19. Bundesversammlung

Angelobung des wiedergewählten Bundespräsidenten Dr. Alexander Van der Bellen

Stenographisches Protokoll

Beginn der Bundesversammlung: 10 Uhr

Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Hohe Bundesversammlung! Als Präsident des Nationalrates bin ich gemäß Art. 39 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes zum Vorsitzen in der Bundesversammlung berufen und erkläre hiermit die Bundesversammlung, die zur Angelobung des wiedergewählten Herrn Bundespräsidenten Dr. Alexander Van der Bellen einberufen wurde, für eröffnet.

Gleichzeitig ersuche ich Abgeordnete zum Nationalrat Mag.a Michaela Steinacker und Frau Bundesrätin Dr.in Doris Berger-Grabner, die Schriftführung für die heutige Sitzung zu übernehmen.

Ich begrüße die Abgeordneten zum Nationalrat und die Mitglieder des Bundesrates sehr herzlich.

Mein besonderer Gruß gilt dem wiedergewählten Herrn Bundespräsidenten Dr. Alexander Van der Bellen. Herzlich willkommen! (Anhaltender Beifall.)

Mit ihm begrüße ich auch sehr herzlich seine Frau, Mag.Doris Schmidauer, und die Mitglieder seiner Familie. Seien Sie uns herzlich willkommen! (Beifall.)

Mein besonderer Gruß gilt den Mitgliedern der Bundesregierung, an der Spitze Herrn Bundeskanzler Karl Nehammer und Herrn Vizekanzler Mag. Werner Kogler, allen Ministerinnen und Ministern sowie Staatssekretärinnen und dem Staatssekretär. Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ich grüße Herrn Altbundespräsidenten Dr. Heinz Fischer und freue mich über seine Anwesenheit. Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ich freue mich über die Teilnahme der anwesenden Mitglieder des Diplomatischen Corps, die ich ebenfalls ganz herzlich willkommen heißen darf. Ich begrüße die anwesenden Mitglieder des Europäischen Parlaments und die Repräsentanten und Repräsentantinnen der Bundesländer, der Städte und Gemeinden, die anwesenden ehemaligen Präsidenten und Präsidentinnen des Nationalrates sowie des Bundesrates sehr herzlich. Sie alle darf ich herzlich willkommen heißen. (Beifall.)

Mein Gruß gilt Kardinal Schönborn, allen Vertretern der Kirchen, die auch dieser Bundesversammlung beiwohnen. Herzlich willkommen! (Beifall.)

Es freut mich, dass so viele aktive und ehemalige Vertreterinnen und Vertreter unserer staatlichen Behörden und Institutionen, insbesondere ehemalige Mitglieder der Bundesregierung sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur und außerdem Schülerinnen und Schüler dieser Sitzung beiwohnen. Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ich danke den Musikerinnen und Musikern der Musikuniversität Wien, mit der wir eine Partnerschaft für die musikalische Begleitung haben. (Beifall.)

Die Sitzung der Bundesversammlung wird im Fernsehen und über andere Medien übertragen. Ich übermittle auch den Zuseherinnen und Zusehern zu Hause vor den Fernsehgeräten beste Grüße hier aus dem Saal der Bundesversammlung. (Beifall.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesversammlung tritt am heutigen Tage im Sinne des Artikels 38 des Bundes-Verfassungsgesetzes zum Zwecke der Angelobung des wiedergewählten Herrn Bundespräsidenten zusammen.

Ich darf Sie daher bitten, sich von den Sitzen zu erheben. Ich ersuche den Herrn Bundespräsidenten, das in der Verfassung vorgeschriebene Gelöbnis zu leisten, indem er die Gelöbnisformel nachspricht, die ich nun verlesen darf.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzen. – Der Vorsitzende verliest die Gelöbnisformel.)

Angelobung des Bundespräsidenten

Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen: Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.

Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Ich danke. Damit ist die Angelobung in rechtsgültiger Weise vollzogen.

Wir begrüßen den Herrn Bundespräsidenten als unser Staatsoberhaupt. (Lang anhaltender Beifall und Jubelrufe. – Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Ansprache des Vorsitzenden der Bundesversammlung

Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Hohe Bundesversammlung! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrte Frau Schmidauer! Werte Ehren- und Festgäste! Meine Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Auf den Tag genau, vor sechs Jahren, haben Sie in diesem Saal Ihr erstes Gelöbnis als Bundespräsident abgelegt. Heute, im renovierten, vor Kurzem unter großem öffentlichen Interesse wiedereröffneten Parlament am Ring haben Sie Ihr soeben Gelöbnis erneuert.

Im Namen der Bundesversammlung darf ich Ihnen zu Ihrer Wiederwahl herzlichst gratulieren, mich für das Ablegen des Gelöbnisses und vor allem für die gute Zusammenarbeit mit dem Parlament aufrichtig bedanken.

Sie haben alle Erwartungen, die meine Vorgängerin, Präsidentin Bures, in ihrer Ansprache vor sechs Jahren ausgedrückt hat, dass Sie die Arbeit mit dem Parlament positiv gestalten werden, im umfänglichen Sinne erfüllt. Sie kannten und kennen die parlamentarische Arbeit aus den unterschiedlichsten Positionen und haben sie – in Ihrer Arbeit als Bundespräsident – auch stets mit großem Respekt gewürdigt.

In Ihrer damaligen Antrittsrede bezeichneten Sie Österreich als ein Land der schier „unbegrenzten Möglichkeiten“, „dass wir in einer Zeit der Veränderung leben“ – gewissermaßen in einer „Zeit zwischen den Zeiten“. Sie haben Zuversicht eingemahnt. Sie haben Europa als Friedensprojekt apostrophiert, dessen Erhalt uns alle Mühen wert sein muss, und Sie haben sich starkgemacht für eine „Erneuerung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Österreich“. Und Sie haben an den morgigen Tag erinnert, das internationale Gedenken an die Opfer des Holocaust, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte.

Dazu darf ich heute auch allen Abgeordneten danken, die das Gedenken in diesem Jahr, wie wir in den Gängen unseres Hauses sehen, so persönlich ausgedrückt haben.

All das, was Sie vor sechs Jahren angesprochen haben, hat auch heute noch volle Aktualität. Durch multiple Krisen, Covid, Krieg, Migration, Klima, Energie, Inflation, sind die gesellschaftlichen Herausforderungen in vielfacher Hinsicht noch deutlicher zutage getreten, noch bedeutender geworden. Es braucht ein Mehr an politischer Aufmerksamkeit, um die Menschen, denen die von Ihnen angesprochenen Veränderungen Angst machen, respektvoll zu begleiten und ihnen diese Ängste zu nehmen.

Das Amt des Bundespräsidenten und insbesondere Sie als Person hatten in den vergangenen Jahren vielfältige Herausforderungen zu bestehen, die sich aus vollkommen neuartigen Situationen ergaben, die die Welt auch so noch nie erlebt hatte. Auf der festen Grundlage unserer Verfassung, die Sie mehrmals apostrophierten und mit dem Attribut der Schönheit versahen, haben Sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, Stabilität in unserem Heimatland zu gewährleisten.

„Das Amt des Bundespräsidenten ist“ – und da darf ich meinen Amtsvorgänger Andreas Khol zitieren – „von zentraler Bedeutung. Der Bundespräsident vertritt die Republik Österreich nach außen, gleichzeitig steht er für die Integration nach innen. Der Bundespräsident soll Identitätsperson, Leitbild, Vertrauensgeber für alle Österreicherinnen und Österreicher sein. Er ist der Wahrer des rechtsstaatlichen Verfahrens der Organe der Republik, er ist einer der Hüter unserer Verfassung.“

Zwei Aspekte davon darf ich kurz hervorheben: Auf Ihren Reisen, auf denen Sie von Ministerinnen und Ministern, von Experten der Wissenschaft und der Wirtschaft begleitet wurden, waren Sie stets Türöffner, Brückenbauer und haben Österreichs Ansehen international gestärkt. Es war Ihnen meist ein großes Anliegen, Österreichs positive Seiten zu unterstreichen. Dabei haben Sie sich nicht von der tagespolitischen Aktualität in Geiselhaft nehmen lassen, sondern haben die großen, wesentlichen Dinge angesprochen.

Als Wahrer und Hüter rechtsstaatlicher Verfahren haben Sie dem Rechtsstaat große Beachtung gezollt und Rechtsstaatlichkeit eingefordert. In vielen Ihrer Tätigkeiten haben Sie unseren Landsleuten immer wieder die verfassungsmäßigen Grundlagen ins Bewusstsein gerufen. Die Rechtsstaatlichkeit ist die Basis unserer demokratischen Verfasstheit und muss allen in ihrer Wahrung und Verteidigung ein großes Anliegen sein. Allen Staatsgewalten hat sie als oberstes Gebot zu gelten. Da meine ich auch die sogenannte vierte Gewalt, der der Philosoph Richard David Precht ein eigenes, diskutierenswertes Buch gewidmet hat.

Konrad Adenauer meinte: „Demokratie ist mehr als eine parlamentarische Regierungsform, sie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Wert und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen.“

Die Menschenrechte sind integraler Teil unserer liberaldemokratischen Verfassung. Ein Absatz daraus ziert die Wand neben dem Hauptportal unseres Parlaments. Aber unsere Demokratie steht – so wie viele andere in der westlichen Welt – immer wieder auf dem Prüfstand: Bewährt sie sich in Krisen? Ist sie resilient genug? Gewährleistet sie für die Menschen Freiheit und Wohlstand? – Ein klares Ja ist darauf meine Antwort.

Aber unterschätzen wir nicht die Gefahren, denen sich unsere Demokratie ausgesetzt sieht. Das Ausgreifen illiberaler Demokratien, die Persönlichkeits- und Grundrechte einschränken, der Vertrauensverlust von Parteien und ihrer Repräsentanten, die Simplifizierung komplexer Themenstellungen, Populismus genannt, steigenden Antisemitismus in weiten Teilen Europas, per se antidemokratisch, insbesondere die unabwägbaren Möglichkeiten, die sich im digitalen Kosmos Raum geschaffen haben, und vieles mehr stellen besondere Herausforderungen für unsere liberale Demokratie dar.

Sind wir wachsam genug, diese Veränderungen zu erkennen? Haben wir den nötigen Mut, erkannte Wahrheiten auch zu benennen? Haben wir die richtigen Instrumente und den geeigneten Rechtsrahmen, um diesen Herausforderungen begegnen zu können? – Fragen, die wir immer wieder aufwerfen müssen, verlangen von uns, Antworten zu suchen, die sich durch Ernsthaftigkeit, Toleranz und die Bereitschaft zur Veränderung auszeichnen. Eine liberale, inklusive Demokratie stellt sich allen Fragen. Unsere Antworten darauf dürfen durchaus klar und deutlich sein. Sie mögen auf einem Wertegerüst fußen, sie sollen jedoch respektvoll und stets wertschätzend gegeben werden.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Seien Sie uns auch darin Leitbild und Vertrauensgeber!

Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen für die Erfüllung Ihrer so verantwortungsvollen Tätigkeit das Allerbeste, viel Kraft, Gesundheit, Mut und persönlichen Erfolg. Die Freude, die Sie darin finden, wird Ihnen auf dem Fuße folgen. Auf eine weiterhin so geschätzte Zusammenarbeit mit unserem Parlament! Hoch lebe unsere demokratische Republik Österreich! (Anhaltender Beifall.)

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Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Ich ersuche den Präsidenten des Bundesrates um seine Worte. – Bitte sehr, Herr Bundesratspräsident.

Entschuldigung, zuerst folgt Musik. Und das passiert noch dazu mir (Heiterkeit) –mit großem Bedauern.

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(Das Minz-Quartett intoniert den 4. Satz des Streichquartetts Nr. 2 in Es-Dur, op. 26, von Erich Wolfgang Korngold. – Anhaltender Beifall.)

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Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Erich Wolfgang Korngolds Musik galt als entartet. Schön, dass sie heute wieder so vollendet erklingen kann.

Ich darf nun den Herrn Bundesratspräsidenten um seine Worte bitten.

Ansprache des Präsidenten des Bundesrates

Präsident des Bundesrates Günter Kovacs: Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Hohe Bundesversammlung! Vor genau zwei Wochen hat hier ein sehr schöner Festakt zur Eröffnung des sanierten Parlamentsgebäudes stattgefunden. Es freut mich sehr, dass wir heute innerhalb so kurzer Zeit wieder hier in diesem beeindruckenden Historischen Sitzungssaal sein können: bei der Festsitzung zur Angelobung des Herrn Bundespräsidenten.

Und wie vor zwei Wochen ist auch der heutige Tag ein besonderer Tag für die Demokratie in unserem Land. Am 12. Jänner ist das Parlament, sind die beiden Kammern wieder an den zentralen Ort der Demokratie in Österreich zurückgekehrt. Und heute beginnt für Sie, Herr Bundespräsident, nach genau sechs Jahren Ihre zweite Amtszeit.

Für die Republik Österreich, für unsere Demokratie bedeutet das sehr, sehr viel: nämlich Stabilität, Kontinuität und Sicherheit, Erfahrung und Umsicht an der Spitze unseres Staates und einen verantwortungsvollen Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit.

Erst vor wenigen Tagen konnten wir als Präsidium des Bundesrates unseren Antrittsbesuch bei Ihnen, Herr Bundespräsident, absolvieren. Ich konnte bei diesem Gespräch auch die Schwerpunkte meiner Bundesratspräsidentschaft, das sind Pflege und Gesundheit, erläutern.

Sie haben sich dahin gehend geäußert, diese Anliegen zu unterstützen und alle zu ermutigen, da politischen Gestaltungswillen zu zeigen. Dafür herzlichen Dank, Herr Bundespräsident.

Politischer Gestaltungswille ist bei Gesundheit und Pflege gefragt. Politischer Gestaltungswille ist mehr denn je auch in vielen anderen Bereichen gefragt.

Vor wenigen Tagen hat die Statistik Austria eine Erhebung veröffentlicht, die ein dramatisches Bild zeigt: Durch die gestiegenen Energiepreise, durch die massiven Teuerungen sind immer mehr Haushalte, immer mehr Menschen in unserem Land, gezwungen, auch bei alltäglichen Ausgaben, zum Beispiel für Essen, Kleidung und Dienstleistungen zu sparen.

Immer mehr Menschen können ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr selbst bewältigen. Immer mehr Menschen haben Angst, dass sie das bald auch nicht mehr können. Auch da ist politischer Gestaltungswille gefragt. Das heißt: In krisenhaften Zeiten braucht es einen starken Staat, der den Menschen Sicherheit gibt, der dafür sorgt, dass das Leben leistbar ist – auch für jene, die nicht über hohe oder höchste Einkommen verfügen.

Wenn die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht, dann wird das auch Folgen für den sozialen Frieden, für den Österreich stets in den letzten zig Jahren bewundert wurde, haben. Wir brauchen Solidarität, wir brauchen Menschlichkeit und Zusammenhalt. (Beifall.)Ja, Zusammenhalt: Diesen Begriff verwendeten Sie, Herr Bundespräsident, auch bei Ihrer Angelobung vor genau sechs Jahren. Sie sagten: „Wir sind so stark wie unser Zusammenhalt“. Und Sie sprachen von „schwierigen Zeiten, denen wir entgegengehen“.

Wie recht Sie mit den schwierigen Zeiten hatten – leider hatten Sie recht. Kaum jemand dachte damals an eine Pandemie. Kaum jemand hätte es damals für möglich gehalten, dass es wieder Krieg in Europa gibt: den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine mit unzähligen Opfern, großem menschlichen Leid, Vertreibungen, Gewalt und Zerstörung.

Es ist ein Angriff auf Freiheit und Sicherheit. Es ist auch ein Angriff auf die Demokratie. Gemeinsam mit unseren Partnern in Europa müssen wir Solidarität zeigen und alles tun, damit dieser Schrecken endet und die Friedensordnung in Europa wiederhergestellt wird.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Hohe Bundesversammlung! Demokratie ist die Grundlage für Freiheit, ohne Demokratie gibt es keine Selbstbestimmung. Deshalb müssen wir es ernst nehmen, wenn von einer Krise der Demokratie die Rede ist. Es gibt immer wieder Anzeichen für diese Krise, in anderen Teilen der Welt, aber hin und wieder leider auch bei uns. Daher müssen wir wachsam sein, wenn versucht wird, das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen zu untergraben. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Freiheit jedes Einzelnen.

Aber es liegt an den politischen Institutionen, ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten selbst, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken und zu festigen. Wir haben es in der Hand. Es müssen nur die richtigen Schlüsse aus der Kritik und dem Unmut, den es da und dort gibt, gezogen werden.

Es geht um Glaubwürdigkeit und Integrität. Es geht um Transparenz in den Entscheidungen und um einen respektvollen Umgang miteinander. Es geht um eine Politik auf Augenhöhe, die ein offenes Ohr für die Anliegen, auch für die Sorgen und vor allem die Ängste der Menschen hat. Es geht um eine Demokratie der Nähe, wie sie in den Ländern und Gemeinden praktiziert wird.

Sie, Herr Bundespräsident, waren und sind durch Ihre Amtsführung stets ein Vorbild, wenn es darum geht, Vertrauen zu bilden, zu stärken und zu festigen.

Sie, Herr Bundespräsident, haben auch in schwierigsten Situationen die erforderliche Ruhe und den Überblick bewahrt und Zeichen gesetzt.

Sie, Herr Bundespräsident, waren und sind ein Vorbild für ein respektvolles Miteinander, für den Dialog – auch in schwierigen, kontroversen Zeiten.

Dafür möchte ich mich bei Ihnen sehr herzlich bedanken. Sie geben unserem Land – auch in stürmischen Zeiten – einen festen Halt, Stabilität und Sicherheit. Damit können wir auch zukünftig die Krisen unserer Zeit bewältigen, und damit können wir auch mit Hoffnung in die Zukunft blicken. (Beifall.)

Ich wünsche Ihnen, Herr Bundespräsident, auch weiterhin viel Kraft und Energie bei der Ausübung Ihres Amtes, viel Erfolg in Ihrer zweiten Amtsperiode für den Dienst an Österreich und an den Menschen in unserem Land.

Es lebe die Republik Österreich! – Danke sehr. (Anhaltender Beifall.)

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Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf mich beim Präsidenten des Bundesrates für die Worte herzlich bedanken und darf um die Musik bitten.

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(Das Minz-Quartett intoniert das Divertimento in D-Dur, Presto, KV 136, von Wolfgang Amadeus Mozart. – Anhaltender Beifall.)

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Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf nun Sie, werter Herr Bundespräsident, um Ihre Rede bitten. (Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen begibt sich zum Rednerpult.)

Ansprache des Bundespräsidenten

Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen: Hohe Bundesversammlung! Sehr verehrte Ehrengäste! Liebe Zuseher:innen der Liveübertragung zu Hause! Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die in unserem wunderschönen Österreich leben! Ich freue mich, dass ich nach sechs Jahren wieder hier sein darf. Das habe ich Ihnen zu verdanken, liebe Wählerinnen und Wähler. Noch einmal vielen Dank.

Ich danke auch meinem hervorragenden Team, mit dem ich über die letzten Jahre so gut zusammengearbeitet habe. Und namentlich dir, Doris: Ohne deine Kraft und Inspiration stünde ich wahrscheinlich nicht hier. (Beifall.)

Ja – hier stehe ich also, in diesem neu erstrahlenden Haus der Demokratie. (Heiterkeit.) Sie erwarten eine mehr oder weniger amüsante, traditionelle Rede von mir, nicht zu düster, angereichert mit Dingen, die uns optimistisch für die Zukunft stimmen sollen, sodass wir dann entsprechend positiv gestimmt, aber doch auch ein wenig nachdenklich hinaus ins Tageslicht schreiten und uns unserem gewohnten Alltag widmen können.

So ungefähr stelle ich mir Ihre Erwartungen vor und wir werden ja sehen, ob ich Sie ein bisschen enttäuschen werde. (Heiterkeit.)

Apropos Alltag: Meine Damen und Herren, wir werden unseren gewohnten Alltag verändern müssen, weil wir sonst Gefahr laufen, unsere Zukunft abzuschaffen, genau genommen sind wir schon dabei.

Zu viele sehen unsere Zukunft nicht mehr als hoffnungsfrohen Ort, an dem unsere Kinder es besser haben werden als wir. Manche von uns glauben nicht mehr an die Wendung zum Guten. Andere sind so sehr mit den Herausforderungen der Gegenwart beschäftigt, dass sie meinen, sich Zukunftsgedanken nicht leisten zu können. Einige haben das Gefühl, die Zukunft, das war einmal, nämlich bei den Eltern, die hatten eine Zukunft, als sie jung waren; und jetzt: No Future, nichts lohnt sich mehr. Andere verfallen in schiere Panik und apokalyptische Befürchtungen. Ich erfinde das nicht, das sind Umfragen.

Zu Leopold Figls Zeiten hatten wir nichts, aber wir hatten die Hoffnung. Glaubt man den aktuellen Umfragen, so scheint es fast, als hätten wir alles, außer die Hoffnung. (Beifall.)

Meine Damen und Herren! Es ist unser aller Aufgabe, ein Bild von einer Zukunft zu entwerfen, auf die man sich wieder freuen kann. Wir alle entwerfen dieses Bild durch unser tägliches Handeln. Wir entwerfen dieses Bild, indem wir als Politikerinnen und Politiker nicht nur auf unser eigenes Klientel und unsere unmittelbaren Gesinnungsgenossen achten, sondern eben auf das Wohl des ganzen Staates.

Wir entwerfen dieses Bild, indem wir auch Dinge vertreten, die uns nicht schnell, schnell in Meinungsumfragen helfen, aber von denen wir wissen, dass sie richtig und gut für das Land sind.

Wir entwerfen das Bild einer Zukunft, auf die man sich freuen kann, indem wir uns durch Rückschläge und Schwierigkeiten nicht unterkriegen lassen – weil wir auf unsere Talente, unsere Fähigkeiten, unser Wissen und Können vertrauen, und weil wir einander vertrauen, weil wir uns nicht von der Angst steuern lassen. Angst lässt uns erstarren. Angst kennt keine Zukunft. Lassen wir uns also nicht von der Angst das Bild unserer Zukunft diktieren, sondern von der Zuversicht: Wir kriegen das hin.

Das sind keine leeren Worte. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, ein rezentes, ein wichtiges: Wie viel haben wir während der Pandemie, während der Hochzeit der Pandemie vom wirtschaftlichen Zusammenbruch gehört, der uns erwartet? Wie viel haben wir noch vor knapp einem Jahr, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, vom Versiegen unserer Gasressourcen gehört? Wir würden nicht heizen können, die Industrie stünde vor dem Untergang. Und wie viel davon ist eingetreten? – Nicht viel.

Im Gegenteil: Wir hatten letztes Jahr ein reales Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent, mehr als die größten Optimisten zu träumen wagten (Beifall), und die niedrigste Arbeitslosenquote seit 15 Jahren. Wer hätte das gedacht? – Und auch unsere Gasspeicher sind aktuell voll. Auch da gab es verständlicherweise große Sorge, dass wir das nicht schaffen, und selbstverständlich werden wir weiterhin sehr viel zu tun haben, das alles zu lösen.

Aber wir haben es geschafft, wir alle. Nicht ein Politiker, nicht eine Partei, nicht eine Interessenvertretung, nicht ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin – nein, das waren wir schon alle gemeinsam. Aber wir haben das nicht geschafft, weil wir alle gemeinsam gejammert haben, nicht weil wir Schuldige gesucht haben – nein, sondern weil wir etwas getan haben und weil wir gehandelt haben.

Und wir können noch viel mehr schaffen. (Beifall.)

Wir können noch mehr schaffen, wenn wir unsere Demokratie hochhalten und verteidigen, denn sie ist das beste Instrument zur Willensbildung, das eine zukunftssichere Gemeinschaft nur haben kann.

Ich möchte kurz meinen Freund Frank-Walter Steinmeier, den deutschen Bundespräsidenten, dazu zitieren: Die „liberale Demokratie ist die einzige politische Ordnung, in der wir uns als politisch Freie und Gleiche den Tatsachen der Welt stellen; in der wir unser Schicksal nicht in fremde Hände legen, sondern Vertrauen in unsere Fähigkeiten“ haben, Probleme gemeinsam zu lösen; „in der wir aus Fehlern lernen, [...] unseren Kurs“ immer wieder „korrigieren und vielleicht gerade deshalb die Dinge [...] zum Besseren wenden [...] können.“ – Ende des Zitats.

Meine Damen und Herren, manche sagen: Unsere Demokratie ist in der Krise. – Ein bisschen etwas ist da schon dran. Nehmen wir nur einen zentralen Baustein der Demokratie, den Kompromiss. Er wird von manchen gerne von vornherein als halber Kompromiss, als lauwarm, als faul bezeichnet. Das sollten wir uns wieder abgewöhnen. Denn was bedeutet Kompromiss? – Das bedeutet doch nur, dass zwei Standpunkte – nennen wir sie A und B – von denen, die sie jeweils innehaben, verlassen werden und gemeinsam ein neuer Standpunkt C gefunden wird. Das ist eine gemeinsame Lösung.

Ein Kompromiss führt also zu einer Lösung, das Beharren auf dem eigenen Standpunkt hingegen führt zu gar nichts. Es findet keine Entwicklung statt. Im schlimmsten Fall läuft dieses Beharren auf etwas hinaus, wo gar nichts mehr weitergeht. Der Kompromiss, ein Herzstück unserer Demokratie, ist also etwas Gutes.

Wenn uns der Begriff schon zu uninspiriert klingt, dann sagen wir es doch anders: gemeinsame Lösung – da fällt uns schon etwas ein. Das Herz der liberalen Demokratie ist also das Finden einer gemeinsamen Lösung.

Jetzt bitte ich Sie hier im Saal, sich einfach einmal Ihre Sitznachbarin, Ihren Sitznachbarn anzuschauen. (Heiterkeit.) Keine Angst, ich werde Sie nicht bitten, sich jetzt an den Händen zu fassen – ich weiß schon, wo wir hier sind –, aber sehen Sie einander ruhig einmal an. (Die Anwesenden kommen dieser Aufforderung nach.) Es ist schon klar, Sie können nicht jeden und jede leiden (Heiterkeit), aber doch repräsentiert jeder und jede von uns eine bestimmte Gruppe von Menschen in unserem wunderschönen Land. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Hohen Haus: Wie können wir von den Menschen in Österreich verlangen, zu einem größeren Wohl zusammenzuarbeiten, wenn wir das hier nicht nachvollziehbar schaffen? – Brechen wir also unsere alte Gewohnheiten und stellen wir uns vor, dass es geht!

Wir können das. Wir können auch mit Menschen auskommen, die mit unserer persönlichen Weltsicht sehr wenig zu tun haben. Wir können das, wenn wir die so notwendige Kulturleistung des Respekts für den jeweils anderen aufbringen, wenn es uns gelingt, über die Grenzen hinwegzusehen und die Fähigkeiten des anderen zu sehen, das Gute im anderen zu sehen, den ganzen Menschen zu sehen.

Vorhin wurde ich nicht kirchlich, jetzt aber schon. Der verstorbene Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher hat gesagt: „Das Gute spielt in dieser Welt seinen Part meist piano und pianissimo, und es gehört zur Lebenskunst, es nicht zu überhören.“

Demokratie, meine Damen und Herren, das Finden einer gemeinsamen Lösung, fußt auf Information, auf korrekter Information. Ohne eine intakte Medienlandschaft ist auch unsere Demokratie nicht intakt. Ohne eine intakte Medienlandschaft, die Themen umfassend aufbereitet und sich um, wie Carl Bernstein – einer der Aufdecker der Watergateaffäre – es genannt hat, „the best obtainable version of the truth“ bemüht, ist auch unsere Demokratie nicht intakt. Denn wir brauchen ein gemeinsames Verständnis über die Beschaffenheit der Probleme, der Fakten und damit der Wirklichkeit.

Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass es einst neben den Fakten, den Tatsachen, auch noch sogenannte alternative Fakten – Alternative Facts – geben würde, die scheinbar gleichwertig danebenstehen, zur freien Auswahl sozusagen, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Es ist bestürzend, dass schlichte Tatsachen oder bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse auch von manchen politischen Playern bisweilen geleugnet, ignoriert oder einfach abgestritten werden. Wenn wir da nicht klar auftreten und die Dinge beim Namen nennen, steht eines Tages unser gesamtes Gesellschafts- und Wertesystem infrage. Medien spielen dabei offensichtlich eine wichtige Rolle und tragen eine große Verantwortung. (Beifall.)

Noch eine Entwicklung bereitet mir in diesem Zusammenhang Sorge: wie uns Information erreicht und wie diese Information für uns vorselektiert und vorausgewählt wird. Viele von uns speisen ihren Blick auf die Welt mittlerweile aus sogenannten sozialen Medien. Das Bild der Welt wird dort mithilfe von Algorithmen gezeichnet, die vornehmlich Informationen filtern und pushen, die nicht unbedingt wahr sein müssen, aber dafür ein möglichst hohes Aufregungspotenzial in sich tragen. Und die größte Aufregung entsteht nicht durch den objektiven Blick auf die Fakten, sondern durch möglichst radikale Überzeichnung und Verkürzung.

Ich glaube schon, dass wir uns abgewöhnen sollten, der puren Logik der Klicks zu folgen. Ich weiß schon, die Überschrift, die am meisten aufregt, generiert auch die meiste Aufmerksamkeit. Aber verdient sie diese wirklich? Ist sie wirklich wichtig genug? – Diese künstlich erzeugte Aufgeregtheit lenkt uns nur von den Dingen ab, die wirklich wichtig sind, und dadurch verstellt sie uns auch den Blick auf die Zukunft.

Und deshalb, glaube ich, ist es eben von höchster Bedeutung, wie redlich eine Journalistin, ein Journalist recherchiert und berichtet und dass sie oder er das auch kann. Dafür müssen aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen im Journalismus passen. In ausgedünnten Redaktionen fehlt schlicht die Zeit zum Recherchieren. Deshalb sollten wir als Gemeinschaft, als Staat Medien als wesentliche Säule unserer Demokratie sehen und für eine entsprechende Finanzierung sorgen. (Beifall.)

Denn ich bin überzeugt: Die liberale Demokratie überlebt nicht ohne korrekte Information.

Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren sind die Erwartungen an die Politik stark gestiegen. Das mag auch daran liegen, dass wir plötzlich mit archaischen Ängsten konfrontiert wurden: Seuche und Krieg – schreckliche Plagen, die die meisten von uns nur aus Geschichtsbüchern kannten.

Plötzlich war eine große Hoffnung da, eine Erwartungshaltung: die Hoffnung, dass die Politik das alles regeln wird, dass das einfach wieder weggeht, dass alles wieder gut wird. Das ist ja nur zu menschlich.

Was kann aber Politik überhaupt leisten? Was muss sie leisten können? – Ich glaube, Politik muss einmal Orientierung geben. Sie muss sagen, was sie weiß und was sie nicht weiß. Sie muss evidenzbasiert agieren, also auf der Basis der letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Politik muss im Dienste des gesamten Staates stehen und nicht im Interesse Einzelner handeln. Sie muss langfristig denken und nicht kurzfristigen Schlagzeilen hinterherrennen. Sie muss helfen, dass wir mit unseren Ängsten umzugehen lernen, dass wir aufeinander schauen, indem wir die Ängste des anderen ernst nehmen. Politik muss aber auch Rahmenbedingungen schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortlich agieren und sich entfalten können, wirtschaftlich wie persönlich, und die Politik sollte das auch von denen einfordern, die dazu in der Lage sind. Politik muss Lösungen vorschlagen. Sie muss die Agenda setzen, nicht nur surfen; regieren, nicht nur reagieren. Politiker müssen führen und nicht verführen.

Meine Damen und Herren! Politik muss den Menschen die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. (Beifall.)

Im Fall der Klimakatastrophe wäre es kurzfristig bequemer für alle, zu sagen: Ja, ja, das Klima hat sich schon immer gewandelt, das ist völlig normal, der Neusiedler See hat einmal mehr und einmal weniger und einmal gar kein Wasser, die Skipisten sind einmal weißer, einmal matschiger, aber wir sind eh ausgebucht; das ist alles kein Grund, unser gewohntes Verhalten zu überdenken! – Das wäre aber bequemes Geschwätz. Es ignoriert naturwissenschaftliche Tatsachen. Die Veränderungen des Klimas sind keine Fakenews, sondern jahrzehntelang wissenschaftlich untersuchte und belegte Fakten – Fakten, die zu ignorieren für die kommenden Generationen lebensgefährlich ist. (Beifall.)

António Guterres – Sie wissen, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, übrigens ursprünglich, bevor er Generalsekretär wurde, kein Grüner, sondern Sozialdemokrat – betont bei jeder Gelegenheit, dass die Klimakrise, ich zitiere, uns umbringt und der Klimanotstand ein „Wettlauf gegen die Zeit“ ist.

Wir haben jahrzehntelang versäumt, Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Auch das ist eine Tatsache. Ich verstehe nur zu gut, dass junge Menschen wütend und verzweifelt sind. Es geht um ihre Zukunft, um meine viel weniger. Wir müssen etwas tun! Wir müssen handeln! Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der fossilen Energie. Wir können etwas tun, und ich möchte auch das Meinige dazu beitragen. (Beifall.)

Meine Damen und Herren! Vor fast genau einem Jahr hat Präsident Putin einen schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, und es ist herzzerreißend, an all die unschuldigen Kinder, Väter, Mütter, Menschen, die einfach nur in Frieden leben wollen, zu denken. Seit Monaten Angriffe auf zivile Ziele, auf zivile Infrastruktur: Es ist schrecklich, es ist verachtenswert, was da getan wird. (Beifall.)

Genau deshalb aber müssen wir jetzt zusammenstehen und für das einstehen, woran wir glauben. Putin attackiert unsere Art zu leben, er nennt uns verweichlicht, er spricht vom dekadenten Westen, weil er es nicht erträgt, dass wir in individueller Freiheit leben, dass hier jeder und jede so leben kann, wie er oder sie es möchte. Unser freies, europäisches Lebensmodell, aufgebaut auf dem hart erstrittenen Fundament der Menschenrechte, verteidigen wir gerade und müssen wir in Zukunft weiter verteidigen. (Beifall.)

Wir brauchen weiterhin europäische Solidarität, Wehrhaftigkeit und Entschlossenheit. Das ändert nichts daran, dass sich Österreich zugleich selbstverständlich, wo und wann immer es möglich sein wird, für den Frieden einsetzt.

Die europäische Solidarität hat jedenfalls gerade in Zeiten der kriegerischen Bedrohung ihr Funktionieren unter Beweis gestellt. Wir können zweifellos viel als Europäische Union, und zweifellos können wir noch viel mehr. Allerdings müssen wir uns auch auf dieser Ebene der Wahrheit stellen, und die ist, dass wir unsere globale Positionierung, unsere geostrategische Rolle erst finden und verteidigen müssen.

Auch hier stehen wir vor großen Umwälzungen, die wir mitbestimmen können, wenn wir uns rechtzeitig darum kümmern. Andernfalls werden andere über uns bestimmen. (Beifall.)

Meine Damen und Herren! Solidarität auf europäischer Ebene ist das eine, natürlich brauchen wir auch innerhalb Österreichs – es wurde schon zitiert, von Ihnen, Herr Kovacs, und von Ihnen, Herr Präsident, vielen Dank – Zusammenhalt zwischen denen, die es leichter haben, und jenen, die mehr zu kämpfen haben. Wir dürfen niemanden zurücklassen. Insbesondere die Folgen der Teuerung, die wiederum im Wesentlichen eine Folge des Krieges ist, müssen wir gemeinsam weiterhin bekämpfen. Ich halte es für wichtig, dass all unsere Handlungen unseren Wohlfahrtsstaat, unser Sozialsystem, unser Gesundheitssystem und unser Pensionssystem befördern, verbessern und nachhaltig absichern. (Beifall.)

Und noch etwas werde ich nicht müde, zu betonen: Alle, egal welchen Geschlechts, vor allem aber die Mädchen und jungen Frauen in Österreich, sollen in eine Welt hineinwachsen, in der alle Menschen die gleichen Chancen haben. (Beifall.)

Diese Gleichberechtigung ist leider alles andere als sichergestellt. Wir müssen das zur echten Priorität machen und endlich handeln und echte Verbesserungen erzielen, das reicht von der Kinderbetreuung bis zu den Karrierechancen. Wir können und dürfen auf die Talente der Hälfte, mehr als der Hälfte unserer Bevölkerung nicht leichtfertig verzichten. Die vielfältige Diskriminierung von Mädchen und Frauen schadet unserer Gesellschaft und muss endlich aufhören. (Beifall.)

Meine Damen und Herren! Ich komme bald zum Schluss. Vor etwa einer halben Stunde habe ich gelobt, meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Ich werde das wörtlich nehmen. Ich habe mein Gewissen etwas erforscht und möchte hier kurz skizzieren, was „nach bestem Wissen und Gewissen“ für mich bedeutet.

Die Mitgliedschaft in der Europäische Union steht nicht zur Debatte. (Beifall.)

Der Nutzen und Wert der Europäischen Union steht außer Frage. Die europäische Vereinigung, nennen wir es einmal so, ist die beste Idee, die wir je hatten, und wer mit der Idee eines Öxits auch nur spielt, spielt mit der Zukunft Österreichs. (Beifall.)

Die Grund- und Freiheitsrechte, die Menschenrechte, die Minderheitenrechte sind unantastbar. (Beifall.)

Dieser Grundkonsens unserer Republik steht außer Frage. Eine Verletzung dieser grundlegenden Rechtsprinzipien ist für mich eine Rechts- und Gewissensfrage. Ich werde mit der notwendigen Klarheit und Schärfe darauf reagieren. Das gilt genauso für den Respekt vor den Institutionen der liberalen Demokratie. (Beifall und Bravoruf.)

Dieser Respekt vor der Demokratie, vor der Verfassung, vor unserem Parlament und seinen Vertreterinnen und Vertretern, vor dem Rechtsstaat, vor dem Verfassungsgerichtshof und der Respekt vor der vierten Gewalt im Staat, den Medien, muss vollinhaltlich gewahrt und aus tiefstem Demokratenherzen gemeint sein.

Meine Damen und Herren! Die dunkelste Seite unserer Geschichte, der verheerende Nationalsozialismus mit seiner mörderischen Ideologie, darf sich niemals wiederholen. Nie wieder! (Anhaltender Beifall.)

Aber deshalb müssen wir sehr genau hinsehen, nicht nur auf den Holocaust, genau hinsehen, um antidemokratische, die Würde des Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen.

Last, not least unser oberstes Ziel: Unsere Jugend muss wieder an eine gute Zukunft glauben. (Beifall.)

Dazu muss sie von klein auf Zugang zur besten Bildung haben, die wir ihr nur bieten können. Alles, was unseren Kindern schadet, dürfen wir nicht zulassen. (Beifall.) – Ja, das betrifft auch die Folgen der Klimakrise.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie jetzt hinausgehen, dann bitte ich Sie, daran zu denken, dass das, was Sie tun, wie Sie miteinander umgehen, das Bild unserer Zukunft zeichnet. Bitte vergessen Sie das nicht! Wenn doch, werde ich Sie vielleicht daran erinnern: nach bestem Wissen und Gewissen. (Heiterkeit.)

Ich freue mich, für weitere sechs Jahre Ihr Bundespräsident sein zu dürfen. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.

Es lebe die Republik! Es lebe unser wunderschönes Österreich! Es lebe unsere friedliche, europäische Zukunft! – Vielen Dank. (Lang anhaltender, von den meisten Anwesenden stehend dargebrachter Beifall. – Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen begibt sich unter Applaus und Jubelrufen vom Rednerpult zu seinem Sitzplatz zurück.)

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Vorsitzender Mag. Wolfgang Sobotka: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Ich danke Ihnen für Ihre Rede, für Ihre Worte, die Sie an uns, die Bundesversammlung, und schlussendlich an alle Österreicherinnen und Österreicher, die unserer Bundesversammlungen folgen, gerichtet haben. Sie haben es am Applaus gespürt.

Wir beschließen die Bundesversammlung, so wie es unserer Tradition entspricht, mit der österreichischen Bundeshymne.

Die 19. Sitzung der Bundesversammlung ist geschlossen.

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(Das Minz-Quartett intoniert zuerst die erste Strophe der Bundeshymne und anschließend die Europahymne, die von den Anwesenden stehend mitgesungen werden. –Anhaltender Beifall.)

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Schluss der Bundesversammlung: 11.13 Uhr