Transkript der Veranstaltung:
Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2023
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
Lisa Gadenstätter (Moderation): Vielen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, einen schönen guten Abend! Ich darf Sie hier im Parlament zur Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2023 ganz herzlich willkommen heißen.
Zu Beginn möchte ich den Gastgeber der heutigen Veranstaltung, den Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobotka, begrüßen. (Beifall.) Ganz herzlich begrüßen möchte ich die Präsidentin des Bundesrates Margit Göll (Beifall), den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Martin Polaschek (Beifall) sowie die zahlreich anwesenden Vertreterinnen und Vertreter des Diplomatischen Corps. – Ihnen allen ein herzliches Willkommen. (Beifall.)
Es ist eine besondere Freude, meine Damen und Herren, die anwesenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die heute im Rahmen des Simon-Wiesenthal-Preises eine Ehrung erhalten werden, stellvertretend für alle anwesenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen Helga Feldner-Busztin (Beifall), Jeno Friedmann (Beifall), Naftali Fürst (Beifall), Viktor Klein (Beifall), Liese Scheiderbauer (Beifall) und Marian Turski. (Beifall.)
Octavian Fülöp, Maria Gabrielsen, Otto Nagler und Katharina Sasso, die im Rahmen der heutigen Veranstaltung ebenfalls als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geehrt werden, können heute leider nicht persönlich bei uns sein, aber ich weiß, dass einige von Ihnen die Veranstaltung via Livestream verfolgen. – Ich darf Sie an dieser Stelle auch alle recht herzlich begrüßen. (Beifall.)
Ebenfalls ganz herzlich begrüßen darf ich jetzt die Mitglieder der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury: Katharina von Schnurbein, die Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission (Beifall), Brigitte Bailer, Honorarprofessorin am Institut für Zeitgeschichte (Beifall), Barbara Stelzl-Marx, die Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung (Beifall) und Oskar Deutsch, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. (Beifall.)
Monika Schwarz-Friesel und Ariel Muzicant, beide Mitglieder der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury, können heute leider nicht persönlich anwesend sein, aber sie sind uns auch via Livestream zugeschaltet. – Ich darf Sie an dieser Stelle auch ganz herzlich begrüßen. (Beifall.)
Namentlich begrüßen wollen wir außerdem jene Damen und Herren, die heute im Rahmen der heutigen Veranstaltung noch aktiv in Erscheinung treten werden. Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie Racheli Kreisberg, die Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative (Beifall), Hannah Lessing, die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus (Beifall), Dalia Grinfeld, Associate Director Europe der Anti-Defamation League (Beifall), Andreas Kranebitter, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (Beifall), Ahmad Mansour, deutsch-arabisch-israelischer Psychologe und Autor. (Beifall.)
Es freut uns wirklich sehr, dass so viele Nominierte der Einladung gefolgt sind. Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen hier bei uns im Parlament. Danke schön. (Beifall.)
Herzlich begrüßen darf ich außerdem noch alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates, die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen- und Religionsgemeinschaften, von Gedenkinitiativen, Opferverbänden, Lagergemeinschaften und Erinnerungsinitiativen sowie alle Vertreterinnen und Vertreter der autochthonen Volksgruppen sowie aus den Bereichen Bildung, Kunst und Kultur. (Beifall.)
Abschließend darf ich noch das Roman Grinberg Klezmer Swing Quartett, das die heutige Veranstaltung musikalisch begleiten wird, herzlich willkommen heißen. (Beifall.)
Kommt alle zusammen, lasst uns feiern wie eine große Familie; genug geweint, jetzt sind wir alle miteinander verbunden. – Das ist die Quintessenz des ersten Musikstückes, und das wollen wir heute auch tun.
Der Simon-Wiesenthal-Preis wird bereits zum dritten Mal verliehen, und es wurden wieder zahlreiche Projekte und Initiativen aus der Zivilgesellschaft eingereicht. Wie viele das sind, das wird uns gleich der Gastgeber der Verleihung, der Hausherr, sagen. Bitte begrüßen Sie den Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobotka. (Beifall.)
Wolfgang Sobotka (Präsident des Nationalrates und Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): 197 Einreichungen – der Jüngste ist 17, die Älteste 103 –, Beteiligungen weltweit aus 31 Ländern, zehn Zeitzeugen, die wir heute ehren dürfen: Ist das genug, was wir tun?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie schon begrüßt sind! Sehr geehrte Frau Kreisberg! Es ist für uns eine ganz große Ehre und Freude, dass Sie zu Ehren Ihres Großvaters wieder hier sind und uns diese Kooperation angeboten haben. Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin! Herr Bundesminister! Ich freue mich ganz besonders über Herrn Mansour, der sich seit dem 7. Oktober in einer ganz besonderen Situation befindet und es trotzdem auf sich genommen hat, nach Österreich zu kommen. Es ist für uns eine große Freude, dass Sie, wie so viele andere, hier sind.
Vor allem auch der Jury ein herzliches Dankeschön, denn ohne die Jury könnten wir die Nominierten, die aus den verschiedensten Regionen Europas gekommen sind, heute nicht auszeichnen. Wir dürfen uns für Ihr Engagement und für Ihr heutiges Hiersein bedanken. Nehmen Sie das auch als einen Impuls, weiterzuarbeiten!
Ich freue mich, dass so viele Gäste gekommen sind, dass unsere Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates hier sind und damit zum Ausdruck bringen: Es ist eine Veranstaltung des österreichischen Parlaments.
Unsere Antwort auf meine anfangs gestellte Frage muss heute mehr denn je sein: Zur Bekämpfung des Antisemitismus können wir nie genug tun. Wir müssen unsere Stimme erheben, Vorschläge einbringen, Gesetze beschließen und Maßnahmen setzen.
„Jeder Tag ein Gedenktag“, so heißt ein Buch, das Simon Wiesenthal 1987 veröffentlicht hat. Vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember dokumentiert dieses Buch für jeden Tag des Jahres Ereignisse über die gesamte Geschichte des jüdischen Volkes hinweg, Ereignisse, oder doch klarer ausgedrückt, um sie beim Namen zu nennen: Morde, Pogrome, Massaker. Kein Tag im Jahr vergeht, an dem es in der Geschichte nicht zu einem Verbrechen am jüdischen Volk gekommen ist.
So ist jeder Tag – gestern wie heute, morgen und übermorgen – ein Gedenktag. Am 7. Oktober 1939 wurden 48 Juden in Nordpolen von den Nazis ermordet. Am 7. Oktober 1941 wurden 7 000 Juden in Weißrussland in einer Schlucht hingemetzelt. Am 7. Oktober 1942 ermordete die SS 700 Juden in Suwałki in Ostpolen und 3 600 im Vernichtungslager Treblinka. Nur 33 von den am 7. Oktober 1943 aus Frankreich nach Auschwitz deportierten 1 000 Juden gelang es, nach der Befreiung des Lagers 1945 noch am Leben zu sein. Am selben Tag fuhr ein Transport mit 21 Juden aus Wien nach Auschwitz und ein weiterer mit 1 260 Kindern nach Theresienstadt. Am 7. Oktober 1944 brannten die Häftlinge des jüdischen Sonderkommandos das Krematorium in Auschwitz nieder, durchschnitten den Stacheldrahtzaun, erschossen ihre Bewacher und flohen. Die meisten von ihnen wurden auf der Flucht von der SS ermordet, nur wenige haben überlebt.
Und nun, am 7. Oktober 2023, hat sich die islamistische Terrororganisation Hamas in diese Chronik Simon Wiesenthals mit den abscheulichsten Verbrechen an Jüdinnen und Juden seit der Schoah eingeschrieben. „Jeder Tag ein Gedenktag“ – und nicht nur das: Seit dem 7. Oktober des vergangenen Jahres vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht irgendwo auf der Welt in irgendwelchen Organisationen, in Dörfern, Städten, Universitäten, Firmen zur Hetze, zu Übergriffen, zu Angriffen, ja auch wieder zu Morden gekommen ist. Jüdinnen und Juden haben auch in Europa wieder Angst.
Die barbarische Terrorattacke und ihre Folgen haben unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Antisemitismus und unser Kampf dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, waren über viele Jahre hinweg beinahe eine akademische Diskussion, fest verortet in einer nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoah gewachsenen Gedenkkultur unseres Landes. Generationen von Politikern vor mir, auch meine Generation und ich selbst haben in zahllosen Ansprachen zu ebenso vielen Gedenktagen in unseren Reden das Nie-wieder beschworen und uns dem Kampf gegen den Antisemitismus verpflichtet gefühlt.
Und heute? – Heute sind die Worte der Reden verklungen, und wir alle spüren, mehr als wir uns je vorzustellen vermochten, die Dringlichkeit ihrer Relevanz, denn das Grauen ist wieder in der Realität unserer Gegenwart angekommen und die vielköpfige Hydra des Antisemitismus reckt sich heute erneut und sehr frech in unsere Gesellschaft hinein, zeigt ihre hässlichsten Fratzen. Schlägt man ihr den einen Kopf ab, so wachsen beständig neue. Man sieht sie auf den Straßen Europas, in Teilen unserer migrantischen Community, in Teilen unserer europäischen Medien, in Teilen der Wissenschaftskommunität, in Teilen der Kunstszene und auch in den politischen Parteien, besonders an ihren Rändern des Spektrums.
Wir lernen dabei mit Erstaunen und Befremden: Ein lautstarker Antifaschist zu sein schützt auch nicht jeden davor, als Antisemit oder Antisemitin zu agieren. Es ist eine verkehrte, ja pervertierte Moral, die sich da breitmacht, und so ist es wohl an der Zeit, den Begriff des Antisemitismus aus dem Wissenschaftsturm akademischer Betrachtung, aus der Gefälligkeit angemessener Gedenkreden herauszureißen und die Dinge beim Namen zu nennen: Antisemitismus, Antizionismus – das ist alles zusammen nichts anderes als Judenhass; und das seit mehreren Hundert Jahren.
Judenhass, wie wir ihn heute erfahren müssen: Von rechts sieht man, wie dumm er daherkommt. Von links sieht man, wie er sich scheinbar intellektuell überhöhen möchte. Von migrantischer Seite sieht man, wie eruptiv, aggressiv und unbändig From the River to the Sea!, skandiert wird. Diesem Judenhass werden wir entschieden entgegentreten, uns ihm entgegenstellen, wo möglich mit den Mitteln der Erziehung und der Verständigung und wo nötig mit der Klarheit des Gesetzes und mit dem Gewaltmonopol des Staates.
Heute zeichnen wir ganz im Sinne des Namenspatrons jene Organisationen und Persönlichkeiten aus, die sich im Besonderen durch Bildung, durch Wissensvermittlung, durch Forschung, durch Erziehung und durch ein besonderes Engagement in Beständigkeit für jüdisches Leben, für Vielfalt und für Verständigung in unseren Gesellschaften eingesetzt haben.
Ich spreche für alle: Wir geben nicht auf, Menschen für das Gute gewinnen zu wollen und dem Hass die Alternative der Verständigung anzubieten. Unser Ziel und das Ziel aller demokratischen Kräfte dieses Landes muss sein, den Kräften des Anstands Raum zu geben, auch an sich selbst für ein Klima des Respekts zu arbeiten, für ein Klima, in dem das Eigene sich nicht durch die Vielfalt bedroht sieht, in dem Antisemitismus jedenfalls keinen Platz hat.
Die Preisträger des heutigen Abends sind unsere starken Partner in dieser Arbeit. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern: aus Österreich, aus Europa und aus Übersee. So wie wir den Geist dieses Simon-Wiesenthal-Preises tragen wollen, mögen Sie diesen Geist auch von dieser Preisverleihung hier dorthin mitnehmen: Wir geben nicht auf – niemals! (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, Simon Wiesenthal war ein unermüdlicher Kämpfer gegen Antisemitismus und gegen die Gleichgültigkeit gegenüber Verbrechen des Nationalsozialismus.
Bevor hier gleich seine Enkelin zu uns sprechen wird, schauen wir uns einen kurzen Film über einen Außergewöhnlichen an.
*****
(Es folgt eine Videoeinspielung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Simon Wiesenthal war auch ein großer Verfechter der Bildung der jungen Generation. Er hat regelmäßig österreichische und deutsche Schülerinnen und Schüler zum Gespräch in sein Büro nach Wien eingeladen, und genau das hat seine Enkelin Racheli Kreisberg als Vorbild für eine ganz besondere Initiative gedient: die Entwicklung der Swiggi-Touren.
Was da genau passiert, warum das so wichtig ist und was die Familie Wiesenthal über diesen Preis sagt, das wird uns jetzt Racheli Kreisberg, die Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative, sagen. – Ich darf Sie ans Pult bitten, Frau Kreisberg. (Beifall.)
Racheli Kreisberg (Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative) (in deutscher Simultanübersetzung): Sehr geehrter Herr Präsident Sobotka! Liebe Gäste, Freunde und Kollegen! Es braucht visionäre Menschen, Teamwork und Finanzierung für eine exzellente und zeitgemäße Initiative, wie es der Simon-Wiesenthal-Preis ist.
Die Idee wurde von einigen Jahre geboren, während des Besuches einer österreichischen Delegation in Israel, unter der Leitung von Wolfgang Sobotka, der sich mit der Familie von Simon Wiesenthal traf. Dann brauchte es Befürworter, Personen mit Einfluss im Wiener Parlament, die das Konzept des Simon-Wiesenthal-Preises mit klaren Zielen und einem Budget ausarbeiteten.
Die nächste Etappe war die Umsetzung, durch Aufforderungen, Vorschläge einzureichen, die sich an Hunderte von Organisationen wandten. Die eingereichten Vorschläge mussten dann von einem sachkundigen Expertenteam bewertet und gereiht werden. Schließlich würden die Finalisten für die Preisverleihung ins Parlament eingeladen werden. Für diese schrittweise Entwicklung einer Idee brauchte es aber nur einen Mann, und dieser Mann ist Simon Wiesenthal.
Die Konzeption des Simon-Wiesenthal-Preises begann während seines Aufenthaltes im Konzentrationslager Janowska, während des Todesmarsches, im Moment der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen und setzte sich sofort mit seinem Angebot fort, den amerikanischen Streitkräften bei der Suche nach Nazis und ihren Kollaborateuren zu helfen. Akribisch deckte er das Grauen der Endlösung und die von den Nazis begangenen Verbrechen auf. Jahre der aufopferungsvollen Suche brachten wichtige Ergebnisse, um die Täter vor Gericht zu bringen.
Es war in diesen Jahren, dass das Konzept „Recht, nicht Rache“ entstand. Es wurde zum Motto von Simon Wiesenthal. Er glaubte daran, Beweise zu sammeln, Gerichtsverfahren vorzubereiten und so für ein gerechtes Urteil zu sorgen. Er tat dies mit einem kleinen Team von Freiwilligen aus aller Welt, mit seinen Kontakten zum israelischen Mossad und mit Hilfe zahlreicher Zeugen, die den Holocaust überlebt hatten.
All dies hätte er ohne die unermüdliche Unterstützung seiner Frau Cyla Muller nicht erreichen können. Cyla und Simon wurden beide 1908 in Buczacz, Galizien, in der heutigen Ukraine geboren. Sie besuchten das Gymnasium und heirateten 1936 in Lwiw. Sie standen Seite an Seite bis zum Tod meiner Großmutter Cyla im November 2003 im Alter von 95 Jahren – Sie waren der Arzt, der meiner Großmutter in ihren letzten Stunden geholfen hat, vielen Dank –; mein Großvater Simon verstarb im September 2005 im Alter von 96 Jahren.
Und ich bin jetzt Teil der österreichischen Bemühungen um das Gedenken an das Leben und das Vermächtnis von Simon Wiesenthal. Gemeinsam mit dem Wiener Wiesenthal-Institut, das sein Archiv beherbergt und beforscht, und dem Simon-Wiesenthal-Preis des Parlaments tragen wir zum Gedenken an das lebendige Wiener Judentum bei.
Mein Kollege, Yossi Beck, der ebenfalls hier ist, und ich haben die Simon Wiesenthal Genealogy Geolocation Initiative, kurz Swiggi, entwickelt.
Swiggi ermöglicht es Forscher:innen, Historiker:innen, Student:innen und Schüler:innen, das Leben der Wiener Jüdinnen und Juden vor und während des Zweiten Weltkrieges zu erforschen und sich daran zu erinnern. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Demokratiebildung des Parlaments arbeiten wir auch mit Schulen zusammen, wobei diese Initiativen teilweise durch den Nationalfonds und den Zukunftsfonds finanziert werden. Wir haben verschiedene Swiggi-Touren entwickelt, um das Gedenken an das jüdische Leben sowie das Leben und Vermächtnis von Simon Wiesenthal zu pflegen.
Meine Familie in Israel – darunter meine Eltern, Paulinka und Gerard Kreisberg, meine Brüder Danny und Joeri und ihre Familien und die acht Urenkel von Simon und Cyla – möchte den Hunderten von Bewerbern für den dritten Simon-Wiesenthal-Preis, den zehn Finalisten und den drei Preisträgern des Jahres 2023 herzlichst gratulieren.
Wir sind sicher, dass die Preisträger es sehr zu schätzen wissen, von einer angesehenen Jury ausgewählt worden zu sein, dass sie ihre hervorragende Arbeit fortsetzen und die zeitgemäßen Ziele dieses Preises aktiv verfolgen werden.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich alle hier Anwesenden auffordern, aktiv zur Freilassung der 134 Geiseln beizutragen: Die jüdischen und arabischen Frauen, Männer, Kinder, das 14 Monate alte Baby Kfir Bibas und der 39-Jährige Tal Shoham, der die israelisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft besitzt, wurden am 7. Oktober 2023 entführt und befinden sich seit 158 Tagen in Gefangenschaft. Bringt sie zurück nach Hause! – Vielen Dank. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Racheli Kreisberg.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen jetzt das Roman Grinberg Klezmer Swing Quartett näher vorstellen: Roman Grinberg gilt als einer der vielseitigsten jüdischen Künstler unserer Zeit, er zeichnet für Piano und Gesang heute verantwortlich; Sasha Danilov an der Klarinette, Andy Mayerl am Kontrabass und Wolfgang Dorer am Schlagzeug. (Beifall.)
Herzlichen Dank für die musikalische Untermalung.
Das Quartett wird uns jetzt auf die Preisverleihung, die in Kürze beginnt, musikalisch einstimmen. Wir hören jetzt ein Medley. – Bitte schön.
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
(Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, wir dürfen jetzt mit der Preisverleihung beginnen. Die erste Kategorie ist die Kategorie Aufklärung über den Holocaust. Für den Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust sind folgende Bewerbungen nominiert: Alois und Erna Will, Centropa und – leider einer posthume Nominierung – Heidemarie Uhl.
Alle drei Projekte wurden aus Österreich eingereicht. Jetzt wollen wir natürlich auch wissen, worum es denn bei diesen Projekten, bei den einzelnen Projekten, geht. Das sehen Sie jetzt in einer kurzen Videozusammenfassung.
*****
(Es folgt eine Videoeinspielung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Großartige Projekte.
Ich darf jetzt Alois und Erna Will und Edward Serotta bitten, sich zu zeigen, sich zu erheben. Das ist Ihr Applaus für diese wirklich tollen Projekte. (Beifall.)
Für die Verleihung darf ich jetzt den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sowie der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreich Oskar Deutsch und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ans Rednerpult bitten. (Beifall.)
Oskar Deutsch (Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien): Sehr geehrter Herr Präsident Sobotka! Sehr geehrter Minister! Sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger! Geschätzte Damen und Herren! Es ist ein bisschen außerhalb des Protokolls – ich weiß, wir wollen alle wissen, wer der erste Sieger des heutigen Abends ist –, aber ich möchte mich einfach bei unserem Präsidenten bedanken, bedanken für diese Idee – Racheli Kreisberg hat es vorhin schon erwähnt –, dass der Simon-Wiesenthal-Preis vom Parlament vergeben wird, aber ich möchte mich auch dafür bedanken – wenn Sie sich alle die Rede, die unser Präsident vorhin gehalten hat, vielleicht nochmals durch den Kopf gehen lassen –, was er alles gesagt hat; und ich kann Ihnen garantieren: Das ist nicht, wie man auf Jiddisch sagt, gezugt, sondern das ist so gemeint. Das kommt aus tiefstem Herzen, das weiß ich von vielen, vielen Gesprächen, die wir miteinander hatten, von vielen Reden, die du auch schon zu uns allen bei verschiedensten Anlässen gehalten hast, und dafür möchte ich mich wirklich ganz, ganz herzlich bedanken. (Beifall.)
Es ist mir eine große Ehre, bekannt zu geben, dass der Preis für Aufklärung über den Holocaust und für zivilgesellschaftliches Engagement vergeben wird; and – wie man so schön sagt – the winner is: Centropa. (Beifall.)
Darf ich noch ein bisschen etwas zu dem Verein sagen? – Die Idee des Vereins wurde eben geboren, als Edward Serotta – ich kenne dich, glaube ich, schon seit dem ersten Tag, als du hier nach Wien gekommen bist – während einer Recherche für eine Reportage in Rumänien in den Neunzigerjahren eine Truhe mit verschiedenen Fotos überreicht wurde. Niemand konnte sich mehr an die Personen auf den Bildern und deren Geschichten erinnern. Fest entschlossen – und so kenne ich ihn auch heute noch –, dem Vergessen entgegenzuwirken, führte der Verein Centropa mithilfe eines internationalen Teams in den Jahren 2000 bis 2010 Interviews mit mehr als 1 200 jüdischen Schoahüberlebenden in 15 Ländern in Mittel- und Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion sowie auf dem Balkan. Diese gesammelten Zeitzeugnisse wurden in einer Onlinedatenbank veröffentlicht, die weltweit verfügbar ist. Jede einzelne dieser zahlreichen Lebensgeschichten bietet einen einzigartigen Einblick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Centropa konzentriert sich nicht aber nur auf die Schoah, sondern auch auf das Leben rund um die Schoah und, was ich so gut finde – ich weiß nicht, ob Centropa dafür ausgezeichnet wurde, aber das ist dann zusätzlich; und übrigens hat die Kultusgemeinde beziehungsweise die Israelitische Religionsgesellschaft Centropa letztes Jahr schon mit der Torberg-Medaille ausgezeichnet –, kümmert sich hier in Wien um viele, viele Überlebende der Schoah. Es gibt, ich glaube, im Monatsrhythmus Kaffeehaus mit Kaffee, Kuchen, es gibt Dinner, es gibt einen speziellen Seder für diese Leute. Er kümmert sich also die ganze Zeit, und, wie er dann wahrscheinlich später auch sagen wird, nicht nur er, sondern sein ganzes Team, und deswegen geht diesmal der Wiesenthal-Preis an Sie. – Danke schön, gratuliere. (Beifall.)
*****
(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Herzliche Gratulation, Herr Serotta. Ich darf Sie um kurze Dankesworte bitten, wenn es geht.
Edward Serotta: Jetzt sage ich ein paar Wörter auf Englisch, wenn das erlaubt ist
Lisa Gadenstätter: Of course.
Edward Serotta (Direktor Centropa Vienna) (in deutscher Simultanübersetzung): Centropa wurde im Jahr 2000 gegründet. Ich habe in Deutschland, den USA und in anderen Ländern versucht, Finanzierungsmöglichkeiten und Unterstützung zu finden. Was ich machen wollte, war: Ich wollte mit den Zeitzeugen in Mittel- und Osteuropa sprechen, und zwar nicht nur darüber, was sie während des Holocaust erleben mussten, sondern auch über ihr Leben davor beziehungsweise auch nach dem Zweiten Weltkrieg, und zwar bis zum Jahr 2000.
Dann habe ich Peter Mahringer, den Kabinettschef in Ihrem Ministerium, Herr Minister, getroffen und habe ihm da erklärt – ich musste ja dann die Dinge auch ein bisschen ändern –, dass das eben ein Projekt in den ehemaligen Kronländern der österreichischen Monarchie wäre. Gut, dann haben wir gesprochen, wir haben die Dinge ausdiskutiert, und innerhalb relativ kurzer Zeit bekamen wir dann die Unterstützung seines Ministeriums und dann auch Unterstützung von Hannah Lessing. Dann haben wir auch Gelder des Österreichischen Außenamtes bekommen und später dann auch Unterstützung des Zukunftsfonds. Ich bin mir sicher, dass ich hier jetzt andere Geldgeber und Unterstützer vergessen habe, aber jedenfalls haben wir uns an die Arbeit gemacht.
Die Idee bestand darin, die Zeitzeugen aufzuspüren und mit ihnen zu sprechen. Ich habe früher mit dem Fernsehen zu tun gehabt – damals war ich noch nicht grauhaarig – und ich arbeitete auch für die Printmedien. Ich wollte daher nicht auf ein Video zurückgreifen, ich wollte mit diesen Menschen immer wieder sprechen und intensive Gespräche führen. Diese Gespräche dauerten durchschnittlich 6 bis 7 Stunden. Wir griffen nicht auf die Videoaufnahme zurück, sondern haben 25 000 Familienfotos digitalisiert, und die erzählten natürlich sehr, sehr viele Geschichten, Geschichten über diese Familien. Es waren insgesamt 40 000 Seiten von Lebensgeschichten, die wir sammelten. All das konnte dokumentiert werden, und wir hätten das natürlich ohne die Unterstützung der österreichischen Seite nicht geschafft.
Dann kam die so genannte Claims Conference, dann Treffen mit den Deutschen und dann noch Treffen mit den Amerikanern. Wir haben jedenfalls das jüdische Gedächtnis aufbewahrt und wir haben auch sichergestellt, dass Tanja Eckstein, die die Gespräche hier in Wien führte, auch wichtige Beiträge leisten konnte. (Beifall.)
Tanja begann mit einem Klub. Da wurde ein Klub für die Interviewten gegründet. Wir sind das einzige Institut für mündliche Geschichte mit einem Klub, und in diesem Klub treffen sich Leute jeden Monat. Während der Covid-Pandemie haben wir zum Beispiel an die Senioren hier in Wien, in Prag und Budapest Tausende Bücher versandt. Ich habe dann auch Familien in den USA und auch in anderen Ländern besucht. Ich habe sie alle gebeten, Bücher zu versenden. Die Mitglieder von Centropa mögen sich jetzt bitte erheben, und zwar all jene, die diese Klubtreffen im Kaffee immer wieder besucht haben. – Wenn Sie jetzt bitte kurz aufstehen, damit wir Sie gut sehen können. Herzlichen Dank. (Beifall.)
Und was macht man denn mit diesen Lebensgeschichten, die man gesammelt hat? – Da geht es um Aufklärungsarbeit. Wir haben auch mehr als 1 200 Schulen kontaktiert, in Österreich zum Beispiel, auch dort wird Aufklärungsarbeit geleistet, also Holocaustaufklärungsarbeit, vor allem dort, wo der Holocaust stattgefunden hat.
Das Land, wo wir die engsten Kontakte haben, ist die Ukraine. Vor zwei Tagen besuchte ich noch Czernowitz: Wenn man in Czernowitz mit Gymnasiasten spricht und wenn man dann vor allem auch zum Beispiel Bilder ehemaliger Schülerinnen und Schüler sieht, die dort getötet wurden, dann ist das wirklich sehr beeindruckend – also viele, viele Schüler, die getötet wurden. In der Ukraine gibt es insgesamt mehr als 400 Lehrerinnen und Lehrer, die über die jüdische Geschichte und den Holocaust mehr erfahren wollen. Wenn das dann geschieht, wenn sie über die lokale Geschichte erfahren, dann wollen sie auch über ihre persönliche Geschichte mehr erfahren.
Das sind also die Dinge, mit denen sich Centropa befasst, das ist unser Hintergrund. Herzlichen Dank jedenfalls für diesen Preis, der hier verliehen wurde. Ich möchte mich auch beim gesamten Team bedanken und nehme diesen Dank auch in Vertretung des gesamten Teams entgegen. – Danke schön. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herzlichen Glückwunsch an Edward Serotta.
Meine Damen und Herren, wir sind damit bei Preisverleihung Nummer zwei. In dieser Kategorie wurden Projekte eingereicht, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben haben.
Für den Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus sind folgende Bewerbungen nominiert: Asociación Cultural Mota De Judíos, Spanien – dieses Projekt war 2022 schon einmal nominiert –, Elnet aus Deutschland und SOS Mitmensch aus Österreich.
Auch in dieser Kategorie wollen wir natürlich wissen, worum es bei diesen Projekten geht – auch hier wieder ein kurzes Video bitte.
*****
(Es folgt eine Videoeinspielung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Wieder ganz tolle Projekte. (Beifall.)
So, wo sitzen denn die Nominierten? – Ich darf Sie bitten, aufzustehen. Zeigen Sie sich uns, damit Sie Ihren Applaus für diese großartige Leistung entgegennehmen können. Ja, bitte nur aufstehen. Herzliche Gratulation! (Beifall.)
Für die Verleihung darf ich jetzt Jurymitglied und Zeitgeschichteprofessorin Barbara Stelzl-Marx und Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka zu mir bitten. (Beifall.)
Barbara Stelzl-Marx (Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung & Mitglied der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): „Nur das Erinnerte, nicht das Vergessene, lässt uns lernen.“ Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist das Motto auf der Gedenktafel in Rechnitz: „Nur das Erinnerte, nicht das Vergessene, lässt uns lernen.“
Denkmäler, Straßennamen, Städtenamen, das sind gewollte Zeugnisse, Instrumente und Ausdruck von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur. Sie sind auch materieller Gedächtnisspeicher einer Gesellschaft – jeder Gesellschaft – und sie sind politische Symbole, Gegenstand von Deutungskämpfen. Denken wir etwa an die Diskussionen im Zusammenhang mit Straßennamen, Straßennamenumbenennungen in Graz, in Wien, in Deutschland, in vielen Städten, die Diskussionen um Denkmäler.
Heute vor 86 Jahren passierte der Anschluss: Finis Austriae. Die Spuren des Nationalsozialismus, die Spuren des Holocaust sind bis heute oft unsichtbar, aber subkutan vorhanden, eingebrannt in die Biografien, eingebrannt in die Landschaften, und sie müssen bewusst ausgegraben werden, sichtbar gemacht werden. Ich darf in dem Zusammenhang auch erwähnen, dass wir heute im Bundesministerium für Inneres eine Ausstellung mit dem Titel „Hitlers Exekutive. Die österreichische Polizei und der Nationalsozialismus“ eröffnet haben.
Die Aufgabe von Simon Wiesenthal, die Lebensaufgabe, war es, diese Spuren freizulegen – nach dem Motto: Aufklärung ist Abwehr. Das ist auch das Motto unserer Preisträger; Sie können es sich vielleicht schon denken, und zwar darf ich jetzt verlautbaren: Preisträger in dieser Kategorie zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus ist die Asociación Cultural Mota De Judíos. (Beifall.)
Dieser Kulturverein macht Erinnerungsarbeit auf verschiedenen Ebenen, mit dem Ziel, das jüdische Erbe in der Gemeinde sichtbar zu machen, und mit diesem Ziel wurde 2014 sogar der Name der Gemeinde – wir haben das vorhin im Video gesehen – auf Castrillo Mota de Judíos geändert. Das ist ein sichtbares Zeichen von gelebter Gedächtnispolitik und Erinnerungskultur nach dem Motto: Aufklärung ist Abwehr.
Ich gratuliere herzlich und wünsche weiterhin alles Gute und viel Energie bei Ihrer wichtigen Arbeit. – Herzliche Gratulation. (Beifall.)
*****
(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Herzliche Gratulation!
Señor Pérez, please fogive me, I don’t speak Spanish but I try: Unas pocas palabras, por favor. ¡Gracias!
Lorenzo Rodríguez Pérez (Bürgermeister von Castrillo Mota de Judíos) (in deutscher Simultanübersetzung): Sehr geehrte Gäste! Meine Damen und Herren! Castrillo Mota de Judíos ist sehr dankbar für die Anerkennung, die ihm das österreichische Volk durch seine Volksvertreter im Parlament bezeugt.
In den letzten zehn Jahren ist Castrillo Mota de Judíos in ein ehrgeiziges und spannendes Projekt eingestiegen, um das Gedenken an die jüdische Geschichte unserer Stadt wiederzubeleben. Castrillo Mota de Judíos wurde nun zu einer internationalen Referenz im Kampf gegen Antisemitismus und musste deswegen auch einige Attacken von antisemitischen Gruppen erdulden. Dennoch hat Castrillo Mota de Judíos es sich auf sein Schild geschrieben, die Werte, die wir verteidigen, auch weiter zu verteidigen. Wir kämpfen für Frieden und Freiheit – Werte, die die wichtigsten Güter für moderne Demokratien darstellen.
Aus diesen Gründen ist es für uns eine große Ehre, mit dem diesjährigen Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnet worden zu sein. Wir möchten dem Nationalratspräsidenten und seinem Team sehr herzlich für diese Auszeichnung danken. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herzliche Gratulation!
Damit sind wir bei der dritten Preisverleihung. Für den Hauptpreis, meine Damen und Herren, und zwar für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust, sind folgende Bewerbungen nominiert: Amcha aus Israel, Casa Stefan Zweig aus Brasilien, Jan Grabowski aus Kanada und Likrat – Lass uns reden Österreich und Likrat Schweiz.
Worum geht es bei den Projekten? – Auch hier gibt es wieder ein kurzes Video für Sie.
*****
(Es folgt eine Videoeinspielung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Herzlichen Glückwunsch an alle Nominierten. Ich darf Sie bitten: Stehen Sie auf, zeigen Sie sich uns und holen Sie sich Ihren Applaus für diese ganz tollen Projekte ab. Herzliche Gratulation und Danke!
Für die Verleihung des Hauptpreises darf ich jetzt die Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission Katharina von Schnurbein und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu mir bitten. (Beifall.)
Katharina von Schnurbein (Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission & Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): Meine Damen und Herren, ich habe gleich die Ehre, den Hauptpreis bekannt zu geben. Vorher möchte ich noch kurz im Namen der Jury sagen, dass wir alle Entscheidungen einstimmig gefällt haben, und auch bekannt geben, dass wir, so wie im letzten Jahr auch, alle europäischen Kandidaten und Gewinner im November wieder zum Civil Society Forum nach Brüssel einladen werden. Da bringt die Europäische Kommission alle zwei Jahre jüdische und nicht jüdische Organisationen zusammen, die sich für den Kampf gegen Antisemitismus, für Holocaustbildung und die Förderung jüdischen Lebens einsetzen. Sie werden die Einladung vor dem Sommer erhalten.
Jetzt ist es meine große Freude und Ehre, die Gewinner des Hauptpreises des Simon-Wiesenthal-Preises bekannt zu geben. And the winner is: Likrat Austria und Likrat Schweiz. Bravo! (Beifall.)
Ich möchte noch ein paar Worte sagen, vieles wurde schon in dem Video jetzt gesagt: eine Organisation – wenn es sie nicht geben würde, müsste sie erfunden werden –, die junge jüdische Menschen dazu befähigt, in Schulen zu gehen und Seminare zu halten, in denen sie über ihre eigene jüdische Identität, über ihre Art und Weise, ihr Judensein zu leben, auch über Israel, über den Holocaust erzählen, und das in einer sehr natürlichen Weise.
Ich hatte die Ehre, als wir in Brüssel, 2019, glaube ich, unser erstes Treffen mit allen Mitgliedsländern und jüdischen Vertretern, also in großer Runde, gemacht haben. Damals haben wir ja Likrat eingeladen, eine Vertreterin, die uns das erklärt hat, und als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich, das muss es eigentlich in jedem EU-Land geben.
Die Tatsache, dass das in der Schweiz und in Österreich jetzt schon so lange und so erfolgreich besteht, spricht für sich. Ich weiß, dass es im Moment gar nicht genug Likratinos gibt, um den Anfragen gerecht zu werden, und wir hoffen, dass wir mit diesem Preis dazu beitragen können, dass noch mehr Jüdinnen und Juden ausgebildet werden. Weil: Sie werden dort nicht einfach hingeschickt, sondern sie bekommen eine Ausbildung, und deswegen möchte ich auch den Trainern, die da im Ehrenamt sehr viel Zeit investieren, um die jungen Jüdinnen und Juden auszubilden, ganz herzlich danken. – Vielen Dank, herzlichen Glückwunsch! (Beifall.)
*****
(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
*****
Lisa Gadenstätter: Ausgezeichnet werden für Likrat Österreich Beatrice Kricheli, die Kultusrätin der IKG Wien, und für Likrat Schweiz Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. Ich darf die beiden jetzt um Ihre Dankesworte bitten. (Beifall.)
Jonathan Kreutner (Generalsekretär Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Frau von Schnurbein! Lieber Oskar Deutsch! Es ist mir eine ziemlich große Ehre, hier heute diesen Preis entgegenzunehmen, und dafür möchte ich mich zunächst einmal in aller Form bedanken. Es freut mich umso mehr, heute hier als österreichisch-schweizerischer Doppelbürger zu stehen, und das steht auch als Symbol für die Zusammenarbeit dieses Projektes zwischen der Schweiz und Österreich.
Likrat wurde vor 20 Jahren, wie Sie es gehört haben, in der Schweiz vom SIG, von meinem Verband, der das Projekt lanciert hat, ins Leben gerufen. Damals, das müssen Sie sich vorstellen, waren Begegnungen auf Augenhöhe etwas ziemlich Neues, und dementsprechend gab es auch Vorbehalte. Heute ist Likrat ein fester Bestandteil der Antisemitismusprävention nicht nur in der Schweiz, sondern eben auch in Deutschland, in Österreich, in anderen Ländern, und darauf sind wir stolz. Likrat ist eben über die Schweizer Grenzen hinausgewachsen.
Über die Jahre konnten wir Likrat ausbauen, und gerade jetzt, in schwierigen Zeiten, seit dem 7. Oktober, sehen wir, wie wichtig ein Antisemitismusprojekt wie Likrat ist – gerade jetzt, da der Antisemitismus grassiert, auch in der Schweiz. Wir erleben in der Schweiz eine regelrechte Antisemitismuswelle. Sie werden es vielleicht gehört haben: Erst vor wenigen Tagen gab es einen Mordversuch an einem Juden in der Schweiz, nur weil er Jude war. Das war der erste solche Mordversuch an einem Juden, nur weil er Jude war, in der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg.
Umso wichtiger ist es, gegen Antisemitismus vorzugehen, Prävention zu haben, immer auch im Austausch mit unseren Partnern, auch hier in Österreich. Deshalb freut uns diese Anerkennung unserer Arbeit hier in Österreich als Schweizer, die nicht Mitglied in der EU sind, ganz, ganz besonders.
Mein Dank geht an alle Vorgänger im SIG, die vor über 20 Jahren an dieses Projekt geglaubt haben, an die Behörden in der Schweiz, die es damals auch gefördert haben, und vor allem auch an alle Likratinos und Likratinas, die wir ausgebildet haben, und auch an zwei Personen, die heute hier sind: Michel Ronen, Projektleiter bei Likrat, und Jonathan Schoppig, auch Projektleiter bei Likrat, und an Jonathan Schoppig ganz besonders. Er war im allerersten Lehrgang von Likrat, der absolviert wurde, und heute leitet er dieses Projekt, und deshalb geht dieser Dank auch ganz besonders an dich, an euch. – Vielen Dank und vielen Dank Ihnen allen für diese Ehre. (Beifall.)
Und jetzt übergebe ich Betty das Wort.
Beatrice Kricheli (Kultusrätin IKG Wien): Und diesem Dank möchte auch ich mich anschließen.
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission! Sehr geehrte Ehrengäste! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist einem Besuch in Zürich im Jahr 2013 zu verdanken, als ich meinen geschätzten Kollegen Jonathan Kreutner, den Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, getroffen habe und wir uns zum ersten Mal über Likrat ausgetauscht haben. Ab dem Moment war eines klar: Likrat goes Austria! Und der Rest ist Geschichte.
Heute stehen wir hier und haben gemeinsam die Ehre, den Simon-Wiesenthal-Preis entgegenzunehmen. An dieser Stelle möchte ich mich bei unserem Partner Likrat in der Schweiz für die ausgezeichnete Zusammenarbeit über all die Jahre herzlich bedanken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch unseren weiteren Partnern, unter anderem in Deutschland, Moldawien und Ungarn danken, die mit uns gemeinsam die gemeinsamen Ziele im Kampf gegen Antisemitismus verfolgen.
Nächstes Jahr feiert Likrat Österreich sein zehnjähriges Jubiläum. Mit derzeit über Tausend Begegnungen, 140 Likratinas und Likratinos und über 13 000 erreichten Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie diversen besuchten Institutionen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen und sogar Pensionistenheimen, dürfen wir mehr als stolz auf das Erreichte sein. Als Teil der österreichischen Nationalen Strategie gegen Antisemitismus sind wir fester Bestandteil dieser wichtigen Präventions- und Aufklärungsarbeit.
Jede einzelne Begegnung und jeder einzelne Dialog ist ein großer Schritt in eine bessere Zukunft und für ein besseres Miteinander. Doch wir sind noch längst nicht fertig, der Kampf gegen den Antisemitismus ist leider noch nicht vorbei. Durch Likrat sind viele interessante Dialoge und auch neue Freundschaften entstanden, aber wir stehen immer wieder vor immensen Herausforderungen und schwierigen Situationen. Vor allem seit dem 7. Oktober hat sich die Stimmung in unserer Gesellschaft und in den Klassenzimmern wirklich stark geändert. Doch ich bleibe dabei: Gerade jetzt – gerade jetzt! – müssen und wollen wir Likrat fortsetzen, denn gerade jetzt, da wir diesen rasanten Anstieg an Antisemitismus erleben, ist der Zeitpunkt, nicht zu schweigen, sondern miteinander zu reden. Ja, es ist nicht immer einfach, und das haben wir auch erlebt, doch wir können mit Überzeugung sagen, dass es funktioniert.
Dieser Erfolg ist vor allem unseren jüdischen Jugendlichen zu verdanken, und genau deshalb möchte ich mich bei euch, liebe Likratinas und Likratinos, die so zahlreich dort oben vertreten sind – bitte steht kurz auf –, bedanken. (Beifall.) Ihr seid es, die täglich in verschiedenste Institutionen gehen, Mut beweisen und für eine bessere Zukunft stehen. Liebe Likratinas und Likratinos, das hier ist euer Preis und ihr könnt stolz auf euch sein.
Der Dank geht auch an alle unsere Unterstützer und Förderer, Kooperationspartner und Berater und Freunde, die uns über all die Jahre tatkräftig unterstützt haben und mit uns gemeinsam für die gleichen Ziele kämpfen. Wir freuen uns auf eine weitere enge Zusammenarbeit. Vielen herzlichen Dank!
Last, but not least möchte ich mich auch beim gesamten Team vom Likrat bedanken. Es ist nicht so einfach in Worte zu fassen, wie viel Engagement und persönliche Hingabe von jedem einzelnen Teammitglied da hineinfließt. – Liebes Team, ihr wisst wirklich genau, wovon ich spreche. Ich danke euch von ganzem Herzen.
Es ist uns eine ganz besondere Ehre, den diesjährigen Simon-Wiesenthal-Preis in Empfang zu nehmen. Im Namen von Likrat möchte ich mich dafür herzlichst bedanken.
Der Preis ist in Erinnerung an Simon Wiesenthal, der immer gegen den Antisemitismus gekämpft hat und einst sagte: Wir dürfen niemals die Stimme gegen den Antisemitismus verstummen lassen, denn Schweigen bedeutet Zustimmung. Genau das machen auch wir bei Likrat: Wir werden nicht schweigen und auch nicht verstummen. Wir lassen uns in unserem Kampf für eine bessere Zukunft frei von Antisemitismus nicht aufhalten.
Ich lade Sie alle herzlich dazu ein, Teil davon zu sein. Ein offener Dialog ist der erste Schritt. Und in diesem Sinne: Likrat – Lass uns reden! – Am Yisrael Chai. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Nochmals herzliche Gratulation an alle Preisträgerinnen und Preisträger und an alle Nominierten.
Meine Damen und Herren! Es ist wieder Zeit für Musik. Ich darf an das Roman Grinberg Klezmer Swing Quartett übergeben. – Bitte schön.
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
Lisa Gadenstätter: Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich darf jetzt eine hochkarätige Gesprächsrunde zu einem sehr wichtigen und aktuellen Thema begrüßen: Es geht um das Thema Zivilcourage. Bitte begrüßen Sie Dalia Grinfeld, Associate Director Europe, Anti-Defamation League; Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission und Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury; Ahmad Mansour, deutsch-arabisch-israelischer Psychologe und Autor; Andreas Kranebitter, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. – Vielen Dank, dass Sie alle da sind.
Frau Grinfeld, vielleicht kann ich gleich mit Ihnen beginnen, bevor Sie sich einen Schluck Wasser einschenken. Die Anti-Defamation League hat sich ja dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben und setzt sich gegen die Diskriminierung und Diffamierung von Jüdinnen und Juden ein. Was sind denn Ihre Erfahrungen auf europäischer Ebene? Wie hat sich Antisemitismus nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober verändert?
Dalia Grinfeld (Associate Director Europe, Anti-Defamation League): Wir leben in einer Zeit, in der es Juden und Jüdinnen in Europa schlecht geht. Juden und Jüdinnen haben Resilienz, aber Daten und Fakten zeigen, wie es aussieht. In Frankreich ist der Antisemitismus um über 1 000 Prozent gestiegen, in Deutschland um 320 Prozent – diese Statistiken können wir auf der ganzen Welt beobachten –, in den Niederlanden um 818 Prozent, Brasilien um 912 Prozent. Das heißt, die Daten und Statistiken zeigen uns schon einmal, wie stark der Antisemitismus seit dem 7. Oktober angestiegen ist.
Darüber hinaus, wenn wir uns Berichte von jüdischen Studierenden beispielsweise anschauen: Sie berichten, dass sie Angst haben, allein in die Uni zu gehen. Sie berichten, dass sie sich isoliert fühlen, keine Solidarität bekommen und nicht wissen, wie sie ihr jüdisches Leben offen und freizügig leben können in der Zukunft. Das heißt, der Trend der letzten fünf bis zehn Jahre, wo jüdisches Leben in Deutschland, in Europa, überall – mehr Diversität, Inklusion, freizügig, offen, Zusammenarbeit – gelebt hat, das verändert sich jetzt. Jetzt ist der Rückzug. Jetzt ist die Frage: Wie kann ich offen jüdisch leben? Das ist nicht nur ein europaweites Phänomen, das ist ein globales Phänomen.
Lisa Gadenstätter: Herr Kranebitter, schauen wir auf Österreich. Wie stark sind denn hier die Angriffe auf Jüdinnen und Juden gestiegen und in welcher Form?
Andreas Kranebitter (Geschäftsführender wissenschaftlicher Leiter, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes): Ich glaube, es steht außer Zweifel, dass es in Österreich nicht anders aussieht, als wir jetzt hier auch gehört haben. Das haben wir auch schon von den Hauptpreisträgerinnen und Hauptpreisträgern gehört. Die Zahlen sind vehement gestiegen. Die IKG-Meldestelle für Antisemitismus belegt das, allein auch in dem Report für Oktober – ich glaube, morgen wird der nächste Jahresbericht präsentiert –, auch unser Monitoring zeigt das und auch unsere Erfahrung in Schulklassen mit Schülerinnen und Schülern in Workshops zeigt das.
Wir haben ja verschiedene Workshops, historische Workshops, aber eben auch Workshops zur Rechtsextremismusprävention. Da ist Antisemitismus Thema, da ist das Abbauen von Vorurteilen Thema, da ist Zivilcourage Thema. Da ist das grundsätzliche Problem in normalen Zeiten schon, dass man eigentlich Präventionsarbeit am besten dann tut, wenn sich noch nichts getan hat, nämlich bevor ein Vorfall passiert. Wir werden aber meistens als Feuerlöscher geholt, als Feuerwehr. Das tun wir natürlich, tun wir natürlich auch gerne, aber das, was seit dem 7. Oktober zu beobachten ist, ist eine Art Flächenbrand, wenn man so will. Da ist es natürlich auch schwer, das jetzt mit einem Workshopangebot zu löschen. Das ist so gar nicht möglich.
Um im Bild zu bleiben: Ich glaube, man muss wirklich betonen, dass Antisemitismusprävention und der Kampf gegen Antisemitismus eine kontinuierliche Brandschutzkonzeption braucht und nicht nur eine Feuerwehrangelegenheit ist. Trotzdem – das ist zur schlechten Nachricht eine gute Nachricht, wenn es so etwas gibt – können wir schon beobachten, dass die Arbeit mit Jugendlichen sehr gut funktioniert, dass eigentlich die antisemitischen Vorurteile jetzt nicht unbedingt stärker verhärtet sind, emotional verankert sind, wie man das vermuten würde bei der medialen Berichterstattung. Das heißt, man kann schon auch eine vorsichtig optimistische Lanze für die Jugend brechen und da ein bisschen optimistisch sagen, dass sich die Lage, glaube ich, verbessert und die Arbeit mit den Jugendlichen machen lässt.
Lisa Gadenstätter: Vorsichtig optimistisch: Frau von Schnurbein, mit welchem Gefühl schauen Sie denn auf die Entwicklungen in der EU?
Katharina von Schnurbein (Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission & Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): In der Europäischen Union ist die Situation ähnlich, wie sie gerade schon beschrieben wurde. Wir sehen das mit großer Sorge. Wir haben auch zum 7. Oktober sofort gesagt: Jetzt muss alles verschnellt werden!
Um ein spezielles Beispiel zu nehmen: Das ist der Antisemitismus online. Wir sehen, dass vieles von dem, was sich dort entwickelt hat, und die Sprache, die sich seit dem 7. Oktober entwickelt hat, noch viel aggressiver ist, auch viel schamloser, und dass sich das direkt dann auf der Straße niederschlägt. Wir haben unter anderem deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Twitter angestrebt, weil sie sich nicht an den sogenannten Digital Services Act halten. Das heißt, dass die Plattformen, das gilt für alle großen Plattformen, hier in Europa – als erste Region in der Welt – ein Regelwerk haben, an das sie sich halten müssen, was illegale Inhalte anbelangt und diese zum Beispiel löschen müssen. Da gibt es noch viele andere Voraussetzungen in diesem Regelwerk: mehr Transparenz für die User, bessere Mechanismen, um überhaupt klagen zu können. Vieles andere auch, aber dieser spezielle Aspekt, nämlich dass illegale Hassrede runtergenommen werden muss und dass die Plattformen eine Verantwortung haben, diese Algorithmen gegenüber der Kommission auch öffentlich zu machen, und wenn sie das nicht tun, dann eben auch belangt werden können, ist ein wichtiger Schritt. (Beifall.)
Ich glaube, ehrlich gesagt, wenn wir das Internet nicht unter Kontrolle bekommen, dann bedeutet das eine echte Gefahr für unsere Demokratie. In diesem Zusammenhang müssen wir überhaupt alles, was in Bezug auf Antisemitismus im Bereich Prävention, aber eben auch im Bereich der Aktion dann jetzt passiert, sehen. Es geht zunächst um Juden – und das wäre Grund genug! –, aber es geht eben auch um die Demokratie. Das, was Jüdinnen und Juden im Moment in Europa erleben, werden wir bald alle erleben, wenn wir dem jetzt nicht Einhalt gebieten. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herr Mansour, Sie leben seit 2004 in Berlin, weil Sie der ständigen Terrorgefahr in Israel entfliehen wollten. Seitdem setzen Sie sich gegen Antisemitismus, für Demokratie, für Gleichberechtigung, für ein friedliches Zusammenleben ein. Sie stammen aus einer palästinensischen Familie in Israel. Verstehen Sie die Emotionen, die nach dem 7. Oktober da weltweit hochgekocht sind?
Ahmad Mansour (Deutsch-arabisch-israelischer Psychologe und Autor): Erst einmal: Vielen herzlichen Dank, dass ich überhaupt hier sein darf.
Um Ihre Frage zu beantworten: nein. Ich verstehe natürlich Leute, die vielleicht empathisch auf die unschuldigen Menschen, die in Gaza sterben, reagieren, aber was wir gesehen haben, schon bevor eine Bombe über Gaza fiel, sind Leute, die den Terror gefeiert haben. Wir müssen verstehen, was der 7. Oktober ist. Das ist der größte Pogrom an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg! Ich habe mir leider den 47-minütigen Film angetan, was ich eigentlich jedem Politiker empfehle, bevor er oder sie überhaupt über Israel redet, denn da sieht man, dass es nicht um eine Befreiungsorganisation geht, sondern um eine systematische Ermordung von Menschen, nur weil sie Juden sind, und jene noch Spaß dabei haben, das zu tun; Menschen, die in ihrem Zuhause beim Frühstückstisch ermordet wurden – das ist etwas, was wir nie akzeptieren sollten! Das ist gegen die Menschheit. Das ist etwas, was vielleicht beim Juden und in Israel anfängt, aber irgendwann auch hier in Europa, in der westlichen Welt zu beobachten wäre, wenn wir das jetzt nicht stoppen. (Beifall.)
Was mich schockiert nach dem 7. Oktober, sind die Dimensionen. Dass nach jeder Eskalation – und ich habe leider mehrere davon erlebt – Menschen auf die Straße gehen, antisemitische Parolen rufen, dass es für die Juden unsicherer wird, dass Synagogen angegriffen werden –, das ist leider bei jeder Eskalation zu merken. Aber die Dimensionen nach dem 7. Oktober haben mich erschreckt. Dass dieses Abschlachten von Menschen nicht einmal abschreckend wirkt, dass Menschen vielleicht zweimal darüber nachdenken, auf die Straße zu gehen, dass es zu einer massiven Zusammenarbeit zwischen linksradikalen Islamisten und Antisemiten in der migrantischen Community kam – so etwas habe ich nicht erwartet und das hat mich schockiert.
Ich muss noch einen Satz dazu sagen. Es ist an der Zeit, genau wie Sie sagten, die sozialen Medien in den Griff zu bekommen. Das ist nicht nur Twitter – ich weiß, das ist superbequem, über Twitter zu reden, weil es jetzt irgendwie in ist, diese Plattform zu kritisieren –: Facebook hat Geld an diesen Videos verdient, an diesem Abschlachten von Menschen am 7. Oktober – ich habe sie leider alle auch online gesehen –, auf Tiktok sind die antisemitischen Inhalte nicht tausend-, sondern hunderttausendfach gestiegen seit dem 7. Oktober. Die sozialen Medien dienen unseren Feinden, um zu mobilisieren, damit Menschen auf die Straße gehen. Wir haben komplett die Kontrolle über die Orte verloren, wo die Menschen heute ihre Schwerpunktkommunikation veranstalten. Das ist ein Appell an uns alle: Wenn wir etwas bewegen wollen, dann müssen wir Demokratieoffensiven in den sozialen Medien gestern schon gestartet haben! (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Frau Grinfeld, vielleicht ganz kurz zu Ihnen, weil soziale Medien Ihnen ja auch besonders am Herzen liegen: Welche Rolle spielen denn aus Ihrer Sicht die sozialen Medien, auch die Bildung von jungen Menschen?
Dalia Grinfeld: Der Fakt ist, dass junge Menschen im Internet aufgewachsen sind und aufwachsen. Das heißt, sie verbringen ihre Zeit stundenweise auf diesen Netzwerken, ob das Tiktok oder Instagram ist, Facebook für die ältere Generation, ist irrelevant. Aber der Fakt, dass man sich stundenlang diese Videos anguckt, dass der Algorithmus einen in eine Blase schiebt – das heißt, auf Tiktok: kriegt man einmal Extremismus, dann kriegt man stundenlang nur noch diese Medien angezeigt –, bedeutet, wir brauchen dort einmal natürlich Bildung, das heißt, die Jugend zu stärken, medienwirksam zu arbeiten – wie analysiere ich Medien?, wie nehme ich das auf?, wie ziehe ich mich selber etwas daraus zurück? –, aber gleichzeitig auch, diese Plattformen in die Verantwortung zu stellen.
Das ist etwas, was wir in unserer heutigen, sehr schnelllebigen Gesellschaft noch nicht geschafft haben. Wir haben es nicht geschafft, diese Plattformen, die unsere Welt, auch meine Welt, komplett übernommen haben, in diese Verantwortung zu ziehen, unsere gesellschaftlichen Normen, die Dinge, die wir auf Papier als unsere europäischen Werte, als unsere nationalen Werte in unseren jeweiligen Ländern festgelegt haben, auch umzusetzen. Wenn wir es nicht schaffen, sie in Verantwortung zu ziehen - - Das ist eine transatlantische Aufgabe. Wenn wir nämlich ehrlich sind, so sind die meisten der Plattformen – außer Tiktok, aber die meisten dieser Plattformen – in den USA ansässig. Damit ist eine große Verantwortung, eine große Macht, eine große Entscheidungsfähigkeit in den USA. Das heißt, der transatlantische Dialog und das transatlantische Engagement in diesem Bereich ist eine Sache, die wir in den nächsten Jahren extrem verschärfen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, in den USA und weltweit dann auch dadurch, Antisemitismus und Extremismus auf den Plattformen zu entfernen. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Frau von Schnurbein, viel liegt in den USA, sagt Frau Grinfeld. Sie haben schon angesprochen, die EU hat schon etwas gegen Twitter bewirkt.
Katharina von Schnurbein: Das ist übrigens nur der Anfang. Die anderen werden folgen, keine Sorge.
Lisa Gadenstätter: Ich wollte gerade fragen. Was steht denn noch am Programm? Was haben Sie da noch vor?
Katharina von Schnurbein: Also es ist so, der Digital Services Act wird erst seit August letzten Jahres umgesetzt. Wer die Prozesse in der EU kennt, weiß, dass das für ein Vertragsverletzungsverfahren, das im Dezember eröffnet wird, eine Blitzgeschwindigkeit ist. Also die Tatsache, dass Kommissar Breton, der dafür zuständig ist, das so schnell gemacht hat, zeigt, dass das jetzt eine absolute Priorität ist und auch unter dem Eindruck des 7. Oktober stattgefunden hat – so schnell.
Als der Brief veröffentlicht wurde auf Twitter, hat Elon Musk lapidar zurückgeschrieben – auf Twitter! – und hat dann entsprechend die Reaktion der Kommission auch gekriegt, dass es vorbei ist mit diesem hier mal kurz zu antworten. Da sehen wir durchaus – von Twitter jetzt auch – eine positive Veränderung: dass sie tatsächlich sehen, sie müssen sich dieser Rechtsgebung beugen und tatsächlich transparenter werden gegenüber der Kommission, was ihre Algorithmen anbelangt. Also wenn das Vertragsverletzungsverfahren bis zum Ende geht, können bis zu 6 Prozent des jährlichen Umsatzes gezahlt werden müssen von Twitter. Das hat also tatsächlich Biss.
Ich glaube, dass wir da in den nächsten Jahren eine tatsächliche Veränderung sehen werden. Das ist so, dass sich die ganz großen Organisationen gegenüber der Kommission rechtfertigen müssen und kleinere Plattformen in den jeweiligen Nationalstaaten, wo jetzt überall Strukturen aufgebaut werden, um die Plattformen zur Verantwortung zu ziehen und das durchzusetzen. Also da passiert im Moment sehr viel. Ich weiß, dass es im Moment noch nicht sichtbar ist, denn wir gehen immer noch auf unsere sozialen Medien und sehen diesen ganzen Hass, aber es wird sich etwas ändern – und auch eben unter diesem Eindruck, dass es eine Gefahr für die Demokratie ist.
Lisa Gadenstätter: Herr Mansour, Sie sind ein Mann, der vor Zivilcourage nicht zurückschreckt. Sie erheben Ihre Stimme und dafür werden Sie beschimpft, beleidigt, bedroht. Vielleicht lassen Sie uns einmal an Ihrem Leben teilhaben. Dafür, dass Sie für Zivilcourage einstehen: Was hat das mit Ihnen gemacht? Können Sie noch frei auf die Straße gehen?
Ahmad Mansour: Übrigens vor allem auf den sozialen Medien, und da passiert nichts.
Ich habe Schwierigkeiten, diese Frage zu beantworten, weil es nicht um mich geht. Ich bin vielleicht etwas bekannter als viele andere, aber Angst müssen gerade ganz viele Leute haben – in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, aber auch 134 Menschen in den Tunneln von Gaza, wo keiner dazu aufruft, dass diese Menschen humanitäre Hilfe bekommen, dass sie Medikamente bekommen, dass sie überhaupt gesehen werden, dass sie einen Arzt sehen. Ich glaube, das ist zentral.
Es geht überhaupt nicht um Einzelpersonen. Ich hatte so viele Anrufe von Freunden von mir, die nicht einmal ihre israelische Identität so in den Vordergrund gestellt haben, sondern sie waren Deutsche. Sie lebten, sie haben Kinder gehabt. Seit dem 7. Oktober haben sie Angst, weil sie zu Israelis, weil sie zu Juden gemacht werden von den anderen. Das ist eine dramatische Situation gigantischen Ausmaßes, die wir gerade erleben. Ich glaube, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, ob das auf der EU-Ebene, ob das in der Länderpolitik ist, zum Umgang mit Antisemitismus, bestimmen werden, ob es in zehn Jahren jüdisches Leben in Europa geben wird. Das ist zentral. Da sind alle gefordert, ihre Stimme zu erheben. Da sind alle gefordert, es sich nicht eben da bequem zu machen, wo man sich vielleicht wohlfühlt, sondern da hinzugehen. Wir haben heute so viele Projekte gehört, die genau das machen: da hinzugehen, wo es unbequem ist, und mit den Menschen in Kontakt treten, um Antisemitismus abzubauen.
Niemand wird antisemitisch geboren, aber die Sozialisation, die Bildung, die sozialen Medien, die Eltern, die Erziehung machen aus uns manchmal Antisemiten. Unsere Aufgabe – aller, zentral – ist, diesen Antisemitismus abzubauen, bevor er unsere Demokratie zerstört. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Ich habe Sie persönlich gefragt, weil Zivilcourage natürlich nicht leicht ist und viele Menschen vielleicht auch Angst haben, Zivilcourage zu zeigen. Man sieht ja auch, was passiert, wenn man Zivilcourage zeigt. – Ja, bitte.
Ahmad Mansour: Dann sage ich einen Satz dazu. Diese Einschüchterungsversuche, die bewirken etwas. Ich habe letztes Jahr viele solcher Einschüchterungsversuche erlebt. Ich habe mich gefragt, ob ich vielleicht kürzertreten muss. Ich habe auch Verantwortung für eine Familie. Am 7. Oktober, als ich aufgewacht bin und die ersten Meldungen angesehen habe, kam natürlich im Hinterkopf: Vielleicht sollte ich zurücktreten. Aber, wie gesagt: Ich habe mir diese Videos angetan, live auf Telegram, auf Facebook, auf Twitter. Ich bin ein Vater. Ich habe diese Kinder gesehen, die gerade neben den Leichen ihrer Eltern stehen und habe mich gefragt: Wenn nicht jetzt, wann dann muss man Haltung zeigen – und zwar nicht nur für die Juden, nicht nur für Israel, sondern – ich sage es noch einmal – für die Menschheit, für die Menschlichkeit, für die Demokratie, für Europa, für die Art und Weise von uns zu leben. Denn das war ein Angriff auf die Art und Weise, wie wir leben. Deshalb, glaube ich, ist mir egal, was die Konsequenzen sein können. Ich werde geschützt, andere aber nicht. Aber ich will Haltung zeigen, vor allem für meine Tochter (Beifall), und vor allem für die Menschen, die auf uns blicken und Vorbilder brauchen, und zwar außerhalb dieser radikalen Szene.
Lisa Gadenstätter: Herr Kranebitter, Sie haben zuerst gesagt, das DÖW bietet Workshops an zum Thema Rassismus, aber auch zum Thema Zivilcourage. Wenn Sie mit jungen Menschen arbeiten, was sind denn die meisten Fragen oder die größten Sorgen auch von jungen Menschen, wenn es um das Thema Zivilcourage geht?
Andreas Kranebitter: Ich glaube, ich kann da direkt an das anknüpfen, was schon gesagt worden ist. Dass es wirklich, wenn es um den Aufbau von einer Bereitschaft für Zivilcourage geht, es auch darum geht, einfach Vorurteile, Antisemitismus versuchen zu bekämpfen, abzubauen. Das heißt, das muss in einer Rechtsextremismusprävention in so einem Workshop Hand in Hand gehen. Man beginnt jetzt auch eigentlich damit, also wir beginnen damit: mit der Diskussion von Vorurteilen, von eigenen Vorurteilen. Wir nehmen uns da jetzt auch nicht aus. Vorurteile, Antisemitismus, Rassismus sind Diskurse, die die Gesellschaft durchdringen. Da kann man einfach nicht raushüpfen und sagen, geht mich nichts an, sondern da muss man auch die eigenen Vorurteile bereit sein zu thematisieren, um den Raum auch zu öffnen, und dann mit den Jugendlichen tatsächlich Erfahrungen der Ausgrenzung selbst diskutieren, diskutieren lassen und dann erst sozusagen beginnen, damit zu arbeiten, dass auch Erfahrungen der Ausgrenzung von anderen aktiv gemacht worden sind und die dann thematisieren.
Dann geht es erst sozusagen weiter, indem man dann den Raum für eine Diskussion öffnet, wie Zivilcourage möglich sein kann in einer Situation, wo Macht herrscht, wo ein Aggressor sozusagen agiert – da dann eben nicht den Aggressor zu adressieren, sondern auch wirklich die Zivilgesellschaft, die da dabei ist und das Opfer, und da einzugreifen und zu helfen. Das funktioniert sozusagen relativ gut in diesen Workshops als Gesamtkonzept. Aber das sind zwei Seiten einer Medaille: das Abbauen von Vorurteilen und das Aufbauen von Zivilcourage.
Lisa Gadenstätter: Frau Grinfeld, nach dem 7. Oktober hat es einen Wandel in der Zivilgesellschaft gegeben, aber auch bei der linken Seite, wenn man das so sagen kann. LGBTQ-Bewegung, feministische Organisationen, Klimabewegung, rund um Greta Thunberg– warum sind diese Allianzen plötzlich zerbrochen? Was ist da passiert?
Dalia Grinfeld: Ich fange einmal von der jüdischen Lebensrealität an. Die Lebensrealität von Jüdinnen und Juden hat sich seit dem 7. Oktober komplett verändert. Sie alle wissen, wie oft Sie sich vorstellen mit Ihrem Namen – heutzutage ändern Juden und Jüdinnen, die die Transportationsapp Uber benutzen, ihren Namen, sie ändern die Mesusa, das jüdische Symbol eines Hauses, sie nehmen sie ab. Das heißt, die Lebensrealität von Jüdinnen und Juden hat sich komplett verändert und damit auch verschlechtert.
Was das für die linke und die progressive Szene bedeutet, ist, dass im gesamten Bereich Antirassismus, Klima, LGBTIQ die Allianzen, die über die letzten Jahre so stark gebildet worden sind - - Die letzten fünf bis zehn Jahre gab es queer-jüdische Festivals, es gab feministisch-jüdische Kongresse, man hat versucht, diese Allianzen zu schmieden, und auch erfolgreich zum Teil. Diese Allianzen, wo waren sie am 7. Oktober? – Sie waren alle nicht da. Ich glaube, UN-Women ist das beste Beispiel. Die UN-Organisation für Frauen hat 56 Tage gebraucht, bis sie ein Statement rausgebracht hat zum Thema sexualisierte Gewalt an Frauen am 7. Oktober. Das ist unsere weltweite Organisation für Frauenrechte! Jede weitere Organisation im Bereich Frauen, Klima und Co hat genau das gemacht – gar nichts! Sie haben alle geschwiegen.
Was das für mich zum Beispiel als progressive, jüdische, junge und queere Frau bedeutet, ist ja auch, dass ich kein Zuhause mehr habe, dass ich kein politisches Zuhause mehr habe. Und ich bin nicht die Einzige. Es geht da um Tausende von jüdischen jungen Menschen und alle Generationen, die kein politisches Zuhause mehr haben. Die sich in ihrer Szene, in ihrer Bubble, ob das die Klubszene in Berlin ist, die weltbekannt ja sehr links ist - - , die dort nicht mehr hingehen können, weil sie nicht mehr offen jüdisch sein können oder israelisch, wie du gesagt hattest. Das bedeutet, dass sich die Lebensrealitäten verändert haben, dass sich Identität verändert.
Das wird nicht nur einen Impact auf das haben, wie wir heute leben und die vielleicht nächsten 365 Tage, sondern Jahrzehnte, denn wenn ich jetzt als junger Mensch, als junger jüdischer Mensch lerne, dass ich meine Identität verstecken muss, dass ich mich politisch da, wo ich mich Jahrzehnte engagiert habe, nicht mehr einbringen kann, dann bedeutet das, dass ich das mitnehme in meine Demokratiehaltung. Das zu überkommen, diese Allianzen wiederherzustellen wird, glaube ich, die Aufgabe von der EU auch sein, wird die Aufgabe von viel Demokratiearbeit sein.
Ich glaube, der größte Fehler davon ist, dass Menschen in ganz Europa, auf der Welt gar nicht wissen: Was sind eigentlich Juden und Jüdinnen? Wie sind Juden und Jüdinnen in mein Land gekommen? Was bedeutet jüdisch sein? Ich glaube, deswegen sind diese Projekte wie Likrat so wahnsinnig wertvoll, weil man auf Augenhöhe diskutieren kann und das erleben kann und erkennen kann. Ob es möglich ist, diese Allianzen wiederherzustellen, weiß man nicht, denn aktuell sind sie zerbrochen. Juden und Jüdinnen wurden alleingelassen mit dem Problem. Es wurde gerade schon gesagt: Es ist kein Problem der Juden. Antisemitismus ist ein Problem für die Gesamtgesellschaft. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herr Mansour, Sie wollten etwas sagen.
Ahmad Mansour: Ich habe vorhin mit dem Präsidenten darüber gesprochen. Es macht mich teilweise wütend, weil diese Probleme nicht am 7. Oktober entstanden sind. Diese Probleme waren seit Langem da. Alle, die gewarnt haben, wurden sehr schnell diffamiert und delegitimiert, muss ich sagen. Wir haben eine Gesellschaft, die gerne Vielfalt feiert, aber die Probleme dahinter nicht artikuliert. Der linke Antisemitismus, der ist nicht nur in der LGBTQ-, in der Antirassismus-, in der Klimabewegung, der ist an den Universitäten mit postkolonialen sogenannten Theorien, in der Ablehnung von Israel als letzte Kolonialmacht, im Juden, der als eine Art den hässlichen alten, kapitalistischen Mann darstellt. Das war alles vorhersehbar.
Mein Appell ist vielleicht, damit wir solche Probleme rechtzeitig erkennen und abbauen, dass wir eine Debattenkultur entwickeln, die bereit wäre, auch andere Meinungen auszuhalten, auch kritische Stimmen zuzulassen, Warner ernst zu nehmen, und es uns nicht einfach in einer Utopie bequem machen, die mit der Realität nichts zu tun hat. Diese Zusammenarbeit zwischen der Linken, oder dieses Schweigen von Teilen der Linken, zum Teil gemeinsam mit Islamisten und Antisemiten auf die Straße zu gehen, das war alles vorhersehbar. Medien, Gesellschaft und Teile der Politik wollten dieses Problem zum Teil nicht sehen. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Bitte, Frau von Schnurbein.
Katharina von Schnurbein: Ich wollte dazu noch etwas ganz Praktisches sagen, weil ich glaube, es ist in vielen Bereichen der Gesellschaft auch einfach ein totales Nichtwissen darüber, was Antisemitismus ist, insbesondere mit Blick auf Israel. Was ist israelbezogener Antisemitismus? Wo ist die rote Linie? Und was ist Kritik an Israel, die nicht antisemitisch ist?
Dazu gibt es eine Definition, die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance, die die EU 2017 angenommen hat, das Europäische Parlament, der Rat, alle Mitgliedsländer, nachdem IHRA sie 2016 angenommen hat. Trotzdem wird sie nicht genug benutzt, um daraus dann Fortbildung zu machen, um sicher zu sein, dass die Verwaltung, Richter und Polizei und alle wirklich wissen, was Antisemitismus ist, aber noch viel wichtiger – und das ist der Schritt, glaube ich, vor dem wir im Moment stehen –, dass die Zivilgesellschaft lernt, was Antisemitismus ist.
Ich kann nämlich nur aufstehen, wenn ich ihn auch erkenne. Ich muss mir etwas zurechtlegen, wenn ich einen antisemitischen Spruch höre, was ich dann sage. Und wenn ich mir das nicht vorher irgendwann einmal in einer ruhigen Minute überlegt habe, dann wird es sehr schwierig sein, in dieser Sekunde, in der das stattfindet und in der das eventuell auch schon wieder vorbei ist, wirklich etwas zu sagen.
Deswegen kann ich nur allen empfehlen – Sie kennen dieses Definition bestimmt alle, aber sagen Sie es weiter –: Es ist nötig, dass man sich auch wirklich ein bisschen darin vertieft, damit man in einer schwierigen Situation reagieren kann. Das Schwierigste ist ja, das im eigenen Umfeld zu tun, beim Elternbeirat, in der Schule oder in irgendwelchen Situationen, in denen man eigentlich mit den Menschen sehr viel gemeinsam hat und plötzlich merkt: Ach, da ist ja was, was wirklich mit meiner tiefsten Überzeugung nicht übereinstimmt!
Da muss man dann die Zivilcourage haben. Das ist ja in dem Sinne keine Zivilcourage, muss man auch sagen. Wir werden hoffentlich wegen einer Bemerkung im engsten Kreise – und jetzt rede ich nicht von den sozialen Medien, sondern wirklich von einer Bemerkung von einer Person zur anderen – ja dafür nicht unter Druck stehen oder gar irgendwie attackiert werden, aber es braucht trotzdem den Mut, das zu machen.
Ich glaube, da sind wir jetzt. Das entscheidet sich, wie Sie sagen - - In den nächsten zehn Jahren wird sich entscheiden, ob wir hier noch jüdisches Leben haben. In unserer EU-Strategie ist das das Herz von allem: die Förderung jüdischen Lebens.
Deswegen versuchen wir jetzt auch, mit allen Mitteln in die Zivilgesellschaft hineinzuwirken. Es wird jetzt drei Zusammenkünfte geben, in denen die Gesellschaft abgebildet zusammenkommt, um diese verschiedenen Dinge zu diskutieren. Das wird dann auch publiziert und so weiter, weil es wichtig ist, das, was wir machen können, jetzt zu machen, gerade in die Zivilgesellschaft hinein.
Lisa Gadenstätter: Ich muss leider ein bisschen auf die Zeit schauen, denn wir haben heute hier noch einen Höhepunkt vor uns, nämlich die Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Deswegen würde ich gerne noch zwei Fragen stellen, zum einen an Sie, Herr Kranebitter. Das DÖW hat letztes Jahr 60 Jahre Bestehen gefeiert. Mit welchen Herausforderungen sind denn Sie konfrontiert?
Andreas Kranebitter: Ja, ich würde jetzt im Anschluss an die Debatte sagen, es stimmt und es ist wahr – das sieht man auch in allen Studien –, dass Antisemitismus natürlich überall vorkommt, auch politisch überall vorkommt, dass aber gleichzeitig – und ich denke jetzt an die großen soziologischen Studien der letzten Jahre in Deutschland – der Antisemitismus nach rechts hin und nach rechtsaußen hin sehr stark steigt, dort am vehementesten ist und dort die giftigste Kombination ergibt. Als Institution, die schon seit Jahrzehnten über den Rechtsextremismus aufklärt, ihn dokumentiert und analysiert, sind wir damit konfrontiert, dass auch die Angriffe eines steigenden Rechtsextremismus in den letzten Jahren zunehmen. Das ist eine Sache, die tatsächlich eine Gefährdung für die Demokratie ist, wo wir als Demokratinnen, Demokraten und auch die Politik die Verantwortung haben, da aufzupassen, dass diese Gefährdung sich nicht zu einer vehementen Bedrohung der Demokratie auswächst. Ich glaube, das ist schon eine Sache, die uns alle und nicht nur uns als Dokumentationsarchiv betrifft.
Lisa Gadenstätter: Herr Mansour, vielleicht zum Abschluss: Kann Zivilcourage gegen Extremismus helfen?
Ahmad Mansour: Absolut! Absolut! Wir haben es ja in so vielen Projekten gesehen: Begegnung auf Augenhöhe, die Stimme erheben, einfach die Demokratie, jeder auf seine Art und Weise, schützen. Das geht.
Lisa Gadenstätter: Ich danke Ihnen sehr für diese spannende Diskussion. Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, im Anschluss beim Empfang können Sie nochmal auf die vier Herrschaften und Frauschaften zugehen, denn es ist wirklich spannend, mit ihnen zu sprechen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Statements. Danke sehr. (Beifall.)
*****
Meine Damen und Herren, ich habe es schon angesprochen, es gibt heute Abend noch einen Höhepunkt an diesem eh schon sehr berührenden und wichtigen Abend. Wie jedes Jahr werden jetzt Menschen geehrt, die den Holocaust überlebt haben und die sich unermüdlich dafür einsetzen, dass die Welt, dass wir alle nicht vergessen.
Diese Menschen, sie gehen in die Öffentlichkeit, sie sprechen zum Beispiel in Schulen darüber, wie sie die Zeit zwischen 1933 und 1945 er- und überlebt haben. Im Rahmen des Simon-Wiesenthal-Preises werden dann gleich zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für ihren außergewöhnlichen persönlichen Einsatz und Beitrag geehrt.
Es ist besonders schön – wenn ich das sagen darf –, dass die meisten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch tatsächlich hierherkommen konnten. Es wird aber auch via Livestream zugesehen. An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an alle, die zu Hause sitzen, für ihr Engagement. Ich weiß, dass da teilweise sogar in Botschaften Empfänge für die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen organisiert und ausgerichtet worden sind. Das ist natürlich nicht überall möglich, aber eine besonders schöne Art der Wertschätzung, wie ich finde.
Für die Ehrung, meine Damen und Herren, darf ich jetzt ebenfalls eine ganz besondere Person an das Rednerpult bitten, nämlich die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich, Hannah Lessing. (Beifall.)
Hannah Lessing (Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Festgäste! Wir haben bereits bei der Preisverleihung im letzten Jahr festgestellt, ohne die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gäbe es so etwas wie den Simon-Wiesenthal-Preis nicht. Ihr jahrzehntelanges Engagement ist eine Inspiration für alle Menschen, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus, für die Aufklärung über den Holocaust und für die Stärkung der Demokratie einsetzen. Ihre Stimmen sind uns Warnung, sie erzählen uns von den Gefahren und warum wir wachsam sein müssen.
Sie erzählen uns aber auch davon, wie Menschen in schwierigen Situationen über sich hinauswachsen und mutige Entscheidungen treffen können, davon, wie stark der menschliche Wille sein kann, so stark, dass man selbst in der Hölle einen Weg finden konnte, anderen zu helfen.
Mit ihrer Arbeit haben die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Saat für das Engagement der Jungen von heute gesät. Aus diesem Grund setzen wir, einer Anregung der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury folgend, jedes Jahr mit der Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein besonderes Zeichen. Diese Ehrung ist eine beständige Erinnerung an die Wurzeln des Engagements, das an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird.
Wir sagen mit dieser Ehrung Danke – dafür, dass ihr eine Stimme seid für alle, die ermordet wurden und nicht mehr für sich sprechen können, dafür, dass ihr wieder und wieder bereit seid, euch den schmerzenden Erinnerungen zu stellen, und uns, den nächsten Generationen, eure Geschichte anvertraut, danke dafür, dass ihr uns mahnt und dafür, dass ihr uns Hoffnung gebt.
Und schließlich ist diese Ehrung ein Versprechen: Wir haben euch gehört und wir hören euch, und wir haben euch verstanden. Eurer Engagement ist nicht vergeblich. Wir tragen die Fackel weiter.
Wie auch im Vorjahr werden die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen diese Ehrung auch stellvertretend für alle anderen Überlebenden entgegennehmen, die wie sie immer wieder in der Öffentlichkeit Zeugnis ablegen, jede und jeder einzelne von ihnen auf ihre Weise.
Ich darf nun die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen dieses Abends in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Vier von Ihnen leben in Österreich, zwei in Israel, die anderen jeweils in den USA, Rumänien, Norwegen und Polen. Diejenigen unter Ihnen, die persönlich anwesend sind, darf ich nun einzeln zu uns auf die Bühne bitten, beziehungsweise den Herrn Nationalratspräsidenten als Ersten. (Beifall.)
Ich bitte nun Helga Feldner-Busztin aus Österreich zu mir nach vorne. (Beifall.)
Sie wurde als Helga Pollak 1929 in Wien geboren. Ihr Vater wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1938 nach Buchenwald und später nach Auschwitz deportiert. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Elisabeth Scheiderbauer, die heute ebenfalls geehrt wird, wurde sie 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert. Sie entkam dreimal der Deportation nach Auschwitz. Mit viel Glück überlebte die gesamte Familie und fand sich im Wien der Nachkriegszeit wieder. Nach dem Krieg wurde Helga Ärztin, und seit den 1990er-Jahren ist sie als Zeitzeugin aktiv. Über ihre Lebenseinstellung sagte sie: „Würde und Respekt sind für mich ganz wesentliche menschliche Grundwerte, für die sich unser Einsatz zu allen Zeiten lohnen muss.“ Herzliche Gratulation! (Beifall.)
Helga Feldner-Busztin: Es hat nicht die ganze Familie überlebt, sondern nur wir - -
Hannah Lessing: Ja, nur ihr vier.
Als Nächsten begrüße ich herzlich Jeno Friedman, der aus den USA zu dieser Ehrung angereist ist. (Beifall.)
Jeno Friedmann wurde 1930 in der Tschechoslowakei geboren. Er hat die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und Gusen überlebt. Es ist ihm zu einer Herzensaufgabe geworden, die Erinnerung an die Jüdinnen und Juden wachzuhalten, die auf den Todesmärschen umgekommen sind, und an die zahlreichen vergessenen Gräber der Opfer entlang dieser Märsche zu erinnern. Seine Tochter beschreibt sein Wirken mit berührenden Worten: Mein Vater ist ein Holocaustüberlebender, der seine Tage und Nächte damit verbringt, Jung und Alt unermüdlich über den Holocaust aufzuklären. Er ermutigt Menschen auf der ganzen Welt, diese Gräber zu besuchen, damit die Opfer des Holocaust nie vergessen werden. (Beifall.)
Unser nächster Ehrengast ist Octavian Fülöp aus Rumänien. Er ist mit seiner Familie aus der österreichischen Botschaft in Bukarest zugeschaltet. Seine Ehrung nimmt stellvertretend für ihn die anwesende Vertreterin des rumänischen Kulturministeriums entgegen, Irina Sanda Cajal-Marin. (Beifall.)
Octavian Fülöp gehört zu den letzten verbliebenen Holocaustüberlebenden in Rumänien. Seine Familie wurde ermordet. Er selbst hat mehrere Lager überlebt. Über Auschwitz-Birkenau, wo er als Kind nur knapp dem Tod entkam, hat er gesagt: Auschwitz ist das größte Grab, das die Menschheit je gesehen hat.
Als Nächsten bitte ich Naftali Fürst zu uns nach vorne. (Beifall.)
Naftali Fürst wurde 1932 in Bratislava geboren. Ab 1942 waren er, sein Bruder und seine Eltern im Arbeitslager Sereď interniert. Mit zwölf Jahren wurde er nach Auschwitz deportiert und danach mit einem Todesmarsch nach Buchenwald. Seine Familie gilt als die einzige Familie aus Bratislava, bei der Eltern und Kinder überlebt haben. Heute lebt er in Israel und ist in der Erinnerungsarbeit in Yad Vashem aktiv. Er ist Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Und zu seiner Arbeit als Zeitzeuge sagt er: „Es ist unsere Pflicht, im Namen der Männer, Frauen und Kinder, die ermordet wurden, unsere Geschichte immer wieder zu erzählen.“
Unser nächster Ehrengast, Maria Gabrielsen aus Norwegen, kann heute leider nicht hier sein.
Sie wurde 1937 in Wien geboren. Ihr Schicksal macht besonders betroffen, denn es war ihre eigene Mutter, die den jüdischen Ehemann und die sieben gemeinsamen Kinder denunziert hat. Der Vater wurde in Auschwitz ermordet, die Kinder überlebten Theresienstadt. Nach dem Krieg kam Maria nach Norwegen zu einer Pflegefamilie. Sie war viele Jahre als Zeitzeugin aktiv. Über das Erinnern an die Ermordeten hat sie gesagt: Das Echo ihrer Stimmen ist immer noch zu hören. Es ist wichtig, dass wir mit unserem inneren Ohr zuhören, denn sie alle haben eine wichtige Geschichte zu erzählen. (Beifall.)
Ich freue mich als nächsten Ehrengast Viktor Klein aus Österreich begrüßen zu dürfen. (Beifall.)
Viktor Klein wurde 1927 in der heutigen Ukraine geboren. Als er 16 Jahre alt war, wurde er mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. Seine Mutter und zwei Geschwister wurden ermordet. Viktor, sein Bruder und der Vater überlebten Mauthausen, Melk und Ebensee. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man Menschen einfach in die Gaskammer schickt. Mein Verstand war nicht imstande, zu begreifen, dass man sie tötet und danach verbrennt.“ – Er sagt: Man muss die Jugend darüber aufklären, was im Holocaust geschehen ist. „Überlebt zu haben ist meine Rache an Hitler.“ (Beifall.)
Unser nächster Ehrengast, Otto Nagler aus Israel, kann leider auch nicht da sein, ist aber zugeschaltet, und die Tochter seiner Cousine, Katharina Riha (phonetisch), wird die Ehrung übernehmen.
Otto Nagler wurde 1920 in Wien geboren. Er war Mitglied in einer zionistischen Jugendorganisation. Seine Großmutter und Großtante sind in Theresienstadt umgekommen. Otto Nagler war jahrelang im Bewässerungswesen und in der Entwicklungshilfe tätig. Heute ist er 103 Jahre jung und wird nicht müde, mit ruhiger Stimme zu jungen Menschen zu sprechen. Ein wichtiges Anliegen ist ihm der Kampf gegen Antisemitismus. Und in einem Dankschreiben hielt er fest: Ich habe versucht, das Leben der Ärmsten zu verbessern, und wollte besonders als Jude einen Beitrag zu einem besseren Leben für uns alle leisten. (Beifall.)
Unsere nächste Zeitzeugin, die leider auch nicht da sein kann, ist Katharina Sasso, vielen besser bekannt als Käthe Sasso. Für sie wird ihre gute Freundin Gitti Fenko die Ehrung entgegennehmen.
Käthe wurde 1926 in Wien geboren. Bereits als 16-Jährige war sie im Widerstand aktiv. 1943 wurde sie im Wiener Landesgericht inhaftiert, entkam knapp dem Todesurteil und wurde 1944 schließlich nach Ravensbrück deportiert. 1945 konnte sie beim Todesmarsch Richtung Bergen-Belsen entkommen. Ab den 1990er-Jahren war sie unermüdlich als Zeitzeugin aktiv. Ihre Lebensaufgabe sieht sie aber in der Gruppe 40 am Zentralfriedhof, wo die ermordeten Widerstandskämpfer verscharrt wurden. 2013 wurde dank ihres unermüdlichen Engagements aus diesem Ort eine nationale Gedenkstätte. In einem ihrer zahlreichen Interviews sagt sie einmal: Einer für den anderen einstehen, nicht zu fragen, einfach helfen. Ich habe nie den Glauben verloren, dass man mit Güte und Menschlichkeit mehr erreichen kann als mit Gemeinheit und Brutalität. Das verstehe ich unter Menschenliebe. (Beifall.)
Als Nächste bitte ich Liese Scheiderbauer aus Österreich zu uns.
Liese Scheiderbauer, geboren 1936 in Wien, ist die Schwester von Helga Feldner-Busztin. Sie wurde, wie schon erwähnt, mit der Mutter nach Theresienstadt deportiert. Liese war dort für zwei Jahre in einem Kinderheim mit schwerbehinderten Kindern untergebracht. Eines Tages, als sie aufwachte, war sie das einzige Kind dort, alle anderen waren mit ihren Betreuern deportiert worden. Nach ihrer Einschätzung überlebte sie dank der Hilfe ihrer großen Schwester. Nach dem Krieg wurde Liese zunächst Tänzerin am Landestheater Salzburg und an der Volksoper, später arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann als Film- und Fernsehproduzentin. Zu ihrer Tätigkeit als Zeitzeugin sagte sie: Solange ich kriechen kann, werde ich an Schulen gehen und meine Geschichte erzählen. Und sie sagt auch: „Ich betrachte mich als Wunder, und als Wunder muss man glücklich sein.“ (Beifall.)
Und last, but not least möchte ich Marian Turski zu uns bitten. – Come please. (Beifall.)
Marian Turski wurde 1926 als Pole jüdischer Abstammung geboren. Er war im Ghetto Litzmannstadt und wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Er überlebte den Todesmarsch ins Konzentrationslager Buchenwald und wurde am 8. Mai 1945 im Ghetto Theresienstadt befreit. Bis heute ist er in Warschau als Journalist tätig, Mitglied im Internationalen Auschwitz-Rat und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Marian Turski sagte, das elfte Gebot lautet: „Seid nicht gleichgültig, wenn irgendeine Minderheit diskriminiert wird. Das Wesen der Demokratie besteht darin, dass die Mehrheit regiert, doch die Demokratie besteht darin, dass die Rechte von Minderheiten geschützt werden müssen. [...] Denn wenn du gleichgültig sein wirst, so wird – ehe du dich versiehst – auf euch, auf eure Nachfahren plötzlich irgendein Auschwitz vom Himmel fallen.“ (Anhaltender Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren! Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: Vielen Dank für ihre großartige Arbeit!
Jetzt haben wir etwas vor. Wir würden nämlich gerne ein Gruppenfoto mit allen machen, und ich bin mir sicher, wir schaffen das. Ich würde jetzt noch einmal alle Preisträgerinnen und Preisträger und alle Nominierten des heutigen Abends und die Jurymitglieder zu uns bitten. Dann hat unser Fotograf die ehrenvolle Aufgabe, das alles auf ein Foto zu bekommen: diese ganzen tollen Menschen. – Bitte schön, kommen Sie heraus. Bitte kommen Sie, wir werden das schaffen; so viele tolle Menschen und großartige Projekte muss man auf ein Foto bringen.
*****
(Es wird ein Foto gemacht.)
*****
Herzlichen Dank für dieses tolle Bild. (Beifall.)
Ich darf Sie jetzt zum Fotopoint entlassen, und zwar alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Jurymitglieder und die Preisträgerinnen und Preisträger und die Nominierten darf ich bitten, wieder Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, was ich Ihnen auch noch sagen kann: Der Simon-Wiesenthal-Preis 2024 ist ab morgen ausgeschrieben, ab dem 13.3. können Sie einreichen, nämlich bis zum 30.6.2024. Sie sind alle herzlich eingeladen, sich wieder zu bewerben, denn so tolle Projekte, die muss man immer wieder vor den Vorhang holen – bitte, immer wieder bewerben!
Das war der Simon-Wiesenthal-Preis 2023. Ich danke Ihnen allen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und auch für die Wertschätzung und die Anerkennung, die Sie den Auszuzeichnenden zukommen haben lassen.
Es gibt dann im Anschluss in der Säulenhalle einen Empfang. Da gibt es etwas zum Essen und Trinken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments werden Ihnen den Weg zeigen; aber bitte immer bei diesem Ausgang hinaus, da stehen Sie nämlich vor verschlossenen Türen. Da ist es einfach und dann werden Sie weiter hinausgebracht.
Haben Sie gute Gespräche und einen guten Austausch – etwas, was in Zeiten wie diesen sehr wichtig ist, wie wir heute gehört haben!
Beschließen wollen wir die Veranstaltung noch einmal mit großartiger Musik. Ich darf mich beim Roman Grinberg Klezmer Swing Quartett für die großartige Unterstützung bedanken. Wir hören jetzt „Abi gezunt“, Hauptsache gesund. – Vielen Dank.
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
(Beifall.)