft muss reisen! Die Worte sind wichtig, die Worte haben Kraft und Macht. Es hilft niemandem, wenn dir oder deiner Familie etwas passiert.

Das nur zum Kontext der Videos, um zu verstehen, was das für die Frauen auch bedeutet, sich zu zeigen, zu sprechen und aufzutreten.

Michael Fanizadeh: Bitte.

*****

Es folgt eine Videoeinspielung:

Tooba Lutfi: Mein Name ist Tooba Lutfi, ich bin eine Zivilgesellschaftsaktivistin aus der Provinz Pandschschir in Afghanistan. Vor einem Jahr, am 15. August 2021, ist unser Land in die Hände der terroristischen Taliban gefallen.

Wir Frauen in Afghanistan sind seit fast 14 Monaten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Wir waren und sind noch immer von allen Sphären des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Trotzdem haben afghanische Frauen hier Widerstand geleistet: Wir sind auf die Straßen gegangen in unterschiedlichen Städten in Afghanistan und haben unsere fundamentalen Rechte wiedergewinnen wollen, aber es gab sofort Einschüchterungen mit Pfefferspray und Schlägen.

Aber unsere Bewegung war organisch und unsere Forderungen klar. Unsere Bewegung begann mit einigen wenigen Frauen, aber durch das Klima der Angst kamen immer mehr Frauen dazu.

Wann auch immer eine Katastrophe ausbricht, sind Frauen die Ersten, die brennen und leiden. Frauen sind die stillen Opfer jedes Konflikts. Wir haben sehr viele Kriegsverbrechen der Taliban gesehen, wie Folter, Kidnapping, erzwungene Geständnisse, Gewalt, Vergewaltigungen und den Mord an vielen unserer Mitstreiterinnen. Es gibt keine Institution, die diese Frauen beschützt und die Gräueltaten der Taliban untersucht.

Es gibt aber eine Frage, die sich alle stellen: Haben sich die Taliban verändert? – Heute ist es so, dass ich keine Rechte mehr habe und immer vor Gewalt zittern muss. Ich frage die Frauen, Feministen, Menschenrechtsaktivisten und die internationale Gemeinschaft: Haben sich die Taliban wirklich verändert? – Wenn dies nicht der Fall ist, dann verlange ich eine Antwort darauf: Warum? Warum hat die internationale Gemeinschaft uns verlassen? Warum bekommen wir hier ohrenbetäubende Stille als Antwort auf unseren Kampf?

Ich bitte die internationale Gemeinschaft, sofort aktiv zu werden, statt still zu sein und halbherzig die Taliban zu verurteilen. Wir brauchen kein leeren Worte oder leere Plattitüden!

Wir haben schon ein Jahr unsichtbare Wunden gesammelt, und wir leiden. Alles ist gegen uns, aber wir leisten Widerstand. Jetzt ist es Zeit für die internationale Gemeinschaft, unseren Forderungen Gehör zu verleihen.

Anonymisierte Afghanin: Mein Name ist - - Das konnte man nicht hören. Ich bin eine Doktoratsstudentin der Soziologie. Ich wurde in eine progressive und intellektuelle Familie hineingeboren. Glücklicherweise war mein Vater ein guter Unterstützer seiner Kinder, vor allem der Töchter.

Nachdem die Taliban Afghanistan übernommen haben, sind viele Frauen auf die Straße gegangen, um für ihre Grundrechte und gegen die Hürden zu kämpfen. Ihr Kampf und ihre Bemühungen begannen auf der Straße. Ich habe eine sanftere Proteststrategie gewählt: Ich habe einen Buchklub gegründet. In unserem Buchklub können Frauen zusammenkommen, Literatur lesen von Ost nach West und Frauen können sich auch Arbeiten ansehen, die Frauen geschrieben haben – wissenschaftliche Arbeiten.

Wir verwenden diese Methode, um uns zu stärken und uns zu emanzipieren und auch unsere Denkweise zu stärken. Warum haben wir diese Methode gewählt? – Weil die Taliban eine Frau unterdrücken können, aber nie ihr Bewusstsein kontrollieren können. Bücher können Frauen emanzipieren und ihr Bewusstsein befreien.

Wir wissen, dass die Taliban eine Ideologie sind: Diese Ideologie ist männerzentriert in der Theorie und in der Praxis, sie sieht Frauen nicht als gleichberechtigt an. Sie trauen Frauen nicht, sie glauben nicht an Frauen. Diese Ideologie sieht Frauen als Instrumente der Fortpflanzung und als Sklaven, um Kinder zu bekommen – vor allem männliche Nachkommen.

Diese Ideologie hat ihre Wurzeln in einer langen patriarchalischen Geschichte und einer falschen Interpretation der Religion. Diese Unheil bringende Ideologie muss zerbrochen werden und zerschlagen werden. Aber sie kann nicht zerschlagen werden, außer wenn Frauen aufwachen und den Wert der Freiheit verstehen, vorwärts gehen und auch Risiken eingehen.

Wir haben diese Risiken akzeptiert, und als ersten Schritt wollen wir den Frauen helfen, ein Bewusstsein zu entwickeln, sodass sie nicht an Humiliation glauben, an Herabwürdigung und so weiter, dass sie auch mentale Kraft bekommen, sodass sie niemand unterdrücken kann, und dass sie auch sehr viele Informationen bekommen können und auch Wahrheiten.

Unsere kurze Botschaft an die Welt, vor allem an die Frauen, ist folgende: In einer Situation, in der fast 16 Millionen Frauen in einer Ecke der Welt gefangen gehalten werden, haben andere Frauen wenig getan. Sie haben wahrscheinlich meistens nur ihre Stimmen erhoben – aber nur das. Das ist ein Verrat an unserem Geschlecht. Dieser Verrat kann von der Geschichte nicht gelöscht werden. Bitte seid euch im Klaren, dass die Welt sie richten wird, die freien Frauen, die in Freiheit leben und die in Gefangenschaft lebenden Frauen in Gefangenschaft belassen haben!

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Edit Schlaffer: Diese Frauen stehen für viele Frauen. Sie sind, denke ich, die unsichtbaren, nicht registrierten politischen Gefangenen des Talibansystems, und die Dauer ihrer Isolationshaft, die Dauer ihrer Isolation ist unabsehbar. Darüber weiter zu sprechen ist jetzt auch unsere Aufgabe.

Michael Fanizadeh: Aber bevor wir das tun, finde ich: Einen Applaus für die beiden Frauen! Das ist wertvoll. (Beifall.)

Ich weiß, dass sie das mitbekommen werden, weil wir es ihnen erzählen werden, sie werden es spüren. Es ist wichtig, dass wir diese Geschichten hören, dass wir nicht vergessen und immer wieder zuhören – und möglichst nie vergessen, was sich dort abspielt und wie tapfer die Frauen dort sind.

Einen ganz kurzen Exkurs: Sie sind so tapfer, dass sie in Afghanistan sehr wohl auch für die Frauen im Iran auf die Straße gegangen sind. Das ist wirklich großartig! (Beifall.)

Jetzt möchte ich aber eine dieser großartigen Frauen begrüßen, die wir hier bei uns haben: Suraya Pakzad. Suraya war schon einmal bei uns in Wien, damals waren bessere Zeiten, glücklichere Zeiten. Auch damals war es schon prekär, war es schon schwierig, aber sie konnte ihre Arbeit mit ihrer Organisation in Herat noch immer durchführen – mit Schwierigkeiten, mit Problemen, aber es ging.

Suraya Pakzad ist eine Frauenrechtsaktivistin. Wir haben schon ein bisschen etwas von ihr vorhin bei der Eröffnungsrede gehört. Im Jahr 1998 gründete sie die Organisation Voice of Women, die zunächst Mädchen das Lesen beibrachte und Frauen Unterkunft, Beratung und Berufsausbildung bot. Nur dass Sie sich das vorstellen können: Das waren diese geheimen Schulen, von denen immer geredet wurde. Wir kennen wirklich gute Kooperationspartnerinnen von uns, die auch beim Verein Akis aktiv sind, junge Frauen, die in dieser Schule waren und die dann später ihren Abschluss in Medizin gemacht haben. Das ist schon in den damaligen Zeiten wirklich wertvolle Arbeit gewesen.

Die Organisation ist heute immer noch aktiv – natürlich ist es schwierig. Sie hat Frauenhäuser unterhalten, das haben wir auch schon gehört – doppelt gefährdet, weil auch die männlichen Gewalttäter in Freiheit gekommen sind. Nicht nur haben die Taliban die Macht übernommen, sondern auch die Gewalttäter wurden freigelassen.

Sie ist eine Frau, deren Arbeit mehrfach von der internationalen Community anerkannt und ausgezeichnet wurde. Ich kann nicht alles aufzählen, ich will nur zwei Dinge aufzählen. Etwas das, glaube ich, in einer Zeit in Afghanistan eine besondere Auszeichnung war und wichtig war, war dieser Peace Jirga Award. Sie war eine der Teilnehmerinnen in dieser großen Versammlung, die damals einen Weg gesucht hat, wie wir da herauskommen. Sie hat dort einen großen Preis bekommen und jetzt zuletzt den Anna-Minerva-Mammoliti-Preis in Italien. Der wird vom italienischen Präsidenten für besondere, herausragende Leistungen von Frauen für Frauen gestiftet.

Suraya Pakzad, welcome, and the floor is yours. (Beifall.)

Suraya Pakzad (Direktorin, Voice of Women Organisation, Afghanistan): Vielen Dank, Michael! Exzellenzen! Meine Damen und Herren, guten Nachmittag! Bevor ich mit meinem Vortrag beginne, möchte ich allen Familien, die ihre geliebten Angehörigen bei diesem terroristischen Angriff letzten Freitag verloren haben, mein Beileid ausdrücken. Das ist ein völkermörderischer Angriff und ein Angriff auf das Leben. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien.

Ich glaube, jeder und jede in diesem Saal weiß und hat eine Vorstellung davon, was mit Frauen und Mädchen in Afghanistan gerade passiert, aber was noch offensichtlicher und besorgniserregender ist, ist, dass die jahrzehntelangen Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter und der Demokratie ausradiert wurden. Die Rechte von Frauen und Mädchen wurden fast vollständig abgebaut, und dass in dieser wirtschaftlichen Krise.

Ich erinnere mich nur allzu gut an die Zeit zwischen 1996 und 2001, als Afghanistan unter dem Talibanregime von der internationalen Gemeinschaft fast völlig vergessen wurde, ähnlich wie das jetzt der Fall ist. Die Bildung von Mädchen war damals vollständig verboten, und ich sah mich damals gezwungen, meiner moralischen Verantwortung nachzukommen, nämlich afghanische Mädchen auszubilden. Ich habe bei mir zu Hause eine Untergrundschule gegründet – natürlich ständig in der Angst, erwischt und bestraft zu werden – und habe dann 1998 die Organisation Voice of Women, Stimme der Frauen, gegründet, mit dem Auftrag, Frauen und Mädchen zu beschützen, zu unterstützen und zu ermächtigen. Ich freue mich, Ihnen berichten zu können, dass in den letzten zwei Jahrzehnten Voice of Women Hunderte von Menschenleben gerettet hat, indem wir Frauen und Mädchen einen sicheren Unterschlupf, lebenswichtige anwaltliche Unterstützung, Bildung und Zugang zu Justiz geboten haben.

Leider sehen wir uns aber seit August 2021 mit bedeutenden Herausforderungen konfrontiert, wie die Beschlagnahme unserer Büroräume, Plünderung unserer Geräte, Inhaftierung und Folterung meiner Familienangehörigen und meiner Kolleginnen und Kollegen und großer Angst.

Trotz all dieser Hindernisse und Herausforderungen hat sich unsere Arbeit nicht sehr geändert. Wir haben jetzt gelernt, wie wir weiterkämpfen können. Unser Team hat sich verpflichtet, weiterhin in Afghanistan zu bleiben und der Aufgabe nachzukommen, Mädchen und Frauen eine Ausbildung zu bieten. Hunderte Familien sind jetzt intern vertrieben; manche reisen ins Nachbarland, um dann in völliger Armut zu leben und unter starker psychischer Belastung zu leben.

Frauen und Mädchen sind in diesen Situationen oft Opfer häuslicher Gewalt. Es gibt keine Anlaufstelle für Frauen, um mir ihren Problemen dort hinzugehen. Die Sicherheit all jener, die im Menschenrechtsbereich tätig sind, hat natürlich absolute Priorität. Es muss eine unterstützende Anlaufstelle geben, um Frauen, die von geschlechterspezifischer Gewalt betroffen sind, zu unterstützen.

Ich möchte diese Gelegenheit nützen, um die internationale Gemeinschaft – vor allem die EU und Österreich – aufzufordern, dass die Afghaninnen und Afghanen stärker unterstützt werden. Wir müssen mehr Unterstützung und Hilfe für Afghanistan bieten, damit diese an Frauen und Familien gelangt, die diese Hilfe brauchen. Es muss immer eine geschlechterspezifische und geschlechtersensible Unterstützung geben. Wir dürfen hier nicht übersehen, dass wir eine ständige Unterstützung und Finanzierung für die Aktivitäten der verschiedensten Organisationen in verschiedenen Bereichen Afghanistans brauchen. Wir brauchen eine ständige Finanzierung für Frauenorganisationen, damit sie weiterhin tätig sein können.

Bitte setzen Sie Ihre Macht ein, um auf die afghanische Regierung Druck auszuüben, damit die Frauenrechte geachtet werden und Frauen miteinbezogen werden. Und in allen Verhandlungen mit dem Talibanregime soll darauf gedrängt werden, dass Frauen Teil der Delegation sein müssen. Die politische Teilhabe von Frauen darf nicht außen vor gelassen werden.

Ich danke, dass ich hier sein darf! Vor allem danke ich für die Einladung vonseiten der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures, gemeinsam mit Frauen ohne Grenzen! Danke auch für die führende Rolle des VIDC und für die hervorragende Arbeit und dass Sie so eine solide Plattform sind, um über die aktuelle Situation der afghanischen Frauen zu diskutieren und sie ins Blickfeld der derzeit schweigenden Welt zu bringen, denn wir brauchen diese Unterstützung, diese politische Unterstützung. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten, um die Welt zu einem besseren Ort für alle zu machen. Gleichberechtigung ist die Seele von Freiheit und Selbstständigkeit. – Vielen Dank. (Beifall.)

Michael Fanizadeh: Thank you so much, Suraya! Vielen Dank! Suraya ist eine von diesen aktiven, sehr, sehr engagierten und wichtigen Frauen, die Afghanistan, die afghanische Gesellschaft in den letzten 30 Jahren, muss man bei Suraya sagen, aber natürlich auch in jüngerer Vergangenheit hervorgebracht hat.

Eine andere und für die österreichisch-afghanische Community besonders wichtige Frau haben wir hier heute eingeladen, Frau Mosamah Regl. Wir haben schon ein bisschen über sie gehört: ihre Geschichte, warum und wie sie nach Österreich kam. Sie wurde dann in Österreich sozialisiert, ausgebildet. Sie gründete 2018 den Verein Fivestones in Graz mit der Idee, dass das vielfältige ehrenamtliche Engagement im Integrationsbereich einen offiziellen Rahmen bekommt.

Das ist eines der Probleme, die es immer wieder gibt: Die afghanische Community ist im ehrenamtlichen Bereich immer wieder sehr, sehr aktiv, und es gibt keinen wirklichen Rahmen. Mosamah hat diesen Rahmen, natürlich zusammen mit ihren Kolleginnen, in Graz geschaffen. Der Name Fivestones bezieht sich dabei unter anderem auf ein besonderes Geschick erforderndes Spiel, das vor allem bei afghanischen Kindern sehr beliebt ist.

Mosamahs Familie lebt in Afghanistan, und ich weiß auch, dass du mit ihnen in permanentem Kontakt bist und natürlich auch die Befürchtungen und Ängste der Familie teilst. – Mosamah, ich bitte dich um deine Rede. (Beifall.)

Mosamah Regl (Gründerin des afghanischen Vereins Fivestones, Graz): Danke für die Vorstellung, Michael. – Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Organisation dieser Veranstaltung! Ich kann leider nicht ganz so positiv und voller Elan starten, weil das Thema einfach wahnsinnig schwierig und schwer ist. Es lastet auf den Schultern, und es fällt schwer, hier Lobeshymnen auf starke Frauen zu sprechen. Es fällt schwer, sich als starke Frau feiern zu lassen, und ich möchte auch damit beginnen, dass ich heute keinen Applaus als starke Frau brauche.

Ich hatte meine Rede vorbereitet, und ich glaube, ich werde doch ganz andere Sachen sagen, weil es sich ja noch mit den vielen, vielen wichtigen Aussagen heute so ergeben hat.

Es wurde ja schon gesagt, dass ich als Kind, als kriegsverletztes Kind in Österreich aufgenommen wurde. Alleine durch meine Herkunft bin ich zwar jetzt eine Österreicherin, habe aber immer, immer dieses schwere Erbe, das alle Afghanen haben, auf mir, nämlich jahrhundertelange Armut, jahrzehntelange Kriege, Schwierigkeiten, dass man immer wieder verlassen wird, Hoffnung, die aufkeimt und sofort im Keim erstickt wird, Verbesserungen der Situation, die danach nur noch schlimmer wird.

Viele, viele Afghanen, die es Gott sei Dank auch irgendwann geschafft haben, ins sichere Ausland zu fliehen, die es vielleicht auch geschafft haben, bleiben zu können, sind einerseits natürlich froh über die Chance, ein Leben in Sicherheit voller Chancen leben zu können, haben aber immer damit zu kämpfen – so wie ich auch –, diese zwei Welten in sich zu tragen: Zum einen ist die Verantwortung für die Herkunft, für die Familie da, zum anderen muss man sich in einer Leistungsgesellschaft wie in Österreich natürlich auch behaupten, und das erfordert auch sehr viel Kraft und Energie. Es ist eine Welt, die zerbrochen ist, und es ist die andere Welt, die uns nicht haben will.

Ich wünschte, dass wir heute nicht nur starken Frauen Applaus spenden, sondern dass wir sie hören und dass wir sie ernst nehmen, dass Österreich sie hört und sie ernst nimmt.

Seit einem Jahr bin ich in einem Medienmarathon, nämlich seit der Machtübernahme der Taliban. Ich habe viele Interviews gegeben – in Zeitungen, im Fernsehen, in allen österreichischen Medien, ich habe bei vielen Veranstaltungen gesprochen. Natürlich bin ich froh, dass Interesse besteht, dass sich Menschen die Zeit nehmen, zuzuhören, aber ich bin frustriert darüber, dass in Österreich nichts passiert ist.

Ich kann nicht hier stehen und den starken Frauen applaudieren, während ich keiner einzigen gefährdeten Person helfen möchte. Niemand ist in Österreich aufgenommen worden, es ist wahnsinnig schwer, in Österreich Asyl zu bekommen. Zum Zeitpunkt der Talibanmachtübernahme wurde von gewissen Parteien noch darüber gesprochen, wie wir die Afghanen noch abschieben könnten, wie es danach noch möglich sein wird. Das ist scheinheilig, und ich glaube, es ist einfach auch fehl am Platz, über diese Scheinheiligkeit hinwegzusehen – bei aller Dankbarkeit, heute hier sein zu dürfen. (Beifall.)

Ein Jahr lang in Österreich für Afghanen zu sprechen, ist kräfteraubend. In meiner Stimme war vor einem Jahr noch viel Panik, es war aber auch immer dieser Kampfgeist da, etwas erreichen zu können. Nach einem Jahr nun muss ich versuchen, mir die Frustration nicht zu sehr anmerken zu lassen. Ich muss versuchen, nicht zynisch zu werden, und das kostet Kraft.

Als Hauptgrund sagt Österreich immer: Wir haben in Österreich bereits eine der größten afghanischen Communitys, wir haben 45 000 Menschen hier. – Ja, 45 000 Menschen sind dankbar, hier sein zu dürfen, aber mit dieser Aussage und mit diesem Gesetz und mit dieser Vorgangsweise sind es auch 45 000 Menschen, denen Österreich klipp und klar sagt: Eure Sorgen interessieren uns nicht.

Wir reden uns den Mund wund, indem wir sagen, unsere Familienmitglieder leben noch dort, diese und jene Menschen sind in Gefahr. Wir zeigen Videos von Frauen, die sich verstecken müssen, und dennoch sagt Österreich mit der Politik, die gemacht wird: Eure Ängste sind uns egal.

Mit dem Verein Fivestones versammeln wir viele Afghanen, die in Graz und in Österreich leben, und es ist ganz klar ersichtlich, dass es gerade jetzt mehr denn je notwendig ist, sich zusammenzuschließen und auch Aktivitäten außerhalb der politischen Aktivitäten oder des Engagements zu machen.

Wir organisieren gemeinsame Wanderungen, wir organisieren Yogaabende, Musikveranstaltungen – all das, um uns abzulenken, um etwas aus dieser Schwere, die auf uns lastet, herauszunehmen, um zu zeigen, dass wir zumindest füreinander da sein können oder einander zumindest verstehen können, denn niemand sonst versteht es, dass das Thema der starken Frauen, das Thema der unterdrückten Frauen, das Thema des Krieges und der Armut und des Hungers nicht einfach theoretische Themen sind, die man bei einem Abend vorstellen kann. Es ist nichts, worüber man einen Artikel schreibt und vielleicht dafür bezahlt bekommt, es ist unser Leben. Es bestimmt jede Minute unseres Lebens und es macht den Alltag einfach wahnsinnig schwierig, in einem noch so reichen Land. Ja, wir sind im Wohlstand hier. Wir wissen das zu schätzen, aber wir können es nicht genießen.

Was würde es über uns sagen, wenn wir, die wir eigentlich diese zwei Welten kennen, hierherkommen und die eine Welt vergessen, wenn wir hier unsere Yogaretreats machen, Selfcare, wenn wir uns auf unser Essen konzentrieren, auf unseren Alltag, auf unsere Titel, die wir erreichen können, auf unsere Karriere, mit Freunden abends feiern gehen, und dabei vergessen, welche Verantwortung wir haben? – Das können die wenigsten Menschen, die hier leben, nämlich vergessen, dass es eine Verantwortung ist, hier zu sein.

Und viele, viele Personen – auch junge, gerade junge Menschen –, die ich kenne, die Afghanistan letztes Jahr oder innerhalb des letzten Jahres verlassen konnten – Richtung Deutschland, Richtung Amerika oder Kanada, Richtung Spanien verlassen konnten –, all diese Menschen sagen mir, wenn ich ihnen schreibe und mich darüber freue, dass sie es hinausgeschafft haben, sie sagen: Was soll ich damit anfangen? Was soll ich in Sicherheit leben, wenn meine Familie es nicht kann? Was soll ich hier machen, wenn meine Freunde dort nicht hinauskommen?

Ich weiß, Hinauskommen ist nicht die ultimative Lösung, vor allem nicht bei einem Land von 49 Millionen Menschen – 39 Millionen, Verzeihung –, aber für viele Menschen verändert es das gesamte Leben, die gesamte Zukunft, vor allem für die Kinder, und ich denke, Österreich könnte sich zumindest ein bisschen daran beteiligen, diese Not, diese Verzweiflung zu lindern, ohne behaupten zu müssen: Wir können ja nicht 39 Millionen Menschen aufnehmen! – Natürlich nicht.

Ich will, dass die Forderungen, die auch von verschiedenen Organisationen – und natürlich auch von vielen Einzelpersonen – gestellt wurden, dass zum Beispiel die in Österreich extrem restriktiven Bestimmungen zu Familienzusammenführungen erweitert werden, dass zur Kernfamilie mehr als nur der Mann oder die Ehefrau oder die eigenen Kinder dazugehören - - Ich will, dass extrem gefährdete, ganz besonders gefährdete zumindest Frauen herausgeholt werden können. Ich will, dass es eben, wie auch im Video gesagt wurde, nicht nur Worthülsen der Solidarität gibt, sondern konkrete Hilfsmaßnahmen, auch in Afghanistan.

Und ich will hier stehen dürfen und ich will das sagen dürfen, ohne automatisch einen Sprechchor zu hören, der sagt: Was soll das? Sie soll froh sein, dass sie überhaupt hier sein darf! – Danke schön. (Beifall.)

Michael Fanizadeh: Danke, Mosamah. – Bitte.

Edit Schlaffer: Als nächste Diskussionsteilnehmerin, und wir machen das jetzt in Form einer Diskussion, möchte ich Ihnen gerne Husna Jalal vorstellen. Husna Jalal hat einen sehr soliden akademischen Hintergrund – ich möchte gar nicht in Details gehen.

Sie hat wahnsinnig viel erarbeitet, erreicht, aber sie ist auch, und das ist ganz wichtig, seit ihrer frühesten Jugend – eigentlich fast seit Kindesbeinen – Peace-and-Security-Activist, und zwar deshalb, weil sie die Tochter der ersten Präsidentschaftskandidatin – der ersten Frau, die es gewagt hat, ganz offiziell gegen das afghanische Patriarchat anzutreten – ist. Sie ist Tochter dieser Mutter, hat in ihr ein wunderbares Rollenbild gehabt, aber eingebettet in viele, viele andere Rollenmodelle.

Please join me onstage, Husna. (Beifall.) It is such a delight to have you here.

Husna ist bis zum Fall von Kabul in Afghanistan gewesen. Kurz danach haben sie es geschafft, evakuiert zu werden, und seitdem lebt Husna mit ihrer Mutter in Den Haag.

Husna, du bist eine dieser Frauen und hast in diesem Zeitfenster als junge Aktivistin und als junge Studentin Afghanistan mit Entschlossenheit und Elan neu mit aufgebaut. Du bist das Gesicht der Jugend Afghanistans, die alles darangesetzt hat, ein neues Land zu erschaffen, das ist eine unglaubliche Leistung. Es waren natürlich Hoffnungen da, dass euch die Zukunft gehört, ihr habt an diese Hoffnung geglaubt. Ihr habt auch sehr viele Rückschläge erlebt – wir haben viel darüber gesprochen. Du hast aber nicht aufgegeben, trotz der Situation nach dem Fall von Kabul, und hast dann aus dem Exil in aktivistischem Spirit diese große digitale Plattform organisiert.

Can you hear me? (Jalal: I think I am getting, what you say!) – Okay. Ich hatte gehofft, dass das auch gedolmetscht wird beziehungsweise dass sie das Dolmetschgerät bei sich hat. Also ich habe eigentlich nur erzählt, wie mutig, wie tapfer Sie sind und dass Sie Teil dieses Wandels im Lande sind, dass Sie auch jetzt mit Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus dem Exil kämpfen.

Husna, ich möchte Ihnen die erste Frage stellen. Sie sind eines der vielen Gesichter des jungen Widerstands. Wir haben sehr viele Gesichter gesehen: Wir haben die Frauen gesehen, die auf die Straßen gehen, die auf der Straße demonstrieren, wir haben gesehen, dass es auch Frauen gibt, die einen stilleren Protest machen. Sie organisieren den Widerstand für Frauen im Land und im Exil. Wie sehen Sie sich in Ihrer Arbeit, in Ihrem Kampf? Welchen Beitrag leisten Sie, um Hoffnung für die Zukunft für die junge Generation in Afghanistan zu geben? – Vielen Dank.

Husna Jalal (Frauenrechtsaktivistin, Afghanistan): Vielen Dank, Dr. Edit, für Ihre freundlichen Worte und Ihre nette Einführung! Es ist wirklich eine große Ehre, heute hier bei Ihnen zu sein – herzlichen Dank an das österreichische Parlament –, und hier die Stimme für die junge Generation der Afghaninnen zu sein, die in Afghanistan leben, und auch jene, die im Exil leben.

Am 15. August ist ja Afghanistan in die Hände einer extremistischen Gruppierung gefallen. Als Nation haben wir alle Errungenschaften verloren, aber als Frauen haben wir unsere Grundrechte verloren.

Sofort nach dem Zusammenbruch Afghanistans haben wir Botschaften aus Afghanistan bekommen, dass die Frauen weiterhin Widerstand leisten, die junge afghanische Generation in Kabul, in anderen großen Städten Afghanistans. Das ist etwas Einzigartiges und es ist etwas sehr Inspirierendes. Sie sind die neuen Gesichter Afghanistans, sie führen den Widerstand an, den gewaltfreien Widerstand.

Als die Taliban an die Macht kamen, war das Erste, das sie machten, dass sie die Mädchenschulen geschlossen haben, und sie haben die weiterführende Bildung von Mädchen verboten. Sie wollen nicht, dass Frauen eine Bildung bekommen, und sie möchten, dass die jetzige Generation Analphabeten sind und keine Bildung haben. Sie möchten, dass wir schweigen, sie möchten nicht, dass wir irgendetwas sagen. Sie möchten nicht, dass wir wissen, was in Afghanistan passiert – aber was Sie nicht wissen, ist, dass wir, die derzeitige Generation, vor allem meine Generation, die, nachdem die internationale Gemeinschaft in unserem Land war, eine privilegierte Generation sind.

Wir werden nicht aufgeben, wir werden unser Land nicht aufgeben. Das ist unser Land, und wir werden alles tun, was es braucht. Das ist wirklich eine sehr starke Botschaft in Afghanistan und auch an die Frauen im Exil, dass sie gemeinsam mobilisieren und dass sie das aufbauen, was verloren gegangen ist.

Ja, natürlich. Ich sitze hier in Wien und es ist sehr schwierig, aus dieser privilegierten Situation über jene zu sprechen, die jeden Tag einen Kampf in Afghanistan leisten. Wir setzen uns aber nicht einfach hin und tun nichts. Wir tun unser Bestes, um über die Gräueltaten im Land zu informieren, zu berichten und zu sensibilisieren. Frauen leisten Widerstand mit ihren Stimmen, mit ihren Schreibstiften und auch auf den Straßen von Afghanistan.

Edit Schlaffer: Ihr stärkstes Widerstandswerkzeug ist Bildung, also Mädchen und Frauen wieder in die Schulen zu bringen und sie durch Wissen zu ermächtigen. Wir haben von einer der Frauen hier gehört, dass die Macht des Wissens etwas ist, das Frauen weiterbringen wird. Sie haben bereits erwähnt, dass die große Angst der derzeitigen Regimes ist, dass Frauen zu mächtig werden.

Husna Jalal: Ja, natürlich, wenn Frauen Bildung erfahren, dann erhält die gesamte Gesellschaft Bildung und ist gebildet. Sie möchten aber keine gebildeten und starken Frauen, die selbst ihre Stimme erheben. Das Erste, was sie taten, als sie an die Macht kamen, war, dass sie ankündigten, dass Mädchen nicht in die Schule kommen sollten. Das war ganz strategisch und klug gedacht.

Was mir ein bisschen die Hoffnung nimmt und mich hilflos zurücklässt, ist, dass die internationale Gemeinschaft, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und unsere feministischen Schwestern außerhalb von Afghanistan seit einem Jahr einfach nur zusehen und abwarten, wann sich die Situation wieder ändern wird. Seit einem Jahr aber können Mädchen und Frauen nicht in die Schule gehen und die Situation wird noch schlimmer.

Edit Schlaffer: Ich glaube, dass ihre Bemühungen, Mädchen zusammenzubringen, damit sie ihre Stimme erheben können, damit Netzwerke gebaut werden, von größter Wichtigkeit sind. Sie versuchen also, Mädchen zu ermächtigen, die dann in der Lage sein werden, sich an die internationale Gemeinschaft zu wenden und an diese zu appellieren.

Husna Jalal: Die internationale Gemeinschaft, ob sie uns nun unterstützt oder nicht, wird uns nicht davon abhalten, dass wir gegen die Behörden Widerstand leisten. Wir sagen im Persischen: Nach einer dunklen Nacht kommt immer wieder die Sonne. Also auch nach dieser düsteren, finsteren Nacht wird es einen sonnigen Tag geben, wo alle Mädchen die Möglichkeit haben werden, in die Schule zu gehen. Frauen werden ohne männliche Begleitung aus der Familie auf die Straße gehen können. Wir Frauen in Afghanistan arbeiten daran, wir setzen uns dafür ein und wir kämpfen dafür.

Edit Schlaffer: Sie haben von einem friedlichen und gewaltfreien Widerstand gesprochen. Das ist natürlich der Weg, den man verfolgen muss, und da können Frauen Anführerinnen sein, denn die meisten Frauen weltweit glauben an diesen friedlichen Widerstand. Um diesen Frieden zu stiften, brauchen wir den Dialog. Es gibt einen Dialog, es gibt die Doha-Friedensverhandlungen. Was genau möchten Sie sehen, wenn Sie sich zukünftige Friedensverhandlungen vorstellen?

Husna Jalal: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich ein bisschen Licht ins Dunkel bringen, die Gelegenheit nützen, dass ich hier bin, und mich auch an die österreichischen Parlamentsabgeordneten wenden. Wir müssen uns überlegen, was hier schiefgelaufen ist. Afghanistan ist nicht innerhalb eines Tages zusammengebrochen und die Errungenschaften sind nicht an einem Tag verschwunden. Das war ein systematischer Zusammenbruch. Das müssen wir verstehen und dann können wir weitermachen.

Die Konferenz war zum Scheitern verurteilt. Die internationale Gemeinschaft hat sich dann mit den Alliierten aus dem Land zurückgezogen. Dann kam es zur Korruption. Wir waren ein demokratisches Land, trotzdem hatten wir große Probleme in Bezug auf Demokratie, Rechte und Freiheit. Wenn wir jetzt weiterkommen wollen, wenn wir Veränderung wollen und wenn wir die derzeitige Situation in Afghanistan mit der Hilfe internationaler Freundinnen und Freunde verändern wollen, dann müssen wir zu den richtigen Leuten sprechen. Wir dürfen nicht dieselben Gesichter wieder mit in die Verhandlungen einbeziehen. Sie wissen das alle, und ich bin sicher, dass sie das wissen. Expertinnen und Experten, die in der EU und in der US-Regierung arbeiten, wissen das auch alle.

Echte Vertreterinnen und Vertreter sollten in die Verhandlungen eingeschlossen werden, und es sollte eine inklusive Regierung gebildet werden, sprich jeder Vertreter der gesamten Gesellschaft sollte eingeschlossen werden. Von allen Volksgruppen sollte es Vertreterinnen und Vertreter geben. Das wäre wirklich ein sinnvoller Frieden und das wäre eine sinnvolle Versöhnung.

Edit Schlaffer: Vielen Dank, dass Sie das unterstrichen haben. Ein inklusiver Frieden würde bedeuten, dass die Frauen dabei sind. Sie sollten sichtbar sein, repräsentiert werden und teilhaben können. Das würde den Verlauf der Zukunft verändern. Es muss einen Frieden geben, der an Tischen ausverhandelt wird. Ich möchte Ihnen danken und möchte, dass Sie an die internationale Gemeinschaft appellieren und trotzdem noch auf sie vertrauen, dass sie weiterhin starke Sicherheitsalliierte der Frauen und des afghanischen Volkes sind. Ich möchte mich von ganzem Herzen für die gesamte Arbeit, die Sie täglich leisten, um alle Frauen zu unterstützen, bedanken.

Husna Jalal: Danke, Dr. Schlaffer. Ich hoffe, dass die Situation meiner afghanischen Schwestern bald besser wird und sich verändert. Die internationale Gemeinschaft soll nicht mehr mit den Taliban verhandeln. Es sollen konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Es ist über ein Jahr vergangen und wir hören nur von Gesprächen und sehen keine konkreten Handlungen. Ich möchte die internationale Gemeinschaft auffordern und inständig bitten, dass die Taliban aufgefordert werden sollen, die Mädchenschulen wieder aufzumachen und noch vieles andere mehr. Vielen Dank, dass ich heute hier sein darf.

Edit Schlaffer: Vielen Dank. (Beifall.)

Michael Fanizadeh: Vielen herzlichen Dank an alle drei Sprecherinnen. Noch einmal einen großen Applaus! (Beifall.)

Wir kommen langsam zum Ende des Abends. Ich möchte mich am Ende noch einmal sehr herzlich bei der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures bedanken, dass wir die Veranstaltung hier gemeinsam durchführen konnten. Das haben wir schon mehrfach angesprochen, das bedeutet viel für uns, das bedeutet auch viel für die Community, dass ihre Anliegen, ihre Wünsche, ja auch Befürchtungen gehört werden, eingebracht werden. Es ist unsere Aufgabe von Women without Borders genauso wie vom VIDC, dass wir natürlich unterstützen, dass diese Wünsche, Forderungen et cetera auch umgesetzt werden, zumindest teilweise.

Ich möchte nochmals zwei Punkte aufgreifen, die gesagt worden sind und die wir nicht vergessen sollten und die hier im Parlament wirklich gut platziert sind. Den ersten Punkt hat Suraya Pakzad angesprochen: Humanitäre Hilfe ist unbedingt notwendig. Österreich ist auch Teil der Europäischen Union, natürlich wissen wir das, Österreich ist an humanitärer Hilfe in Afghanistan beteiligt. Die Forderung oder der Wunsch von Suraya Pakzda und anderen ist, dass diese humanitäre Hilfe – und ich weiß, das ist durchaus problematisch – auch zweckgewidmet wird, auch Konditionalitäten gemacht werden, nämlich die Konditionalität, dass Frauen und andere benachteiligte Gruppen auch von dieser humanitären Hilfe profitieren müssen und dass es auch Bedingungen geben muss dafür, dass diese humanitäre Hilfe fließt. Das war der erste Punkt.

Den zweiten Punkt hat Mosamah Regl angesprochen. Wir wünschen uns von Österreich, dass gefährdete Frauen und andere aufgenommen werden, dass wir unsere Türen nicht zumachen, sondern dass wir sagen, wir können einen Beitrag leisten, wir können helfen und nicht nur irgendwo dort, wo es niemand sieht oder wo es auch nicht wirklich kontrollierbar ist, sondern wir können die Frauen zu uns nach Österreich holen. (Beifall.) Das wäre ein Wunsch. Ich weiß, das ist nicht einfach, aber das würden wir uns wünschen, und natürlich bleiben wir im Dialog mit den engagierten jungen Frauen in Afghanistan.

Am Ende möchte ich mich jetzt noch sehr herzlich bei ein paar Personen bedanken, die uns tatkräftig unterstützt haben und ohne die wir diese Veranstaltung heute hier nicht hätten durchführen können. Da möchte ich Juliette Bendele vom Büro der Nationalratspräsidentin nennen, danke schön (Beifall), Iris Lechner – sehe ich sie irgendwo? – vom Team des Parlaments, danke schön vielmals (Beifall), Elisabeth Kasbauer von Women without Borders, sie hat wirklich viel organisiert, danke schön (Beifall), und meine beiden Kolleg:innen Ali Ahmad und Maëlle Nausner, die uns bei der Planung, bei Social Media und Öffentlichkeit viel unterstützt haben –vielen herzlichen Dank! (Beifall.)

Vielen herzlichen Dank, Edit, und es obliegt dir natürlich, jetzt hier die Schlussworte zu sprechen.

Edit Schlaffer: Danke. Ich glaube, du hast sehr umfassend gedankt. Das war wunderbar und wichtig, weil das ja ein ziemliches Unternehmen ist, diese Veranstaltung auf die Beine zu stellen und Sie alle hier zusammenzubringen. Ich glaube, das ist eine extrem wichtige Plattform, und ich sage jetzt ganz bewusst: Plattform. Sie können jetzt, die Sie hier sitzen, nicht für Visa sorgen, nicht die österreichische Außen- und Innenpolitik und so weiter lenken oder umgestalten. Ich meine, ja, wir haben eine Stimme bei der Wahl, aber - - Jetzt unmittelbar, denke ich, können wir aber schon etwas tun.

Wir können, und das ist ja nur ein Beispiel, Plattformen wie diese nützen, um gegen das Vergessen und Verdrängen anzutreten. Das ist ganz wichtig. Da haben wir eine Tradition und einen Auftrag in unserem Land, gegen das Verdrängen, Vergessen und Verschweigen: Das sind drei Aufforderungen, die an jede Einzelne von uns gehen. Im Moment werden Frauen in Afghanistan, auch in anderen Ländern, aber wir sprechen heute über Afghanistan, systematisch in ihrer Menschenwürde, in ihren Frauenrechten nicht nur beeinträchtigt, sondern eigentlich total marginalisiert.

Wir haben von vielen Frauen gehört, dass sie sagen: Wir gehen hinaus auf die Straße. Wir haben über den Winter mit den Frauen im Untergrund gesprochen, die sich dort versteckt haben, die auch geflüchtet sind aus ihren Häusern, um ihre Familien zu schützen, denn auch die Familien, das muss man sich überlegen, die Schwestern, die Brüder, die Väter, zahlen ja einen Preis für den Aufstand. Es sind also nicht nur die tapferen jungen Frauen, sondern da hängen große Familien dran, die damit einverstanden sind oder auch nicht einverstanden sind, und viele von ihnen haben in unseren spätabendlichen Gesprächen gesagt: Besser ich sterbe nicht zu Hause, sondern draußen auf der Straße, wo ich einen Unterschied gemacht habe, wo meine Aktion gesehen wurde und wo ich mich den Taliban aktiv gegenübergestellt habe!

Also das ist die Situation und das ist unser Auftrag, nicht wegzuschauen, sondern dieses Thema auch nicht nur in unserem Herzen, sondern auch in unseren Gesprächen, in den Dialogen zu behalten, es weiterzutragen und Wege und Möglichkeiten zu finden, es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Ich danke allen, die das hier ermöglicht haben, allen, die das hier im Parlament von der Spitze bis zu den parlamentarischen Aktivist:innen ermöglicht haben. Ich danke unseren Partner:innen bei VIDC, natürlich dem Frauen-ohne-Grenzen-Team. Wir alle arbeiten im Spirit von Women without Borders. Grenzen sind notwendig, aber Grenzen, die künstlich sind, die uns von unserer Humanität trennen, abschneiden, müssen wir überschreiten. Das ist unsere tägliche moralische Verantwortung.

Wir leben in so unsicheren Zeiten, dass ich denke, nur durch das Hereinholen der Frauen, durch eine inklusive Vorgangsweise können wir eine neue Sicherheitsarchitektur bauen, nicht nur in Afghanistan, im Iran, im Irak, sonst wo, sondern auch bei uns. Es geht auch um uns, um unsere Werte, um unsere Verhaltensweisen, wie wir zusammenleben werden, und es gibt nur mehr ein gemeinsames Leben. Es gibt kein Leben jenseits der Grenze, innen, in einem sicheren Raum. Sicherheit geht uns alle an. Wir sind Architekt:innen der Sicherheit. – Danke schön. (Beifall.)

Michael Fanizadeh: Danke. Da Edit es jetzt vergessen hat, darf ich Sie noch auf ein Glas zum Trinken einladen und eine Kleinigkeit zum Essen (Schlaffer: Danke! Danke!) einladen. Im Anschluss werden wir noch einmal die Bilder von Elham Tajik im Stream haben. Ich würde bitten, dass wir die noch einmal einspielen. Während wir uns noch unterhalten und austauschen, können wir uns diese noch einmal anschauen. Ich danke Ihnen. Schönen Abend! (Beifall.)