Rede der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures anlässlich "20 Jahre Klagsverband"

Freitag, 24. Mai 2024
Es gilt das gesprochene Wort.

Viele von Ihnen haben den Beginn der Geschichte bestimmt gleich erkannt!
Es ist Mira Lobes Kinderbuchklassiker „Das kleine Ich bin Ich“!

Erst vor ein paar Tagen habe ich meinem dreijährigen Enkelsohn wieder einmal diese Geschichte vorgelesen. Wie sich dieses rosa-weiß karierte Tier auf die Suche nach sich selbst begibt und dabei vielen anderen Lebewesen begegnet. Die Geschichte davon, wie es ist, wenn man sich trotz vieler Ähnlichkeiten, nirgends richtig zugehörig fühlt.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Gäste!
„Du bist du“ – das könnte auch das Motto des Klagsverbands sein, zu dessen 20-jährigen Bestehen ich Sie heute hier im Parlament herzlich begrüße.

Was Mira Lobe vor mehr als 50 Jahren in einem Kinderbuch zum Ausdruck gebracht hat, hat nichts an Aktualität verloren. Die zentrale Botschaft lautet: Jeder Mensch ist einzigartig und richtig, so wie er ist. Und jeder Mensch hat seinen Platz und trägt zur Vielfalt in unserer Gesellschaft bei.

Dieser Platz soll und darf sich nicht über die Herkunft, das Geschlecht, oder Alter, sexuelle Orientierung, Religion oder über die geistigen und körperlichen Eigenschaften definieren. Eben: „du bist du!“

Der Klagsverband – als europaweit einzigartige Institution – hat seit zwei Jahrzehnten das Recht der Menschen auf Vielfältigkeit im Fokus. Immer an der Seite jener, die in unterschiedlichsten Lebensrealitäten Diskriminierung erfahren.
Man könnte also auch sagen: der Klagsverband sorgt dafür, dass eine „Geschichte“ auch im echten Leben gut ausgehen kann.

Zum Beispiel durch Musterverfahren, die Klarheit und Rechtssicherheit in Diskriminierungsfällen schaffen und die Diskriminierung sichtbar machen. Somit haben Sie auch eine gesellschaftliche Signalwirkung.

Opfer von Diskriminierung werden ermutigt, ihre Erfahrungen auszusprechen. Und die Gesellschaft wird sensibilisiert, dabei nicht einfach wegzuhören, sondern im Alltag auch selbst gegen Diskriminierung aufzutreten!

Ob es das Verweigern der Behandlung einer HIV positiven Frau durch eine Zahnärztin ist, der Aufpreis beim Gewähren eines barrierefreien Zimmers, oder das Verwehren eines inklusiven Kindergartenplatzes – der österreichische Klagsverband mit seinen mittlerweile fast 70 Mitgliedervereinen - kämpft seit zwei Jahrzehnten genau dagegen an.

Der Verband und die Vereine haben ihre Ohren, ihre Augen, ihr Herz und vor allem all ihre Expertise immer bei jenen Menschen, die eben noch nicht jenen Platz in der Gesellschaft haben, der ihnen zusteht.

Für diese so wichtige und wertvolle Arbeit möchte ich mich bei Ihnen allen sehr herzlich bedanken.

Sehr geehrte Festgäste!
Ich denke es gibt keinen besseren Ort, um das 20-jährige Jubiläum des Klagsverbands zu feiern, als das Österreichische Parlament.

Denn wenn wir über Antidiskriminierung sprechen, dann sprechen wir auch immer über Gesetze. Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung.

In den vergangenen 45 Jahren – seit Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes - haben wir viele legistische Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung beschlossen.

Bei der Entwicklung dieser Antidiskriminierungs-Gesetzgebung leistet der Klagsverband durch seine Stellungnahmen, Schattenberichte und Forderungen einen wesentlichen Beitrag.

Gesetze bilden einen unerlässlichen Rahmen. Doch sie alleine genügen nicht, um tatsächliche Gleichstellung und Antidiskriminierung im Alltag zu erreichen. Es braucht eben auch einen gesamtgesellschaftlichen humanistischen Grundkonsens.

Wenn wir Vielfalt als Vorteil sehen. Wenn wir die Bereitschaft zu Inklusion wirklich leben, dann können wir aus vielen individuellen „Ich bin Ichs“ eine solidarische „Wir sind Wir“ – Gesellschaft bauen.