Transkript der Veranstaltung:
Verleihung der Concordia-Preise 2024
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(Es folgt ein Musikstück.)
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(Beifall.)
Daniela Kraus (Generalsekretärin des Presseclub Concordia): Herzlichen Dank an Jakob Steinkellner für die musikalische Untermalung und herzlich willkommen zur Verleihung der Concordia-Preise! Mein Name ist Daniela Kraus, ich bin die Generalsekretärin des Presseclub Concordia, und ich freue mich, Sie auch heute wieder bei dieser Veranstaltung begrüßen und begleiten zu dürfen. Als Allererstes: Meinen ganz herzlichen Dank, dass wir wieder hier im Parlament sein dürfen! Ich begrüße als Gastgeber:innen die Zweite Präsidentin des Nationalrates Doris Bures (Beifall) und Parlamentsdirektor Harald Dossi. (Beifall.)
Der Präsident des Nationalrates Wolfgang Sobotka sowie die Präsidentin des Bundesrates Margit Göll sind terminlich verhindert und können leider heute nicht teilnehmen, sie sind aber auch Miteinladende – also noch einmal herzlichen Dank!
Es ist mir eine Ehre, Herrn Bundespräsidenten außer Dienst Heinz Fischer begrüßen zu dürfen – ganz herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind! (Beifall.)
Namentlich begrüßen möchte ich außerdem Präsident des Bundesrates außer Dienst Herwig Hösele. (Beifall.)
Schön ist auch, dass Wolfgang Bogensberger, amtsführender Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, hier ist. (Beifall.)
Natürlich freue ich mich auch über die Kollegen und Kolleginnen und Vertreterinnen und Vertreter des Presseclub Concordia. Stellvertretend begrüße ich dich, liebe Petra Stuiber, Vizepräsidentin des Presseclub Concordia – schön, dass du da bist und heute auch zu uns sprechen wirst. (Beifall.)
Ganz besonders wichtig sind natürlich heute die Ehrengäste und Preisträgerinnen: Nicole Kampl, Colette Schmidt, Anneliese Rohrer sowie die Laudator:innen Tanja Paar, Florian Asamer und Ingrid Brodnig. Sie kriegen jetzt einmal gemeinsam einen Applaus, denn dann kommt sowieso noch ganz viel Applaus. (Beifall.)
Besonders begrüßen möchte ich Heide Schmidt als Vorsitzende der Jury und auch die Gelegenheit ergreifen, dir und der gesamten Jury zu danken, denn die Juryarbeit ist ein ganz schöner Haufen Arbeit. Ich danke an dieser Stelle schon einmal vorab für die konstruktiven Diskussionen und Gespräche, die wir führen – Heide, vielen Dank. (Beifall.)
Es freut mich auch sehr, alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates begrüßen zu dürfen.
Abschließend heiße ich natürlich alle Vertreterinnen und Vertreter der Medien sowie aus Wirtschaft, Kunst, Kultur und Wissenschaft und alle, die hier im Saal und auch online via Livestream dabei sind, ganz herzlich willkommen – herzlich willkommen, es wird wie immer eine schöne Feier. (Beifall.)
Ich darf gleich das Wort an Sie, liebe Frau Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, übergeben und freue mich auf Ihre Worte.
Doris Bures (Zweite Präsidentin des Nationalrates): Vielen Dank, liebe Generalsekretärin des Presseclub Concordia Daniela Kraus, für die freundliche Begrüßung! Damit kann ich das abkürzen, aber ich freue mich, dass Heide Schmidt sozusagen als Jurymitglied und aufrichtige Parlamentarierin, unser ehemaliger Herr Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, der viele Jahre in diesem Haus verbracht hat, und dass Sie alle heute zur Verleihung eines, finde ich, sehr wesentlichen und auch wichtigen Preises, den der Presseclub Concordia ja jährlich vergibt, hierhergekommen sind. Laut Eigendefinition geht es bei den Concordia-Preisen um hervorragende publizistische Leistungen für Menschenrechte, Demokratie und insbesondere für die Pressefreiheit, die heute auch gewürdigt werden soll.
Eine derartige Preisverleihung findet in ganz Österreich keinen besseren Platz als hier im österreichischen Parlament, sozusagen im Herzen unserer Demokratie, wo ich Sie alle auch begrüßen möchte. Ich denke, dass Preise wie dieser in einer Welt, in der auch so gewohnte Säulen unserer liberalen Gesellschaft infrage gestellt werden, eben eine ganz besondere Bedeutung haben.
Wir alle spüren, wir alle sehen, wir alle erleben, dass das Vertrauen in und die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft, Medien und Politik abnehmen. Dadurch gerät unsere Demokratie auch unter Druck. Eine liberale parlamentarische Demokratie braucht die Wissenschaft, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, und sie braucht auch den kritischen Journalismus als Vermittler des politischen Diskurses, auch des demokratischen Wettbewerbs, für eine informierte Öffentlichkeit.
Umso bedenklicher ist es, dass Journalistinnen und Journalisten vielfach mit dem Rücken an der Wand stehen. Der ökonomische Druck auf Medien steigt aus vielerlei Gründen massiv an. Der asymmetrische Wettbewerb zwischen ihnen und global agierenden Social-Media-Plattformen kommt hinzu, und ich verschweige gerade auch hier nicht den politischen Druck, für den das Phänomen Messagecontrol symbolhaft gestanden ist.
Ein aktuelles Indiz dieser negativen Entwicklung ist auch der tiefe Fall im kürzlich erschienenen Ranking der Pressefreiheit: Österreich ist auf dem historischen Tiefstand gelandet – Platz 32 von 180 Ländern weltweit. 2011 waren wir auf Platz fünf. Österreich ist heute mit der Pressefreiheit doch in einem Spannungsverhältnis – das wäre fast untertrieben, sondern ich würde meinen, wir haben ein Problem.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass der heutige Nachmittag ein guter Anlass sein kann und sein muss, sich genau mit dieser Frage zu beschäftigen, weil es in unser aller Hände liegt, in diesem quasi symbiotischen Verhältnis, das zwischen Medien und Politik besteht, noch dazu in einem sehr kleinen Land wie Österreich, die demokratiepolitischen Aufgaben und Grenzen des jeweils anderen zu respektieren und deutlicher zu sehen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Es braucht also ein klares Verhältnis, und es braucht einen offenen Dialog auf Augenhöhe mit Respekt und Professionalismus.
Ich glaube, genau das ist heute und hier gefragt, weil das auch für unsere Demokratie so lebensnotwendig ist. Dieses vielbeschworene und auch so wichtige rechtsstaatliche Zusammenspiel zwischen Legislative, Exekutive, Justiz und eben selbstbewussten, unabhängigen Medien schafft ein lebensnotwendiges Klima für Freiheit und Demokratie, das diese Republik auch immer ausgemacht hat. Keinesfalls darf diese Balance aufs Spiel gesetzt werden.
Ich denke, dass es unbestritten ist, dass es gerade heute, auch im Angesicht fundamentaler Umwälzungen und Krisen, eines wachsamen Journalismus bedarf, eines Journalismus, der mit hohen ethischen Ansprüchen an sich selbst und die Gesellschaft das politische Zeitgeschehen seriös einordnet und beleuchtet. Genau das ist der Inhalt der heutigen Preisverleihung, nämlich die Würdigung seriöser und aufrechter journalistischer Arbeiten.
Ich freue mich auf die Laudatorinnen und Laudatoren und gratuliere jetzt schon allen Preisträgerinnen. Sie sind es, die auch unser aller Respekt verdient haben. – Einen schönen Nachmittag. (Beifall.)
Daniela Kraus: Herzlichen Dank für Ihre Worte.
Ich darf jetzt Petra Stuiber nach vorne bitten, Vizepräsidentin des Presseclub Concordia und stellvertretende Chefredakteurin des „Standard“.
Bevor ich dir das Wort übergebe, darf ich noch etwas machen, was ich vergessen habe: ganz herzlichen Dank an die Gebärdensprachdolmetscherinnen, die die Veranstaltung begleiten. (Beifall.)
Bitte, Petra.
Petra Stuiber (Vizepräsidentin des Presseclub Concordia): Jetzt ist schon so viel gedankt worden – ich mache es jetzt noch einmal, aber ich versuche, mich kurz zu halten.
Frau Präsidentin, Herr Parlamentsdirektor, sehr geehrter Herr Bundespräsident außer Dienst, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie gesagt, ich versuche, mich kurz zu halten, denn dieser Nachmittag gehört den drei wunderbaren Preisträgerinnen und ihren exzellenten Laudator:innen. Ich möchte noch einmal Danke sagen, dass wir hier im Hohen Haus sind. Das ist schon ein würdiger und rechter Anlass und eine würdige und rechte Location. – Herzlichen Dank, dass wir heute hier diese feierliche Stunde begehen dürfen.
Ich danke auch noch einmal unserer Juryvorsitzenden Heide Schmidt. Sie verzieht das Gesicht, aber wie gesagt, man muss trotzdem danken, denn das ist nicht wenig Arbeit. Deswegen möchte ich nicht nur Ihnen, sondern allen Jurymitgliedern danken, indem ich sie hier namentlich nenne: Brigitte Handlos vom Presseclub Concordia, Barbara Haas von der „Kleinen Zeitung“, Barbara Trionfi vom IPI – International Press Institute –, Andrea Helige und Martin Halama als Vertretung der Stifter, Christa Zöchling und Martin Thür, den Preisträger:innen von 2022, sowie den Preisträger:innen von 2023 Fabian Füreder und Lisa Kreutzer von „Andererseits“ und Florian Skrabal von „Dossier“.
Weiteres danke ich den Sponsoren: Der Stifter des Preises Pressefreiheit ist die Dr.-Strohmayer-Stiftung, und der Stifter des Preises für Menschenrechte ist die Bank Austria. – Herzlichen Dank für all das.
Jetzt noch einmal herzliche Gratulation an die diesjährigen Preisträgerinnen! Ich freue mich ja so, dass ich Andreas Koller heute vertreten darf, denn es ist schon super, dass hier drei Frauen einen Preis kriegen und eine Frau Danke sagen darf. Es sind drei wunderbare Frauen aus dem Süden dieses Landes – das haben wir jetzt auch gelernt, auch das haben Sie gemeinsam.
Da wäre Nicole Kampl vom ORF, die den Concordia-Preis für Menschenrechte verliehen bekommt, Colette Schmidt vom „Standard“ bekommt den Preis für Pressefreiheit und Anneliese Rohrer von der „Presse“ für ihr Lebenswerk, wobei das natürlich heißt, dass wir wollen, dass dieses Lebenswerk noch mindestens 80 bis 100 Jahre weitergeht. (Beifall.)
Wie gesagt, es gibt viel Grund zur Freude, aber nicht nur, denn trotz dieses festlichen Rahmens und trotz dieser schönen Feierstunde ist unsere Stimmung getrübt. Die Frau Präsidentin hat es angesprochen: Im Ranking der Pressefreiheit ist Österreich weiter abgerutscht. Wir bekommen von Reporters Sans Frontières im internationalen Ranking nicht mehr die Bewertung gut, sondern nur mehr zufriedenstellend.
Man muss dieses Ranking sicherlich differenziert betrachten, und es ist kein Grund für Alarmismus und schon gar nicht für wahltaktische Scharmützel. Die Situation in Österreich ist – man muss das einordnen – keinesfalls schlechter als in der Republik Moldau, und wir gehören auch nicht in unmittelbare Nähe von Mauretanien, Namibia und der Dominikanischen Republik.
Dennoch gibt es genügend Gründe, sich Sorgen zu machen, sei es durch – wie die Frau Präsidentin gesagt hat – dieses ständig abnehmende Vertrauen in klassische Medien, sei es aber auch durch Dinge wie hochproblematisch enge Verbindungen zwischen Regierungspolitik und einigen Medien via Inseratenvergabe; sei es, dass Journalistinnen und Journalisten zunehmend von Parteien, von Aktivisten auf Social Media persönlich diffamiert und attackiert werden, mit teils verheerenden Folgen; sei es durch die rasante Zunahme von sogenannten Slapp-Klagen, die Verlagshäuser zunehmend belasten und die Existenz von Journalistinnen und Journalisten tatsächlich ruinieren können; sei es aber auch durch die permanenten Begehrlichkeiten an den ORF, die beunruhigenden Pläne der FPÖ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für den Fall, dass sie in die Regierung kommen, die Tatsache, dass die Regierung den Bestellmodus für ORF-Stiftungsräte noch immer nicht geklärt und repariert hat.
Sei es aber auch, meine Damen und Herren, weil schwerwiegende Entscheidungen hier im Hohen Haus anstehen, die das Potenzial haben, die Handlungsfähigkeit unabhängiger Medien massiv einzuschränken: Der Verfassungsgerichtshof hat die Reparatur des Datenschutzgesetzes, wo es Ausnahmen für Medienunternehmen festlegt, verlangt. Die Regierung hat sich auf einen Entwurf geeinigt, der das Redaktionsgeheimnis weiter schützen soll. Unsere Befürchtung ist allerdings groß, dass das Gesetz zulässt, dass bewusst gesteuerte Massenauskunftsbegehren von Betroffenen die journalistische Arbeit massiv erschweren können.
Eine weitere Idee, in diesem Fall von der ÖVP kommend, ist aus journalistischer Sicht abzulehnen: Ein Zitierverbot, in welcher Ausprägung auch immer, lehnen wir von Concordia rundweg ab, ob es nun noch in dieser oder auch in der nächsten Legislaturperiode weitere Anläufe in diese Richtung gibt. Ich zitiere Concordia-Präsident Andreas Koller, der angesichts des Tages der Pressefreiheit mit folgenden Worten zum Schutz des unabhängigen Journalismus aufgerufen hat: „Eine Demokratie, die ihre Medien knebelt, hört auf eine Demokratie zu sein.“
Ich möchte Ihnen das wirklich ans Herz legen. Wir alle sind dazu aufgerufen, unabhängigen, seriösen Journalismus zu schützen, denn ohne ihn gibt es keine funktionierende Demokratie. Ich weiß, dass Sie alle, die Sie hier versammelt sind, ohnehin überzeugt sind. Sie muss ich nicht überzeugen, aber Sie alle sind aufgerufen, andere zu überzeugen. Jeder ist betroffen, wenn die Freiheit unabhängiger Medien in diesem Land gefährdet ist – das geht uns alle etwas an. Ich glaube, dass es eine schöne Aufgabe wäre, Sie alle hier auch an dieser Stelle aufzufordern: Versuchen Sie, Leute zu überzeugen, die glauben, das ist eh wurscht, was die da in den Medien schreiben oder berichten!
Jetzt aber freuen wir uns mit unseren wunderbaren Preisträgerinnen, die dem unabhängigen, seriösen Journalismus ein so kräftiges Lebenszeichen verliehen haben und immer noch verleihen. Ich möchte mit einem Zitat von George Orwell, das ich unlängst auf 3sat wieder gesehen habe und das mir in Erinnerung gerufen wurde, schließen.
Der sagte einmal: „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ – Ich danke Ihnen. (Beifall.)
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(Es folgt ein Musikstück.)
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(Beifall.)
Daniela Kraus: Danke, Jakob Steinkellner.
Ich übergebe das Wort an Juryvorsitzende Heide Schmidt. (Beifall.)
Heide Schmidt (Juryvorsitzende): Einen schönen guten Tag! Frau Präsidentin! Herr Präsident außer Dienst! Herr Parlamentsdirektor! Ich finde das so schön, wer aller da ist, ob das aus der Kultur ist, ob das aus dem Journalismus ist, ob es aus der Politik ist, ob sie schon in Pension sind oder nicht: Ich erkenne so viele aus meiner Zeit wieder. Danke, dass Sie alle dabei sind, wenn wir, wie ich glaube, heute wirklich wichtige Preise verleihen.
Ich kenne genug Menschen, die ein eher distanziertes Verhältnis zu Auszeichnungen haben – aus Bescheidenheit, wenn es sie selber betrifft, auch manchmal der Vergleiche wegen, wenn man das Gefühl hat, dass die Maßstäbe unterschiedlich angelegt werden. Schön ist es aber, wenn es gelingt, nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Gesellschaft zu vermitteln, wofür eine Auszeichnung steht, wofür diese Auszeichnung steht: nämlich als Anerkennung für eine besondere Leistung, als Rückenstärkung für die weitere Arbeit, aber auch als Dank für ein besonderes Engagement.
Ich habe jetzt schon ein paar Jahre Erfahrung mit Preisverleihungen insgesamt, davon etwa acht Jahre, glaube ich, mit dem Concordia-Preis. Ich halte ihn wirklich uneingeschränkt für eine wichtige und notwendige und schöne Einrichtung, und zwar bei all dem Zeitaufwand – der wurde schon angesprochen –, den er dem Generalsekretariat, den er den Jurymitgliedern abverlangt. Für jemanden, der oder die ein waches Bewusstsein für das System Demokratie hat, ist das eine schöne Aufgabe. Es ist nämlich wirklich beglückend, nachzulesen, nachzuhören, nachzusehen, mit welcher intellektuellen Redlichkeit und mit welcher demokratischen Wachsamkeit so viele versuchen, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Ereignisse oder deren Facetten zu lenken, um dabei bei der Einordnung ihrer Relevanz zu helfen.
Manchmal erhalten die Dinge ihre Relevanz erst durch die Berichterstattung, manchmal erst durch die öffentliche Reaktion darauf. Manches, was nur am Rande passiert, wüsste man ohne diese Berichterstattung gar nicht, und man wüsste auch nicht, welch manchmal schreckliche Folgen einfach nur Unaufmerksamkeit oder Sorglosigkeit mit sich bringen.
Wir, die wir diese Einreichungen bewerten sollen, sind privilegiert, denn wir dürfen uns mit gutem Journalismus auseinandersetzen – mit jenen, die Recherche und Berichterstattung als Voraussetzung für die öffentliche Meinungs- und damit für die gesellschaftliche Bewusstseinsbildung erkennen. Das ist zwar, was die Themen betrifft, oftmals deprimierend, aber es ist eine schöne Aufgabe. Daniela Kraus hat kürzlich in einem „ZIB“-Interview unabhängige Medien als die Infrastruktur der Demokratie bezeichnet. Petra Stuiber ist auch in diese Richtung gegangen – und ich gehe mit dir so weit, zu sagen: Ohne unabhängige Medien gibt es keine Demokratie.
Ich nütze daher die Gelegenheit, mich heute hier bei allen, die journalistisch arbeiten, als Bürgerin zu bedanken. Wir alle wissen, dass Sie im Beliebtheitsranking gemeinsam mit den Politiker:innen ziemliches Schlusslicht sind, und es liegt sicher nicht nur an schwarzen Schafen in beiden Branchen, sondern ich fürchte, das liegt vor allem daran, dass die Bürger:innen sich zwar Demokratie wünschen, aber viel zu viele nicht darüber nachdenken, was diese eigentlich ausmacht. Sonst würden sie so vieles nicht zulassen beziehungsweise bei so manchem sogar mittun, was auch in unserem Land passiert. Auch darüber geben übrigens die Einreichungen für den Concordia-Preis Aufschluss.
In der Kategorie Menschenrechte wird nicht nur über iranische Schicksale, über Aserbaidschan, über Russland, über Belarus, über die ungarischen Push-backs und den österreichischen Beitrag dazu berichtet, sondern zum Beispiel auch über strukturelles ärztliches Fehlverhalten bei uns, über unser Staatsbürgerschaftsrecht, den Hass gegen Menschen und Institutionen oder die Armut in unserem Land.
In der Kategorie Pressefreiheit geht es nicht nur etwa um Indien, sondern auch um österreichische Zustände, den finanziellen Druck durch Klagsandrohungen, den politischen Druck, um Berichterstattung zu verhindern, um tätliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten und um die auf diese Weise entstehende Schere im Kopf, die dann gar nicht mehr den tatsächlichen Druck braucht, um Wirkung zu entfalten. Das alles beschädigt die Demokratie. Das geht schleichend, und selbst wenn es schubweise passiert und damit eine höhere Aufmerksamkeit hat, sind wir nicht vor einem Gewöhnungseffekt gefeit.
Wer außer uns spricht noch von der politisch gewollten Reduktion des Zeitungsmarktes durch die Einstellung der „Wiener Zeitung“, und das ohne Not? Frau Abgeordnete, alleine die Geste, dass Sie so machen: Ich teile diese Geste, auch ich habe es so gemacht – und wir alle, vor allem im Presseclub Concordia –, denn diese Einstellung passierte ohne Not; das Geld wurde in eine neue staatliche Aufsicht über die Journalist:innenausbildung gesteckt, eine Ausbildung, die vorher von der Branche sehr gut selbst erledigt wurde. (Beifall.)
Die Frage für die Zukunft ist aber vor allem – und da schließe ich an Petra Stuiber an –: Wann wird die Medienförderung auf tragfähige Füße gestellt, sodass sie nicht einer potenziell korrumpierenden Inseratenfinanzierung ausgeliefert ist? Es ist zwar legitim und populär, nach mehr Geld für Bildung, für Pflege, ja sogar fürs Militär zu rufen, der Ruf nach mehr Budget für eine qualitative Medienförderung ist aber trotz ihrer demokratiepolitischen Notwendigkeit, die auf der Hand liegt, alles andere als populär. Der Schaden ist inzwischen offensichtlich. Das muss man einfach ansprechen, wenn wir von Pressefreiheit reden und wenn wir vom Kampf um Menschenrechte reden, denn das alles gehört zusammen.
Die beiden Ausgezeichneten werden von ihren Laudatorinnen gewürdigt werden. Die Jury war sich bei beiden einig, dass sie diesen Preis verdienen, und das hat deswegen ein so beachtliches Gewicht, weil die Konkurrenz groß war. Wir haben nämlich lange die Argumente ausgetauscht, die zu dem Ergebnis geführt haben, denn es gab zugegebenermaßen mehrere auszeichnungswürdige Vorlagen. Umso mehr aber gratuliere ich Colette Schmidt und Nicole Kampl, weil sie sich seit Jahren mutig, empathisch, aufmerksam und engagiert in einem Beruf bemühen, dem sie dadurch ein professionelles und ethisch anspruchsvolles Profil geben. Dafür danke ich ihnen. Das ist eine Verleihung, die wir auch deswegen für so wichtig halten, weil sie eben ein Beitrag für Demokratiearbeit ist.
Ich habe zwar damit nichts zu tun, aber ich möchte auch Anneliese Rohrer gratulieren, der das Präsidium von Concordia den Preis für ihr Lebenswerk zu Recht zuerkannt hat. Ich kenne sie einen Gutteil ihres Lebens – ich glaube, über den Daumen kennen wir einander 35 Jahre – und etwa zehn Jahre während meiner politischen Tätigkeit haben wir quasi miteinander verbracht. Ich erinnere mich wirklich an viele gute persönliche Gespräche, und ich finde es schön, dass wir uns zu diesem Anlass in diesem Haus wiedersehen.
Die vielen, die hier sind und die journalistisch arbeiten: Vor allem Ihnen wünsche ich, dass Sie die Freude und die Kraft für Ihre Arbeit nicht so schnell verlieren, weil es das ist, was die Demokratie braucht. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank, Heide Schmidt.
Wir schreiten nun zu den Preisträgerinnen. Und zwar beginnen wir mit der Verleihung des Concordia-Preises für Menschenrechte, gestiftet von der Bank Austria. Die Preisträgerin in diesem Jahr ist Nicole Kampl für ihre „Am Schauplatz“-Reportage „Woher kommt der Hass?“ – gleich ein Applaus! (Beifall.)
Bevor wir Nicole Kampl nach vorne bitten, bitte ich Ingrid Brodnig als Laudatorin nach vorne. Ingrid Brodnig ist als freie Journalistin und Buchautorin eine ausgewiesene Expertin zu Fragen des Internets, wenn ich das so allgemein sagen darf, und auch besonders zu Fragen der Hetze und des Hasses im Internet und wie er wirkt. – Bitte schön, Ingrid.
Ingrid Brodnig (Laudatorin in der Kategorie Menschenrechte): Ich freue mich, würdigende Worte für Nicole Kampl für ihren Beitrag aussprechen zu dürfen, der die Jury offensichtlich aufgrund der Wichtigkeit der Sendung und aufgrund der Professionalität der konkreten Umsetzung, würde ich vermuten, überzeugt hat.
Ich möchte über zwei Sachen konkret sprechen, wieso ich diesen Beitrag wirklich für preiswürdig halte, was auch alles darin mitschwingt. Da der Concordia-Preis ja auch ein wirklich inhaltlicher Preis ist, möchte ich ein bisschen auf die Frage der Menschenrechte eingehen und wie dieses Thema in meinen Augen den Concordia-Preis und uns alle stark betrifft.
Erstens zum Beitrag: Als ich gehört habe, dass Nicole Kampl ausgezeichnet wird, habe ich mich sehr gefreut, denn wir leben in einer Zeit, in der Medienberichterstattung unglaublich aktualitätsgetrieben ist und in der die Taktung, wie schnell Themen folgen, extrem hoch, extrem schnell geworden ist.
Ich gebe nur ein Beispiel: Als der Suizid von Dr. Kellermayr, die im Vorfeld schlimmste Droh-E-Mails bekommen hat, bekannt geworden ist, war das gesellschaftliche Entsetzen groß. Ich erinnere mich, es gab eine Trauerveranstaltung, sogar vor dem Stephansdom, wo wirklich viele, viele Menschen hinkamen, und das war ein sehr trauriges, aber auch ein würdevolles Event, ein Moment, wo man gemerkt hat: So kann das nicht weitergehen.
Das Problem ist aber, dass wir in einer Zeit leben, in der oft das gesellschaftliche Entsetzen groß ist und fünf Monate später dann niemand mehr darüber spricht, oder nur noch wenige. Vieles versandet dann oder man verliert den Durchblick: Was ist da jetzt überhaupt noch weiter passiert? Umso wichtiger ist diese journalistische Beharrlichkeit, also diese Geduld, dass man dranbleibt und nachfragt. Da kommt eben die Sendung „Am Schauplatz“ von Nicole Kampl ins Spiel, die genau das gemacht hat, die ein Jahr nach dem Todestag noch einmal der Sache nachgegangen ist und die Geduld bewiesen hat, dranzubleiben. So ein bisschen als Kontext: Das ist besonders viel Geduld, weil Nicole Kampl sie sogar schon im Vorfeld interviewt und kennengelernt hat. Sie war für diese Recherche wirklich prädestiniert. Eine Handvoll von Journalistinnen und Journalisten hatten diesen Kontakt, und da finde ich es sehr gut, dass Einzelne dann noch wirklich weiter dranbleiben.
Die journalistische Leistung des Beitrags liegt auch darin, dass der Fall Kellermayr juristisch kompliziert ist. Das Problem ist, dass das Entsetzen zwar oft groß ist, aber so im Detail will man es dann nicht genau wissen oder dann fehlt oft die Zeit. Hier zeichnet sich einerseits das Format „Am Schauplatz“ aus, weil es die Länge hat – und das muss man betonen, weil im Journalismus die Länge häufig fehlt –, aber es braucht auch eine Umsetzerin, eine Journalistin, die dann die Länge nutzt, um es zu erzählen. Ich denke zum Beispiel an diesen „Schauplatz“, wo eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft in Deutschland dann noch einmal erklärt und das einordnen soll, wo also quasi wirklich im Fernsehformat Erklärung, vielleicht auch irgendwie Rechenschaft eingefordert wird. Das finde ich aus folgendem Grund bemerkenswert: Ich komme selbst ursprünglich aus dem Printjournalismus. Im Printjournalismus hat man oft Platz und auch die Möglichkeit, Komplexitäten auszudrücken. Im Fernsehen, wo ich einerseits am Ende weniger Text habe, wo aber auch die Bilder so wichtig sind, ist es umso schwieriger, juristische Zusammenhänge zu erklären.
Das ist in diesem Beitrag sehr gut gelungen. Deshalb hat dieser Beitrag sehr viel geleistet, sich sehr viele Mühen gemacht. Das ist die eine: dass man versucht, etwas Komplexes in einem Bildformat zu erzählen. Hier merkt man beispielsweise, dass Nicole Kampl in der „Zeit im Bild“ sozialisiert wurde, also auch dort, wo es darum geht, regelmäßig komplexe Inhalte journalistisch zu vermitteln.
Zweitens: Der Beitrag hat dann nicht nur den Fall aufgearbeitet, sondern auch Aktualität geliefert. Sie können ihn zum Beispiel weiterhin auf Youtube ansehen. Ich denke da zum Beispiel an eine Szene: Man sieht eine allen Ernstes weiterhin stattfindende Coronademo in Steyr. Man muss sich vorstellen: Die Coronamaßnahmen sind vorbei, aber die Coronademos nicht. Nicole Kampl ist hingegangen, um sich das Klima dort noch einmal anzusehen, und man merkt in dem Beitrag, dass ihr eine feindselige Stimmung entgegenschlägt. Das heißt, der Beitrag hat den Mut gehabt, dorthin zu gehen, wo es nicht lustig ist, wo ein raues Klima gegenüber Medienvertretern, Medienvertreterinnen herrscht.
Dieser Mut ist hier relevant – dass man sich einerseits die Zeit nimmt, das zu erzählen, aber auch dorthin geht, wo es nicht immer lustig ist.
Sie ordnet das dann natürlich auch noch in ein größeres Bild ein. Ich gebe nur ein Beispiel: Auch eine junge Influencerin namens Julia Gruber, die selbst Hass im Netz – sexistische Hassrede – erlebt, erzählt aus ihrer Erfahrung.
Hier sehe ich – jetzt komme ich zum Zweiten – den großen Demokratiebezug dieses Beitrags, nämlich zum Thema Menschenrechte. Einerseits schwingt ja auch so ein bisschen das raue Klima gegenüber Journalistinnen und Journalisten durch, wo einfach Medien in manchen Kontexten nicht wirklich willkommen sind. Andererseits ist der Fall Kellermayr, glaube ich, aus dieser Menschenrechtsperspektive bis heute so wichtig, weil wir ein Wegdrängen von manchen Stimmen erleben.
Frau Dr. Kellermayr hat deswegen Hasskommentare und Bedrohungen erhalten, weil sie als Ärztin beispielsweise die Coronaimpfung empfohlen hat und weil sie sich traute, als Frau und als Ärztin auf Twitter, heute X, ihre Position zu vertreten. Die Gefahr ist, dass manche sich irgendwann nicht mehr trauen.
Ich finde es gut, dass wir heute diesen Preis, diese konkrete Auszeichnung haben, weil die Gefahr ist, dass der Fall Kellermayr einen genau die falschen Lehren ziehen lässt.
Wenn Sie mir erlauben – es tut mir leid, dass ich diese Sprache wiederhole, aber die Gefahr ist, dass fast zwei Jahre später dann vergessen wird, was da passierte –, lassen Sie mich ein E-Mail zitieren, das damals auch bekannt geworden ist, das an Frau Dr. Kellermayr adressiert wurde. Ich habe es hier dabei. Ein bis heute nicht ausgeforschter User schrieb:
„Hallo du dummes Stück Scheisse! Du kannst ja gerne mit Anwälten drohen aber kriegen werdet ihr mich sowieso nicht. Stattdessen habe ich nun beschlossen dich zu kriegen. Wenn ich schon einmal dabei bin werde ich aber selbstverständlich alle anderen Mitarbeiter deiner Praxis auch abschlachten. Ich bin bewaffnet und habe eine Schrotflinte. Damit werde ich dir aber nicht die Rübe wegpusten, das wäre ja viel zu leicht und zu einfach. Nein, ich werde als Patient kommen und wenn wir alleine im Besprechungszimmer sind werde ich dich niederschlagen und an deinen Arztstuhl fesseln.“
Das ist nur der Beginn. Das geht noch sehr, sehr viel weiter und ist nur exemplarisch ein Beispiel.
Warum sage ich das? – Weil wir bis heute keine Konsequenzen im Fall Kellermayr haben. Das ist ein bisschen enttäuschend, würde ich meinen. Deshalb möchte ich zweitens darüber reden, was dieser Beitrag auch gesellschaftlich aussagt, nämlich: Was kann man aus dem Fall Kellermayr lernen?
Ich persönlich würde erstens meinen, dass es bis heute keine gescheite Coronaaufarbeitung gab. Damit meine ich nicht, dass man beispielsweise eingebildete Impfschäden budgetär belohnt – so schrecklich auch teilweise die gefühlten Situationen der Personen dahinter sind –, damit meine ich zum Beispiel: Warum reden wir heute nicht mehr über die Mediziner und Medizinerinnen, die damals beleidigt und bedroht worden sind? Wo ist die Gerechtigkeit in diese Richtung? Ich kann sie jedenfalls nicht erkennen.
Das Zweite ist: Auch systematisch lässt sich hier einiges wiedererkennen, was Dr. Kellermayr erlebt hat und wo es auch anderen Betroffenen oft nicht gelingt, ihr Recht zu bekommen.
Erstens: Wenn ein strafbares Hassposting Ländergrenzen überschreitet, also beispielsweise der Absender, die Absenderin nicht aus Österreich kommt, ist meiner Erfahrung nach oft schon eine größere Gefahr da, dass das im Nirgendwo endet. Das kann ja nicht sein, noch dazu wo wir in einer Europäischen Union leben und wo wir zum Beispiel großteils die gleiche Sprache mit Deutschland und der Schweiz haben. Das heißt, vieles, was im Fall Kellermayr drinsteckt, ist ein größeres Problem: dass man manchmal hoffen muss, dass der Täter oder die Täterin in Österreich sitzt, sonst wird es vielleicht schwieriger.
Zweitens – vielleicht erinnern Sie sich –: Als dann der Suizid passierte und größeres Augenmerk auf den Fall gelenkt wurde, haben Journalistinnen und Journalisten über Monate und über Jahre hinweg wie Nicole Kampl versucht, aufzuarbeiten: Wo steht der Fall?, und sie sind immer wieder selbst überfordert gewesen, weil es eine irre Arbeit ist, selbst wenn man Kontakt zu den Medienleuten in den Staatsanwaltschaften und Gerichten hat, etwas Handfestes herauszukriegen.
Wissen Sie, was noch viel besser ist? – Wenn Sie betroffen sind, ist es meiner Erfahrung nach sogar oft schlimmer. Betroffene haben oft überhaupt keine Ahnung, wo ihr Verfahren jetzt gerade steht. Da entsteht schnell der Eindruck, es ist eigentlich wenig passiert. Ob wirklich wenig passierte oder andere Probleme im Hintergrund dann zur Einstellung des Verfahrens führten, obwohl alles Mögliche getan wurde, das weiß man oft nicht. Wir haben hier also eine zu große Intransparenz, wie viel im konkreten Fall dann unternommen wird. Der Fall Dr. Kellermayr, wo wirklich viele Journalisten und Journalistinnen hingeschaut haben, zeigt das.
Ich komme zum Schluss: Eine Lehre, die man daraus ziehen könnte, erstens journalistisch, ist: Wir könnten natürlich auch dieses Jahr wieder fragen: Was ist im Fall Dr. Kellermayr passiert? Also dieses Lästigsein und Nachhaken ist, glaube ich, weiterhin notwendig. Auch der Staat könnte nach wie vor, finde ich, hier reagieren. Ich persönlich zum Beispiel fände, eine Analyse – nämlich: Wo sind die Ermittlungen im Fall Dr. Kellermayr gescheitert und was könnte man da tun, sei es auf Paragrafenebene, sei es im Wissen der Staatsanwaltschaften, sei es im Wissen der Exekutive, sei es in Zusammenarbeit international? –, dass man daraus quasi ein Learning macht und einen wirklichen Bericht verfasst, wäre eine gute Aufarbeitung. Das würde das Problem nicht lösen, aber es wäre ein würdevoller Umgang, dass man wenigstens versucht, etwas daraus zu lernen.
Ich komme zum Schluss. Das Dritte ist: Ich bin sehr dankbar, dass wir heute diesen Rahmen haben, um das besprechen zu können, denn es braucht auch diese Fähigkeit als Gesellschaft, dass wir jenen Journalismus auszeichnen, der diese Beharrlichkeit hat und der sich auch die Mühe antut, solche Themen über Jahre hinweg quasi mit zu behandeln. Insofern bin ich auch sehr dankbar, dass der Concordia-Preis mit seiner großen demokratischen Ausrichtung ein Gefäß hierfür gibt. Auf jeden Fall herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Ich würde sagen, sie ist hochverdient. (Anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Aber darf ich dich auch bitten, Petra Stuiber, und Marion Morales? Kommen Sie, Frau Kampl, wir schreiten zur Übergabe des Preises, und dann darf ich Sie ans Rednerpult bitten.
Petra Stuiber: Ich soll das nehmen?
Daniela Kraus: Ja. Bitte schön.
Petra Stuiber: Ich darf Ihnen die Urkunde herzlich überreichen. Herzliche Gratulation!
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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
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(Beifall.)
Daniela Kraus: Danke schön. Fotos machen wir nachher, würde ich sagen.
Bitte schön, darf ich Sie ans Rednerpult bitten?
Nicole Kampl (Preisträgerin in der Kategorie Menschenrechte): Vielen Dank für diese große Auszeichnung. Das ist eine große Ehre, hier heute stehen zu dürfen. Es ist auch ein bisschen ungewohnt als Journalistin, wenn man hier steht und nicht hier oben sitzt, denn eigentlich sitzt man immer da oben – was eigentlich auch der Platz für uns Journalisten und Journalistinnen ist, weil wir ja beobachten und kontrollieren.
Bei meiner Reportage ist es um Hass im Netz gegangen. Hass im Netz ist jetzt nicht so das klassische Thema für eine „Am Schauplatz“-Sendung, weil alles, was da passiert, im Internet passiert, und – wenn man es jetzt überspitzt sagt – man kann fürs Fernsehen nicht 50 Minuten lang einfach Bildschirme abfilmen. Dazu, Ingrid Brodnig hat es auch gesagt, ist der Fall extrem kompliziert und komplex gewesen. Allein drei Staatsanwaltschaften haben ermittelt.
Deswegen möchte ich als Erstes auch einmal ein ganz großes Danke an das Team aussprechen, mit dem ich da zusammenarbeiten durfte. Das sind einerseits die Kamerateams – Gabi Hanke, Wout Kichler und Berni Schmidt –, die es wirklich geschafft haben, diesen komplexen Fall in Bilder zu übersetzen.
Die größte Aufgabe für uns war dann eigentlich im Schnitt. Man hat 50 Minuten, die man bebildern muss, und das sollte halt nicht fad sein – jetzt blöd gesagt –, sondern man muss sich wirklich überlegen: Wie baut man das auf? Die größte Aufgabe war es dann, im Schnitt eine spannende Geschichte daraus zu entwickeln. Wir sind da wirklich sehr lange gesessen, meine Cutterin Niki Scharang und ich.
Ich weiß noch, die Cutterin hat wirklich sehr oft zu mir gesagt: Du, ich verstehe es nicht, erkläre es mir noch einmal!, und ich habe es dann wieder erklärt, was passiert ist. Sie hat gesagt: Du, ich verstehe das nicht, wir müssen das irgendwie anders erzählen! – Ich glaube, das war eigentlich das Schwierigste, diesen komplexen Fall herunterzubrechen auf eine Geschichte, die jeder und jede versteht. Ich glaube, das ist auch die Aufgabe, die wir als Journalistinnen und Journalisten haben: dass wir solche komplexen Inhalte erklären und verständlich machen, sodass sie wirklich jeder und jede versteht.
Am 2. Februar 2022 habe ich zum ersten Mal mit Lisa-Maria Kellermayr Kontakt aufgenommen. Das war zwei Jahre nach Beginn der Pandemie und kurz bevor eine Impfpflicht im Nationalrat beschlossen werden sollte. Eigentlich war der Plan, eine Sendung über Ärztinnen und Ärzte zu machen, die im Zuge der Impfpflichtdebatte bedroht worden sind. Denn: Viele, die für die Impfung geworben haben, sind zum Ziel von organisierten Hasskampagnen geworden. Wie geht man damit um?, das war eine Frage, die ich mir gestellt habe.
Viele, mit denen ich in der Recherche telefoniert habe, haben mir gesagt, sie löschen die Mails. Sie schauen das gar nicht an. Sie haben eine Sekretärin, die sich das anschaut. Es hat jeder einen anderen Zugang gehabt. Es hat Leute gegeben, die gesagt haben: Ich habe mich von Social Media zurückgezogen, ich bin einfach abgetaucht, um nichts mehr abzukriegen. – Also es gab Leute, die einfach sehr leise geworden sind und eigentlich von der Bildfläche für eine Zeit verschwunden sind.
Das war auch der Rat, den Frau Kellermayr von vielen bekommen hat: Sie soll sich zurückziehen, sie soll ihre Social-Media-Agenden ruhen lassen, sie soll sich nicht weiter exponieren, hat es geheißen. Aber genau das wollte sie eigentlich nicht. Also sie wollte einfach weiter laut sein. Als wir im Februar 2022 das erste Mal bei ihr gedreht haben, habe ich sie auch gefragt, warum sie eigentlich nicht aufhört, sich auf Social Media zu äußern. Sie hat damals im Interview das so begründet:
Was ist mit meinem Recht auf Meinungsfreiheit und meinem Recht, mich zu äußern, auch öffentlich? Wir reden immer über Demonstranten und ihr Recht auf Meinungsfreiheit, aber auch mein Recht ist schützenswert!
Die Sendung, die dann on air gegangen ist, hat den Titel gehabt: „Beklatscht, bedroht, ausgebrannt“. Das war Ende April 2022. Drei Monate später war Lisa-Maria Kellermayr tot.
Wir haben damals beschlossen, dass wir uns anschauen, was in der Folge weiter passiert und wie das Ganze ausgeht, ob man da einen Täter erwischt oder nicht, und – Ingrid Brodnig hat es auch angesprochen – bis jetzt ist eigentlich so gut wie nichts passiert. Eine Aufarbeitung auf offizieller Seite hat es bis heute nicht gegeben. Hat es Versäumnisse gegeben? Hätten Politik und Behörden etwas anders machen können? Hätten sie etwas anders machen sollen, oder hätten sie etwas anders machen müssen?
Ich habe in meiner Recherche immer wieder gehört, wir Medien sollen Ruhe geben, wir sollen uns das nicht mehr anschauen, das bringt jetzt nichts mehr. Also viele Leute wollen bis heute nicht über den Fall Kellermayr sprechen und wollen auch gar nicht daran anstreifen. Bis heute, mehr als zwei Jahre nach den Anzeigen von Frau Kellermayr, gibt es noch immer keine einzige Anklage – und das, obwohl bei den Anzeigen zwei Morddrohungen und eine gefährliche Drohung dabei waren. Die gefährliche Drohung ist sogar von einer Firmenadresse aus geschickt worden.
Jetzt habe ich noch einmal ein Zitat vorzulesen, nämlich:
Bis wann mit einem Ermittlungsabschluss durch die Generalstaatsanwaltschaft München in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Wels gerechnet werden kann, kann derzeit leider nicht belastbar prognostiziert werden. – Zitatende.
Das ist die Antwort, die ich letzte Woche von der Staatsanwaltschaft München bekommen habe, als ich gefragt habe, wie der aktuelle Ermittlungsstand ist. Mehr kann man dazu nicht sagen. Dabei wäre es aus meiner Sicht sehr wichtig, dass es bei Hass im Netz auch Konsequenzen gibt.
Als wir Frau Dr. Kellermayr Anfang Februar 2022 das erste Mal in ihrer Praxis besucht haben, hat sie uns einen ganzen Ordner gezeigt, einen Ordner voller Hasspostings. Die hat sie alle ausgedruckt gesammelt. Dabei waren aber auch Entschuldigungsschreiben, denn: Die Leute, die sie mit Klarnamen bedroht haben, hat sie mit einer Anwältin auszuforschen versucht. Wenn sie sie ausgeforscht haben, haben die Leute einen Anwaltsbrief bekommen. Sie sind aufgefordert worden, sich zu entschuldigen, andererseits zu zahlen. Ganz viele haben sich dann entschuldigt – das waren handgeschriebene Entschuldigungsschreiben.
Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man bei Hass im Netz auch eine Konsequenz aufzeigt, dass einfach klar ist, dass man nicht einfach alles ins Internet schreiben kann und es passiert eh nichts.
Denn: Hass im Netz ist noch immer ein extrem großes Problem in unserer Gesellschaft, und – was sich auch immer zeigt – diejenigen, die Opfer von Hass im Netz werden, brauchen einen extrem langen Atem. Viele sind Frauen – das haben wir auch schon gehört –, und viele zeigen ein Hassposting gar nicht erst an, weil sie sagen: Es bringt eh nichts, es passiert eh nichts. – Das muss sich ändern, weil Hass im Netz eben kein Kavaliersdelikt ist.
Ich glaube, für Frau Dr. Kellermayr war Social Media sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Auf der einen Seite war der ganze Hass, den sie bekommen hat, aber auf der anderen Seite hat sie auch sehr viel Anerkennung und Zustimmung bekommen. Gerade während der Pandemie hat sie auf – damals noch – Twitter sehr viele sehr gute Freundinnen und Freunde gefunden, die sie sehr unterstützt haben und die noch bis heute ihr Andenken hochhalten. Zwei von ihnen sind heute auch hier – ich weiß leider nicht, wo sie sitzen. Ich glaube, das sollte man am Ende vielleicht auch sehen: dass Social Media auch eine ganz andere Funktion hat und ursprünglich hatte, nämlich dass Social Media uns eigentlich sehr stark verbinden kann. Das sollte man auch nicht vergessen.
Ich möchte mich abschließend bei allen Protagonistinnen und Protagonisten der Reportage dafür bedanken, dass sie uns ein Stück weit Einblick in ihr Leben, in ihre Lebenswelt gegeben haben, denn genau das ist es, was unsere Sendung, was den „Schauplatz“ ausmacht. Also wir leben davon, dass die Leute uns – mit Kamera – reinlassen, dass die Leute Vertrauen zu uns haben und uns ihre Geschichte erzählen, damit wir sie weitererzählen können, damit wir die komplizierten Dinge herunterbrechen können, damit das Publikum das alles versteht.
Genau dieses Format braucht Zeit, braucht Ressourcen, ansonsten ist das nicht möglich. Deswegen möchte ich mich zuallerletzt noch ganz herzlich bei meiner Redaktion, bei „Am Schauplatz“, bedanken. Das ist eine tolle Redaktion, wo ich mich sehr wohlfühle. – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank und viel Applaus an Sie und auch an die „Schauplatz“-Redaktion! (Beifall.)
Wir schreiten jetzt zur Verleihung des Concordia-Preises in der Kategorie Pressefreiheit. Der geht an Colette Schmidt vom „Standard“ für ihre Berichterstattung von Demonstrationen, bei denen auch Journalisten und Journalistinnen angegriffen wurden und leider auch weiterhin werden – ein Problem, das wir für die Pressefreiheit als ein immer wachsendes und größer werdendes sehen. Wir brauchen Journalisten und Journalistinnen, die darüber berichten. Deswegen einmal gleich ein Applaus an Colette Schmidt (Beifall), während ich Tanja Paar, Buchautorin und auch Journalistin, zum Rednerpult für die Laudatio bitte. (Beifall.)
Tanja Paar (Laudatorin in der Kategorie Pressefreiheit): Sie gestatten mir ein Glas Wasser. – Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Liebe Preisträgerinnen! Colette Schmidt als junge Frau auf der Bühne im Rampenlicht – so habe ich sie 1991 kennengelernt. Am Schauspielhaus Graz hat sie Theater gespielt, bevor sie Kritikerin wurde. Der fundierte Rollenwechsel ist eine ihrer Kardinaltugenden.
Aber der Reihe nach: In Graz ist sie aufgewachsen und zur Schule gegangen, hat schon bald ihre vielfältigen Begabungen erprobt, denn Colette war immer ein Multitalent: spielte Theater im Jugendklub, machte mit 19 Jahren erste Schritte im Journalismus bei der „Kleinen Zeitung“ in Graz, rannte hin und her zwischen Bühne, Redaktion und Universität, denn ein Studium der Germanistik und einer Fächerkombination ging sich auch noch aus – ein Klassiker, könnte man meinen, aber Colette schloss dieses Studium im Unterschied zu vielen anderen auch anwesenden Kolleginnen und Kollegen ab. (Heiterkeit.)
Das, obwohl sie mit 23 Jahren bereits Mutter geworden war. Auch diese Herausforderung hielt sie nicht davon ab, konsequent ihren Berufsweg weiterzugehen. Anders als viele junge Frauen ihres Alters tappte sie nicht in die Teilzeitfalle, ebenso nicht nach der Geburt der zweiten Tochter und schließlich ihres Sohnes, auch notgedrungen – silberne Löffel waren ihr nicht in die Wiege gelegt.
Ab 1994 arbeitete sie für die Grazer Redaktion des „Standard“. Für die Innenpolitik und Chronik schrieb sie, und das ist ungewöhnlich, ebenso wie im Kulturressort – leidenschaftlich, gut informiert und mit dem extra Biss, der sie bis hierher ins Parlament und zu diesem Preis gebracht hat. Denn: Sie verfolgt, das ist einer ihrer Wesenszüge, mit Leib und Seele ihre Ziele. Sie verkörpert sie, schreibt sie sich ein, hartnäckig, konsequent und kompromisslos – wenn es sich so ergibt, auch an einem Sonntag, sehr zum Leidwesen von Pressesprechern, Rechtsanwälten und Staatsanwälten. Ich gendere hier bewusst nicht. (Heiterkeit.)
Hartnäckig war sie also schon immer. Sie wollte eine Sache nicht nur oberflächlich ergründen, sondern möglichst vollständig erfassen. Ihre Recherchen haben etwas Handgreifliches. Sie ist Hands-on, wenn ich hier in Colettes buchstäbliche Muttersprache, das Englische, wechseln darf.
Ihre Wissbegierde und ihr Wissensdurst haben sich also nie auf ein journalistisches Ressort beschränken lassen. Das ist ungewöhnlich in einer Zeit, in der Allrounder:innen selten werden. Kultur, Chronikales und immer schon die Politik sind ihre Aktionsfelder – nie als reines Abstraktum, sondern stets auf das Menschliche ausgerichtet. Wie Menschen leben und leben müssen, dabei vor allem die Frauen, Kinder und andere in der Gesellschaft, Benachteiligte, Minderheiten und politisch Verfolgte, berührt und interessiert sie, und sie kann es in ihren Texten begreiflich machen.
Colette – da hat sie mir zwar widersprochen, aber ich beharre darauf – ist eine Intellektuelle, die ihr Wissen nicht vor sich herträgt, sondern es anderen in verständlicher Weise anbietet; seit ihrer Übersiedelung nach Wien immer öfter auch als politische Kommentatorin im Fernsehen und Radio, zum Beispiel im ORF, Puls 4 oder CBC. Nicht erst seit ihrem Wechsel in die Innenpolitik des „Standard“ 2017 beschäftigt sie sich zunehmend mit investigativen Recherchen, zum Bereich Rechtsextremismus und Pressefreiheit. Damit begibt sie sich in ein journalistisches Feld – manche sagen die Königsdisziplin –, den Investigativjournalismus, der auch nicht gerade eine weibliche Domäne ist. Das schreckt sie nicht ab. Ihre mehr als zwei Jahre dauernden Recherchen zum Finanzskandal in der steirischen FPÖ fließen auch in den U-Ausschuss in dieser Sache in diesem Haus ein und werden derzeit von vielen anderen Medien aufgegriffen.
Ihr großer persönlicher Einsatz exponiert sie sehr. Sie wurde mehrfach bedroht und ist im Internet dem Hatespeech politischer und anderer Gegner:innen ausgesetzt. Wir haben gerade gehört, wie so etwas dann klingen kann. Auch bei der Recherche zu ihrem Siegertext wurde sie körperlich angegriffen. Für ihre Reportage – Rechtsextremer Aufmarsch vor Villa mit Dragqueen-Lesung – nahm sie Attacken und Beschimpfungen in Kauf, um die Rechte der Pressefreiheit, in diesem Fall der unbehelligten Berichterstattung, für sich und ihre Kolleg:innen zu erstreiten. Denn Colette ist zielstrebig bei der Durchsetzung ihrer Anliegen für die gerechte Sache, gleichzeitig aber eine Teamplayerin, die sich stets auch für die anderen einsetzt.
Seit 2019 Betriebsratsvorsitzende des „Standard“-Verlags, ist sie seit dem Vorjahr maßgeblich an den Verhandlungen für einen neuen Journalist:innenkollektivvertrag beteiligt. Als Mitglied des Redaktionsbeirates des „Standard“ hat sie in der 35-jährigen Geschichte des Unternehmens das erste Redaktionsstatut durchgesetzt. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Pressefreiheit in einer Zeit, in der das hohe Gut des Redaktionsgeheimnisses auch in Österreich bedroht ist.
Geplante Reformvorhaben der türkis-grünen Regierung im Medienrecht, die nun nach heftigen Protesten – unter anderem durch den Presseclub Concordia – verworfen wurden, zeigen, dass die Pressefreiheit stets vulnerabel ist. Wären Medien dazu verpflichtet worden, Recherchedaten an Personen herauszugeben, die dies in Auskunftsbegehren fordern können, wäre das Redaktionsgeheimnis existenziell gefährdet. Kollegin Stuiber hat das schon angesprochen.
Auf die Rangliste für die Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen werde ich jetzt kein weiteres Mal eingehen. Es braucht daher klare gesetzliche Vorgaben und Menschen wie Colette Schmidt, die sich dafür einsetzen, dass die Freiheit der Presse, eine der Säulen unserer Demokratie, gewahrt bleibt. Beinahe hätte ich an dieser Stelle unermüdlich gesagt, aber das wäre ein Euphemismus. Stets ist etwas zu tun: jene betagte Zeitzeugin ist zu sprechen, bevor es zu spät ist, jene Informantin zurückzurufen, dieser Kontakt gepflegt. Colettes Tage haben mehr als 24 Stunden. Sie ist ungeheuer produktiv. Über 1 100 Artikel verfasste sie seit ihrem Wechsel nach Wien.
Falls sie doch einmal frei hat, legt sie als DJ – ich glaube, das gendert man nicht – in ihrem Lieblingscafé in Wien David Bowie auf, von dem sie alle Platten besitzt. Sonst bleibt ihr wenig Zeit für Hobbys. Das Reisen ist eine ihrer Leidenschaften, und bald wird sie außerhalb der Schulferien auf Urlaub fahren können – zum ersten Mal in – wir haben es nachgerechnet – 24 Jahren. Vielleicht führt sie diese Reise wieder nach Kanada, wo sie geboren ist. Oder sie schreibt endlich ihr Buch fertig. Maria Lassnig, der sie 1991 bei einer Zugfahrt nach Budapest begegnete, hat es ihr nach einem langen vertraulichen Gespräch bereits damals zugetraut: Reden Sie mit dem Kolleritsch, den kenne ich! Was könnte Sie aufhalten? – Dem kann ich mich nur anschließen, Colette. Ich gratuliere dir herzlich zum Concordia-Preis für Pressefreiheit. Du hast ihn dir in mehr als 30 Jahren journalistischer Schwerstarbeit verdient. (Anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank! Herzlichen Dank, Tanja Paar! Danke schön!
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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
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Danke schön für die Überreichung! Danke schön!
Herzliche Gratulation! Vielen Dank! Das Rednerpult gehört dir.
Colette M. Schmidt (Preisträgerin in der Kategorie Pressefreiheit): Ich bin jetzt ein bisschen errötet, weil die Laudatorin bei allerlei natürlich schamlos übertrieben hat – aber: was soll man machen? Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Politik! Freundinnen und Freunde! Und last, but not least: liebe Familie!
Als ich vor einigen Wochen einen Anruf bekommen und erfahren habe, dass die Jury mir den Concordia-Preis für Pressefreiheit zuerkannt hat, habe ich buchstäblich vor Freude einen Luftsprung gemacht. Ich bedanke mich sehr für diese Anerkennung meiner Arbeit, die ich wirklich in großer Demut annehme.
In den letzten fünf Jahren wurden in Österreich mindestens 40 Waffenarsenale am rechtsextremen Rand von den Behörden ausgehoben – 40 Mal Ansammlungen von Schusswaffen, Hiebwaffen, kiloweise Munition, Sprengmittel, und – oft mit dabei – Nazidevotionalien, also Bekenntnisse an eine menschenverachtende, gewalttätige Ideologie; gesammelt von Menschen, die hier in einer Demokratie mit all ihren Vorzügen leben und diese eigentlich abschaffen wollen – von den geistigen Erben der Nationalsozialisten. Jede Woche steht in irgendeinem Bundesland in Österreich jemand wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz vor Gericht – jede Woche! In manchen Wochen sind es bis zu zehn solcher Fälle. Die Plattform Stoppt die Rechten sammelt diese Zahlen übrigens akribisch und verlässlich auf ihrer Homepage.
Gleichzeitig spüren rechtsextreme Gruppen einen Aufwind. Im Zuge der Pandemie haben sie im Netz und auf der Straße neue Anhänger:innen rekrutiert, haben diese mit ihrer Ideologie von Hass, Hetze und Herrenmensch und atemberaubenden Verschwörungsmythen angesteckt. Warum wir das wissen? – Weil wir Feinde der Demokratie beobachten, egal aus welcher Richtung sie kommen; weil wir den politischen Diskurs beobachten: im Parlament, im Netz und natürlich auch auf der Straße.
Es war eine Reportage über eine Demonstration für die ich nun diesen Preis bekommen habe. Rechtsextreme, Neofaschisten und auch Mitglieder der blauen Jugend haben in diesem Fall zum Marsch gegen eine Dragqueen-Kinderbuchlesung, eine Veranstaltung für Toleranz und Diversität, geblasen. Die Fotografin, die das Foto zu dieser Geschichte machte, das es auf unsere Seite 1 geschafft hat, ist heute übrigens auch da. Es ist jetzt kein Zufall, dass ich ihren Namen nicht nenne, denn auch sie wurde schon mehrmals bedroht und angegriffen. Nicht zum ersten Mal wurden Medienvertreter:innen auf dieser Demo von rechtsextremen Aktivisten abgedrängt, mit aufgespannten Schirmen wurde uns die Sicht verstellt, die etwa 10 Zentimeter langen Schirmspitzen dabei in unsere Richtung gestoßen.
Es bleibt natürlich die Frage, wofür man eine Demo organisiert, also mit seinen Anliegen in den öffentlichen Raum hinausgeht, wenn man sich dann hinter Schirmen versteckt. Die Polizei ließ das geschehen. Doch es ist nun einmal ihre Aufgabe, unsere Pressefreiheit zu gewährleisten, und genau das tut sie oft nicht. Damit das klar ist: Die Polizei entscheidet nicht, wer Journalistin oder Journalist ist!
Es ist ein bisschen unübersichtlich geworden im ideologischen Spektrum dieser Welt: Anhänger einer ehemals konservativen Partei bejubelten in den USA einen Putschversuch. Die globale Linke, die sich stets als progressiv ausgab, verbrüdert sich mit Terrororganisationen, die Frauen und der LGBTQ-Community alle Rechte absprechen. Und dabei sehen wir auch noch eine Explosion von Antisemitismus – in einer derart rohen, unverblümten Art, dass einem wirklich die Luft wegbleibt. Es gibt aber immer noch – trotz dieser unübersichtlichen Verwirrung der Ideologien vielleicht – ganz klare Leitlinien: Das ist Demokratietauglichkeit oder so etwas wie Humanismus.
Bewegungen oder Regime, die diese Werte angreifen, haben logischerweise kein Interesse an der Pressefreiheit. Auch auf den jüngsten Demos, auf denen die Hamas verharmlost und zum Dschihad aufgerufen wird, hat man keine Freude mit dem kritischen Auge der Medien. Der äußerst rechte Rand aber drängt derweil in die Mitte. Anders ist es nicht erklärbar, dass man ernsthaft darüber diskutiert hat, ob Menschenrechte noch zeitgemäß sind, dass Remigration, also die Deportation von Menschen, nicht schon vor Potsdam zu einem Aufschrei geführt hat, und dass Vokabel wie Lügenpresse, Festung Europa oder Volkskanzler nach 80 Jahren wieder einfach so in den öffentlichen Diskurs zurückkehren können.
Gleichzeitig gibt es wirklich Menschen, die glauben, Antifaschist sei ein Schimpfwort. Das ist es nicht! Antifaschist:in zu sein, ist in einer Demokratie alternativlos. (Beifall.)
In dieser Erosion braucht es eine stabile Medienlandschaft mehr denn je, aber wir müssen heute ernsthaft fragen: Wie lange wird es uns noch geben? Wir drohen nämlich zu verschwinden. Obwohl der Journalismus so essenziell ist, schaut man in Ruhe zu, wie er stirbt. Morgen früh muss ich wieder früh aufstehen, denn da wird die Journalistengewerkschaft weiter mit dem Verband Österreichischer Zeitungen das neue Rahmenrecht unseres Kollektivvertrages verhandeln. Was wir jetzt schon sagen können, ist: Die Löhne in unserer Branche zu kürzen wird kein einziges Medienunternehmen retten. Vielmehr muss sich die Gesellschaft und damit die Politik fragen: Will sie sich seriöse Medien noch leisten, so wie sie sich ein Gesundheitssystem, Schulen, Unis, Museen oder Theater leistet? Natürlich können wir nicht auf Qualitätsmedien verzichten, Qualitätsmedien, die übrigens auch aus den Regionen berichten müssen, denn flächendeckende Demokratie heißt auch, ohne toten Winkel zu berichten; auch – weil ich auch aus dieser Ecke komme – über Kunst und Kultur, wo wichtige Fragen des Zusammenlebens verhandelt werden.
Politische Inseratenvergabe nach Gutsherrenart ist nicht demokratisch. Wir reden immer wieder von Medienkompetenz, die auch schon an Schulen gelehrt werden muss. Wir müssen aber dafür sorgen, dass es überhaupt noch Medien gibt, die zukünftige Generationen konsumieren können. Man könnte zum Beispiel – das ist nur so eine Idee – Abos von Qualitätsmedien steuerlich befreien. Denken wir uns Zeitungen einfach wie Unterrichtsmaterial!
Am rechten Rand hat man sich längst ein Netzwerk an Propagandamedien aufgebaut, auch teilweise mit Inseraten. Wir müssen dem Aufklärung und gut recherchierte Information entgegensetzen. Die jüngere Generation, die in unseren Beruf, jedenfalls kann ich das von unserer Redaktion sagen, nachrückt, macht mir Hoffnung – damit ich hier auch ein bisschen optimistisch ende. Es waren auch Junge dabei – denn das habe ich keineswegs alleine durchgesetzt, als wir unser erstes Redaktionsstatut im „Standard“ erarbeitet haben –, und diese Jungen sind nicht nur gut ausgebildet, sondern machen sich auch wirklich Gedanken über ihre Verantwortung. Sie können niemals von KI, Bots oder Fakenews-Produzenten ersetzt werden. Wir werden sie noch dringend brauchen. – Danke sehr. (Anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Danke schön, Colette Schmidt, für diese leidenschaftliche Rede.
Ich darf jetzt Florian Asamer, den Chefredakteur der „Presse“, nach vorne bitten, denn nun kommen wir zur Verleihung des Ehrenpreises für das Lebenswerk. – Liebe Frau Rohrer, wir freuen uns sehr!
Sie sind als Laudator in unserem Line-up diesmal der einzige Mann. Ich muss das wiederholen, was der Kollege vorhin gesagt hat: Wir haben mehr Schmidts als Männer. (Heiterkeit.) Ich freue mich sehr, dass Sie sich bereiterklärt haben, hier die Laudatio zu halten. Florian, bitte schön.
Florian Asamer (Laudator des Ehrenpreises): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Dr. Rohrer! Ein Preis für das Lebenswerk also, das ist so leicht dahingesagt. Ein Lebenswerk kann im Journalismus so vieles sein. Man kann die Watergateaffäre aufdecken und danach den Rest einer Laufbahn davon erzählen, man kann mit spektakulären Kommentaren den Diskurs im Land bestimmen – oder das zumindest von sich glauben –, täglich die Hauptnachrichten moderieren, mit genialer Pranke plattmachen und lauter so Sachen, oder man macht es wie Anneliese Rohrer und ist da, buchstäblich Tag für Tag, über Jahre, nein, wir sprechen am heutigen Spätnachmittag tatsächlich von Jahrzehnten.
Ja, das macht Tageszeitung aus: jeden Tag, unerbittlich, immer, ausnahmslos, dort zu Hause im Wohnzimmer, am Küchentisch, und sie wissen schon, wo sonst noch überall gelesen wird, dort wo Leser:innen und User am offensten sind für Denkanstöße und Argumente, aber auch am empfindlichsten für Fehler und vermeintliche Untergriffe. Tageszeitung ernst gemeint und durchgezogen, manchmal sogar schon seit 1848, höhlt nicht nur mit steten Buchstaben die Überzeugung einzelner, sondern verändert im Idealfall, von dem wir heute im Zusammenhang mit der Geehrten sprechen dürfen, die ganze Republik.
Und weil bei Preisen für Lebenswerke gerne einmal ein, zwei, drei Fächer zu hoch ins Regal gegriffen wird: Es geht bei der Frau Doktor – Anneliese Rohrer ist für uns stets die Frau Doktor, mit Artikel und Titel, so viel Zeit ist immer –, es geht also bei der Frau Doktor tatsächlich um nicht weniger als das: um republiksverändernde Haltung ein Berufsleben lang. Das klingt groß, und das ist auch groß, besteht aber aus vielen Kleinigkeiten: Einzelentscheidungen im Redaktionsalltag, Tausenden originellen Kommentaren, klugen Diskussionsbeiträgen, scharfen Statements – gestern auf der blauen Seite zu lesen: Unterirdisch: Rohrer kritisiert die Grünen –, das alles getragen von einer unbestechlichen Haltung, die sich zu einem Lebenswerk summiert.
Zwei dieser scheinbaren Kleinigkeiten, um irgendwo zu beginnen: Anneliese Rohrer hat die ehernen journalistischen Grundregeln Check, Recheck, Double Check und wie sie alle heißen, um zwei Punkte erweitert: Bleiben Sie immer beim Sie! – wir reden vom Journalismus in Österreich! –, und: kein Alkohol im Job! – wir reden immer noch vom Journalismus, in Österreich! (Heiterkeit.) Diese beiden so simpel klingenden Punkte sind, wenn man sie beherzigt, über Jahrzehnte ausnahmslos beherzigt, eine ziemlich wirksame Impfung gegen Verhaberung, Grenzüberschreitung und letztlich Korruption: Check, Recheck, kein Duzen, Double Check, dazu keinen Doppelten, sondern Mineralwasser. (Heiterkeit.)
Was Rohrers journalistisches Wirken auch ausmacht, ist ihr spezieller Blick auf die Welt. Von dort kommend, wo – Verzeihung! – Österreich mitunter am engsten war, aus Kärnten nämlich, ist sie zuerst einmal hinaus in die Welt – was bei den meisten Journalisten aus den Bundesländern nach Wien gehen heißt, bei Rohrer aber in die USA und Neuseeland; nach Jahren dort an der Uni die Rückkehr der promovierten Historikerin nach Österreich, jetzt wirklich nach Wien, als Quereinsteigerin in den Journalismus, zur „Presse“, um nicht etwa – naheliegenderweise – Außenpolitik zu machen, sondern eben gerade die Nussschale der Innenpolitik knacken zu wollen. Klingt irgendwie kontraintuitiv, ist aber trotzdem bestechend logisch. Nach dem Leben jenseits des Tellerrands zurück hinein in die Frittatensuppe der heimischen Politik; Rohrer wusste freilich damals noch nicht, dass ihr nach spannenden Kreisky-Jahren das harte Brot von 14 Jahren mitunter lähmender großer Koalition noch bevorstand, bis dann ein paar Jahre Schüssel, Haider, Marsch durch die Wüste Gobi, EU-Sanktionen, Knittelfeld, BZÖ, ich bin da, wieder weg, sie für diese Durststrecke mehr als entschädigt haben.
Die Außenpolitik ist es übrigens dann doch noch geworden, weil – das ist ja auch kein Geheimnis – die Ipo-Chefin Rohrer die schwarz-blaue Wende um die Jahrtausendwende, sagen wir, nicht gerade gnädig begleitet hat.
Den erzwungenen Wechsel an die Spitze der Außenpolitik hätten viele nach außen inszeniert und nach innen beleidigt zelebriert. Rohrer tat, was sie immer tut: Weitermachen mit Neugierde, Energie und Begeisterung. Die Umstellung war am Anfang schwierig. Sie, die die Innenpolitik im kleinen Finger hatte, musste sich die Apo erst erarbeiten, das Vertrauen des Ressorts auch, das – am Anfang zumindest – skeptisch war. Damals sind Lebensfreundschaften entstanden, per Sie natürlich, das versteht sich von selber.
Überzeugt hat Rohrer stets dadurch, dass sie war, wie sie war: gscheit, schnell, herzlich, am Gegenüber und an der Sache interessiert, aber auch unerbittlich, wenn sie nicht überzeugt war von Geschichten, Motiven, Argumenten, Personen. Androsch, Haider, Grasser, Kurz: Wer einmal unter Rohrers stechendem Blick eingeknickt ist, weiß, wovon die Rede ist.
Leading by Example heißt das so schön in der Managerfibel. Was man sich darunter vorzustellen hat: Sonntagstermin in der Ära Schüssel-Haider, wieder einmal irgendeine Marathonsitzung, die in aller Herrgottsfrüh beginnt, mit angesagtem inszenierten Open End. Wer kann das machen?, so die Frage der Chefin der „Presse“-Innenpolitik. Alle ducken sich, wollen lieber blaumachen als Schwarz-Blau an diesem Wochenende. Die Rohrer fixiert den frisch gefangenen Lehrredakteur: Sie gehen in der Früh hin – oje! –, und ich löse Sie dann zu Mittag ab und bleibe dort, bis es aus ist. – So können Chefallüren auch ausschauen.
1974 Innenpolitik machen als Frau: Um ein Gefühl dafür zu bekommen, von welcher Welt wir da sprechen, hier ein Nebenbei aus der „Presse“ vom Mittwoch, dem 20. November 1974, keine zwei Monate, nachdem Anneliese Rohrer ihre Arbeit bei der „Presse“ begonnen hat:
Zitatanfang: Wenn ich das Wort Emanzipation höre, kommt mir der Gedanke, ob die Frau damit nicht vielleicht mehr verliert, als sie gewinnt!, meditierte Karl Schleinzer bei einem Damentee in Baden im Kreis niederösterreichischer Hausfrauen. (Heiterkeit.) Die Zustimmung aus diesen Reihen war ihm gewiss, als er den Gedanken fortspann: Eigentlich bedeutet Emanzipation eine zusätzliche Stresssituation für die Frau. – Zitatende.
Die Themen der ersten Geschichten Rohrers für „Die Presse“ wirkten dagegen ganz und gar nicht aus der Zeit gefallen: Migration – damals noch unter dem Label Gastarbeiter und dem Titel Kolaric –, das unbekannte Wesen – untersuchte das migrantische Wahlverhalten; der ORF, es ging darum, ob die „ZIB“ auf FS 1 und FS 2 durchgeschalten werden kann, und ob diese Wahlfreiheit den öffentlichen Bildungsauftrag gefährde oder nicht –die Einschätzung war: eher schon –; und über Frauen in der Politik.
Warum soll ich es denn verbieten, wie österreichische Ehemänner die politische Karriere ihrer Frau betrachten, lautete Rohrers Titel und Vorspann. Rohrer schreibt darin über eine Politikerinnengattin - , über einen Politikerinnengatten, so heißt es richtig: Eine Konsequenz aus dem Beruf seiner Frau zieht Kurt Hawlicek jedoch nicht: Im Haushalt habe ich nie einen Finger gerührt und werde es auch nicht tun. (Heiterkeit.) Wer denn die Kinder versorge, will man – also Frau Rohrer – wissen: Wir haben eine Oma, ohne die ginge das gar nicht. (Neuerliche Heiterkeit.)
Doch der Feminismus der Anneliese Rohrer war geprägt von der Vorstellung, keinen Unterschied gemacht kriegen zu wollen, also so behandelt zu werden, wie die anderen, die Männer, auch. Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten wurde nicht thematisiert, sondern war privat. Rohrer warnte junge Kolleginnen, die es übrigens nicht immer leicht hatten mit ihr, vielleicht, weil sie mehr von ihnen verlangt hat als von ihren männlichen Kollegen, regelmäßig vor der Girly-Falle. Gemeint war damit: Natürlich könne man die Frauenkarte spielen, allerdings dürfe man sich dann auch nicht wundern, auf diese Rolle festgelegt zu werden. Anneliese Rohrer selbst erlag dieser Versuchung nicht. Sie lehnte etwa den Platz in der „Presse“-Chefredaktion ab, weil man sie dort primär als Frau haben wollte. Sie hätte es nur gemacht, wenn man sie glaubwürdig als am besten geeignet dafür hätte haben wollen.
Wieder als Frau musste Rohrer übrigens auch eine der größten Zumutungen ihres Berufslebens erdulden: Die Pensionierung mit Schlag 60 Jahren. Wer miterlebt, wie Roher bis heute noch für diesen Beruf brennt, kann sich ungefähr vorstellen, wie sich das angefühlt hat. Der Pensionsschock hielt aber nicht lange an. Andere hätten sich neu erfunden, bei Rohrer gab es dazu keine Notwendigkeit. Sie machte weiter, war immer da – eine Kolumne im „Kurier“, Mitarbeit bei den Filmen ihrer Tochter Katharina, viele Reisen, Unterricht und ihre ungebrochene Präsenz in Funk und Fernsehen. Die Rückkehr der Querschreiberin zur „Presse“ machten sie zur – bitte weghören, Frau Doktor –Doyenne der österreichischen Innenpolitik. Auf sie können sich inzwischen alle einigen: Jung und Alt, Frauen und Männer, Links wie Rechts, gut, konservativ, inzwischen nicht mehr ganz so einhellig, wenn man sich anschaut, welche Leserbriefe auf Rohrers samstags „Quergeschrieben“ in der Chefredaktion der „Presse“ einlangen.
Auch in der „Presse“-Redaktionskonferenz erfüllt Rohrer einmal die Woche unermüdlich ihre Rolle als strenge Blattkritikerin und journalistischer Kompass: Was macht eine gute Zeitung aus? – Drei Geschichten, die mich wirklich interessieren! Das ist auch so ein Rohrer-Satz, den man sich merken kann. Und stets beherzigt Anneliese Rohrer das, was man die Rohrer-Doktrin nennen könnte: sich trotz aller erarbeiteten Routine konsequent der Wurschtigkeit zu verweigern, die Sache mit viel Distanz und Humor ernst zu nehmen, und immer zuerst selber zu denken, bevor man schreibt oder redet.
I rest my case, pflegt Rohrer am Ende ihrer engagierten Blattkritiken stets zu sagen und hatte nie auch nur im entferntesten die Absicht, sich daran auch zu halten. Ich möchte mir diesen Spruch zum Schluss nur einmal ausleihen. I rest my case – selten war ein Fall leichter zu gewinnen als dieser hier heute. – Danke schön. (Anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank für dieses wunderbare Porträt.
Ich darf die Frau Doktor jetzt nach vorne bitten, und wieder Petra Stuiber. Der Ehrenpreis der Concordia wird vom Präsidium ausgewählt und vergeben, deswegen darf ich dich jetzt bitten. – Bitte schön.
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(Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.)
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(Anhaltender Beifall.)
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(Beifall.)
Den schönen Kristall darfst du auch übergeben. Die Fotos gibt es nachher.
Ich darf Sie nach vorne an das Rednerpult bitten.
Anneliese Rohrer (Ehrenpreis der Concordia): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, wir zwei sind diejenigen, die am längsten in diesem Haus waren. Heuer sind es 50 Jahre. 1974 habe ich zum ersten Mal dieses Haus betreten, aber keine Angst, ich fange nicht damit an, dass früher alles besser war, war es nämlich - - (Heinz Fischer: 1962 ...!) – Bitte? – (Heinz Fischer: 1962, bei mir ...!) – Eben, ja. Ich habe ja nicht behauptet, dass ich länger da bin als Sie. (Heiterkeit.)
Also ich werde nicht sagen, dass früher alles besser war, keine Angst, war es nämlich nicht. Wir haben als Journalisten damals nur mehr Zeit in diesem Haus verbracht – tagelang, stundenlang, halbe Nächte. Ich werde Ihnen auch nicht erzählen, was damals in der sogenannten Milchbar abging, wo es alles Mögliche gab, aber keine Milch. (Heiterkeit.)
Aber 50 Jahre, da könnte jetzt jemand auf die Idee kommen: Politiker kommen, Politiker gehen, die Rohrer ist noch immer da. Es kam unlängst jemand auf die Idee, mich zu fragen, warum ich mich eigentlich nach fünf Jahrzehnten noch immer so aufregen kann über die österreichische Innenpolitik. (Heiterkeit.) Meine Antwort war ziemlich einfach – ich weiß nicht, ob er es verstanden hat –, meine Antwort war: Wenn ich nicht mehr interessiert bin und mich daher in gewissen Situationen nicht mehr aufrege, dann kommt die Gleichgültigkeit und nach der Gleichgültigkeit kommt der Zynismus, und beides können wir uns in diesem Land in dieser Situation eigentlich nicht leisten. Daher rege ich mich auf, auch wenn es manchen wunderlich vorkommt. Ich rege mich über die Innenpolitik fallweise wahrscheinlich zu viel auf, aber ich finde das einfach, vor allem in der jetzigen Situation, notwendig.
Der zweite Grund, warum ich mich aufrege, den habe ich dem Kollegen nicht gesagt; ich weiß nicht, in welche Diskussion wir dann eingetreten wären. Der zweite Grund ist, dass mich seit Jahren eines umtreibt: Was haben wir falsch gemacht – und zwar nicht nur wir Journalisten, sondern wir Politiker, Frau Präsidentin, und wir Journalisten? Irgendetwas müssen wir falsch gemacht haben, dass wir heute in dieser Situation sind. In dieser Situation des absoluten Misstrauens zwischen Politik und Medien, der absoluten Aversion zwischen diesen beiden demokratiepolitisch notwendigen Branchen. Wo sind wir da in die Irre gegangen? Gemeinsam, es ist nicht die Schuld des Einen oder des Anderen, gemeinsam haben wir irgendetwas übersehen oder negiert.
Wahrscheinlich ist die einfachste Antwort: Wir Journalisten haben das Grundprinzip unserer Arbeit negiert, nämlich das, was die Amerikaner sagen würden: Hold the powerful accountable – ziehe die Mächtigen zur Verantwortung! Das war in Österreich sowieso sehr spät erst Leitsatz, denn der investigative Journalismus in Österreich hat frühestens in den späten Siebzigerjahren mit dem AKH-Skandal und dann in den Achtzigerjahren angefangen, und ist heute noch nicht so ausgebildet wie in anderen entwickelten Demokratien.
Warum war das so? Warum ist das so? – Dieses Land ist klein. Dieses Land ist vernetzt, sagen wir es positiv. In diesem Land waren ständig Politiker mit Journalisten seinerzeit gemeinsam in der Sandkiste oder in der Schule, und irgendwo haben wir das Gespür verloren, wie viel Distanz notwendig ist und wie viel Vertrauen. Der Mangel an Distanz hat eigentlich in den letzten Jahren zu einem Mangel an Vertrauen geführt. Die Verdächtigungen, warum Journalisten sich wie verhalten und was unterdrücken oder was besonders publizieren, diese Verdächtigungen haben zugenommen. Das gab es früher in dieser Form nicht. Das macht die Arbeit natürlich wahnsinnig schwer und wahnsinnig schwierig, weil du dich, wie die Politiker auch erfahren, gegen Verdächtigungen schwer, schwer zur Wehr setzen kannst.
Jetzt stehen wir in einer Situation, wo ich ehrlich sagen muss, nicht gedacht habe, dass ich je in diese Lage komme. Wir stehen in einer Situation, wo wir uns echte – wie eigentlich jetzt durchgehend durch diese Reden - - –, uns echte Sorgen machen müssen: Welches Land übergeben wir, wie fest ist die Demokratie? Und ich erinnere mich, Herr Präsident, an eine Aussage von Ihnen, schon vor Jahren, sehr weitsichtig, aber ich habe mir damals gedacht, typisch Fischer (Heiterkeit): Sie haben nämlich davon gesprochen, dass die Demokratie „nicht unzerstörbar“ ist. Und ich habe mir gedacht: Na ja, man könnte auch sagen, die Demokratie läuft Gefahr, zerstörbar zu sein – aber „nicht unzerstörbar“ war die Fischer’sche Eleganz, vor einer Schwächung der Demokratie zu warnen. Aber Sie haben recht.
Und jetzt sind wir in einer Situation: Es muss uns etwas einfallen! Wir müssen gemeinsam, die Politik und die Journalisten und die Medien, wir müssen gemeinsam gegen diesen Vertrauensverlust und gegen diesen Imageschaden etwas unternehmen. Das heißt, wir müssen – wir müssen! – irgendwie in einen Dialog kommen. Wir müssen diese österreichische Art, diese schlampigen Verhältnisse, was also zum Beispiel die Medien anlangt - - Was meine ich mit schlampigen Verhältnissen? – Jede Politik will die Medien kontrollieren. Ich meine, erinnern wir uns an Bruno Kreisky! Bruno Kreisky hat den ORF mit einem Schlag im Jahr 1975 unter Kontrolle gebracht. Das ist nichts Neues, das ist auch nichts Sensationelles. Nur müssen wir jetzt dagegenhalten, denn jetzt ist eine andere Zeit! Wir müssen in einen Dialog eintreten und sagen: Okay, wie machen wir das? Wie festigen wir die Demokratie oder unsere gegenseitige Branche? Eines der wirklich wichtigen Dinge ist, dass wir aufhören, dieses schlampige Verhältnis von - - – ich weiß, das ist naiv, werden viele Kolleg:innen sagen –, aber dieses schlampige Verhältnis von Medienfinanzierung auf korrekte Beine zu stellen.
Was meine ich mit schlampigem Verhältnis? – Es geht um die Presseförderung, das ist ein Hebel für die Demokratie. Es geht um die Inserate, das ist ein Hebel. Die Medien müssen sich irgendwie wirtschaftlich emanzipieren, denn dieses schlampige Finanzierungsverhältnis, das ist - - Sie können sich nicht wehren, weil sie das Geld brauchen, auf der anderen Seite können sie nicht wirklich unabhängig sein, aber sie sagen, sie sind unabhängig. Das ist alles, wie so vieles in Österreich, einfach ein einziger vermengter Bereich ohne Klarheit.
Ich weiß, den Dialog zu verlangen, zwischen Medienvertretern, Journalisten und Politik: wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus?, das mag vielleicht wirklich naiv sein, aber ich sage Ihnen: Es ist alternativlos! Denn so, wie die Situation jetzt ist, zwischen Politik und Medien, so kann sie auf Dauer nicht bleiben. (Lang anhaltender Beifall.)
Daniela Kraus: Vielen Dank.
Bevor wir uns in der Säulenhalle auf ein Glas Mineralwasser treffen (Heiterkeit): Noch einmal ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin, Herr Parlamentsdirektor, dass wir hier sein durften!
Herr Steinkellner spielt uns noch ein kleines Stück. (Beifall.)
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(Es folgt ein Musikstück.)
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(Beifall.)
Daniela Kraus: Die Protagonisten kommen bitte noch für ein Foto nach vorne.
Einen Applaus noch für die Musik, für die Dolmetscher:innen, für die Technik und für das großartige Veranstaltungsteam im Parlament!
(Beifall.)