Transkript der Veranstaltung:

Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2022

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(Es folgt ein Musikstück.)

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Lisa Gadenstätter (Moderatorin): Vielen herzlichen Dank an Jasmin Meiri-Brauer und Jannis Raptis für diese wirklich wunderschöne Einstimmung. Wir haben gerade das Hora Medley gehört.

Einen wunderschönen guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie ganz herzlich im Parlament begrüßen und ich freue mich sehr, dass ich Sie heute durch diese sehr besondere Verleihung, nämlich die Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises begleiten darf.

Simon Wiesenthal hat ja wie kaum ein anderer die Aufarbeitung der NS-Verbrechen geprägt und das weltweit, und deswegen ist der Simon-Wiesenthal-Preis auch weltweit ausgeschrieben. Es hat heuer insgesamt 263 Bewerbungen aus 33 Ländern gegeben. Das ist beachtlich. Wir haben auch sehr viele englischsprachige Menschen und Gäste hier heute unter uns. Deswegen gibt es auch eine Simultanübersetzung. Sie finden auf Ihren Tischen, wie Sie alle sehen, die Geräte dazu. Kanal 1 ist für Deutsch und Channel 2 is for English.

Ja, wenn ich so in die Runde schaue, wir freuen uns wirklich sehr über das volle Haus im Hohen Haus, wenn ich das so salopp sagen darf. Es ist nämlich wirklich eine wunderschöne Wertschätzung für diesen sehr besonderen Preis. Bitte begrüßen Sie zunächst den Gastgeber der heutigen Veranstaltung, den Präsidenten des Nationalrates, Wolfgang Sobotka. (Beifall.)

Es ist uns eine besondere Freude, die drei anwesenden Zeitzeug:innen, die heute eine Ehrung im Rahmen des Simon-Wiesenthal-Preises bekommen, in unserer Mitte zu begrüßen, stellvertretend für alle hier anwesenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. – Herzlich willkommen. (Beifall.)

Ein besonders herzliches Willkommen an jene, die hier in unserer Mitte sind, nämlich an Wanda Helena Albińska, Lucia Heilman und Tswi Herschel. (Beifall.)

Dann darf ich auch noch Jackie Young aus Großbritannien begrüßen, der ebenfalls als Zeitzeuge für den Simon-Wiesenthal-Preis eingereicht hat und heute eine Ehrung erhalten wird. Er kann leider nicht persönlich bei uns sein, er ist uns aber via Livestream zugeschaltet. Einen schönen guten Abend Mister Young, hello! (Beifall.)

An dieser Stelle darf ich dann auch noch alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen begrüßen, die uns gerade von zu Hause via Livestream zuschauen. (Beifall.)

Außerdem heiße ich willkommen die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter des Diplomatischen Corps, stellvertretend begrüße ich den Botschafter des Staates Israel in Österreich, Mordechai Rodgold. (Beifall.)

Ganz herzlich begrüßen darf ich die Mitglieder der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury Katharina von Schnurbein, Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission. Ariel Muzicant, Interimspräsident des European Jewish Congress. Oskar Deutsch, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien. Brigitte Bailer, Honorarprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und Barbara Stelzl-Marx, die Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung. – Herzlich willkommen. (Beifall.)

Außerdem darf ich Monika Schwarz-Friesel willkommen heißen, Antisemitismusforscherin und Professorin an der Technischen Universität in Berlin und ebenfalls Mitglied der Simon-Wiesenthal-Jury. Sie kann leider auch nicht persönlich da sein, aber ein herzliches Grüß Gott via Livestream. (Beifall.)

Namentlich möchte ich auch noch begrüßen Racheli Kreisberg, die Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative (Beifall), Hannah Lessing, die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus (Beifall), sowie Martina Ebm, Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt und Filmschauspielerin. – Herzlich willkommen, Martina Ebm. (Beifall.) Alle drei genannten werden im Rahmen der heutigen Veranstaltung auch noch aktiv in Erscheinung treten.

Dann freut es uns natürlich sehr, dass so viele Nominierte der Einladung gefolgt sind. Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Parlament. (Beifall.)

Herzlich begrüßen dürfen wir außerdem alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates, die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, von Gedenkinitiativen, Opferverbänden, Lagergemeinschaften und Erinnerungsinitiativen sowie alle Vertreterinnen und Vertreter der autochthonen Volksgruppen und aus den Bereichen Bildung, Kunst und Kultur. – Herzlich willkommen. (Beifall.)

Dann noch einmal, um es offiziell zu machen, natürlich Jasmin Meiri-Brauer und Jannis Raptis, die die heutige Veranstaltung musikalisch begleiten werden. (Beifall.)

Entstanden, meine Damen und Herren, ist die Idee zum Simon-Wiesenthal-Preis übrigens 2018. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat im Rahmen einer Israelreise Racheli Kreisberg, Simon Wiesenthals Enkelin, getroffen, und wie das halt so ist, beim Reden kommen die Leute zusammen, wenn man das so ganz vereinfacht sagen kann, und so ist der Simon-Wiesenthal-Preis entstanden und wird heute bereits zum zweiten Mal verliehen.

Racheli Kreisberg hat gemeint, ihr Großvater hätte es als eine große Ehre empfunden, dass der Preis seinen Namen trägt. Ich denke, man kann es auch umgekehrt sagen: Es ist für Österreich eine große Ehre, dass der Preis seinen Namen tragen darf.

So, jetzt habe ich sehr viel geredet. Ich glaube, es wird Zeit für die offizielle Begrüßung. Bitte begrüßen Sie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. (Beifall.)

Wolfgang Sobotka (Präsident des Nationalrates und Vorsitzender des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Sehr geehrte Frau Heilman! Sehr geehrte Frau Albińska! Sehr geehrter Herr Herschel! Ich darf die Zeitzeugen namentlich begrüßen. Es ist für uns eine ganz große Ehre, dass Sie heute anlässlich dieser Preisverleihung unsere Gäste sind.

Diesen Preis darf das österreichische Parlament ausloben, und es ist uns – die Moderatorin, Frau Gadenstätter, hat es schon gesagt – eine Ehre, dass wir diesen Namen verwenden dürfen, denn Simon Wiesenthal wurde in Österreich nicht immer so behandelt, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte, vor allem aber nicht so, wie es sich gehört hätte. Heute wissen wir, was wir ihm schuldig sind, was wir ihm auch an Dankbarkeit entgegenbringen dürfen. Seine Arbeit hat viele Grundlagen für das Heute gelegt.

Simon Wiesenthal ist mit Sicherheit eine der Lichtgestalten der Zweiten Republik. Er hat nicht nur mit dieser Aufarbeitung Enormes geleistet. Er hat alles getan, um die Täter zu benennen und sie auch vor Gericht zu bringen, aber nicht aus Rache, sondern als klares Bekenntnis zu Recht und Rechtsstaat. Wenn sich eine Republik das zweite Mal verfassungsmäßig als Rechtsstaat gründet, dann liegt es an ihr, dieses Recht auch zum Durchbruch zu bringen.

Das war nicht immer so. Man hat vielfach weggesehen. Es hat lange gedauert, bis sich Österreich zu seiner Geschichte bekannt hat, bis Österreich auch Bekenntnis abgelegt hat, nicht nur Opfer gewesen zu sein, sondern dass sehr viele Österreicherinnen und Österreicher auch Täter gewesen sind.

Simon Wiesenthal, der das Privileg hatte, überlebt zu haben, hat sich seinerzeit gefragt: Was kann ich eigentlich für jene tun, die dieses Privileg nicht hatten? – Ein noch größeres Privileg ist es vielleicht, Nachgeborener zu sein, aus der dritten Generation zu stammen und sich zu fragen: Was können wir heute im Sinne von Simon Wiesenthal tun, um dieses „Nie wieder“, das man schon nach 1945 geschworen hat, nicht nur als ein Wort, als eine Floskel stehen zu lassen, sondern auch mit Leben zu erfüllen, immer wieder daran zu arbeiten, dass man auf der einen Seite das erinnernde Gedenken hochhält, auf der anderen Seite aber aus diesem Urübel, dieser negativen kulturellen Tradition des Antisemitismus, dem Antijudaismus, der Europa durch Jahrhunderte geprägt und als Geisel genommen hat, entkommt?

Wenn wir heute in Europa sehen, dass der Antisemitismus wieder zunimmt, ist diese Arbeit mehr denn je von besonderer Bedeutung und Wichtigkeit. Deshalb hat sich das österreichische Parlament dazu entschlossen, diesen Preis auszuloben, um einen dementsprechenden Beitrag zu leisten; nicht nur Studien zu machen, sich nicht nur in seinen Demokratieworkshops dieses Themas anzunehmen, nicht nur Gesetze zu verabschieden, sondern diesen Preis zu etablieren, der etwas ganz Besonderes beinhaltet. Er zeichnet nämlich Menschen aus, die aus der Zivilgesellschaft kommen und die aus ihrem eigenen Antrieb, aus ihrer eigenen Verpflichtung sich selbst gegenüber dagegen aufstehen und die Stimme erheben. Sie wurden nicht aufgefordert, etwas zu tun, sondern sie taten es aus innerem Antrieb.

Simon Wiesenthal hat uns dazu ermuntert, hat in einer Zeit ein Beispiel gegeben, als es nicht leicht war, als er viel Widerstand, Unverständnis, ja sogar Hass geerntet hat. Es sollte für uns heute viel leichter sein, dementsprechend aufzustehen, die Stimme aus der Mitte der Gesellschaft zu erheben. Der Antisemitismus ist kein Phänomen der Randgruppen, er ist kein Phänomen des rechten, des linken Randes oder, wie wir in Österreich auch sehen, des migrantischen gesellschaftlichen Bereichs. Er ist ein ganz wesentlicher Teil, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt. An den Rändern wird er nur sichtbar, aber er ist noch immer zutiefst in der Mitte der Gesellschaft verankert. Daher brauchen wir die Zivilgesellschaft. Es reichen 183 Abgeordnete nicht aus, es reichen die Gesetze nicht aus, es reichen die Anstrengungen vieler Organisationen nicht aus, es braucht jeden von uns, um sich zu engagieren.

Daher darf ich mich stellvertretend vor allem bei unseren Zeitzeugen, die wir heute auszeichnen dürfen, ganz, ganz herzlich bedanken. Sie haben es eigentlich vorgelebt. Sie haben uns dieses Beispiel schon aus ihrem eigenen Erleben, aus ihrer eigenen Vita her gezeigt und vorgelebt und dementsprechend auch für uns eine Richtschnur, eine Richtung vorgegeben. Für dieses Zeugnisgeben darf ich Ihnen heute nicht nur danken, sondern es auch sichtbar tun. Ich hoffe, dass sie damit viele ermuntern, es ihnen gleichzutun.

Die nächsten Generationen werden nicht mehr die Möglichkeit haben, direkt mit Zeitzeugen zu reden. Mir ist das erst heuer bewusst geworden, als ich mich in einem Salon mit Volvi Klein mit vielen anderen austauschen durfte. Zikaron BaSalon ist eine Organisation, die wir in Österreich mit dem Nationalfonds übernehmen wollen, die wir auch in die österreichische Gesellschaft hineintragen wollen. In der Art, wie er sein Leben dargestellt hat, wie sich dann die Diskussion im privaten Bereich ergeben hat, wie dann bei den Diskutanten vieles aus der persönlichen Geschichte aufgepoppt ist – würde man flapsig sagen –, was in der persönlichen Erinnerung auf einmal in ganz besonderer Art und Weise zutage getreten ist: Das ist ein unschätzbarer Dienst, den die Zeitzeugen für uns dort geleistet haben. Daher ein herzliches Dankeschön.

Wir hoffen, dass wir diese Flamme auch weitergeben können und wir nicht nur imstande sind, die Asche anzubeten, wie das Gustav Mahler damals ausgedrückt hat, als er Traditionen weitergeben wollte. Er wollte das nicht aus der Tradition, aus einer Gewohnheit heraus tun, sondern aus einer inneren Begeisterung und einem inneren Engagement. Dafür dürfen wir herzlich Danke sagen.

Ich darf aber auch all jenen ein herzliches Dankeschön sagen, die eingereicht haben. Sie haben gezeigt, dass es Ihnen ein Anliegen ist, Ihre Arbeit einer noch breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich darf Ihnen danken, dass Sie eingereicht haben – aus allen Teilen dieser Welt – oder dass Sie eingereicht wurden; denn viele haben das nicht selbst getan, sondern sind von Freunden ermuntert worden, das zu tun. Ich würde mir wünschen, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Sie sind mit Ihren Einreichungen auf eine hochkarätige Jury getroffen und können sicher sein, dass die Qualität Ihrer Arbeit in ganz besonderer Art und Weise auch wirklich intensiv diskutiert und nicht nur einfach ausgewählt wurde. Ich möchte der Jury und ihrer Vorsitzenden, der Antisemitismusbeauftragten der Europäischen Union, ein Dankeschön aussprechen, dass man sich damit intensiv auseinandergesetzt. Frau Schnurbein, vielen herzlichen Dank! Mit Ihren Mitjurorinnen und Mitjuroren haben Sie wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet. Ein Preis hat immer nur besonderen Wert, wenn man weiß, welche Jury dahintersteht. Das Parlament ist nur die Plattform. Wir dürfen uns heute freuen, dass es wieder in drei Kategorien Preise zu vergeben gibt.

Ich danke allen, die heute beigetragen haben; der Musik für ihre musikalische Begleitung. Ich danke denen, die die Organisation in unserem Haus und auch darüber hinaus gemacht haben. Ich danke vor allem der Künstlerin, die heute einen Text eines Zeitzeugen vorgetragen hat, der ein unablässiger Mahner in Österreich gewesen ist: Karl Pfeifer. Seine Witwe Dagmar Pfeifer ist heute hier. – Herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind, obwohl Ihr Gatte erst im Jänner verstorben ist! Es ist für uns eine große Auszeichnung. Ihm zu Ehren wollen wir diese Lesung heute nicht nur Revue passieren lassen, sondern sie auch ein wenig als sein Vermächtnis, seinen Auftrag aufnehmen.

In diesem Sinne wünsche ich uns einen interessanten Abend mit vielen anregenden Gesprächen beim anschließenden Empfang und Ihnen viel Motivation, dass Sie vielleicht auch noch viele Freunde animieren, im nächsten Jahr einzureichen. Wenn Sie nicht bei den Gewinnern dabei sind, dann tun Sie es bitte noch einmal! (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Herr Präsident.

Ja, ich darf Ihnen jetzt noch einmal diese ganz besondere Lesung ankündigen. Es geht eben wie gesagt um Auszüge aus dem Buch des Journalisten und Zeitzeugen Karl Pfeifer.

Karl Pfeifer war einer der Hauptpreisträger des ersten Simon-Wiesenthal-Preises. Er hat das Goldene Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich erhalten und er hat als Zeitzeuge immer wieder an Schulen gesprochen, über sein Leben als verfolgtes Kind und über sein Leben in der Fremde.

Im Frühjahr hätte er hier im Parlament sein Buch präsentieren sollen. Das war alles schon ausgemacht. Karl Pfeifer hat in einem Telefonat auch gesagt, wie sehr er sich darüber freut, was das für eine große Ehre für ihn ist, dass er sein Buch hier im Parlament präsentieren darf, und dann, am Tag nach diesem Telefonat, hat es die traurige und für viele sehr erschütternde Meldung gegeben, dass Karl Pfeifer verstorben ist.

Aber das Parlament steht zu seinem Wort. Das Buch wird hier im Parlament präsentiert werden, wahrscheinlich im November, und schon heute werden wir eben Auszüge aus diesem Buch hören.

Wir gehen jetzt gedanklich zurück ins Jahr 1938. Vorgetragen wird dieser Text jetzt von einer großartigen Schauspielerin im Theater, im Kino, aber auch im TV. Bitte begrüßen Sie Martina Ebm! (Beifall.)

Martina Ebm (Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt und Filmschauspielerin): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich wirklich wahnsinnig gefreut, als ich anlässlich dieser Preisverleihung eingeladen wurde, einen kurzen Text zur Ehrung Herrn Pfeifers zu lesen und einen kleinen Beitrag wider das Vergessen zu leisten. Danke.

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(Es folgt eine Lesung.)

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Danke. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Vielen Dank an Martina Ebm.

Meine Damen und Herren! In Kürze beginnen wir mit der Preisverleihung. Davor wollen wir uns aber noch musikalisch darauf einstimmen.

Ich darf Ihnen jetzt das Musikduo ein bisschen näher vorstellen.

Jasmin Meiri-Brauer hat ein abgeschlossenes Gesangs- sowie Gesangspädagogikstudium mit dem Schwerpunkt Jazz und Pop. Musikalisch hat sie sehr, sehr viele Projekte, die sie verfolgt, wie zum Beispiel jüdische Musik, Weltmusik, klassischer Chor, Jazz, Rock und Balkanprojekte.

Jannis Raptis ist in Heidelberg als Sohn griechischer Eltern geboren worden. Er war sehr lange als Gitarrist tätig und ist jetzt selbstständiger Songwriter und Schriftsteller.

Und wir hören jetzt: „El-Ginat Egoz“. – Bitte schön.

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, damit sind wir jetzt bei der Preisverleihung angelangt, und zwar starten wir mit der ersten Kategorie. Diese Kategorie steht unter dem Motto Aufklärung über den Holocaust. Drei Personen beziehungsweise Projekte wurden darin nominiert. Wir wollen Ihnen die Nominierten jetzt in einer Videozuspielung kurz vorstellen.

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(Es folgt eine Videoeinspielung.)

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(Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Drei großartige Projekte. Die Verleihung wird in jeder Kategorie jeweils ein Mitglied der Jury gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka vornehmen.

Aus der Jury darf ich Ihnen jetzt Brigitte Bailer vorstellen: Sie ist Dozentin für Zeitgeschichte an der Universität Wien, sie war unter anderem wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und stellvertretende Vorsitzende der Historikerkommission. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf Widerstand und Verfolgung bis 1945 und den Rechtsextremismus nach 1945. – Bitte kommen Sie ans Rednerpult: Brigitte Bailer und Präsident Wolfgang Sobotka. (Beifall.)

Brigitte Bailer (Jurymitglied, Simon-Wiesenthal-Preis): Ich freue mich, Ihnen heute hier als Mitglied der Jury – und auch als ehemalige Leiterin des Dokumentationsarchivs, aber in erster Linie als Mitglied der Jury – die Überreichung des Simon-Wiesenthal-Preises für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust an Waltraud Barton bekannt zu geben. (Beifall.)

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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)

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Lisa Gadenstätter: Frau Barton, herzlichen Glückwunsch!

Frau Bailer, habe ich das richtig gesehen, Sie hätten noch ein paar Worte vorbereitet gehabt? Wollen Sie noch? (Bailer: Ja!) – Bitte. Man hört lobende Worte, glaube ich, immer gerne.

Brigitte Bailer: Vielleicht habe ich etwas missverstanden; nun aber: Frau Barton hat unermüdlichen Einsatz zur Erinnerung an die vom NS-Regime nach Maly Trostinec und Minsk deportierten und im Großraum Minsk ermordeten Jüdinnen und Juden aus Österreich geleistet. Gedenkinitiativen wie diese sind es ja, die der viele Jahre langen Forschungsarbeit des Dokumentationsarchivs zur Erfassung der Namen der Ermordeten ganz wesentliche zusätzliche Bedeutung verleihen. Zur Realisierung dieser Bedeutung bedarf es des Engagements und der Anstrengungen von aktiven und von ihrer Aufgabe überzeugten Menschen wie Waltraud Barton, deren Hartnäckigkeit es zu verdanken ist, dass mittlerweile auch ein Denkmal an diesem Gedächtnisort errichtet wurde – als bleibendes Erinnerungszeichen an die Opfer auch an der Stelle der verübten Morde. Es ist das Verdienst solcher Initiativen, dass das Wort der Überlebenden – Niemals vergessen! – weiterhin seine Wirkung und Geltung behält und auch zum Beispiel so lange Zeit weniger bekannte Mordstätten wie eben Maly Trostinec öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, hier in Österreich, aber eben auch an der Stätte des Verbrechens. – In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen sehr herzlich. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Frau Barton, herzliche Gratulation! Nun zu ein paar Dankesworten von Ihnen.

Waltraud Barton: Vielen Dank. Sie haben es bei der Einspielung – danke für diese großartige Montage – gesehen: Auch wenn ich jetzt diesen Preis, der eine große Ehre ist, entgegennehmen darf, so waren an diesem Projekt doch sehr, sehr viele beteiligt, von Anfang an beteiligt, und haben meine Arbeit unterstützt und mitgetragen – einen Teil davon haben Sie da auf den Fotos immer wieder gesehen, einen Teil von ihnen sehe ich hier im Nationalratssitzungssaal heute –, und ich möchte mich bei jedem Einzelnen und jeder Einzelnen von denen, die diese Arbeit von Anfang an unterstützt haben, sehr herzlich bedanken. Vielen, vielen Dank. (Beifall.)

Ganz besonders möchte ich mich bei meinen Söhnen bedanken, Nikolaus und Johannes Barton, die da hinten sitzen. (Beifall.)

Zivilgesellschaftliches Engagement wie das meine bedeutet, sehr hartnäckig zu sein, bedeutet, laut zu sein, manchmal zu laut, und es ist nicht immer leicht, eine Mutter zu haben, die manchmal zu laut ist, die das verdiente Geld lieber in die Herausgabe von Totenbüchern als in gemeinsame Familienurlaube steckt und die auf Elternsprechtagen unermüdlich Unterschriften für ein Grabmal in Maly Trostinec sammelt. Vielen Dank, dass ihr trotzdem immer wieder, soweit es eure Zeit erlaubt, bei meinen Projekten dabei seid, und für eure Unterstützung. Vielen, vielen Dank! (Beifall.)

Maly Trostinec erinnern, das war tatsächlich bis zur Gründung des Vereins IM-MER in Österreich kein Begriff. In Österreich wurde von sechs Millionen Juden und von Auschwitz gesprochen, das war allgemein bekannt, aber niemand hatte bis dahin wirklich konkret gefragt: Wo sind denn meine Nachbarn, wo sind denn meine Wiener und Wienerinnen hingekommen? Wenn man das gemacht hätte, hätte man sehr schnell gemerkt – denn ich bin keine Historikerin, jeder andere hätte das auch herausfinden können, hätte er nur ganz konkret gefragt –, dass direkt von Wien aus an keinen anderen Ort so viele Menschen ausschließlich zum Ermordetwerden hingebracht worden sind, hingebracht zum Ermordetwerden wegen ihrer jüdischen Herkunft, wie nach Maly Trostinec.

An keinem anderen Ort war die Überlebenschance so gering, nämlich null – in Auschwitz war sie wesentlich größer. In Maly Trostinec erwartete keine Rampe die dorthin Deportierten, wo zumindest in arbeitsfähig und in arbeitsunfähig unterschieden wurde, was doch eine kleine Lebensmöglichkeit beinhaltete. In Maly Trostinec warteten ausgehobene Massengräber, in die die Deportierten sofort von hinten hineingeschossen wurden, oder sie wurden mit mobilen Gaswägen vergast. – Dafür steht Maly Trostinec.

Maly Trostinec steht dafür, dass diese 10 000 Menschen, die zu dieser Stadt hier, zu diesem Land gehört haben, von anderen Menschen, die ebenfalls zu diesem Land hier, zu dieser Stadt gehört haben, 1942 auf eine Liste – ihr Name und daneben Maly Trostinec als Zielort – gesetzt worden sind. Das ist zehnmal geschehen, einmal nur nach Minsk und neunmal nach Maly Trostinec. Dennoch haben wir nicht aufgehört, von Transporten nach Minsk zu reden, weil wir damit im Hinterkopf ein Ghetto und die Möglichkeit des Überlebens assoziieren konnten. Deswegen haben wir bis in die Siebziger- und Achtzigerjahre hinein, auch lange noch, als wir es schon besser wussten, von Transporten nach Minsk geredet, und nicht von Maly Trostinec – denn das hat bedeutet: Der Mordbefehl ist hier in Wien gefällt worden, die Gräueltat, das unvorstellbar Monströse ist hier geschehen, indem man die Menschen hier auf diese Listen gesetzt hat, darunter auch meine Verwandten Herta, Rosa und Viktor Ranzenhofer und Malvine Barton.

Herta war gerade einmal 13 Jahre alt, als man sie nach Maly Trostinec deportierte. Wir haben auch ein Schild für sie aufgehängt, einige der Schilder haben Sie auch in dieser Einspielung gesehen.

Im Oktober 2016 bin ich schon einmal hier im Nationalrat gesessen und war bei der 148. Sitzung anwesend, als damals einstimmig der Beschluss gefasst worden ist, in Maly Trostinec ein Mahnmal, ein Memorial zu errichten, was die Republik Österreich dann 2019 auch umgesetzt hat – vielen Dank dafür! Dass es in Maly Trostinec ein Grabmal, ein Mahnmal, ein Memorial gibt, ist ein Zeichen dafür, dass es geschehen konnte. Es ist unübersehbar geworden: Es ist geschehen. Und was einmal geschehen ist, kann auch wieder geschehen. – Daran erinnert dieses Grabmal, dieses Denkmal, dieses Mahnmal in Maly Trostinec.

Ich werde oft gefragt: Das steht doch jetzt seit 2019, ist jetzt endlich Schluss mit deiner Arbeit? Und ich sage: Nein. – In dieser kleinen Broschüre haben wir das schon zum Zehnjahresfest des Vereins IM-MER formuliert und ich möchte das kurz vorlesen:

Die IM-MER-Forderung nach einem Niemals-wieder-Gedenkort: In Maly Trostinec gedenkt der Verein IM-MER aller als jüdisch Verfolgten und in Maly Trostinec Ermordeten. Und so sehr auch in Wien, wo die größte deutschsprachige jüdische Gemeinde ausgerottet worden ist, ein Holocaustmuseum fehlt, so sehr fehlt doch in Wien viel mehr: Wien braucht einen zentralen Vermittlungsort, der jeglichen gruppenbezogenen Ausschluss aus der österreichischen Gesellschaft vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert – das heißt: den Ausschluss aus politischen Gründen, aufgrund von Abstammung, Religion, Nationalität, sexueller Orientierung, körperlicher oder geistiger Behinderung und so weiter, von Partisanen und Partisaninnen, Kärntner Slowenen und Sloweninnen, von Widerstandskämpfern und -kämpferinnen, Roma und Sinti und anderen. IM-MER fordert damit einen zentralen Vermittlungsort, wo man nicht nur erfährt, was damals passiert ist, sondern gegen sprachliche Verrohung, Gewalt und Ausgrenzung, für ein „Niemals wieder!“ in Zukunft heute aufzutreten lernt. Ich verspreche – und dieser Preis ist mir ein Ansporn und ein Auftrag –, damit nicht aufzuhören, bis auch das verwirklicht ist. (Beifall.)

Ganz zum Schluss erlauben Sie mir noch ein Danke an die Jury, die mich heute mit diesem Preis so gewürdigt hat – vielen Dank, es ist so eine große Ehre! –, und ein besonderes Danke an den Veranstalter, dass diese Veranstaltung am Vorabend des 90. Geburtstags meiner Mutter stattfindet. (Beifall.)

Die Mama sitzt da hinten, neben ihr ihre Schwester, Tante Helga, die 88 Jahre alt ist und extra aus England gekommen ist, um heute hier dabei zu sein. Auch sie sind Zeitzeuginnen, es waren auch ihre Verwandten, die in Maly Trostinec ermordet worden sind.

Und jetzt, damit wir nicht tatsächlich am Ende dieser Veranstaltung deinen 90. Geburtstag feiern, sage ich noch einmal Danke und mache mit dieser Rede Schluss. – Vielen, vielen herzlichen Dank! (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Frau Barton, für diese beeindruckende Rede. Ich weiß nicht, ob es jeder im Saal gehört hat, aber die Söhne haben vorhin gerufen: Bravo, Mama!, und das finde ich wirklich sehr, sehr schön.

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Kategorie Nummer zwei: Kampf gegen Antisemitismus. Auch in dieser Kategorie haben wir wieder drei Nominierte, und wir wollen natürlich auch einen Blick auf ihre Arbeit werfen, und zwar mit einem kurzen Video.

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(Es folgt eine Videoeinspielung.)

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(Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Für diese Kategorie wird gleich Oskar Deutsch ans Rednerpult kommen. Er ist seit 2012 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und der Israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich.

Herr Deutsch, ich darf Sie bitten, dass Sie gemeinsam mit Präsident Sobotka ans Rednerpult kommen und die Verleihung durchführen. (Beifall.)

Oskar Deutsch (Jurymitglied, Simon-Wiesenthal-Preis): Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger! Sehr geehrte Frau Racheli Kreisberg! Geschätzte Damen und Herren! Es ist mir eine Ehre, bekannt zu geben, dass der Simon-Wiesenthal-Preis 2022 in der Kategorie Kampf gegen Antisemitismus an Herrn Prof. Mohammed Dajani Daoudi verliehen wird. (Beifall.)

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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)

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Die Reise, auf der Prof. Dajani Daoudi eine Gruppe von 27 palästinensischen Studenten im Frühjahr 2014 nach Ausschwitz begleitete, verhalf ihm über die Grenzen Israels hinaus zu großer Bekanntheit. Sie war Teil eines gemeinsamen Projekts der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Ben-Gurion-Universität des Negev, dessen Ziel es war, auf der einen Seite jüdisch-israelische Studentinnen und Studenten über die Nakba und palästinensische Studierende auf der anderen Seite über die Schoah zu unterrichten.

Im Zuge der Reise sollten vor allem Themen wie Aussöhnung und Empathie angestoßen und das historische Bewusstsein der anderen Seite geprägt werden. Die bedauerliche Konsequenz war, dass Prof. Dajani seine Anstellung an der Al-Quds-Universität, wo er Direktor der Universitätsbibliothek und Gründungsdirektor des American Studies Center war, verlor und seitdem bis heute das Opfer von persönlichen Anfeindungen und Angriffen ist.

Sehr geehrter Prof. Dajani Daoudi, die heutige Auszeichnung würdigt nicht nur Ihren Mut, sondern auch Ihren ganz persönlichen Beitrag im Kampf gegen den Antisemitismus ganz im Sinne Simon Wiesenthals. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich! (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Herr Dajani, herzliche Gratulation! Darf ich Sie noch ans Rednerpult bitten?

Mohammed S. Dajani Daoudi (in deutscher Simultanübersetzung): Vielen Dank. Ja, mir fehlen die Worte. Es ist eine großartige Ehre, heute hier zu sein, diesen Preis nicht nur entgegennehmen zu dürfen, sondern überhaupt schon dafür nominiert zu sein.

Vor einigen Minuten fragte mich ein Journalist: Warum denn der Kampf gegen Antisemitismus? Und meine Antwort war: Weil es nicht nur das Richtige ist, sondern auch weil es moralisch eine Verpflichtung ist. Deshalb fühle ich mich sehr geehrt, diesen Peis entgegennehmen zu dürfen.

Ich möchte mich bei meiner Familie bedanken, die mich unterstützt hat, bei meinen Freunden und Unterstützern, die an die Botschaft geglaubt haben, die wir verbreiten, und ich hoffe – und ich verspreche dies auch –, dass wir diesen Weg weitergehen werden, eine Kerze nach der anderen entzünden werden, um gegen den Antisemitismus zu kämpfen und die Aufklärung über den Holocaust nicht nur unter Palästinensern, sondern auch unter Arabern und Muslimen auf der ganzen Welt weiterzutragen.

Das ist unsere Verpflichtung, unsere Verantwortung und wir hoffen, dass irgendwann eine Kerze zu Hunderten, Tausenden Kerzen werden wird und dass das Licht die Dunkelheit vertreiben wird, dass das Wissen die Ignoranz vertreiben wird.

Ich danke Ihnen und ich werde weiterkämpfen! (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, damit sind wir bei der dritten Kategorie angelangt, dem heutigen Hauptpreis: eine Auszeichnung für besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust. Auch da wollen wir uns natürlich in einem Video anschauen, wer denn die Nominierten sind. – Bitte schön.

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(Es folgt eine Videoeinspielung.)

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(Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Wieder großartige Projekte.

Wer in dieser Kategorie gewonnen hat, das wird uns gleich Katharina von Schnurbein sagen. Sie ist seit 2015 Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission und setzt sich eigentlich seit ihrer Jugend für jüdisches Leben in Europa ein, wurde dafür auch mit der Torberg-Medaille der Israelitischen Kultusgemeinde Wien ausgezeichnet.

Ich darf jetzt Katharina von Schnurbein und Präsident Sobotka wieder ans Rednerpult bitten. (Beifall.)

Katharina von Schnurbein (Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission & Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): Meine Damen und Herren! Die Entscheidung über die Preisträger ist der Jury nicht leichtgefallen, auch nicht in Bezug auf den Hauptpreis.

Wir hatten so viele hervorragende Projekte, die uns ermöglicht haben, eine Bandbreite an zivilgesellschaftlichem Engagement näher kennenzulernen und darüber zu diskutieren, wie es eben schon gesagt wurde, und zu sehen, wie vielfältig und wie unheimlich engagiert und mit wie viel Rückgrat so viele hier im Raum und vor den Bildschirmen sich mit Gedenken und mit Antisemitismusbekämpfung auseinandersetzen.

Der Hauptpreis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust geht an Zikaron BaSalon – herzlichen Glückwunsch! (Beifall.)

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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)

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Einer der wirksamsten Impfstoffe gegen Antisemitismus sind die Zeugnisse der Überlebenden. Während wir das oft so einfach sagen, ist es nötig, den Überlebenden und den Zeitzeugen die Möglichkeit zu geben, ihre Zeugnisse zu geben, und ein Umfeld zu schaffen, in dem das möglich gemacht werden kann.

Zikaron BaSalon macht das in unwahrscheinlich wirkungsvoller und wunderbarer Weise. Ich habe es selbst auch erlebt, wie sie Überlebende mithineinnehmen und ihnen ermöglichen, ihre Geschichte zu erzählen, und wie man eine Stecknadel fallen hören kann, weil es im Raum einfach still ist und jeder wie gebannt zuhört. Das ist das Mittel, das wir gegen Antisemitismus brauchen, solange es noch möglich ist.

Ich wünsche Zikaron BaSalon viel Erfolg für das, was sie aufbauen – in Israel, aber jetzt auch hier in Europa, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Behatzlacha! (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Sharon Buenos, meine Damen und Herren!

Sharon Buenos (Zikaron BaSalon): Ich glaube an das Bauen von Brücken. Ich werde jetzt versuchen, einen Teil meiner Rede auf Deutsch zu halten:

Ich möchte mich im Namen von Zikaron BaSalon ganz herzlich beim österreichischen Parlament, bei der Jury und bei Präsident Sobotka bedanken. Dieser Preis ist eine Chance, Brücken zu bauen – zwischen den Generationen und zwischen den Ländern, zwischen Österreich und Israel. Danke, dass Sie im Kampf gegen Antisemitismus an unserer Seite stehen! Danke, dass Sie sich mit uns an die Vergangenheit erinnern, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten! – That’s it for me for Deutsch. (Beifall.)

(In deutscher Simultanübersetzung): 2011 hat sich eine Gruppe von jungen Freunden versammelt, um Gedenken zu halten. Sie haben Hannah Gofrit, eine Zeitzeugin, eingeladen, ihre Erinnerungen zu teilen. Sie haben gemeinsam gelacht und geweint. Dieser Abend war so speziell, so besonders und führte dann zu einer neuen Initiative: Zikaron BaSalon, Erinnerung im Wohnzimmer.

Das ist eine soziale Initiative, die sich an den Holocaust erinnert, die Zeitzeugen mit der jüngeren Generation in Verbindung bringt, in einer intimen, privaten Atmosphäre. Seit dem ersten Salon haben zwei Millionen Menschen teilgenommen und das in eine Tradition verwandelt, eine Tradition, in der man sich an die Vergangenheit erinnert, um die Zukunft zu gestalten.

Die Zeit ist knapp. Wir wissen, dass wir das, was wir jetzt tun, morgen nicht mehr tun können. Auch ich möchte Karl Pfeifer erwähnen: Wir hatten die Ehre, ihn letztes Jahr zu treffen und seine Lebensgeschichte zu hören. In ein paar Jahren wird niemand mehr da sein, der sagen kann: Ich war dabei, ich erinnere mich an das, was passiert ist. – Deswegen müssen wir jetzt handeln.

Wir müssen mit der zweiten und der dritten Generation arbeiten, aber besonders wichtig ist: Wir müssen allen Zeitzeuginnen und -zeugen die Chance geben, Zeugnis abzulegen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir uns an den Holocaust erinnern, und wir müssen den Kampf gegen den Antisemitismus weiterführen.

Ein kurzer Ausschnitt aus der Zeitzeugenerklärung, das wurde vor 22 Jahren geschrieben, ist aber immer noch genauso gültig: Antisemitismus und andere Formen des Rassismus sind eine Gefahr, nicht nur für die Juden, auch für die Völkergemeinschaft. Der Holocaust hat der Welt gezeigt, wie groß die Zerstörungskraft von Antisemitismus und Rassismus ist. Eine Leugnung des Holocausts ist ein Weg, um zu leugnen, was die Vergangenheit uns beizubringen hat. Wir, die Überlebenden, rufen die Welt auf, sich zu erinnern, diese Phänomene anzuprangern und zu bekämpfen. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Herzlichen Glückwunsch noch einmal allen Preisträgerinnen und Preisträgern und auch allen Nominierten! Es ist wirklich beeindruckend, was wir hier gerade für Projekte gesehen haben. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Meine Damen und Herren im Saal und auch zu Hause via Livestream! Es geht hier gleich sehr spannend und berührend weiter, nämlich mit einem Zeitzeuginnengespräch, zuerst aber wollen wir wieder großartige Musik hören, nämlich von Jasmin Meiri-Brauer und Jannis Raptis. Wir hören jetzt „Mir lebn eybik“.

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, ich darf jetzt drei großartige Frauen zu mir bitten. Wir wollen über ein sehr wichtiges Thema sprechen, nämlich über die Zukunft des Gedenkens.

Bitte begrüßen Sie Lucia Heilman! – Bitte sehr, Frau Heilman. (Beifall.)

Meine Damen und Herren, Lucia Heilman wurde 1929 in Wien geboren. Sie war acht Jahre alt, als Hitler in Wien einmarschiert ist. Sie ist damals zum Heldenplatz gelaufen und hat das Schreien, das Grölen und die Rufe gehört. Da wusste ich, ich gehöre nicht dazu, sagte sie dann später. Überlebt hat Lucia Heilman nur, weil ein Freund ihres Vaters den Mut hatte, sie und ihre Mutter vor dem Naziregime zu verstecken. Ein halbes Jahr davon verbrachte Lucia in absoluter Dunkelheit.

Frau Heilman, schön, dass Sie heute da sind! (Beifall.)

Bitte begrüßen Sie, meine Damen und Herren, Racheli Kreisberg! (Beifall.)

Racheli Kreisberg ist die Enkelin von Simon Wiesenthal. Jahrelang hat sie versucht, etwas über ihre Familie herauszufinden, ist dabei jeder noch so kleinen Information nachgegangen. Sie ist Innovation Attachée in der niederländischen Botschaft in Israel, und was sie für ihre Familie gemacht hat, nämlich Ahnenforschung, das macht sie auch für andere Familien: Sie rekonstruiert als Ahnenforscherin Familienstammbäume, vor allem ausgehend von den Aufzeichnungen der Yad-Vashem-Datenbank der Holocaustopfer. Um das Gedenken an ihren Großvater aufrechtzuerhalten, setzt sie sich unermüdlich dafür ein.

Schön, Sie hier zu haben, Frau Kreisberg! (Beifall.)

Ein Platz ist noch frei für Katharina von Schnurbein. Großen Applaus bitte! (Beifall.)

Katharina von Schnurbein spricht fünf Sprachen fließend: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Niederländisch. Aber ich glaube, wir bleiben heute bei der deutschen Sprache, hoffentlich. Seit 2015 ist Katharina von Schnurbein Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission. Europaweit arbeitet sie eng mit jüdischen Gemeinden und Organisationen zusammen. Es geht immer um die Herausforderungen hinsichtlich Antisemitismus.

Schön, dass Sie da sind. (Beifall.)

Frau Heilman, ich möchte gerne gleich einmal mit Ihnen beginnen: Ich habe schon gesagt, dass Sie das NS-Regime überlebt haben. Das haben Sie der Zivilcourage eines Mannes zu verdanken, nämlich Reinhold Duschka, einem Freund Ihres Vaters. Er war Kunstschmied und hat Sie und Ihre Mutter in seiner Werkstatt versteckt. Was sind denn so die stärksten Erinnerungen an diese Zeit?

Lucia Heilman (Zeitzeugin): Die Angst ist die stärkste Erinnerung an diese Zeit. Jedes Klopfen an der Tür war zunächst mit Angst verbunden. Man wusste ja nicht: Kommt jetzt die SS, um uns abzuholen, oder ist es noch einmal vorbeigegangen? Diese Angst – über viele Jahre hindurch – hat sicher mein Leben geprägt.

Lisa Gadenstätter: Kann man diese Angst jemals überwinden?

Lucia Heilman: Nie, die Angst bleibt! Das ist so weit gegangen, dass jedes Läuten an der Tür für mich ein Schrecken war, auch viele Jahre nach dem Holocaust und nach dem ganzen Hitlerregime noch. Die einzige Alternative, die ich hatte, war, dass man an der Wohnungstür kein Läuten mehr schallen lässt, wenn man draufdrückt, sondern nur ein Ding Dong.

Lisa Gadenstätter: Gibt es etwas aus dieser Zeit, Erlebnisse, worüber Sie nach wie vor nicht sprechen können oder wollen?

Lucia Heilman: Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis ich mich entschlossen habe, einen Bericht über diese Zeit zu geben. In der ersten Zeit war es für mich so schwer, darüber zu sprechen, dass ich ungefähr nur eine Stunde ausgehalten habe und dann in Weinen ausgebrochen bin.

Das erste Mal, dass ich über diese Erinnerungen gesprochen habe – das hat man mir praktisch aufgezwungen –, war im Zusammenhang mit der Spielberg-Foundation. Spielberg hat sich dazu entschlossen, in allen europäischen Ländern und auch in Israel ein Team zusammenzustellen, dass Holocaustüberlebende interviewt hat. Spielberg hat nicht nur einen Reporter, sondern auch einen Kameramann zur Verfügung gestellt und bezahlt und hat mit allen, die sich dazu entschlossen haben, ein Interview gemacht. Er war der Allererste, der sich für Holocaustüberlebende eingesetzt hat, und hat alle Spesen, die dadurch angefallen sind, bezahlt.

Lisa Gadenstätter: Wir sind jedenfalls sehr froh und sehr dankbar, dass Sie über diese Zeit sprechen. Vielen Dank, Frau Heilman. (Beifall.)

Frau Kreisberg, dieses Nicht-reden-Wollen über diese Zeit, das kennen Sie ja auch von Ihrem Großvater, oder?

Racheli Kreisberg (Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative): Ich kenne es, aber ich kenne es auch nicht. Wie du zuvor gesagt hast: Ich komme aus Holland. Mein Deutsch ist nicht so gut. Ich werde es probieren und wenn es nicht mehr geht, dann werde ich Englisch reden.

Ich erinnere mich: Vor 40 Jahren, ich war damals 16, waren wir beim 75. Geburtstag von meinem Großvater. Das war in Los Angeles. Das wurde zusammen mit Barry Manilow organisiert. Erinnern Sie sich noch an Barry Manilow, ja?

An was ich mich von damals erinnere, war der Applaus. Der Applaus von meinem Großvater war eigentlich die Art und Weise, wie mein Großvater nicht seine Geschichte, sondern seine Arbeit mit uns geteilt hat, mit der Familie. Ich war sehr jung, ich war erst 16 Jahre alt, und wir mussten aufstehen. Es war sehr – wie sagt man? –, it was terribly embarrassing, dort aufzustehen. Aber so hat mein Großvater vor 40 Jahren angefangen. Ich versuche jetzt, nur eine paar typologische Nummern zu benützen – 40 ist eine davon.

Die Zweite ist: Mein Großvater ist vor 18 Jahren gestorben, 2005, und 18 auf Hebräisch ist chaj. Chaj means Leben. Und ich muss sagen, dass ich meinen Großvater noch nie so lebendig gesehen habe, diese letzten 18 Jahre, seit er gestorben ist, denn als mein Großvater noch lebte, konnten wir auch nicht so leicht über seine Arbeit reden. Das ist etwas, worüber nicht so viel geredet wurde.

Die Letzte hat mit dem heutigen Datum zu tun: 13. Ich weiß, 13 hat manchmal auch eine negative Konnotation, aber heute ist der 13. März, und für uns im Judentum bedeutet 13, wenn wir 13 Jahre alt sind, dass wir erwachsen sind – wir feiern die Bar-Mizwa. Ich fühle, mein Großvater hat heute eine Art Bar-Mizwa, denn durch diese Gesellschaft und durch diese Preise werden wir alle erwachsen. Darum glaube ich – ich habe das vielleicht nicht so direkt gesagt, aber indirekt –, das ist die Weise, auf die mein Großvater jetzt mit uns allen redet, diese Arbeit fortführt. Darum bin ich emotional sehr berührt. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Was war denn Ihr Großvater für ein Mensch?

Racheli Kreisberg: Mein Großvater war zuerst einmal opatje. Der Mann also, über den hier jeder spricht, Simon Wiesenthal, das ist mein Großvater – opatje.

Mein Großvater war eine Person, die mit ihrer Arbeit sehr beschäftigt war – so wie ich es von Ihnen gehört habe, wegen ihrer Söhne, so war mein Großvater auch –, er war immer, immer mit seiner Arbeit beschäftigt. Er war so überzeugt davon, dass das das Richtige ist. Ein Urlaub mit meinem Großvater war sehr kurz, weil er nach ein oder zwei Tagen schon genug hatte und wieder arbeiten wollte. Aber ich glaube, mein Großvater hat sehr viel gemacht, und ich habe als Kind dadurch sehr viel gelernt.

Lisa Gadenstätter: Frau von Schnurbein, Sie stammen ja aus keiner jüdischen Familie. Sie kommen ursprünglich aus Straubing in Bayern. Es war aber Ihrer Familie völlig klar, dass man jüdisches Leben wieder zu einem Teil der Normalität machen muss. Woher kam denn dieses Engagement Ihrer Familie?

Katharina von Schnurbein: Ich komme aus Regen, aus dem Bayerischen Wald, aber das ist nur eine Stunde weg von Straubing. In Straubing war die jüdische Gemeinde, und für meine Eltern war die Tatsache, dass wir als Deutsche eine besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk und gegenüber Israel haben, selbstverständlich, und wir haben zu Hause sehr viel darüber geredet und hatten Kontakt nach Israel, aber auch zu der jüdischen Gemeinde in Straubing, die damals aus so wenig Holocaustüberlebenden bestand, dass sie nicht einmal eine Minjan zum Gebet zusammenbringen konnten.

Wir haben die Zeugnisse dieser Überlebenden auch im Gespräch gehört. Ich erinnere mich bis heute an eine Situation – und ich kriege schon Gänsehaut, wenn ich nur darüber rede –, als einer erzählte, er war zehn Jahre alt, ein Kind, seine Eltern wurden in Osteuropa am Rande einer Grube erschossen und er hat sich mitreinfallen lassen. Er hat auf diese Weise überlebt, hat gewartet, bis die Nazis weg waren, ist rausgeklettert und hat in den Wäldern irgendwie überlebt.

Dieses Erlebnis, ich war damals selbst zehn Jahre alt, hat mich so berührt, dass es einfach bis heute eine treibende Kraft ist, dass weiterzugeben, auch an meine vier Kinder weiterzugeben. Ich weiß, wie wichtig das ist, dass man in den Familien darüber redet. Bildung ist ganz wichtig, und die Schule ist zentral, aber das zu Hause zu thematisieren ist, glaube ich, auch unsere Aufgabe, und es ist letztendlich eine große Herausforderung für uns als Eltern, das weiterzugeben.

Lisa Gadenstätter: Wir sprechen hier immer von den Zeitzeugen, den Zeitzeuginnen. Was genau meint denn Zeitzeugenschaft?

Katharina von Schnurbein: Wir hatten darüber sogar eine kleine Diskussion in der Jury. Ein Zeitzeuge ist ein Holocaustüberlebender, der sich dazu überwunden hat, sein eigenes persönliches Leben und Überleben der Schoah anderen mitzuteilen und dies in einer Art und Weise, die ja selbst immer wieder schmerzhaft ist.

Ich glaube, wir können den Überlebenden und den Zeitzeugen nicht genug dafür danken, dass sie immer wieder durch diesen Prozess gehen und immer wieder die Vergangenheit aufleben lassen, damit wir immunisiert werden gegen diesen Hass, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus.

Lisa Gadenstätter: Frau Heilman, Sie sind so jemand, der das macht, der immer wieder in Schulen geht und vor jungen Menschen spricht und mit ihnen über diese Zeit spricht.

Wie reagieren denn die jungen Menschen auf Sie? Macht es einen Unterschied, ob Sie vor den jungen Menschen stehen oder ob die jungen Menschen das in einem Buch lesen?

Lucia Heilman: Ein Riesenunterschied! Es ist ein Riesenunterschied, ob man persönlich in einer Klasse steht, ob man die Schüler und Schülerinnen anschauen kann und die Reaktion sieht, über das, was man erzählt. Das ist klar. Ich bin ein kleiner Redner, aber manches Mal gelingt es mir, den Schülern meine Geschichte so darzubringen, dass die Mädchen sich die Augen wischen, weil sie betroffen sind, weil sie verstehen, dass man in dieser Zeit das Leben als Kind sehr, sehr schwer bewältigen konnte.

Interessant für mich persönlich sind natürlich auch die Fragen, die die Schüler stellen. Eine der seltenen Fragen war, dass ein Mädchen, eine Schülerin gefragt hat: Haben sie viel geweint? – So eine Frage zeigt, dass dieses Kind, diese Schülerin verstanden hat, was es bedeutet, vier Jahre lang in einer Werkstatt versteckt zu sein, niemals mit Kindern spielen, niemals mit Kindern plaudern zu können. Ich war damals zehn Jahre alt – also man nimmt einem Kind den ganzen Kontakt zu der Schuljugend, ich durfte doch nicht in die Schule gehen!

Beeindruckend sind natürlich alle Fragen, aber berührend für mich war, dass in letzter Zeit immer wieder ein Schüler aufgestanden ist und gefragt hat: Haben Sie nicht Angst, dass sich das wiederholt? Als man mich das das erste Mal gefragt hat, bin ich direkt erschrocken. Was muss in dem Jugendlichen vorgegangen sein, worüber hat er nachgedacht, dass er so eine Frage an mich stellt? – Im ersten Moment konnte ich darauf natürlich auch gar nicht antworten. Haben Sie nicht Angst, dass sich das wiederholt?

Lisa Gadenstätter: Frau von Schnurbein, dieser Kontakt zwischen den Zeitzeug:innen und natürlich den jungen Menschen ist so wichtig. Wie wichtig sind denn, wenn wir diese Geschichten nicht mehr aus erster Hand hören können, solche Projekte wie zum Beispiel die Zweitzeugen – gerade wenn wir an die Zukunft des Gedenkens denken?

Katharina von Schnurbein: Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl, als zu probieren, jetzt, solange es die Möglichkeit noch gibt, aber eben auch über die schon aufgenommenen Zeugnisse in der Shoah Foundation, in der Spielberg-Foundation, diese Zeugnisse an junge Menschen weiterzugeben und sie zu befähigen, die Geschichten weiterzuerzählen.

Wir haben selbst als Europäische Kommission im November letzten Jahres ein Netzwerk gegründet, das nennt sich Young European Ambassadors to promote Holocaust remembrance. Da geht es zum einen darum, junge Menschen in einem Jahr auszubilden, sodass sie in ihrem eigenen Umfeld, an Universitäten, in Schulen, im Jugendclub Holocaustgedenken initiieren können, physisch oder digital im Internet, um insbesondere Holocaustverzerrungen zum Beispiel mit den Geschichten von Holocaustüberlebenden entgegenzutreten, dadurch, dass sie die Fakten kennen und dass sie erkennen können, wenn Dinge falsch erzählt werden.

Wir wollen das als europaweites Projekt aufsetzen. Im Moment wird es als Pilotprojekt in sechs Ländern gestartet. Ich glaube, es ist ganz zentral, da wirklich diese Brücke zu bauen: zum einen die Möglichkeit zu haben, die Zeitzeugen noch zu nutzen, und zum anderen aber all das, was an Arbeit in den letzten 20, 30 Jahren gerade auch in das Erinnern gesteckt wurde, mitzunehmen und als Grundlage dafür zu nehmen, dass sich das festigt; dass wir die Schulen mitnehmen, die Museen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich jetzt schon damit beschäftigen, und diese zum Beispiel auch gut ausstatten mit Geldern und der Möglichkeit, dass weiterzuentwickeln, was sie erarbeitet haben.

Ich glaube, was noch wichtig ist – und das wird immer wieder gesagt –: Wer nach Europa kommt und hier eine Heimat sucht, für den ist es ganz wichtig, auch die Schoah zu verstehen; zu begreifen, was auf diesem Kontinent als europäische Tragödie passiert ist und warum wir zum Beispiel die Europäische Union haben, warum wir so sind, wie wir sind.

Ich glaube wirklich, man kann Europa und man kann jedes einzelne Land in Europa sehr schwer verstehen, wenn man diesen Hintergrund nicht zumindest berührt hat. Es gibt so viele Verbindungskanäle und Verbindungen zu den Biografien von zum Beispiel Migranten, die hierherkommen, in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, die sie selbst erlebt haben, dass auch das ein Anknüpfungspunkt sein kann, um zu sagen: Das „Nie wieder“ gilt hier und das gilt auch für euch. – Ich glaube, wir haben da sehr viele Möglichkeiten, die wir in den nächsten Jahren ausarbeiten und verfolgen können.

Lisa Gadenstätter: Frau Kreisberg, dieses Verbinden, Vernetzen von einzelnen Initiativen ist Ihnen ja auch sehr wichtig. Man könnte eigentlich sagen, es ist bei Ihnen und Österreich auch durch diesen Preis passiert, dass man irgendwie wieder näher aneinandergerückt ist, oder?

Racheli Kreisberg: Ja sicher. Wir haben auch unsere Initiative – wir sind zwei Personen: Yossi Beck und ich –, wir arbeiten schon 20 Jahre an einer Initiative, die den Leuten die Möglichkeit gibt, das Zuhause, wo sie vor dem Krieg und während des Krieges gewohnt haben, zu besuchen und dann die Geschichte über die Leute, die in diesen Häusern gewohnt haben, zu erzählen.

Wir haben aber die Idee, dass wir eine Initiative aufsetzen, die nicht nur auf die Namen von Leuten fokussiert – auf Hebräisch sagt man: le-chol adam jesch schem, jede Person hat einen Namen –, sondern darauf, dass jede Person eine Familie hat. Wenn wir vergessen, wie die Person in Verbindung zu ihrer Familie steht, dann ist diese Person verloren – nicht nur allein diese Person, sondern auch die Zeitzeugen. Zum Beispiel bei Yad Vashem: Da ist jemand, der erzählt, dass eine bestimmte Person diese oder diese Person war. Darum glauben wir, dass es wichtig ist, die Verbindung zu den Leuten in Europa herzustellen, die heute leben, damit sie sehen: Was ist unsere Verbindung? Das müssen nicht nur Juden sein, wir haben auch nicht jüdische Familien, und so können wir die Verbindung zwischen den jüdischen Opfern und den Leuten von heute herstellen. Darum haben wir diese Initiative.

Letzten Freitag haben wir das in Österreich mit sehr motivierten Schülern ausprobiert. Was die Kinder erzählt haben, passt zu dem, was Sie sagen: Die Kinder haben uns zum Beispiel erzählt, wie sie gehandelt hätten, wenn sie in den Schuhen dieser Menschen gestanden wären, die in Wien gewohnt haben und die dann deportiert wurden. Eines der Kinder hat dann gesagt: Ja, aber wenn wir als Kinder die Möglichkeit hätten, nach Palästina zu fahren, dann würden wir das nicht machen, wir würden bei unseren Eltern bleiben, und wir haben das Gefühl, dass das das Richtige ist. – Ich glaube, es kann viel für die Kinder in Österreich bedeuten, nicht nur die Geschichte, sondern auch moralische Aspekte aufzuarbeiten. – Sorry für mein Deutsch.

Lisa Gadenstätter: Nein, es ist großartig. Dass Sie überhaupt auf Deutsch sprechen, ist toll.

Dass es einen Preis im Namen Ihres Großvaters gibt, was bedeutet denn das für Sie und für Ihre Familie?

Racheli Kreisberg: Für mich war es eine sehr große Ehre; es ist nicht für mich, weil: Es ist für meinen Großvater.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich mit meinem Großvater in Wien herumgegangen bin, auch am Freitag, dann sind wir zum Mittagessen wieder nach Hause gefahren, und da war die Angst. Heute, glaube ich, kann die Seele von meinem Großvater hier in Wien frei herumlaufen, weil er weiß, dass er von euch allen umarmt wird. Es ist sehr, sehr speziell, dass das heute möglich ist. Ich habe noch nie so viele Leute gesehen, die Simon Wiesenthal sagen, ohne Angst zu haben, und das gilt nicht nur für Überlebende. Auch mein Großvater: Der Fokus seines Lebens war nicht das Überleben, es war die Gevurah – wie sagt man das? –, das Heldentum; und wir haben auch diese Tour vom Heldenplatz zum Judenplatz gemacht.

Ja, mein Großvater war der Held, aber da war natürlich auch die Angst. Dieser Preis: dass 250, glaube ich, oder 237 Projekte eingebracht wurden, dass es 237 Personen gibt, die verstehen, was mein Großvater versuchte, zu tun – damals alleine, damals in Angst, und heute – wow! – passiert das in der Öffentlichkeit, mit euch und allen Leuten, die hier arbeiten. Ich danke Ihnen sehr im Namen meiner Familie. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Frau Heilman, wenn wir von der Zukunft des Gedenkens sprechen: Was ist Ihnen da wichtig? Was möchten Sie uns mitgeben?

Lucia Heilman: Antisemitismus ist eine langjährige, jahrtausendalte Geschichte. Die Menschen sollten endlich verstehen, was Antisemitismus für andere bedeutet. Sie sollten verstehen, dass es unerträglich ist, heute noch über Antisemitismus sprechen zu müssen. Sie sollten verstehen, dass diese Zeit, in der man jüdische Menschen diskriminieren kann, sie von jedem Fortschritt ausschließen kann, sie mit verschiedenen Hüten, mit Sternen, mit furchtbaren Dingen zeichnen kann, vorbei ist. Sie sollten verstehen, dass diese Art der Diskriminierung einer Menschengruppe, jüdische Menschen zu treffen, auszubeuten, zu töten, dass diese Zeit für immer vorbei ist. Israel gibt den jüdischen Menschen ein Rückgrat, sodass sie sich überall auf der Welt gegen irgendwelche Dinge, die sich Antisemiten ausdenken, um Juden zu schaden, wehren werden. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Danke.

Frau von Schnurbein, zum Schluss die Frage: Warum ist es so wichtig, dass Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im Rahmen der Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises geehrt werden?

Katharina von Schnurbein: Ich habe es eben schon gesagt: Ich glaube, der Beitrag, den Zeitzeugen leisten – zur Demokratie, zu unserem Zusammenleben, zum Verstehen dessen, wozu Hass führen kann –, kann wirklich nicht hoch genug geschätzt werden. Wir sind jetzt 85 Jahre nach dem Anschluss; ich glaube, gestern war genau der Jahrestag. Ich denke, es ist ganz zentral, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, was das damals für die Menschen hier bedeutet hat und wie lokal das stattgefunden hat. Ich war heute im Jüdischen Museum und da sieht man diese berühmten Bilder von Juden, die die Straße putzen, und dahinter steht die Menschenmenge. Es ist tatsächlich so: Sie wären nicht dort auf der Straße gekniet, wenn es die Menschen dahinter nicht gegeben hätte.

Ich glaube, was wir brauchen, ist – und das zeigen uns die Zeitzeugen – Zivilcourage, ein Rückgrat. Wir brauchen es. In Zeiten, in denen es möglich ist, müssen wir das aufbauen, und wir haben die Verpflichtung, das an unsere jungen Menschen weiterzugeben, und was die Zeitzeugen dazu beitragen, das sehen wir heute auch mit Frau Heilman. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Vielen herzlichen Dank.

Ich danke Ihnen dreien sehr für das tolle Gespräch und für diese wirklich sehr schönen, berührenden Einblicke. Vielen herzlichen Dank! (Beifall.)

Danke, Frau Heilman (Beifall), Sie können sich wieder hinsetzen, aber nur ganz kurz.

Meine Damen und Herren, wir haben gerade von Frau von Schnurbein gehört, warum es so wichtig und so wertvoll ist, dass man im Rahmen dieser tollen Preisverleihung auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ehrt. So eine Ehrung wird es jetzt gleich geben.

Man hat sich für diese Ehrung bewerben können, man hat selber eingereicht oder man wurde vorgeschlagen. Vier Menschen sind das heuer – drei von ihnen sind anwesend, der Vierte ist uns zugeschaltet –, und diese Menschen, die gleich geehrt werden, stehen für alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, für jene, die heute hierher ins Parlament gekommen sind, aber auch für all jene, denen das nicht mehr möglich ist und die uns jetzt von zu Hause aus zuschauen, die via Livestream mit dabei sind.

Die Menschen, die heute hier gewürdigt werden – wir haben es gehört –, sind Menschen, deren Engagement wirklich untrennbar mit der selbst erlebten und erlittenen Verfolgung verknüpft ist; das sind Menschen, die mit ihrem außergewöhnlichen persönlichen Einsatz einen Beitrag zur Aufklärung über den Holocaust liefern, zur Prävention von Antisemitismus und zur Stärkung von Demokratie beitragen, und deswegen sind sie so wertvoll.

Meine Damen und Herren, diese Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden jetzt geehrt. Die Ehrung wird neben Präsident Sobotka die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Hannah Lessing vornehmen. Hannah Lessing wuchs als Kind zunächst ohne Wissen um ihre jüdische Herkunft auf. Erst ab dem zehnten Lebensjahr hat Hannah Lessing begonnen, in den jüdischen Religionsunterricht zu gehen, und der Rest von Hannah Lessings Leben ist sozusagen Geschichte. – Bitte begrüßen Sie Hannah Lessing! (Beifall.)

Hannah Lessing (Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne die Zeitzeuginnen, ohne die Zeitzeugen gäbe es so etwas wie den Simon-Wiesenthal-Preis nicht. Ihr jahrzehntelanges Engagement ist eine Inspiration für uns alle, für alle, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus, für die Aufklärung über den Holocaust und für die Stärkung der Demokratie einsetzen.

Einer Anregung der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury folgend wollen wir daher vier Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sich für den Simon-Wiesenthal-Preis 2022 beworben haben, heute eine besondere Ehrung zukommen lassen. Wir sagen damit Danke – dafür, dass sie eine Stimme sind für alle, die ermordet wurden und nicht mehr sprechen können; dafür, dass sie wieder und wieder bereit sind, sich den schmerzenden Erinnerungen zu stellen und uns, den jungen Generationen, ihre Geschichte anzuvertrauen; dafür, dass sie uns warnen, aber auch dafür, dass sie uns Hoffnung geben: Sie erzählen uns von den Gefahren und warum wir wachsam sein müssen, sie erzählen uns aber auch davon, dass Menschen in schwierigen Situationen über sich hinauswachsen und mutige Entscheidungen treffen können, davon, wie stark der menschliche Wille sein kann – so stark, dass man selbst in einer Hölle einen Weg finden konnte, anderen zu helfen.

Die vier Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden diese Ehrung auch stellvertretend – es wurde schon gesagt – für alle anderen Überlebenden entgegennehmen, die wie sie immer wieder in der Öffentlichkeit Zeugnis ablegen. Sie machen uns Mut und sie weisen uns als Vorbilder den Weg – jeder und jede Einzelne von ihnen auf seine Weise.

Ich darf sie Ihnen nun kurz vorstellen:

Als Jackie Young am 18. Dezember 1941 in Wien geboren wird, gibt ihm seine Mutter Elsa Spiegel den Namen Jona Jakob. Kaum auf dieser Erde angekommen, nur ein paar Monate alt, wird Jona ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Seine Mutter wird er nie wiedersehen. Die Nazis verschleppen sie nach Maly Trostinec, wo sie ermordet wird. Jona überlebt wie durch ein Wunder in Theresienstadt bis zur Befreiung durch die Sowjetarmee. Jona ist damals 3,5 Jahre alt. Er kommt nach England, lebt in Kinderheimen, bis ihn schließlich 1950 das jüdische Ehepaar Yanofsky adoptiert. Sie nehmen später den Namen Young an. Aus Jona Jakob Spiegel aus Wien wird Jackie Young aus London.

Lange weiß Jackie nichts über seine Vergangenheit. Erst bei den Vorbereitungen zu seiner Hochzeit erfährt er vom Schicksal seiner Mutter. 1995 nimmt Jackie Young die österreichische Staatsbürgerschaft an. Der Weg führt ihn schließlich auch zurück nach Wien. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er das Grab seiner Großmutter Emilie Spiegel am Wiener Zentralfriedhof.

Am Beginn der Geschichte von Wanda Albińska steht eine glückliche Kindheit. Geboren in Kutno in Polen lebt sie mit ihrem Zwillingsbruder Jan und dem älteren Bruder Robert behütet in guten Verhältnissen. Der Vater Ladislaw ist Unternehmer, ihre Mutter Halina Ärztin. 1939, bei Kriegsausbruch, flüchtet der Vater nach Osten und wird in der Sowjetunion zur Zwangsarbeit verpflichtet. Halina bleibt schwanger mit den Kindern im besetzten Polen zurück, zuerst in einer Sammelwohnung, dann bei ihren Eltern in Warschau. Dort wird ihr Sohn Stanislaw geboren. Halina arbeitet im jüdischen Spital, das Anfang 1941 ins Ghetto verlegt wird. Mit ihren Kindern lebt sie in einem kleinen, feuchten Raum im Keller des Krankenhauses, den Wanda und ihre Geschwister kaum verlassen können. Halina versorgt nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Mutter und ihre Schwiegereltern. Ihre Mutter und ihre Schwiegermutter sterben später. 1942 entscheidet Halina, ihre Kinder aus dem Ghetto zu schmuggeln, um sie zu retten. Sie kommen bei verschiedenen katholischen und jüdischen Freunden unter, und ihre Mutter bringt sie schließlich gemeinsam in ein Waisenhaus, wo sie den Krieg überleben. Halina aber lebt im Ghetto weiter bei ihren Patienten. Sie stellt sich ihrer Pflicht als Ärztin und stellt das Wohl ihrer Patienten über ihr eigenes. 1943 begleitet sie beim Transport nach Treblinka die Patienten und wird gemeinsam mit ihnen dort ermordet. Wanda studiert nach dem Krieg Chemie. Sie lebt mit ihrem Mann im Irak, in Frankreich, in der Schweiz, in Botswana, in Südafrika und jetzt wieder in Polen. Sie ist bei der European Union of Women aktiv und bei der Zielone Domy Foundation, die sich Fragen des Kindeswohls widmet.

Am 29. Dezember 1942 wird in Zwolle, einer kleinen Stadt in den Niederlanden, Tswi Herschel geboren. Die Niederlande sind unter deutscher Besatzung, und schon kurz nach Tswis Geburt muss die Familie ins Amsterdamer Judenviertel umziehen. Um Tswi zu retten, treffen seine Eltern Nico und Ammy Herschel die schwere Entscheidung, ihren neugeborenen Sohn wegzugeben und ihn so zu verstecken. Im März 1943 nimmt die protestantische Familie de Jongh das Baby bei sich auf. Nur kurz darauf, im Juni 1943, werden Tswis Eltern in das Durchgangslager Westerbork, dann weiter in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und nach ihrer Ankunft ermordet. Tswi bleibt bis zum Kriegsende bei den Pflegeeltern, danach wächst er bei seiner einzigen noch lebenden Verwandten, seiner Großmutter, auf. Er heiratet und bekommt zwei Töchter. 1986 wandert Tswi mit seiner Familie nach Israel aus. Seit 1991 erzählt er Menschen seine Geschichte.

Lucia Heilman – es wurde schon vieles gesagt, ich erlaube mir trotzdem, deine Geschichte noch einmal zusammenzufassen –: Sie erlebt als neunjähriges jüdisches Wiener Kind den Einmarsch Hitlers und die Massen am Heldenplatz. Ihr Vater, der beruflich in Persien ist, kann die Familie nicht mehr zu sich holen. Er selbst wird als Enemy Alien nach Australien verschickt. Ihre Mutter, die Chemikerin Regina Steinig, bleibt mit Lucia allein in Wien. Lucia erfährt, was es heißt, ein jüdisches Kind im nationalsozialistischen Wien zu sein: Sie muss die Schule verlassen, darf nicht mehr im Park spielen, sie sieht, wie ihr Großvater festgenommen und deportiert wird – er stirbt in Buchenwald. Sie muss mit ihrer Mutter in eine Sammelwohnung ziehen, ihnen droht die Deportation, doch ein Freund ihres Vaters rettet die beiden. Reinhold Duschka versteckt sie in seiner Werkstätte in Wien-Mariahilf und versorgt sie die ganze Zeit. Er weiß, dass er damit auch sein Leben riskiert. Als die Werkstätte ausgebombt wird, versteckt er sie in seinem neuen Atelier. Es ist ebenerdig und deshalb müssen Lucia und ihre Mutter ein halbes Jahr versteckt in einem Kellerabteil verbringen – im Dunklen, bis Kriegsende –, doch sie überleben und werden im April 1945 befreit. Lucia wird Ärztin, sie heiratet und bekommt zwei Töchter. Bis heute ist sie als Zeitzeugin aktiv. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Vielen Dank.

Die Ehrung werden jetzt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Hannah Lessing durchführen. Ich darf jetzt die zu Ehrenden zu uns bitten: Wanda Helena Albińska, Lucia Heilman und Tswi Herschel. (Beifall.)

Frau Albińska, bitte kommen Sie zu uns! (Beifall.)

Und Herr Herschel, darf ich Sie auch noch zu uns bitten? (Beifall.)

*****

(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnungen.)

*****

(Beifall.)

Vielleicht darf ich mich da auch noch kurz dazustellen? Nicht, dass ich auf das Foto möchte, aber ich würde gerne unseren drei zu Ehrenden noch sozusagen das letzte Wort geben:

Frau Albińska, was bedeutet dieser Preis, diese Ehrung für Sie?

Wanda Helena Albińska (Zeitzeugin) (in deutscher Simultanübersetzung): Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Als Jüdin bin ich sehr stolz darauf. Ich bin aber nicht nur Jüdin, ich bin auch Polin. Ich habe einfach diese doppelte Identität.

Lisa Gadenstätter: Herzlichen Glückwunsch nochmals!

Frau Heilman, jetzt haben Sie eh schon sehr viel gesprochen, aber: Was bedeutet Ihnen denn diese Auszeichnung?

Lucia Heilman: Erstens der Name: Simon Wiesenthal – ein großer Mann. Dass ich in seinem Namen geehrt werde, wirft auch einen Schimmer auf mich. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich.

Herr Herschel.

Tswi Herschel (Zeitzeuge): Darf ich etwas vorlesen?

Lisa Gadenstätter: Ja natürlich. Soll ich Ihnen etwas halten oder geht es?

Tswi Herschel: Ja, wenn Sie das halten, dann kann ich meine Papiere da herausholen. (Gadenstätter: Ja, sehr gerne!)

Am 13. März 1938, heute vor 85 Jahren, kam es zum Anschluss, der Eingliederung des Bundesstaates Österreich in das nationalsozialistische Deutsche Reich – das Inferno, das Europa getroffen hat, war beispiellos in der Geschichte. Und an diesem Tag stehe ich hier im österreichischen Parlament. Dieser Moment bedeutet mir sehr viel und ich bin davon überzeugt, dass es uns alle hier beeinflusst, jetzt hier zu sein. Nicht nur, dass die österreichische Geschichte beleuchtet wird, sondern es wird auch der Bezug von Simon Wiesenthal, sichrono li-wracha, und dieser Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2022 hergestellt. Ich bin gerührt und fühle mich sehr geehrt, an diesem Tag und an dieser Stelle die Ehrung zu erhalten.

Meine große Anerkennung für diese Auszeichnung: Diese würdevolle Ehrerweisung unterstreicht, bestätigt und würdigt die Arbeit, die ich zusammen mit meiner Tochter Natali seit 2004 leiste. Sie gibt uns Mut und die Kraft, unsere Mission fortzusetzen – ich als Zeitzeuge und Natali als Nachkommin eines Schoahüberlebenden –, um das Bewusstsein im Hinblick auf Antisemitismus, Judenhass, Rassismus und Intoleranz zu schärfen.

Als Kind, das die Schoah überlebt hat, habe ich diese wichtige Arbeit als Lebensziel. Mit meiner Tochter versuchen wir, breites Publikum zu erreichen, unter anderem im deutschsprachigen Raum, um unsere lebenswichtige Botschaft zu übermitteln. Wir müssen uns immer erinnern, denn Zukunft braucht Erinnerung. (Beifall.)

Lisa Gadenstätter: Herzliche Gratulation an Sie alle, und natürlich auch an Jackie Young in Großbritannien. Vielen herzlichen Dank! (Beifall.)

Ja, meine Damen und Herren, es ist ein bisschen schwer, da noch abschließende Worte zu finden. Ich versuche es trotzdem. Ich mache es vielleicht ganz kurz.

Das war die Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises. Herzliche Gratulation noch einmal an die beeindruckenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, an alle Preisträgerinnen und Preisträger, die heute geehrt wurden, an alle Nominierten, an alle, die eingereicht haben. Es ist wirklich – das habe ich schon gesagt – beeindruckend, welche Projekte es auf der ganzen Welt gibt: 263 Bewerbungen aus 33 Ländern, das sagt wirklich schon alles. Und wenn Sie heute nicht unter den Preisträgern waren, ein kleiner Hinweis: Ab morgen geht es schon wieder weiter mit der nächsten Einreichfrist. Die Einreichfrist ist eröffnet, und es ist den Veranstaltern auch ganz wichtig, zu sagen: Bewerben Sie sich bitte weiterhin! Wenn Sie dieses Jahr nicht dabei waren, dann sind Sie vielleicht Preisträger des Simon-Wiesenthal-Preises 2023. Die Verleihung findet übrigens schon im November statt.

Ich darf mich jetzt von Ihnen verabschieden. Und wer könnte diese Veranstaltung besser beschließen als unser großartiges Musikduo? – Viel Freude noch einmal mit Jasmin Meiri-Brauer und Jannis Raptis. „Hava Nagila“ heißt das letzte Musikstück, übersetzt: Lasst uns feiern! (Beifall.)

Jasmin Meiri-Brauer: Ja, ich möchte mich, wir möchten uns hiermit ganz herzlich für die Einladung bedanken: Danke an den Nationalratspräsidenten. Es ist uns, Jannis und mir, wirklich eine Ehre, an einer so wichtigen Veranstaltung, an einem so wichtigen Abend teilzunehmen und diese Preisverleihung musikalisch untermalen zu dürfen. Vielen herzlichen Dank! (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Jasmin Meiri-Brauer: Jannis Raptis an der Gitarre.

Jannis Raptis: Jasmin Meiri.

Jasmin Meiri-Brauer: Vielen Dank für die Einladung. Danke schön.

(Beifall.)