Transkript der Veranstaltung:

Die Kunst des Dialoges: Literatur im Parlament
Ja, sicher! Menschen mit Behinderungen im Parlament.

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Es folgt eine Videoeinspielung:

Marianne Schulze (Menschenrechtsexpertin): Nach dem erfolgreichen Umbau ist das österreichische Parlament nunmehr physisch barrierefrei. Barrierefreiheit hat jedoch mehrere Dimensionen, darunter auch die soziale und emotionale Barrierefreiheit.

Was heißt das? Fühlen sich Menschen mit Behinderungen im österreichischen Parlament wohl, sicher und gesehen? Dieser Frage gehen wir im Rahmen der Diskussion „Literatur im Parlament“ der Bibliothek des österreichischen Parlaments am 4. Dezember nach.

Der 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen und daher ein willkommener Anlass, um Menschen mit Behinderungen und ihre Erfahrungen im österreichischen Parlament in den Mittelpunkt zu stellen.

Melanie Wimmer (Expertin für Barrierefreiheit): Ja, ich habe ehrlich gesagt nicht viele Erwartungen oder zumindest keine hohen, weil ich das erste Mal zu Gast im Parlament bin. Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich überhaupt hier sein darf und, ja, bin jetzt gespannt, was ich so erleben darf.

Monika E. Schmerold (Obfrau Knack:punkt – Selbstbestimmt Leben Salzburg): Meine Erfahrungen sind jetzt sehr gut, auch wenn ich bei der Sicherheitskontrolle sehr lange gebraucht habe.

Es ist jetzt sehr gut barrierefrei umgebaut und man kann sehr viel gut nützen. Natürlich gibt es auch noch Teile, die man etwas besser machen könnte, aber im Großen und Ganzen gefällt mir das neue umgebaute Parlament gut und ich kann es gut nützen.

Katharina Steiner (Selbstbestimmt Leben Steiermark): In Österreich gibt es ja ganz grundsätzliche Kategorien von Barrierefreiheit, und ein Anliegen zum Beispiel von mir ist, dass die Gebärdensprachdolmetschung ausgerollt wird, dass leichte Sprache ganz normal und selbstverständlich in allen Medien vorhanden ist, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob das jetzt eben wirklich sein muss oder so, sondern einfach ganz normal und selbstverständlich dabei ist, und dass Rampen jetzt selbstverständlich dabei sind und Blindenleitsysteme einfach ganz normal bei Neubauten hinzugefügt werden, mitgedacht und -geplant werden und dass auch die Sprache miteinander auf Augenhöhe im Sinne von Dialog, im Sinne eines ganz menschlichen, eines normalen Dialogs stattfindet.

Melanie Wimmer: Als Frau mit Behinderung und als Frau, die schon von Geburt an im Rollstuhl sitzt und natürlich auch nicht nur schöne Erfahrungen in Bezug auf Behinderung hat, wünsche ich mir einfach sehr, dass eben nicht nur an die baulichen Barrieren gedacht wird – womit ich natürlich nicht sagen will, dass die nicht wichtig sind; die sind selbstverständlich sehr wichtig und die sind natürlich nicht nur für mich als Rollstuhlfahrerin wichtig, sondern klarerweise für andere Menschen mit Einschränkung auch –, aber ich sage immer, ganz wichtig sind auch die Barrieren in den Köpfen der Menschen beziehungsweise in den Köpfen der Gesellschaft, die auch dringend abgebaut werden müssen.

Ich würde es einfach schön finden, wenn es nicht mehr so etwas Besonderes ist im Jahr 2023, dass Menschen mit Einschränkung – egal welcher Art – ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen, also ich würde mir wünschen, dass das einfach normal wird und nicht mehr so bestaunt wird.

Monika E. Schmerold: Also ich würde mir wünschen, dass Barrieren besser abgebaut werden und das Thema Behinderung als Querschnittsmaterie besser mit eingebracht wird in eben alle Themen und, ja, dass dann die Gesetze viel mehr dahinterstehen und man sich als Mensch mit Behinderung nicht immer darum bemühen muss, dass Einzelteile endlich barrierefrei gemacht werden, damit man partizipieren kann. Man muss sich einfach so sehr einsetzen, dass man zu seinem Recht kommt, dass man das eigentlich auf anderer Ebene – eben über die Politik – lösen könnte.

Ich würde mir auch wünschen, dass es mehr Menschen mit Behinderungen im Parlament gibt. Dadurch würde das Thema einfach mehr Platz finden.

Und der dritte Wunsch? – Ja, dass das schnellstmöglich in Erfüllung geht.

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Marianne Schulze (Menschenrechtsexpertin): Einen schönen guten Abend Ihnen allen, herzlich willkommen im Parlament! Ich darf Sie sehr herzlich zur Veranstaltung „Die Kunst des Dialoges: Literatur im Parlament“ begrüßen.

Besonders begrüßen möchte ich Dr.in Susanne Janistyn-Novák, die Vizedirektorin des Parlaments, die heute Parlamentsdirektor Dr. Dossi, der leider verhindert ist, vertritt.

Besonders herzlich begrüßen darf ich auch die anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat sowie die Mitglieder des Bundesrates.

Ein besonders herzliches Willkommen geht auch an alle Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen, die sich intensiv mit dem Thema Inklusion von und Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Schön, dass Sie alle den Weg hierher gefunden haben, um mit uns über „Ja, sicher!“ im Parlament zu diskutieren.

Zunächst hören wir Begrüßungsworte von Parlamentsvizedirektorin Dr.in Janistyn-Novák. – Danke schön.

Dr.in Susanne Janistyn-Novák (Parlamentsvizedirektion): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie alle ganz herzlich willkommen heißen – willkommen zur Veranstaltung „Ja, sicher! Menschen mit Behinderungen im Parlament.“ Es ist dies heute die erste Veranstaltung der Parlamentsbibliothek, die im Rahmen der Reihe „Die Kunst des Dialoges: Literatur im Parlament“ im neu eröffneten Parlamentsgebäude stattfindet.

„Hohes, allzu Hohes Haus!“ Mit diesen markanten Worten eröffnete der Abgeordnete Manfred Srb am 29. Jänner 1987 seine erste Rede im Nationalrat, nachdem ihn zwei Fraktionskollegen in seinem Rollstuhl zu einem Mikrofon getragen hatten, das neben dem Rednerpult aufgestellt war.

Seit dieser denkwürdigen Szene haben sich Barrierefreiheit und Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen im Parlament und in vielen gesellschaftlichen Bereichen wesentlich erweitert und verbessert, in großen Teilen dank des Engagements von Betroffenen selbst, die für ihre eigene Sache und damit ein Stück weit für uns alle diesen anstrengenden Weg zurückgelegt, diese teils mühsamen Kämpfe ausgefochten haben.

Auch unser Verständnis für die Vielzahl an Hürden und Hindernisse, die Menschen überwinden müssen und die Ihnen im Wege stehen, hat sich gewandelt. Es geht schon lange nicht mehr nur um Türen und Treppen, sondern um die soziale und kommunikative Dimension von Barrieren, das heißt, ausgeschlossen zu sein, weil einem Erfahrungen verwehrt bleiben, weil über einen statt mit einem geredet wird, weil für jemanden entschieden wird, statt die eigenen Vorstellungen und die eigene Expertise anzuerkennen.

Besonders aus diesen Erfahrungen gehen auch literarisch eindrucksvolle Werke hervor, die viel mehr sind als reine Plattform, als ein reines Sprachrohr für die Beitragenden. Sie sind es auch, aber ebenso können diese Werke für sich stehen, ohne auf bevormundende Unterstützer oder gutmeinende Erklärer angewiesen zu sein. Diese Literatur soll für den heutigen Abend Ausgangs- und Anknüpfungspunkt sein. Indem wir, Sie alle zur heutigen Diskussion zusammengekommen sind, vollzieht sich so die Hoffnung, auch ein Stück weit an immer noch notwendiger Inklusion teilzunehmen, denn indem wir heute miteinander diskutieren und uns zuhören, machen wir etwas ganz Wesentliches: Wir arbeiten an der Selbstverständlichkeit von Begegnung und Interaktion.

Das Parlament und vor allem auch die Parlamentsbibliothek möchte den Raum für diese Begegnungen zur Verfügung stellen, möchte Platz bieten für Literatur und Dialog – nicht nur heute Abend und einmalig, sondern durch ihre Öffnung für alle Bürgerinnen und Bürgern auch in der Zukunft.

Ich möchte mich besonders bei den Expertinnen des heutigen Abends, Frau Monika Schmerold, Frau Katharina Steiner und Frau Melanie Wimmer, für ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der heutigen Veranstaltung und auch für ihr Kommen ganz herzlich bedanken.

Mein abschließender Dank gebührt Frau Dr.in Marianne Schulze, die durch ihre Arbeit ganz grundsätzlich viel dazu beigetragen hat, dass der heutige Abend in dieser Form stattfinden kann, und an sie darf ich nun für die weitere Einleitung und die Moderation durch diesen Abend weitergeben. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

Marianne Schulze: Vielen herzlichen Dank, Frau Dr.in Janistyn-Novák, und auch von meiner Seite herzlich willkommen Monika Schmerold, Katharina Steiner und Melanie Wimmer!

Es ist schon angekündigt worden, ich darf vielleicht ein paar einleitende Worte zur Literatur im Parlament sagen und insbesondere zur Literatur von Menschen mit Behinderungen.

Wir sind hier nun in einem Gebäude, das sehr umfassend barrierefrei ist. Das ist, wenn man es global betrachtet, keine Selbstverständlichkeit, es ist aber gleichzeitig eine Notwendigkeit und muss damit eine Selbstverständlichkeit sein, wenn wir von einer repräsentativen Demokratie ausgehen und auch tatsächlich sichergehen wollen, dass alle partizipieren können, dass alle willkommen sind in einem Gebäude, in einer Institution.

Jetzt macht eine Institution wie das Parlament auf alle Menschen, auch auf die sogenannt chronisch normalen Menschen und teilweise auch auf die schwerst mehrfach normalen Menschen, einen sehr tiefen Eindruck: Man kommt in ein solches Gebäude herein und ist doch auch ein bisschen überwältigt. Ein Mitarbeiter des Parlaments, Herr Mayerhofer, hat in einer Besprechung erwähnt, dass man auch als Mitarbeiter nach vielen Jahren noch hier hereinkommt und sehr beeindruckt ist von diesem Gebäude.

Es geht aber eben nicht nur darum, dass es bauliche Barrieren gibt, dass es physische Barrieren im Zugang zu einer großen Institution gibt, sondern es gibt auch atmosphärische, emotionale, soziale Barrieren: die Schwierigkeiten, die Verkrampftheit im Umgang miteinander, wenn man nicht tagtäglich miteinander zu tun hat, und um genau diese Barrierefreiheit soll es heute gehen.

Jetzt, da alle hier hereinrollen können und die Mobilität im Zugang zum österreichischen Parlament nicht eingeschränkt ist: Wie gehen wir miteinander um, wie werden wir ein bisschen unverkrampfter? Auf dieser Reise in Richtung Unverkrampftheit gibt es in der Zwischenzeit jede Menge literarischer Hinweise in der Bibliothek des Parlaments, die nun auch barrierefrei ist, nicht nur physisch – es gibt auch einen umfassend barrierefreien Tisch in der Bibliothek mit sehr viel Assistenz und Unterstützungsmöglichkeiten –, betreffend die Frage der Literatur von Menschen mit Behinderungen. Und da ist ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt das Parlament, weil Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg schon vor vielen Jahren, nämlich 2007, mit dem Ohrenschmaus einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, dass die Literatur von Menschen mit Behinderungen eine andere Öffentlichkeit bekommt.

Sie sehen hier am linken Display das neueste Buch aus der Reihe der Ohrenschmaus-Bücher – es gibt derer in der Zwischenzeit mehrere. Einen Gedanken von Cornelia Pfeiffer aus diesem Buch möchte ich zitieren, das ist eine Schilderung aus „45 Jahre in einer Einrichtung“ gelebt habend: „Menschen mit Beeinträchtigungen haben Kontakte im sozialen Umfeld. Früher hat es dies auch noch nicht gegeben.“ – Sie schildert sehr eindrücklich die Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen und die Möglichkeiten von Menschen mit Behinderungen. Sie nennt unter anderem auch den nunmehr selbstverständlichen Besuch im Fitnessstudio, wo sie andere Menschen kennenlernen kann.

Die Initiative von Franz-Joseph Huainigg ist nicht die einzige literarische Initiative, die erwähnenswert ist. In der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung – das ist die Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen – wurde 2012 von Wibs – Wir bestimmen selbst – in Tirol ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Das Mutbuch“ – Sie sehen es hier links im Display eingeblendet –, in dem die Lebensgeschichten von Menschen mit Lernschwierigkeiten dokumentiert sind.

Ich möchte aus dem „Mutbuch“ Rosalinde Scheider zitieren, die unter dem Titel „Meine eigene Kapitänin sein“ Folgendes geschrieben hat: „Es hat Menschen gegeben, die mir wenig zugetraut haben. Zutrauen ist für mich sehr wichtig. Ich habe mich unterdrückt gefühlt.“

Ich möchte auch noch kurz Agatha Müller aus diesem Band zitieren: „Bei manchen Dingen brauche ich etwas länger. Auch das Sprechen fällt mir schwerer. Trotzdem weiß ich, was ich will!“

Und nunmehr ist erst vor einigen Wochen ein Buch erschienen, das Buch „Angry Cripples“. Der Titel ist vielleicht ein wenig verstörend, irritierend, weil sowohl die Wut oder die Zuschreibung von Wut und Zorn nicht unbedingt etwas ist, das man mit Menschen mit Behinderungen verbindet, und weil Cripples ja durchaus ein englischer Begriff ist für das deutsche Äquivalent, hätte ich gesagt, Krüppel – eine Begrifflichkeit, von der man meinen würde, dass wir sie als nicht mehr zeitgemäß beschreiben. Deswegen, denke ich, ist hier auch so eine leichte Provokation der Selbstvertreter:innen, der Expert:innen in eigener Sache in den Schilderungen aus ihrem Alltag, ihrer Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen.

Dieses Buch möchte ich gern ein Stück weit zur Grundlage unserer Diskussion machen, zu der ich wie gesagt Monika Schmerold, Katharina Steiner und Melanie Wimmer sehr herzlich begrüße, und in der Überleitung zu unserer Diskussion möchte ich alle drei Expertinnen in eigener Sache noch einmal kurz vorstellen.

Monika Schmerold ist unter anderem Obfrau von Knack:punkt, der Selbstbestimmt-Leben-Initiative in Salzburg, sie ist Mitglied im Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft und Vorsitzende des Salzburger Monitoringausschusses – nebst anderen Funktionen, die sie ausübt.

Katharina Steiner ist Vertreterin von Selbstbestimmt Leben in der Steiermark und Leiterin der Frauengruppe Expert:innen in eigener Sache des Österreichischen Behindertenbeirats.

Und schließlich Melanie Wimmer: Sie ist eine Expertin für Barrierefreiheit, ist Evaluatorin bei nueva, wo Expert:innen in eigener Sache große Institutionen evaluieren und Verbesserungen vorschlagen. Und – da ist es ganz wichtig, gut zuzuhören – sie ist eine Inkluencerin, das heißt, sie ist nicht nur eine Influencerin, sondern sie fügt diesem wichtigen Anliegen auch noch die Inklusionsdimension hinzu.

So darf ich nun zunächst mit Ihnen, liebe Frau Schmerold, beginnen, mit dem Satz, der auch in der Einladung steht – von Kübra Sekin aus Köln geprägt, die auch eine Instagrammerin ist, das Sichtbarkeitstool nennt, und in einem Kapitel, betitelt mit „That’s my magic“, unter anderem den Ausschluss aus der Moschee sehr eindrücklich schildert, und dann über ihre ersten Begegnungen an der Universität, und die Universität ist, glaube ich, bis zu einem gewissen Grad vergleichbar mit dem Parlament, schreibt –: „Ich wusste, dass dieser Ort eigentlich nicht für mich gemacht war.“

Frau Schmerold, wie geht es Ihnen damit, übersehen zu werden, ihre Alltagserfahrungen negiert zu bekommen und überhaupt von dieser Tendenz umgeben zu sein, dass man es gut mit Ihnen meint und zu wissen glaubt, was Sie brauchen?

Monika E. Schmerold (Obfrau Knack:punkt – Selbstbestimmt Leben Salzburg): Ja, also mir passiert es ständig, dass immer alle besser wissen, was ich möchte. Ich weiß es aber besser – das weiß ich natürlich –, und ich muss immer dagegen ankämpfen. Also es ist ein ständiger Kampf, mich zu beweisen, klarzumachen, wo meine Potenziale sind und nicht meine Defizite, und das zieht sich eigentlich durch alle Lebensbereiche durch.

Das ändert sich erst, wenn man hört, wo ich überall tätig bin, und das ist für mich die eigentliche Diskriminierung: dass man mich als Mensch, als Frau mit gewissen Kenntnissen anders wahrnimmt als als Frau mit Behinderung. Das ist für mich eine ganz klare Ungleichbehandlung, weil das, was ich bin, bin ich ohne meine Behinderung, und das, was ich bin, bin ich ohne meine Ausbildung oder das, was ich mache. Es ist ein Teil von mir, dennoch: Meine Persönlichkeit muss für sich alleine stehen.

Marianne Schulze: Darf ich, Frau Steiner, auch an Sie die Frage richten: Wie geht es Ihnen mit der Tendenz, dass man es gut mit Ihnen meint, und mit dem Versuch zu glauben, dass man weiß, was Sie brauchen?

Katharina Steiner (Selbstbestimmt Leben Steiermark): Natürlich. – Also zunächst einmal nochmals Danke für die Einladung. Der Rollstuhl alleine bringt natürlich Bilder mit sich, gegen die wir anzukämpfen haben, und es ist schwierig, dann jeden Tag gegen die Bilder anzukämpfen.

Beispiel: Man sieht oft eine Rollstuhlfahrerin – mich zum Beispiel –, und denkt dann genau: Ach, ich weiß schon, die braucht dies und das!, oder man wird oft in eine gewisse Opferrolle gedrängt oder in eine Heldinnenrolle. Es braucht schon sehr viel Mut, auch immer wieder zu artikulieren, was man wirklich braucht – gegenüber fremden Menschen, auch gegenüber bekannten Menschen und Freunden, Freundinnen immer wieder deutlich zu machen, was man auch wirklich braucht oder was man will und was man kann.

Diese Zuschreibungen finden jeden Tag statt, sie finden immer wieder statt: einmal subtil, einmal offensichtlicher. Das sind Zuschreibungen, die im Vorbeigehen passieren, das sind Zuschreibungen, die ganz offensichtlich passieren. Es sind Zuschreibungen, die angenehm sind, es sind Zuschreibungen, die nicht angenehm sind, und diese Zuschreibungen passieren aber jeden Tag.

Und weil Sie das vorhin angesprochen haben: Frau sein ist natürlich noch einmal eine Komponente, die dazukommt. Wie wird man als Frau mit Behinderung quasi gelesen im öffentlichen Raum? Welche Zuschreibungen erfährt man dabei? – Also das ist noch einmal eine ganz andere Ebene, die hinzukommt. Als Frau mit Behinderung werden einem teilweise noch einmal Kompetenzen abgesprochen, teilweise andere Komponenten hinzugefügt in den Köpfen und andere Rollenbilder quasi noch einmal hervorgehoben oder aufgegriffen, teilweise ganz subtil, teilweise eben offensichtlich.

Marianne Schulze: Zuschreibungen, die gemacht werden, und Dinge, die einem nicht zugetraut werden: Frau Wimmer, wie erleben Sie dieses Dazugehören oder Nichtdazugehören in einer Institution wie dem Parlament?

Melanie Wimmer (Expertin für Barrierefreiheit): Ja, also ich muss sagen, ich finde es sehr schade, dass wir es im Jahr 2023 immer noch erleben müssen, sage ich jetzt einmal, dass uns Dinge nicht zugetraut werden oder dass wir bevormundet werden, denn bei einer Person oder einem Menschen, die beziehungsweise der keine Behinderung hat, macht man das ja auch nicht.

Wie gesagt, ich finde es sehr schade, dass es noch nicht angekommen ist in der Gesellschaft, dass auch Menschen mit Behinderung ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen.

Marianne Schulze: Frau Schmerold, was kann man denn da tun? Wir schaffen hier Begegnungen, wir versuchen, Barrieren in den Köpfen, wie sie bezeichnet werden, abzubauen. Was gibt es da noch so an Möglichkeiten, zu entkrampfen und die Selbstverständlichkeit ein bisschen stärker zu etablieren?

Monika E. Schmerold: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Es gibt da kein Rezept, das jetzt sofort funktioniert. Wir als Community versuchen ja immer wieder, zu sensibilisieren betreffend die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen, was für uns wichtig ist.

Ich denke, das Beste wäre, schon im Kindergarten oder in der Krabbelgruppe anzufangen. Das Bild von Menschen mit Behinderungen muss so selbstverständlich werden, dass sich keiner und keine mehr darüber Gedanken macht: Der hat jetzt einen Rollstuhl, die hat Lernschwierigkeiten, und so weiter. Also diese Bezeichnungen von gewissen Einschränkungen, die darf es nicht mehr geben.

Das ist das, was ich mir wünschen würde: einfach, dass mehr mitgedacht wird, und da brauchen wir die Personen, die sich dafür einsetzen, dass diese Vorurteile und diese Zuschreibungen abgebaut werden. Es muss einfach ins Bewusstsein kommen – also die Barrieren liegen in den Köpfen –, dass jede und jeder schon morgen selbst zum Kreis der Menschen mit Behinderungen gehören kann.

Und es darf nicht immer mit der Rute geschwungen werden, dass das etwas Furchtbares ist, so wie wir es ja oft in den Werbungen erleben – wenn Sie nicht aufpassen, dann sitzen Sie morgen im Rollstuhl!, also diese negative Beschreibung von Behinderung –, sondern Leben ist Vielfalt, und diese Vielfalt, die ist gut, so wie sie ist. Das muss ankommen und das muss einfach akzeptiert werden.

Marianne Schulze: Jetzt hat Frau Schmerold die inklusive Bildung von Anfang an als einen wichtigen Baustein genannt. Frau Steiner, was wäre denn noch ein anderer wichtiger Baustein?

Katharina Steiner: Ein ganz, ganz wichtiger Punkt scheint mir im Alltag einfach der Dialog zu sein: der Dialog auf der Straße, der Dialog auf Augenhöhe – nicht im Sinne von sich niederknien zu Rollstuhlfahrer:innen, sondern einfach der Dialog im Sinne von: Ich sehe dich als Mensch, ich möchte wissen, wie es dir geht –, auch der Mut und die Offenheit als nicht Behinderter oder als Mensch ohne Behinderung in Kontakt zu treten, als Arbeitgeber Neues zu wagen und einfach zu versuchen: Okay, ich probiere es, den behinderten Menschen einzustellen; ich gehe den Versuch ein, ich schaue, wie es funktioniert. Oder das Gleiche eben in der Schule: Den Mut zu haben, Neues gemeinsam auszuprobieren, die Ressourcen zu erkennen statt der Defizite, die Fähigkeiten zu erkennen und sich wirklich eben mit Mut und Kreativität auf den Menschen einzulassen.

Das braucht aber, finde ich, auch von uns Menschen mit Behinderung den Mut, zu artikulieren, was wir brauchen, und auch, was wir nicht brauchen. Und ich glaube, das ist quasi auch von beiden Seiten ein Nehmen und ein Geben und ein gemeinsames Wachsen als Gesellschaft eben, um da einmal möglichst viele Barrieren abzubauen, um das möglichst gemeinsam und inklusiv zu gestalten.

Marianne Schulze: Das ist ein wichtiges Stichwort, gerade auch im Parlament: zu sagen, dass wir als Gesellschaft wachsen müssen, und zwar gemeinsam, dass wir dafür Dialog auf Augenhöhe brauchen, und wie essenziell auch dieses wichtige Feld, das Sie jetzt auch erwähnt haben, des inklusiven Arbeitens ist, dass der Arbeitsmarkt barrierefrei und inklusiv wird.

Frau Wimmer, wir haben uns kurz vor Beginn der Veranstaltung länger ausgetauscht über Barrieren beim Fliegen und Reisen – wir waren spezifisch bei London. Es gibt ja abgesehen von Bildung und Arbeit noch so viele andere Felder, wo es mehr an Selbstverständlichem, Austausch und Begegnung braucht. Welche fallen Ihnen da jetzt noch ein, die dazu beitragen können, dass wir auch hier im Parlament mehr an Inklusion und Barrierefreiheit haben?

Melanie Wimmer: Ich sage einmal, Inklusion fängt ganz sicher nicht nur bei der baulichen Barrierefreiheit an. Natürlich – also ich möchte jetzt nicht sagen, dass die bauliche Barrierefreiheit nicht wichtig ist – ist sie sehr wichtig, und vor allem nicht nur für uns als Rollstuhlfahrer, sondern auch für alle anderen Menschen mit irgendwelchen Einschränkungen, aber Barrierefreiheit geht eben über die bauliche Barrierefreiheit hinaus, und da sind wir dann auch bei Leichter Sprache und Leichter Information, weil das einfach ganz wichtig ist.

Alltägliche Dinge, die wir alle kennen, also Mietverträge, Beipackzettel, Rechnungen, Flyer von Versicherungen – also die Dinge, die Sie sicher alle einmal in Ihrem Alltag in der Hand haben und kennen – sind oft nicht leicht verständlich und nicht barrierefrei, und da scheitert es für Menschen mit Behinderung und da scheitert es dann auch an Inklusion.

Marianne Schulze: Weil Sie ja jetzt doch einige eindrückliche Beispiele genannt haben für Dinge, die schwer verständlich sind: Wir haben ja auch das Antragsformular für Verfahrenshilfe – ein ganz wichtiger Hebel. Verfahrenshilfe – ein schwieriges Wort –, das ist jene Unterstützung, die man bekommt, wenn man sich ein Gerichtsverfahren in dem Sinne finanziell nicht leisten kann. Dafür gibt es ein Antragsformular, das so komplex ist, dass auch Juristinnen und Juristen – also jene, die sich im Recht ja eigentlich ganz gut auskennen sollten – eine Ausfüllhilfe benutzen.

Da merkt man - - Das ist ein sehr plakatives Beispiel dafür, wie essenziell leichtere Sprache gerade auch bei Formularen wäre, um alle zu erreichen – eben nicht nur Menschen mit Behinderungen –, weil wenn promovierte Juristinnen und Juristen eine Ausfüllhilfe brauchen, dann, glaube ich, liegt es dann vielleicht doch an den Barrieren in diesem Formular.

Ich möchte gern zu meinem nächsten Zitat aus „Angry Cripples“ kommen, das ist von einer Selbstvertreterin aus Bochum, Tanja Kollodzieyski, die als Rollifräulein in den sozialen Medien aktiv ist und die in dem Buch einen Beitrag über Disability Mainstreaming geschrieben hat.

Disability Mainstreaming ist ein englisches Schlagwort, das dafür steht, dass sämtliche Aspekte des Lebens barrierefrei und inklusiv gestaltet werden sollten, dass man mit der Selbstverständlichkeit, die Sie alle drei jetzt schon angesprochen haben, sicherstellen sollte, dass man an Barrierefreiheit und Inklusion denkt, diese einbezieht, und wichtigerweise vor allem nicht irgendwo hintennach – dass man das Parlamentsgebäude nicht eröffnet und dann feststellt, hoppla, da gibt es ganz viele, die nicht so selbstverständlich hereinkommen –, sondern dass man sie eben in der Planung mitbedenkt, gerade auch in der Planung von Veranstaltungen. Wir haben hier Gebärdensprache, wir haben Schriftdolmetschung und andere Unterstützungsformen – die Moderatorin arbeitet noch an der Leichten Sprache –, diese Maßnahmen, um sicherzugehen, dass man selbstverständlicher partizipieren kann.

Unter dem Topos Disability Mainstreaming schreibt Frau Kollodzieyski: Es gibt „einige Fallen, die nicht zuschnappen dürfen. Die Sichtbarkeit von vielen Menschen mit Behinderung braucht Barrierefreiheit als Grundlage.“ – Und dann weiter: Es muss noch einmal verdeutlicht werden: Die Sichtbarkeit von behinderten Menschen passiert nicht einfach nebenbei.

Frau Schmerold, wie passiert die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen?

Monika E. Schmerold: Die Sichtbarkeit braucht viel mehr als Barrierefreiheit. Wir brauchen die selbstverständliche Versorgung mit Hilfsmitteln und wir brauchen genauso persönliche Assistenz. Dann erst können wir diese Sichtbarkeit wirklich bringen, weil es genug Menschen mit Behinderung gibt, die einfach an das Zuhause gebunden sind: Sie können nicht rausgehen. Das ist wieder ein Teil weniger, der in der Gesellschaft sichtbar ist. Und es sind sicher sehr viele, denen es so geht. Sie können einfach aufgrund der Strukturen – sei es jetzt die Hilfsmittelversorgung oder sei es der öffentliche Verkehr – am öffentlichen Leben nicht teilnehmen.

Es wäre eigentlich das Ziel, dass jeder – und natürlich jede – ganz selbstverständlich zu jeder Zeit rausgehen kann und nicht lange planen muss, wenn man von einer Stadt in die nächste fahren möchte, um dort zum Beispiel ins Kino zu gehen, um sich vielleicht einen Film anzuschauen, der ganz selbstverständlich untertitelt ist. Solange wir nicht so weit sind, das mitzudenken, wird es schwierig sein, diese Sichtbarkeit in vollem Umfang zu bringen. Wir reden ja immerhin von, ich sage einmal, rund 18 bis 20 Prozent der Bevölkerung, die mit einer Behinderung lebt, und ich frage mich oft selbst: Wo sind die alle? – Also es gibt sie, aber sie können halt aufgrund verschiedener Umstände gar nicht raus.

Diese Partizipation, diese Teilnahme an der Gesellschaft äußert sich dann natürlich auch dadurch, dass wir in der Politik zum Beispiel viel zu wenig Menschen mit Behinderungen haben. Wir haben gerade den öffentlichen Dienst, in dem zum Teil in seinen Reihen schon Menschen mit Behinderungen angestellt sind, aber dennoch immer noch zu wenig. Und wenn wir zu wenig Menschen mit Behinderungen draußen haben, ist auch die Bereitschaft von Unternehmen, Menschen mit Behinderungen anzustellen, gering.

Wir haben die Möglichkeit - - Oder: Es ist in Wien, sage ich einmal, besser – das erlebe ich immer wieder –, also da ist einfach das Bewusstsein schon ein wenig besser als zum Beispiel in der Provinz, in Salzburg – und das sage ich bewusst so. Bei uns ist die Bereitschaft noch viel, viel geringer und auch die Barrierefreiheit – die bauliche Barrierefreiheit und nicht nur die in den Köpfen. Wir gehen bei uns ins Gebirge, und wir haben Menschen mit Behinderung, die immer angewiesen sind auf die Familie oder irgendwelche Nachbarn, dass sie überhaupt vor das Haus rauskönnen. Also es bedarf einfach vieler Dinge, dass das möglich wird.

Marianne Schulze: Frau Steiner.

Katharina Steiner: Auch für mich sind quasi andere Menschen mit Behinderung unsichtbar oder nicht so wirklich sichtbar, wie es auch schon die Kollegin vorhin erwähnt hat. Für mich geht aber Sichtbarkeit auch noch mit Gehörtwerden einher, und die Frage ist auch immer: Wem gibt man das Wort, wem hört man zu und wen lässt man auf die Bühne? Dass wir drei heute hier stehen, ist sicher ein Zeichen, dass wir gehört werden wollen vom Parlament, dass wir gesehen werden wollen vom Parlament, und das ist auch ein Zeichen der Sichtbarkeit. – Danke dafür, danke schön.

Es braucht aber natürlich auch alle als Verbündete, die keine Behinderung haben, aber diesen Menschen mit Behinderung quasi die Bühne geben, den Raum geben, sich artikulieren zu können, und die auch zuhören. Selbst wenn wir Barrieren abbauen – räumliche Barrieren abbauen –, selbst wenn wir quasi alles physisch ermöglichen würden, ist immer die Frage: Hören wir zu, schauen wir hin? Also es geht um die Frage von Gehörtwerden und Gesehenwerden und eben auch: Wem geben wir Chancen im Arbeitsfeld, im Freizeitkontext? Wen lassen wir wo rein, wen diskriminieren wir subtil?

Das ist natürlich auch eine Frage von Gesehenwerden, Gehörtwerden, teilweise auch Zutritt-verschaffen-Lassen, und da brauchen wir eben als Verbündete Menschen ohne Behinderung, die sich für uns, mit uns stark machen für unsere Rechte und für unsere Rechte auch einstehen, wenn uns die Kraft dafür ausgeht.

Marianne Schulze: Wir brauchen Menschen, die sich auch mit engagieren dafür und mit eintreten dafür, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen verwirklicht werden. Das ist, glaube ich, ein ganz zentraler Appell auch an jene, die hier tätig sind als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. – Frau Wimmer.

Melanie Wimmer: Ich würde von meiner Seite aus sagen, dass es auch ein gewisses Selbstbewusstsein braucht, sich sichtbar zu machen. Also ich bin jetzt 29 Jahre, und vor 15 Jahren, als ich noch zur Schule gegangen bin, wurde mir der Satz gesagt, dass ich damit leben muss, dass Menschen mit Behinderung auf Ablehnung stoßen und dass es Gründe hat, warum Menschen wie ich oder meine Kolleg:innen umgebracht worden sind. Wie gesagt, ich war 14 Jahre; das hat sehr viel in mir gemacht, sehr viel mit mir gemacht, und ich kann jetzt sagen, dass ich mich auf einem Weg befinde, den ich umgeben von tollen Leuten gehe, die mir sehr viel Selbstbewusstsein und sehr viel Respekt gegeben haben und mir beigebracht haben, dass Menschen wie ich sichtbar sein dürfen, dass wir ein Recht haben, sichtbar zu sein, dass wir dieses Recht nutzen dürfen.

Deswegen glaube ich, dass es ganz wichtig ist, auch einen Platz für dieses Selbstbewusstsein zu schaffen, weil ich glaube, dass es vielen Menschen mit Behinderung noch so geht, dass sie sich einfach nicht trauen, sich wirklich sichtbar zu machen aufgrund von Erfahrungen wie den meinen.

Marianne Schulze: Diese durchaus schockierende Erfahrung – wenn ich da kurz zurückrechne, wenn sie jetzt 15 Jahre zurückliegt – ist ja ziemlich gleich auf der Zeitlinie mit der Verabschiedung beziehungsweise nicht mit der Verabschiedung der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, aber sehr ähnlich in dem Zeitrahmen, in dem Österreich vor ziemlich genau 15 Jahren, nämlich am 26. Oktober 2008, die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert hat und sich dazu bekannt hat, die menschenrechtlich durchaus höchsten Standards rund um Barrierefreiheit und Inklusion einzuhalten.

Darunter zählt natürlich ganz zentral – auch wenn man als Menschenrechtlerin davor zurückschreckt, manchen Menschenrechten mehr Betonung zu geben – das Recht auf Leben und die Anerkennung der Unversehrtheit der Person, und es ist mit Blick auf die doch recht dramatische Historie Österreichs doppelt schockierend zu hören, dass diese Art von Gedankengut nach wie vor in der Form im Umlauf ist und dann noch dazu einem jungen Menschen in einer Bildungssituation so hingeworfen wird – aber umso wichtiger ist es, dass wir das noch einmal thematisieren, auch um deutlich zu machen, wie tief hier teilweise die Ablehnung geht und welche Auswüchse das, was man höflichkeitsmäßig als Überforderung beschreiben möchte, weil es anders fast schon zu wehtut, treibt.

Frau Steiner, Sie hatten kurz so gewirkt, als ob Sie da auch noch etwas dazu sagen wollen, oder?

Katharina Steiner: Also ich kann Kollegin Frau Wimmer nur recht geben. Ich glaube, es ist eine Sache, ob man so ein Papier unterschreibt, eben die UN-Behindertenrechtskonvention, oder ob sie wirklich gelebt wird, und das ist es. Dieses Gelebtwerden ist, wenn wir für die Rechte einstehen, somit immer ein weiterer Schritt. Es tut sich schon viel, aber es braucht nach wie vor noch ein bisschen Umdenken.

Solche Nachrichten sind zwar zum Glück nicht mehr so präsent, hoffe ich zumindest, wie sie es vor 15 Jahren waren, aber wahrscheinlich noch immer präsent, und ich glaube, da geht es darum, dass wir einfach gemeinsam eben daran arbeiten, diese zu eliminieren – also dieses Gedankengut, nicht Menschen mit Behinderung: das Gedankengut, dieses negative. – Entschuldigung.

Marianne Schulze: Die Betonung, die sie da jetzt alle dazwischen und teilweise auch explizit hatten, wie schwierig es teilweise ist, für sich selbst einzutreten, und wie wenigen die Möglichkeit gegeben ist, das auch tatsächlich zu tun, erinnert mich an ein Zitat, das ich recht gern einbringe. Es stammt aus einem Text einer psychiatrieerfahrenen Person.

Patricia Deegan ist eine in den USA lebende Frau, die in der Psychiatrie recht heftige Misshandlung erfahren hat, und sie schreibt in einem ihrer Texte, der Conspiracy of Hope heißt, über das Recht, einen Fehler zu machen, und die Notwendigkeit, die Würde des Menschen auch darin zu sehen, dass man durch Fehler lernt.

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass dieses Überbehütenwollen von Menschen mit Behinderungen, dieses Es-ein-bisschen-besser-wissen-Wollen als Menschen mit Behinderungen die Möglichkeiten, Fehler zu machen, vermindert, und dass da ein großer Teil an Erfahrungen nicht gemacht werden kann. Ich finde es deswegen einen hilfreichen Teil, das zu thematisieren, weil ja sehr vieles in der Selbstverständlichkeit des persönlichen Umgangs für Menschen mit Behinderungen verhindert wird.

Sie, Frau Schmerold, haben unter anderem jetzt auch so betont, wie viele Menschen mit Behinderungen wir nicht sehen, von wie vielen wir vermuten müssen, dass sie in Institutionen sind, dass sie aus dem Zuhause nicht herauskommen und gerade auch jene eben nicht die Möglichkeit haben, diese selbstverständlichen Kontakte herzustellen und damit verbunden aber auch nicht die Möglichkeit haben, Fehler zu machen.

Haben sie vielleicht ein Beispiel für so Übergriffigkeiten, wo sie den Eindruck haben oder hatten: Da dürfen Sie etwas nicht tun oder nicht ausprobieren, weil man versucht, es besser zu wissen oder sie in Watte zu wickeln?

Monika E. Schmerold: Mir fallen da einige Beispiele ein. Also ich habe ja in der Besuchskommission der Volksanwaltschaft gearbeitet und war in vielen Einrichtungen, und es war immer wieder so, dass Menschen mit Behinderungen nicht selbst haben entscheiden dürfen, was sie essen wollen.

Es haben immer alle besser gewusst, warum man irgendetwas nicht essen darf – weil es dick macht, weil es ungesund ist und so weiter –, also es hat sich niemand die Mühe gemacht, sich hinzusetzen und zu sagen: Das kann das und das bewirken, sondern es ist von vornherein verboten worden. Oder: Die Mitarbeiter:innen sind von den Eltern aufgefordert worden, die auch da noch teilweise sehr übergriffig sind, dass das Kind – und ich sage Kind, und das Kind ist in dem Fall schon längst erwachsen – gewisse Farben nicht miteinander kombinieren darf, weil das nicht schön ist, also das geht bis in kleinste Details rein.

Natürlich geht es dann weiter mit Liebe, mit Sexualität, mit Kindern, dem Gründen einer Familie und so weiter. Wir haben Zwangssterilisationen, die es angeblich nicht mehr gibt, aber es gibt sie doch noch – auf subtilere Art und Weise –, und das finde ich total erschreckend: dass es nicht möglich ist, dass jemand selbst entscheiden kann, wie er mit dem Thema umgeht.

Marianne Schulze: Das waren jetzt einige sehr heftige Informationen, darunter die Zwangssterilisierung von Menschen mit Behinderungen, die offiziell verboten ist – aber die Praxis zeigt leider immer wieder doch ein anderes Bild. Österreich ist dafür vor einigen Monaten auch recht deutlich durch den Fachausschuss der Behindertenrechtskonvention in Genf kritisiert worden. – Frau Steiner.

Katharina Steiner: Ja, wie meine Kollegin schon sagt: Gerade im Arzt/Ärztinnen-Patienten/Patientinnen-Kontext gibt es sehr, sehr viele Beispiele, wo der Mensch mit Behinderung nicht als Mensch gesehen wird oder besser gesagt als mündiger Patient gesehen wird, sondern vielmehr als gesellschaftliche Last quasi, wo es einfach um Kosten geht, um Kosten-Nutzen-Rechnungen geht, und nicht weiter gedacht wird, was der Mensch eigentlich will oder braucht, wo teilweise auch Hilfsmittel abgelehnt werden, weil einfach nicht eingesehen wird, warum das gebraucht werden würde. Ganz oft wird man einfach auch nicht wirklich ernst genommen, nicht gehört – das ist wiederum das Thema Gesehenwerden, Gehörtwerden, oftmals eben als Mensch gehört zu werden.

Also da gibt es glaube ich ganz, ganz viele Beispiele in fast allen Bereichen, wo man quasi nicht gehört wird oder man vielleicht sogar noch weiter gehen könnte und wo man auch Übergriffe feststellen könnte.

Andererseits gibt es natürlich auch viele positive Beispiele, aber es gibt sicher auch viele Negativbeispiele.

Marianne Schulze: Frau Wimmer, die Sichtbarkeit von behinderten Menschen passiert nicht einfach nebenbei.

Melanie Wimmer: Nein, es ist ganz sicher nicht so, dass die einfach nebenbei passiert. Man wird viel leichter übersehen als wirklich sichtbar gemacht. Mir passiert das in sehr alltäglichen Situationen wie zum Beispiel beim Einkaufen: Das kann ich selbstständig, aber in manchen Fällen mache ich es in Begleitung von Assistenz, Freunden oder Familie, und da wird dann ganz oft mit meiner Begleitperson statt mit mir selbst gesprochen. Wenn ich mich dann zu Wort melde und sage: Ich kann selber sprechen!, oder: Bitte sprechen Sie mit mir!, habe ich ganz oft schockierte Gesichter vor mir – die dann schockiert sind, dass ich mit ihnen spreche. Ich finde, wie gesagt, sehr schade, dass so etwas im Jahr 2023 immer noch Realität ist.

Marianne Schulze: Wir können vielleicht kurz noch ein bisschen zum Parlament zurückkommen. Diese Faktoren, die Sie hier nennen, wirken natürlich auch auf die Frage des Gehört- und Gesehenwerdens in einer größeren Institution, in einer öffentlichen Institution. Was könnten wir tun, um dem Parlament und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier das Gehörtwerden und die Selbstverständlichkeit, dass Menschen mit Behinderungen gesehen werden, ein Stück weit mitzugeben? – Frau Schmerold.

Monika E. Schmerold: Ich denke, hier im Haus passiert schon sehr viel. Man hat es ja erlebt, jetzt auch mit dem Parlament, das barrierefrei umgebaut worden ist, bei dem viel mitgedacht worden ist, viele Lösungen gesucht und gefunden wurden. Ich denke, gefüllt werden sollte es mit Menschen, die diesen inklusiven Gedanken haben oder ihn eben durch diese Sichtbarkeit im Haus, durch die sichtbare Barrierefreiheit, mitbekommen, und dann natürlich den Abgeordneten, für die ganz wichtig ist, dass dieses Thema Behinderung als Querschnittsmaterie über alle Bereiche und immer ganz selbstverständlich mitgedacht wird. Das soll das Ziel sein, weil es eigentlich wirklich in alle Lebensbereiche – ich sage jetzt einmal: in wirklich alle Diskussionen – mit einfließen sollte, weil es eigentlich ein breites Thema ist.

Marianne Schulze: Frau Steiner.

Katharina Steiner: Ich kann mich eigentlich den Worten nur anschließen. Auch mir geht es darum, dass das Thema Inklusion und Barrierefreiheit und auch Behinderung allgemein einfach bei wirklich jedem Thema, das im Parlament behandelt wird, mitgedacht wird. Da geht es nicht nur um diese klassischen Inklusionsanträge, die eingereicht werden, oder auch um klassische Barrierefreiheitseinträge, die durch Volksbefragungen und Co eingereicht werden, sondern dass einfach wirklich bei jedem Antrag, bei jeder Sitzung im Hinterkopf ist: Wie können wir für die Gruppe der Menschen mit Behinderungen die Rechte umsetzen und auch dafür mit eintreten? Genau wie Sie schon sagten: Es ist eine Querschnittsmaterie, durch alle Themen.

Gemeinschaftlich – oder besser gesagt gemeinsam – sollte das Thema bei allen Parlamentariern als parteiunabhängiger Gedanke – also unabhängig von der politischen Herkunft – einfach im Fokus stehen und auch das gemeinsame Wachsen und Tun im Fokus stehen – und nicht nur das Reden, sondern schlussendlich dann eben auch das Handeln.

Marianne Schulze: Frau Wimmer.

Melanie Wimmer: Ich würde sagen, dass es schön wäre, wenn wir uns nicht immer durch einen Formulardschungel kämpfen müssten, wenn wir Dinge beantragen müssen, egal worum es geht – das wäre einmal Wunsch Nummer eins.

Wunsch Nummer zwei, würde ich sagen: Die Politik spart leider, wenn es um Sparen geht, immer im Sozialbereich. Gerade wir Menschen mit Behinderung spüren das dann am meisten oder als erstes.

Als Letztes würde ich gerne sagen, dass ganz oft darüber nachgedacht wird oder ganz viel darüber gesprochen wird, wie man Dinge oder Räume speziell für Menschen mit Behinderung barrierefrei oder zugänglich machen kann. Da denke ich mir: Kommen wir doch weg von speziellen Räumen oder Anforderungen und öffnen wir einfach die Welt! Machen wir die Welt einfach zu einem barrierefreien und inklusiven Ort!

Marianne Schulze: Machen wir die Welt doch einfach zu einem barrierefreien und inklusiven Ort – auf dem Weg dorthin gibt es eine Barriere, mit der sich die sogenannten chronisch normalen Menschen besonders schwertun, und das ist, dass Menschen mit Behinderungen eine eigene Meinung haben und diese eigene Meinung von dem, was man sich erwartet, deutlich abweichen kann.

Das kommt auch ein Stück weit in dem Buch „Angry Cripples“ heraus, und es kommt ja auch in diesem Buchtitel ein Stück weit heraus: dass man, indem man übersehen wird, indem man überhört wird, indem über einen hinweg gesprochen wird, doch einige Wut darüber ansammelt, wie mit einem umgegangen wird, und, wenn man dann partizipieren darf, wenn man dann dabei sein darf, nicht notwendigerweise besonders lieb und dankbar ist, sondern vielleicht auch einen Teil dieser Wut hinauslässt. Das ist etwas, was den einen oder anderen doch ein bisschen überfordert: Jetzt haben wir endlich die Möglichkeit geschaffen, jetzt ist dieses Parlament barrierefrei, und jetzt sind sie erst jetzt nicht zufrieden.

Da möchte ich noch einmal kurz ein Zitat von Frau Kollodzieyski hereinholen: Je öfter behinderte Menschen außerhalb von behinderungsspezifischen Räumen – wir sind bei den speziellen Räumen, die Sie gerade erwähnt haben, Frau Wimmer – und Themen sichtbar auftreten, desto vielfältiger wird hoffentlich die Wahrnehmung behinderter Menschen in der Öffentlichkeit.

Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass man in diesem Kontext nicht nur besonders lieb ist und einem gewissen Klischee entspricht, Frau Schmerold, sondern man selbst ist, auch mit einer guten Portion sehr verständlicher Wut – meine Frage an Sie, Frau Schmerold: Wie lieb sind Sie denn?

Monika E. Schmerold: Grundsätzlich sehr lieb, aber sobald ich diskriminiert werde, nicht mehr, und das passiert fast täglich, wenn ich vor die Haustüre gehe. Diese Wut steigert sich mit den Möglichkeiten, die ich habe oder nicht habe, um diese Diskriminierungen zu beseitigen, weil man entweder einen langen Rechtsweg antreten muss, um Diskriminierungen zu beseitigen, oder x Besuche bei irgendwelchen Politiker:innen braucht, um sie davon zu überzeugen, dass das eine Diskriminierung ist, und weil es wahnsinnig anstrengend ist, diese Diskriminierungen dann nicht ein weiteres Mal zu erleben, wenn man sich anhören muss: Na ja, wir haben ja eh schon fast alles gemacht, das ist ja eh schon so viel, und für mehr ist kein Geld da! – Die Argumente sind sehr, sehr vielfältig. Mir ist auch schon gesagt worden, wegen mir bauen sie jetzt sicher kein barrierefreies WC – als ob ich eines exklusiv benötigen würde.

Wie gesagt: Die Diskriminierungen sind vielfältig, meine Wut ist auch sehr groß, und ich bin wenig lieb, wenn so etwas passiert.

Marianne Schulze: Frau Steiner, wie steht es um Ihre Wut und um Ihr Liebsein?

Katharina Steiner: Ich würde gern in der Frage das Wort lieb durch das Wort angepasst ersetzen – wie angepasst sind Sie? –, weil uns einfach oft auch Rollen zugeschrieben werden. Je nachdem, wie ich diese Rollen erwartungsgemäß erfülle oder nicht erfülle, werde ich lieber oder unlieber wahrgenommen. Ja, ich kann sehr lieb sein, ich bin gerne lieb, angepasst, aber es gibt durchaus Momente, in denen ich nicht diesen Rollenerwartungen entspreche und auch teilweise nicht so angepasst sein will. Wenn ich aus diesen Rollenerwartungen austrete, provoziere ich bis zu einem gewissen Grad oder es irritiert sehr – teilweise zumindest. Das Publikum, die Mitmenschen schrecken auf, denken sich: Wie geht das so?

Und mit dem, was Sie vorhin gesagt haben, Frau Schmerold – wegen Ihnen bauen wir doch keine Toilette! –, springen wir wieder zu diesem Begriff von besonderen Bedürfnissen, so quasi dass Menschen mit Behinderungen oft besondere Bedürfnisse hätten, wie aufs Klo zugehen, was natürlich etwas ganz Besonderes ist – das macht sonst niemand, nur Menschen mit Behinderungen.

Also da bin ich dann nicht mehr so lieb und angepasst, weil es einfach für mich kein besonderes Bedürfnis ist oder weil Exklusion nicht als Konsequenz hat, lieb zu sein, sondern Exklusion oder Diskriminierung hat zur Konsequenz, aufzustehen und die Meinung zu sagen, vor allem die Rechte auch einzufordern. Und eigentlich geht es nicht mehr darum, dass wir Bittsteller sind und sagen: Vielleicht könnte ich bitte doch noch dies und das, dieses und jenes haben?, sondern einfach darum, dass die Rechte, die unterschrieben sind in der Behindertenrechtskonvention, umgesetzt werden und auch gelebt werden. Und da bin ich bis zu einem gewissen Grad nicht mehr lieb oder angepasst oder der Rollenerwartung entsprechend lieb, nett, was auch immer – aber generell schon ganz lieb.

Marianne Schulze: Frau Wimmer, wie lieb und nett sind Sie, beziehungsweise wo kommt die Wut hoch?

Melanie Wimmer: Ich glaube, dass ich grundsätzlich als sehr lieber Mensch beschrieben werde – davon gehe ich jetzt einmal aus –, oft vielleicht zu lieb, aber definitiv – und ich bin jetzt sicher kein Mensch, der den ganzen Tag mit dem Finger auf nicht barrierefreie Dinge zeigt oder Menschen den ganzen Tag darauf aufmerksam macht, sie könnten doch ein bisschen freundlicher sein – gibt es natürlich auch in meinem Leben Momente, wo es sich mit dem Liebsein aufhört und wo man wirklich für sich einstehen muss, stark sein muss und auch wirklich aufzeigen muss: Okay, hier sind wir an einem Punkt, wo eigentlich die Barrierefreiheit da sein sollte oder die Akzeptanz für Menschen mit Behinderungen mehr da sein sollte.

Ich glaube, dass ich mittlerweile nicht mehr so viel mit dem schüchternen Mädchen von vor 15 Jahren gemein habe, das sich damals wirklich noch Gedanken gemacht hat, ob es wirklich ein Recht hat, da zu sein, weil es eine Behinderung hat. Also ich glaube, dass ich mittlerweile eine sehr selbstbestimmte und selbstbewusste Frau bin, die sich lange genug mit ihrer Behinderung auseinandergesetzt hat und mittlerweile wirklich die Kraft und den Mut hat, im richtigen Moment und zum richtigen Zeitpunkt für ihre Rechte und das, was ihr zusteht, da zu sein und einzustehen. (Beifall.)

Marianne Schulze: Ja, Sie können gerne applaudieren. (Beifall.)

Diese Kraft und diesen Mut, die brauchen wir, damit das Parlament unter vielen Institutionen in Österreich tatsächlich inklusiv wird, damit diese physische Barrierefreiheit auch tatsächlich für partizipative Prozesse genutzt werden kann. Was können die chronisch Normalen, die schwerst mehrfach Normalen machen, Frau Schmerold, um diesen Mut und diese Kraft zu unterstützen? Wie wird man zum Ally in dieser Angelegenheit, zum Buddy?

Monika E. Schmerold: Ja, die eigenen Barrieren in den Köpfen abzubauen, sich mit dem Thema Behinderung zu beschäftigen – nicht, dass man gerade einmal sagt: Okay, ich bin eh ab und zu im Seniorenwohnheim und schiebe dort jemanden mit dem Rollstuhl durch die Gegend!, sondern sich wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen: wie es ausschaut mit der Behindertencommunity, mit der Szene in Österreich, was da wirklich passiert, wie viele einzelne Personen es gibt, die sich für das Thema einsetzen – und dies auch zu hören, denn es passiert viel in der Community, aber es wird viel zu wenig gehört.

Nur so kann man die Zukunft besser gestalten: indem man an sich selbst arbeitet oder indem die chronisch Normalen an sich selbst arbeiten und Behinderung jetzt nicht als etwas Schlimmes sehen, sondern wirklich als Teil, als Form, als eine Lebensform, die jedem heute oder morgen in irgendeiner Form – das muss man nicht selber sein – auch begegnen kann, und sich nicht erst dann mit dem Thema auseinandersetzen.

Und da sind wir wieder bei der Bildung – ganz klar –, die da einen großen Beitrag leisten könnte. Da spannt sich der Bogen dann wieder zur Politik, die das festsetzen könnte. Also man sieht schon, das ist ein ganz großes Thema, und es ist wirklich schwierig, da etwas zu verändern.

Alle, die heute hier sind oder die zuhören, sind, denke ich, auf einem guten Weg, weil sie sich mit dem Thema beschäftigen, und wir brauchen noch viele, viele mehr. Wichtig wäre, dass alle, die da sind, die zuhören, das weitergeben und sagen: Schaut euch das einfach einmal an!

Marianne Schulze: Frau Steiner, was kann man tun, um Mut und Kraft zu unterstützen?

Katharina Steiner: Ich habe wenig hinzuzufügen zu meinen Vorrednerinnen – danke. Generell ist eben der Dialog, finde ich, ganz wichtig, eben das aktive Zuhören oder die Offenheit. Raúl Krauthausen, ein peruanisch-deutscher Aktivist in der Behindertenszene, sagt auch, es ist eine Möglichkeit, Behinderung als eine Art zu sehen wie die Haarfarbe – sie ist da, sie ist ein Teil vom Menschen, aber sie ist nicht das Zentrum der Welt, sie ist nicht das Einzige, was den Menschen ausmacht, sie ist ein Teil davon, ja, das kann man teilweise ändern, teilweise nicht ändern –, einfach quasi den Menschen zu sehen, die Ressourcen zu sehen, die Stärken zu sehen und mit ihnen defizitorientiert zu arbeiten und in den Dialog zu treten, einfach offen auch zu fragen, was der Mensch gern in der Freizeit macht, was ihn so ausmacht, und nicht immer nur als Erstes zu fragen: Was ist denn mit dir los?, oder: Was machst du denn gerade so?, oder: Warum bist du das und das?, also einfach offen, unvoreingenommen in den Dialog zu treten. – Genau, das wäre, glaube ich, ganz, ganz zentral.

Was gibt uns Kraft? – Vor allem die Frage, Allys zu haben, Verbündete zu haben, chronisch Normale an unserer Seite zu haben, die mit uns gemeinsam für unsere Rechte einstehen, die für uns gemeinsam die Stimme erheben, wenn wir zu schwach sind, zu müde sind oder zu erschöpft sind, und mit uns gemeinsam laut werden und wirklich Dinge auch umsetzen, die wir alleine vielleicht nicht immer so schaffen aufgrund von mangelnden Ressourcen oder einfach eben mangelnden Kapazitäten. – Genau: Allys, Verbündete.

Marianne Schulze: Frau Steiner, wenn das dann eine Beschreibung ist wie die Haarfarbe, dann möchte ich noch kurz auf Ihr Statement von vorhin zurückkommen, wo Sie wichtigerweise auch auf die unpassende Formulierung „besondere Bedürfnisse“ hingewiesen haben – ich glaube, Sie haben es im Kontext der Nutzung von Toiletten verwendet –, diese Beschreibungen von Menschen mit Behinderungen, mit denen so getan wird, als ob irgendetwas speziell oder besonders wäre, weil ich auch zu Beginn der Veranstaltung kurz gefragt worden bin: Wie sagt man denn jetzt richtig?

Das Verständnis, das ich als Mitverhandlerin der Behindertenrechtskonvention über mehrere Runden habe, ist, dass es um den Menschen geht, dass wir darauf fokussieren, dass wir, wie auch heute schon mehrfach gesagt, alle sehr unterschiedlich sind, mit Stärken und Potenzialen, die wir zu einem Gelingen der Gesellschaft beitragen, und dass wir darüber hinaus beschreiben, dass eine Beeinträchtigung vorliegt, verschiedenster Art, die sich aber kombiniert – ganz wichtigerweise, und das betont ja auch die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – mit den einstellungsbedingten Barrieren, so nennt es die Konvention, die Barrieren in den Köpfen, die da ganz stark hineinwirken. Dieses Beeinträchtigt-Sein und Behindert-Werden – mehr als alles andere – fasst man dann in diesem Plural zusammen und kommt so in der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf genau diese Phrase. – Das noch so als Coda zur Frage, warum besondere Bedürfnisse etwas sind, das wir entweder alle haben oder gar nicht haben, nicht?

Katharina Steiner: Genau. Danke! Danke für die Ergänzung!

Marianne Schulze: Ich glaube, da geht eine Linie durch, ja.

Frau Wimmer, an Mut und Kraft scheint es Ihnen momentan gerade nicht zu mangeln, aber auch Sie sind „nur ein Mensch“ – unter Anführungszeichen – im Sinne von: Auch Sie könnten den einen oder anderen Moment haben, in dem Mut und Kraft einmal ein bisschen Mangelware sind. Was hilft denn dann?

Melanie Wimmer: Ja, die sind natürlich öfters Mangelware. Was mir da immer besonders hilft, ist, wenn ich als Mensch oder als Frau gesehen werde – und nicht nur als Frau, die im Rollstuhl sitzt, denn wir sind mehr als unser Rollstuhl. Eine Person, die blind ist, ist mehr als nur ihr Blindenstock oder ihr Blindenführhund. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass die Menschen, die nicht behindert sind, nicht so sehr diesen Gedanken haben: Mir passiert das eh nicht, ich werde eh nie im Rollstuhl sitzen oder eine andere Einschränkung haben!, dass sie sich nicht so weit weg bewegen von diesem Gedanken, sondern sich mehr damit beschäftigen, dass es leider jeden Tag, jede Sekunde passieren kann, dass keine Angst da ist vor Austausch, vor Kommunikation, denn das ist der größte Schlüssel zum Erfolg miteinander: der Austausch, die Kommunikation – und, ja, wenn man dann eben einfach mehr als Mensch gesehen wird.

Für mich ist es immer ganz schön, mit Menschen zusammen zu sein, die mich vergessen lassen, dass ich eine Behinderung habe, dass ich im Rollstuhl sitze. – Ich sehe schon, meine Kolleginnen stimmen mir zu, das freut mich sehr. – Das finde ich immer am schönsten, und ich finde, das ist das Schönste, was man einem Menschen mit einer Behinderung geben kann: das Gefühl, ein Mensch zu sein und mehr zu sein als die Behinderung. Und da möchte ich nicht nur von baulicher Barrierefreiheit und Leichter Sprache sprechen, sondern wirklich von diesem Zwischenmenschlichen – denn dieses Zwischenmenschliche hängt nicht von einer Rampe, einer barrierefreien Toilette, einem Lift oder Ähnlichem ab, sondern hängt davon ab, wie wir Menschen einander begegnen.

Marianne Schulze: Das ist eine ganz wunderbare Überleitung zur Öffnung der Diskussion in Richtung Publikum. Es ist jetzt schon mehrfach die Notwendigkeit erwähnt worden, auf Augenhöhe zu kommunizieren und miteinander zu sprechen. Da unser gemeinsames Ziel ist, hier ein barrierefreies und inklusives Parlament für alle – ein „tatsächlich“ inklusives Parlament, wie es im Programm steht – sicherzustellen, darf ich nun an Sie im Publikum die Aufforderung richten, beizutragen: mit Ihren Literaturtipps, mit Ihren Erfahrungen, mit Ihren Hinweisen, was es in Sachen emotionale und soziale Barrierefreiheit braucht. Ich darf Sie nur bitten, dass Sie keine Koreferate halten und dass wir die Zeit, die wir haben, bitte fair verteilen und Sie entsprechend versuchen, Ihre Wortmeldung in einem gewissen zeitlichen Rahmen zu halten.

Wer möchte denn gerne das Eis brechen, das momentan auf der Ringstraße recht dicht liegt und das solchen Momenten immer anhaftet? (Ruf: Ich wollte es gern brechen!) – Bitte! Warten Sie nur kurz aufs Mikrofon, es kommt zu Ihnen. – Danke schön.

Teilnehmerin eins: Ich habe in der Vergangenheit im Sozialbereich gearbeitet und habe in Deutschland etwas kennengelernt: das persönliche Budget. Das hat mich damals sehr fasziniert, denn das erlaubt eigentlich, dass ich selbst bestimmen kann, wie ich dieses Budget, das ich bekomme, einsetzen kann. Meines Wissens ist das in Österreich immer noch nicht umgesetzt worden. Also: persönliches Budget, und ich kann selbst bestimmen, was ich damit mache, wie ich es einsetze, wofür ich es sozusagen ausgebe.

Es geht also sozusagen darum, dass man auch ein bisschen größer denkt und – ich glaube, Sie haben das vorhin gesagt – darum, nicht so viele Formulare ausfüllen oder sich nicht durch einen Wust von Zetteln kämpfen zu müssen, sondern eigentlich um ein bisschen out Out-of-the-Box-Denken und darum, so etwas zur Verfügung zu stellen.

Marianne Schulze: Darf ich noch kurz versuchen, einzuordnen, was das persönliche Budget ist, weil das, glaube ich, ein ziemlicher Fachbegriff ist? Wollen Sie versuchen, es zu erklären?

Teilnehmerin eins: Ich versuche, es zu erklären: Das ist eine Unterstützungsleistung, die in Deutschland ausbezahlt wird und schon an Bedingungen geknüpft ist, aber eben als Gesamtleistung zu sehen ist und nicht als Spezialleistung.

Marianne Schulze: Und persönliches Budget verwendet man dazu, um zum Beispiel Hilfsmittel zu finanzieren.

Teilnehmerin eins: Genau, oder Assistenz, persönliche Assistenz zu beziehen, aber es ist sozusagen eine Gesamtleistung.

Marianne Schulze: Der Unterschied ist eben der, dass man Geldmittel zur Verfügung gestellt bekommt, um selbstbestimmt darüber zu entscheiden, welche Assistenzleistungen – seien es jetzt Hilfsmittel oder Menschen, die man anstellt, um Unterstützung zu leisten – man zukauft. Das ist zu unterscheiden von der Sachleistung, für die man einen Antrag – oder meistens sogar mehrere – stellen muss, um dann ein bestimmtes Hilfsmittel zu bekommen, wobei man die Auswahl nur aus einem eingeschränkten Pool treffen kann, beziehungsweise der persönliche Assistenz, die in Österreich über weite Strecken nach wie vor in Form von Pilotprojekten und Einzelinitiativen in den Ländern existiert, wobei es zum Beispiel auch sehr, sehr schwierig ist, zwischen den Bundesländern den Wohnsitz zu wechseln, weil die Standards teilweise noch so unterschiedlich sind.

Der Status quo des persönlichen Budgets, die Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen, selbstbestimmt ihre Assistenz und Unterstützung zu organisieren: Frau Schmerold, wo steht man da?

Monika E. Schmerold: Ich würde sagen, das persönliche Budget ist bislang nur ein Begriff, wobei manche findige Politker:innen dazu übergegangen sind, zu sagen, Pflegegeld ist so etwas wie persönliches Budget. Das ist, finde ich, eine ganz interessante Definition. Wir haben das Problem, dass der Privatbereich in Österreich eben in die Landeskompetenz fällt – das ist der Föderalismus, den wir mitbringen –, und das macht das Ganze sehr schwierig.

Also für ein persönliches Budget bräuchten wir wirklich eine Entscheidung von oberster Stelle, und da müsste man sich eben überlegen, wie man das dann einreiht. Da besteht natürlich dann auch wieder die Gefahr, dass das Menschen einreihen, die dann entscheiden, ich kriege so oder so viel persönliches Budget – so wie wir es momentan auch in Salzburg mit der persönlichen Assistenz haben: dass eben ein Amt entscheidet, wie viele Stunden Assistenz man genehmigt bekommt, also wie viele bezahlt werden.

Ja, es braucht da wirklich eine gute Grundlage. Grundsätzlich wäre das persönliche Budget natürlich zu begrüßen – wenn man sagt, man kann sich das wirklich ohne großen Aufwand so einteilen, wie man es braucht –; für manche würde es vielleicht auch schwierig sein, insofern als sie überfordert sind. Es müsste das wirklich im großen Sinne geregelt werden – ein großes Thema.

Marianne Schulze: Und wenn die oberste Stelle das zu entscheiden hat, dann wären wir ja eigentlich hier richtig, nicht? Das Parlament wäre ja doch auch oder gerade in einem föderalistischen System wie Österreich diese oberste Stelle, nicht?

Monika E. Schmerold: Genau.

Marianne Schulze: Frau Steiner, haben Sie zum persönlichen Budget - -

Katharina Steiner: Persönliche Erfahrungen habe ich dazu kaum oder eigentlich gar nicht. Soweit ich informiert bin, gibt es eben tatsächlich in der Steiermark ein Konzept vom persönlichen Budget, allerdings ist es in erster Linie eher wiederum auf die Assistenz bezogen. Es ist – bitte korrigiere mich, wenn ich falsch liege – wiederum von der Pflegestufe abhängig, also daran wiederum ein bisschen gekoppelt. Es werden teilweise zu wenig Stunden bewilligt. Also es ist ein bisschen ein Chaos, und es sind noch nicht ganz klare Strukturen vorhanden. Es ist wiederum, wie Sie früher schon gesagt haben, eben sehr bundeslandspezifisch, -abhängig, auch von der Ausführung her. Es ist sehr bürokratielastig, also man muss die Dokumente von diesem Budget ewig aufbewahren, das extremst genau dokumentieren. Es ist schwierig. Also ob gerade diese Form, dieses Budget quasi umgesetzt ist, ist – ja, schwierig. – Bitte ergänze und korrigiere mich, wenn ich da jetzt - -

Melanie Wimmer: Ja, also ich muss sagen, ich finde es eine super Sache, dass es das gibt – für jeden, der sich damit wohlfühlt. Ich selber beziehe es noch nicht, weil mir noch zu viel Verwaltungsaufwand dahinter steckt – da bin ich ganz ehrlich, mit dem möchte ich mich nicht beschäftigen.

Also ich beziehe meine Assistenz über einen sogenannten Bescheid über das Land Steiermark, und mir reicht diese Selbstbestimmung, die ich mit meinem Assistenzteam habe. Das ist für mich genug. Ich fühle mich da nicht so, dass jemand für mich entscheidet. Ich meine, natürlich entscheidet das Land, wie viele Stunden ich kriege, aber das ist ja auch beim persönlichen Budget noch nicht anders; und was meine Assistenten und Assistentinnen betrifft, finde ich, dass ich da genug Selbstbestimmung habe.

Daher ist jetzt für mich das persönliche Budget noch kein Thema, aber ich finde es gut, dass es die Möglichkeit gibt. Was aber auf jeden Fall noch eine Hürde ist, ist, dass es – soweit ich informiert bin – Menschen mit Lernschwierigkeiten bis jetzt noch nicht zusteht.

Katharina Steiner: Und – ergänzend –: Auch bei psychischen Erkrankungen ist es in der Steiermark sehr, sehr schwierig, das wirklich umzusetzen oder durchzusetzen. Es wird in erster Linie bezogen auf Assistenz für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder Sinneseinschränkungen – und das ist eben ein Teil von Menschen mit Behinderungen, aber halt nur ein Teil davon, und es schließt wiederum sehr viele Menschen aus. Da wäre wiederum ein inklusiverer Gedanke sehr nett.

Marianne Schulze: Welche anderen Fragen oder Anmerkungen haben wir? – Bitte schön.

*****

(Es folgt eine Frage aus dem Plenum.)

*****

Marianne Schulze: Bitte Sie brauchen ein Mikro. Nein, bitte verwenden Sie ein Mikro – für die Gebärdensprachdolmetscher:innen und auch für die Schriftdolmetscher:innen. – Danke.

Teilnehmer zwei: Grüß Gott! Ich arbeite als persönliche Assistenz – das erst seit drei Monaten. Was mir besonders aufgefallen ist: das Förderungssystem in Österreich. Ich habe zum Beispiel eine Kundin in Niederösterreich, die kann nur über eine Genossenschaft eine persönliche Assistenz buchen. Die kann nicht direkt zu mir kommen und sagen: Helfen Sie mir, arbeiten wir gemeinsam zusammen! – Das ist nicht möglich. In Wien ist das schon möglich.

Das heißt, wir sollten einmal diesen Föderalismus zurückdrängen – dann kommen wir irgendwo vielleicht zu einem gewissen Punkt –, die Bürokratie zurückdrängen. Im Grunde ist es ungerecht: Wenn ich jetzt 10 Kilometer außerhalb von Wien wohne, habe ich andere Regeln, habe ich andere Förderungsniveaus als in Wien. Das kann nicht sein. – Danke.

Marianne Schulze: Das heißt, wenn ich aus Niederösterreich oder aus Salzburg versuche, ins Parlament zu kommen, um teilzuhaben, habe ich ganz andere Startvoraussetzungen und eine andere Form von Bürokratie zu bewerkstelligen. Das ist ja auch schon aus den Wortmeldungen von Frau Schmerold, Frau Steiner und Frau Wimmer mit herausgekommen.

Wer möchte sich noch zu Wort melden? – Bitte schön. Wir brauchen bitte das Mikro in der ersten Reihe. – Vielen Dank. Es kommt von hinten.

Teilnehmerin drei: Ich möchte auch dafür plädieren, dass es Strukturen gibt, dass nicht jeder, der betroffen ist, sozusagen diesen Weg immer wieder neu und sehr individuell gehen muss. Betroffen bin ich, weil meine Mutter seit früher Kindheit durch einen Arztfehler schlecht hört – das wird alles noch schlechter –, und man sieht eigentlich an dieser Veranstaltung, wie einfach es sein kann, dass man Menschen, die zum Beispiel hörbeeinträchtigt sind – vielleicht verwende ich jetzt ein diskriminierendes Wort, dafür entschuldige ich mich –, Hörunterstützung gibt, dass das mit relativ einfachen Mitteln möglich ist.

Ich gehe sehr viel ins Theater und ich bin jedes Mal ganz entsetzt, wie dieser Föderalismus bedeutet, dass Theater individuell nach irgendwelchen Lösungen suchen. Selbst das Burgtheater ist nicht imstande, eine vernünftige, auf breiter Basis stehende Lösung, die zum Beispiel so eine Tafel mit einer relativ großen Schrift sein könnte, anzubieten. – Ich bedanke mich fürs Zuhören.

Marianne Schulze: Ja, der Föderalismus ist ja, glaube ich, ein in Österreich in vielen Bereichen lamentiertes Faktum, aber es ist gerade im Bereich Menschen mit Behinderungen eines, das schon dramatische Auswirkungen hat, möchte man sagen, gerade wenn man sich die Frage von persönlicher Assistenz und teilweise auch die Beantragung von Hilfsmitteln anschaut, aber auch die ganz dramatischen Unterschiede im Bereich Bildung.

Frau Schmerold, Sie haben ja vorhin diese Notwendigkeit, die dringende Notwendigkeit, dass man von klein auf gemeinsam in den Kindergarten, in die Schule geht, angesprochen. Da gibt es ja quer über Österreich unglaubliche Unterschiede – je nachdem, wer gerade Landesschulratspräsident oder –präsidentin ist, so scheint es –, ob es eine halbwegs passable Integrationsquote – so würde ich es jetzt nennen, ich würde es nicht Inklusionsquote nennen – gibt oder nicht. Die Steiermark war über viele Jahre Vorreiterin aufgrund des Engagements des Landesschulratspräsidenten, dessen Name mir zu meinem Bedauern gerade nicht einfällt, aber gerade auch das ist ein Feld, wo der Föderalismus in einem doch relativ kleinen Land mit etwas mehr als acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern recht deutlich zuschlägt.

Wo gibt es denn noch solche Föderalismusauswüchse? Bei persönlicher Assistenz, bei Bildung, auch bei Arbeit ist es ja teilweise ein Thema. Wo haben wir es noch?

Monika E. Schmerold: Ich glaube, es zieht sich durch alle Bereiche. Überall gibt es ein Problem mit dem Föderalismus. Im Bereich der Menschen mit Behinderungen ist das Wohnen ein Thema – das erlebe ich immer wieder –, denn ich kann einfach nicht über die Landesgrenze gehen und sagen: Okay, ich nehme mir jetzt eine Wohnung in Oberösterreich, weil es da günstiger ist! – Ich würde sofort meinen Anspruch auf persönliche Assistenz verlieren, und es geht noch um diverse andere Dinge: Es werden in den einzelnen Bundesländern Hilfsmittel anders genehmigt, es wird Pflegegeld anders beurteilt, obwohl das Pflegegeld eine Bundessache ist. Wir haben da wirklich diese Landesgrenzen, die sich überall durchziehen. Man macht nur einen Schritt über die Grenze, und alles ist anders.

Marianne Schulze: Frau Steiner.

Katharina Steiner: Ich habe da sehr wenig hinzuzufügen, wieder einmal.

Vielleicht auch betreffend medizinische Leistungen allgemein gesehen: Überraschenderweise gehen auch Menschen mit Behinderung hie und da einmal zum Arzt, manchmal sogar öfter als Menschen ohne Behinderung, und da gibt es enorme Unterschiede von Bundesland zu Bundesland: Was bekommst du an medizinischen Leistungen, was bekommst du an Hilfsmitteln – diese wurden schon erwähnt –, was bekommst du auch an Therapien teilweise rückerstattet, auch an Therapien gebilligt und genehmigt? Es ist einfach teilweise wirklich erschreckend, schockierend, wie klein Österreich ist und wie groß trotzdem die Unterschiede von Bundesland zu Bundesland sind, wenn es eben etwa geht um Wohnen – es wurde schon erwähnt – Schule, Arbeit, Medizinisches. Es zieht sich wirklich durch alle Bereiche des Alltagslebens hindurch, und das sollte eigentlich in einem so kleinen Land wie Österreich vermeidbar sein, möchte man meinen.

Marianne Schulze: Frau Wimmer, wie geht es Ihnen mit dem Föderalismus?

Melanie Wimmer: Ja, es ist furchtbar. Es ist immer wieder ein neuer Kampf, der nicht enden will, aber ich sage einmal: In Bezug auf die persönliche Assistenz ist ja ein kleiner Sieg in Sicht, weil es ja die Harmonisierung geben soll. Ich betone: kleiner Sieg, weil sich diese Harmonisierung ja noch nicht auf alle Bundesländer erstreckt, aber es ist zumindest einmal ein kleines Licht am Ende des Tunnels, und wir hoffen einfach, dass sich dieses Licht ausweitet.

Marianne Schulze: Danke schön.

Bitte schön, zwei Wortmeldungen gibt es noch. Das Mikrofon bitte in die vorletzte Reihe. – Danke schön.

Teilnehmer vier: Ich finde es großartig, drei Expertinnen und Selbstvertreterinnen kompetent hier zu sehen, die sich aber auch über das Kompetenzwirrwarr ärgern. Ich glaube, die Regeln für Politik werden ja im Parlament gemacht. Die Veranstaltung heißt „Menschen mit Behinderungen im Parlament“. Nächstes Jahr haben wir Neuwahlen zum EU-Parlament und zum österreichischen Nationalrat. Da würde mich nur interessieren, oder ich möchte gleich meinen Wunsch artikulieren, dass möglichst viele von Ihnen oder dass auch weibliche Expert:innen mit Behinderungen an wählbarer Stelle überall kandidieren, und zwar nicht nur als Expertinnen in Angelegenheiten von Behinderung, sondern von Wirtschaft, Bildung, Außenpolitik. Und ich weiß nicht, vielleicht wollen die anwesenden Politiker:innen auch sagen, wie sie sich dafür einsetzen, dass an wählbarer Stelle in ihren Parteien Expertinnen mit Behinderungen ganz vorne mit dabei sind.

Marianne Schulze: Das Mikrofon geht an eine Expertin. – Frau Nationalratsabgeordnete, bitte schön.

Fiona Fiedler (NEOS, Abgeordnete zum Nationalrat): Zuerst einmal danke, dass Sie hier so offen mit uns sprechen. Ich finde das sensationell. Ich könnte jetzt ausholen und eigentlich einen Vortrag halten, aber ich will da nicht zu viel - -

Wahlen nächstes Jahr: Ich wurde sogar schon von einer jungen Dame mit einer Behinderung, die sich für die Nationalratswahlen aufstellen lassen möchte, angesprochen, und ich habe ihr gesagt: Ganz ehrlich, gerne für unsere Partei, aber die Sprecherin für Menschen mit Behinderungen bleibe ich, denn da bin ich gut aufgehoben, und sie wäre eigentlich im Justizausschuss perfekt aufhoben, und wenn, dann soll sie Sprecherin für Justiz werden. – Das hat sie gerne angenommen, und jetzt schauen wir, was daraus wird.

Also wie gesagt, es bräuchte Ihre Stimmen im Parlament wesentlich öfter. Der Föderalismus ist ein Thema, das mich tagtäglich beschäftigt, an dem ich verzweifle, und ich bekomme halt diese Zweidrittelmehrheit, damit wir diese Verfassungsänderung schaffen, nicht zustande. Ich glaube aber, dass es in vielen Bereichen und vor allem im Bereich der Menschen mit Behinderungen ganz dringend nötig wäre, hier ins Tun zu kommen, weil wir wie gesagt in der Bildung starten sollten, damit auch diese Barrieren im Kopf von klein auf gar nicht erst auftauchen, denn dann ergeben sich nämlich viele Folgeprobleme einfach nicht.

Wenn ich einfach, so divers unsere Gesellschaft ist, in einer diversen Gesellschaft aufwachsen kann, das alles miterlebe, merke, dass es nicht wehtut und dass es eigentlich gut umgänglich ist, dann ist es eigentlich perfekt. Und jeder ist perfekt, so wie er ist. Das sollten wir alle mitnehmen.

Ich würde Sie bitten, einfach öfter zu kommen und vor uns zu sprechen – vielleicht wenn andere Abgeordnete auch noch da wären. Das wäre total super. (Beifall.)

Marianne Schulze: An dieser Stelle eine besonders lobende Erwähnung für die Bibliothek des Parlaments, die dazu die Initiative gestartet hat.

Das Mikrofon bitte in die erste Reihe. Eine Mitarbeiterin des Parlaments hat sich zu Wort gemeldet gehabt.

Teilnehmerin fünf: Ich habe eine Frage, und zwar noch zur persönlichen Assistenz: Soweit ich im Bilde bin, wird ja die persönliche Assistenz, wenn sie in der Arbeit notwendig ist, über das Sozialministeriumservice bezahlt, und die Assistenz im Bildungsbereich geht sozusagen auch über den Bund – um es noch komplexer zu machen –, und der Bereich, der vom Land bereitgestellt wird, ist sozusagen der private Bereich, wie Sie das genannt haben.

Jetzt ist meine Frage an Sie als Expertinnen: Welche Tätigkeiten werden denn da unterstützt? Ich zähle das jetzt einmal auf: Besuch bei einer Behörde, Besuch des Arztes, also sozusagen wirklich sehr notwendige Sachen, oder auch ehrenamtliche Tätigkeiten? Sagen wir, Sie sind Mitglied in einem Verein und möchten an den monatlichen Versammlungen teilnehmen – Sie oder eben andere Personen, die eine persönliche Assistenz brauchen –, oder sagen wir, Sie wollen in eine Parteiversammlung gehen oder Sie wollen jetzt auch kandidieren und wollen sozusagen Bürgerversammlungen machen, um auszutesten, wie Sie ankommen und so weiter. Würden Sie dafür, beziehungsweise – ich möchte jetzt nicht nur Sie persönlich fragen – würden vergleichbare Personen, die eine persönliche Assistenz brauchen, dafür die persönliche Assistenz bezahlt bekommen oder nicht? Sie haben gesagt, Sie haben quasi ein Stundenlimit, aber gibt es da auch Einschränkungen, für welche Tätigkeiten Sie die persönliche Assistenz dann in Anspruch nehmen können?

Marianne Schulze: Danke schön.

Melanie Wimmer: Ja, da gibt es sehr wohl Einschränkungen. Also ich beziehe jetzt momentan zwei fixe Formen von Assistenz: einmal Freizeitassistenz – die sich, wie es der Name schon sagt, komplett auf meine Freizeit fixiert –, dann die sogenannte Wohnassistenz – ich lebe jetzt vier Jahre selbstständig in meiner eigenen Wohnung, und die Wohnassistenz ist eben meine Hilfe, um dieses selbstständige Leben am Laufen zu halten. Und dann gibt es noch die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, die mich eben bei Dienstreisen und dienstlichen Dingen begleitet. – Da gibt es also sehr wohl Einschränkungen, ja.

Marianne Schulze: Frau Schmerold.

Monika E. Schmerold: Es läuft in Salzburg ganz anders. Also wir haben auch - - – Hört man mich jetzt? – Ja.

Es läuft in Salzburg ganz anders, hätte ich gesagt. Wir haben schon auch die Trennung zwischen der persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz, der PAA, weil diese vom Bund bezahlt wird, und der persönlichen Assistenz im Privatbereich, die seit Neuestem in Salzburg PAP heißt. Wir in Salzburg heben uns in allem ab, und bei uns ist es so, dass es keine Einschränkungen gibt, ich muss nur genau trennen zwischen Beruf und privat.

Auch da gibt es aber schon wieder ein Aber: Ich persönlich habe ein Sondermodell, denn ich bin so viel dienstlich unterwegs – ich bin sehr viel in Wien –, und ich kann nicht zwei Assistenten nach Wien mitnehmen. Ich müsste jetzt immer die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz nach Wien mitbringen, und wenn ich dann in Wien noch ein privates Treffen habe, dann müsste ich meine private Assistenz mit dabei haben. Das ist nicht bezahlbar. Deshalb habe ich mir da persönlich etwas ausverhandelt. Das geht manchmal – in diesem Fall ist es gegangen. Eine andere Kollegin hat das probiert, da ist es wieder nicht gegangen. Das zeigt ganz klar, wie zerfurcht dieses ganze System ist und dass es keine einheitliche Regelung gibt.

Grundsätzlich ist es bei der persönlichen Assistenz so, dass die Assistenz all das macht, was ich aufgrund meiner Behinderung nicht machen kann. Das fängt bei mir persönlich beim Aufstehen in der Früh an und das geht weiter beim Herrichten des Frühstücks, beim Einkaufen, bei der Wäsche – ja, was halt in einem Haushalt so anfällt, einfach alles. Da gehört auch dazu, dass ich in einen Verein gehe – das ist sozusagen meine Freizeitbeschäftigung – und dort an einer Sitzung teilnehme. Ja, es betrifft einfach alles.

Was ich an Einschränkung habe, ist der Stundensatz. Ich habe nur eine gewisse Anzahl von Stunden im Monat zur Verfügung, und die muss ich mir gut einteilen, denn wenn ich keine Stunden mehr habe, dann kann ich zum Beispiel am Abend nicht mehr ins Theater gehen, weil es sich halt einfach nicht mehr ausgeht.

Und das entscheiden einfach die Ämter, wie viel ich da brauche, und die machen das zum Teil am Pflegegeld fest, wobei man dann das Pflegegeld auch wieder einklagen muss, also auch die Erhöhung einklagen muss, und es mitunter Jahre dauert, bis man eine Entscheidung hat.

Das greift also alles ineinander und ist einfach schwierig. Für eine außenstehende Person ist es, glaube ich, ganz schwierig, da durchzublicken, wie das alles läuft. Ich habe selber oft ein Problem, mir zu überlegen: Wie sind die Fäden da wieder gelaufen?

Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage.

Marianne Schulze: Danke schön.

Noch Eindrücke von Ihnen, Frau Steiner, zum Thema Verworrenheit des Föderalismus am Beispiel der persönlichen Assistenz?

Katharina Steiner: Leider nicht – ich glaube, meine Kolleginnen sind da wirklich mehr Expertinnen als ich. Es ist sehr, sehr komplex und sehr verwirrend, und auch für Innenstehende ist es teilweise verwirrend, und man muss doch überlegen: Wie war das wirklich, und wie funktioniert das jetzt? Alle diese Kategorien von Wohnassistenz, Reiseassistenz und Arbeitsassistenz, das ist teilweise wirklich sehr schwierig zu organisieren und auch zu erreichen, dass man wirklich immer auch die Stunden bekommt, die man eigentlich bräuchte, die eigentlich zustehen würden. – Ja, kompliziert und von der Bürokratie her teilweise sehr energieraubend.

Monika E. Schmerold: Ich möchte gerne noch etwas hinzufügen: Es ist auch da wieder das Amt, das entscheidet, ob ich zum Beispiel meine Assistenten bei mir angestellt haben darf oder nicht, ob sie mir das Geld in die Hand geben, damit ich meine Assistent:innen selbst abrechne, mir das alles selbst mache. Ich darf das nicht selbst entscheiden. Es gibt viele, die das gerne selber machen würden, aber das Amt entscheidet nach seinen nicht transparenten Kriterien, ob man die Person in der Lage sieht, das zu tun, oder nicht.

Marianne Schulze: Und das Amt ist eine Institution, die auch gefüllt ist mit Menschen, die oft ohne selbstverständliche Inklusionserfahrung groß geworden sind - -

Monika E. Schmerold: Genau!

Marianne Schulze:- und entsprechende Berührungsängste haben, entsprechend überfordert sind beziehungsweise Fehlvorstellungen darüber aufsitzen, was Menschen mit Behinderungen tun können oder eben auch nicht.

Es gibt noch eine Anmerkung, und mit Blick auf die Zeit muss ich leider bitten, dass das die letzte Wortmeldung aus dem Publikum ist. – Bitte schön.

Teilnehmerin sechs: Ich wollte noch fragen: Wie haben Sie sich eigentlich auch auf Ihre Managementaufgaben vorbereitet? Ich finde, persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, Freizeitassistenz, private Termine auszuhandeln, alles zu organisieren, ist ein wahnsinniger Aufwand. Ich bewundere Sie da sehr, denn das sind eigentlich Management-, Unternehmer:innenaufgaben. Wie können Sie das leisten?

Marianne Schulze: Da gibt es so ein Nicken.

Monika E. Schmerold: Eine gute Frage! – In Salzburg ist es so, dass es zwei Träger gibt, die persönliche Assistenz anbieten – also dass man sie über einen Träger sozusagen ordern kann –, und die bekommen dafür, dass sie das organisieren, einen Verwaltungsaufwand bezahlt. Den bekomme ich nicht – denn ich mache das ja schließlich eh für mich selber, also brauche ich das nicht, so ungefähr.

Es ist wirklich ein großer Aufwand, die Assistenz zu organisieren. Ich habe sieben Mitarbeiter:innen, die bei mir Assistent:innen sind, von geringfügig bis Vollzeit, und es braucht wirklich viele Fähigkeiten. Ich habe das Glück, dass ich das schon früh gelernt habe – ich habe früher lange in der Privatwirtschaft gearbeitet –, und ich denke mir schon, dass es für viele schwierig ist, das zu organisieren. Es gehören ja auch viele Kenntnisse dazu, nicht nur die Anleitungskompetenz, die man braucht, um die Assistent:innen anzuleiten und sich auch selbst manchmal zu schützen, damit einem die Assistent:innen nicht etwas drüberstülpen – also auch da muss man sich manchmal am Anfang sehr wehren, wenn die Assistent:innen glauben, etwas besser zu wissen als ich selber –, und es ist eigentlich in meinem Fall die dritte Tätigkeit, die ich habe, also es ist wie ein kleines Unternehmen.

Marianne Schulze: Frau Steiner.

Katharina Steiner: Ich habe noch keine Assistenz – also gar keine, weder Freizeit- noch berufliche Assistenz oder Wohnassistenz. Ich versuche, alles quasi selbst irgendwie zu managen, in erster Linie weil mir einfach der bürokratische Aufwand zu groß ist, also sich wiederum um die Assistenzstunden zu kümmern, die Dokumentation, die Bürokratie, die Bezahlung, zusätzlich eben zum 30-Stunden-Job, der meine quasi Lohnarbeit ist, noch einmal quasi diesen Zweitjob anzunehmen, plus Verrichtung von Freizeitaktivitäten.

Es würde zwar vielleicht den Alltag manchmal erleichtern, in gewissen Momenten zumindest, aber jetzt schaffe ich eben noch alleine ausreichend viel oder eigentlich fast alles so, dass es mir den Aufwand noch nicht wert ist, mich um Assistenten zu kümmern, weil einfach der bürokratische und organisatorische Aufwand für diese, wie auch meine Vorrednerin gesagt hat, so groß ist und so aufwendig ist, dass ich mir denke, es ist leichter, meinen Alltag für mich zu managen und privat zu organisieren – wie auch immer, das ist mir überlassen –, als durch eine Assistenz, die ich quasi im Vorfeld organisieren muss.

Ein großer Nachteil bei der Assistenz ist natürlich auch die Flexibilität: Du musst eben mit der Assistenz schon im Vorfeld die Stunden ausmachen. Wenn ich noch halbwegs mobil bin, kann ich doch halbwegs spontan entscheiden, wann ich was machen will. Wenn ich jetzt aber auf Assistenz angewiesen bin, die mir den Alltag erleichtert, muss ich natürlich schon im Vorfeld planen: Wann brauche ich Assistenz wofür?, und die organisiere ich mir so. Dann kann ich aber nicht eine Stunde früher einkaufen gehen oder eine Stunde früher in den Park gehen oder so, und das ist halt für mich zumindest noch ein großer Minuspunkt.

Aber vielleicht ändere ich das. Vielleicht wird es einfacher vom System her. Ja, vielleicht wird es einfacher vom System, vielleicht probiere ich es, dass ich sage, es ist mir diesen Aufwand wert, weil es doch den Alltag so viel erleichtert, dass ich sage, ich mache es und ich kümmere mich darum auch noch. – Noch nicht, deswegen also relativ wenige eigene Erfahrungswerte zu diesem Thema.

Melanie Wimmer: Ja, aus meiner Sicht kann ich sagen: Wenn man mit einer Behinderung groß wird, dann lernt man schnell, dass man sich selbst als eigenes Unternehmen sehen muss, wie das von der Kollegin schon so schön ausgedrückt worden ist, aber es ist wirklich so.

Ich beziehe Assistenz, ungefähr seit ich sechs Jahre alt bin. Vorher haben das meine Eltern in der Hand gehabt, und jetzt ist es so, dass der Verwaltungsaufwand, also Stundenabrechnungen und Ähnliches, ja zum Glück nicht in meiner Hand liegt. Das war ja meine bewusste Entscheidung, dass das nicht in meiner Hand liegt. Und was den Rest, was die Organisation betrifft, so kann ich nur von Glück reden und sagen, dass ich von einem wunderbaren Team umgeben bin, das mir die Organisation einfach wahnsinnig leicht macht. Auch der Formulardschungel und Förderungsdschungel, den ich schon angesprochen habe, lehrt aber einen Menschen mit Behinderung sehr früh, was es heißt, sich selbst als Unternehmen zu sehen, denn wenn man in meiner Wohnung die Aktenstapel anschaut, könnte man wirklich meinen, ich führe ein kleines Unternehmen. Ja, ich glaube, dass die eigene Behinderung da der größte Lehrmeister ist.

Marianne Schulze: Ich darf Ihnen allen, insbesondere Ihnen, Frau Schmerold, Frau Steiner und auch Frau Wimmer, ganz, ganz herzlich für Ihre Beiträge danken. Es gibt neben den emotionalen und sozialen Barrieren auf dem Weg ins Parlament auch noch die föderalistischen, die bürokratischen und die formulartechnischen Barrieren, die es aus dem Weg zu räumen gilt, um sicherzugehen, dass das – ich komme zurück auf das Zitat im Programm – ein Ort ist, der auch für Menschen mit Behinderungen gemacht ist.

Ich darf dem Team der Bibliothek des Parlaments unter der Führung von Mag. Böck ganz herzlich danken für diese Initiative, die erste Veranstaltung in dieser Serie „Literatur im Parlament“ unter das Motto „Ja, sicher! Menschen mit Behinderungen im Parlament.“ zu stellen, natürlich auch dem Parlament dafür danken, das hier möglich zu machen, und ebenso den Dolmetscherinnen für die Gebärdensprach- sowie die Schriftdolmetschung und auch den Ermöglichern des Livestreams kurz danken – und natürlich Ihnen allen, die Sie sich die Zeit genommen haben, um hier an dieser Veranstaltung teilzunehmen.

Tun Sie mir als Menschenrechtsexpertin einen Gefallen: Sprechen Sie über die Wichtigkeit von Menschenrechten, sprechen Sie über die Wichtigkeit von inklusiven und barrierefreien Menschenrechten! Auch dafür ist Ihre Meinungsfreiheit kreiert worden. Nutzen Sie Ihre Bewegungsfreiheit hier herinnen sachte, beziehungsweise vor den Computern via Livestream auch entsprechend, und kommen Sie wohlbehalten an Ihr heutiges Ziel! – Ich danke Ihnen. (Beifall.)