Tag des Bundesrates

Kinderrechte sind Menschenrechte

Transkript

verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle

 

 

 

 

Montag, 27. November 2023

16.30 Uhr – 17.58 Uhr

 

Elise Richter | Lokal 2


 

 

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(Es folgt ein Musikstück.)

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Fanny Stapf (Moderatorin): Einen ganz großen Applaus für das Trio Eledone. (Beifall.) – Das Stück, das wir soeben gehört haben, heißt „Beginning“.

Wenn wir uns einmal ehrlich sind: Für viele junge Menschen da draußen fühlt sich diese Welt momentan nicht nach „Beginning“, sondern leider mehr nach Ending an. Yara-Lucia, sie ist neun Jahre alt, hat bei Denk dir die Welt, dem Unicef-Kreativwettbewerb mit einem selbstgeschriebenen Song mitgemacht. Ihr Song heißt: „Es ist ihnen egal“.

Ich möchte Ihnen ganz kurz den Refrain von diesem Song vorlesen, der heißt: Was ist los mit euch da draußen? Und: Es ist ihnen egal, dass die Welt untergeht, dass die Welt nicht mehr lebt. Yara-Lucias Worte machen es noch einmal deutlich: Es ist an der Zeit, dass wir Erwachsene, egal, in welcher Funktion wir sind, jungen Menschen sagen: Nein, es ist uns nicht egal, denn ihr habt ein Recht auf eine lebenswerte Welt, ihr habt ein Recht darauf, dass eure Stimme gehört wird – vor allem auch in der Politik!

Umso mehr freue ich mich, dass wir heute Nachmittag die Chance haben, über Visionen zu reden und darüber zu reden: Wie kann eine lebenswerte Zukunft ausschauen? Damit darf ich Sie alle hier beim Tag des Bundesrates, bei der Veranstaltung Kinderrechte sind Menschenrechte, ganz, ganz herzlich im Parlament begrüßen. – Schön, dass Sie alle da sind. (Beifall.)

Ich bin Fanny Stapf, ORF-Moderatorin, und darf Sie jetzt ein bisschen begleiten. Ich habe eine ganz kurze Frage, ich glaube, hier ist ja Fachpublikum, also weiß es vermutlich jeder, einfach rausschreien: Wann war der Internationale Tag der Kinderrechte? – (Zwischenrufe.) – Ja, gut, das habe ich mir schon fast gedacht. Dieser Tag ist natürlich immer wichtig, aber dieses Jahr ist er ganz besonders wichtig, denn heuer feiern wir auch 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Umso mehr freue ich mich, dass ich heute hier in diesem Raum einige Gäste begrüßen darf, nämlich einige Mitglieder des Bundesrates, die gekommen sind, ebenso die Vorsitzende des Kinderrechtsausschusses des Bundesrates Mag.a Daniela Gruber-Pruner. – Herzlich willkommen. Danke, dass Sie heute da sind. (Beifall.)

Außerdem freuen wir uns sehr, dass auch einige Abgeordnete des Nationalrates gekommen sind. – Hallo und herzlich willkommen an dieser Stelle. (Beifall.)

Ein ganz, ganz herzliches Danke und Hallo natürlich an alle Beitragenden, die heute hier auf der Bühne Keynotes halten werden und dann eben auch mit uns in eine kurze Gesprächsrunde gehen, sie sind teilweise auch aus Salzburg gekommen. – Hallo, schön, dass ihr alle da seid. (Beifall.)

Ganz besonders wichtig ist natürlich die Frau, die diesen heutigen Nachmittag initiiert hat und auch die Gastgeberin dieser Veranstaltung ist. Deswegen bitte ich jetzt um einen ganz großen Applaus und vor allem auch um ihre Eröffnungsrede: Bundesratspräsidentin Mag.a Claudia Arpa. – Danke, dass wir alle heute hier sein dürfen. (Beifall.)

Claudia Arpa (Präsidentin des Bundesrates): Vielen Dank, liebe Fanny Stapf.

Warum Fanny Stapf heute hier moderiert hat einen Grund: Zur Pandemiezeit hatte die ZIB keine Kindermoderatorin, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe mir gedacht, sie hat sich ganz schnell zur Verfügung gestellt, das hat mich so fasziniert, wie sie Kindern zum Beispiel auch Sachen erklärt hat, was die Pandemie angeht. Das hat mich so fasziniert und ich wollte diese Frau immer persönlich kennenlernen – und heute habe ich die Möglichkeit und deswegen sage ich: Herzlichen Dank fürs Kommen! – Danke schön. (Beifall.)

Fanny hat es bereits gesagt, es ist heute der Tag des Bundesrates: Kinderrechte sind Menschenrechte. Ich freue mich, heute gemeinsam mit euch den Tag des Bundesrates zu begehen. Ganz besonders freue ich mich, ein Thema zu behandeln, das sich unserer jüngeren Generation, den Kinderrechten und auch den Menschenrechten widmet.

Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Referent:innen bedanken, die heute gekommen sind, die Zeit gefunden haben, zu uns zu kommen. Ihnen allen ein großes Danke. Ich danke auch für euer Interesse. – Vielen Dank. (Beifall.)

Wir haben es uns im Bundesrat während dieser Präsidentschaft zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugend mit ihren vielfältigen Lebensrealitäten, Bedürfnissen und Perspektiven in den Fokus zu stellen. Unter dem Titel „Kindern Perspektiven zu geben“ haben wir bereits im Oktober eine parlamentarische Enquete abgehalten. In drei großen Bereichen wurden die Themen Bildung, wirtschaftliche Basis und Demokratie thematisiert.

Die Ausführungen der Expert:innen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft haben uns einmal mehr verdeutlicht, dass Bildung ganz zentral über das berufliche und das wirtschaftliche Fortkommen junger Menschen entscheidet und wie wichtig es ist, ein wirtschaftliches, solides Umfeld zu haben, vor allem für Kinder und Jugendliche.

Darüber hinaus soll ja auch die kommende Generation ihr Recht auf Mitbestimmung haben. Demokratie und Teilhabe an Entscheidungsprozessen – das hat Fanny vorhin auch schon angesprochen – sind ja nicht nur bei Wahlen, sondern besonders bei Entscheidungen in den Lebensbereichen von Kindern, die sie betreffen, einfach gefordert. Nicht zuletzt sind ja Kinder laut UN-Kinderrechtskonvention in alle Entscheidungen miteinzubeziehen, die sie betreffen. Kinder sollen ihre Meinung auch frei heraus sagen können und diese Meinung ist ihrem Alter entsprechend auch zu berücksichtigen.

Wir hatten letzte Woche die Freude, den Internationalen Tag der Kinderrechte begehen und auch das 75-Jahr-Jubiläum der UN-Menschenrechte feiern zu können; die Kinderrechte, das haben wir letzte Woche auch gefeiert, sind nunmehr 34 Jahre alt. Seit mehr als zehn Jahren sind die Rechte der Kinder auch in unserer Bundesverfassung festgeschrieben.

Doch wie bei vielen anderen Gesetzen, Verordnungen oder Konventionen erfahren auch Kinder- und Menschenrechte erst dann ihren Stellenwert, wenn sie mit Leben erfüllt werden. Daher sind wir alle, wie heute in der Ankündigung schon gesagt worden ist, angehalten, die gelebte Praxis, das gesellschaftliche Leben und die Lebensrealitäten auf Übereinstimmung mit dem geltenden Recht zu prüfen. Die Umsetzung der Kinderrechte ist daher nach wie vor eine große Herausforderung und natürlich auch ein fortdauernder Prozess.

Wir waren und wir sind in Österreich, in Europa und weltweit mit Entwicklungen konfrontiert, die uns unerwartet getroffen haben. Umso wichtiger erscheint es mir, der jungen Generation ein Stück weit wieder Sicherheit zu vermitteln und ihr auch Unterstützung zu geben. Ein wirtschaftlich stabiles zu Hause hat schließlich enorme Auswirkungen auf das spätere Leben von Kindern, es ermöglicht erst die Teilhabe am sozialen, kulturellen Geschehen, denn erst durch eine wirtschaftlich solide Basis in jungen Jahren können die jeweiligen Potenziale der jungen Menschen entfaltet werden. Das Recht auf einen chancengleichen Zugang zu Bildung, ein gesundes Aufwachsen, eine solide Gesundheitsversorgung sowie das Recht auf Mitbestimmung und Teilhabe in der Gesellschaft sind einige wichtige Grundsteine, an denen wir alle gemeinsam zu arbeiten haben.

Außerdem haben Kinder aus meiner Sicht auch ein Recht auf eine intakte Umwelt. Unsere Umwelt ist ein hohes Gut, das wir der nächsten Generation in einem intakten Zustand hinterlassen wollen.

Abschließend, um auch zum Ende zu kommen, möchte ich Ihnen eine anregende und informative Veranstaltung wünschen, die uns in Sachen Kinder- und Menschenrechte wieder einen Schritt voranbringen soll! Herzlichen Dank allen Kindern und den Bundesrät:innen, die bei diesem Video, das dann gleich gezeigt werden wird, mitgewirkt haben! Vielen Dank an die Veranstaltungsabteilung, die das heute ermöglicht hat! Ich bedanke mich auch bei der Gebärdensprachdolmetscherin dafür, dass sie heute für uns übersetzt! Alles Gute, ich freue mich auf einen regen Austausch! – Herzlichen Dank. (Beifall.)

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(Es folgt eine Videoeinspielung.)

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Fanny Stapf: Danke an alle Mitglieder des Bundesrates, die bei diesem Video mitgewirkt haben. Wir haben es soeben gehört, es gibt viele Pläne, es sind viele Dinge angeblich schon umgesetzt worden. Wir werden gleich hier in der Runde diskutieren, wieviel davon auch wirklich in der Realität ankommt.

Ich habe jetzt für die Menschen, die im Video vorgekommen sind und heute auch da sind, leider einen kurzen Realitycheck, der vielleicht ein bisschen wehtun könnte. Die Ö3-Jugendstudie, die dieses Jahr rausgekommen ist, hat fast 40 000 junge Menschen in Österreich befragt, da hat jede dritte Person zwischen 16 und 25 gesagt: Sie fühlt sich von der Politik gar nicht vertreten. Das heißt, das zeigt noch einmal, es ist zwar schön und gut, dass wir immer alle über junge Menschen reden, aber junge Menschen werden selten an den Tisch geholt und es wird selten aktiv mit ihnen geredet.

Deshalb freue ich mich umso mehr über unsere nächste Speakerin, denn die ändert genau das mit ihrer Arbeit. Unter anderem steht auf ihrer Agenda ein Motto wie: Leave No One Behind!, oder auch: Wir sind nicht nur die Zukunft, wir sind bereits jetzt da! Ich bitte deshalb um einen ganz großen Applaus für – sie ist im Video schon erwähnt worden – Jana Berchtold, UN-Jugenddelegierte der Bundesjugendvertretung, mit ihrer Keynote: Kinderrechte sind Menschenrechte. (Beifall.)

Jana Berchtold (Youth Delegate der Vereinten Nationen): Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Nationalratsabgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ganz besonders: liebe Kinder und junge Menschen! Ich freue mich, heute hier über Kinderrechte sprechen zu dürfen. Ganz besonders freut es mich, als UN-Jugenddelegierte der Bundesjugendvertretung als Stimme für junge Menschen hier zu sein, denn es wird noch viel zu oft über statt mit Kindern und jungen Menschen geredet.

Es gibt derzeit ganz viele Jubiläen und Jahrestage, bei denen Kinderrechte etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen: 75 Jahre Menschenrechtskonvention oder eben vor einer Woche der Internationale Tag der Kinderrechte. Doch wir sollten uns bewusst machen, dass Kinderrechte nicht nur an besonderen Tagen, sondern täglich in der Politik, im alltäglichen Handeln und auch in der Rechtsprechung Beachtung finden müssen.

Doch vielleicht zu Beginn: Was heißt das? Wovon reden wir, wenn wir über Kinderrechte sprechen? – Die Kinderrechte sind Rechte, die 1989 von der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben wurden. Sie umfasst 54 Artikel mit verschiedensten Themen und gilt in fast allen Ländern weltweit. Über allem steht die vorrangige Beachtung des Kinderwohls, das heißt, das Kinderwohl muss immer an erster Stelle stehen, egal bei welchem Thema.

Kinderrechte gelten für alle unter 18, es ist wichtig, dass es für diese Altersgruppe eigene Rechte gibt, denn Kinder und Jugendliche sind zu wenig in politische Entscheidungen involviert und ihre Stimme hat immer noch zu wenig Gewicht – und das, obwohl Gesetze die jüngste Generation am meisten betreffen. Kinder sind eine besonders vulnerable Gruppe. Sie haben zu den anhaltenden Krisen unserer Zeit zu wenig beigetragen, das heißt, sie sind die, die am meisten darunter leiden und am wenigsten dafür getan haben.

Kinderrechte stellen auch sicher, dass Kinder eigene Rechtsträger:innen sind und auch als solche behandelt werden müssen. Für mich garantieren Kinderrechte aber auch, dass Kinder und Jugendliche nicht nur als unsere Zukunft gesehen werden. Kinderrechte zeigen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Jetzt geschützt werden, dort einen geschützten Platz haben. Kinderrechte zeigen auf, dass Generationengerechtigkeit herrschen muss, damit die Machtverhältnisse ausgeglichen werden. Kinderrechte zeigen, dass Kinder ein Recht darauf haben, dass Politiker:innen aktiv auf junge Menschen zugehen und bedeutsam Beteiligung schaffen müssen.

1992 hat Österreich die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert und sich damit verpflichtet, die Kinderrechte national umzusetzen, sowohl in Gesetzen, aber auch durch Institutionen, die Kinder und Jugendliche stärken und schützen sollen. Es hat nach der Ratifizierung 20 Jahre gebraucht, bis die Kinderrechte in den Verfassungsrang gehoben wurden, jedoch hat Österreich nur ausgewählte Teile der UN-Kinderrechtskonvention in der Verfassung verankert.

Hier in diesem Kontext auf Einladung des Bundesrates darf ich natürlich auch festhalten, dass es erfreulich ist, dass im Dezember 2015 ein eigener Kinderrechteausschuss im Bundesrat entstanden ist. Dennoch: In Österreich brauchen wir viel mehr Aufmerksamkeit und einen höheren Stellenwert für Kinderrechte, Rechte, die auch im Leben von Kindern und Jugendlichen spürbar sein müssen. Wie kann es sein, dass, wenn ich in Schulklassen mit Kindern, die meisten ihre eigenen Rechte nicht kennen?

Auch ich selbst habe erfahren dürfen, was für einen unglaublichen Unterschied es macht, die eigenen Rechte zu kennen. Vor über zehn Jahren, als ich 13 war, wurde ich Teil der Jugendbotschafter:innen in Vorarlberg und durfte erleben, dass es sich bei Kinderrechten um so viel mehr als nur um Sätze auf Papier handelt. Sie dienen als Grundgerüst für bedeutsame Beteiligung, als Leitfaden für Politik und Recht, und vor allem als Werkzeug, mit dem Kinder ihre Ideen und Visionen umsetzen können.

Unser Motto war und ist es immer noch: Laber nicht, tu was! Wir wollen vom Reden ins Tun kommen. Wir sind überzeugt davon, dass Kinderrechte und SDGs nur so lange trocken und langweilig sind, bis sie in Workshops und Musicals aktiv erklärt werden oder als Riesenfiguren dargestellt werden.

Wir geben seit Jahren unser Bestes, um aufzuzeigen, in welchen Bereichen die österreichische Politik ihre Hausaufgaben noch besser machen muss. Um zu verdeutlichen, welche Kraft Kinder haben können, haben wir uns mit Severn Suzuki beschäftigt, dem Mädchen, dass auf dem Umweltgipfel 1992, als es zwölf Jahre alt war, die Welt für 5 Minuten zum Schweigen gebracht hat.

In der Schule, im Kindergarten bringt Ihr uns bei, wie wir uns in der Welt verhalten sollen. Ihr lehrt uns, nicht mit anderen zu kämpfen, gemeinsame Lösungen zu finden, andere zu respektieren, unseren Müll wegzuräumen, andere Lebewesen nicht zu verletzen, zu teilen, nicht gierig zu sein. Warum um alles in der Welt tut ihr genau diese Dinge, die ihr uns lehrt, nicht zu tun? – Mit diesen Worten hat sie an die Verantwortung von Erwachsenen appelliert und für die Einhaltung ihrer Rechte, für die Einhaltung der Spielregeln. Genauso tut es die Bundesjugendvertretung, und nicht erst seit der neuen Kampagne „Unsere Rechte, eure Spielregeln“, von der wir heute auch Material mitgebracht haben.

2024 wird die Bundesjugendvertretung diese Rechte im Rahmen des Jahres der Kinderrechte in den Fokus rücken. Doch was bedeutet „Unsere Rechte, eure Spielregeln“? Unsere Rechte meint die Kinderrechte, die Kindern als eigenen Rechtsträger:innen zustehen. Eure Spielregeln meint die Regeln, an die sich die Erwachsenen, die Entscheidungsträger:innen halten müssen. Denn Spielregeln kennen alle, ob Jung oder Alt. Wenn jemand sich nicht an die Spielregeln hält, funktioniert das Spiel nicht – das kennen wir alle.

Bei der Kampagne wurde bewusst diese Sprache gewählt, damit sie nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern verstanden wird. Kinder werden ermutigt, zu sagen: Wir haben Rechte, wir lassen uns nichts erzählen! Den Kindern wird viel erzählt, und Kinder lieben Geschichten, aber wenn es um Kinderrechte geht, braucht es keine Geschichten, es braucht Fakten und Regeln, und diese müssen von den Erwachsenen eingehalten werden.

Wir leben in einer Zeit, in der Kinder weltweit in Krisensituationen aufwachsen. Die Klimakrise ist eine Kinderrechtskrise. Kinder und Jugendliche sehen ihre Lebensgrundlage durch die Klimakrise bedroht und sind bereits heute von den Folgen betroffen. 50 Prozent aller Kinder leben in Ländern, in denen sie einem hohen Risiko an klimawandelbedingten Krisen wie Überflutungen, Dürren oder extremer Hitze ausgesetzt sind. Das globale Artensterben bricht nicht nur das Kinderrecht auf eine sichere, saubere und gesunde Umwelt, sondern wird Ökosysteme weiter belasten und weiterhin weniger anpassungsfähig machen. Doch Kinder und Jugendliche schweigen nicht in Anbetracht dieser globalen Probleme. Sie ziehen in mehreren Ländern vor Gericht, um wirksame Klimapolitik einzuklagen, und fordern lautstark, die Klimakrise einzudämmen.

Auch die Teuerungskrise ist eine Kinderrechtskrise. Durch die Teuerung ist einmal mehr klar geworden, dass die Frage der Herkunft, also wo ein Kind aufwächst und welche Eltern es hat, noch viel aktueller ist als in den vergangenen Jahren, weil sie zu einem großen Teil entscheidet, ob ein Kind zur Zeit die Chance hat, sich bestmöglich zu entwickeln.

Jeder Krieg ist eine Kinderrechtskrise. Wir leben in einer Zeit, in der besonders viele Kinder von kriegerischen Konflikten betroffen sind, viele auf der Flucht sind und sich fern ihrer Heimat ein neues Leben aufbauen müssen – auch hier in Österreich. Laut UNHCR sind von den Millionen Menschen, die zur Zeit auf der Flucht sind, mehr als die Hälfte Kinder.

Doch wir stehen hier nicht vor unveränderbaren Tatsachen. Was junge Menschen jetzt brauchen, sind Perspektiven und die Gewissheit, dass sie darauf vertrauen können, dass die Politik Maßnahmen setzt, um ihre Zukunft abzusichern – egal ob das ihre Bildung, ihre Gesundheit oder das Klima betrifft. Dafür bräuchte es jetzt Maßnahmen wie zum Beispiel sichere Fluchtrouten, aber auch die Unterstützung, wenn Kinder in einem Land ankommen und um Asyl ansuchen. In Österreich heißt das zum Beispiel sicherzustellen, dass die Obsorge für Jugendliche ab Tag eins gewährleistet ist. Es braucht auch Maßnahmen wie eine Friedensagenda, an der die Jugend maßgeblich mitwirkt, oder eine zukunftsfähige Klimapolitik, die in Österreich zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz mit wirksamen Zielen beinhaltet.

Wichtig ist, den kinderrechtlichen Standard immer an den Maßstäben des einzelnen Landes zu messen. Das heißt, dass wir uns in Österreich nicht nur rühmen dürfen, sondern auch darauf schauen müssen, wo wir uns noch weiterentwickeln können. Das zeigt auch immer die Kritik, die vom UN-Kinderrechte-Prüfungsausschuss geäußert wird. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen ist es aber auch erforderlich, bestimmte Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wie erwähnt sind 2011 einzelne Kinderrechte in die Verfassung gehoben worden. Es ist aber klar, dass für die stärkere Beachtung der Kinderrechte, alle Kinderrechte in den Verfassungsrang gehoben werden müssen. Sie sollten alle gleichwertig sein, auch in unserer Rechtsordnung. Außerdem braucht es Kontrollinstrumente, die Kinderrechtsverletzungen im Vorhinein verhindern und die einen Verstoß klar aufzeigen. Das könnte zum Beispiel ein Kinderrechtemonitoring oder eine permanente Kindeswohlkommission sein.

Und eine entscheidende Verbesserung für die Lage der Kinderrechte bedeutet es auch, wenn Österreich das dritte Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Damit hätten Kinder in Österreich die Möglichkeit, sich direkt beim UN-Kinderrechtsausschuss zu melden, wenn es Kinderrechtsverletzungen gibt.

Es braucht, wie vorhin schon angesprochen wurde, mehr Wissen über Kinderrechte – bei Erwachsenen und bei Kindern. Deshalb müssen die Kinderrechte stärker im Lehrplan und in der Pädagog:innenausbildung verankert werden. Auch die breite Bevölkerung muss Bescheid wissen, denn das Wissen über Kinderrechte ist ein ganz zentraler Punkt. Kinderrechte dürfen nicht als Rechte zweiter Klasse behandelt werden, als Rechte, die nur für einen Teil unserer Bevölkerung gelten. Sie sollten die oberste Leitlinie für das politische Handeln sein. Nur so können wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln.

Wenn man sich die aktuellen Krisen anschaut, dann sind die Herausforderungen, die jungen Menschen ein gutes Aufwachsen erschweren, gerade größer denn je, denn wir erleben, dass die Rechte von Kindern tagtäglich verletzt werden, dass sich Kinderrechtsverletzungen noch viel stärker auf das Leben von jungen Generationen auswirken als zuvor. Deshalb ist es wichtig, die Spielregeln, zu denen sich Österreich verpflichtet hat, einzuhalten.

Was ich festhalten will: Kinderrechte sind keine Handlungsempfehlungen, sondern essenzielle Grundrechte, die ein chancenreiches und gesundes Aufwachsen garantieren. Sie müssen daher für alle Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre in ihrem Leben spürbar sein und umgesetzt werden. All die Herausforderungen können wir nur lösen, wenn junge Menschen dort mit am Tisch sitzen, wo Entscheidungen getroffen werden, und zwar auf nationaler, regionaler, aber auch auf internationaler Ebene.

Doch was wäre eine Rede über Kinderrechte, ohne Kinder zu Wort kommen zu lassen? Kinder der Volksschule Puchkirchen haben sich überlegt, wie sie sich eine gute Welt und Zukunft vorstellen und gemeint: Eine Welt, in der ich gut wachsen kann und alle eine Chance haben, ist, wenn Tiere gut versorgt werden und Natur geschützt wird, wenn Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben, wenn Frieden ist, wenn Menschen sich gegenseitig helfen und alle zusammenhalten.

Unsere Aufgabe ist es, diese Version der Welt Realität werden zu lassen. Was es jetzt braucht, ist Mut von Erwachsenen, die Spielregeln einzuhalten, Mut, ins Tun zu kommen. Es braucht Mut, damit die Zukunftsvisionen von Kindern Wirklichkeit werden. Es braucht Mut, Kinder und Jugendliche auf diesem Weg mitzunehmen. Ich verspreche Ihnen, Sie werden so viele begabte, motivierte und langfristig denkende Weggefährt:innen haben, wenn Sie aktiv mit uns an der Stärkung und Umsetzung der Kinderrechte arbeiten. – Vielen Dank. (Beifall.)

Fanny Stapf: Danke, Jana Berchtold.

Ich glaube, das war ein klarer Appell für Spielregeln für alle. Darüber reden wir gleich noch, vorher können wir das Gehörte kurz verarbeiten. Ich bitte noch einmal um einen großen Applaus für das Trio Eledone und ihr Stück „Silhouette“ und darf auch gleich die Band vorstellen. Das sind nämlich Jonas Kastenhuber, Alex Matheis und Jakob Gschwandtner. Schön, dass ihr da seid! Einen großen Applaus für euch! (Beifall.) Hier kommt das nächste Stück.

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Fanny Stapf: Ich habe noch ein ganz kurzes Quizspiel für Sie alle. Wir haben ganz oft von der UN-Kinderrechtskonvention gehört, kurze Frage: Wie viele Artikel hat sie denn? A: 51, B: 54 oder C: 52? Wer ist für A: 51? – Okay. B: 54? C: 52? – Da sind ein paar sehr mutig. Die meisten haben es gewusst, es sind natürlich 54 Artikel.

Sie beruft sich natürlich auf diverse Prinzipien, wovon ein Prinzip ist: Das Wohl Kindes hat immer Vorrang. Wie das berücksichtigt werden kann, darf ich jetzt gleich hier mit fünf wunderbaren Gästen diskutieren. Ich bitte um einen großen Applaus für Corinna Heinzle, Jugendbotschafterin, die heute spontan eingesprungen ist (Beifall), dann für Ernst Berger, Kinder- und Jugendpsychiater (Beifall), Corinna Geißler, Leiterin von Child Advocacy und Kinderrechte, Unicef Österreich (Beifall), Andrea Holz-Dahrenstaedt, Kinder- und Jugendanwältin des Bundeslandes Salzburg (Beifall) und Eleonora Kleibel, Geschäftsführerin der Bundesjugendvertretung. (Beifall.) – Vielen Dank. Danke, dass ihr alle gekommen seid.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uns auf der Bühne duzen, weil das abseits der Bühne auch alle tun – nur damit Sie im Publikum auch Bescheid wissen.

Corinna, vielleicht fangen wir gleich bei dir an: Wir haben gerade schon einiges von Jana Berchtold in ihrer Keynote gehört. Was genau sind deine Erfahrungen als Jugendbotschafterin, wo sind die größten Herausforderungen? Was könnte man deiner Meinung nach rein theoretisch auch direkt umsetzen, vielleicht auch vonseiten Politik?

Corinna Heinzle (Jugendbotschafterin): Von mir einmal ein herzliches Willkommen! Wir Jugendbotschafter haben dieses Jahr das zehnjährige Jubiläum gefeiert. Wir sind eine Gruppe, die das alles während der Schule, während der Arbeit mit sehr viel Engagement macht, die sich darum bemüht, dass die Kinderrechte visualisiert werden. Ich bin jetzt auch schon eine sehr lange Zeit dabei und ich muss sagen, eine der größten Herausforderungen ist einfach ernst genommen zu werden, gesehen zu werden und dass man uns zuhört.

Da muss ich sagen, dass wir uns in den letzten zehn Jahren schon etwas aufbauen haben können. Wir haben Leute erreicht, die hinschauen, die sagen: Hey, es gibt die Kinderrechte! – Das finde ich schön. Doch es gibt viel, viel mehr Kinder und Jugendliche, die gehört werden wollen, deren Bedürfnisse auch gesehen werden wollen. Ich glaube, die größte Herausforderung ist es, den Jugendlichen zuzuhören, ihnen nicht nur zuzuhören, sondern sie ernst zu nehmen und ihnen auch die Möglichkeit zu geben, mitzureden. Das sind Kinderrechte – das sind nicht unsere Rechte, das sind Kinderrechte, und wir haben sozusagen die Macht, diese auch einzuhalten. (Beifall.)

Fanny Stapf: Danke, Corinna.

Wir haben die Macht, die Kinderrechte einzuhalten. Wir haben gerade vorhin gehört, dass die Herkunft natürlich eine große Rolle spielt, dass der soziale Background eine große Rolle spielt. Jedes fünfte Kind in Österreich ist zum Beispiel armutsgefährdet. Die Statistik Austria beobachtet, dass es immer mehr werden, dass diese Zahl still und heimlich wächst.

Vielleicht kann ich dazu auch gleich die Frage an Sie, Frau Holz-Dahrenstaedt, weiterleiten. Was heißt das denn konkret für junge Menschen? Allein im Bundesland Salzburg sind 23 000 Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Was erleben Sie täglich in Ihrer Arbeit und wie konkret könnte man da als Staat intervenieren oder dem etwas entgegensetzen?

Andrea Holz-Dahrenstaedt (Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg): Ja, sehr gerne. Ich muss zuerst der Rednerin vorhin noch ein Kompliment machen. Es ist alles gesagt worden, dieser flammende Appell war so wunderbar. Das wollte ich unbedingt noch anbringen. (Beifall.) Also großen Applaus, wirklich großes Kompliment.

In unserer Arbeit als Kinder- und Jugendanwaltschaft sind wir eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. Wir bearbeiten 3 000 Einzelfälle pro Jahr in Salzburg und unsere Themenpalette reicht von A bis Z, und A wie Armut.

Zu A wie Armut ein paar Beispiele aus der jüngsten Zeit: eine Jugendliche, die auf dem Boden – dort gab es nicht einmal einen Boden, sozusagen nur einen Estrich – schläft, kein Bett hat; Jugendliche, die zu uns kommen und tatsächlich Hunger haben; Kinder, die zu uns kommen und uns nebenbei erzählen, dass die Mama so schimpft, weil sie sich schon wieder so viele Bücher aus der Bibliothek ausgeborgt haben – das kostet vielleicht 50 Cent oder 20 Cent pro Buch; das ist also unvorstellbar –; oder Kinder, für die die Teilnahme an Schullandwochen unmöglich ist – die Kinder sind einfach krank, damit das nicht zur Sprache kommt. Es ist also von großer Scham geprägt, und alle Kinder, die in Armut leben, sind ausgrenzungsgefährdet, und Armut kränkt.

Es gibt eine Reihe an Maßnahmen, und da möchte ich wirklich die Regierung in die Pflicht nehmen, denn Österreich ist säumig. Es gibt eine EU-Kindergarantie. Österreich hat sich verpflichtet, es gibt einen Regierungsbeschluss, einen einstimmigen Ministerratsbeschluss, diese Kindergarantie umzusetzen, um soziale Ausgrenzung von Kindern zu verhindern, um Kindern viele Dienstleistungen kostenfrei zu ermöglichen, frühkindliche Bildung kostenfrei zu ermöglichen – den Zugang zu Bildung, aber auch die Teilnahme am Schulskikurs –, ein warmes Mittagessen, täglich ein gesundes, warmes Mittagessen zur Verfügung zu stellen und einen kostenlosen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, um nur vier zu nennen.

Dieser Nationale Aktionsplan hätte, wenn ich es richtig im Kopf habe, im März 2022 vorgelegt werden müssen. Bis jetzt wurde er nicht vorgelegt. Da stehen so viele Maßnahmen drinnen, was man tun soll, auf die man sich hätte einigen können. Ich bin jetzt seit genau 30 Jahren in der Kinder- und Jugendanwaltschaft – das ist eine so lange Zeit, ich überblicke ein langes Zeitfenster – und ich bin manchmal erschüttert darüber, in welchem Schneckentempo wir uns bewegen.

Als ich angefangen habe, ging es bei einigen der ersten Jugendlichen, die bei uns waren, um Unterhalt und Unterhaltsvorschuss und um diese Mühlen der Bürokratie und wie umständlich das ist. Das ist zu komplex, um darüber viele Worte zu verlieren. Dieses Thema haben wir nach wie vor. Die Hälfte aller unterhaltsberechtigten Kinder bekommt keinen angemessenen Unterhalt. Und da hätten wir so viele Möglichkeiten: die Reform des Unterhaltsrechts, die Unterhaltsvorschussreform, über die Sozialhilfe, betreffend die soziale Unterstützung, die tatsächlich nicht das gebracht hat, was sie versprochen hat. Warum beantragen in Salzburg oder eigentlich österreichweit viel weniger junge Menschen oder Familien diese Sozialhilfeunterstützung? – A: die Scham, B: die mangelnde Information, und C: so viele Hürden, zum Beispiel, dass die Einkommensgrenze gerade so ist, dass sie es dann doch nicht bekommen. Wir haben viele Fälle, denen wir das nahegelegt haben, die haben sie aber dann nicht bekommen.

Und dann vielleicht ein letzter Punkt, neben der Sozialhilfeunterstützung wäre eine Kindergrundsicherung sozusagen ein wunderbares Ziel. Gott sei Dank gibt es jetzt eine Kinderkostenanalyse, die sagt, ein Kind braucht 900 Euro monatlich, da sind alle Wohnungskosten miteingerechnet. Diese Sicherungsmaßnahmen bräuchte es, diese nicht stigmatisierenden Leistungen. Da reden wir von einem warmen Mittagessen. Es kommen so viele Kinder ohne Frühstück in die Schule. Es bräuchte also ein Frühstück, ein Mittagessen, gratis Bibliotheken ohne Leihgebühr, gratis Museen für Kinder, gratis Öffis und so weiter.

Wir haben eine Umfrage – und dann bin ich schon am Ende mit meiner ersten Wortmeldung – unter Salzburgs jugendlichen Mädchen gemacht: 17 Prozent haben gesagt, sie sind schon deshalb einmal der Schule ferngeblieben, weil sie sich die Menstruationsartikel nicht leisten konnten. Viele denken, das sind doch Peanuts, aber das nicht so. Deshalb braucht es kostenlose Menstruationsartikel an allen öffentlichen Einrichtungen. Das wäre auch so ein kleiner Punkt, um viele Kinder und Jugendliche aus einem stigmatisierenden Eck zu holen.

Die Kinderrechtskonvention gibt da ganz, ganz, ganz viel vor. Viel davon ist genannt worden. Beim Recht auf einen angemessenen Lebensstandard geht es um keine Luxusgüter, sondern das heißt wirklich, alle Kinder müssen alles für ein gesundes Aufwachsen Nötige haben. Diese 54 Artikel müssen allen gleichermaßen zugutekommen. Das Recht auf Freizeit und Spiel, um nur eines zu nennen, beinhaltet auch keine Hüpfburgen, sondern ist sozusagen essenziell für die Kinder und Jugendlichen. So viele Kinder und Jugendliche sind davon ausgeschlossen.

Ob Bund, ob Land: Alle können dazu beitragen. Die Maßnahmen liegen am Tisch. Wir müssen sie umsetzen.

Fanny Stapf: Du hast die Kindergrundsicherung erwähnt. Die ist ja zum Beispiel in Deutschland gerade Thema, sie soll dort umgesetzt werden.

Eleonora, du hast auch gerade heftig genickt. Würde so etwas in Österreich funktionieren? Würde das Sinn machen? Welche Maßnahmen könnte man sonst setzen – außer denen, die wir jetzt gerade gehört haben?

Eleonora Kleibel (Geschäftsführerin der Bundesjugendvertretung): Das ist etwas, wofür wir uns und ganz viele Experten und Expertinnen sich auf jeden Fall aussprechen: dass es auch in Österreich eine Kindergrundsicherung gibt. Ich würde vielleicht noch dazustellen – was auch ganz wichtig ist –: Kinderarmut ist nicht eine kurzfristige Einschränkung, sondern kann lebenslange Auswirkungen haben. All denen, denen das Argument, dass wir die Kinderrechtskonvention einhalten sollen, nicht genügt, kann man auch sagen, es ist echt auch einfach eine knallharte volkswirtschaftliche Frage.

Letzte Woche hat uns die OECD ausgerechnet, es kostet Österreich 17,2 Milliarden Euro im Jahr, und das ist einfach nur wieder ein weiterer Beweis dafür, dass jeder Euro, den wir in Kinder investieren, den Kindern individuell natürlich irrsinnig viel bringt. Das ist, finde ich, das Allerwichtigste. Für alle, die auch noch quasi ein zweites Argument brauchen: Es bringt uns auch allen tatsächlich volkswirtschaftlich etwas. Das darf man auch nicht außer Acht lassen.

Zur Kindergrundsicherung: Das wäre auf jeden Fall etwas, das man sich für Österreich anschauen kann. Da gibt es auch Modelle, die bereits vorgestellt wurden. Was ich da ganz wichtig finde, ist, dass man auch anerkennt, dass Armut sich ganz unterschiedlich äußern kann. Armut hat viele Gesichter. Das bedeutet auch, dass man bei der Einführung einer solchen Kindergrundsicherung ein breites Indikatorenset anwenden müsste, also sich anschauen müsste, was Armut im jeweiligen Kontext bedeutet, weil das ganz unterschiedlich sein kann.

Direkte Transferleistungen – finanziell abgesichert zu sein – sind wichtig, aber die sind nur ein Baustein. Das ist auch etwas, das wir in den Krisenjahren der letzten Jahre jetzt gesehen haben. Die vielen Transferleistungen waren natürlich wichtig, aber im Bewusstsein der Menschen sind sie nicht so richtig angekommen.

Weil du auch die Unterhaltsgarantie erwähnt hast: Von den Armutsbetroffenen – das haben wir schon gehört, jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen oder bedroht – sind Kinder in Einelternfamilien ganz besonders gefährdet, und da wäre eine ganz klare Maßnahme, über die alle Bescheid wüssten, die man einfach nur umsetzen müsste, eine Unterhaltsgarantie, um diese ganz besonders betroffene Gruppe der Kinder in Einelternfamilien einfach abzusichern.

Was aber auch wichtig ist, ist, dass es die entsprechenden Maßnahmen und auch die entsprechende Infrastruktur gibt, also zum Beispiel gut erreichbare öffentliche Verkehrsmittel oder angemessenen Wohnraum. Es ist zwar super und total begrüßenswert, dass Sozialleistungen jetzt valorisiert worden sind, aber diese 20 Euro mehr bringen mir nichts, wenn der angemessene Wohnraum einfach nicht zur Verfügung steht.

Deshalb, finde ich, ist es nicht nur für die Politik wichtig, ein breites Verständnis von Armutsbetroffenheit zu haben, nicht ein stigmatisierendes. Das ist auch in unserem Diskurs über Armut, finde ich, sehr wichtig. Wir haben dieses Beispiel, dass Armut eben auch bedeuten kann: Ich kann mir kein warmes Mittagessen leisten!, in den letzten Monaten ausführlich diskutiert. Das kann zutreffend sein und ist gravierend, aber es ist vielleicht nicht zutreffend für eine armutsbetroffene Familie, die im ruralen Raum lebt, wo Armutsbetroffenheit sich so äußert, dass ich mir Verkehrsmittel nicht leisten kann, kein Auto leisten kann, und sich meine Armutsbetroffenheit damit in fehlender Teilhabe äußert.

Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges, das es in der Armutspolitik allgemein, aber auch bei einer Kindergrundsicherung, die wir natürlich begrüßen würden, zu beachten gibt.

Fanny Stapf: Es wurden die Kindergrundsicherung und vor allem auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr genannt. Gibt es denn noch Länder, die man sich ein bisschen als Beispiel nehmen könnte, Corinna? Wenn man zum Beispiel Finnland und Dänemark heranzieht: Die haben eine sehr niedrige Kinderarmutsquote. Woran liegt das, dass es dort zum Beispiel besser funktioniert?

Corinna Geißler (Leitung Advocacy & Kinderrechte von UNICEF Österreich): Wir schauen uns natürlich auch immer ganz genau an, was sich in anderen Ländern tut. Unicef hat da auch gerade in Bezug auf die EU-Kindergarantie Pilotprojekte durchgeführt und Maßnahmen ausgetestet. Gerade in den nordischen Ländern zum Beispiel, aber auch in anderen, sieht man, um jetzt ein Thema herauszugreifen, den starken Fokus auf die frühen Jahre. Die frühkindliche Bildung und Erziehung, die Elementarpädagogik ist oft ein Schlüssel, um wirklich dann auch langfristig, wenn die Kinder älter werden, die Basis zu legen.

Ich habe vor Kurzem gehört, dass Irland sich auch ministeriumsübergreifend eine Kampagne überlegt hat, die nennt sich First Five. Ich finde das ganz schön, das kann man sich gut merken. First Five steht für die ersten fünf Lebensjahre. In Irland hat man sich ein koordiniertes Vorgehen zwischen den Ressorts ausgemacht hat, weil, das sehen wir global auch in den Unicef-Berichten, diese ersten Lebensjahre entscheidend sind, was Gesundheit angeht, was Bildung angeht, was Ernährung angeht. Da entwickelt sich das Gehirn noch ganz stark. Wenn man gesund und gut ernährt ist, ist das eine Grundlage, die einem später nicht genommen werden kann.

In Österreich hat Unicef aktuell auch ein Beratungsprojekt mit dem Bildungsministerium am Laufen, in dem es darum geht, die Arbeitsbedingungen und auch die Qualitätsstandards in der österreichischen Elementarpädagogik zu stärken. Ich erzähle das hier ganz bewusst, weil die Rolle der Länder da natürlich auch ganz wichtig ist, um an einem Strang zu ziehen und diese Schlüssellebensphase auch in Österreich zu stärken.

Fanny Stapf: Du hast gerade gesagt, essenziell sind eben die First Five, essenziell ist der Anfang. Was heißt das denn langfristig für einen jungen Menschen, wenn man wirklich in Armut aufwächst und mit dem Stigma – was Eleonora vorhin angesprochen hat – umgehen muss? Was bedeutet das psychologisch für den Lebensweg eines Menschen?

Ernst Berger (Universitätsprofessor und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie): Wenn wir auf die psychischen Auswirkungen von Armut, von Ausgrenzung schauen – jetzt einmal ganz unabhängig von der langfristigen Perspektive in der unmittelbaren Situation –, dann darf man nicht vergessen, dass all die Beispiele, die Andrea zuerst schon gebracht hat, Folgen haben. Die Nichtteilnahmemöglichkeit an sozialen Aktivitäten – früher hat man immer vom Skikurs geredet; ich glaube, den gibt es immer seltener, weil es keinen Schnee mehr gibt, aber es gibt natürlich andere durchaus kostenpflichtige Aktivitäten, schulische Aktivitäten, aber auch außerschulische Aktivitäten, die sich Kinder in Armutsgefährdungssituationen leisten können – hat Folgen.

Was heißt das für ein Kind, wenn es an Aktivitäten, die der Freundeskreis, die Klasse gemeinsam unternimmt, nicht teilnehmen kann? – Das heißt, ein sich permanent wiederholendes Erlebnis von Ausschluss, von Nicht-dabei-sein-können. Das hat natürlich psychische Konsequenzen, auf die die Kinder unterschiedlich reagieren. Die einen ziehen sich zurück, verstärken dadurch noch ihre soziale Isolation, die anderen reagieren mit aggressiven Verhaltensweisen, mit sogenanntem extrovertierten Verhalten, wie wir das in der Kinderpsychiatrie nennen. Das sind dann die Probleme, die in der Zeitung auftauchen: Gewalt in der Schule!, Was tut man gegen Gewalt in der Schule? – Als ob das ein losgelöstes Phänomen sei, das nichts mit dem Leben der Kinder zu tun hat.

Natürlich sind unter anderem solche Erlebnisse des Ausgeschlossen-seins, des Nicht-teilhaben-können Elemente, die zu diesen Problemen führen. Wir wissen das seit Jahrzehnten, das ist nichts Neues. Was ich Ihnen hier erzähle, ist nichts Neues. Auch was Andrea erzählt, sind Dinge, die wir kennen. Das ist eigentlich das Bedrückende an der Tatsache. Wenn wir gefragt werden: Was kann man dagegen tun?, denke ich mir immer wieder: Das ist so evident, das liegt auf der Hand, was man dagegen tun kann. Man muss es nur konkret tun.

Wenn dann von den Spitzen der Politik die Tatsache von Kinderarmut negiert wird und gesagt wird: Das gibt es eigentlich gar nicht!, Das ist eine Fiktion!, dann ist es ja kein Wunder, wenn die Jugendlichen zu einem hohen Prozentsatz sagen, sie fühlen sich von der Politik nicht vertreten, denn ihre eigene Lebensrealität wird dort nicht wahrgenommen. Man weiß, was man tun soll, aber man tut es nicht, weil - - – da könnte man jetzt viel dazu fantasieren, aber das wären dann politische Aussagen.

Ich habe immer das Gefühl, dass sich in den letzten zehn Jahren zum Thema Kinderrechte einiges geändert hat. Alleine die Tatsache, dass wir hier heute bei einer Veranstaltung im Parlament sitzen, ist ja ein Ausdruck davon. Es gab eine ähnliche Veranstaltung vor ein paar Jahren, eine Enquete des Bundesrates, die das auch schon in den Vordergrund gestellt hat. Wenn ich mir auf der einen Seite die Kinderrechtskonvention und auch das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern anschaue, die eigentlich sehr konkrete Bestimmungen enthalten, auf der anderen Seite aber auf die Realität blicke, dann habe ich immer den Eindruck, Kinderrechte werden, auch wenn heute mehr darüber geredet wird, als Abstraktum und nicht als Konkretum wahrgenommen, nicht als ein konkretes Recht, zum Beispiel einen Psychotherapieplatz zu bekommen in Zeiten, in denen psychische Belastungen für Kinder und Jugendliche massiv zunehmen, als ein Anrecht darauf – mein Fachgebiet betreffend –, in der Kinderpsychiatrie Versorgungsstrukturen in ganz Österreich zu haben.

Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann sehen wir, dass insbesondere im ambulanten Bereich der Bedarf nicht einmal zu einem Drittel beziehungsweise etwa zu einem Drittel gedeckt ist. Im stationären Bereich ist es spurenweise besser, dort ist es knapp die Hälfte. Es gibt das Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie seit 2007 und es ist in all diesen Jahren nicht gelungen, ein auch nur halbwegs ausreichendes Angebot zur Bedarfsdeckung zu entwickeln.

Ich darf noch ein Beispiel nennen: Die Rechte von Kindern stehen in der Bundesverfassung, es gilt das Vorrangprinzip. Ich kenne aus meiner konkreten Arbeit viele, viele Situationen, in denen Verwaltungsinstitutionen, die den Auftrag haben, das Leben von behinderten Kindern zu sichern, indem sie das Pflegegeldgesetz anwenden, Bestimmungen, die in den Verordnung stehen, einfach ignorieren. Das findet dann seinen Niederschlag in der Feststellung des UN-Kinderrechteausschusses, der in seinen letzten General Comments festgestellt hat, dass in Österreich behinderte Kinder noch immer als Bittsteller und nicht als Träger von Rechten behandelt werden. All das sind Probleme, die uns nach wie vor, und das schon seit vielen Jahrzehnten, beschäftigen.

Fanny Stapf: Andrea, ich glaube, du wolltest vorhin noch etwas dazu sagen.

Andrea Holz-Dahrenstaedt: Ja, ich wollte sozusagen noch ein Narrativ, das wir auch ändern sollten, anführen, nämlich dieses Narrativ: Wer arm ist, ist selber schuld. Das ist so ein bisschen in der Gesellschaft verbreitet und dem möchte ich einfach entschieden entgegentreten, weil Armut vererbt ist. Es gibt so viele Familien, die sich abrackern und es reicht nicht.

Natürlich ist eine Elternverantwortung da, das ist keine Frage, aber der Staat hat dadurch, dass er die Kinderrechtskonvention unterzeichnet, abgestempelt und besiegelt hat, die Fürsorgepflicht übernommen. Die Fürsorgepflicht des Staates ist da, um die Eltern zu unterstützen, damit sie gute Eltern sein können. Deswegen verwehrt sich in mir etwas so richtig sperrig, merke ich, wenn dieses Selber-Schuld-Narrativ kommt. Und dem, finde ich, müssen wir uns als Gesellschaft auch stellen, damit das dann auch nicht noch in diese Versagensecke gedrängt wird.

Fanny Stapf: Ja, gerne Corinna.

Corinna Heinzle: Ich würde noch gerne die Stimme der Jugendlichen nennen, weil es, wie wir gehört haben, das Problem schon länger gibt. Wir Jugendlichen in Vorarlberg haben das selber gemerkt. Wir haben das selber in die Hand genommen und wir haben in unserer Freizeit probiert Workshops zu machen, präventiv in Schulen zu arbeiten, zu thematisieren, was psychische Gesundheit heißt.

Wir probieren in unserer Freizeit, dieses Thema bei uns weiterzubringen, glaube ich, dass es auch einfach an der Zeit ist, da die Maßnahmen zu sehen, zu entdecken und auch etwas dagegen zu machen. Die Jugendlichen sehen selber, dass es eine schwere Zeit ist und sie möchten selber, dass die Maßnahmen umgesetzt werden. Ich wollte einfach nur noch einmal zeigen, dass auch die Jugendlichen die Probleme sehen und Änderungen haben möchten.

Fanny Stapf: Es wurde eh gerade von Ernst erwähnt: Es schauen 81 Prozent der jungen Menschen pessimistisch in die Zukunft. Zu diesem Gefühl der Frustration oder auch Einsamkeit – suizidale Gedanken steigern sich ja auch bei jungen Menschen – kommt jetzt noch die Klimakrise dazu. Was merkst du im Austausch mit Gleichaltrigen, mit Jüngeren? Wie sehr beschäftigt sie das gerade und wie viel Angst macht das manchen vielleicht auch?

Corinna Heinzle: Ich glaube, die Angst ist da ziemlich groß. Man kann die Klimakrise sehen und es ist so: Es gibt derzeit keine Perspektive. Die Jugendlichen geben so viel Zeit neben der Bildung, die sie machen möchten, neben der Schule, neben allem, und ich glaube, die größte Herausforderung, das größte Problem ist, dass es keine Perspektive und keinen Halt gibt.

An was sollten sie sich noch halten, wenn das letzte eigentlich die Hoffnung ist, dass etwas gemacht wird? Und ich glaube, dass es eigentlich sehr - - – Okay, gut oder schlecht, aber die Jugendlichen und die Kinder sind da, sie sehen es und sie wollen etwas ändern.

Ich glaube, wir müssen einfach alle gemeinsam schauen, dass es eine Perspektive gibt, weil bei jedem Einzelnen die Hoffnung irgendwann vielleicht auch verloren geht. Und das wäre zu schade, denn die Jugendlichen haben echt viel Power dahinter.

Fanny Stapf: Power haben zum Beispiel auch die zwölf Kinder und Jugendlichen gezeigt, die eine Klimaklage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht haben. Eleonora, ist das the way to go, um sich gegen dieses Ohnmachtsgefühl zu wehren und eben auch um ein Zeichen zu setzen? Was gibt es neben aktiv zu werden noch für Optionen?

Eleonora Kleibel: Ich glaube, junge Menschen haben uns in den letzten Jahren eine Bandbreite gezeigt, was man machen kann. Es wurden riesige Demonstrationen abgehalten und Gerichte angerufen. Manche haben sich auch zu drastischeren Protestmaßnahmen hinreißen lassen, weil sie sich nicht gehört gefühlt haben.

Wir haben letztes Jahr einen Beteiligungsprozess mit über 1 500 jungen Menschen in Österreich zum Thema nachhaltiges und inklusives Europa gemacht, und da haben drei Viertel gesagt, sie fühlen – mit Blick auf dieses Thema – nicht gehört. Drei von vier: Das ist echt richtig erschreckend. 75 Prozent sagen, sie fühlen sich von der Politik nicht gehört, was das Thema Klima betrifft. Und was ich fast noch erschreckender finde, ist, dass 60 Prozent sagen, sie haben auch gar keine Hoffnung, dass sich das ändert.

Ich finde, das sollte uns wirklich zu denken geben. Man spricht über die Zahlen jetzt auch schon irgendwie so: Ah, über 80 Prozent fühlen sich nicht ernst genommen, fühlen sich nicht gehört! Ich finde, das ist wirklich ein ganz massiver Auftrag an uns als Gesellschaft, an die Institutionen, weil es da ja nicht nur um das Thema geht, sondern auch um ganz grundlegende Fragen unseres Zusammenlebens, wie wir uns als Gesellschaft organisieren, um unsere Demokratie. Ich finde, es ist auf vielerlei Arten ein Weckruf.

Zum Thema Klima und Nachhaltigkeit hat der UN-Kinderrechtsausschuss im Herbst das General Comment 26 veröffentlicht und damit Staaten eine sehr konkrete Handlungsanweisung gegeben und zum Ausdruck gebracht, dass Klimaschutz sehr wohl auch ein Kinderrecht ist. Zum Beispiel das Recht auf Gesundheit, das haben wir heute auch schon genannt, das Recht auf gute Entwicklung, aber zum Beispiel auch das Recht auf Freizeit und Spielen, das ja auch ganz essenziell ist – das alles sind Rechte, die gefährdet sind, wenn die Temperaturen steigen, wenn es zu einem Biodiversitätsverlust kommt.

Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir dieses Thema nicht immer nur als Zukunftsthema behandeln. Ich meine, wir spüren das ja jetzt auch alle – also jetzt wird es langsam Winter –, wir haben alle irrsinnig heiße Sommer erlebt und es ist natürlich auch ein Thema, dass das vulnerable Gruppen ganz besonders trifft. Da gehören Kinder dazu, da gehören Armutsbetroffene dazu. Dem müssen wir uns widmen. Auch da gibt es ganz viele Maßnahmen, die eigentlich schon am Tisch liegen würden. Da muss man schon auch verstehen wenn junge Leute - -

Du hast vorhin von Schneckentempo gesprochen: Das fühlt sich natürlich wenn man zwölf ist anders an, dass man zwei Jahre auf ein Gesetz warten muss. Das ist natürlich im politischen Prozess ganz normal. Wie lange hat das General Comment gebraucht? – Ich glaube, das ist mindestens sieben Jahre diskutiert worden. Das sind natürlich Zeitspannen, die da zustande kommen, die aber demokratische Prozesse brauchen, aber man muss auch verstehen, für Kinder und Jugendliche ist das eine Ewigkeit.

Fanny Stapf: Du hast gerade gesagt, es gibt eben den neuen UN-Kinderrechtsausschuss mit den neuen Leitlinien. Vielleicht Corinna, vonseiten von Unicef, was genau würde das denn für die Staaten bedeuten? – In puncto Verwirklichung von Kinderrechten durch gesunde Umwelt. Was heißt denn das und wie hat das denn wirklich Niederschlag in der Realität?

Corinna Geißler: Ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen. Gerade in Bezug darauf, wie relevant das Thema jetzt schon ist: Ich finde es toll, dass viele auch schon erkannt haben, das ist ein Thema, das unsere Kinder betrifft – aber eben jetzt schon, nicht nur in der Zukunft. Das bricht dieser Generale Kommentar oder General Comment auch ganz gut herunter, welche Lebensbereiche das betrifft.

Es ist eigentlich teilweise auch ganz banal. Aus Unicef-Sicht kennen wir natürlich auch ganz viele Geschichten von Ländern, die noch stärker vom Klimawandel betroffen sind, wie jetzt durch Überschwemmungen oder Wirbelstürme. Ein konkretes Beispiel: In Malawi haben wir ein Projekt besucht, wo durch solarbetriebene Wasserpumpen die Wasserversorgung in Schulen sichergestellt ist. Durch diese Naturkatastrophen können Kinder dann jahrelang Schulbildung verlieren, weil sie nicht in die Schule gehen können. Wenn es dort kein Wasser gibt, kann man sich nicht die Hände waschen, nicht aufs WC gehen – das bedeutet keine Schulbildung. Das sind wirklich ganz einfache Lebensfragen, die aber jahrelange Auswirkungen für Kinder haben.

Genauso aber auch bei uns: Wir haben im Sommer mit den Hitzewellen ein Problem. Wenn Kindern in der Schule zu heiß ist, können sie sich nicht konzentrieren, genauso aber hat das auch gesundheitliche Auswirkungen. Was man auch dazusagen muss: Kinder sind überproportional betroffen – also auch von Luftverschmutzung oder Hitzewellen –, sie spüren die körperlichen Auswirklungen stärker als Erwachsene.

Aus unserer Sicht ist ganz konkret wichtig, dass auch in der Klimapolitik in den Maßnahmen, die ja schon in Erarbeitung sind, Kinder ins Zentrum gestellt werden: ob das jetzt in Österreich der Nationale Energie- und Klimaplan ist, oder – jetzt auch ganz aktuell – bei der Klimakonferenz, die ja diese Woche beginnt, der Global Stocktake oder die Maßnahmen, bei denen es um internationale Solidarität geht. Dort muss ein Fokus auf Projekte und Maßnahmen für Kinder gesetzt werden.

Vielleicht noch ganz kurz, der Kreativwettbewerb Denk dir die Welt wurde ja vorhin schon ein paar Mal erwähnt: Letzte Woche haben wir den Ideenkatalog druckfrisch an unsere Klimaministerin übergeben und sie gebeten, die Ideen der österreichischen Kinder und Jugendlichen zur Klimakonferenz mitzunehmen, weil auch da der Klimawandel das Thema Nummer eins war.

Fanny Stapf: Der Klimawandel kann eben auch ein bissl ein panisches Gefühl auslösen. Man sagt, man soll bei jungen Menschen ein bisschen anders mit dem Thema umgehen oder anders mit ihnen darüber reden. Was ist denn von psychologischer Seite sinnvoll, ohne, sagen wir jetzt einmal, Volksschülerinnen und Volkschülern komplett Angst vor der Zukunft zu machen? Wie kann man als Elternteil, aber eben auch als Politikerin und Politiker überhaupt darüber sprechen?

Ernst Berger: Aus der Perspektive der Kinderpsychiatrie und Kinderpsychotherapie ist das natürlich ein Thema, wenngleich auch kein unmittelbar greifbares. Die Kinder kommen nicht mit der Aussage: Ich fürchte mich vorm Klimawandel!, in die Psychotherapie. Wenn wir bei psychischen Problemen von Kindern und Jugendlichen mehr in die Tiefe graben und dort nach Ängsten und nach den Ursachen von Ängsten suchen, dann stoßen wir natürlich auf diese Zusammenhänge.

Vordergründig einmal ist es nicht mein primäres Thema als Kinderpsychiater, aber ich sitze hier ja auch für das Netzwerk Kinderrechte, und als Netzwerk Kinderrechte setzen wir uns natürlich mit dieser Frage auseinander. Wir unterstützen alle diese Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen – von Jugendlichen hauptsächlich –, im Zusammenhang mit Klimaprotesten.

Wir halten das auch für eine ganz essenzielle Frage. Ich war ja Mitglied der heute schon genannten Kindeswohlkommission, wo wir ja mit dem Thema Migration und Flucht von Kindern und Jugendlichen befasst gewesen sind. Ich bin immer wieder erstaunt bis erschüttert, wie wenig der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Migration und Flucht überhaupt diskutiert wird. Auch dort ist es nicht so, dass das ein vordergründiges Thema ist. Wenige Menschen, die auf der Flucht sind, kommen und sagen: Ich bin deswegen geflohen und versuche nach Europa zu kommen, weil es in meinem Land nichts zum Essen gibt aufgrund des Klimawandels!

De facto aber ist es natürlich so, dass in vielen Regionen der Welt aufgrund des Klimawandels soziale Probleme und damit politische Probleme entstehen. Die sind dann die unmittelbare Ursache von Flucht und Migration. Dieses Thema wird uns in den kommenden Jahrzehnten noch viel, viel mehr beschäftigen. Wenn wir das in Europa ignorieren, dass der Klimawandel sich bei uns unter anderem so auswirkt, dass wir nicht nur einen heißen Sommer haben, sondern dass Menschen vor dem Klimawandel in ihren Weltregionen hierher flüchten, dann machen wir die Augen zu und stecken den Kopf in den Sand – wie der sagenhafte Vogel Strauß.

Fanny Stapf: Darf ich da noch kurz etwas nachfragen: Wie gehe ich konkret damit um oder wie spreche ich mit einem Kind über den Klimawandel?

Ernst Berger: Das ist nicht einfach, weil die wesentlichen Ansätze in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern, die mit Ängsten kommen, darin bestehen, dass wir versuchen müssen, ihnen ihre eigene Handlungskompetenz zu vermitteln, ihnen zu vermitteln, dass sie den Dingen nicht hilflos ausgesetzt sind.

Insofern müssen wir dort eine Brücke schlagen, die letztlich über die Beteiligung an Protestaktionen geht. Wenn ich den Kindern vermittle: Das, was du hier in Österreich tun kannst, ist nicht auf der großen Ebene den Klimawandel zu verhindern, aber das, was du tun kannst und wo deine Handlungsmöglichkeit und deine Handlungskompetenz liegt, ist dich in deiner Gruppe daran zu beteiligen, gegen diese Dinge zu protestieren und zu versuchen auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen!, ist das der Ansatz, den wir in der Psychotherapie in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickeln können.

Fanny Stapf: Eleonora, du wolltest noch etwas sagen.

Eleonora Kleibel: Genau, ich wollte da anschließen. Ich finde das ganz wichtig. Dieses Ohnmachtsgefühl ist ja gerade beim Thema Klima gegeben, aber zum Beispiel auch bei den kriegerischen Konflikten, die wir gerade auf der Welt sehen. Beides sind ja Themen, die die heute schon zitierte Ö3-Studie als die zwei Topsorgen von jungen Menschen ausgemacht.

Dass sie sich einbringen können und gehört werden, was du ja auch schon gesagt hast, ist einfach total wichtig und daher auch ein Kinderrecht, nämlich das Recht auf Mitsprache. Das heißt auf der anderen Seite aber auch, dass sie ernst genommen werden und tatsächlich auch in die Umsetzung gegangen wird bei dem, was Kinder und Jugendliche äußern. Das ist quasi die andere Seite der Medaille. Sich einzubringen ist das eine, es muss aber auch bei einem Adressaten ankommen.

Als Bundesjugendvertretung haben wir tatsächlich genau in diesem Raum hier im Frühjahr den Klimajugendrat durchgeführt, wo circa 100 junge Leute aus ganz Österreich für drei Tage zusammengekommen sind, ihre Anliegen vorgebracht haben und diese dann auch Abgeordneten vom Nationalrat übergeben haben.

Es ist ein ganz großartiger Forderungskatalog, an dem man auch sieht, junge Leute denken irrsinnig vernetzt über globale Zusammenhänge, über Auswirkungen nach. Ich kann nur allen ans Herz legen, das mitzunehmen, dass es sich einfach auch auszahlt, Kinder und Jugendliche selbst zu fragen, was sie brauchen.

Fanny Stapf: Andrea.

Andrea Holz-Dahrenstaedt: Ich finde, das ist auch etwas, das Hoffnung gibt, nämlich dass sich die Kinder und Jugendlichen so artikulieren. Es ist traurig, dass es so sein muss, dass es – Kinder, Küche, Kirche waren früher die drei Ks, jetzt haben wir Kriege, Katastrophe, Klima, Krisen – diese drei Ks sind, zu denen sich die Kinder und Jugendlichen so artikulieren und zu Wort melden müssen. Dieses Selbstbewusste Auftreten und Eintreten dafür, finde ich, ist etwas, das aber auch sehr ermutigenden ist.

Zum Bashing von Klimaaktivist:innen: Man kann über diese Maßnahmen trefflich streiten, es ist schon viel darüber gesagt worden, aber ich finde, wir verdrängen da etwas oder es ist so ein Bild entstanden, als würden wir uns aufregen, dass ein Bild schief hängt und nicht gerade, anstatt dass wir das untergehende Schiff retten. Das ist ein bissl ein Ablenkungsmanöver, finde ich, von dem tatsächlichen K, das uns alle so betrifft.

Der Kinderrechtsausschuss – noch ein K – hat schon 2020, ich war selbst in Genf, und wir als Kinder- und Jugendanwaltschaft haben damals schon in Österreich das Recht auf intakte Umwelt gefordert. Ich kann mich erinnern, ich bin dafür noch ausgelacht worden. Es gab dann aber 2020 diese Concluding Observations, diese Empfehlungen vom Kinderrechtsausschuss. Das hat am 12. März 2020 aber niemanden interessiert, da wir da ein anderes K – stimmt nicht ganz – hatten: Corona.

Da hat jedenfalls der Kinderrechtsausschuss schon gesagt: Österreich ist aufgefordert, die Klimaschutzpolitik gemäß den internationalen Verpflichtungen voranzutreiben und die besondere Verwundbarkeit und die Bedürfnisse und die Meinungen von Kindern und Jugendlichen systematisch zu berücksichtigen. Das war 2020. Da waren wir vielleicht noch nicht so weit in der Klimabedrohungshaltung, die wir jetzt alle spüren. Die Zeit schreitet aber voran und jetzt ist es wirklich an der Zeit, zu handeln. Da möchte ich die Forderungen der Kinder und Jugendlichen absolut unterstützen.

Fanny Stapf: Du hast gerade das schöne Wort Hoffnung erwähnt und auch die systematische Berücksichtigung. Vielleicht können wir als Abschlussrunde, weil wir nicht mehr so viel Zeit haben, damit wir mit hoffnungsvollen Worten hinausgehen, noch von jedem von euch so ein bissl einen Wunsch – gemischt vielleicht auch mit einem Appell –, den ihr nach außen tragen wollt, und vielleicht auch einen kurzen Lösungsansatz dazu, hören. Ich weiß, es ist schwierig, aber vielleicht schaffen wir es, das in einer ganz kompakten Endrunde zu machen.

Corinna, ich würde dir als Erster das Wort übergeben, was dein Wunsch und vielleicht auch deine Anforderung ist – etwas wirklich Konkretes vielleicht.

Corinna Heinzle: Wir als Jugendbotschafter äußern den Wunsch gehört zu werden und eben auch berücksichtigt zu werden. Wir machen das genau jetzt: Wir reden über die Kinder. Aber warum reden wir nicht einfach vermehrt mit den Kindern darüber, um was es geht?

Mein oder unser Wunsch wäre es, mit ihnen zu reden, sie auch einzubinden und nicht immer nur über sie zu reden. (Beifall.)

Fanny Stapf: Nicht nur über sie zu reden – das ist ein wichtiger Punkt.

Unicef probiert das ja immer wieder, vor allem auch mit diesem Wettbewerb. Corinna, was wäre dein Wunsch?

Corinna Geißler: Ich schließe mich da an: Kinder einbinden und dann tatsächlich auch handeln.

Ich lese zum Abschluss einfach noch ein Zitat vor, das uns erreicht hat, von Niko, der acht Jahre alt ist: Ich bin zu schüchtern, um meine Wünsche laut rauszuschreien. Durchs Zeichnen konnte ich zeigen, was mir wichtig ist. Es war sehr schön, dabei sein zu können. Es ist gut, dass Erwachsene auch einmal auf Kinder hören. (Beifall.)

Ernst Berger: Ich greife für dieses Abschlussstatement auf meine unmittelbare Profession und auf meinen unmittelbaren Arbeitsbereich als Kinderpsychiater zurück. Da du sagst, du willst das als hoffnungsvolle Perspektive formuliert hören, sage ich: In fünf Jahren hoffe ich, dass ich nicht mehr darüber klagen muss, dass es zu wenig Hilfsangebote für Kinder und Jugendlichen in psychischen Krisen und mit psychischen Problemen gibt. (Beifall.)

Fanny Stapf: Sehr schöner Wunsch, sehr ambitioniert, wenn wir uns die letzte Zeit anschauen.

Eleonora Kleibel: Ich glaube, wir haben total viele Dinge aufgemacht. Ich tue mir schwer, das so zu beantworten, aber ich glaube, mein Wunsch wäre auch, dass Kinder und Jugendliche mehr im Fokus stehen und nicht immer nur so ein Afterthought sind. Wir sehen es auch bei den Kinderrechten, dass man sie ein bissl als Rechte zweiter Klasse, so als nice to have wahrnimmt. Sie sollen aber mehr im Fokus stehen.

Ich glaube, die Maßnahme, die ich mir wünschen würde, wäre ein Kinderrechtemonitoring. Wir sehen nämlich einfach, dass es in Österreich ganz viele Kinderrechtsverletzungen gibt, und zwar auch bei uns. Das ist auch in Österreich Realität, und da sollten wir mehr und systematisch, wie du schon gesagt hast, Andrea, hinschauen. Damit spiele ich den Ball gleich zu dir, Andrea.

Andrea Holz-Dahrenstaedt: So viele Wünsche. Du hast vorhin von Mut gesprochen. Ich wünsche mir fraktionsübergreifend, über alle Parteigrenzen hinweg, den Mut, die Kinderrechte so ernst zu nehmen, dass es ein eigenes Kindheitsministerium gibt, in dem das gut gesammelt, gebündelt, strukturiert, und weiter vorangetrieben wird, damit Kinder und Jugendliche nicht nur eine Annexmaterie und ein Anhängsel sind. Wir hatten schon gefühlt 50 Ressorts – das stimmt natürlich nicht, aber sehr viele Ressorts – - -

Ich finde, man keine Kinderrechtenquete beenden, ohne Janusz Korczak zu erwähnen, einen Kinderrechtler der ersten Stunde, da hat es noch gar keine Kinderrechtskonvention gegeben. Er hat seine Waisenkinder nach Treblinka begleitet und hat ihnen immer Mut und Hoffnung gegeben. Ich finde, das müssen wir Erwachsene zusammenbringen. Das ist sehr schwierig. Es gelingt mir auch nicht immer. Er hat gesagt: Kinder haben das Recht auf den heutigen Tag, er soll heiter, kindlich und sorglos sein.

Das ist nicht einfach, aber es ist unsere Verantwortung als Erwachsene, den Kindern und Jugendlichen diesen Mut auch in schwierigen Lebenssituationen zuzusprechen und mit gutem Beispiel voranzugehen. – Danke. (Beifall.)

Fanny Stapf: Ich finde, das sind sehr schöne, sehr schwierige Wünsche, also vom Kinderrechtsministerium, über das Kinderrechtemonitoring, das Kinder-mehr-hören, bis zum In-fünf-Jahren-nicht-mehr-hier-sitzen-Wollen.

Es sind wertvolle Wünsche, die heute vielleicht auch bei den richtigen Personen angekommen sind, die sie vielleicht in ihre tägliche Arbeit miteinbeziehen können. Ich habe einmal bei einer Kinderrechtsveranstaltung gehört, dass das Traurige ist, dass Kinder keine Steuerzahlerinnen und -zahler sind und sie deswegen keine Lobby haben. Vielleicht schaffen wir es jetzt alle gemeinsam, dass sie eine Lobby (Zwischenruf) – dass sie Steuer zahlen: nein, das nicht! –bekommen und dass sie vor allem gehört werden.

Ich sage vielen herzlichen Dank! Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, dass ihr heute da seid! Danke Ihnen fürs Zuhören!

Ich würde gerne noch mit den Worten von Pippi Langstrumpf aufhören, sie hat nämlich einmal gesagt: Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe! – Ich finde, das passt auch für ein Kinderrechtsministerium. Vielleicht kann man sich das einmal so im Kopf abspeichern.

Es gibt jetzt noch die Möglichkeit zu netzwerken und etwas zu essen und zu trinken. Ich sage herzlichen Dank! Ein Danke für die Organisation an die Bundesratspräsidentin. Einen schönen Abend! (Beifall.)