Landesverteidigungsausschuss
Auszugsweise Darstellung
verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle
14. Sitzung
Donnerstag, 25. Jänner 2024
XXVII. Gesetzgebungsperiode
TOP 1
Volksbegehren „NEUTRALITÄT
Österreichs JA“ (2171 d.B.)
(Wiederaufnahme der am 11. Oktober 2023 vertagten Verhandlungen)
14.05 Uhr –
15.34 Uhr
Nationalratssaal
Beginn des öffentlichen Teils von TOP 1: 14.05 Uhr
1. Punkt
Volksbegehren
„NEUTRALITÄT Österreichs JA“ (2171 d.B.)
(Wiederaufnahme der am 11. Oktober 2023 vertagten Verhandlungen)
Obmann Ing. Mag. Volker Reifenberger geht in die Tagesordnung ein und kommt sogleich zu Tagesordnungspunkt 1.
Der Obmann ersucht darum, die Proponenten des Volksbegehrens und die Experten in den Saal zu bitten sowie die Öffentlichkeit auf der Galerie Platz nehmen zu lassen. Er begrüßt die beiden Stellvertreter des Bevollmächtigten des Volksbegehrens, Herrn Ing. Werner Bolek und Herrn Anatolij Volk, sowie die Experten, Herrn Univ.-Prof. Dr. Marcus Klamert und Herrn Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger, und dankt ihnen, dass sie der Einladung des Landesverteidigungsausschusses gefolgt sind.
Da es sich um eine Wiederaufnahme der am 11. Oktober 2023 vertagten Verhandlungen handle, erübrige sich eine Berichterstattung für den Ausschuss, so der Obmann.
Nach Mitteilungen hinsichtlich der Redeordnung leitet der Obmann zu den Eingangsstatements der Proponenten des Volksbegehrens über.
Eingangsstatements der Proponenten des Volksbegehrens
Ing. Werner Bolek: Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Vorsitzender! Frau Ministerin! Herr General! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Danke schön, dass wir heute hier als Proponenten unser Volksbegehren Neutralität Österreichs – Ja vorstellen beziehungsweise auch argumentieren dürfen, warum wir dieses Volksbegehren gemeinsam mit der österreichischen Bevölkerung initiiert haben. (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Ich darf uns kurz vorstellen: Neben mir sitzt Kollege Anatolij Volk. Mein Name ist Werner Bolek. Wir beide sind die Stellvertreter des Bevollmächtigten. Der Bevollmächtigte Herr Rechtsanwalt Marcus Hohenecker lässt sich heute entschuldigen. Wir möchten besonders darauf hinweisen, dass wir mit diesem Volksbegehren hier im Namen von 116 832 wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern sprechen dürfen, die mit der Unterzeichnung dieses Volksbegehrens die Neutralität Österreichs mit einem klaren Ja versehen haben.
Ich darf noch kurz über uns erzählen, dass die Initiative IGE unabhängig, überparteilich und rein privat finanziert ist. Wir nutzen demokratiepolitische Instrumente, insbesondere Volksbegehren.
Die Idee, ein Volksbegehren prinzipiell mit der Fragestellung Ja oder Nein zu versehen, gab es vor 40 Jahren bereits einmal versuchsweise. Diese Methodik haben wir quasi wiederentdeckt oder wiederbelebt, weil es ja grundsätzlich so ist, dass nie 100 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zu einer Wahl, Abstimmung oder zu einem Volksbegehren gehen, also es gibt die klassische Wahlbeteiligung, die teilweise ja auch – etwa bei Hochschülerschaftswahlen – bei deutlich unter 20 Prozent liegt. Das heißt, es zählt letztlich nur das Quorum, also das Ergebnis. Wenn jemand zu einer demokratischen Abstimmung, zu der er eingeladen wäre, nicht hingeht, aus welchen Gründen auch immer, dann ist halt seine Stimme nicht teilnehmend. Die Stimmen von jenen, die sich hinbewegen und entweder für Ja oder für Nein stimmen, sind klar; auch hinsichtlich der Wertigkeit ist eine derartige Stimme wie eine Wahl zu sehen, weil das ja über das amtliche Wahlsystem läuft. Insofern hat das eine extrem gute Aussagekraft.
Das heißt, wir können sagen, dass dieses Ergebnis – mit einer Genauigkeit von mehr als 0,5 Prozent – die tatsächliche Denkweise des Volkes abbildet. Wir nehmen im Endeffekt unsere Verantwortung wahr. Es ist uns gelungen, schon 1,6 Millionen Wählerinnen und Wähler zu begeistern und die direkte Demokratie zu nutzen – darauf sind wir sehr stolz. Wir arbeiten laufend an Projekten der direkten Demokratie.
Nun zurück zum konkreten Neutralitätsvolksbegehren, das auch am Beginn eine Neutralitätsabstimmung war: Insgesamt haben 120 000 Wählerinnen und Wähler bei dieser Abstimmung mitgemacht, und es hat sich gezeigt, dass bereits in der Vorphase nur 5,1 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dafür gestimmt hätten, dass die Neutralität in Österreich abgeschafft werden soll. Wir haben die Entscheidung also bereits in der Vorphase, in der 79 000 Menschen für Ja und 4 000 Menschen für Nein gestimmt haben, quasi festlegen können.
Das Volksbegehren Neutralität Österreichs – Ja wurde dann noch in die Eintragungswoche geschickt und hat dort dann die notwendigen 100 000 Unterschriften erhalten.
Konkret nun zu den Forderungen des Volksbegehrens: Es geht vor allem darum, dass zum Zweck der dauernden Behauptung unserer Unabhängigkeit nach außen hin und auch zum Zweck der Unverletzlichkeit unseres Staatsgebietes die immerwährende Neutralität abermals erklärt und bekräftigt werden soll. Das soll auch in einem Verfassungsgesetz noch einmal verbrieft werden.
Der Grund dafür ist eben, dass wir einen Verfall und eine Aushöhlung der Neutralitätswerte, so wie sie eigentlich in der Bundesverfassung sind, sehen. – Das sehen Sie immer am Kopf jeder Folie: 1955, Bundesgesetzblatt Nr. 211, Bundesverfassungsgesetz: Neutralität Österreichs. Da sehen wir mittlerweile extreme Defizite.
Es ist auch ganz wichtig, dass wir in vielen Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern feststellen durften, dass diese die Neutralität so sehen, dass sie so aufrechterhalten werden soll, wie sie vor dem EU-Beitritt gelebt wurde. Da darf ich nur das Stichwort Bruno Kreisky nennen, der unsere Neutralität international sehr positiv belebt hat. Österreich war aufgrund unserer Neutralität in den Siebziger-, Achtziger-, Neunzigerjahren, also in der Zeit von Bruno Kreisky, ein international anerkannter Verhandlungsplatz.
Jener Punkt, den ich schon erwähnt habe: Würden nur jene Nationalratssessel besetzt werden, wo auch Bürger abgestimmt haben, dann wären heute etwa 40 Prozent dieser Sessel leer. Es ist aber so, dass eben jene, die nicht mitstimmen, nicht gezählt werden und nur jene, die an einer Wahl oder Abstimmung teilnehmen, das Ergebnis bestimmen.
Nehmen Sie also bitte die Entscheidung des Volkes, die wir Ihnen heute im Rahmen des Volksbegehrens präsentieren dürfen, ernst und sorgen Sie bitte dafür, dass unsere Neutralität erhalten und geschützt wird!
Unsere Demokratie bedeutet im Wesentlichen Freiheit, Frieden und Sicherheit. Hier sei zu erwähnen, dass es mit dem Demokratierating in Österreich sowieso nicht mehr sehr gut aussieht. Die Demokratie in Österreich wurde zu einer reinen Wahldemokratie herabgestuft. Es wäre dringend notwendig, dass Volksbegehren ernst genommen werden und letztlich auch im Parlament Ergebnisse erzielt werden.
Das heißt, wir ersuchen Sie – die Bundesregierung und auch den Nationalrat – heute klar und deutlich, unsere Neutralität nicht genauso zu Grabe zu tragen, wie das bei Volksbegehren leider gelebte Praxis ist.
Ich darf Ihnen noch einmal vor Augen halten: 94,9 Prozent der Österreicher:innen wollen die Neutralität erhalten haben und wollen nicht, dass diese ausgehöhlt wird.
Ich darf zur Folie 7 weiterblättern und das Wort an meinen Kollegen übergeben.
Anatolij Volk: Besten Dank! Ich begrüße Sie natürlich auch, meine sehr geehrten Abgeordneten, Frau Ministerin, Generäle, beziehungsweise auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Parlamentsdirektion, die eine sehr gute Leistung erbringen, und selbstverständlich die Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen, welche die heutige Sitzung live anschauen.
Ich möchte ein bisschen ausholen beziehungsweise ergänzen, was Ing. Bolek gesagt hat. Wenn ich am 10.12.2023 im ORF höre, dass ein Volksbegehren ins Parlament gebracht wird, in den Ausschuss, und dann, genau wie alle anderen Volksbegehren, ad acta gelegt wird, so habe ich echt Bedenken, was unsere Demokratie betrifft. Das ist meiner Meinung nach eine absichtliche Manipulation, die hier stattfindet, und das muss man energisch zurückweisen.
Ich gehe davon aus, dass man – wie das der Herr Bundespräsident zumindest schreibt – Demokratie jeden Tag erneuern muss. Wir machen diese Aufgabe, wir vertreten mit einem unbezahlten Mandat die Menschen im Parlament. Wir machen also im Prinzip die gleiche Arbeit wie Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das wird anscheinend kritisch gesehen beziehungsweise wird dann die ganze Debatte auf die Kosten reduziert, wobei eine Neiddebatte stattfindet, um absichtlich vom Thema Demokratiedefizit abzulenken. Das muss ich energisch zurückweisen.
Es wurde auch schon erwähnt, dass man in zwei Volksbegehren eine Abstimmung de facto umsetzen kann, wobei von den Parteien, der Volkspartei, ein Vertreter kritisiert wurde und gesagt wurde, das sei irgendetwas Schlimmes, etwas Schlechtes. Wir sehen das anders. Wir machen das, was der Bundespräsident von uns fordert, und Sie machen gerade das Gegenteil. Durch Ihre politische Arbeit wurde wie schon erwähnt die österreichische Demokratie abgestuft. Ich ersuche Sie, meine Damen und Herren, dass Sie das Volksbegehren ernst nehmen und auch im Plenum beschließen.
Zum Thema des Volksbegehrens Neutralität Österreichs – Ja, zur Abstimmung: Am 26.10.1955 hat der Nationalrat die immerwährende Neutralität Österreichs als Verfassungsgesetz beschlossen. Seit dem EU-Beitritt, insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine, der schon zehn Jahre dauert, wird die österreichische Neutralität von sehr vielen infrage gestellt. (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Ich möchte an dieser Stelle auf ein paar Punkte eingehen, die auch mit dem EU-Beitritt zu tun haben, zum Beispiel auf die sogenannte Irische Klausel, die laut Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag besagt, dass die EU-Beistandsverpflichtung „den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt“ lässt. Was dabei aber regelmäßig verschwiegen wird, ist, dass der Europäische Rat im Jahr 2009 eine Präzisierung der Irischen Klausel beschlossen hat. In dieser heißt es, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, zu bestimmen, welche Art von Hilfe oder Unterstützung sie gegenüber einem Mitgliedstaat leisten, der von einem Terroranschlag oder einem Angriff in seinem Hoheitsgebiet betroffen ist.
Man kann das natürlich auch so sehen, dass Österreich nichtmilitärische Güter liefern oder finanziell unterstützen konnte, doch wer nichtmilitärische Güter empfängt, kann eigene Mittel für militärische Güter freimachen, und wer Geld erhält, ist ohnehin frei, Waffen zu kaufen. Im Ergebnis macht dies aber keinen Unterschied, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Österreich macht da mit und finanziert aufgrund der EU-Beschlüsse mit circa 100 Millionen Euro bis 150 Millionen Euro indirekt die Waffenlieferungen an die Ukraine. Wie weit man das, was mit unserem Geld in diesem sogenannten Europäischen Friedensfazilität-Pot passiert, kontrollieren kann, kann ich jetzt nicht nachvollziehen; Geld hat kein Mascherl. Beachten Sie das also bitte! Ich gehe davon aus, dass das nicht dem Verfassungsgesetz die Neutralität betreffend entspricht.
Österreich sollte weder als potenzielles militärisches Transitgebiet noch als eine Art Player für einen der beiden Machtblöcke dienen. Das wurde damals mit Nato und Warschauer Pakt in Zusammenhang gebracht. Waffentransporte über Österreich nach Polen und weiter in Ukraine finden statt. Das wissen im Prinzip auch alle.
Und zu Sky Shield, zur Absichtserklärung, die die Frau Verteidigungsministerin unterschrieben hat, vielleicht kurz ein Zitat von Herrn Rainer Hable, dem Ex-Mandatar der NEOS – er ist Milizoffizier –: „15 NATO-Staaten unterschrieben die Initiative im Oktober 2022 im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Es ist somit ein NATO-Projekt, keines der EU.“
Wie verträgt sich das mit der Neutralität? – Die Bundesregierung meinte dazu, dass Österreich wegen seiner Neutralität zur Verteidigung des Luftraumes verpflichtet wäre. Das ist auch richtig – wir müssen auch unsere Neutralität aktiv und passiv verteidigen, das steht ja auch im Verfassungsgesetz drinnen –, es beantwortet aber nicht die Frage der neutralitätsrechtlichen Zulässigkeit einer Teilnahme an Sky Shield. Weiters wird eine feine Unterscheidung zwischen dem Aufspüren von Bedrohungen und deren Bekämpfung vorgenommen.
Vielleicht zum Schluss, damit es nicht zu lange dauert – wir haben nur eine begrenzte Zeit, um unsere Meinung zu vertreten –: Sobald die gemeinsame Luftabwehr operativ umgesetzt ist, würde Österreich zu militärischen Maßnahmen verpflichtet sein, die nicht Teil der EU-Verteidigungspolitik sind, über die autonome Selbstverteidigung hinausgehen und daher neutralitätsrechtlich verboten sind.
Ein ganz wichtiger Punkt ist – es wurde schon erwähnt –, dass Österreich als neutrales Land eigentlich seine Neutralität für Friedensverhandlungen einsetzen muss, dass die Neutralität gerade in Krisenzeiten wichtig ist, unabhängig davon, wie wir zur Aggression von Russland stehen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir können natürlich alles Mögliche verurteilen – das ist auch richtig so –, wir sollen und müssen auch den Flüchtlingen, die aus der Ukraine oder vielleicht aus anderen Ländern, aus Kriegsgebieten kommen, Hilfe leisten – das steht überhaupt außer Frage –, aber wir müssen alles dazu tun, dass dieser Krieg, der eigentlich schon seit 2014 geführt wird, in dem viele Hunderttausend Menschen schon gestorben sind und weiter sterben werden, beendet wird. Ich gehe davon aus, Sie werden Herrn UNO-Generalsekretär Guterres nicht als Putin-Versteher bezeichnen, wenn er meint, es drohe auch ein dritter Weltkrieg. Daher denke ich, dass Österreich das als neutrales Land, so wie Bruno Kreisky es schon gemacht hat, unbedingt umsetzen muss.
Wie schaut es im Moment, aktuell aus? – Beide Seiten blockieren angeblich, sie wollen keine Friedensverhandlungen führen. Präsident Selenskyj hat per Dekret überhaupt verboten, mit Russland Gespräche zu führen, und setzt auf Endsieg. Meine Meinung, meine Damen und Herren: Es wird keinen Endsieg geben – da wird Russland nicht gewinnen, davon gehe ich aus, und die Ukraine nicht gewinnen, es werden Hunderttausende Menschen sterben –, sondern es kann dann vielleicht eine Endvernichtung, sprich einen dritten Weltkrieg, geben. Das kann jederzeit passieren, und es ist unsere Verantwortung, das nicht zuzulassen.
Was die Forderung des Volksbegehrens betrifft – bitte nehmen Sie das ernst! –, so ist es eigentlich um die Abstimmung gegangen. Mein Kollege hat das Thema Wahl oder Abstimmung schon erwähnt. Wir haben bisher ja in 70 Jahren nur zwei Volksabstimmungen gehabt und eine einzige Volksbefragung, die rechtlich auch nicht verbindlich ist, vor zehn Jahren zum Thema Wehrpflicht und Berufsheer. Daher wäre natürlich das wichtig, was der Bundespräsident noch einmal betonend fordert: dass man Demokratie eigentlich jeden Tag stärken muss. Gerade das machen wir – und Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehen eher auf sogenannte schwache Instrumente, die Volksbegehren, los und führen Neiddebatten, statt Volksbegehren mit Verbindlichkeit auszustatten.
Wissen Sie, meine Herren von den Oppositionsparteien, wenn Sie sich anschauen, wie viele Anträge Sie jetzt durchbringen: 2022 wurden, von allen drei Oppositionsparteien, 67 Gesetzesanträge eingebracht – ein einziger Antrag wurde angenommen. Wir als Bürger und Bürgerinnen können diese Blockade durchbrechen, wenn Volksbegehren mit Verbindlichkeit ausgestattet wären. Da kann man in der Bildung sehr viel tun, man kann in sehr vielen anderen Bereichen etwas tun, im sozialen Bereich etwas tun, man kann auch, was die Lieferketten betrifft – das wurde vor wenigen Tagen beschlossen, oder ich hoffe, ein diesbezügliches Gesetz wird beschlossen –, etwas tun.
Ohne eine funktionierende Demokratie aber funktionieren all diese Gesetze auch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich komme selber aus Lettland, bin in der damaligen Sowjetunion geboren, und versuche dann, meine Verantwortung auch als Friedensnobelpreisträger wahrzunehmen. Sie wissen vielleicht alle – oder vielleicht nicht –, dass jeder Einzelne von Ihnen, auch die Verteidigungsministerin und die Generäle, seit 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgestattet ist. Wenn ich diese Frage an Menschen, die ich kenne, oder auch an Minister stelle, dann wundern sie sich alle und fragen: Na ja, wieso, warum? – Wenn man nicht weiß, dass man Friedensnobelpreisträger ist, dann ist unsere Zugehörigkeit zur Europäischen Union eigentlich sinnlos. Da kann man gleich aus der Europäischen Union austreten.
Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren, nicht den ORF-Berichten zu folgen, wo man sagt: Das kommt vom Ausschuss. – Das ist überhaupt demokratisch schädlich, zu sagen, sie haben sich schon entschieden, wie dann über das Volksbegehren abgestimmt wird. Der ORF berichtet: Na ja, es ist eh wurscht, das kommt ins Plenum und wird wie alle anderen Volksbegehren ad acta gelegt. – Und dafür sollen die Menschen diese Haushaltsabgabe bezahlen? Das ist natürlich auch zu hinterfragen.
Und wie gesagt, ich ersuche Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Forderungen, die Volksbegehrenabstimmung ernst zu nehmen und das noch einmal zu bestätigen – damit kein Missverständnis und keine Beunruhigung entsteht, was die Österreicher betrifft, die Angst haben, die Neutralität zu verlieren –, aufzustehen und zu sagen: Ja, wir bestätigen das, und wir werden alle Punkte – die hoffentlich auch mit Experten und Expertinnen besprochen werden, auch mit Ihnen, sehr geehrte, geschätzte Damen und Herren –, die nicht dem Neutralitätsgesetz entsprechen, auch korrigieren, um unser Gesetz 100-prozentig wahrzunehmen und zu leben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ing. Werner Bolek: Danke, lieber Anatolij. Weil heute auch zwei Experten hier im Haus anwesend sind, möchten wir Fragen an die Experten formulieren. Wie gesagt, danke, Herr Prof. Bußjäger und Herr Prof. Klamert, für Ihr Kommen. (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Die Fragen, die uns heute in der Debatte sicher weiterhelfen würden, wären:
Ist in der Zukunft die Neutralität weiter eine vernünftige Option für uns?
Welche Vor- und Nachteile hat die immerwährende Neutralität? – Insbesondere bitte auch um einen Vergleich mit der Schweiz!
Wie ist eine Mitgliedschaft bei der EU als neutrales Land korrekt möglich?
Aktuell befinden wir uns wie weit und vor allem auch in welchen Punkten abseits unserer definierten Neutralität? – Bitte auch darauf einzugehen!
Und vor allem: Was kann aktiv unternommen werden, damit die Neutralität wiederbelebt wird – also dass wir nicht nur neutral sind, sondern Neutralität auch international leben? Wiederum: Erinnerung an Bruno Kreisky. Bitte um Ihre fachliche Stellungnahme dazu!
Obmann Ing. Mag. Volker Reifenberger: Ich muss Sie jetzt leider unterbrechen. Sie haben die vorgesehene Redezeit jetzt bereits überschritten (Bevollmächtigter-Stellvertreter Bolek: Sehr gut! Danke herzlich!), ich wollte Sie aber Ihre vorbereiteten Fragen noch in Ruhe ausformulieren lassen. Allerdings sind Sie jetzt schon deutlich über diesen 20 Minuten. (Bevollmächtigter-Stellvertreter Bolek: Wir kommen ja später, glaube ich, eh noch einmal zu Wort!) – Genau! (Bevollmächtigter-Stellvertreter Bolek: Dann können wir noch die letzten ... besprechen!)
Der Obmann bedankt sich für die Ausführungen und leitet zu den Statements der Experten über.
Statements der Experten
Univ.-Prof. Dr. Marcus Klamert, MA (Bundeskanzleramt): Sehr geehrter Herr Obmann! Sehr geehrte Abgeordnete! Frau Ministerin! Sehr geehrte Proponenten des Volksbegehrens! Ich darf vielleicht eingangs noch einmal kurz wiederholen, was hier begehrt wurde. Es wurde ein Volksbegehren mit folgendem Wortlaut beantragt:
„Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes soll Österreich seine immerwährende Neutralität abermals erklären und bekräftigen, in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beizutreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Staatsgebiet nicht zuzulassen. Der Bundesverfassungsgesetzgeber möge die Neutralität Österreichs durch ein weiteres Verfassungsgesetz beschließen.“
Vielleicht darf ich mich noch kurz vorstellen: Ich bin Mitarbeiter im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, bin habilitiert für Europarecht und Völkerrecht und habe eine Praxisprofessur an der Universität Graz inne.
Es wäre aus meiner Sicht also Folgendes anzumerken:
Die dauernde Neutralität Österreichs wird, wie Sie wissen und wie schon erwähnt wurde, durch das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs aus 1955 begründet. Das Bundesverfassungsgesetz ist gestützt auf Art. 44 Abs. 1 B-VG, es wurde dadurch also „einfaches“ – unter Anführungszeichen – Bundesverfassungsrecht geschaffen. Die Neutralität ist nach herrschender Lehre kein Baugesetz oder kein Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung.
Nach Art. I Abs. 1 BVG Neutralität erklärt Österreich seine immerwährende Neutralität. Nach Art. I Abs. 2 BVG Neutralität erklärt Österreich ausdrücklich, es werde „in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen“. Das Neutralitätskonzept verweist nach den Erläuterungen zum BVG Neutralität hinsichtlich der diesbezüglichen Rechte und Pflichten auch auf das völkerrechtliche Neutralitätsrecht – das V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges und das XIII. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges – sowie implizit auch auf Völkergewohnheitsrecht. Daraus folgen nach der herrschenden Lehre insbesondere die Nichtteilnahme an Kriegen, Enthaltungs- und Gleichbehandlungspflichten und die Unterlassung von allem, was die Einhaltung dieser Pflichten im Falle eines Krieges verunmöglichen würde. Das ist quasi das, was in unserem BVG Neutralität steht und was sich daraus ergibt.
Nach Art. 23j B-VG wirkt Österreich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – Gasp – der EU einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – GSVP – mit. Die GSVP schließt die sogenannten Petersberg-Aufgaben, zu denen auch „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“ zählen – Art. 43 Abs. 1 EUV –, und auch wirtschaftliche und finanzielle Sanktionsmaßnahmen mit ein. Das ist das, was durch Artikel 23j abgedeckt ist.
Nach mittlerweile herrschender Auffassung hat Art. 23j B-VG beziehungsweise bereits dessen Vorgängerbestimmung, der frühere Art. 23f B-VG, das BVG Neutralität im Umfang seines Anwendungsbereiches, das heißt partiell materiell derogiert. Das heißt, die beiden Gesetze sind sozusagen gemeinsam zu lesen. Das BVG Neutralität ist mit dem Artikel 23j gemeinsam zu lesen und daraus ergibt sich die derzeitige Rechtslage einer partiellen materiellen Derogation des BVG Neutralität im Rahmen des Artikels 23j.
Die Bestimmungen des Unionsrechts zur Gasp und zur GSVP berühren jedoch nach dem Unionsrecht ausdrücklich nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten. Dies ist in den irischen Klauseln, die schon erwähnt wurden, in Art. 42 Abs. 2 EUV und Art. 42 Abs. 7 EUV zur sogenannten Beistandsklausel, die auch schon erwähnt wurde, sowie in Artikel 3 unter Absatz 3 des sogenannten irischen Protokolls, also eines Protokolls zu den EU-Verträgen festgehalten. Diese Bestimmungen werden als Vorbehalt zugunsten neutraler Staaten – und damit von Österreich – als Garantie der Unberührtheit des Kerns der Verpflichtungen aus der dauernden Neutralität gesehen. Darüber hinaus gilt, wie Sie alle wissen, das Einstimmigkeitserfordernis für Gasp-Beschlüsse im Allgemeinen gemäß Art. 31 Abs. 1 EUV sowie für die Beteiligung an den sogenannten Petersberg-Aufgaben, die ich schon genannt habe, im Besonderen gemäß Art. 42 Abs. 4 EUV.
Im Rahmen der Gasp besteht weiters die Möglichkeit einer sogenannten konstruktiven Enthaltung gemäß Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2 EUV. Eine konstruktive Enthaltung ist eine förmliche Erklärung eines Ratsmitglieds, wie etwa Österreichs, bei einer Stimmenthaltung. Im Fall der konstruktiven Enthaltung ist etwa Österreich nicht verpflichtet, einen Gasp-Beschluss durchzuführen, akzeptiert jedoch, dass dieser für die Union bindend ist. Es verhindert ihn also nicht, ist aber selbst nicht zur Durchführung verpflichtet.
Auf diese Rechtslage, also auf dieses Zusammenspiel von BVG Neutralität und Artikel 23j sowie den Bestimmungen der EU-Verträge, die Österreich oder neutralen Staaten wie Österreich Spielräume eröffnet, hätte aus meiner, aus unserer Sicht die begehrte Verfassungsänderung keine Auswirkungen. Eine neuerliche Verankerung des Wortlauts des BVG Neutralität, gestützt auf Art. 44 Abs. 1 B-VG, würde inhalts- beziehungsweise wortgleiches einfaches Bundesverfassungsrecht schaffen und würde an diesem Zusammenspiel mit Artikel 23j, den EU-Verträgen und dem Ganzen aus unserer Sicht nichts ändern.
Letzter Punkt: Aus legistischer Sicht ist es im Übrigen jedenfalls unüblich, sehr unüblich und auch nicht anzuraten, Gesetzesbestimmungen inhalts- und wortgleich zu wiederholen, also neuerlich dasselbe zu erlassen, das bereits im Rechtsbestand steht. Das wäre aus legistischer Sicht anzumerken. – Vielen Dank.
Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Universität Innsbruck): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Frau Bundesministerin! Werte Anwesende! Herzlichen Dank für die Einladung. Ich kann mich in wesentlichen Bereichen dem anschließen, was Herr Kollege Klamert gesagt hat. Daher werde ich versuchen, zumindest zum Teil jene Fragen zu beantworten, welche die Proponenten des Volksbegehrens an die Experten gestellt haben, welche hier (auf den vor ihm auf dem Boden stehenden Bildschirm deutend) aufschienen und ich mir zumindest zum Teil notiert habe. Sie sind allerdings sehr politisch und daher für mich als Verfassungsexperten schwierig zu beurteilen, eher leichter noch für Sie, denn Sie sind die Politiker. Sie betreffen die Zukunft der Neutralität
Ich komme auf etwas zurück und weil wir eben inhaltlich weitgehende Übereinstimmung haben, erlauben Sie mir, dass ich einen kleinen Exkurs mache, er passt nämlich sehr gut zu diesem Gebäude: Vor 20 Jahren hat der Österreich-Konvent hier seine Arbeit aufgenommen. Ich war Mitglied des Österreich-Konvents und auch damals war die Neutralität – selbstverständlich möchte man sagen – Gegenstand der Diskussion. In Bezug auf die Proponenten, die der Neutralität kritisch gegenüberstanden beziehungsweise die die Neutralität befürworteten, haben sich die Vorzeichen seither ein bisschen geändert, aber egal, es wurde darüber diskutiert.
Ich kann mich sehr gut erinnern. Ich hatte die Gelegenheit, in dem Ausschuss, der sozusagen für die Neutralität, wenn man so sagen will, zuständig war, zugegen zu sein. Der mittlerweile verstorbene Kollege Theo Öhlinger, ein wirklich anerkannter Experte, hat damals – zu dieser Zeit existierte noch Artikel 23f B-VG, also der Vorläufer des heutigen Artikels 23j – in die Runde gesagt: Wissen wir eigentlich, wie stark die Neutralität durch Artikel 23f B-VG, durch die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union ausgehöhlt ist? Er war eher auf der Seite derjenigen, die meinten, man könne da auch in dem Sinn Klarstellung treffen, dass eben die Neutralität nicht mehr zeitgemäß ist, weitgehend materiell derogiert wurde, wie es die Verfassungsrechtler sagen.
Diese Diskussion wurde nicht sehr lange fortgeführt. Es gab auch Gegenmeinungen, die sagten, so stark eingeschränkt sei die Neutralität nun auch wieder nicht. Das Präsidium des Österreich-Konvents hat sich dann sehr rasch darauf geeinigt, die Neutralität keinesfalls aufzugeben und das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, das schon mehrfach angesprochen wurde, in die neue Bundesverfassung zu übernehmen. Diesem Konsens des Präsidiums des Österreich-Konvents ist dann auch der Vorsitzende des Konvents, Franz Fiedler, gefolgt. Er hat bekanntermaßen einen Entwurf vorgelegt, der dann allerdings nicht auf die Zustimmung im Konvent selber, aber auf, sagen wir einmal so, Konsens stieß. In diesem Entwurf, dem Fiedler-Entwurf, war das BVG über die Neutralität Österreichs weiterhin enthalten.
Damit – und so komme ich jetzt wieder zum Inhalt unserer heutigen Veranstaltung zurück – war den Beteiligten aber schon klar, dass es eher ein Formelkompromiss war. Wir wussten alle mittlerweile: Ja, inhaltlich ist die Neutralität weitgehend einschränkt, und zwar – auch das ist eine Frage, wie man den Begriff weitgehend auslegt – soweit wir halt Mitglied der Europäischen Union sind. Der Fall der Ukraine hat natürlich gezeigt, dass man sich in der Praxis dann jedenfalls schwer tut, gegen wirtschaftliche Sanktionen, die aus meiner Sicht auch für einen neutralen Staat zulässig wären, zu opponieren. Da befindet man sich dann auf der gleichen Stufe wie Ungarn oder andere Staaten, die diese wichtigen Beschlüsse aus irgendwelchen partikulären Gründen, die nicht immer sachlich sind, verhindern wollen.
Der Stand ist also jener, den auch Kollege Klamert angesprochen hat. Unsere Neutralität ist durch die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union stark eingeschränkt, und vor diesem Hintergrund würde sich auch für mich die Frage stellen, was sozusagen die Wiederholung dieses BVG über die Neutralität Österreichs – also eine Wiederholung des ursprünglichen Verfassungsgesetzes – tatsächlich bewirken könnte.
In einem Punkt würde ich Kollegen Klamert widersprechen: Man könnte natürlich die Formulierung so wählen, dass man sagt: Ja, jetzt derogiert das BVG Neutralität den Artikel 23j B-VG. Das kann man legistisch, formal schon so hinkriegen, man gerät dann aber mitunter in ziemliche arge Nöte, wenn man mit dem Unionsrecht kompatibel sein will, also ich würde daher letztlich auch davon abraten.
Und ja, solange wir Mitglied der Europäischen Union sind – damit gehe ich auf eine der Fragen ein –, sehe ich jetzt keine Möglichkeit – das nun ganz neutral als Verfassungsrechtler gesprochen –, zu dieser alten Neutralität – die von Österreich übrigens immer dynamisch verstanden wurde – zurückzukehren. Das in nun einmal ein Faktum, mit dem wir leben müssen.
Die weiteren Fragen, die gestellt wurden: Wie kann denn in Zukunft die Neutralität beschaffen sein? – Das, diese Frage, würde ich eben wie gesagt zum Teil an Sie zurückspielen. Aus meiner Sicht gibt es dann eine Zukunft der Neutralität, wenn man tatsächlich aktive Neutralitätspolitik, die mehr als nur ein Schlagwort ist, betreiben kann, wenn man also sowohl fähig als auch willens ist, hier eine solche Rolle zu spielen. Dann kann man auch sagen: aktive Neutralitätspolitik.
Die Proponenten haben auch nach dem Vergleich mit der Schweiz gefragt. – Nun, die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union – das ist schon einmal ein wesentlicher Unterschied –, aber auch in der Schweiz wird die Neutralität diskutiert. Auch in der Schweiz wird die Frage ziemlich diskutiert. Jetzt, die letzten Monate, habe ich es nicht mehr in dieser Intensität vernommen, aber auch in der Schweiz wurde die Frage gestellt: Macht die Neutralität noch einen Sinn für uns?, und letztlich musste sich auch die Schweiz zumindest den wirtschaftlichen Sanktionen weitestgehend anschließen. Das ist ganz klar, und von daher glaube ich auch nicht, dass uns der Vergleich mit Schweiz hier sehr viel weiter bringt.
Welche Vor- und Nachteile hat die Neutralität noch für uns? – Nun, die Vorteile sind schon diejenigen, dass man eben als neutrales Land auch weniger direkt im Konflikt involviert ist, dass man sich als neutrales Land nicht die Frage stellen muss, ob man jetzt Panzer liefert oder nicht. Das kann man aber – je nach politischem Standpunkt – auch genauso als Negativbeispiel sehen.
Jetzt betätige ich mich nicht als Verfassungsrechtler, sondern vielleicht als Politologe: Ein Kollege von meiner Universität, Herr Kollege Martin Senn, ein Politologe, hat davor gewarnt, die Neutralität abzuschaffen. Er meinte, die Identität, das Identitätsgefühl der Bevölkerung sei doch noch relativ stark mit der Neutralität verwoben – das waren wahrscheinlich aber auch dieselben Erwägungen, die vor 20 Jahren im Österreich-Konvent eine Rolle gespielt haben –, und vor diesem Hintergrund würde ich persönlich – das ist aber meine rein persönliche Meinung – eine vollständige Abschaffung der Neutralität für kritisch erachten. Aus meiner Sicht müssen wir uns aber klar sein: Die Neutralität ist nun einmal durch diesen Artikel 23j B-VG schon seit vielen Jahren stark eingeschränkt, und wir spüren es erst jetzt richtig. – Damit schließe ich meine Ausführungen.
Erste Fragerunde der Abgeordneten
Abgeordneter Mag. Friedrich Ofenauer (ÖVP): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Hoher Ausschuss! Sehr geehrter Herr Bolek! Herr Volk! Vielen Dank auch an die beiden Experten für ihre Ausführungen, die durchaus interessant, zielführend und auch in diesem Thema weiterführend sind.
Herr Bolek, Herr Volk, vielen Dank, dass Sie sich in diesem Volksbegehren des wichtigen Themas der Neutralität annehmen, wenngleich ich doch den Eindruck hatte, dass unter dem Schlagwort der Neutralität auch andere politische Positionen und politische Meinungen geäußert wurden – was jetzt nichts Negatives, nichts Schlechtes ist, weil ja das Parlament der Ort ist, um politische Meinungen zu diskutieren, und wir als Abgeordnete, als gewählte Vertreter es ja gewohnt sind, auch durchaus unterschiedliche und kontroverse Meinungen zu diskutieren.
Was jetzt allerdings den Wortlaut des Volksbegehrens betrifft – und ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, dass, wenn wir über Neutralität sprechen, wir über die Sicherheit Österreichs sprechen, und die Frage ist, wie die Sicherheit Österreichs am besten gewährleistet werden kann –: Das, was mir beim Wortlaut der von Ihnen vorgeschlagenen und im Volksbegehren ersichtlichen sozusagen Neufassung eines Neutralitätsgesetzes aufgefallen ist, ist ein wesentlicher Unterschied.
Auch wenn Sie selbst vorhin angesprochen haben, dass die Unabhängigkeit Österreichs gewährleistet werden muss, ist im originalen Neutralitätsgesetz noch der Satz enthalten: „Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“ – Das ist meiner Ansicht nach ein ganz wesentlicher Punkt, ein ganz wesentlicher Bereich: die Verteidigungsfähigkeit, der Verteidigungswille, die Verteidigungsmöglichkeit, da wir doch in den letzten Jahren und Jahrzehnten diese Verteidigungsfähigkeit nicht hatten und nun Gott sei Dank den Weg in die richtige Richtung, in die andere Richtung gegangen sind.
Mich irritiert etwas, dass in dieser Neufassung dieser Satz, der doch ein ganz wesentlicher ist, nicht vorkommt. Deswegen wäre auch meine Frage an die Experten, inwieweit ein neutraler Staat ohne diese Verpflichtung, ohne die Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen, überhaupt in der Lage ist, die „Unabhängigkeit nach außen“, wie es formuliert ist, beziehungsweise die Souveränität und die Unverletzlichkeit seines Staatsgebietes zu gewährleisten.
Abgeordneter Robert Laimer (SPÖ): Herr Vorsitzender! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre wichtige Initiative! Ich danke den Initiatoren, für direkte Demokratie zu arbeiten und zu kämpfen, gerade zum Thema Neutralität, die ja, wie schon erwähnt, zur Identität Österreichs gehört und auch als Fundament unserer Zweiten Republik gilt. 1945 die Wiedergeburt, zehn Jahre später mit dem Verfassungsgesetz über die Neutralität auch Erlangen der Souveränität und Freiheit Österreichs – wahrlich eine Erfolgsstory, eine große Tat großer Staatsmänner in dieser Zeit.
Eine wehrhafte Neutralität, wie sie Österreich hat, muss ihren Status schützen, aber natürlich auch weiterentwickeln. Wenn man heute eine Zeitung aufschlägt, sich in den sozialen Medien oder woanders informiert, stößt man überall sofort auf Konflikt, Krieg, Tod und Zerstörung. Die Menschen wollen daher wissen, wie es auf der Welt weitergehen soll. Können unsere Kinder, können unsere Enkel auch künftig in Frieden leben, und was macht zum Beispiel die EU oder unsere Regierung, um den Frieden auch bei uns in Österreich zu sichern?
Angesichts dieser existenziellen Fragen müssen wir das Volksbegehren betreffend die Neutralität auch richtig deuten, vor allem müssen wir verstehen, dass sich die Menschen – eigentlich alle Menschen auf dieser Welt – eine friedvolle Zukunft wünschen, denn Frieden ist das höchste Gut. Ohne Frieden ist alles nichts, hat der große deutsche Staatsmann Willy Brandt gesagt.
Dieser Wunsch ist angesichts der russischen Aggression in der Ukraine und des Überfalls und des Angriffskriegs und des Terrorismus und Krieges in Gaza sowie der unzähligen Brandherde vor der Haustür Europas auch zutiefst verständlich.
Die Menschen sind verunsichert. Anstatt wie früher über Frieden und Diplomatie zu sprechen, werden Menschen mit Begriffen wie geopolitische Großmachtinteressen, militärische Rüstung, nukleare Abschreckung et cetera verunsichert. Daher sehen auch rund 80 Prozent der Menschen in Österreich laut einer großen Gallup-Umfrage aus dem Vorjahr Österreichs Neutralität als eine Garantie, die nicht leichtfertig aufgegeben werden darf, um nicht eventuell in allfällige Konflikte hineingezogen zu werden.
Die SPÖ bekennt sich zu 100 Prozent zur Neutralität, und das durchgehend jeden Tag seit dem 26. Oktober 1955. Die Sozialdemokratie steht für eine wehrhafte und international engagierte Neutralität, und daher ist uns auch wichtig, dass unsere Neutralität völkerrechtlich geschützt ist.
Neutralität ist wichtig und wird dann entscheidend sein, wenn sie in Friedens- und Krisenzeiten glaubwürdig ist und wenn sie nützlich ist. Also fordern wir jedenfalls eine Neutralitätspolitik 2.0 mit großem politischen Fingerspitzengefühl. Ich möchte da logistisch auf den Experten verweisen: Eine Doppelnennung oder Ausrichtung des Neutralitätsgesetzes, eine Wiederholung, ist dahin gehend nicht erforderlich. – Danke.
Abgeordneter David Stögmüller (Grüne): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr General! Verehrte Expertinnen und Experten! Wir leben in einem der sichersten Länder dieser Welt. Das ist gut so.
Hinsichtlich der aktiven Neutralitätspolitik, die Österreich lebt, ist es ein ganz wichtiger Faktor, dass das auch so bleibt. Ich glaube, wir brauchen da weiteren Ausbau. Es braucht im Bereich der Resilienz, bei der das Bundesheer eine wesentliche Rolle spielt, einen viel besseren Ausbau. Auch die Richtung in der Sicherheitspolitik, die wir eingeschlagen haben, indem wir das Bundesheer wieder auf den Stand der aktuellen Gefahrenlage bringen, ist dabei ein wichtiger Faktor.
Wir brauchen auch die europäischen Partner, von der Beschaffung bis hin zur Resilienz bei der Medikamentenbeschaffung und – das ist auch ganz wichtig – bei der Energieversorgung, bei der Österreich diese Resilienz jetzt auch erlernen musste und gesehen hat, wie schwierig das ist, und bei der die Abhängigkeit von einem Despoten einfach nicht der richtige Weg ist. Das ist hin zur Unabhängigkeit bei der Energie ganz ein wichtiger Faktor, und da ist es notwendig, mehr zu investieren und zu machen. Das ist auch ein Weg der aktiven Neutralitätspolitik, nämlich neutral und gleichzeitig auch unabhängig zu sein. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.
Mich würde interessieren: Einerseits kann sich die Bedeutung von Neutralität verändern. Sie haben es schon angesprochen: Wirtschaftliche Sanktionen sind ein ganz gutes Beispiel. Wir lesen es nämlich so: Wirtschaftliche Sanktionen haben eigentlich nichts mit der Neutralität an sich zu tun. Das wird zum Beispiel immer von einer Partei vorgebracht, die immer sagt, die Neutralität sei dadurch gefährdet. Mich würde interessieren: Sehen Sie – Sie haben das eh schon teilweise beantwortet – genauso, dass die wirtschaftliche Neutralität, die immer vorgeschoben wird, eigentlich gar nicht existiert, sondern dass wir militärisch neutral sind und die Wirtschaftlichkeit und die Sanktionen nichts damit zu tun haben, dass das quasi ein gefühltes Gewohnheitsrecht für manche Fraktionen hier darstellt, das aber nichts mit dem ursprünglichen Gedanken zu tun hat?
Was mich ganz besonders interessiert, weil das für uns Grüne auch sehr wichtig ist: Wie können wir die Neutralität auch gegenüber unseren UNO-Partnern, der Europäischen Union entsprechend ausüben? Wie kann sich das weiterentwickeln? Gibt es da ein Spannungsverhältnis zwischen unserer Neutralität und der Solidarität gegenüber der Wertegemeinschaft? Wie kann man das lösen? Wie kann man da vielleicht besser zusammenarbeiten? Wie sehen Sie da die Faktoren? Das würde mich noch interessieren.
Vielen Dank auch dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, hier Rede und Antwort zu stehen.
Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Vorsitzender! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Initiatoren des Volksbegehrens und sehr geehrte Experten! Vorab möchte ich mich dafür bedanken, dass wir auf Grundlage Ihrer Initiative und des vorliegenden Volksbegehrens mit den 120 000 Menschen, die dieses unterstützt haben, dieses Thema aufgegriffen und ihre Meinung dazu kundgegeben haben, über die Neutralität heute hier auf parlamentarischer Ebene in einer öffentlichen Debatte reden können, denn für uns Freiheitliche ist es ganz klar: Wir sehen Österreich als eine demokratische, wehrhafte, immerwährend neutrale und souveräne Republik, deren Recht vom Bundesvolk ausgeht. Die Neutralität spielt deshalb für uns eine ganz wesentliche Rolle.
Die Neutralität hat in der Vergangenheit dafür Sorge getragen, dass Österreich in Sicherheit und Frieden Wohlstand erwerben konnte. Wir glauben auch, dass das ein Modell für die Zukunft ist. Umso kritischer sehen wir es von der FPÖ, dass es, so wie die Experten das heute ja beide bestätigt haben, in der Vergangenheit zu mehreren Verträgen und Beitritten Österreichs gekommen ist, die diese Neutralität einschränken, und wenn für die Zukunft noch weitere Schritte in diese Richtung geplant sind.
Ich darf vielleicht auf ein paar Punkte, die die beiden Experten genannt haben, konkret eingehen und ein paar Fragen dazu stellen. Herr Prof. Dr. Klamert hat angemerkt, dass die Neutralität eher „kein Baugesetz oder kein Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung“ ist und dass sie deshalb entwertet wird, in gewisser Weise durch andere Regelungen, die dort getroffen worden sind, oder wegen Beschlüssen, die gefasst worden sind, eingeschränkt wird, unter anderem auch durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf europäischer Ebene inklusive der Petersberger Aufgaben.
Sie haben auch darauf hingewiesen, dass sich Österreich nach dem Neutralitätsgesetz auch völkerrechtlich entsprechend verpflichtet hat. Ich würde Sie ersuchen, vielleicht auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs im Sinne dieser Neutralitätsdeklaration noch ein bisschen einzugehen und da aus Ihrer Sicht Konflikte mit den bestehenden Gesetzen, auch mit den bestehenden Handlungen der österreichischen Bundesregierung aufzuzeigen, seien es zum Beispiel die Petersberger Aufgaben, die Sie selber erwähnt haben, sei es in puncto der Sanktionspolitik, an der sich Österreich beteiligt, oder seien es auch die Gegenstimmen bei den UN-Resolutionen zum Gazakonflikt.
Zusätzlich haben Sie gesagt, Herr Dr. Klamert, dass ja im Rahmen der Petersberger Aufgaben eine konstruktive Enthaltung Österreichs möglich wäre, dass es allerdings trotzdem eine Durchführungsverpflichtung für bestehende Beschlüsse gibt. Vielleicht können Sie noch einmal konkretisieren – vielleicht habe ich Sie da auch falsch verstanden –, wie sehr Österreich da tatsächlich noch souverän entscheiden kann.
Vielleicht zum Fazit: Sie haben ja sozusagen das Fazit getroffen, dass eine erneute Bestätigung der Neutralität im Verfassungsrang keine Auswirkung hätte. Wäre aus Ihrer Sicht dann eben eine Verankerung als Grundprinzip der bessere Weg? Würde das tatsächlich eine verstärkte und langfristigere Verankerung der österreichischen Neutralität in der Verfassung ermöglichen?
An Herrn Dr. Bußjäger auch noch ganz kurz: Sie haben gesagt, Herr Dr. Bußjäger, die Neutralitätspolitik ist dann sinnvoll, wenn sie aktiv betrieben wird. Sie haben aber damit tatsächlich ein neutrales Verhalten gemeint. Wie ist aus Ihrer Sicht dann das Vorgehen der österreichischen Bundesregierung im Rahmen der Stimmabgaben betreffend UN-Resolutionen zu Gaza, Wirtschaftssanktionen betreffend Ukrainekonflikt und entsprechende Finanzhilfen zu beurteilen? – Vielen Dank.
Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Antragsteller! Sehr geehrte Experten! Hoher Ausschuss! Weil viel von der Vergangenheit die Rede war, nur ein Satz: Bundeskanzler Raab hat ja am 26. Oktober gesagt, unsere Neutralität ist eine militärische, aber keine politische. Ich glaube, daraus ergibt sich auch, dass wir natürlich bei politischen Maßnahmen solidarisch mit anderen Ländern auch ohne EU-Beitritt schon dabei sein konnten und sollten. Nach dem EU-Beitritt – Sie haben das ja beide ausgeführt – ist es noch einmal etwas anderes.
Der zweite Punkt ist: Weil immer so viel von Souveränität die Rede ist – vielleicht können die Professoren darauf eingehen –: Wer garantiert eigentlich unsere Neutralität? Wer sagt denn, dass ein neutraler Staat nicht überfallen wird? Die Geschichte ist eine andere. Gibt es irgendjemanden, der je die österreichische Neutralität garantiert hätte? Wie sehr garantiert unsere Bewaffnung unsere Neutralität? Da wissen wir, dass es in den letzten Jahrzehnten mehr Versäumnis gegeben hat, als uns recht sein kann.
Um zur Zukunft zu kommen, schließe ich gerne an Kollegen Ofenauer an, und zwar an das, was er einmal in einem Interview gesagt hat: Wir müssen ernsthaft über die Neutralität und die Ausgestaltung der Neutralität in der Zukunft diskutieren. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe. Ich betone nämlich – und das ist jetzt auch meine Frage – das Thema Sicherheit. Es geht um die Sicherheit der Menschen, die in Österreich leben.
Damit komme ich zu meiner konkreten Frage an die Experten. Also erstens ist klar, in dem Moment, in dem wir angegriffen würden, gäbe es keine Neutralität mehr. Was spricht aber zweitens neutralitätspolitisch und neutralitätsrechtlich dagegen, dass wir uns mit anderen Staaten absprechen, wie wir uns verteidigen würden, wenn wir angegriffen würden, also gegen die sogenannte gemeinsame Verteidigung? Wir reden ja von Sky Shield, bei dem unsere Teilnahme geradezu notwendig ist, weil es ja eine ganz absurde Situation wäre, dass alle europäischen Länder einen Raketenschutzschirm hätten, und in der Mitte gäbe es ein Land, das sagen würde: Bitte auf uns könnt ihr schießen! Wir werden uns nicht wehren!
Also wie gesagt: Angesichts der Geschichte der neutralen Länder und angesichts dessen, wie die schon behandelt wurden, wäre das, glaube ich, nicht nur fahrlässig, sondern wirklich gegen die Interessen der Menschen in Österreich.
Deswegen würde mich das auch völkerrechtlich interessieren: Was spricht dagegen, wenn Österreich sagt, wir wissen, wo Gefahren drohen und wollen uns gemeinsam mit anderen Ländern darauf vorbereiten, wir treten nicht einem Bündnis bei und lassen auch keine fremden Truppen auf unserem Staatsgebiet zu, aber wir bereiten uns auf eine gemeinsame Verteidigung vor!? Spricht neutralitätsrechtlich, völkerrechtlich irgendetwas dagegen? – Danke schön.
Erste Antwortrunde der Experten
Univ.-Prof. Dr. Marcus Klamert, MA: Also vielleicht gleich eingangs zu einer der Fragen, die die Proponenten gestellt haben – die anderen sind ja, wie auch Kollege Bußjäger schon gesagt hat, eher politischer Natur –: „Wie ist eine Mitgliedschaft bei der EU als neutrales Land korrekt möglich?“ – Also „korrekt“ weiß ich nicht, aber sie ist auf jeden Fall möglich, weil das ja genau das ist, was in den Verträgen vorgesehen wurde: dass es da quasi gewisse Klauseln gibt, die die Stellung neutraler Staaten sozusagen schützen sollen und ihnen ermöglichen sollen, weiterhin ihre geopolitische, sicherheitspolitische, verteidigungspolitische Position zu bewahren. Von der Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung wird ja auch in der Praxis Gebrauch gemacht. Also das ist ja kein totes Recht, sondern das wird tatsächlich auch genutzt. Das wäre die Antwort darauf.
Zur bewaffneten Neutralität nur ganz kurz: Es wird an sich so gesehen, dass auch die bewaffnete Neutralität einen Teil der völkerrechtlichen Pflichten darstellt. Also das ist ein Teil dessen, was völkerrechtlich unter Neutralität verstanden wird. Das heißt, durch den Verweis im BVG Neutralität auf das Völkerrecht könnte man sozusagen auch davon ausgehen, selbst wenn dort nichts drinnen stünde, dass es trotzdem gewisse Verpflichtungen gäbe, eine bewaffnete Neutralität zu gewährleisten.
Zu den Sanktionen, zu Abgeordnetem Stögmüller: Natürlich hat es da eine dynamische Entwicklung gegeben. Da hat sich in den letzten Jahrzehnten das Verständnis durchaus geändert.
Das führt dann auch schon zur nächsten Frage, zu Petersberg und den Sanktionen, dazu, inwieweit die vereinbar sind. Das sind beides Bereiche, die ausdrücklich im Artikel 23j genannt werden. Die Teilnahme an Wirtschaftssanktionen, die Teilnahme an den Petersberg-Aufgaben werden im Artikel 23j ausdrücklich hervorgehoben, wenn man so will, und sind damit ausdrücklich vom Anwendungsbereich des BVG Neutralität ausgenommen.
Zu völkerrechtlichen Pflichten: Ja, das ist nicht immer ganz klar. Das Völkerrecht hat die Eigenheit, dass es oft nicht ganz klar zu ermitteln ist, aber klassischerweise sind das die Pflicht der Unparteilichkeit, die Pflicht der Gleichbehandlung von Konfliktparteien, aber eben auch wie gesagt die Pflicht, sich wehren zu können. Also da ist auch eine gewisse Bewaffnung beinhaltet.
Zu UN-Resolutionen: Ich glaube – das wurde auch schon angemerkt –, das würde ich vornehmlich als politische Handlungen einordnen. Das heißt, da ist das ein bisschen anders zu beurteilen.
Zur Durchführung, zur konstruktiven Enthaltung: Das habe ich an sich schon gesagt. Durch die konstruktive Enthaltung wird der Beschluss nicht verhindert, aber man muss ihn als Neutraler oder als jemand, der sich enthält, dann nicht durchführen. Man ist von der Durchführungsverpflichtung, die an sich für Unionsrecht generell besteht, als Mitgliedstaat in diesem Fall entbunden. Also das ist die Konsequenz der konstruktiven Enthaltung.
Zur Verankerung als Grundprinzip: Das würde längerer verfassungsrechtlicher Ausführungen bedürfen. Nach herrschender Lehre führt etwa eine Volksabstimmung allein auch nicht dazu, dass ein Grundprinzip entsteht. Es ist ein Vorgang oder eine rechtliche Beurteilung, die man sich im Einzelfall anschauen müsste: wann ein Grundprinzip vorliegt, wie es entstehen könnte. Im Moment ist die Neutralität aber wie gesagt keines und kein Baugesetz nach herrschender Lehre.
Ganz zum Schluss noch, Herr Abgeordneter Brandstätter: Zur gemeinsamen Verteidigung gibt es ja ausdrückliche verfassungsrechtliche Vorkehrungen. Das ist einer der Fälle, für die ausdrücklich in der Verfassung Vorkehrungen getroffen wurden, nämlich durch Verweis auf Art. 50 Abs. 4. Diese dürfen „nur mit Genehmigung des Nationalrates und mit Zustimmung des Bundesrates abgeschlossen werden“, mit „jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen“. Also es gibt da ein erhöhtes Zustimmungserfordernis. Wenn es eine gemeinsame Verteidigung im Sinne des Artikels 23 oder des Artikels 42 EUV ist, dann kommt diese verfassungsrechtliche Absicherung zum Tragen. Für diesen Fall ist in der Verfassung quasi Vorkehrung getroffen worden.
Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger: Auch da kann ich wieder weitgehend anschließen. Herr Klamert hat das Thema bewaffnete Neutralität beziehungsweise Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Abwehr, eines leistungsfähigen Bundesheers angesprochen. Wenn Sie eine Kommentierung von meinem Kollegen Andreas Müller im Rill-Schäffer-Kommentar lesen: Dort führt er sehr wohl aus, dass man in Zweifel ziehen konnte, ob Österreich in der Vergangenheit bei seinen Militärausgaben dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung überhaupt gerecht wurde.
Ich verweise nur auf diese Ausführungen und komme in diesem Zusammenhang auf das zu sprechen, was Herr Brandstätter gesagt hat: Wer garantiert, dass ein neutraler Staat nicht überfallen wird? – Selbstverständlich gibt es da keine Garantien. Wir wissen das von Belgien, das zwei Mal, in beiden Weltkriegen, überrannt wurde.
Es gibt aber auch andere Beispiele. Wenn man nach Liechtenstein schaut, dann sieht man, es handelt sich um ein Land, das überhaupt nicht in der Lage ist, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten. Dieses Land hat 1868 seine Armee oder den Rest davon abgeschafft und war seit 1866 in keinen kriegerischen Konflikt mehr verwickelt. Die Zeitgeschichte kann es auch gut mit einem meinen, aber das sind eben die Zufälle der Zeitgeschichte.
Ich komme noch einmal zu dem zurück, was Herr Brandstätter gesagt hat: Ja, ich würde auch sagen, Neutralität hindert uns nicht an einer – sage ich jetzt einmal – Abstimmung mit anderen Staaten. Ich habe unlängst in einer Veranstaltung der Offiziersgesellschaft Vorarlberg vertreten, dass nach den Informationen, die man mir unterbreitet hat, beispielsweise Sky Shield aus meiner Sicht durchaus mit der Neutralität vereinbar ist, solange die Entscheidungshoheit – schießen wir jetzt die Rakete, die da auf uns zukommt, ab oder nicht? – in diesen wenigen Sekunden bei Österreich liegt. Bei Sky Shield – das gebe ich zu – sind wir aber schon ziemlich nahe dran am Militärbündnis. Ich würde aber jetzt sagen, bei den Informationen, die mir vorliegen, würde ich das verneinen.
Herr Stögmüller hat nach den wirtschaftlichen Sanktionen gefragt. Wie gesagt: Auch die österreichischen Anschauungen, was Neutralität bedeutet, waren sehr unterschiedlich. In den frühen 1970er-Jahren war es Common Sense, dass ein EU-Beitritt oder – damals gab es noch keine EU – ein EWG-Beitritt unter Beibehaltung der Neutralität nicht möglich ist. Diese Anschauung hat sich gewandelt, allerdings eben mit dem Resultat, dass wir jetzt diesen 23j, vormals 23f, B-VG haben, der tatsächlich diese Neutralität stark einschränkt.
Wirtschaftliche Sanktionen sind aber – um das nochmals deutlich und klar zu sagen – meines Erachtens neutralitätsrechtlich unproblematisch.
Ich komme zur Frage nach der Verankerung der Neutralität möglicherweise auch als Grundprinzip der Bundesverfassung: Ja, natürlich, man kann das alles machen, rechtstechnisch geht das schon. Als Verfassungsrechtler würde ich mir nur die Frage stellen, welches Problem ich denn damit gelöst habe. All diese Maßnahmen, über die wir hier nicht ganz einer Meinung sind, also offenbar die wirtschaftlichen Sanktionen, wenn die mit der Neutralität vereinbar sind, dann sind sie vereinbar, ob jetzt das BVG Neutralität als Grundprinzip der Bundesverfassung gilt oder nicht. Wenn Sky Shield mit der Neutralität vereinbar ist, dann ist es das, ob jetzt das BVG Neutralität ein Grundprinzip ist oder nicht. Ich sehe da die Probleme nicht gelöst.
Ja, und wie Österreich letztlich in der UNO abstimmt, ob es darauf Wert legt, dass eben in einem Resolutionstext auch der Überfall von der Hamas auf Israel erwähnt wird, und dass man, wenn das nicht so ist, diesen Resolutionsentwurf ablehnt oder ob man sagt, wir legen die Betonung auf das Leid der Menschen in Gaza, das ist halt auch außenpolitisches Ermessen. Da kommt man, glaube ich, mit Neutralität nicht hin.
Zweite Fragerunde der Abgeordneten
Abgeordneter Mag. Friedrich Ofenauer (ÖVP): Ich möchte auf Herrn Kollegen Brandstätter eingehen, weil das das beste Beispiel dafür ist – wobei es inhaltlich stimmt (Abg. Brandstätter: Eben!) –, wie man den Inhalt eines Artikels durch das Herausgreifen einzelner Teile zwar nicht ins Gegenteil, aber doch verdrehen kann. Die Überschrift meines Artikels hat gelautet „Der geistigen Landesverteidigung muss wieder neues Leben eingehaucht werden.“ (Zwischenruf des Abg. Brandstätter.) Hergeleitet habe ich das so, dass die Neutralität Staaten nur dann schützt, wenn sie von anderen akzeptiert und respektiert wird. Was passiert, wenn das nicht der Fall ist, sieht man am Beispiel der Ukraine oder, wie Herr Professor Bußjäger angeführt hat, am Beispiel Belgiens.
Jetzt kommt der verhängnisvolle Teil, der immer herausgegriffen wird, ein Teil eines Satzes, den ich so formuliert habe: Aus diesem Grunde muss über die Ausgestaltung unserer Neutralität diskutiert werden, denn sie ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist – und jetzt kommt es – die militärische Landesverteidigung im Gleichklang mit der wirtschaftlichen, der zivilen und vor allem auch der geistigen Landesverteidigung. Und der geistigen Landesverteidigung muss wieder neues Leben eingehaucht werden, weil sie in den letzten Jahrzehnten nicht in dem Ausmaß vorhanden war, dass man Bedrohungen, Bedrohungslagen in dem Ausmaß, in dem sie bestehen, wahrgenommen hat und entsprechend gehandelt hat.
Seit dem 24. Februar 2022 hat sich leidvoll dieses Bewusstsein – Gott sei Dank muss man sagen – geändert und wir gehen in die Richtung, dass die militärische Landesverteidigung wieder entsprechend gestärkt wird. Das ist gut und richtig so. Dass wir jetzt über die Neutralität diskutieren, ist, denke ich, so wie es auch unsere beiden Experten gesagt haben, ein aktiver Beitrag zur Stärkung der geistigen Landesverteidigung.
Abgeordneter MMag. DDr. Hubert Fuchs (FPÖ): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ich hätte folgende Fragen an die Experten: Zuerst einmal eine rein legistische Frage: Sie haben ja beide darin übereingestimmt, dass eine Wiederverlautbarung legistisch nicht sinnvoll wäre. Wenn Sie beide sagen, dass eben die entsprechende Bestimmung durch den Artikel 23j materiell derogiert wurde, dann, das würde ich aus Laiensicht sagen, würde sich ja rein juristisch, nicht politisch eine Wiederverlautbarung sehr wohl anbieten, da es da eine entsprechende Derogation gibt. Das ist eine Frage an beide Experten.
Sie haben immer gesagt, Wirtschaftssanktionen sind sehr wohl mit Artikel 23j vereinbar. Wie sieht es mit Finanzbeihilfen aus, gerade wenn man weiß, dass mit Finanzbeihilfen auch entsprechende Waffenkäufe finanziert wurden? Ist das auch vereinbar?
Zur nächsten Frage: Vielleicht ist das ein Missverständnis, denn ich habe Professor Klamert so verstanden, dass die Neutralität eben kein Baugesetz der Bundesverfassung ist. Sie, Professor Bußjäger, haben gemeint, sie ist ein Baustein – okay. Auch eine Frage an beide Kollegen: Was würde die Neutralität dann zu einem Baustein machen? Und als abschließende Frage: Wäre eine EU-Armee mit der Neutralität, wie wir sie jetzt verstehen, vereinbar?
Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Da lobt man einen ÖVP-Kollegen und dann ist es auch nicht recht. Manchmal hat man es nicht leicht, aber das hat auch niemand versprochen. Deswegen möchte ich jetzt noch einmal auf das Thema der gemeinsamen Verteidigung eingehen. Wir haben ja alle gehofft, dass es morgen eine Sitzung zu einer Österreichischen Sicherheitsstrategie gibt: Österreich-Sicherheitsstrategie.
Jetzt hören wir leider nichts davon, es dauert also offenbar wieder länger, aber genau das ist ja der entscheidende Punkt. Ich habe vorhin schon versucht, das anzusprechen. Was macht unsere Sicherheit aus, das muss doch der wesentliche Punkt sein, und was ist die Strategie, wie wir dorthin kommen?
Was die Sicherheit ausmacht, müssen wir ja auch daraus erkennen, welche Drohungen es gibt. Von russischer Seite, um das auch klar auszusprechen, wird immer wieder gedroht mit einer Formulierung wie: Überall, wo Russen sind, ist Russland. Eine andere Formulierung ist: Der Krieg macht uns erst stärker. Eine weitere Formulierung – jetzt kann man sagen, dass Herr Medwedew im Wodkafass wohnt, aber er sagt das immer wieder – ist: Wir werden uns bis Lissabon ausbreiten. – Na ja, auf dem Weg nach Lissabon kommt man in Österreich vorbei und wir wissen ja auch aus dem Kalten Krieg, dass es natürlich Planungen der Sowjetunion gab, durchs Donautal zu gehen. Wir wissen auch, dass es Planungen der Nato gibt, dort entgegenzukommen. Das ist ja offensichtlich. Hätten die unsere Neutralität respektiert? – Selbstverständlich nicht, auch das wissen wir ja.
Deswegen ist für mich jetzt die wesentliche Frage: Wie kommen wir zu dieser Sicherheit? Da ist eben offensichtlich klar, dass die Neutralität alleine nicht die Antwort ist. Die Frage ist jetzt auch aus verfassungsrechtlicher Sicht an die Experten: Was können wir tun, dass es innerhalb dieser Österreichischen Sicherheitsstrategie eben wirklich um unsere Sicherheit geht? Wie können wir uns wehren?
Es ist offensichtlich so, jedenfalls habe ich Sie so verstanden – wenn es nicht so ist, dann sagen Sie es bitte –, dass natürlich eine gemeinsame Verteidigung möglich wäre, dass eine Vorbereitung möglich ist, dass Sky Shield nicht gegen die Neutralität verstößt. Deswegen würde mich jetzt interessieren und natürlich würde ich das dann auch von der Frau Bundesministerin wissen wollen, warum das alles so lange dauert und was wir machen können, damit die Sicherheit für die Österreicherinnen und Österreicher durch eine Landesverteidigung, die allzu lange von drei hier anwesenden Parteien versäumt wurde, auch so aussieht, dass man den Menschen sagen kann, dass sie in einem sicheren Land leben. – Danke.
Zweite Antwortrunde der Experten
Univ.-Prof. Dr. Marcus Klamert, MA: Vielen Dank für die Fragen. Zu Herrn Abgeordneten Fuchs: Das ist ein Punkt, in dem ich vielleicht dem Kollegen Bußjäger nicht ganz zustimmen würde. Die Frage ist: Was wäre, wenn man das das Bundesverfassungsgesetz Neutralität noch einmal im – gehen wir einmal davon aus – derzeitigen Wortlaut, ohne Abweichungen erlassen würde?
Da gibt es dann einerseits die Überlegung: Ist das dann Lex posterior, ist das ein späteres Gesetz? Aus dieser Sicht würde Artikel 23j dann verdrängt werden. Nur müsste man da auch mitbedenken, dass Artikel 23j aus unserer Sicht Lex specialis zum BVG Neutralität ist und Lex specialis würde in diesem Fall nicht verdrängt werden. Lex posterior würde also in diesem Fall nicht zur materiellen Derogation der Lex specialis führen. Das ist die Überlegung, die ich vertreten haben, dass es da zu keiner Veränderung der Rechtslage käme. Zu den Finanzbeihilfen: Ich nehme an, Sie spielen auf Instrumente wie die Europäische Friedensfazilität an, die eben gewisse Finanzierungen vornimmt. Da gibt es bekanntermaßen Beschlüsse im Rahmen der Gasp. Österreich hat sich teilweise von diesen Beschlüssen enthalten. Von dort, wo man sich enthalten hat, ist das nicht durchzuführen. Daher muss Österreich das nicht durchführen, und es wird dann kein Finanzbeitrag zur Durchführung dieses Beschlusses geleistet, von dem man sich konstruktiv enthalten hat. Also das ist eben das, was die konstruktive Enthaltung hier ermöglicht.
Zur EU-Armee: Ich möchte darauf verweisen: Es gibt einen Artikel 3 im irischen Protokoll, Vertrag von Lissabon, der vorsieht, dass weder die Schaffung einer europäischen Armee noch die Einberufung zu irgendeinem militärischen Verband vorgesehen wird, dass die Verträge nicht dazu führen werden.
Was es natürlich gibt, ist, wie schon angesprochen, die Möglichkeit einer gemeinsamen Verteidigung, was auch immer das dann sein mag. Aber dafür gibt es wiederum diese Vorkehrung im B-VG, nämlich diese Zweidrittelmehrheit, die hier erforderlich wäre, damit Österreich sich daran beteiligt.
Zur Frage, wie die Neutralität zu einem Baugesetz, zu einem Grundprinzip werden kann: Wie gesagt, das ist verfassungsrechtlich eine schwierige Frage. Da gibt es keine einfache Antwort. Da müsste man sich konkret anschauen, wie das bewerkstelligt werden könnte. Das kann ich so nicht beantworten. – Danke.
Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger: Dann würde ich hier lediglich in den Punkten ergänzen, bei denen mir scheint, dass ich eine spezielle Meinung habe oder bei denen ich die Meinungen ein bisschen präzisiere.
Herr Klamert und ich sind uns in Folgendem völlig einig: Wenn wir das BVG Neutralität unverändert wiederholen, dann haben wir zwar eine Lex posterior, aber das hebt das Problem beziehungsweise die Tatsache nicht auf, dass wir mit dem Artikel 23j B-VG eine Spezialnorm haben. Das ist völlig klar.
Was ich gemeint habe, ist: Na gut, der Bundesverfassungsgesetzgeber könnte, wenn er ohnehin schon das BVG Neutralität wiederholt, irgendeine Anmerkung treffen, die dann als authentische Interpretation oder wie auch immer zu verstehen wäre, dass hier auch die Spezialität des Artikels 23j B-VG aufgehoben wird. Die Frage, wie man das legistisch dann formulieren würde, bleibt auch dahingestellt, aber zumindest rechtstechnisch wäre es möglich.
Rechtstechnisch wäre es auch möglich, die Neutralität zu einem Bauprinzip zu machen. Wenn es ein Bauprinzip werden soll, dann müsste sie durch Bundesverfassungsgesetz und Volksabstimmung sozusagen nochmals neu formuliert werden. Die Frage, wie sinnvoll das Ganze wäre, bleibt dahingestellt.
Zur Frage bezüglich einer europäischen Armee muss ich sagen: Das sind sehr abstrakte Begriffe. Letztlich kommt es darauf an, was man unter europäischer Armee versteht oder was man unter Abstimmung mit anderen Staaten versteht. Wenn das dazu führt, dass das Oberkommando über das Bundesheer zu einer anderen Institution, zu einem anderen Rechtsträger wandert, dann hätte ich meine Probleme mit der Neutralität.
Solange das so ist, wie es nach meinen Informationen bei Sky Shield der Fall ist, wo wir uns in einer freiwilligen Abstimmung mit anderen befinden, wo unsere autonome Entscheidungsfähigkeit erhalten bleibt, unter diesen Voraussetzungen würde ich das für zulässig erachten. (Abg. Fuchs: Finanzfrage? Finanzbeihilfen? – Ruf: Hat er gesagt!)
Bezüglich der Finanzbeihilfen schließe ich mich der Meinung an. Soweit ich weiß, ist das eben auf Basis einer konstruktiven Enthaltung erfolgt. Grundsätzlich sind natürlich Finanzhilfen neutralitätsrechtlich schon recht kritisch zu sehen, aber wie gesagt durch Artikel 23j B-VG abgedeckt und durch die konstruktive Enthaltung aus meiner Sicht auch verfassungsrechtlich zulässig.
Schlussstatements der Proponenten des Volksbegehrens
Anatolij Volk: Ich versuche, soweit möglich, auf gewisse Einwände von Abgeordneten einzugehen. Der Herr von der Volkspartei hat über die Neutralität, über unsere Tätigkeit und über unsere politischen Meinungen gesprochen. – Selbstverständlich sollen 6,4 Millionen wahlberechtigte Menschen eine politische Meinung haben Das ist so bei einer Wahl: Viele entscheiden sich vielleicht kurzfristig, wenn sie in der Kabine stehen, und das muss man auch respektieren und akzeptieren.
Ich denke, man soll sich allgemein ein bisschen mehr Gedanken über unsere Gesellschaft machen: In welche Richtung gehen wir? Was wollen wir umsetzen?
Sie haben das ja erwähnt, und für mich ist natürlich die Motivation, sich wie Robin Hood für die Demokratie einzusetzen. Ich habe schon gesagt, wie ich auch in den anderen Ausschüssen gesagt habe, dass bei jedem Thema die Demokratie eine ganz wichtige Rolle spielt. Leider ist die Demokratie in Österreich in Gefahr, auch durch Ihre Arbeit.
Und das, was Bundespräsident Van der Bellen fordert, nämlich jeden Tag Demokratie neu leben und stärken, wird leider nicht umgesetzt.
Ich ersuche, meine Damen und Herren, die Abstimmung mit 94-prozentiger Zustimmung für die Neutralität Österreichs – Ja ernst zu nehmen und nicht so zu tun, wie es der ORF berichtet, nämlich antidemokratisch, dass nämlich, bevor das überhaupt ins Plenum kommt, schon entschieden ist und dieses Volksbegehren so wie alle anderen Volksbegehren auch ad acta gelegt wird.
Ich finde es ganz schlimm, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk das macht. Das untergräbt eigentlich Ihre Arbeit und sagt eigentlich, man kann schon aufstehen und gehen, denn es bringt nichts. Und ich versuche, als Robin Hood trotzdem weiterzumachen.
Die Abgeordneten von der SPÖ haben gemeint, ja, wir sind für Neutralität und so weiter und so fort. – Alles super. Ich frage mich aber, wenn ich mir die Brandherde weltweit anschaue: Wieso findet das überhaupt statt, meine Damen und Herren? Der Krieg in der Ukraine wurde 2014 begonnen. Ich habe damals gesagt, ich habe Angst, es kann zu einem dritten Weltkrieg kommen.
Ich war vielleicht einer von wenigen Bürgern, die zu zwei Botschaften marschiert sind, nämlich zur russischen und zur ukrainischen Botschaft. Ich habe mit beiden gesprochen und habe gesagt: Meine Damen und Herren! Setzen Sie sich bitte an einen Tisch und schauen Sie, dass Sie das Problem friedlich lösen! Aber, nachdem die Russen einmarschiert sind, acht Jahre lang zuzuschauen und erst dann Feuer am Dach! zu schreien, das ist meiner Meinung nach ein bisschen spät.
Was die Grünen betrifft: Natürlich ist die Sicherheitspolitik wichtig, darüber brauchen wir nicht zu reden. Es steht im BVG Neutralität, wir sollen unsere Neutralität aktiv und passiv verteidigen. Die Frage ist nur, ob es unsere Neutralität nicht gefährdet.
Die FPÖ kritisiere ich wenig: Sie meinen, 120 000 Stimmen, aber das war eine Abstimmung, und es zählt nicht die Wahlbeteiligung, sondern das Ergebnis. Das nur kurz zu demokratischen Dingen.
Zu den NEOS beziehungsweise zu dem, was Herr Brandstätter bezüglich militärische beziehungsweise politische Neutralität gemeint hat: Selbstverständlich. Aber gerade da liegt der Hund begraben. Ich warte darauf, dass man nicht so viel mit der Angst arbeitet. Angst frisst die Seele auf. Viele waren davon in der Coronazeit betroffen, besonders junge Leute. Daher muss man da zwar vorsichtig sein, aber nicht übertreiben.
Vielleicht noch zum Schutzschild: Frankreich, Polen, Italien und andere Länder sind nicht dabei. Sie kritisieren im Prinzip diesen Sky Shield massivst und sagen, diese Waffenbeschaffung aus Israel und den USA ist nicht notwendig, man kann ja zum Beispiel auch die Waffensysteme von europäischen Ländern beschaffen.
Vielleicht der letzte Punkt: Prof. Peter Bußjäger hat gemeint, durch den EU-Beitritt haben Veränderungen im Neutralitätsgesetz stattgefunden beziehungsweise kann man auch eine Volksabstimmung machen.
Meine Forderung an Sie, meine Damen und Herren: Stärken Sie die Volksbegehren! Machen Sie Volksbegehren verbindlich! Dann wären viele Blockaden, die es zwischen Parteien leider gibt, durchbrochen. – Alles Gute und danke für die Aufmerksamkeit.
Ing. Werner Bolek: Sehr geehrte Damen und Herren! – Darf ich die Regie bitten, die Folie 10 einzublenden? – (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.) Abschließend wollen wir Sie hier im Ausschuss ersuchen, vielleicht einmal eine Ausnahme zu machen und ein Volksbegehren wirklich auf die Reihe zu kriegen, indem Sie im Parlament nicht nur berichten lassen, sondern die Debatte ins Parlament tragen. Wir haben gehört, man kann ein Grundprinzip daraus machen. Wir haben Ihnen auch kein pfannengerechtes Volksbegehren hier vorgelegt, weil Sie ja auch entscheiden können, aus der Pfanne gar nichts zu essen und es ad acta zu legen. Sie können aber auch entscheiden, aus dem, was das Volk gesagt hat, endlich etwas zu machen. Der Wunsch der Bevölkerung ist klar: 94,9 Prozent der Bevölkerung wollen unsere Neutralität erhalten wissen, gelebt wissen, und daher darf ich Sie auch ersuchen, dass Sie diese Neutralität nicht nur als Neutralitätspolitik so führen - -
Obmann Ing. Mag. Volker Reifenberger macht den Redner darauf aufmerksam, dass seine Redezeit vorbei ist, und bittet ihn, den Schlusssatz zu formulieren.
Ing. Werner Bolek: - - sondern auch die Möglichkeiten dazu schaffen, damit wir fähig dazu sind.
Ich komme der Bitte des Vorsitzenden nach und komme zum Schlusssatz: Bitte machen Sie etwas daraus! Schauen Sie auch, dass die Abstimmung im Parlament geheim und unter Aufhebung des Klubzwangs erfolgt, und erhalten Sie uns bitte unsere Neutralität für den Frieden und die Sicherheit unseres Landes! – Danke schön.
Statement der Bundesministerin
Bundesministerin für Landesverteidigung Mag. Klaudia Tanner: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Experten, Professoren! Herr Generalstabschef! Herr Generalsekretär! Herr Kabinettschef! Frau Abteilungsleiterin! Ein ganz großes Dankeschön an Sie, die Proponenten dieses Volksbegehrens! Ich glaube, das Thema der Neutralität ist aktueller geworden denn je, und das – lassen Sie mich das hinzufügen – nicht erst seit dem Angriff Putins auf die Ukraine, zu dem man sehr klar Stellung beziehen musste, weil wir eines sind: militärisch neutral, aber sicher nicht politisch neutral, genauso wenig wie man einem Terroranschlag gegenüber neutral sein kann.
Ich glaube, die Experten haben sehr treffend ausgeführt, welche Handlungsschranken uns die Neutralität vorgibt, und es ist sehr gut, dass wir darüber diskutieren. Ich freue mich auch, dass sehr viele heute via Livestream zugeschaltet sind, und dass wir wieder daran erinnern, worum es geht: darum, dass wir nicht an Kriegen teilnehmen, dass wir uns keinen militärischen Bündnissen anschließen und keine ständigen militärischen Vertretungen anderer Staaten hier auf unserem Staatsgebiet haben.
Es ist auch sehr klar fixiert, dass wir diese Neutralität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen müssen. Das haben wir in der Vergangenheit – und das ist genau der Punkt, der hier auch von den Experten angesprochen worden ist – tatsächlich vergessen. Das müssen wir zugeben, so offen und ehrlich müssen wir sein.
Umso dankbarer bin ich dafür, dass hier im Parlament das Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz beschlossen worden ist, in dem ein sehr genauer Aufbauplan bis zum Jahr 2032 und darüber hinaus festgelegt worden ist, damit wir das österreichische Bundesheer wieder in die Lage versetzen, die Neutralität zu verteidigen.
Vielleicht noch ein Wort zu Sky Shield: Wir sind keine Insel der Seligen, aber es muss ja nicht sein, dass wir angegriffen werden, sehr geehrte Damen und Herren. Gerade der Vorfall in Zagreb in der Nähe eines Studentenheims hat ja gezeigt, dass eine Drohne auch fehlgeleitet werden kann. Es ist ja nachgerade unsere Pflicht, in jedem Fall meine als Verteidigungsministerin, dass wir uns dann auch entsprechend verteidigen können. Das ist nachgerade auch eine Aufgabe dazu.
Vielleicht haben wir das eine oder andere Mal vieles abstrakt gelassen oder auch nicht erklärt, was sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union verändert hat, dass wir damit auch ein glaubwürdiger Partner bei der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geworden sind und alles andere als ein Trittbrettfahrer sind. Sonst würden wir nämlich den 1 200 Soldatinnen und Soldaten, die bei friedenserhaltenden Missionen auf der ganzen Welt tätig sind, sehr unrecht tun.
Vielleicht sollen wir öfter Diskussionen dieser Art stattfinden lassen. Ich bitte Sie um eines: Gehen Sie diesen Weg der Mission vorwärts mit uns, mit dem österreichischen Bundesheer mit, damit wir dem, was in der Verfassung steht, auch gerecht werden! – Vielen Dank.
Obmann Ing. Mag. Volker Reifenberger bedankt sich bei der Bundesministerin für ihre Ausführungen und schließt, da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, die Debatte.
Sodann erklärt der Obmann das Hearing und damit den öffentlichen Teil der Beratungen für beendet.
Schluss des öffentlichen Teils von TOP 1: 15.34 Uhr