Parlament eröffnet.

Festakt zur Eröffnung des sanierten Parlamentsgebäudes

Stenographisches Protokoll

 

 

 

verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle

 

Donnerstag, 12. Jänner 2023

15 Uhr bis 17.05 Uhr

Bundesversammlungssaal des Parlaments

 


Beginn des Festaktes: 15 Uhr

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Die Veranstaltung beginnt mit der musikalischen Darbietung von „La Réjouissance“ aus „Music for the Royal Fireworks“ von Georg Friedrich Händel durch Mitglieder der Wiener Philhamoniker.

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Moderatorin Clarissa Stadler: Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie sehr herzlich hier begrüßen – Sie alle hier im Saal und auch Sie alle, die uns heute live im ORF zuschauen. Mit dem schwungvollen 4. Satz aus Georg Friedrich Händels „Feuerwerksmusik“ haben die Wiener Philharmoniker den heutigen Festakt eröffnet. „La Réjouissance“ heißt dieses Stück, also der Jubel – und was könnte denn besser passen, um diesen heutigen Freudentag zu untermalen?

Händels „Music for the Royal Fireworks“ ist 1749 in London zur Feier des Friedens von Aachen, der ja die österreichischen Erbfolgekriege beendete, uraufgeführt worden. Auch das Parlament feiert heute. Hören Sie nun zuerst die Rede von Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka und dann gleich die Rede von Bundesratspräsidenten Günter Kovacs.

Ansprache des Präsidenten des Nationalrates

Präsident des Nationalrates Mag. Wolfgang Sobotka: Einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts, Albert Schweitzer, hat einmal gemeint: Erst bauen die Menschen Häuser und dann die Häuser den Menschen. – Diesen Gedanken sehe ich als Wunsch und Aufforderung, uns dessen bewusst zu sein, wie sehr uns dieses Haus inspiriert. Lassen wir uns von der Würde dieses Hauses und auch von der neuen Architektur, die Sachlichkeit und Respekt vor dem historischen Bestand vermittelt, leiten!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Regierungsmitglieder! Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident! Sehr geehrte Mitglieder des Präsidiums! Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete aller Parlamente! Werter Herr Kardinal, Vertreter der Kirchen! Geschätzte Präsidentinnen und Präsidenten aus Deutschland, aus Tschechien, aus Slowenien, aus der Slowakei, aus Italien, Vizepräsidenten aus Ungarn und aus der Schweiz! Werter Herr Parlamentsdirektor Dossi! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Geschätzte Musikerinnen und Musiker! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal und zu Hause vor den Bildschirmen!

Wir sind wieder daheim. Das Hohe Haus hat uns wieder, und wir haben unser Haus wieder. Das erfüllt Sie und auch mich mit großer Freude und Dankbarkeit: Dankbarkeit gegenüber all jenen, die mitgeholfen haben, dieses Jahrhundertvorhaben zu realisieren.

Unser Haus am Ring wurde 1883 nach den Plänen von Theophil Hansen errichtet. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wurde es durch Max Fellerer und Eugen Wörle wieder aufgebaut, und jetzt führen wir es in die dritte Ära seiner baulichen Geschichte.

Würde ich allen danken, denen Dank gebührt, würde diese Rede Stunden dauern. Deshalb möchte ich einigen stellvertretend für viele, viele andere danken: zuallererst den Abgeordneten, die diesen einstimmigen Beschluss zur Generalsanierung des Hauses gefasst haben und es in der Bauzeit wunderbar begleitet haben, im respektvollen Gedenken an meine Vorgängerin im Amt, Barbara Prammer – Sie hat die Entscheidung zur Renovierung vorangetrieben. Ihre Nachfolgerin, meine heutige Kollegin Doris Bures, hat die Umsetzung beherzt in Angriff genommen.

Ich danke den Architekten András Pálffy und Christian Jabornegg – sie haben zwei Eigenschaften für eine geniale Generalplanung vereint, nämlich eine hohe Sensibilität und architektonisches Selbstbewusstsein –, Zivilingenieur Ortfried Friedreich für die geradezu generalstabsmäßige Durchführung, der Bundesimmobiliengesellschaft mit den Herren Gleissner, Wagner und Kietreiber-Nanka und Frau Bettina Bauer-Hammerschmidt, die für die Umsetzung des Baus zeitlich wie finanziell professionell verantwortlich gezeichnet haben, sowie der umsichtigen örtlichen Bauaufsicht der Herren Wendl und Gardavsky. Mein besonderer Dank gilt vor allem den Technikern, den Detailplanern und allen ausführenden Firmen. Sie haben mit ihrer Arbeit ein beeindruckendes Zeugnis österreichischer Ingenieurkunst abgelegt sowie eine Visitenkarte exzellenten Handwerks abgegeben. Wir alle sehen ihre Arbeit an den Tausenden Details dieses Hauses.

Ich danke dem Atelier Brückner und dem Architekturbüro BWM für die Gestaltung des interaktiven Besucherzentrums und der Bibliothek sowie den Kuratoren Hans-Peter Wipplinger, Franz-Josef Wein und Jasmin Kapp, die mit ihrer Expertise punkto Kunst, Pflanzen und Möbel dieses Haus bereichert haben. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Team von Vizedirektor Alexis Wintoniak – es hat dafür gesorgt, dass das Haus nutzbar ist – sowie Susanna Enk und Ulla Felber mit ihrem Expertenstab, die dafür verantwortlich sind, dass das Besucherzentrum ein wahrliches Erlebnis ist.

Sie alle haben im Geiste des Miteinanders den heutigen Tag möglich gemacht – dafür, mit großem Respekt, ein tief empfundenes und herzliches Dankeschön! (Beifall.)

Danken darf ich auch unserem Festredner Dr. Wolfgang Schäuble, der wie kein anderer auf 50 Jahre parlamentarische Erfahrung zurückblicken kann und trotz seiner leichten Indisposition diesen Weg auf sich genommen hat, den Wiener Philharmonikern für ihr Geschenk der musikalischen Begleitung dieses Festaktes sowie den Wiener Chormädchen und den Wiener Sängerknaben für ihre gesanglichen Beiträge und schließlich den beiden Damen vom ORF, Clarissa Stadler und Rebekka Salzer, die diesen Festakt moderieren.

Der heutige Tag ist ein besonderer Anlass zur Freude, denn er soll auch Ausgangspunkt einer neuen Ära des Parlamentarismus in Österreich sein.

Ist unsere Demokratie perfekt? – Zweifelsohne nein, aber sie ist alternativlos. Sie ist die Grundlage für ein Leben in Freiheit und Wohlstand. Ja, in den vergangenen Jahren hat das Vertrauen in demokratisch legitimierte Institutionen gelitten, und doch: Die Demokratie als Staatsform ist im Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher stark und stabil verankert, wie die letzten Untersuchungen des Demokratiemonitors gezeigt haben.

Die Demokratie hat sich ihren Platz in der Geschichte erkämpft und auch architektonisch ihren Platz erobert. Sie hat die Häuser der Monarchie umformuliert: Die frühere Haus-, Hof- und Staatskanzlei wurde durch die Demokratie zum Bundeskanzleramt, die vormalige kaiserliche Hofburg wurde zur Präsidentschaftskanzlei. Das Parlament hat sich früh durch eine eigenständige architektonische Ausformung manifestiert. Das Haus am Ring hat dabei in seiner baulichen Entwicklung stets die Ansprüche und Gegebenheiten wechselnder Zeiten reflektiert: mit dem imposanten Reichsratssitzungssaal für die Abgeordneten aller Kronländer – dem heutigen Saal der Bundesversammlung –, mit dem an die Bedürfnisse des Nationalrates in der Zweiten Republik angepassten Nationalratssitzungsaal, auch heute mit einer unglaublichen Öffnung des Parlaments für alle als Ort der Begegnung, des Dialogs einer pluralen Gesellschaft, des respektvollen Austausches auf Augenhöhe und über den Kreis der politischen Parteien hinaus, auf mehr als 10 000 m2 neuer Nutzfläche, die ausschließlich unseren Besucherinnen und Besuchern zur Verfügung steht, mit dem interaktiv und inklusiv gestalteten Besucherzentrum, mit der für alle als Sprachraum der Demokratie umgestalteten Bibliothek, mit der über dem Plenarsaal neu eingerichteten Demokratiewerkstatt und mit dem Wiener Café und dem Rooftoprestaurant Kelsen, die allen Menschen offen stehen.

Politisches Bewusstsein gestaltet sich seinen Raum. Haben Machthaber der Vergangenheit Architektur als Ausdruck der Dominanz und der Herrschaft verstanden, so begreifen wir heute das Parlament als das bauliche Herz unserer Demokratie, als ein Haus aller Österreicherinnen und Österreicher. Wenn wir genau hinhören, teilt uns dieses Haus vielleicht seinen Wunsch an uns alle mit: nämlich dass unser Denken, Reden und Handeln von gegenseitigem Respekt geprägt sein sollen. Das ist heute notwendiger denn je, weil wir den oftmals zeitgleich auftretenden großen Herausforderungen wie der Klimaveränderung, der Migration, dem Krieg, der Ressourcenknappheit oder der Inflation nur gemeinsam entgegentreten können, und zur gemeinsamen Bewältigung braucht es Kooperationsbereitschaft, Toleranz und Wertschätzung – in der Art, wie wir miteinander sprechen, in der Kultur unserer Debatte, in unserem Umgang miteinander und in dem, was die Vielfalt eines Parlaments ausmacht: dem Respekt vor den Meinungen der anderen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Nehmen wir den Wunsch, das Geschenk, den Auftrag dieses Hauses würdig an! Unser Haus gibt der Demokratie Heimat und Identität. Unsere Heimat ist der Demokratie schon aus der historischen Dimension heraus zutiefst verpflichtet, und unsere Demokratie wird von wechselseitigem Respekt getragen. Lassen wir uns von dieser Wirkung des Hauses in unserem politischen Agieren leiten und begleiten. (Beifall.)

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Ansprache des Präsidenten des Bundesrates

Präsident des Bundesrates Günter Kovacs: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident mit dem Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Meine sehr verehrten Exzellenzen! Geschätzte Landeshauptleute! Herr Bundestagspräsident außer Dienst! Sehr geschätzte Klubobleute und Abgeordnete! Sehr verehrte Fest- und Ehrengäste! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher!

Es freut mich sehr, heute an diesem Festakt als Präsident des Bundesrates mitwirken zu können. Gerade, vor wenigen Minuten, konnten wir den Bundesratssitzungssaal eröffnen, und damit hat auch die Länderkammer wieder ihren eigenen Sitzungssaal hier im Haus am Ring.

Dieses Haus hat natürlich eine besondere historische Bedeutung für uns. Heute, mit der Wiedereröffnung, schlägt das Herz der Demokratie wieder in diesem historischen Bau von Theophil Hansen, der auf die Wiege der Demokratie hindeutet und wie kein anderes Gebäude die jüngere, sehr wechselvolle Geschichte widerspiegelt.

Nach fast fünf Jahren Bauzeit kann hier wieder der parlamentarische Betrieb aufgenommen werden. Ich möchte allen sehr herzlich danken, die einen Beitrag zur Realisierung geleistet haben – danke schön. (Beifall.)

Auch im Gedenken an eine Persönlichkeit, die heute leider nicht mehr unter uns ist und die als damalige Nationalratspräsidentin wesentlichen Anteil daran hatte, dass ein gemeinsamer Beschluss aller Parlamentsparteien gefasst werden konnte: Barbara Prammer hat die Sanierung des Parlamentsgebäudes 2014 als „ein klares Signal für den Parlamentarismus“ bezeichnet. Dieses Signal soll auch von der heutigen Eröffnung und von allen Aktivitäten rund um diese Eröffnung ausgehen. (Beifall.)

Der Beginn dieses Vorhabens stand im Geiste des Miteinanders. So ist zu hoffen, dass dieser Geist auch nachwirkt und zu einem respektvollen Diskurs in diesem Haus beitragen wird. Ich möchte dazu Richard von Weizsäcker zitieren, der sagte: „Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen.“ – Ich denke, dass dieser Respekt auch ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ist, wenn es darum geht, das Vertrauen in die Demokratie, in ihre Institutionen und Repräsentanten zu stärken. Man hört und liest, dass in aktuellen Studien und Umfragen von einem Vertrauensverlust die Rede ist. Das müssen wir sehr, sehr ernst nehmen. Wir müssen alles dafür tun, dass das Vertrauen in die Demokratie wieder gestärkt wird.

Auch mit dem Blick auf den Krieg in der Ukraine, auf Krisen und Unterdrückung in anderen Teilen der Welt: Da haben wir eine Verantwortung, der wir gerecht werden müssen, denn wir sehen, dass diese Krisen auch uns treffen. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die wirtschaftlichen Folgen, Migration, Energieversorgung, Teuerung, aktuell auch die Probleme in der Gesundheitsversorgung: All das bereitet den Menschen sehr, sehr große Sorgen, und diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Es muss an vernünftigen Lösungen gearbeitet werden. Wir brauchen kompetente Entscheidungen und vor allem Transparenz. Wir brauchen Maßnahmen, die für die Menschen verständlich und auch nachvollziehbar sind. Wir brauchen Treffsicherheit bei den Hilfen, die geleistet werden. Viele müssen sich heute schon einschränken, weil manches in Österreich nicht mehr leistbar ist. Diese Ängste, diese Sorgen müssen ernst genommen werden.

Was wir brauchen, ist eine Politik auf Augenhöhe. Ein gutes Beispiel dafür geben die Länder und die Gemeinden. Oft wird übersehen: Es ist die große Stärke kleiner Einheiten, dass es die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern gibt. Länder und Gemeinden stehen für eine Demokratie der Nähe, und Nähe stärkt das Vertrauen. In den Ländern, gerade auch in meinem Heimatbundesland, im Burgenland, leben wir dieses Prinzip. Dieses Prinzip gilt es zu wahren und weiterhin zu stärken.

Meine Damen und Herren! Ich komme aus der Kommunalpolitik. Ich war auch im Landtag, und aus dieser Erfahrung heraus weiß ich: Ja, es gibt natürlich unterschiedliche Interessen und Meinungen, aber am Ende ist entscheidend: Was ist gut für das Land, was ist gut für die Menschen in unserem Land? Dafür wurden wir alle gewählt. Das ist unsere Aufgabe, daran werden wir gemessen, ja, daran müssen wir uns in einer Demokratie messen lassen.

Das gilt natürlich auch für den Bundesrat. Als Länderkammer wirken wir bei der Gesetzgebung des Bundes mit, und das ist auch gut so. Das ist ein wichtiges Korrektiv, wie es in unserer Verfassung vorgesehen ist. Der Bundesrat ist eine Säule der Republik. Der Bundesrat bringt sich ein.

Ich möchte an dieser Stelle all meinen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich dafür danken, dass wir diese Aufgabe gemeinsam wahrnehmen, dass besonders der Bundesrat auch über Parteigrenzen hinweg Initiativen setzt – im Interesse der Länder, im Interesse der Menschen und im Interesse unseres Landes. (Beifall.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sanierung des Parlamentsgebäudes ist abgeschlossen. Es wurden viele, auch baulich dringende Maßnahmen gesetzt. Es war sicher eine große Herausforderung, diesen historischen Bestand fit für die Zukunft zu machen.

Besonders erfreulich finde ich, dass dabei auch an die weitere Öffnung des Hauses gedacht wurde. Damit können Menschen noch besser am parlamentarischen Leben teilhaben, was auch wesentlich für die Stärkung der Demokratie in Österreich ist. Ich denke da zum Beispiel an das neue Zentrum für Besucherinnen und Besucher. Dieses Zentrum ist eine Einladung, vor allem für junge Menschen, sich mit der Geschichte, mit Politik und Demokratie auseinanderzusetzen. Es gibt Tage der offenen Tür. Parlament on Tour macht eine Reise durch die Bundesländer, beginnend in wenigen Tagen in meinem Heimatbundesland, im Burgenland.

Das alles zeigt schon, dass wir es mit der Öffnung des Parlaments ernst meinen. Die Sanierung des Parlaments ist, wie es Barbara Prammer sagte, „ein klares Signal für den Parlamentarismus“. An uns allen liegt es, dass dieses Signal bei heutigen und auch bei künftigen Generationen Gehör findet.

Ich lade alle Menschen in unserem Land ein: Machen Sie sich ein Bild von der Herzkammer der Demokratie, vom zentralen Ort der Demokratie in Österreich! Seien wir gemeinsam stolz darauf, wie sich dieses Österreich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, und tun wir alles, damit das Vertrauen in die Demokratie gestärkt wird, als Basis für die Zukunft unseres Landes. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Moderatorin Clarissa Stadler: Bis zum Ende der Monarchie hieß das österreichische Parlament Reichsrat und bestand aus zwei Kammern: dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Im Herrenhaus saßen Adel, Klerus und besonders verdienstvolle Bürger. Ein prominenter Parlamentarier im Herrenhaus war der international renommierte Komponist Antonín Dvořák, den Kaiser Franz Josef 1901 zum Ritter von Dvořák ernannt hatte. Dvořák war also diesem Haus in seinen letzten drei Lebensjahren eng verbunden, er war buchstäblich hier tätig, und in dieser Zeit entstand auch der Walzer, den wir jetzt gleich hören. Es ist der Walzer in A-Dur, Opus 54 Nummer 1 von Antonín Dvořák. Wir hören die Wiener Philharmoniker.

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(Mitglieder der Wiener Philharmoniker intonieren den Walzer in A-Dur für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass, Op. 54 Nr. 1, von Antonín Dvořák.)

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Moderatorin Clarissa Stadler: Ein Walzer von Antonín Dvořák war das, geschrieben in jenen Jahren, als auch dieses Haus hier gebaut wurde.

Theophil Hansen, der geniale österreichisch-dänische Architekt, hat das Parlament als sein Lebenswerk betrachtet. Er hat nicht nur das Gebäude geplant, er hat wirklich minutiös jedes Detail, jedes Möbel, jede Lampe bis zum Lüftungsgitter designt. Man kann wirklich sagen, es ist ein Gesamtkunstwerk. Der historische Sitzungssaal, in dem wir uns befinden, ist einem Theater nachempfunden. Wie sich immer wieder zeigt und wie wir auch heute erleben können, ist er auch für Konzerte bestens geeignet.

Jetzt darf ich aber die Reden der Zweiten Präsidentin des Nationalrates Doris Bures und des Dritten Präsidenten des Nationalrates Norbert Hofer ankündigen.

Ansprache der Zweiten Präsidentin des Nationalrates

Zweite Präsidentin des Nationalrates Doris Bures: Sehr geschätzter Herr Bundespräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich 2014 nach dem viel zu frühen Tod von Barbara Prammer zur Nationalratspräsidentin gewählt wurde, übernahm ich von ihr auch das so professionell vorbereitete Projekt der Generalsanierung des Parlamentsgebäudes.

Dieses Projekt wurde auf Basis eines langen, breiten und soliden parlamentarischen Konsenses gestartet. Ziel war es, ein modernes Arbeitsparlament für die Zukunft zu schaffen, vor allem aber ging es um die dringlich notwendige Erhaltung der historischen Bausubstanz auch für nächste Generationen. Alle Parlamentsfraktionen wurden dabei eingebunden und trugen dieses komplexe Sanierungsprojekt mit. Seriosität, Aufrichtigkeit und offene Kommunikation waren die entscheidenden Instrumentarien. Die Jahre des Umbaus mitsamt des dann 2017 erfolgten aufwendigen Umzugs ins Ausweichquartier standen trotz allem für Kontinuitäten: Kontinuitäten, wenn es um die Bedeutung von Freiheit, liberaler Demokratie und Menschrechten geht.

Die letzten fünf Jahre stehen aber auch für Brüche, für politischen Aufprall und durchaus auch für heftige Schocks, denn seitdem ist viel geschehen. Es ist viel geschehen in diesem Haus, es ist viel geschehen in unserem Land, in unserer Welt. Brüche, Umbrüche, ja eine Zeitenwende haben mittlerweile Einzug in das globale politische Geschehen gehalten. Schließlich kam mit der Covid-Pandemie eine Gesundheitskrise, die die Welt bereits drei Jahre lang in ihren Fesseln hält.

Kaum dachte man, all das sei fordernd genug gewesen, da wurden wir mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu Zeugen des nächsten historischen Schocks. Europa wurde nach friedvollen Jahrzehnten erstmals wieder zum Schauplatz eines furchtbaren Angriffskrieges, von Vertreibung und Zerstörung.

Ja, und in der Innenpolitik wurde viel zu oft mit schrillen Angstparolen und mit wohlklingenden Illusionen hantiert. Bei vielen wurden zuerst Hoffnungen geweckt, letztlich aber allzu oft bitter enttäuscht.

Diese Brüche und Erschütterungen haben in unserem Land zu einem massiven Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust geführt. Das hat letztlich auch der Demokratiemonitor so dokumentiert.

Hybris, Selbstgefälligkeit und Abgehobenheit waren die eitlen Weggefährten eines demokratiepolitisch bedenklichen Kurses der Abwertung der Politik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, umso mehr muss es daher jetzt nach der Sanierung des Parlamentsgebäudes auch eine grundlegende Sanierung des Vertrauens in die Demokratie und ihre Institutionen geben. (Beifall.)

Ich denke, dies sollten wir im neuen Parlament mit Aufrichtigkeit und mit Mut zu einer offenen Fehlerkultur angehen, hin zu einem respektvollen demokratischen Diskurs, denn dieses heute so strahlende Haus darf kein Hort des Establishments und keine Heimstatt vermeintlicher Eliten sein. Dieses Parlament, als Arbeitsort der demokratisch gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter, ist ein Haus des Volkes. Rufen wir uns in Erinnerung: Seinen Interessen, seinem Wohl und Wehe gilt unser tägliches aufrichtiges Streben! Dafür braucht es Empathie und mehr Respekt. Wir müssen die Meinungsvielfalt achten, auch Zwischentöne zulassen und hören.

Die Präsidentin des Deutschen Bundestages Bärbel Bas hat dies kürzlich in ihrer Rede zum Tag der Deutschen Einheit so formuliert: „Suchen wir das Gespräch! Gehen wir einander nicht aus dem Weg, weil es bequemer ist! Fragen wir nach! Machen wir uns die Mühe, Widerspruch auszuhalten!“ Es braucht „weniger Wut und mehr Respekt. Weniger Rechthaberei und mehr Neugier. Weniger Vorurteile und mehr Empathie.“ – Auch ich denke wie Bärbel Bas. Nur so können wir verloren gegangenes Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiedergewinnen.

Hohe Festversammlung! Erlauben Sie mir, abschließend noch festzuhalten: Hunderte haben an diesem Projekt und auf dieser Baustelle gearbeitet – hart gearbeitet. Stellvertretend für diese vielen fleißigen Menschen, die diese komplexe Sanierung in den vergangenen Jahren realisiert haben, habe ich heute eine Gruppe junger Menschen als meine persönlichen Ehrengäste eingeladen. Es sind die Lehrlinge, die im Zuge ihrer Ausbildung hier an der Sanierung dieses Hauses gearbeitet haben.

Ich möchte euch stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen: Ihr könnt mit Fug und Recht stolz auf die hier im Herzen der Demokratie vollbrachte Leistung sein. Ohne euch und ohne Sie wäre all das nicht möglich gewesen. Daher gilt Ihnen heute unser Dank und auch unsere Anerkennung. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

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Ansprache des Dritten Präsidenten des Nationalrates

Dritter Präsident des Nationalrates Ing. Norbert Hofer: Herr Bundespräsident! Herr Präsident des Nationalrates! Frau Zweite Präsidentin! Herr Präsident des Bundesrates! Herr Präsident des Deutschen Bundestages außer Dienst und Bundesminister außer Dienst! Meine sehr verehrten Fest- und Ehrengäste! Ich darf mich zuerst den Dankesworten anschließen, die Sie alle jetzt auch unterstrichen haben. Ich freue mich, dass wir heute auch Menschen im Saal haben, die mit Schweißgerät und Hobel, mit Bohrer und Lötkolben noch gut umgehen können – herzlich willkommen hier im Parlament!

Wir können heute mit großer Freude dieses Parlament als Hort der Demokratie, als Kern des Diskurses neu eröffnen. Wir übergeben es dabei aber nicht uns, der Politik, wir übergeben es dem Souverän, den Wählerinnen und Wählern. Es ist ihr Haus!

Es sind heute Persönlichkeiten aus allen möglichen gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen hier in diesem historischen Sitzungssaal anwesend, der Natur des heutigen Tages entsprechend natürlich viele Politikerinnen und Politiker. Wir haben viele Gesichter gesehen, die jetzt eine große Rolle spielen, und auch solche, die früher eine große Rolle gespielt haben. Die wenigsten von uns – ich glaube, da werden Sie mir recht geben – hatten als Kind den Wunsch, Politiker zu werden. Ich kenne einen ehemaligen Bundeskanzler, der diesen Wunsch sehr früh gehabt hat, die meisten von uns aber haben sich doch eher gewünscht, ich weiß nicht, Pilot, Pilotin zu werden, Forscher, Forscherin, Ärztin, Arzt, also etwas in diese Richtung.

Irgendwann aber im Laufe unseres Lebens haben wir uns entschieden, diesen Weg für uns einzuschlagen, und heute ist eine gute Gelegenheit, sich auch daran zu erinnern, warum wir uns dazu entschlossen haben, was eigentlich die Motivation war, diesen nicht immer ganz einfachen Weg zu gehen. Ich glaube und hoffe, dass es die Motivation war, einen positiven Beitrag leisten zu können, der eine gewisse Bedeutung hat – jeder nach bestem Wissen und Gewissen –, um das Zusammenleben hier in Österreich positiv zu gestalten. Natürlich mag es auch andere Gründe geben – jeder von uns ist ein bisschen eitel –, aber ich glaube, dass diese anderen Gründe nicht überwiegen dürfen, denn sonst schafft man es nicht, über Jahre hinweg wirklich Freude an diesem Beruf zu haben und auch seine Erfüllung zu finden.

Ich bin vor 32 Jahren als junger Mitarbeiter einer Airline – auch ich kann noch mit Schweißgerät und mit Lötkolben umgehen – hier vor dem Parlament gestanden und habe mir gedacht: Was muss es für eine unfassbare Ehre sein, in diesem Haus wirken zu dürfen? Ich bitte Sie, halten Sie es in fester Erinnerung, was für eine große Ehre das ist und wie vielen Menschen Sie verpflichtet sind: den Menschen, die Sie gewählt haben, den Menschen, die für Sie, als ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gelaufen sind – im wahrsten Sinn des Wortes –, damit dieser Weg in die Politik möglich geworden ist. Immer dann, wenn Sie bei einer Abstimmung sitzen bleiben oder aufstehen, sind Sie diesen Menschen, aber auch unserem Land Österreich verpflichtet.

In einer Zeit der Ausgrenzung Andersdenkender, in einer Zeit der Algorithmen, die uns mit Gleichdenkenden in ein virtuelles Zimmer sperren, ist eine vortreffliche Diskussion oftmals schwierig. Sie wird oft nicht geschätzt, der Andersdenkende wird sofort als Gegner, als Feind betrachtet. Ich darf in Erinnerung rufen, dass es hier in diesem Haus auch um das Zuhören geht, um das aufmerksame Zuhören, und um den Versuch, die Welt auch aus den Augen des anderen zu sehen, ohne dessen Meinung annehmen zu müssen. Das Parlament ist schon aufgrund seiner Natur ein Ort der unterschiedlichen Meinungen, ein Ort der Diskussion und ein Ort, an dem am Ende eines Entscheidungsprozesses das Gesamtwohl im Vordergrund zu stehen hat.

Meine Damen und Herren, das Gesamtwohl – ich darf das als jemand, der auch die Regierungspolitik kennengelernt hat, auch als Koordinator, sagen – ist nicht automatisch die Meinung der Regierungsparteien. Es ist aber auch nicht automatisch die Meinung der Oppositionsparteien. Das müssen wir uns vor Augen halten. Das Gesamtwohl in einer Demokratie entspringt der lebhaften Diskussion und – das möchte ich heute auch unbedingt unterstreichen – auch dem emotionalen Streit.

Natürlich ist es heute ein Neustart in diesem renovierten Haus und wir nehmen uns vor, eng zusammenzuarbeiten und auch das Gegenüber zu achten und mit Respekt zu behandeln, aber wir brauchen auch diesen emotionalen Streit, denn wir haben alle eine tiefe innere Überzeugung und die führt natürlich auch zu einer emotionalen Diskussion.

Erlauben Sie mir auch, vor Menschen in der Politik zu warnen, die niemals ihre Meinung ändern. Das ist keine Stärke, das ist eine Schwäche, denn die Welt dreht sich weiter, sie ist vielschichtig. Wir müssen alte Probleme lösen, aber auch die neuen. Es ist auch eine Stärke, zu sagen: Ich sehe heute die Welt aus einer Perspektive, die es notwendig macht, auch einmal eine Meinung anzupassen. – Das ist ganz unbedingt eine große Stärke einer großen Persönlichkeit. (Beifall.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der Galerie – vielleicht irgendwo dort, wo jetzt auch Plätze besetzt sind – saß einmal Mark Twain, der von 1897 bis 1899 in Wien gelebt hat, aus diesem Haus mit seinen Reportagen aus dem Reichsrat berichtet hat und sich auch intensiv mit den Diskussionen hier befasst hat. Er hat einmal gemeint: „Kein Breitengrad, der nicht dächte, er wäre Äquator geworden, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre.“ (Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne darf ich Ihnen alles Gute wünschen, viel Energie in diesem renovierten Haus. Ich freue mich auf eine sehr gute Zusammenarbeit. – Alles Gute. (Beifall.)

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Moderatorin Clarissa Stadler: Meine Damen und Herren! Nicht nur für das Parlament, auch für die Wiener Sängerknaben ist das Jahr 2023 ein Grund zum Feiern. Nach dem traditionellen Einsatz beim Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern wird es dieses Jahr auch noch ein großes Festkonzert im Musikverein zum 525-jährigen Jubiläum geben. Dabei werden – wie auch schon beim Neujahrskonzert – auch die Chormädchen dabei sein und, so viel darf ich jetzt schon verraten, auch wir werden sie heute im Laufe des Nachmittags noch hören.

Jetzt sind aber einmal die Buben dran. Gemeinsam mit den Philharmonikern hören wir jetzt ein zünftiges Volkslied aus dem Alpenraum.

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Die Wiener Sängerknaben und Mitglieder der Wiener Philharmoniker intonieren die Volksweise „Singa is ins’re Freud!“.

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Moderatorin Clarissa Stadler: Meine Damen und Herren, er zählt zu den Persönlichkeiten, die die deutsche Geschichte wesentlich mitgeprägt haben, und kaum einer kann auf eine so lange politische Karriere zurückblicken wie er. Wolfgang Schäuble ist der am längsten amtierende Abgeordnete in der deutschen Parlamentsgeschichte. Vier Jahre lang war er Präsident des Deutschen Bundestages, seit 50 Jahren ist er ununterbrochen Mitglied des Deutschen Bundestages und damit auch Rekordhalter.

Der promovierte Jurist und CDU-Politiker hatte mehrere Ministerämter inne. Als Bundesinnenminister trug er entscheidend zur Deutschen Einheit bei. Im selben Jahr aber, 1990, wurde Wolfgang Schäuble bei einem Attentat so schwer verletzt, dass er seither auf den Rollstuhl angewiesen ist. Wolfgang Schäuble hat Höhen und Tiefen der Politik erlebt. Als leidenschaftlicher Parlamentarier ist er eingeladen, heute hier die Festrede zu halten. (Beifall.)

Festrede

Präsident des Deutschen Bundestages a. D. Dr. Wolfgang Schäuble, MdB: Herr Bundespräsident! Herr Bundeskanzler! Herr Präsident des Nationalrates! Herr Präsident des Bundesrates! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir eine große Ehre, heute bei Ihnen zu sein und zu Ihnen sprechen zu dürfen – in der Heimatstadt Karl Poppers, der mich in meinem politischen Denken sehr beeinflusst, und hier in Wien, dessen Straßen mit Kultur gepflastert sind, wie Karl Kraus es einmal formulierte.

Ich freue mich aber vor allem, hier zu sein, weil die Wiedereröffnung dieses grandiosen Parlamentsgebäudes – ohne Zweifel ein Kulturdenkmal – eben auch ein Fest des Parlamentarismus, ein Fest der Demokratie ist. Die Grundsanierung des historisch wertvollen Erbes und seine Weiterentwicklung zur modernen Wirkungsstätte des Parlaments ist ein starkes Zeichen der Wertschätzung für die Demokratie.

Welche Mammutaufgabe es war, kann ich einigermaßen erahnen. Wir haben in Berlin auch unsere Erfahrungen mit Umbau und Sanierung des Reichstagsgebäudes (Heiterkeit), allerdings in einer kleineren Dimension. Was ein Parlamentsumzug bedeutet, ist mir auch noch in lebhafter Erinnerung. Jedenfalls muss die Leistung angemessen gewürdigt und gefeiert werden.

Es ist zugleich ein guter Anlass, über den Wert der parlamentarischen Demokratie nachzudenken, denn – auch wenn es uns manchmal so vorkommt – Demokratie ist nicht voraussetzungslos und schon gar nicht selbstverständlich.

Ein Blick in die Geschichte genügt, um das zu erfahren. Als im März 1848 Menschen vor der Wiener Hofburg für demokratische Rechte demonstrierten, soll Kaiser Franz Ferdinand gefragt haben: Ja, dürfen’s denn das?

Es ist inzwischen ein geflügeltes Wort, das uns heute vielleicht schmunzeln lässt, aber damals war das unerhört. Heute ist Versammlungsfreiheit ein Grundrecht, das auch gerichtlich erstritten werden kann. Damit sind wir bei der Notwendigkeit von Checks and Balances, denn sie machen die Herrschaft der Mehrheit erst zu einer stabilen Freiheitsordnung.

Wir in Deutschland haben lange gebraucht, bis wir von einer geglückten Demokratie sprechen konnten. „Wege–Irrwege–Umwege“ heißt eine Ausstellung des Deutschen Bundestages zur Geschichte unserer Demokratie. Der Titel beschreibt gut die wechselvolle Entwicklung hin zu einem demokratisch verfassten Rechtsstaat in Deutschland. Nein, Demokratie ist nicht selbstverständlich, sie ist nicht voraussetzungslos und wir müssen sie uns immer wieder aufs Neue erarbeiten.

Der zentrale Ort der Demokratien ist das Parlament, das Forum der Nation. Deswegen möchte ich bei diesem feierlichen Anlass einige Gedanken über das wie es mir scheint oft verkannte Prinzip der Repräsentation formulieren, ein demokratisches Prinzip, das unverzichtbar ist und zugleich herausgefordert, denn Repräsentation wird zunehmend mit Repräsentativität verwechselt. Wir Abgeordnete sind aber nicht Vertreter nur bestimmter Regionen oder einzelner gesellschaftlicher Gruppen, sondern wir sind immer Vertreter des ganzen Volkes.

Jetzt kommen multiple Krisen hinzu, die wir seit Beginn des 21. Jahrhunderts in immer kürzeren Intervallen erleben, von der terroristischen Gefahr über die Finanz-, die Euro-, die Migrations-, die Klima- und die Coronakrise bis zum Krieg mitten in Europa. Wir leben sozusagen im Dauerkrisenmodus.

Die gefährlichste Krise aber ist vielleicht die der rechtsstaatlichen Demokratie selbst. Das beobachten wir fast überall auf der Welt, wo es solche rechtsstaatlichen Demokratien überhaupt gibt. Die politischen Wissenschaften sehen eine Tendenz zur Spaltung der demokratischen Gesellschaften durch Szientifizierung, Moralisierung und Polarisierung. In jüngster Zeit hat gerade die Pandemie die Verwissenschaftlichung der Politik und gleichzeitig die Politisierung der Wissenschaft vorangetrieben – eine ambivalente Entwicklung übrigens. Die Klagen über die Krise der Demokratie sind übrigens nicht neu, eigentlich sind sie so alt wie die Demokratie selbst. Vermutlich lassen sich viele Regalmeter mit Analysen füllen, die das Bild eines politischen Systems im Verfall zeichnen.

In der Bibliothek unseres Bundestages in Berlin haben wir auch einen älteren österreichischen Beitrag zur Krise der Demokratie aus dem Jahr 1914, verfasst von einem Wiener Reichsratsabgeordneten, Ernst Viktor Zenker. Die Zustände in Österreich seien typisch für die allgemeine Krise des Parlamentarismus, beklagte damals der Autor. Vor diesem Hintergrund ist die zugespitzte Diagnose des britischen Politologen David Runciman nur folgerichtig: Demokratie ist Krise. (Heiterkeit.)

Krisen führen aber nicht automatisch in den Verfall, sondern sie wirken als Instrumente beständiger notwendiger Anpassung an sich ständig verändernde Rahmenbedingungen. Deshalb sind Krisen immer auch Chancen. Wir sollten unseren Fokus deshalb stärker auf die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der Demokratie richten, im Sinne Karl Poppers. Auch für die freiheitliche Demokratie gilt: semper reformanda – wie für die menschliche Natur an sich und für die Kirchen sowieso.

Zweifel und Unbehagen am Funktionieren des westlichen demokratischen Systems mehren sich nicht erst seit der Pandemie. Bürger entziehen ihren Institutionen das Vertrauen und übrigens auch ihren Mitbürgern. Sie verhelfen populistischen Vereinfachern in Parlamente und Regierungen oder sie wenden sich ganz vom öffentlichen Gemeinwesen ab. Soziologen sprechen von einem unsichtbaren Drittel, das sich in Politik und Gesellschaft kaum mehr wiederfindet und das auch kaum noch mitmacht.

Das rührt an den Kern unserer Demokratie: nämlich eben das Prinzip der Repräsentation, genau jenes Prinzip also, das den historischen Erfolg der modernen Demokratie einst überhaupt ausmachte. Erst Repräsentation ermöglichte politische Partizipation über Stadtstaaten hinaus in den sich entwickelnden Nationalstaaten. Erst dadurch konnte, so formuliert es Herfried Münkler, die Demokratie in der Vorstellungswelt des Westens hegemonial werden.

Für die Schöpfer der amerikanischen Verfassung war die Repräsentation auch die Antwort auf die religiöse, kulturelle, ethnische Vielfalt der Bürger. Zusammen mit den Checks and Balances sichert sie die Demokratie gegen ihre größte Versuchung ab, nämlich die Tyrannei der Mehrheit in der Stimmungsdemokratie. Die repräsentative Demokratie setzt das Volk und seine Vertreter in ein potenziell konfliktreiches Verhältnis. Da ist der Wille des Wählers, aber eben auch die Eigenständigkeit der Gewählten und die Abhängigkeit des einen vom anderen.

Dolf Sternberger, der in Deutschland durch die Einführung des Begriffs Verfassungspatriotismus, übrigens vielfach missverstanden, bekannt ist, sah genau in diesem wechselseitigen Spannungsverhältnis, das eigentlich vitale Geheimnis des Systems. Jedenfalls ist für die Legitimität der repräsentativen Demokratie die Beziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten zentral. Hier entscheidet sich, ob die parlamentarische Demokratie, wie wir sie kennen, Zukunft hat.

Die Frage ist: Wie gelingt es uns, das Prinzip der Repräsentation zu behaupten? Es gibt darauf keine einfachen Antworten in einer Gesellschaft, die sich pluralisiert, die bunter und individualistischer wird, die von der Globalisierung und vom beschleunigten digitalen Wandel herausgefordert ist, in der die Konflikte zunehmen und die Integrationskräfte von Parteien und Parlamenten schwinden. Nicht alles, aber vieles hängt mit der digitalen Kommunikation im vernetzen Raum zusammen. Internet und soziale Netzwerke ermöglichen neue Formen der Teilhabe und sie erleichtern es, sich einzubringen. Damit verband sich einst die Hoffnung, das politische Gleichheitsversprechen der Demokratie einzulösen. Jeder sollte sich beteiligen und mitdebattieren können – eine gigantische Demokratisierungsmaschine.

Mehr Teilhabechancen bedeuten aber nicht automatisch mehr Partizipation und auch nicht zwangsläufig mehr Akzeptanz für die am Ende getroffenen Entscheidungen – im Gegenteil, Internet und soziale Medien fordern das Prinzip Repräsentation heraus. Die algorithmengesteuerte Aufmerksamkeitsökonomie zementiert Teilöffentlichkeiten, die nicht mehr zum Diskurs über das Gemeinsame zusammenfinden.

Im längsten Teil meiner politischen Laufbahn galt noch die Formel Niklas Luhmanns: Was wir über die Gesellschaft wissen, wissen wir durch die Massenmedien. – Dieser Satz gilt so nicht mehr, jedenfalls nicht ausschließlich.

Die klassischen Massenmedien sind nur noch ein Akteur unter vielen. Fast alle sagen jetzt fast alles im Netz und das, wie es scheint, vorzugsweise nebeneinander, aneinander vorbei oder gegeneinander. Der gemeinsame, geteilte Erfahrungs- und Diskursraum schwindet und wir verlieren die Gewohnheit, uns im kollektiven Gespräch über wichtige Fragen zu verständigen. Genau darauf aber ist die Demokratie angewiesen, besonders in dieser vielfältiger werdenden Gesellschaft.

Über das Netz lässt sich übrigens ad hoc politisch mobilisieren und kollektives Handeln von vielen Einzelnen organisieren. So unterschiedliche Bewegungen wie Fridays for Future oder die Querdenker verdanken ihre Durchschlagskraft ihrer Onlinevernetzung und der medialen Verstärkung. Die vermittelnden Instanzen, auf denen die repräsentative Demokratie auch beruht, Parteien, Parlamente, auch Gewerkschaften, Kirchen und Vereine, scheinen sie kaum mehr zu brauchen.

Zugleich erhöht die Partizipation ohne Repräsentation den Druck auf die demokratischen Institutionen. Die gestiegenen Partizipationserwartungen kollidieren nicht nur mit dem Verfahren der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der parlamentarischen Demokratie, diese Demokratisierung der Demokratie führt fast unweigerlich auch zu Enttäuschungen und gefährdet auf lange Sicht die Legitimation gewählter Abgeordneter, für alle verbindlich mit Mehrheit zu entscheiden.

Jüngst hat eine Studie aus Köln herausgefunden, wie wenig die repräsentative Demokratie in Deutschland geschätzt wird. Nur 21 Prozent der Befragten vertrauen demnach den gewählten Abgeordneten. Dafür fordern 48 Prozent eine Gesetzgebung über Volksentscheide und 29 Prozent würden politische Entscheidungen von unabhängigen Fachleuten bevorzugen. Die expertokratischen und populistischen Gruppen eint der Wunsch nach Autoritäten, die jenseits eines mühsamen politischen Prozesses einzig gültige, scheinbar objektive und beste Lösungen anbieten. Dieser Befund korrespondiert übrigens mit den Ergebnissen einer Umfrage des Center for the Governance of Change in Spanien. 2019 sagte ein Viertel der Befragten, dass politische Entscheidungen lieber durch künstliche Intelligenz als von Politikern getroffen werden sollten. Zwei Jahre später befürwortete in der gleichen Umfrage schon die Mehrheit der Europäer, Parlamentarier durch Algorithmen zu ersetzen. – Da brauchen Sie einen anderen Parlamentssaal. (Heiterkeit.)

Wird bald die Science-Fiction-Geschichte von Isaac Asimov Wirklichkeit, der schon 1955 in den USA die Vision einer elektronischen Demokratie entworfen hat? Der israelische Historiker Yuval Harari diagnostiziert jedenfalls den drohenden Kontrollverlust der Politik, weil sie mit der Beschleunigung technologischer Prozesse nicht Schritt halten könne. Wir sollten auch diesen Befund ernst nehmen. Allerdings glaube ich nicht, dass alle digitalen Fantasien wirklich werden – und wenn, wäre das weder eine schöne Vision noch eine drohende Gefahr.

Es wird genug zu regeln bleiben, was sich nicht errechnen lässt, denn Repräsentation leistet, was auf keinem anderen Weg ausreichend gut gelingt – nicht nur die Vertretung mobilisierbarer Interessen, sondern der Ausgleich widerstreitender Interessen, das heißt, nicht nur fordern, sondern auch gestalten, nicht nur entscheiden, sondern auch verantworten. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das repräsentative Prinzip besser funktioniert, dass sich Bürgerinnen und Bürger besser vertreten fühlen und im demokratischen Prozess wiederfinden. Das ist eine Aufgabe, die zuallererst bei den zentralen Repräsentationsinstanzen liegt, bei Parlamenten und bei Parteien.

Wir brauchen auch eine Kultur des Zuhörens, die Bereitschaft, den Blickwinkel des jeweils anderen mitzudenken, ins Gespräch zu kommen, ohne von vornherein auszuschließen, dass der andere auch recht haben könnte. Wir müssen uns viel stärker darum bemühen, den anderen überhaupt zu erreichen. Vor allen Dingen brauchen wir wirkungsvolle Antworten darauf, wie wir gesellschaftliche Gruppen, die sich längst nur noch aus Quellen informieren, die gar kein Interesse an demokratischem Diskurs haben, in unsere Öffentlichkeit zurückholen.

Wir haben diese verhärteten Fronten in der Debatte über die Pandemie erlebt. Wer die Maßnahmen verteidigte oder noch schärfere Beschränkungen forderte, wurde angefeindet, und ebenso derjenige, der die Pandemiepolitik in Zweifel zog. Für eine differenzierte Haltung, für das Anhören der anderen Meinung blieb wenig Raum. Schon in den Achtzigerjahren beobachtete der Philosoph Hermann Lübbe die Neigung, die moralische Integrität des Gegenübers anzuzweifeln statt seiner Argumentation zu widersprechen. Das ist bequem. Empörung ersetzt aber nicht das politische Argument und die notwendige Auseinandersetzung. Nicht jeder, der die Pandemiemaßnahmen hinterfragt, ist ein Verschwörungstheoretiker, nicht jeder, der sich wegen der Aufnahme von Flüchtlingen sorgt, ein inhumaner Fremdenfeind, und nicht jeder, der die europäischen Klimaziele anzweifelt, ein sogenannter Klimaleugner. Wir sollten achtgeben, legitime Positionen nicht aus dem Diskurs zu drängen, auch nicht unter der Geltendmachung von Moral oder Identitäten, die sich bekanntlich schlecht verhandeln lassen.

So entschieden sich die parlamentarische Demokratie gegen jegliche Angriffe auf ihre Regeln und Verfahren wehren muss, so offen muss sie für gegensätzliche Ansichten bleiben. Sie braucht ein maximales Maß an Duldsamkeit gegenüber anderen Meinungen – solange diese nicht den grundlegenden Werten widersprechen. Wenn ich für Gleichberechtigung eintrete, kann ich dennoch Vorbehalte gegenüber dem Gendersternchen haben, das Binnen-I ablehnen oder mich auch für den grammatikalischen Unterschied zwischen dem Leser und dem Lesenden starkmachen.

Politik lässt sich nicht durch Moral ersetzen, auch nicht durch Wissenschaft. Fakten alleine ergeben noch keine Politik, abgesehen davon, dass es auch in der Wissenschaft endgültige Wahrheiten nicht gibt und wissenschaftlicher Fortschritt zumeist in der Falsifizierung bis dato gültiger Auffassungen besteht. Abgesehen davon darf es in der Politik schon deshalb nicht so leicht endgültige Wahrheiten geben, weil damit ja die Freiheit künftiger Entscheidungen untergraben würde.

Welche Lösung vernünftiger ist als eine andere, ergibt sich nicht alleine aus Fakten, sondern eben auch aus Bewertungen, und die unterscheiden sich. Alles andere wäre das Ende des Politischen. Legitimität erzielt die Demokratie durch beides: durch sachgerechte Lösungen und ihr verfassungsrechtlich gesichertes Verfahren der Mehrheitsentscheidung. Dass wir beispielsweise dem Klimawandel entgegenwirken müssen, lässt sich doch nicht ernsthaft bezweifeln. Das entlässt uns aber nicht aus der Pflicht, über den besten Weg zu streiten, gegenläufige Interessen auszugleichen und Mehrheiten zu überzeugen. Wer Ziele und Mittel absolut setzt, bringt sie nicht nur gegen das demokratische Prinzip in Stellung, sondern auch gegen die Kompliziertheit sachgerechter Lösungen – zum Beispiel wenn politische Mehrheiten den vermeintlich besten Weg etwa zur Reduzierung der Umweltbelastung durch den Straßenverkehr festlegen anstatt für neue technologische Lösungen offen zu bleiben.

Sehr geehrte Damen und Herren, zur freiheitlichen Demokratie gibt es keine bessere Alternative – jedenfalls keine, die sich mit unseren Werten verträgt. Allerdings gilt sie nicht mehr unhinterfragt als das bessere Modell. Die Demokratie muss sich beweisen, auch im Wettstreit mit autoritären Staats- und Gesellschaftsmodellen, die mit einem Effizienzversprechen für sich werben, ohne auf Freiheit und Menschenrechte, auf rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien Rücksicht zu nehmen.

Sollten wir selbst aber an der Überlegenheit unserer Demokratie, die das Erbe der westlichen Freiheitsgeschichte ist, zweifeln, dann sollten wir doch bedenken, dass sich die meisten Menschen auf dieser Erde – die nicht das Glück haben, in freiheitlicher Demokratie, in der die Würde jedes Menschen geschützt wird, zu leben – genau danach sehnen. Also: Tragen wir Verantwortung für unsere Demokratie!

Wir tragen diese Verantwortung nicht nur für uns selbst. Wenn wir das Prinzip der Repräsentation stärken wollen, müssen wir uns auch immer wieder um die Faszination der großen, strittigen Debatte im Parlament, also dem Raum, in dem die Vielfalt an Meinungen offen zur Sprache kommt oder wenigsten kommen sollte, bemühen. Die parlamentarischen Pultdeckelkonzerte aus der Zeit der österreichischen Monarchie meine ich damit ausdrücklich nicht. Wir sollten den Streit in der Mitte der Gesellschaft suchen und ihn öffentlich in den Parlamenten austragen, indem wir deutlich machen, dass nie eine Seite alleine recht hat und dass um der Sache willen miteinander gerungen werden muss. Politik ist kein Selbstzweck, Abgeordnete dienen nicht dem Eigeninteresse einer gesellschaftlichen Gruppe oder Meinungsblase, sondern der Gemeinschaft. Noch einmal: Repräsentation bedeutet eben nicht Repräsentativität.

Am Ende der parlamentarischen Debatte stehen Entscheidungen durch Mehrheiten, die wechseln können – ohne Kompromisse geht das nicht –, nicht im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners oder perfekter Lösungen; die Demokratie verlangt von den Abgeordneten vielmehr den Blick auf die wirklich großen Aufgaben und die Fähigkeit, das gesellschaftliche Interesse darauf zu lenken und Orientierung zu geben. Das bedeutet auch, den Menschen etwas zuzumuten, ihnen nicht nur Antworten zu geben, die gerne gehört werden, sondern Lösungen zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Politik ist immer ein schwieriger Abwägungsprozess, ein Austarieren widerstreitender Interessen. Wir als Parlamentarier müssen stets neu beweisen, die großen Herausforderungen unserer Zeit im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie bewältigen zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später.“ (Heiterkeit.) – Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Gustav Mahler, der damit sein komplexes Verhältnis zu Wien beschrieben hat. Ich kann nicht beurteilen, ob seine zeitrelativistische Beobachtung jemals zutraf. Mir scheint aber, heute ist eher Berlin der Ort, an dem alles langsam vorangeht.

Die Gegenwart hat jedenfalls Mahlers Beobachtung revidiert. Dieses herrliche Parlamentsgebäude, Herr Präsident, ist ein Beweis dafür. Die Sanierung ist trotz Pandemie mit einer zeitlich vertretbaren Verschiebung und – wie man hört – im finanziell angestrebten Rahmen erfolgt.

Ich gratuliere Österreich und seinem Parlament auch im Namen unserer Parlamentspräsidentin Bärbel Bas und des ganzen Deutschen Bundestages zu diesem ehrwürdigen Domizil im neuen Glanz. In diesem repräsentativen Gebäude hat die repräsentative Demokratie ein stolzes Zuhause. Ich wünsche dem österreichischen Parlamentarismus viele glanzvolle Debatten unter der neuen gläsernen Kuppel im Respekt voreinander, in der Offenheit füreinander und im Bewusstsein der Verantwortung für das Gemeinwohl, denn – wie Karl Popper einst sagte –: „Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in der Zukunft geschieht.“ – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

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Moderatorin Clarissa Stadler: Das war die Festrede von Wolfgang Schäuble.

Das Repertoire der Wiener Philharmoniker ist vielseitig und scheint auch unendlich groß. Trotzdem werden sie manchmal gebeten, einmal etwas ganz anderes zu spielen. Beim folgenden Stück fiel die Wahl bewusst auf einen Komponisten, dessen Werke hierzulande viel zu wenig bekannt sind und auch viel zu selten gehört werden.

Joseph Horovitz wurde in Wien geboren, als Elfjähriger musste er vor den Nazis fliehen. Er konnte damals gemeinsam mit seiner Schwester über Tirol nach London fliehen und hat dort ein ganz neues Leben begonnen und vor allem eine strahlende Karriere gemacht.

Als Komponist war Horovitz außerordentlich vielseitig, er schrieb Opern, aber auch Soundtracks, mixte E- und U-Musik oder zum Beispiel auch Jazz mit klassischen Instrumenten. Er war für seinen feinen Humor und auch seine Bescheidenheit bekannt. Am 9. Februar vergangenen Jahres ist Joseph Horovitz im Alter von 95 Jahren gestorben. Wir hören nun zwei Sätze aus der „Music Hall Suite“ für Brassquintett.

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(Mitglieder der Wiener Philharmoniker intonieren die letzten beiden Sätze – IV. Soft Shoe Shuffle und V. Les Girls – aus der „Music Hall Suite“ für Brassquintett von Joseph Horovitz.)

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Moderatorin Clarissa Stadler: Ich darf nun an meine geschätzte Kollegin Rebekka Salzer übergeben, sie wird ein Gespräch mit den Klubobleuten der Parlamentsfraktionen zum Thema politische Kultur führen.

Moderiertes Gespräch der Klubobleute

Moderatorin Rebekka Salzer: Vielen Dank für die charmante Übergabe, Clarissa Stadler. Einen schönen Nachmittag an diesem ganz besonderen Tag auch von meiner Seite!

Das Parlament ist ein Ort, an dem von uns gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter diskutieren und darüber verhandeln, wie wir alle gemeinsam in Österreich leben wollen. In der Zeit, in der das Parlament sein Zuhause im Übergangsquartier hatte, also ab 2017, ist, würde ich sagen, außerordentlich viel passiert, nicht nur auf parlamentarischer Ebene: Der Ibizaskandal, ein erfolgreicher Misstrauensantrag gegen die Regierung im Nationalrat, Neuwahlen, eine Handvoll Bundeskanzler und eine Bundeskanzlerin, die Covid-Pandemie mit unzähligen Gesetzesbeschlüssen, Verordnungen, Ermächtigungen haben für enorm viel Diskussionen, aber natürlich auch Streitigkeiten gesorgt, wie auch die Klimakrise, die uns schon seit Längerem beschäftigt und auch noch lange beschäftigen wird, und der Ukrainekrieg, der, wie wir leider alle wissen, immer noch andauert und der auch Auswirkungen auf Österreich und auf die Gesetzgebung hierzulande hat.

Hier im Parlament wird viel diskutiert, debattiert und mitunter eben auch gestritten: welche Debattenkultur im Parlament herrschen sollte beziehungsweise mit welchen Spielregeln Streit stattfinden kann, aber auch darüber, ob das Parlament als der Ort der Demokratie in der Lage ist, das gesunkene Vertrauen – wir haben es schon ein paarmal gehört – der Menschen in die Politik wieder zu stärken.

Darüber möchte ich jetzt mit den Klubobleuten der Parlamentsfraktionen sprechen. Ich darf zu mir nach vorne bitten: ÖVP-Klubobmann August Wöginger und SPÖ-Klubobfrau Dr.in Pamela Rendi-Wagner, FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl ist leider erkrankt, daher darf ich den stellvertretenden Klubobmann Erwin Angerer nach vorne bitten, wie auch die Klubobfrau der Grünen Sigi Maurer und die Klubobfrau der NEOS Mag.a Beate Meinl-Reisinger.

Herr Klubobmann Wöginger, es gibt im neu renovierten Parlament ein Besucherzentrum, das sogenannte Demokratikum – Erlebnis Parlament. Da gibt es Einblicke in die Geschichte der Demokratie, die parlamentarischen Abläufe et cetera. Kann man mit einer solchen Einrichtung forcieren, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik haben? Es gibt einen massiven Vertrauensverlust, wir haben das heute schon ein paarmal gehört.

Klubobmann August Wöginger (ÖVP): Meine sehr geehrten Fest- und Ehrengäste! Ich hoffe, dass der Eingangsbereich, diese neue Agora mit dem Besucherzentrum, das technisch hochmodern ausgestattet ist, Menschen in unser Haus der Demokratie, in unser Parlament lockt, dorthin, wo nicht nur Gesetze beschlossen und diskutiert werden, sondern Demokratie gelebt wird.

Es ist heute schon viel von repräsentativer, parlamentarischer Demokratie geredet worden. Es sind auch Gäste auf der Galerie begrüßt worden, die daran mitgearbeitet haben. Ich begrüße eine Gruppe aus meinem Wahlkreis, aus meinem Heimatbezirk. Die repräsentative Demokratie braucht Botschafterinnen und Botschafter draußen in den Regionen, damit das, was wir hier oftmals gemeinsam – nicht immer, aber dennoch mit Mehrheit – beschließen, in die Regionen hinausgetragen wird. Ich habe eine Gruppe von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern eingeladen, um das hinauszutragen, um dafür zu sorgen, dass dieses Haus besucht wird. Ich danke allen, die in den letzten zehn Jahren an der Sanierung mitgewirkt und mitgearbeitet haben. Es ist ein schönes Haus, wir können stolz darauf sein. Es ist eine Ehre, wenn man hier als Abgeordneter dienen darf.

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau Rendi-Wagner, auch das Parlament leidet laut dem letzten Demokratiemonitor speziell unter einem Vertrauensverlust; der Herr Nationalratspräsident hat es angesprochen. Laut Sora-Institut hatten nur noch 38 Prozent der Bevölkerung im vergangenen Jahr Vertrauen ins Parlament, das sind um 8 Prozent weniger als im Jahr davor. Wie kann man sich das erklären? Kann man dem mit so einer Transparenzoffensive, wie sie das Parlament jetzt startet, vielleicht auch ein bisschen entgegenwirken?

Klubobfrau Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Na ja, ich denke, dass es in einer Demokratie natürlich wichtig ist, das Wahlgeheimnis zu schützen. Umso wichtiger ist in einer Demokratie Offenheit, wenn es um die Arbeit des gewählten Parlaments und der gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier geht. Diese Offenheit und Transparenz, und das ist, glaube ich, entscheidend, verbessern auch die Qualität unserer Arbeit. Transparenz verbessert immer die Qualität.

Zum Zweiten, und das ist auch entscheidend – Sie haben es angesprochen –: Gerade in einer Zeit wie dieser, in der so ein großer Vertrauensverlust Einzug hält, ist es wichtig, dass das Vertrauen der Menschen, der Bevölkerung in die Arbeit des Parlaments gestärkt wird, dass sich die Menschen ein persönliches Bild von den Parlamentariern machen können. Das geht nur, wenn das Parlament offen ist, wenn das Parlament transparent ist, wenn Ausschüsse transparent und offen sind – auch Untersuchungsausschüsse. Die Menschen müssen nachvollziehen können, warum ein Gesetz beschlossen wurde oder warum es eben nicht beschlossen werden konnte. Ich denke, Demokratie muss und darf sich nicht verstecken.

Moderatorin Rebekka Salzer: Herr Angerer, die Situation ist in Deutschland offenbar ähnlich. Bundestagspräsident a. D. Schäuble hat von einer deutschen Studie gesprochen, die Ähnliches zeigt: 21 Prozent der Befragten vertrauen den gewählten Abgeordneten nicht. Wie können Sie sich das erklären? Ist das Parlament vielleicht vergleichsweise ohnmächtig, weil die Gesetze eigentlich woanders gemacht werden – Stichwort Regierungsvorlagen, Ministerien?

Klubobmann-Stellvertreter Erwin Angerer (FPÖ): Ich glaube, Norbert Hofer hat es heute richtig gesagt: Das Parlament ist ein Haus des Volkes. Wir haben im Grunde das Privileg, hier für das Volk arbeiten zu dürfen. Es ist wichtig, dass dieses Haus ein offenes Haus ist, dass die Menschen hier in dieses Haus kommen und den Dialog mit den Abgeordneten pflegen und sehen können, wie wir arbeiten. Wir leben zwar in einer digitalen Welt – es wird sehr vieles digital vermittelt, über die Medien, über Social Media, über das Fernsehen, wie auch immer –, aber wenn man einen Menschen kennenlernen will, wenn man ihn persönlich kennenlernen will und wenn man lernen will, ihn einzuschätzen, dann muss man persönlich mit ihm sprechen. Deswegen ist der persönliche Dialog einfach wichtig. So merken die Menschen, wie jemand arbeitet, ob jemand ehrliche, bodenständige Politik macht. Ich glaube, das ist ganz wichtig. So bekommt man auch das entsprechende Vertrauen.

Ich bin vier Mal direkt als Bürgermeister gewählt worden. Ich bin seit 20 Jahren Bürgermeister. Bei der letzten Direktwahl habe ich 93 Prozent bekommen. Da sieht man, dass eine bodenständige und ehrliche Politik gesehen wird und geschätzt wird.

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau Maurer, im neuen Besucherzentrum des Parlaments können auch Petitionen und Ähnliches direkt vor Ort unterstützt werden. Man kann auch über Fragen wie zum Beispiel: Sollen Parteienspenden generell verboten werden?, abstimmen. Werden solche Abstimmungen bindend sein oder zumindest in die Entscheidungen von Politikern einfließen?

Klubobfrau Sigrid Maurer, BA (Grüne): Ich glaube, was wir heute mit dem Wiedereinzug in das historische Parlamentsgebäude nach dieser wirklich grandiosen Sanierung und dem Umbau erleben, ist eine weitere massive Öffnung des Hauses. Das fängt tatsächlich bei Dingen wie dem Tageslicht, das wir plötzlich im Plenarsaal haben, an. Das Gebäude ist aber auch insgesamt viel durchlässiger und viel transparenter geworden.

Ich halte das für einen ganz wichtigen Schritt und möchte sagen: Bei der Offenheit des Parlaments und der Transparenz an sich ist in den letzten Jahren vieles passiert – nicht nur die Sanierung, auch viele Gesetze: Wir haben vor einem halben Jahr das Parteiengesetz beschlossen, Stichwort Parteispenden, heute wurde das Antikorruptionsstrafrecht präsentiert. Ich bin fest entschlossen, dass wir in diesem Parlament heuer das Informationsfreiheitsgesetz beschließen – ein weiterer Schritt hin zu großer Transparenz, damit Bürgerinnen und Bürger sich selbst ein Bild davon machen können, was die Politik macht. Das macht unsere Arbeit im Parlament, die Arbeit der Regierung, die Arbeit der Gemeinden et cetera transparenter, nachvollziehbarer und das ist, glaube ich, auch ein ganz, ganz wichtiger Beitrag.

In diesem Gebäude, durch diesen Umbau wird dieser Gedanke der Transparenz und der sauberen Politik tatsächlich gelebt. (Beifall.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Wir werden Ihre Ansage mit dem Gesetz selbstverständlich weiter beobachten.

Frau Klubobfrau Meinl-Reisinger, die NEOS sind ja starke Verfechter von Transparenz. Wird es mit dieser neuen Einrichtung, dem Besucherzentrum, möglich sein, die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger besser zu hören, und wie dringend notwendig ist das denn?

Klubobfrau Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Von den vielen Aspekten, die angesprochen wurden: Was wirklich gut gelungen ist, ist sicherlich die Öffnung dieses Hauses für Besucherinnen und Besucher. Das ist wirklich außerordentlich gut gelungen und zeigt auch, dass Demokratie über die repräsentative Demokratie, die hier ja tagtäglich gelebt wird, hinausgeht, in den verschiedensten Arten der Beteiligung. Es geht nicht nur darum, dass man dieses Haus hier kulturhistorisch besucht – es ist ein Aushängeschild für unser Land, für unsere schöne Stadt –, sondern auch gerade im Bereich der Demokratiebildung einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, Demokratie auch in schwierigen Zeiten hochzuhalten.

Ich möchte aber an das, was gesagt wurde, anschließen und durchaus eine Lanze für den Parlamentarismus brechen. Ich hoffe vor allem, dass diese Rückkehr in das historische Gebäude, in unsere Räumlichkeiten, zu einem neuen Selbstbewusstsein des Parlaments und des Parlamentarismus beiträgt, auch gegenüber der Regierung, auch gegenüber den Medien, aber auch gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, zu sagen: Wir sind eigenständige Menschen, wir leben hier das freie Mandat und wir treffen Entscheidungen, ja, gewählt von den Bürgerinnen und Bürgern, gewählt vom Volk, aber sozusagen auch nach unseren eigenen Überzeugungen im Sinne des Gemeinwohls und mit Blick auf die Zukunft. (Beifall.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Was viele Bürgerinnen und Bürger jedenfalls bemängeln – das zeigen auch Meldungen an das Bürgerservice im Parlament –, ist, dass viel gestritten wird, dass der Umgang, der Respekt vielleicht nicht optimal sind. Der Ruf nach mehr Ordnungsrufen wird da sogar laut.

Herr Klubobmann Wöginger, die Abgeordneten des Nationalrates und auch die Mitglieder des Bundesrates haben ja eine hohe Verantwortung und eine Vorbildwirkung. Es gibt Verhaltensregeln, die sie einhalten müssen: Uneigennützigkeit, Integrität, Transparenz, Sorgfalt, Objektivität und so weiter. Ist das ausreichend oder bräuchte es konkretere Regeln für eine Streit- oder Debattenkultur im Parlament?

Klubobmann August Wöginger (ÖVP): Ich glaube, das Wesentliche ist, wie man zwischen den Fraktionen miteinander umgeht. Wenn man ordentlich miteinander umgeht, dann kann man vieles vermeiden. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass man nicht unterschiedliche Meinungen auch emotional austragen kann. Ich sage das oft zu meinen Besuchergruppen, von denen Gott sei Dank viele kommen: Ich bin Katholik, aber wir feiern hier im Parlamentssaal nicht die Heilige Messe. Unterschiede muss man austragen können, aber die Frage ist, wie wir in der direkten Ansprache miteinander umgehen, was persönliche Angriffe und Diffamierungen anbelangt. Die sollten wir hintanstellen.

Weil Sie auch die Ordnungsrufe angesprochen haben: Ich durfte ja schon 15 Jahre vor Sanierungsbeginn hier im Haus sein, also insgesamt bin ich jetzt zwei Jahrzehnte Abgeordneter. Das erfüllt mich durchaus auch mit Stolz. Ich diene unseren Bürgerinnen und Bürgern so gut ich kann, aber es ist schon wichtig, so zu diskutieren, dass man wenn möglich keinen Ordnungsruf bekommt. Ich habe bei über 400 Reden zwei bekommen, und diese zwei hätten wahrscheinlich auch nicht notgetan, weil es nicht sein muss, dass man jemanden persönlich angeht oder angreift.

Das möchte ich mitnehmen, wenn wir jetzt hier in dieses wunderbar renovierte Gebäude zurückziehen: dass wir uns gemeinsam zum Ziel setzen, in der direkten, persönlichen Ansprache vorsichtiger zu werden, aufzupassen. Ich nehme das auch für mich persönlich mit, weil ich durchaus auch ein emotionaler Redner bin. Ich weiß das, so sind wir Innviertler, und da kann ich mich manchmal auch nicht zurückhalten, aber es ist mein Vorsatz, dass ich jetzt auf alle Fälle darauf achte, dass ich niemanden persönlich beleidige oder angehe, denn dann, glaube ich, wird die Diskussion insgesamt besser. (Beifall.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Stichwort Emotion: Frau Klubobfrau, an den unteren Enden der Auffahrtsrampe, wenn man zum Parlament heraufkommt, sind vier Statuen, die als Rossebändiger bezeichnet werden. Sie sind ein Symbol für die Zügelung der Leidenschaft und ein Appell an die Abgeordneten, ihre politischen Emotionen ein bisschen zu mäßigen. Warum gelingt denn das nicht immer?

Klubobfrau Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Emotion ist gut, da stimme ich allen, die heute dazu schon etwas gesagt haben, wirklich zu. Diese Emotion darf in der politischen Debatte auch nicht verloren gehen, sie darf in diesem Haus keinesfalls verloren gehen, deswegen geht es nicht um die Emotion, die wir zügeln müssen. Um aber zu einer politischen Debattenkultur, wie wir sie uns wünschen, zu kommen, braucht es, denke ich, ein kollektives Wollen. Was heißt kollektives Wollen? – Da braucht es natürlich in der Debatte eine Überzeugung durch Sachargumente. Im Übrigen finde ich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sehr wohl Basis für eine solche Diskussion sind und sein müssen. (Beifall.)

Zu diesem kollektiven Wollen eines guten Klimas gehört natürlich auch, dass die Bundesregierung dem Parlament, diesem Haus, den Parlamentariern auf Augenhöhe, mit Respekt begegnet. Was meine ich damit? – Dass zum Beispiel Parlamentstermine ernst genommen werden. Ich meine damit, dass Regierungsvorlagen rechtzeitig und nicht 5 Minuten vor einer Sitzung vorgelegt werden, dass es den Abgeordneten noch möglich ist, ihre Arbeit wirklich in der notwendigen Zeit zu erledigen. Da geht es um wichtige Entscheidungen, die zu treffen sind.

Im Übrigen glaube ich auch, dass die Präsidialkonferenz eine ganz wichtige Rolle hat, wenn es um das Klima in diesem Haus und eine Debattenkultur geht, weil die Präsidialkonferenz eigentlich ein echtes Kollegialorgan und keine Befehlsausgabestelle sein sollte. (Beifall.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Herr Angerer, Umgang miteinander und Respekt im Parlament: Im Nationalrat fallen da mitunter Worte wie Scheinheiligkeit, Heuchelei, Meinungsdiktatur, Casinoparlamentarismus, Rotzbub, Kasperltheater – das sind nur wenige Beispiele. Sind das die richtigen Ausdrücke für ein Nationalratsplenum? Nimmt man da die Verantwortung als Politiker wahr?

Klubobmann-Stellvertreter Erwin Angerer (FPÖ): Ich glaube, Herr Schäuble, der, wie ich meine, ein hervorragender Parlamentarier ist, hat es heute schon gesagt: Es gibt glanzvollere und weniger glanzvolle Debatten. Es gibt Emotionen, wie August Wöginger gesagt hat, die sollen dabei sein, die muss es geben. Meistens reicht ein strenger Blick der Frau Präsidentin und man findet wieder den richtigen Weg und den richtigen Ton. (Beifall.)

Wir alle sind nicht fehlerfrei, und wenn man einmal über die Stränge schlägt und etwas Falsches sagt, was man nicht sagen sollte, hat man ja die Möglichkeit, sich zu entschuldigen. Da fällt keinem ein Stein aus der Krone. Da geht man einfach hin und sagt: Es tut mir leid, das habe ich so nicht gemeint!, und dann ist das Thema wieder erledigt.

Ich glaube aber, wir müssen schon zwischen Demokratien und Scheindemokratien, hinter denen im Grunde Diktaturen stehen und in denen niemand mehr ein freies Wort reden darf, unterscheiden. Wo, wenn nicht hier im Parlament, soll man sonst über die Zukunft eines Landes streiten? Ich glaube, diese Emotion und diese Auseinandersetzung gehören einfach dazu. (Beifall.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Maurer, sind Sie mit dem Umgang und dem Respekt unter allen Abgeordneten im Parlament zufrieden?

Klubobfrau Sigrid Maurer, BA (Grüne): Ich glaube, diese Sanierung und die Transparenzoffensiven, die wir haben, zeigen ja, dass sich die Demokratie weiterentwickelt. Das ist ganz dringend notwendig, Demokratie muss sich immer weiterentwickeln.

Was das für die Debattenkultur im Haus bedeutet: Wir können nicht damit zufrieden sein, wie manche Debatten verlaufen – Debatten, die ausschließlich aus vorbereiteten Statements bestehen, in denen man nicht auf den Vorredner, die Vorrednerin, auf die Argumente eingeht. Ich glaube, sie haben nicht die notwendige Qualität für eine gute demokratische Auseinandersetzung. Es gibt natürlich auch viele gute Reden hier im Haus, aber wir könnten uns schon alle ein bisschen nach der Decke strecken. Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig im Zusammenhang mit der Wiedererreichung oder mit der Stärkung des Vertrauens der Menschen in die Demokratie, in den Parlamentarismus und in das Parlament.

Ich möchte in diesem Zusammenhang aber noch einen anderen Gedanken teilen: Die Debattenkultur hier hängt auch ganz stark davon ab, wie gut das Vertrauen der Politiker:innen und der Abgeordneten untereinander ist. Wir reden viel über die Vertrauenskrise, was die Bürger:innen und die Wähler:innen betrifft, ich beobachte aber auch einen gewissen Vertrauensverlust unter den Fraktionen, wenn es beispielsweise nicht möglich ist, dass ein Konsens, der in der Präsidiale getroffen wurde, auch Bestand hat und danach gemeinsam verteidigt wird, sondern wenn er von einzelnen Fraktionen wieder aufgemacht wird.

Ich glaube und ich hoffe, dass es uns in diesen Räumlichkeiten hier, die ja auch sehr viel mehr Möglichkeiten für einen Austausch bieten, einfach weil die Räume ganz anders organisiert sind, als das in der Hofburg der Fall war, gelingt, auch zueinander wieder mehr Vertrauen zu fassen, mehr gemeinsam zu arbeiten, ernsthafter zu diskutieren. – Die Wählerinnen und Wähler haben sich das verdient.

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau, können Sie das, was Frau Maurer gerade angesprochen hat, den Vertrauensverlust unter den Fraktionen, bestätigen? Ist das so?

Klubobfrau Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Also ich muss jetzt vielleicht einmal diese appellative Harmoniesucht ein wenig durchkreuzen (Heiterkeit), denn ich glaube, dass Demokratie nicht von Harmonie lebt, sondern von Debatte. Gerade in schwierigen Phasen, gerade in Zeiten multipler Krisen sind die Debatte und vor allem auch der Widerspruch, der nicht ein antipatriotischer Akt ist, sondern notwendig ist, deshalb so notwendig, weil sonst nur Macht und Ohnmacht überbleiben – und das wäre das Ende der Demokratie.

Daher bin ich sehr leidenschaftlich dabei, zwar zu sagen, ja, über den Stil kann man wirklich diskutieren – so nach dem Motto: Warum sachlich, wenn es persönlich auch geht?, da können wir uns alle an der Nase nehmen –, ich möchte aber eine Lanze dafür brechen, dass nicht ständig Debatten im Parlament als Streit geframet werden. Denn: Warum ist die Emotion da? – Es geht verdammt noch einmal um etwas, um ganz viel! Es gibt ganz verschiedene Zugänge und Lösungswege, und es ist gut und richtig und wichtig, dass wir manchmal auch sehr ernsthaft darüber streiten.

Moderatorin Rebekka Salzer: Wir machen noch eine kurze Abschlussrunde. Wir haben noch 5 Minuten Zeit, daher bitte ich um kurze Antworten.

Herr Klubobmann Wöginger, es gibt jetzt natürlich keinen logischen Zusammenhang zwischen der Sanierung eines Gebäudes und einer inneren Runderneuerung einer Fraktion. Wir haben darüber auch schon kurz gesprochen, aber trotzdem: Was sind denn die Vorsätze Ihrer Fraktion im neuen Parlament?

Klubobmann August Wöginger (ÖVP): Im Wesentlichen sind es die zwei Dinge: dass wir insgesamt mehr miteinander kommunizieren und reden. Die letzten drei Jahre im Parlament haben uns schon auch gefordert, das muss man sagen. Nicht nur die Anzahl der Sitzungen, sondern auch die Themenbereiche waren sehr herausfordernd.

Ich glaube, durchs Reden kommen d’ Leut zsamm. Wenn es in der kleinsten gesetzgebenden Körperschaft, auf der Gemeindeebene, oft funktioniert, dass man fraktionsübergreifend Dinge schneller ausreden kann, dann möchte ich mit meiner Fraktion den Versuch starten, vermehrt aufeinander zuzugehen, um doch gemeinsame Lösungen zu finden, einander nicht persönlich anzugreifen, sondern eher einmal auf ein Seidel Bier zu gehen oder einen Kaffee miteinander zu trinken und zu versuchen, breitere und gemeinsame Lösungen zustande zu bringen. Diesen Vorsatz möchte ich mit unserer Rückübersiedlung in dieses wunderbare Haus mitnehmen.

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau, was sind die Vorsätze für Ihre Fraktion fürs neue Jahr, fürs neue Parlament?

Klubobfrau Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Ich glaube, das gilt für uns alle – da möchte ich die Worte von Nationalratspräsidentin Doris Bures aufgreifen –: Mut und Zuversicht. Ich glaube, das sollen die zwei Worte sein, mit denen wir in diesem wunderschönen historischen Gebäude in das neue Parlamentsjahr starten, denn im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass die Welt nicht untergeht. Deswegen sind Mut und Zuversicht wirklich angebracht, gerade jetzt in dieser Zeit, in der die Menschen diese Zuversicht schon weitgehend verloren haben.

Ich wünsche mir nach den Jahren, die wir hinter uns haben, auch mehr Respekt der Bundesregierung gegenüber diesem Haus, den Parlamentariern und ihrer Arbeit.

Moderatorin Rebekka Salzer: Herr Angerer, Ihre Vorsätze fürs neue Jahr im neuen Haus?

Klubobmann-Stellvertreter Erwin Angerer (FPÖ): In außenpolitischer Sicht möchte ich sagen, dass sich Österreich seiner Rolle als Vermittler in der Diplomatie wieder mehr bewusst werden sollte und das auch mehr nutzen sollte. Wir sollten uns alle darum bemühen, dass der Krieg in Europa möglichst rasch beendet wird und dass dieser europäische Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf diplomatischem Wege einem Ende zugeführt werden kann. Ich glaube, das ist die außenpolitische Aufgabe, die wir alle haben. Da hat Österreich in der Vergangenheit immer eine gute Rolle gespielt und diese sollten wir wieder mehr nutzen.

Bezüglich Innenpolitik muss ich ganz ehrlich sagen – ich schließe mich da an: wir müssen jetzt nicht alle beste Freunde werden; persönlich schon, politisch aber nicht –, dass ich hoffe, dass unser Neuwahlantrag in diesem Haus möglichst bald und rasch eine Mehrheit findet. (Heiterkeit.)

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau Maurer, was darf sich für Ihre Fraktion mit dem Einzug ins Parlament ändern? Was soll so bleiben, wie es ist?

Klubobfrau Sigrid Maurer, BA (Grüne): Ich wünsche mir für meine Fraktion für das Parlament, für uns Abgeordnete, die hier durch Wahlen für eine bestimmte Zeit Macht geliehen bekommen, dass wir die Verantwortung gegenüber den Bürger:innen und den Wählerinnen und Wählern ernst nehmen.

Wir sind das Herz, der Kern dieser Demokratie, wir beschließen hier die Gesetze. Wir wollen ein selbstbewusstes Parlament sein. In diesem Gebäude ist das, glaube ich, gut möglich. Ich bin selbstverständlich auch für den beherzten Streit, und nicht jede Diskussion, jede Meinungsverschiedenheit ist ein Streit. Das ist auch etwas, das man in der Berichterstattung durchaus berücksichtigen könnte, glaube ich. Das wünsche ich mir für die Zukunft in diesem Haus.

Moderatorin Rebekka Salzer: Frau Klubobfrau Meinl-Reisinger, Sie haben vorhin schon angesprochen, dass der Einzug ins neue Parlament für Sie eine Zäsur ist. Was darf denn so bleiben, wie es jetzt ist, und was soll tatsächlich anders werden, auch für Ihre Fraktion?

Klubobfrau Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Ich habe es schon angesprochen: Ich glaube tatsächlich, dass das Parlament wieder Selbstbewusstsein braucht.

Ich hatte ja schon 2013 bis 2015 die Ehre, hier im Haus als Abgeordnete tätig zu sein, war dann im Wiener Landtag und bin dann in den Nationalrat zurückgekommen, in die Hofburg, und ich habe den Eindruck gehabt, dass diese Ausweichlocation, wie man auf Neudeutsch so schön sagt, ein wenig am Selbstbewusstsein gekratzt hat – vielleicht auch, weil es ein anderes Selbstverständnis einer Regierung gegeben hat. Ich habe wie gesagt oft erlebt, dass die Debatten im Hohen Haus als Streit geframet wurden, als antipatriotisch geframet wurden; es wäre doch quasi notwendig, den Zusammenhalt und damit die Unterstützung der Regierung zu leisten, und wenn man das nicht macht, liebt man Österreich nicht, so ist mir das bisweilen vorgekommen. Also diese Notwendigkeit, dass das Parlament der Regierung gegenüber auftritt: Ich hoffe schon, dass auch unsere Räumlichkeiten das bieten.

Herr Klubobmann Wöginger, ich nehme das Angebot sehr gern an, dass auch der Konsens stärker gesucht wird, viele Sachen auf eine breitere Basis gestellt werden. Was hindert aber dann beispielsweise die Mehrheit, Dinge auch einmal aus der Regierung ins Parlament in Verhandlung zu geben? Wir warten ja als Parlament ein bisserl zu oft darauf, dass in der Regierung eine Einigkeit besteht und endlich eine Regierungsvorlage kommt, anstatt uns selber im Haus auszumachen, wie wir miteinander leben wollen, zu schauen, ob wir nicht zum Beispiel ein Informationsfreiheitsgesetz hier im Haus – auf eine wesentlich breitere Mehrheit gestützt – in einer öffentlicheren und transparenteren, diskursiven Weise beschließen könnten.

Das wünsche ich mir tatsächlich: dass es ein höheres Selbstbewusstsein gibt. Und was gleich bleiben soll, das weiß ich gar nicht. Es soll ja alles immer auch neu und besser werden, ich bin da immer ganz offen.

Moderatorin Rebekka Salzer: Ein schönes Schlusswort.

Vielen Dank für die Diskussion, meine Damen und Herren – ich danke Ihnen.

Ich gebe damit wieder zurück an meine Kollegin Clarissa Stadler.

Moderatorin Clarissa Stadler: Danke, Rebekka. Das war ein Gespräch über eine ganz neue Kultur im Hohen Haus. Viele gute Vorsätze wurden verkündet. Wir sind sehr gespannt, wie viel davon in Zukunft übrig bleibt.

Jetzt geht es mit Musik weiter. Wir hören ein Stück Musik, das Sie alle, alle kennen, gilt es doch als die heimliche Hymne Österreichs. Allerdings kennen Sie es eher in der orchestralen Version. Wir erleben hier heute den eher seltenen Moment, dass wir es in einer Chorversion hören: „An der schönen blauen Donau“. – Hier sind wieder die Wiener Sängerknaben.

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Die Wiener Sängerknaben und Mitglieder der Wiener Philharmoniker intonieren den Walzer op. 314 „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss (Sohn).

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Moderatorin Clarissa Stadler: Nach der sogenannten heimlichen Bundeshymne hören wir jetzt natürlich schon auch noch die offizielle Bundeshymne. Die wurde ja, wie Sie wissen, 2012 gendergerecht umformuliert. Seitdem ist nicht mehr nur von großen Söhnen, sondern auch von großen Töchtern die Rede. (Beifall.)

Hier sehen Sie die großen Töchter: Jetzt sehen und hören wir auch die Wiener Chormädchen – einen großen Applaus! (Beifall.)

Es wurde auch Zeit. Nach dem Neujahrskonzert jetzt hier bei diesem Festakt zum Wiedereinzug ins Parlament: die Chormädchen der Wiener Sängerknaben! Damit wir die Chormädchen übrigens auch gut hören, ist das Plenum heute vom Singen befreit (Heiterkeit) – das ist ein diskreter Hinweis des Nationalratspräsidenten.

Mit der Bundeshymne und der Europahymne darf ich mich von den Zuschauern und Zuschauerinnen von ORF 2 verabschieden.

Ich gebe somit zurück an den Newsroom zu Nadja Bernhard.

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Die Wiener Sängerknaben, die Wiener Chormädchen sowie Mitglieder der Wiener Philharmoniker intonieren die Bundeshymne und die Europahymne.

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Moderatorin Clarissa Stadler: Alles Gute den Wiener Sängerknaben und den Chormädchen, die in diesem Jahr beim großen Festkonzert zu hören sein werden.

Liebes Festpublikum! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie nun im Namen der Gastgeber:innen noch zu einem Empfang in der Säulenhalle und auch in der Agora einladen.

Nützen Sie doch die Gelegenheit und erkunden Sie auch das neue Besucher:innenzentrum! – Schönen Abend. (Beifall.)

Schluss des Festaktes: 17.05 Uhr