Transkript der Veranstaltung:
20 Jahre Klagsverband. Gemeinsam auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft
Paul Haller (Geschäftsführer, Klagsverband): Ein herzliches Willkommen hier im Plenarsaal des Nationalrates, dem Saal, in dem vor 20 Jahren das Gleichbehandlungsgesetz neu aufgestellt wurde, dem Saal, in dem wir heute den 20. Geburtstag des Klagsverbands feiern dürfen. Mein Name ist Paul Haller, ich bin Kogeschäftsführer des Klagsverbands und ich freue mich ganz besonders, Sie durch den heutigen Nachmittag zu führen. Zunächst aber ist es mir eine mindestens genauso große Freude, unsere Gastgeberin begrüßen zu dürfen, die Zweite Präsidentin des Nationalrates, Doris Bures. (Beifall.)
Vielen Dank, dass wir diese Veranstaltung hier in diesen Räumlichkeiten machen dürfen. Vielen Dank, dass Sie diese Veranstaltung überhaupt erst möglich machen.
Ein herzliches Willkommen auch an alle aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat. Ein herzliches Willkommen auch an alle aktiven Mitglieder des Bundesrates. Danke, dass Sie heute hier sind. Ein herzliches Willkommen an Sandra Konstatzky, die Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, an Eva Matt, die Vorsitzende der Gleichbehandlungskommission, und ein herzliches Willkommen an Sie alle. Vielen Dank, dass Sie heute hier sind. (Beifall.)
Ich freue mich sehr, dass Sie sich diesen Nachmittag – fast schon Wochenende – Zeit nehmen, um mit uns gemeinsam der Vision einer diskriminierungsfreien Gesellschaft ein Stückchen näher zu kommen.
Was aber steht heute eigentlich auf dem Programm? – Wir werden erstens die Errungenschaften der letzten 20 Jahre feiern, und davon gibt es wirklich einige, wir werden aber auch offene Forderungen benennen, denn auch davon gibt es noch einige, und wir werden drittens Zukunftsvisionen für eine gerechte Gesellschaft diskutieren.
Für gewöhnlich sprechen hier in diesem Saal die Abgeordneten zum Nationalrat und die Mitglieder der Bundesregierung. Heute ist das anders. Auf den Plätzen der Abgeordneten sitzen heute Sie: Vertreter:innen der Zivilgesellschaft oder von unseren Mitgliedsorganisationen, langjährige Wegbegleiter:innen und Unterstützer:innen. Hier am Redner:innenpult hinter mir sprechen heute Expert:innen des Antidiskriminierungsrechts. Eine davon ist Theresa Hammer, die Kogeschäftsführerin des Klagsverbands. Sie wird in der Keynote Einblicke in die strategische Klagsführung des Klagsverbands geben. Und hier, Sie sehen schon, auf der Regierungsbank, nehmen heute unsere Mitgliedsorganisationen Platz: sieben Expert:innen, sieben Vertreter:innen von unseren Mitgliedsorganisationen aus ganz Österreich.
Dieser offizielle Teil der Veranstaltung wird circa 1 Stunde und 45 Minuten dauern. Zur Auflockerung wird es in der Mitte eine künstlerische Einlage vom Verein Dance Ability geben, darauf dürfen Sie sich auch schon freuen. Und im Anschluss darf ich Sie alle ganz herzlich in die Säulenhalle des Parlaments einladen, und wir freuen uns wirklich sehr, dort mit Ihnen auch noch einmal gemeinsam zu feiern.
Eines steht jetzt schon fest: Es wird ein Nachmittag ganz im Zeichen des Diskriminierungsschutzes. Umso mehr freue ich mich nun, eine Politikerin auf die Bühne bitten zu dürfen, die das Gleichbehandlungsrecht aus nächster Nähe kennt, eine Politikerin, die das Gleichbehandlungsgesetz in der heutigen Form vor 20 Jahren genau hier mitbeschlossen hat. Vielen Dank für ihre unermüdliche Arbeit und einen herzlichen Applaus für die Zweite Präsidentin des Nationalrates, Doris Bures. (Beifall.)
Eröffnungsworte
Doris Bures (Zweite Präsidentin des Nationalrates): Einen schönen guten Tag! Lieber Paul Haller, vielen Dank für die freundliche Begrüßung und die schöne Einleitung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen – aber jetzt habe ich meine Brille vergessen, ich glaube, die liegt im Büro; ich werde es schaffen, aber vielleicht kann man sie mir noch holen –:
„Auf der bunten Blumenwiese
geht ein buntes Tier spazieren,
wandert zwischen grünen Halmen,
wandert unter Schierlingspalmen,
freut sich, dass die Vögel singen,
freut sich an den Schmetterlingen,
freut sich, dass sich’s freuen kann.
Aber dann ...
Aber dann
stört ein Laubfrosch seine Ruh’,
und fragt das Tier: ,Wer bist denn du?‘
Da steht es und stutzt
und guckt ganz verdutzt
dem Frosch ins Gesicht:
,Das weiß ich nicht.‘
Der Laubfrosch quakt und fragt: ;Nanu?
Ein namenloses Tier bist du?‘“
Ja, ich denke, viele von Ihnen kennen diese Geschichte bestimmt und haben sie auch gleich erkannt, sie ist von Mira Lobe, ein Kinderbuchklassiker: „Das kleine Ich bin ich“. Ich habe aus diesem Buch erst vor wenigen Tagen wieder einmal meinem dreijährigen Enkelsohn vorgelesen, weil es darum geht, dass eben dieses rosa-weiß-karierte Tier auf der Suche nach sich selbst ist und auf diesem Weg auch anderen Lebewesen begegnet. Und die Geschichte erzählt ja davon, wie es ist, wenn man sich trotz vieler Ähnlichkeiten nirgends richtig zugehörig fühlt.
Ich möchte auch eine zweite Stelle aus dem Buch zitieren. Es sagt traurig:
„,Stimmt es, dass ich gar nichts bin?
Alle sagen, ich bin Keiner,
nur ein kleiner
Irgendeiner ...
Ob’s mich etwa gar nicht gibt?‘“
Wir alle wissen, die Geschichte geht gut aus.
*****
Danke vielmals. Jetzt kann nichts mehr passieren.
*****
Jetzt geht sie gut aus, die Geschichte, nämlich mit dem Zitat:
„,Sicherlich
gibt es mich:
ICH BIN ICH!‘
[...] Alle Tiere freuen sich,
niemand sagt zu ihm: ,Nanu?‘
Schaf und Ziege,
Pferd und Kuh,
alle sagen:
,Du bist du!‘“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, geschätzte Gäste hier im Parlament! „Du bist du!“, das könnte so ein bisschen auch das Motto des Klagsverbandes sein, deshalb ist mir diese Geschichte eingefallen. Und ich teile da auch die Ansicht von Ihnen mit den einleitenden Worten: Es gibt keinen besseren Ort als das österreichische Parlament, um diesen 20-jährigen Geburtstag zu feiern! Deshalb begrüße ich Sie hier auch noch einmal sehr herzlich.
Bei dieser Geschichte habe ich, als ich sie meinem Enkelsohn vorgelesen habe, auch wieder verspürt, dass sie selbst 50 Jahre später – diese Geschichte ist 50 Jahre alt – nichts an Aktualität verloren hat. Die zentrale Botschaft in dieser Geschichte lautet: Jeder Mensch ist einzigartig und richtig, eben so, wie er ist, und jeder Mensch hat seinen Platz und trägt auch zur Vielfalt in unserer Gesellschaft bei. Dieser Platz soll und darf nicht über die Herkunft, das Geschlecht oder Alter, über die sexuelle Orientierung oder über geistige und körperliche Eigenschaften definiert werden – eben dieses „Du bist du“.
Der Klagsverband als europaweit einzigartige Institution hat seit zwei Jahrzehnten das Recht der Menschen auf diese Vielfältigkeit im Fokus und ist immer an der Seite jener, die in den unterschiedlichsten Lebensrealitäten mit Diskriminierung konfrontiert sind und damit Erfahrungen machen. Man könnte, in Fortsetzung von Mira Lobes Geschichte, auch sagen: Der Klagsverband sorgt eben auch dafür, dass eine Geschichte im realen, im echten Leben gut ausgehen kann.
Da gibt es viele Beispiele, an denen man sieht, dass es gut ausgehen kann. Es gibt Musterverfahren, die Sie geführt haben, die Klarheit und Rechtssicherheit in Diskriminierungsfällen schaffen und die dadurch Diskriminierung auch sichtbar machen und somit auch eine gesellschaftliche Signalwirkung haben. Opfer von Diskriminierung werden ermutigt, ihre Erfahrungen auszusprechen, und die Gesellschaft wird gleichzeitig sensibilisiert, dabei nicht einfach wegzuhören, sondern sich im Alltag auch selbst – jeder Einzelne – gegen Diskriminierung starkzumachen und dagegen aufzutreten. Ob es das Verweigern der Behandlung einer HIV-positiven Frau durch eine Zahnärztin ist, der Aufpreis bei Gewähren eines barrierefreien Zimmers oder das Verwehren eines inklusiven Kindergartenplatzes, der österreichische Klagsverband – Sie alle, mit mittlerweile fast 70 Mitgliedsvereinen – kämpft seit Jahrzehnten dagegen an.
Der Verband und Ihre Vereine, Sie haben die Ohren und die Augen und Ihr Herz und natürlich all Ihre Expertise, die Sie haben, immer bei jenen Menschen, die diesen Platz in unserer Gesellschaft, der ihnen zusteht, noch nicht ganz haben. Und für diese so wichtige Arbeit, die Sie leisten, möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken und, wie gesagt, ich freue mich, dass Sie heute ins österreichische Parlament gekommen sind.
Wie gesagt, ich denke, es gibt keinen besseren Ort als das österreichische Parlament, um dieses 20-jährige Jubiläum zu feiern, weil Antidiskriminierung natürlich sehr viel mit unserer Gesetzgebung zu tun hat, weil es eben ganz konkret um legistische Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung geht.
In den vergangenen 45 Jahren, seit dem ersten Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes, haben wir hier viele legistische Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung beschlossen. Bei der Entwicklung dieser Antidiskriminierungsgesetzgebung erfüllt der Klagsverband eine sehr wesentliche Aufgabe: durch seine Stellungnahmen, durch Schattenberichte, durch die Forderungen. Das ist auch für den parlamentarischen Prozess und für die Gesetzwerdung von essenzieller Wichtigkeit und Notwendigkeit.
Diese Gesetze bilden natürlich einen unerlässlichen und ganz wichtigen Rahmen, doch ist es mir immer wichtig, zu sagen: Das alleine würde nicht reichen! Es genügt nicht, alleine die gesetzlichen Bestimmungen zu haben, sondern es geht um eine tatsächliche, in der Lebensrealität angekommene Gleichstellung und Antidiskriminierung im Alltag. Es braucht also einen gesamtgesellschaftlichen, einen humanistischen Grundkonsens, den wir uns erarbeiten müssen und den wir entwickeln müssen – neben allen auch legistischen Maßnahmen, die getroffen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einmal, wie gesagt, herzlich willkommen im Parlament! Wissen Sie, ich bin davon überzeugt: Wenn wir Vielfalt in unserer Gesellschaft als Vorteil sehen und wenn wir die Bereitschaft zur Inklusion auch wirklich leben, dann kann aus diesen ganz vielen individuellen „Ich bin ich“ ein solidarisches „Wir sind wir“ entstehen. Und darum geht es uns. Vielen herzlichen Dank und willkommen! (Beifall.)
Einleitende Worte
Paul Haller: Herzlichen Dank, Doris Bures, für diese ganz wunderbaren Eröffnungsworte! Wir feiern heute nicht nur 20 Jahre Klagsverband, sondern wir feiern auch 20 Jahre neues Gleichbehandlungsgesetz. Und keine weiß besser über diese Errungenschaft Bescheid als Sandra Konstatzky, die Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Liebe Sandra, ich darf dich auf die Bühne bitten. Danke, dass du hier und heute unser Jubiläum mit uns feierst. Herzlich willkommen, Sandra Konstatzky! (Beifall.)
Sandra Konstatzky (Leiterin, Gleichbehandlungsanwaltschaft): Das ist aufregend. Das muss man kurz genießen, Entschuldigung.
Lieber Klagsverband! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ja, also vor 20 Jahren wurden in Österreich tatsächlich wichtige Schritte für die Gleichbehandlungs- und die Gleichstellungsmaterie gesetzt. Und zwar galt das Gleichbehandlungsgesetz, wie wir es auch gehört haben, ursprünglich nur für Geschlecht und die Arbeitswelt, und 2004 wurde es immerhin einmal in der Arbeitswelt um fünf Diskriminierungsgründe erweitert: die ethnische Zugehörigkeit, die Religion und Weltanschauung, das Alter und die sexuelle Orientierung.
Auch in anderen Lebensbereichen sind Erweiterungen gekommen, Lebensbereiche, in denen Menschen im Alltag vor Diskriminierung geschützt werden sollen: Zusätzlich zur Arbeitswelt gilt das Gleichbehandlungsgesetz auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, speziell auch beim Wohnungsmarkt, auch in der Bildung, beim Sozialschutz. Leider gibt es in diesen Bereichen – und wir erfahren es jetzt am Beginn des Pridemonats ganz schmerzlich – auch noch massive Rechtsschutzlücken.
Diese wichtigen Impulse kamen von der Europäischen Union, die im Jahr 2000 tatsächlich progressive Richtlinien vorgelegt hat, um die Rechte der Menschen besser zu schützen. Progressiv waren sie vor allem auch, weil sie – und da kann ich an die Zweite Präsidentin anschließen – erstmals diese effektive Rechtsdurchsetzung der betroffenen Menschen in den Fokus gerückt haben. So erwähnt die Antirassismusrichtlinie eben, dass Opfer von Diskriminierung einen besseren Schutz durch Verbände haben sollen, vor allem bei der Vertretung vor den Gerichten. Österreich hat das anscheinend auch ernst genommen.
Es wird auch erstmals festgehalten, dass Gleichbehandlungsstellen – also Stellen wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft, aber auch andere Stellen in Österreich – eine wichtige Rolle dabei spielen, den Zugang zum Recht für Betroffene auch zu sichern.
Die Umsetzung dieser Richtlinien vor 20 Jahren brachte eben – wir wissen es jetzt – den Klagsverband hervor und stellte auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft mit einem breiten Mandat auf.
Damit wurde der Grundstein für eine wunderbare Zusammenarbeit gelegt. Seit 20 Jahren arbeitet der Klagsverband als Verband von Selbstorganisationen und NGOs auch mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft zusammen – als eine Art Brücke, würde ich sagen, zwischen Zivilgesellschaft und Staat.
Der Klagsverband hat viele Menschen vor Gericht begleitet und durch strategische Klagen ganz wichtige und wesentliche Meilensteine für ungeklärte Rechtsfragen erreicht. Das waren manchmal auch Fälle, die aus dem Tätigkeitsbereich der Gleichbehandlungsanwaltschaft gekommen sind, und ich würde sagen, so können wir gemeinsam, die Zivilgesellschaft und die Gleichbehandlungsstellen, das Recht auf dem Papier auch zu einem Recht in der Praxis machen.
Nun soll es ja zum 20. Geburtstag auch Wünsche geben, und ich denke: Ja, es ist einmal in der nächsten Zeit wirklich wichtig, den nächsten Schritt zu machen. Der Diskriminierungsschutz muss endlich in allen Lebensbereichen für alle Diskriminierungsgründe gelten. Ich sage das hier jetzt noch einmal in aller Deutlichkeit! (Beifall.) – Ja, bitte, ein kleiner Zwischenapplaus.
Wir brauchen zudem auch tatsächlich gute Klagerechte, gute Verbandsklagerechte, um tatsächlich wirkungsvoll gegen diskriminierende Praktiken vorgehen zu können und genau dort anzusetzen, nämlich bei den Verursacher:innen von Diskriminierung. Ganz neue Richtlinien zu Standards für Gleichbehandlungsstellen seit 7.5.2024 geben nun sogar den rechtlichen Rahmen für diese Klagerechte, und die praxisnahe Umsetzung dieser Richtlinie sollte wirklich rasch erfolgen.
Tatsächlich wirksam gegen Diskriminierung können wir als Gleichbehandlungsstellen aber nur gemeinsam mit der Zivilgesellschaft sein. Ich wünsche daher dem Klagsverband für seine wichtige gestalterische Rolle einen starken Ausbau der Ressourcen und der Rechte, denn nur so kommen wir unserem Ziel einer inklusiven Gesellschaft tatsächlich näher. – Danke. (Beifall.)
Paul Haller: Vielen Dank, Sandra Konstatzky.
Wir brauchen starke Klagerechte – hat Sandra Konstatzky gerade gesagt –, und dafür brauchen wir auch starke Verbündete. Eine davon ist Christine Steger, eine Kämpferin für die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen.
Ich kenne Christine Steger eigentlich deshalb, weil wir uns bis vor Kurzem noch ein Büro geteilt haben: wir damals beim Klagsverband und sie in ihrer Funktion als Vorsitzende des unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch von dieser wichtigen Institution sind heute viele Mitarbeiter:innen und Vorstandsmitglieder hier. – Vielen Dank, dass Sie heute hier sind!
Christine Steger wurde dann 2023 von Bundesminister Johannes Rauch zur Behindertenanwältin der Republik ernannt. In dieser Rolle und in dieser Funktion ist sie gefühlt immer und überall. Heute ist sie ausnahmsweise nicht dabei, aus terminlichen Gründen. Umso mehr freuen wir uns über eine Videobotschaft von Christine Steger. (Beifall.)
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Christine Steger (Behindertenanwältin): Feliz cumpleaños! Alles, alles Gute, lieber Klagsverband! Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren des Bestehens! Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren der Unterstützung der Durchsetzung der Rechte von diskriminierten Personen in Österreich! Ihr seid extrem wichtig! Ihr seid extrem wichtig dafür, dass es Unterstützung bei der Durchsetzung der Rechte gibt.
Es gibt in Österreich viel zu wenig Judikatur, und ihr habt in den letzten 20 Jahren ein paar Meilensteine geschafft, ihr habt ein paar Pflöcke eingeschlagen, auf denen viele, viele Grundlagen jetzt auch gebildet werden. Deshalb möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch für eure wichtigen Arbeit bedanken. Gerade letztes Jahr ist ja einiges auch passiert, vor allem auch im Hinblick auf die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dafür gebührt euch auch mein Dank von Herzen.
20 Jahre Gleichstellungsrecht, aber auch fast 20 Jahre Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbestimmungen für Menschen mit Behinderungen: Es ist auch ein Thema, wo wir sehen, dass es noch sehr, sehr viel zu tun gibt. Die UN-Konvention wurde ratifiziert, aber wir haben noch immer auch sehr, sehr viele Baustellen. Insofern freue ich mich sehr über unsere auch gelingende und sehr, sehr kooperative Zusammenarbeit und freue mich auch auf die nächsten Jahre gemeinsam.
Was gibt es zu tun in Österreich? – Genug. Insofern wünsche ich mir und wünsche ich euch, dass es auch in Zukunft eine gute Absicherung für diesen Bereich, der so, so wichtig ist, gibt, gerade wenn es auch darum geht, Judikatur zu schaffen. Wenn ich ein wenig träumen darf, würde ich mir wünschen, dass wir in 20 Jahren vielleicht auf ein gemeinsames Haus der Menschenrechte blicken können, wo intersektional Antidiskriminierung durchgesetzt werden kann.
In dem Sinne: Alles, alles Gute, lieber Klagsverband! Happy Birthday, alles Liebe! (Beifall.)
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Paul Haller: Das war Christine Steger, unsere Behindertenanwältin. Ein Haus für Menschenrechte – eine schöne Zukunftsvision von Christine Steger.
Einer, der mit uns gemeinsam daran arbeitet, dass Zukunftsvisionen wahr werden, ist Christopher Frank. Er ist renommierter Experte im Antidiskriminierungsrecht, so wie seine Vorrednerinnen auch, und der Jurist leitet das Büro des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen der Johannes-Kepler-Universität Linz. Beim Klagsverband ist er Vorstandsvorsitzender. Ein herzliches Willkommen, Christopher Frank! (Beifall.)
Christopher Frank (Vorstandsvorsitzender, Klagsverband): Vielen Dank! Sehr geehrte Anwesende! Geschätzte Vertreter:innen des Hohen Hauses! Liebe Kolleginnen vom Klagsverband und unseren Mitgliedsorganisationen! In 3 Minuten Redezeit ist es leider unmöglich, alle anwesenden Mitgliedsorganisationen und alle Mitstreiter:innen namentlich zu begrüßen, und die Zeit reicht auch nicht aus, um namentlich allen zu danken, die in den letzten 20 Jahren den Klagsverband zu so einer großen Erfolgsgeschichte gemacht haben.
Deshalb mache ich es ganz kurz und pauschal: Herzlich willkommen auch im Namen des Vorstands des Klagsverbandes, des aktuellen Vorstands und aller früheren Vorstandsmitglieder, und danke für die Einladung, Frau Präsidentin Bures! Vor allem ein herzliches Danke an alle Mitstreiter:innen und Wegbegleiter:innen des Klagsverbandes, die in den letzten 20 Jahren mit ihrem Einsatz, ihrem Fachwissen, ihrer Leidenschaft diesen Klagsverband zu einer Erfolgsgeschichte gemacht haben!
Wie von meinen Vorrednerinnen schon erwähnt worden ist: Der Klagsverband als Dachorganisation von 69 Mitgliedsorganisationen, die alle geschützten Merkmale, die das Antidiskriminierungsrecht auf EU-Ebene kennt, abdeckt, ist in dieser Form einzigartig und steht damit allein. Bei unserer Arbeit geht es nicht immer nur um die erfolgreichen gerichtlichen Klagen, über die meine Kollegin Theresa Hammer dann später berichten wird, sondern es geht auch um Rechtspolitik, sei es durch Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren, bei der Mitarbeit im Monitoring der UN-Behindertenrechtskonvention oder zum Beispiel bei der Erstellung der CEDAW-Schattenberichte.
Wenn man zu Recht sagen kann, dass die letzten 20 Jahre des Klagsverbandes eine Erfolgsgeschichte waren, so kann man das nicht eins zu eins über die österreichische Antidiskriminierungsgesetzgebung der letzten 20 Jahre sagen – leider. Verbesserungen – wenn man das ganz grob und zugespitzt sagt – gab es in der Regel meistens nur dann, wenn entsprechende EuGH-Entscheidungen das notwendig gemacht haben oder die Umsetzung von EU-Richtlinien angestanden ist.
Das Ergebnis ist ein Konvolut von 50 Bundes- und Landesantidiskriminierungsgesetzen, die praktisch für einzelne Betroffene kaum zu durchschauen sind. Das war nicht immer so: Ende der 1970er-Jahre, Anfang der 1990er-Jahre gab es noch einen politischen Konsens dafür, dass man Gleichstellung auch rechtlich verankert. In den letzten 20 Jahren war davon leider immer weniger zu spüren.
Mit Recht gegen Diskriminierung vorzugehen ist wichtig und richtig. Dafür steht der Klagsverband. Damit Gleichstellung gelingen kann, braucht es aber, wie meine Vorrednerin auch schon erwähnt hat, nicht nur Gesetze, sondern einen breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens. Antidiskriminierung, Gleichstellung und Inklusion müssen mehrheitlich gewollt werden und nicht nur als von Brüssel aufoktroyierte Normen erduldet werden.
Diesen Konsens, glaube ich, brauchen wir in vielerlei Hinsicht. Die Klimakrise wird Monat für Monat für immer mehr Menschen zur ganz realen Klimakatastrophe. Damit stehen wir vor Migrations- und Fluchtbewegungen in einem Ausmaß, auf das wir einfach nicht vorbereitet sind. Um diese Herausforderung als offene, demokratische Gesellschaft gemeinsam meistern zu können, wird es nichts helfen, von einer Festung Österreich oder einer Festung Europa zu fantasieren. Es wird auch sicherlich nichts helfen, gerade jene jungen Menschen, jene Aktivist:innen, die sich aus Verzweiflung auf die Straße kleben, einzusperren und zu kriminalisieren.
Es braucht, im Gegenteil, den politischen Willen, unser Gemeinwesen so inklusiv, so partizipativ, so robust zu gestalten, dass es auch mit solchen Herausforderungen umgehen kann. Die gute Nachricht ist: Wir haben das Know-how, wir haben die Ressourcen, wir haben die Expert:innen, gerade in der Zivilgesellschaft, gerade in den Mitgliedsorganisationen des Klagsverbands. Wir können das schaffen!
Wie das auf sozialer, ökonomischer, politischer und auch rechtlicher Ebene vielschichtig angegangen werden kann, das wissen wir. Die schlechte Nachricht ist: Wir haben sicherlich nicht noch einmal 20 Jahre Zeit, sondern wir müssen gleich damit anfangen. – Vielen Dank. (Beifall.)
Paul Haller: Christopher Frank, herzlichen Dank auch für deine einführenden Worte!
Es ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen – wir waren nicht besonders subtil damit –: Der Klagsverband präsentiert sich heute erstmals mit einem neuen Auftritt. Hinter mir am Bildschirm ist das neue Logo des Klagsverbands abgebildet. Es ist schwarz auf weißem Hintergrund, das sorgt für maximalen Kontrast. Also es steht „Klagsverband“ schwarz auf weißem Hintergrund, daneben eine kantige Bildmarke. Dies sorgt vielleicht auf den ersten Blick für Irritation.
Was hat es damit auf sich? – Diskriminierung bringt etwas ins Wanken. Diskriminierung ist immer auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts. Geht es um die rechtliche Bekämpfung von Diskriminierung, ist der Klagsverband ein starker und verlässlicher Partner, der Ungerechtigkeit Einhalt gebietet. Dafür steht der letzte Balken, der Balken in der Bildmarke, der die anderen Balken am Umfallen hindert. So zumindest jetzt einmal meine Interpretation, Sie haben vielleicht andere Interpretationen. Wir freuen uns jedenfalls sehr, dass wir im Jubiläumsjahr mit einem neuen Auftritt nach außen gehen können, um damit unsere Arbeit für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft noch stärker nach außen tragen zu können. – Genau.
So, nach den vielen einleitenden Worten kommen wir nun zu der Keynote des Tages mit dem Titel „Strategische Klagsführung – Erfolge, Herausforderungen & Zukunftschancen“. Theresa Hammer, meine Kollegin und Kogeschäftsführerin beim Klagsverband, wird die Keynote halten. Sie hört es nicht so gerne, wenn man sie sehr stark anpreist, sie muss da jetzt leider durch.
Strategische Klagsführung ist so etwas wie die König:innendisziplin des Antidiskriminierungsrechts. Kaum eine beherrscht diese Disziplin so sehr wie Theresa Hammer. Sie leitet seit fünf Jahren die Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands, seit 2022 ist sie zudem unsere fachliche Geschäftsführerin.
Sie wird ausführen, was der Klagsverband mit strategischer Prozessführung erreichen konnte und was es für einen wirksamen Diskriminierungsschutz noch braucht. Theresa Hammer ist einer der Hauptgründe, warum der Klagsverband in den letzten Jahren so erfolgreich war.
Wegweisende Urteile in der strategischen Klagsführung, unnachgiebiges Menschenrechtsmonitoring, eine gewonnene Verbandsklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz – die erste gewonnene Verbandsklage! –: Liebe Theresa, das sind nicht zuletzt deine Erfolge – und das ist dein verdienter Applaus. Herzlich willkommen, Theresa Hammer! (Beifall.)
Keynote: Rechtsdurchsetzung. Strategische Klagsführung – Erfolge, Herausforderungen & Zukunftschancen
Theresa Hammer (Geschäftsführerin, Leiterin der Rechtsdurchsetzung, Klagsverband): „Es liegt eine unmittelbare Diskriminierung iSd § 5 Abs 1 BGStG und ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach § 4 BGStG vor, weshalb den Feststellungsbegehren stattzugeben war.“ – Mit diesem etwas technischen Satz starte ich jetzt in meine Keynote und habe Sie wahrscheinlich ein bisschen verwirrt.
Bei mir persönlich können solche Sätze ja durchaus innerliche Freudensprünge hervorrufen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei Ihnen vielleicht gleich aufs Erste auch so ist. Wieso aber ein solcher Satz auf dem Weg zur Diskriminierungsfreiheit und Gleichstellung viel bewegen kann, möchte ich Ihnen heute ein bisschen näherbringen.
Seit seiner Gründung im Jahr 2004 verfolgt der Klagsverband das Ziel, die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgebote, die es am Papier gibt, auch mit Leben zu erfüllen. Dabei war von Anfang an klar, es braucht nicht nur Informations- und Vernetzungsarbeit, sondern ganz wesentlich auch Klagen und gerichtliche Entscheidungen, und zwar idealerweise in Fällen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben. Ich freue mich wirklich sehr, dass ich diese wichtige Rechtsdurchsetzungsarbeit des Klagsverbandes nun seit einigen Jahren unterstützen kann und dass ich Ihnen heute – auch aufbauend auf den großartigen Leistungen von anderen, allen voran von Volker Frey, der den Klagsverband aufgebaut hat, jahrelang geprägt hat, der heute beim Feiern aber leider nicht dabei sein kann – spannende Aspekte unserer strategischen Prozessführung im Antidiskriminierungsrecht präsentieren darf. Vielleicht schaffe ich es damit ja auch, Ihr Interesse für die manchmal schon ein bisschen mühsame und genaue und langwierige juristische Arbeit und für sperrige Sätze aus Gerichtsurteilen zu wecken.
Am Anfang stehen jedoch immer die konkreten Diskriminierungserfahrungen von Menschen, daher möchte ich mit einem Praxisbeispiel aus unserer Rechtsberatungsarbeit beginnen: Eine Kollegin aus einem Mitgliedsverein ruft mich an und sagt, sie hat schon wieder eine verzweifelte Mutter bei sich in der Beratung sitzen; ihr Sohn möchte nach der Volksschule eigentlich gerne in ein Gymnasium gehen und er hätte auch alles, was es dafür braucht; das Einzige, das ihm fehlt, ist eine geeignete persönliche Assistenz, denn der Jugendliche hat ADHS und eine Autismus-Spektrum-Störung und bräuchte genau diese Form der Unterstützung, um eine reguläre Schule besuchen zu können. Die gibt es für ihn aber nicht, weil das Bildungsministerium das nur sehr eingeschränkt finanziert. Für die Familie ist klar, das ist diskriminierend – und damit beginnt der rechtliche Auftrag an uns.
Nach mehreren Recherchen und dem Überlegen und auch dem Austausch mit Expert:innen der Mitgliedsorganisationen merke ich sehr schnell: Das ist kein Einzelfall, es gibt viele Betroffene und die Geschichten ähneln einander stark. Neben den Kindern und Jugendlichen sind da oft auch die Eltern sehr stark belastet. Man muss sich vorstellen, dass das vor allem bei Müttern immer wieder dazu führt, dass sie sogar ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, weil das Kind keine Schule besuchen kann und vielleicht zu Hause unterrichtet werden muss und betreut werden muss.
Für uns stellt sich dann die Frage: Kann man mit einem von diesen Fällen vielleicht wirklich auch eine Klage wegen Diskriminierung führen? Und dann aber gleich anschließend – ich habe es schon gesagt, es gibt viele Betroffene –: Was ist dann mit allen anderen? Kann auf diesem Weg für sie auch etwas verändert werden?
Ich werde später wieder auf dieses Beispiel zurückkommen – manche von Ihnen kennen es wahrscheinlich auch –, aber ich möchte vorher noch ein bisschen ausführen, warum wir eigentlich mit Fällen, die über den Einzelfall hinaus bedeutend sind, strategische Gerichtsverfahren führen, also strategische Prozessführung betreiben und was das mit Antidiskriminierungsarbeit zu tun hat.
Erstens: Die rechtliche Anerkennung von erlebtem Unrecht, von einer erlebten Diskriminierung bedeutet für Betroffene sehr viel. Gerichtliche Entscheidungen können da auch ein mutmachendes Beispiel für andere Betroffene sein.
Zweitens: Wir brauchen dringend Vorbildjudikatur. Auf existierenden Urteilen können andere Fälle dann gut aufbauen.
Drittens: Durch die Rechtsprechung kann das Antidiskriminierungsrecht auch weiterentwickelt werden, denn durch die gerichtlichen Entscheidungen erfolgen wichtige Klarstellungen, zum Beispiel welche Fälle vom Gesetz tatsächlich umfasst sind, wie ein bestimmter Begriff im Gesetz zu interpretieren ist, aber zum Beispiel auch: Ist eine Entschädigungszahlung in diesem Fall angemessen, und wenn ja, wie hoch muss sie sein?
Viertens schließlich schaffen Fälle, die Geschichten erzählen, die für viele stehen, auch Bewusstsein. Wir wollen damit gesellschaftspolitische Themen aufzeigen und Lösungen für dringende Gleichstellungsdefizite einmahnen, denn neben dem Recht braucht es natürlich immer auch strukturelle Lösungen und sozialen Wandel.
Um das Ganze ein wenig greifbarer zu machen, habe ich ein paar Beispiele aus den mittlerweile rund 60 Gerichtsverfahren, die der Klagsverband seit seiner Gründung geführt hat, mitgebracht. Es wird dabei um Erfolge und um die rechtliche Aussagekraft dieser Fälle gehen, aber Sie werden auch die Herausforderungen der Rechtsdurchsetzung am Klagsweg erkennen. Und da rede ich noch gar nicht von der Frage, ob ein Sachverhalt vor Gericht überhaupt praktisch bewiesen werden kann – dafür ist heute keine Zeit.
Ganz zu Beginn, 2004, ging es darum, in diesem damals neuen Rechtsgebiet überhaupt erste Gerichtsurteile zu erzielen. Einer der ersten Fälle nach dem neuen Gleichbehandlungsgesetz wurde daher von der Hosi Wien an den Klagsverband herangetragen, denn seit 2004 gab es jetzt endlich einen Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung im Gesetz. In der Klage ging es um einen schwulen Lkw-Fahrer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeit immer wieder auf andere Kollegen getroffen ist, die bei einem anderen Betrieb beschäftigt waren, zum Beispiel beim Umladen von Waren. Es war für ihn nicht angenehm, im Gegenteil, die haben ihn immer wieder mit homofeindlichen und sexistischen Äußerungen und Beschimpfungen gequält, und nach einer Zeit hat er gemerkt, er kann das einfach nicht mehr auf sich sitzen lassen. Sein Arbeitgeber hat sich zwar bemüht, hier Abhilfe zu schaffen, aber die Frage war – und das sollte mit dieser Klage geklärt werden –, ob nicht auch diese Kollegen für die Belästigung, die ja schon passiert war, einstehen müssen.
Das Verfahren wurde tatsächlich gewonnen und war damit nicht nur als erster Fall zu diesem neuen Schutzgrund im Gesetz strategisch auf jeden Fall wichtig. Es sind noch weitere Dinge klargestellt worden, die seither als rechtlicher Standard gelten und deshalb auch für alle Arbeitnehmer:innen relevant sind: Belästigungen können nicht einfach damit gerechtfertigt werden, dass sie – unter Anführungszeichen – „eh normal“ sind – denn die Gegenseite hat im Verfahren behauptet, das ist ja der übliche raue Umgangston unter Arbeitern –, und es wurde auch klargestellt, dass am Arbeitsplatz auch vor Personen geschützt werden muss, die bei anderen Betrieben beschäftigt sind; auch sie können für eine Belästigung haften.
Das Verfahren zeigt aber auch schon sehr gut einige der Hürden, die mit der Rechtsdurchsetzung am Klagsweg verbunden sind, und das beschäftigt uns eigentlich bei allen Fällen. Aufgrund des finanziellen Risikos, das in solchen Verfahren ja immer vom Streitwert abhängt, konnte damals nur der gesetzliche Mindestschadenersatz von 400 Euro eingeklagt werden – nicht gerade viel, aber immerhin wurde das auch zugesprochen. Auch wenn dieser gesetzliche Mindestschadenersatz für Belästigungen oder sexuelle Belästigungen in der Folge auf mittlerweile 1 000 Euro angehoben wurde, haben wir in der Praxis noch immer das Problem, dass die Entschädigungszahlungen, die die Gerichte zusprechen, oft viel zu niedrig sind, um wirklich abschreckend zu wirken und Diskriminierungen in Zukunft zu verhindern – und das ist das, was das Gesetz aber eigentlich fordert. Im Vergleich dazu haben wir immer ein sehr hohes Kostenrisiko bei Gericht, und das muss natürlich immer abgewogen werden. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine Anpassung dieser Schadenersatzbeträge im Gesetz.
Auch im Behindertengleichstellungsrecht ging und geht es nach wie vor ganz massiv darum, Vorbildjudikatur zu schaffen. Ich möchte drei Klagsverbandsverfahren als Beispiele nennen, die zeigen, wie viel wir gerade im Bereich von fehlender Barrierefreiheit noch zu tun haben, und die auch zeigen, wie wichtig es ist, das als massive Rechtsverletzung von Menschen mit Behinderungen anzuerkennen, die neben den einzelnen Kläger:innen potenziell auch immer viele andere betrifft. Auch da aber werden Sie ziemlich schnell die Grenzen des derzeitigen Rechtsschutzes merken.
2011 ist es dem Klagsverband gemeinsam mit dem Österreichischen Gehörlosenbund gelungen, eine Diskriminierung von gehörlosen Menschen durch fehlende Untertitel einer DVD des ORF geltend zu machen. Dem gehörlosen Kläger wurde ein Schadenersatz zugesprochen, vom zweitinstanzlichen Gericht immerhin auf 1 000 Euro angehoben, und damit wurde ein wichtiges Urteil erzielt. Es wurde gezeigt – unter anderem –, dass Barrierefreiheit mehr bedeutet, als nur bauliche Barrieren zu beseitigen. Damit sich dann aber parallel tatsächlich auch in der Wirklichkeit etwas ändert und das nicht nur in diesem Urteil festgehalten ist, braucht es natürlich auch politisches Engagement und ein hartnäckiges Dranbleiben. Im ORF zeigt sich das heute immerhin in einem steigenden Angebot an barrierefreien Medieninhalten.
Der zweite Fall betrifft einen anderen Aspekt der Barrierefreiheit, nämlich eigentlich die Frage, wer dafür zahlen muss. Erst kürzlich haben wir gemeinsam mit Selbstbestimmt Leben Österreich und Knackpunkt Salzburg in einem Verfahren gewonnen – das wurde auch in den Eingangsreden schon kurz erwähnt. Der Anlassfall hat eine doch recht weit verbreitete Praxis betroffen, nämlich dass Menschen, die auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen sind, oft nur Hotelzimmer in höheren Preiskategorien angeboten werden. Das Gericht hat uns recht gegeben, dass das eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist, weil Hotelgäste mit Rollstuhl anders als andere Gäste keine freie Wahl haben, welches Zimmer sie buchen; ihnen darf eigentlich kein höherer Preis verrechnet werden. Auch das war eine wichtige Klarstellung über den Einzelfall hinaus.
Beide diese Fälle zeigen aber auch gut, dass es für den Weg zu tatsächlich gleichberechtigter Teilhabe mehr braucht als einzelne Betroffene, die zu Gericht ziehen und Schadenersatz einklagen, denn durch das Urteil alleine verschwinden die Barrieren ja noch nicht. Andere Menschen mit Behinderungen werden wieder ausgeschlossen und müssten wieder individuell klagen. Deshalb fordern wir schon lange gemeinsam mit anderen Organisationen, dass es im Gesetz dringend auch eine Klagemöglichkeit auf Unterlassung und Beseitigung der Diskriminierung braucht, damit sich wirklich etwas ändert.
Im dritten Beispiel, das ich mitgebracht habe, wurde die Diskriminierung tatsächlich zunächst von allen österreichischen Gerichten nicht anerkannt – aber das wollten wir so nicht akzeptieren. Es ging um die Klage eines blinden Mannes, der auf seinem Arbeitsweg eine bestimmte Linie der Linzer Straßenbahn benutzen musste. Obwohl diese gerade erst neu gebaut worden ist, hat man sie nicht umfassend barrierefrei gestaltet, denn es gab zum Beispiel keine Audioausgaben an den einzelnen Haltestellen. Diese hätte der Kläger genauso wie andere blinde Menschen aber gebraucht, um zum Beispiel über Verspätungen zu erfahren und um damit auch wirklich selbstbestimmt mobil sein zu können. Die Klage wurde, wie gesagt, von allen österreichischen Gerichten abgewiesen, man hatte keine Diskriminierung gesehen.
Aber: Jetzt gibt es ja nicht nur die österreichischen Gesetze, sondern es gibt auch noch die UN-Behindertenrechtskonvention. Die hat Österreich ratifiziert und die verpflichtet Österreich dazu, tatsächlich für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und damit auch für umfassende Barrierefreiheit zu sorgen. Auf dieser Grundlage hat sich der Klagsverband mit dem Kläger in einem der ersten Individualbeschwerdeverfahren daher an das entsprechende UN-Komitee gewandt und dort auch schließlich recht bekommen, denn das UN-Komitee hat festgestellt: Dass die österreichischen Gerichte hier keine Diskriminierung gesehen haben, verstößt gegen die UN-Konvention. – Auch das war ein großer Erfolg, und schließlich wurde die Straßenbahnverordnung in Österreich auch verbessert.
Gleichzeitig zeigt dieses doch sehr lange und hochschwellige Verfahren aber auch, welch unglaublich langen Atem von Diskriminierung Betroffene auch brauchen, um zu ihrem Recht zu kommen. 2012 wurde in diesem Fall die erste Klage eingebracht, 2015 hat das UN-Komitee entschieden, und erst 2018 wurde in Österreich dann die Straßenbahnverordnung novelliert.
Sehr viele Menschen erfahren leider Alltagsrassismus und können sich dagegen nicht allein rechtlich wehren. Der Klagsverband unterstützt daher auch oft in Bereichen, wo Menschen keinen Rechtsschutz haben, weil es zum Beispiel – anders als in der Arbeitswelt mit den Arbeiterkammern – keine gesetzliche Institution gibt, die für sie klagt. Für eine leider sehr weit verbreitete Form des diskriminierenden Ausschlusses vom täglichen Leben – vor allem Männer erleben das immer wieder – hat der Klagsverband unter anderem mit Zara in zahlreichen Verfahren erfolgreich Schadenersatz eingeklagt, nämlich die Einlassverweigerung in Klubs und Lokale aufgrund einer rassistisch selektierenden Türpolitik. Diese Gerichtsverfahren stehen in der Praxis leider für sehr viele Betroffene, aber sie waren ein wichtiges Signal und sie konnten in der Folge dann auch von unseren Mitgliedsvereinen, aber auch von der Gleichbehandlungsanwaltschaft zum Beispiel gut genutzt werden, um in der Branche auch über Schulungen und Workshops für Bewusstsein zu sorgen und auch auf diesem Weg eine Verbesserung anzustoßen.
Diskriminierung aufgrund der Herkunft kann sich aber leider noch viel existenzieller auswirken und Menschen tatsächlich in die Armut treiben. Das passiert nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch auf politischer Ebene und durch gesetzliche Regelungen. So ist es in Oberösterreich zum Beispiel seit Jahren so, dass Drittstaatsangehörige bei der Wohnbeihilfe benachteiligt werden, weil für sie strengere Kriterien gelten als für EU-Bürger:innen; unter anderem müssen sie einen Deutsch-Nachweis erbringen. Tausende Familien sind in der Praxis davon betroffen und erhalten diese wichtige Beihilfe nicht mehr, um ihre Miete zu zahlen. Seit Jahren führt der Klagsverband hier gemeinsam mit Migrare Verfahren, sogar bis zum Europäischen Gerichtshof. Punktuell haben wir durch diese Urteile auch Verbesserungen im Gesetz erzielt, aber leider kämpfen wir aktuell wieder gegen neuerliche Verschärfungen. Auch da werden wir aber dranbleiben.
Um die materielle Existenz, aber natürlich auch um die soziale Teilhabe geht es schließlich auch am Arbeitsmarkt und bei Berufsausbildungen. Eine Gruppe, die hier besonders oft von Vorurteilen und Ausgrenzung betroffen ist, sind muslimische Frauen. Die Beratungszahlen der Gleichbehandlungsanwaltschaft zum Beispiel zeigen, dass 75 Prozent der Religionsdiskriminierungen, die gemeldet werden, muslimische Menschen betreffen, und davon richten sich 90 Prozent dieser Fälle gegen Frauen. Seit 2008 hat der Klagsverband hier einige erfolgreiche Verfahren geführt und vor allem auch außergerichtliche Entschädigungszahlungen für betroffene Frauen erreicht. Letztes Jahr ist es uns dann in einem Fall gemeinsam mit der Dokustelle gelungen, ein rechtskräftiges Urteil zu erzielen, das viel Aufmerksamkeit erregt hat und das auch andere Betroffene in der Folge ermutigt hat, ihre ähnlichen Erfahrungen aufzuzeigen.
Worum ging es da? – Die junge Klägerin, eine junge muslimische Frau, hat sich um einen Ausbildungsplatz als Kindergruppenbetreuerin beworben. Und obwohl sie eigentlich topqualifiziert war, wurde sie in diesem Bewerbungsverfahren de facto auf ihr Kopftuch reduziert; man hat sie gefragt, was es damit auf sich hat, sie wurde gedrängt, ob sie es nicht lieber abnehmen möchte, und schließlich hat sie den Ausbildungsplatz nicht erhalten. Dieses Urteil war nicht nur das erste zum Lebensbereich des Berufszugangs, sondern es wurde erstmals auch festgestellt, dass es dabei nicht nur um eine Religionsdiskriminierung geht, sondern dass das auch eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, da die Klägerin offenbar nicht dem erwünschten Frauenbild entsprochen hat.
Dem Klagsverband ist es wichtig, einen Fokus gerade auf solche Konstellationen zu richten, denn wo sich mehrere Diskriminierungsmerkmale treffen oder verschränken – man nennt das auch intersektionale Diskriminierung –, sind Menschen oft besonders marginalisiert und häufig Diskriminierungen ausgesetzt.
Das waren jetzt wie gesagt nur einige Beispiele aus der Prozessführungspraxis des Klagsverbands, die aber doch sehr gut verdeutlichen, was es heißt, anhand von Fällen Geschichten zu erzählen, die für viele stehen, Betroffene zu empowern, Bewusstsein zu schaffen, aber auch rechtliche Standards zu setzen und das Antidiskriminierungsrecht weiterzuentwickeln. Das ist ein wesentlicher Beitrag zum Diskriminierungsschutz, und da stehen wir, glaube ich, heute wirklich besser da als vor 20 Jahren, sowohl was die gesetzlichen Grundlagen betrifft, aber auch gerade wegen dieser Vorbildjudikatur.
Gleichzeitig haben diese Fälle aber auch gezeigt, was es für Hürden und Grenzen im Rechtszugang gibt, vor allem wenn Betroffene sich immer individuell zur Wehr setzen müssen und das Gesetz dafür in der Regel nur Schadenersatz vorsieht. Wir benötigen daher dringend noch rechtliche Verbesserungen, wir brauchen bessere rechtliche Instrumente im Gesetz. Das wird auch nachher bei der Podiumsdiskussion noch Thema sein, aber ich möchte es hier auch noch einmal ganz kurz auf den Punkt bringen – ich habe es ja auch anhand der Fälle schon aufzuzeigen versucht.
Es braucht eine Klagemöglichkeit auf Unterlassung und Beseitigung der Diskriminierung – Sie erinnern sich an das Beispiel der fehlenden Barrierefreiheit, wo aufgrund eines Schadenersatzurteils nicht automatisch auch die Barriere beseitigt wird –, wir brauchen aber auch einen angemessenen, tatsächlich abschreckend wirkenden gesetzlichen Mindestschadenersatz beziehungsweise sollten wir auch über andere Sanktionsmöglichkeiten vielleicht noch nachdenken. 400 Euro oder auch 1 000 Euro sind definitiv nicht genug.
Um den Rechtszugang zu erleichtern, brauchen wir aber auch eine Lösung für das Kostenrisikoproblem, damit Betroffene wirklich auch den Klagsweg einschlagen können. Und quasi – auch das wurde heute schon erwähnt – als Basis sozusagen für das alles muss ich auch noch einmal daran erinnern, dass wir in Österreich noch immer keinen einheitlichen Diskriminierungsschutz in allen Lebensbereichen für alle Menschen aufgrund aller Diskriminierungsmerkmale haben. Wir brauchen da dringend neue gesetzliche Grundlagen.
Was die Fälle aber auch gut gezeigt haben, ist, dass es eigentlich so gut wie nie um einen individuellen Einzelfall geht, sondern hinter Diskriminierungen stehen eigentlich immer gesellschaftliche Strukturen. Wenn wir Diskriminierungen daher effektiv abbauen wollen, braucht es auch neue, und zwar kollektive Rechtsinstrumente. Damit komme ich noch einmal zurück zum Einstiegsbeispiel – ich hoffe, Sie erinnern sich noch –: die fehlende persönliche Assistenz für Schüler:innen mit Behinderungen.
Wie ging es in dieser Sache weiter? – Wie viele von Ihnen wissen, hat der Klagsverband nach etlichen Runden der rechtlichen Recherche, des Austauschs mit Mitgliedsorganisationen, dem Sammeln von Fällen und schließlich auch dem Aufstellen einer kollektiven solidarischen Finanzierung sich dazu entschlossen, in dieser Sache endlich einmal vom Einzelfall wegzugehen und dafür aufzuzeigen, worum es hier eigentlich geht, nämlich um eine Diskriminierung, die in einem ganz essenziellen Lebensbereich – der Bildung – Kinder und Jugendliche mit Behinderung in ihren Rechten verletzt, und damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz erfüllt. Nach einem leider erfolglosen Schlichtungsversuch mit dem Bildungsministerium konnten wir dann mit finanzieller Unterstützung zahlreicher Mitgliedsorganisationen aus der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung von Menschen mit Behinderungen tatsächlich die allererste Verbandsklage nach dem Behindertengleichstellungsgesetz in Österreich einbringen – und wir haben gewonnen. (Beifall.)
Das Gericht stellte fest, dass es eine Diskriminierung ist, wenn Schüler:innen mit Behinderung keine geeignete persönliche Assistenz erhalten, obwohl sie diese bräuchten, um eine reguläre Bundesschule, also zum Beispiel ein Gymnasium oder eine HTL, zu besuchen.
Zudem ist es Diskriminierung, wenn Assistenz, wie es vor dieser Klage der Fall war, bei mehrtägigen Schulveranstaltungen oder in Pausen nicht bezahlt wird. Das ist auch ziemlich klar, weil: Wie sollen die Schüler:innen mit Behinderung sonst gleichberechtigt am sozialen Leben in der Schule teilhaben?
Viele Medien haben von dem Verfahren berichtet, und das Urteil wurde schließlich rechtskräftig. Letzten September hat der Bildungsminister dann auch mit einem neuen Erlass die Grundlage geschaffen, dass die Gewährung von persönlicher Assistenz für den Besuch einer Bundesschule künftig individuell geprüft und nicht mehr von vornherein diskriminierend verwehrt wird.
Der Erfolg dieser Verbandsklage, der mich auch persönlich sehr gefreut hat, zeigt, wie wichtig Bündnisse sind, um gemeinsam etwas zu bewegen. Vor allem zeigt er aber auch, dass eine Verbandsklage das beste Instrument ist, um Diskriminierungen wirklich abzubauen und tatsächlich Gleichstellung zu schaffen. Derzeit gibt es sie aber nur im Behindertengleichstellungsgesetz. Worauf ich jetzt hinaus will, ist – es wurde auch schon in den Vorreden erwähnt –, dass wir dieses Instrument ganz dringend auch in anderen Bereichen brauchen, wenn sich nicht immer nur einzelne Betroffene zur Wehr setzen sollen.
Schon jetzt gibt es viele strukturelle Diskriminierungspraktiken, die keine Einzelfälle sind, zum Beispiel geschlechtsspezifische Preise bei Dienstleistungen, die weit verbreitet sind, aber eigentlich gegen das Gesetz verstoßen, oder auch rassistische Ausschlüsse am Wohnungsmarkt oder bei Sozialleistungen. Ich denke, durch den vermehrten Einsatz von künstlicher Intelligenz, der auf uns zukommt, haben wir noch mehr die Gefahr, dass vielleicht ganze Gruppen von Menschen buchstäblich vorab ausselektiert oder diskriminiert werden. Mit einem Verbandsklagerecht inklusive Anspruch auf Beseitigung der Diskriminierung hätten wir damit ein gutes rechtliches Instrument dagegen.
Nach diesem Appell für eine gesetzliche Weiterentwicklung des Diskriminierungsschutzes komme ich zum Schluss und damit noch einmal zur essenziellen Bedeutung der Rechtsdurchsetzung. Der Klagsverband wird Diskriminierungsbetroffene auch weiterhin unterstützen, mit Klagen zu ihrem Recht zu kommen, und zwar um damit über den Einzelfall hinaus etwas zu bewegen.
Stellvertretend dafür möchte ich jetzt noch einmal mein Einstiegszitat aus dem Urteil herholen, diesmal in leichter Abwandlung, damit es sich ein bisschen einfacher liest: Es liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor und ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, weshalb den Begehren stattzugeben war. – Es sind Sätze wie diese, so unspannend und wenig revolutionär sie aufs Erste scheinen, die wir ganz dringend brauchen, um Diskriminierung auch in Zukunft weiter abzubauen. – Danke schön. (Beifall.)
Paul Haller: Vielen Dank, Theresa Hammer, für diese großartige Keynote, und herzlich willkommen an alle Personen, die jetzt noch hinzugekommen sind, nachdem die Veranstaltung begonnen hat. Wir freuen uns sehr, dass Sie alle hier sind. Wir feiern 20 Jahre Klagsverband und damit auch 20 Jahre neues Gleichbehandlungsgesetz.
Nach diesem fachlichen Input dürfen Sie sich jetzt entspannt zurücklehnen. Wir wechseln auf eine andere Ebene und nähern uns dem Thema Antidiskriminierung auf einer künstlerischen Ebene.
Die Performance wird circa 7 Minuten dauern. Die Performancekünstler Adil Embaby und Mario Mattiazzo präsentieren das Stück „WayInclusion“ mit musikalischer Begleitung von Mohammad Mortazavi.
Bühne frei und herzlich willkommen, Adil Embaby und Mario Mattiazzo vom Verein Dance Ability. (Beifall.)
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(Es folgt eine künstlerische Darbietung.)
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(Beifall.)
Paul Haller: Adil Embaby und Mario Mattiazzo vom Verein Dance Ability – vielen herzlichen Dank.
Podiumsdiskussion: Rechtsveränderung. Gemeinsam für einen besseren Diskriminierungsschutz
Paul Haller: Sie haben es vielleicht gemerkt, ich bin schon etwas nervös geworden, aber das ist kein Problem, denn ich bekomme gleich Verstärkung von unseren Mitgliedsorganisationen, die ich gleich auf die Regierungsbank bitten darf.
20 Jahre Klagsverband, 20 Jahre mit Recht gegen Diskriminierung – doch wo wollen wir in den nächsten 20 Jahren hin und welche rechtlichen Änderungen braucht es dafür?
Das darf ich gleich mit sieben Expert:innen aus unseren Mitgliedsorganisationen diskutieren.
Ich bitte auf die Bühne – beziehungsweise auf die Regierungsbank –: Martin Ladstätter von Bizeps, Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (Beifall), Ann-Sophie Otte, Obfrau der Hosi Wien, und Fiorentina Azizi-Hacker, Leiterin der Beratungsstellen von Zara. Herzlich willkommen! Bitte auf die Regierungsbank! (Beifall.)
Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen: Angekündigt war Rita Isiba von Zara, sie ist heute leider krank geworden. Wir wünschen ihr auf diesem Weg gute Besserung. Umso mehr freue ich mich, dass du heute hier bist.
Dann bitte ich auf die Bühne: Bernadette Feuerstein von Selbstbestimmt Leben Österreich, Isolde Kafka vom Land Tirol, Servicestelle Gleichbehandlung und Antidiskriminierung, Ümmü Türe von der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus und Rhonda D’Vine, Verein Nicht-Binär – herzlich willkommen! (Beifall.)
Die drei Organisationen zu meiner Rechten repräsentieren übrigens unsere Gründungsorganisationen – Bizeps, Zara und die Hosi Wien. Es ist sehr schön, dass ihr heute hier seid.
Wir haben zwei Fragerunden vorbereitet und dann geht es auch schon bald zum Buffet.
Martin Ladstätter, ich starte mit dir. Du hast für Bizeps den Klagsverband vor 20 Jahren mitgegründet. Was war damals dein Gründungsgedanke?
Martin Ladstätter (Bizeps – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben): Irgendwie ist es heute irreal, da zu sein, wenn man sich überlegt, dass damals Dieter Schindlauer, Kurt Krickler und ich in einem Kellerlokal im 6. Wiener Gemeindebezirk in der Luftbadgasse ziemlich verärgert über die Antidiskriminierungsrichtlinienumsetzung in Österreich waren, aber gewusst haben: Wir werden etwas machen, wir gründen den Klagsverband!
Jetzt muss man schon ganz offen sagen: Luftbadgasse, das ist fast symbolisch. Das war in Wirklichkeit ein Luftschloss. Wir haben außer einem Schreibtisch, den uns Zara Gott sei Dank zur Verfügung gestellt hat, nichts gehabt. Wir haben kein Geld für Klagen gehabt. Ich habe damals 1 000 Euro auf den Tisch gelegt und gesagt: Jetzt schauen wir einmal, wie lange wir brauchen, bis die weg sind! – Ich verrate es: Die hat es sehr lange gegeben, weil wir fast alles gewonnen haben.
Aber warum haben wir uns eigentlich zusammengefunden? – Das, glaube ich, war wichtig: erstens einmal um voneinander zu lernen. Denn es war nicht unser Ziel, zu sagen, wir gründen eine Organisation, und die soll das für uns machen. Das war nicht das Ziel. Das Ziel war, dass die Organisationen voneinander lernen und wir gemeinsam stärker werden.
Zweitens: Wir wollten Rechte, und wir wissen auch, dass wir die jetzt noch nicht in dem Umfang haben, wie wir sie haben wollen; aber, und das haben wir heute auch schon ein paarmal gehört, es ist deutlich besser, als es damals war. Beispielsweise hat es im Behindertenbereich gar nichts gegeben, weil Österreich die EU-Richtlinien wieder einmal um zwei Jahre verspätet umgesetzt hat.
Und der dritte Punkt war: Verdammt noch einmal, wir wollen das Ding auch durchsetzen! Es hilft nichts, wenn man Gesetze hat, aber niemand da ist, der sie durchsetzen kann. Wir drei Organisationen – so ehrlich muss man sein – waren unfähig, ja. Wir konnten das nicht. Wir waren uns aber sicher: Gemeinsam kriegen wir das hin! Und vom Kellerlokal 20 Jahre später ins Parlament zu kommen: Na, so schlecht haben wir es, glaube ich, nicht gemacht. (Beifall.)
Paul Haller: Vom Kellerlokal ins Parlament – danke, Martin, für deine persönlichen Einblicke.
Ich komme zu dir, Isolde Kafka, Gleichbehandlungsbeauftragte des Landes Tirol, und damit auch die, die den längsten Anreiseweg gehabt hat. Es freut mich, dass du heute hier bist, extra aus Tirol angereist.
Doris Bures hat in der Einführung schon darauf verwiesen: Am längsten verankert ist das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts, nämlich seit 1979, und erst später sind andere Diskriminierungen hinzugekommen. Das zeigt, wie wichtig feministische Bewegungen auch als Vorkämpfer:innen für das Antidiskriminierungsrecht sind.
Meine Frage an dich, Isolde: Was braucht es heute, um strukturelle Diskriminierungen noch besser zu bekämpfen?
Isolde Kafka (Servicestelle Gleichbehandlung und Antidiskriminierung, Land Tirol): 2,5 Minuten für das Thema – super Sache!
Ich komme immer wieder darauf zurück, dass es sehr wichtig ist, einfach rechtlich gute Grundlagen zu haben. Dass es gute Antidiskriminierungs- und Gleichbehandlungsgesetze braucht, haben wir schon gehört, aber darüber hinaus muss aus meiner Sicht bei allen Gesetzen und Verordnungen, die gemacht werden, geschaut werden, ob es dadurch zu Diskriminierungen kommen kann. Dazu braucht es eine Schulung von allen Personen, die das machen – das sind sehr viele –, aber auch noch einmal einen speziellen Blick von Antidiskriminierungsstellen auf alle Gesetze, um zu sehen: Was kann da drin versteckt sein? Wie es zum Beispiel eben der Klagsverband auch gemacht hat: Das kann auch sein, dass jemand von der Fischerei ausgeschlossen wird, weil drinnen steht, dass jemand mit Behinderung die Prüfung nicht machen kann.
Genau das braucht es: einen Blick auf alle rechtlichen Grundlagen, aber natürlich auch zum Beispiel eine Verbandsklage.
Paul Haller: Danke, Isolde.
Bernadette Feuerstein, du bist heute für den Dachverband Selbstbestimmt Leben Österreich hier. Ihr setzt euch tagtäglich für das Recht ein, nicht diskriminiert zu werden, trotzdem sind Barrieren immer noch alltäglich.
Meine Frage an dich: Mit welchen weiteren Klagen rechnet ihr jetzt schon für die Zukunft?
Bernadette Feuerstein (Sliö – Selbstbestimmt Leben Österreich): Wir hätten viele Ideen für Klagen, Verbandsklagen natürlich, die heute schon angesprochen wurden, die sehr wichtig sind.
Was wir oft in Diskussionen haben, worum es in der Öffentlichkeit geht, ist, dass die Nichtbehinderten für das Thema Menschen mit Behinderung sensibilisiert werden sollen. Wir sind der Meinung, Sensibilisierung schön und gut, aber wirklich weiterbringen tun uns nur Rechte, und diese nur dann, wenn sie durch Klagen durchgesetzt werden.
Wie Theresa gesagt hat: Für diese Verbandsklage, die wirklich ein großer Erfolg war, auch für die Community, wenn ich das einmal so sagen darf, mussten Mitgliederorganisationen spenden, damit diese Verbandsklage möglich war. Es braucht meiner Meinung nach eine ordentliche Finanzierung des Klagsverbands, wenn die Antidiskriminierung wirklich ernst genommen werden soll. (Beifall.)
Paul Haller: Danke, Bernadette Feuerstein. (Beifall.)
Sensibilisierung schön und gut, wir brauchen Rechte – diesem Satz kann vermutlich auch Ann-Sophie Otte von der Hosi Wien zustimmen. Ihr setzt euch ja seit über 40 Jahren für die Rechte von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen ein.
Was sind denn aus deiner Sicht die dringendsten Forderungen für einen umfassenden Diskriminierungsschutz?
Ann-Sophie Otte (Hosi Wien): Ja, ich glaube, wir haben gerade schon etwas Schönes gehört: 1979 kam Geschlecht als Faktor dazu. Das ist interessanterweise unser Gründungsjahr – wir haben dieses Jahr 45-Jähriges, und in 45 Jahren hat sich doch einiges getan.
Das Wort Geschlecht ist bei Weitem nicht mehr ausreichend. Zum einen haben wir die sexuelle Orientierung beim Zugang zu Gütern immer noch nicht drinnen. Das bedeutet, wenn ich auf Wohnungssuche bin, kann ich diskriminiert werden, ich kann immer noch nachts aus einem Taxi rausgeworfen werden oder mir kann der Zugang zu einer Gaststätte verweigert werden. Das ist jetzt in Wien alles lustig, ja, aber wir reden auch davon, dass queere Menschen überall sind, am Land, wo es nur eine Gaststätte gibt, ein Taxi mich auf einem Feldweg raushauen kann, wo ich dann wirklich in einer prekären Situation bin; und wenn es um eine Wohnsituation geht, dann geht es wirklich auch um die Existenz – gerade in der aktuellen Teuerungssituation ist das nicht lustig.
Das Zweite, und ich glaube darauf kommt es an: Geschlecht reicht nicht aus, Geschlecht ist ein wahnsinnig unpräzises Wort. Wir wissen, und das ist in Österreich, glaube ich, auch mittlerweile angekommen, dass Geschlecht nicht ausreichend ist, um Diskriminierung aufgrund der Genderidentity zu beschreiben. Wir haben als Community – und das waren nicht nur wir, sondern das war ein sehr, sehr breites Bündnis an LGBTIQ-Community-Vertretung – auch gemeinsam mit dem Klagsverband ein Positionspapier herausgebracht, in dem wir sehr klar und deutlich in Richtung Politik äußern, dass Geschlechtsidentität, Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsausdruck sehr wohl auch in diesen Gesetzestext gehören. Wir brauchen präzise Sprache, denn präzise Sprache bildet für uns eine Grundlage dafür, auch ein gutes Klagerecht zu haben. (Beifall.)
Paul Haller: Ann-Sophie Otte, du hast unter anderem den fehlenden Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung gerade auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen angesprochen. In einem anderen Bereich haben wir da ja schon einige Klagen gehabt, gemeinsam mit dem Verein Zara, Theresa Hammer hat es erwähnt, zum Beispiel im Bereich rassistische Türpolitik.
Fiorentina Azizi-Hacker, es freut mich wirklich, dass du hier bist und so kurzfristig eingesprungen bist. Meine Frage an dich: Welche rechtlichen Tools und Maßnahmen braucht es aus deiner Sicht, um Diskriminierung in der Praxis zu verhindern?
Fiorentina Azizi-Hacker (Zara – Antirassismus & Zivilcourage): Um wirklich eine diskriminierungskritische Gesellschaft zu schaffen, brauchen wir auch Veränderungen, die wirken und die etwas bewirken. Auf der einen Seite müssen Betroffene natürlich wirklich empowert werden und dabei unterstützt werden, ihre Rechte durchzusetzen, und auf der anderen Seite geht es darum, dieses Bewusstsein zu schaffen, dass es dann eben auch manchmal wehtun muss. Ich glaube, das wurde heute auch gesagt: Wenn dieser Mindestschadenersatz angehoben wird, dann tut es weh, wenn man diskriminiert, und dann wird man sich das wahrscheinlich noch genauer überlegen.
Gleichzeitig muss man aber auch bedenken, dass Betroffene sich sehr oft nicht auf den Klagsweg begeben, einerseits, weil es das Prozesskostenrisiko gibt, das wir schon angesprochen haben, und andererseits, weil es eine sehr große Belastung ist. Deshalb sind diese Verbandsklagen wirklich sehr, sehr wichtig, um strukturell etwas zu verändern, um damit auch etwas anzugehen, das nicht jeder selbst in die Hand nehmen muss, sondern das wir als Gesellschaft unterstützen können, um wirklich auch aktiv zu werden. (Beifall.)
Paul Haller: Ich danke dir.
Ein Panel voller Expertise! Du hast es erwähnt: Für Betroffene ist es oft sehr schwierig und sehr mühsam, sich auf den Klagsweg zu machen. Eine Person hat das letztes Jahr aber mit uns gemeinsam gemacht, mit uns und mit der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Deshalb bist du auch heute hier und wir sitzen eigentlich zum zweiten Mal hier gemeinsam auf einem Podium, weil diese Klage sehr erfolgreich war und weil wir diese Klage in allen Punkten gewonnen haben.
Meine Frage an dich, Ümmü: Was bewirkt denn so ein Gerichtsurteil in der Community, die dann letztlich dahintersteht?
Ümmü Türe (Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus): Auch von meiner Seite einen schönen Nachmittag heute! Ich würde gerne auch den Communityaspekt einbringen und das Thema Vertrauen thematisieren, weil das auf der technischen Ebene ja vorhanden ist, und wenn es geschützte Merkmale gibt, gibt es auch Luft nach oben, wie das auch Christopher Frank und Theresa Hammer immer wieder betont haben.
Was bedeutet es, wenn wir etwas haben? – Dass wir da nicht stehen bleiben, sondern darauf schauen, dass wir auch flächendeckend Maßnahmen setzen, damit Personen, die davon betroffen sind, adäquat unterstützt werden. Das war ja quasi nur ein Fall – „nur“ unter Anführungszeichen, natürlich hat das eine Symbolwirkung.
Was ist bei uns passiert? – Wir bekommen ja immer wieder, jede Woche solche Meldungen. Es werden aber genauso viele Fälle nicht gemeldet, weil sehr viele Personen der emotionalen Belastung in dem Prozess auch nicht ausgesetzt sein möchten. Das bedeutet, es gibt einen Bedarf, dass Personen in diesem Prozess auch emotional unterstützt werden.
Was aber auch sehr wichtig ist, ist, dass es ein Vertrauen in das System gibt, das bedeutet ein Vertrauen, dass das System sie schützt. Wir haben sehr viele Meldungen danach bekommen. Es hat eine symbolische Wirkung gehabt wie: Ah okay, der Staat schützt mich! – So in der Art.
Was ich aber auf jeden Fall an das Publikum, ans Plenum mitgeben kann, ist so ein Denkanstoß, was auch ich mich als Einzelperson immer wieder frage: Wenn ich von bestimmten Formen der Diskriminierung nicht betroffen bin, bedeutet das aber nicht, dass ich mich dementsprechend nicht weiterbilde, sondern ganz im Gegenteil, dass ich mich diesbezüglich sensibilisieren muss, dass ich, wenn es um Personen geht, die Diskriminierung und systematischer Gewalt ausgesetzt sind, und Personen, die im Alltag tagtäglich kämpfen müssen, auch Verantwortung übernehme und schaue, wie ich diese Menschen unterstützen kann, wie ich laut sein kann, weil Menschen, die laut sind, derzeit auch systematisch still gemacht werden.
Das bedeutet, es braucht eine breite Solidarität in der Gesellschaft, weil man ohne die Zivilgesellschaft das Recht auch in dieser Hinsicht nicht forcieren kann. Weil: Recht ist da, aber die Veränderung kommt von der Zivilgesellschaft, indem man fordert und dadurch natürlich auch eine gleichberechtigtere Gesellschaft schaffen kann. (Beifall.)
Paul Haller: Rhonda D’Vine vom Verein Nicht-Binär, auch ihr habt mit strategischer Klagsführung schon viel Erfahrung gesammelt, gerade auch im Personenstandsrecht, zum Beispiel mit der Genderklage. Seit 2023 seid ihr Mitglied beim Klagsverband, also ein eher neues Mitglied.
Was bringt aus deiner Sicht ein Zusammenschluss oder auch die Solidarität, die Ümmü Türe angesprochen hat, über die eigene Community hinaus für die strategische Klagsführung?
Rhonda D’Vine (Venib – Verein Nicht-Binär): Da möchte ich ein bisschen zurückgehen zur Gründungsgeschichte des Vereins Nicht-Binär beziehungsweise zu dem Anstoß, der dazu geführt hat, dass wir als Verein in dem Sinn aktiv geworden sind.
Es gibt uns als Peergroup, als nicht-binäre Interessenvertretung, als Communityarbeit im Sinne der Gender*Galaxie schon weitaus länger, aber es gab dieses, wie Theresa vorhin erwähnt hat, richtungsweisende Urteil, das die Tür aufgemacht hat, das Urteil des Verfassungsgerichtshofes im Fall von Alex Jürgen, einer intergeschlechtlichen Person, das den Zugang zum alternativen Personenstand möglich gemacht hat.
Auf diesem Rücken haben wir uns dann dazu entschlossen: Okay, das kann aber eben nicht nur an dieser Gutachtenspflicht hängen! Dementsprechend haben wir gesagt, wir schreiten da unserer eigenen Wege, um das eben besser und diskriminierungsfreier zugänglich zu machen.
Wenn man sich diesen Hintergrund anschaut, dann sieht man schon, dass das Zusammenspiel, die gegenseitige Solidarität ein ganz zentraler Teil unserer Arbeit ist. Wenn man sich das anschaut und sich an das Zitat von Audre Lorde erinnert – „There is no such thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives“ –: Es gibt nicht nur eine Diskriminierungsebene. Es gibt bei uns im Verein Nicht-Binär Personen, die von Behinderungen betroffen sind, es gibt nicht binäre Personen, die von Rassismus betroffen sind, und wir können nicht nur unsere zentrale Coreagenda, für die wir antreten, im Blick haben und dann Teile unserer eigenen Community nicht mitbedenken. Genau deswegen ist diese intersektionale Solidarität ganz klar da und notwendig. (Beifall.)
Paul Haller: Danke dir, Rhonda D’Vine.
Du hast schon ganz wunderbar die Rutsche in die zweite Fragerunde gelegt. Da soll es nämlich darum gehen, was wir voneinander lernen können beziehungsweise was auch unterschiedliche Bewegungen voneinander lernen können, und wir wollen auch ein bisschen in die Zukunft blicken.
Isolde Kafka, ich komme noch einmal zu dir. Du bist hier ein bisschen stellvertretend für die Antidiskriminierungsstellen, die auch Mitglieder beim Klagsverband sind, neben eben den vielen Vereinen und NGOs, und ich habe eine Frage an dich: Wenn wir jetzt in eine Zeitkapsel einsteigen und in zehn Jahren wieder aussteigen, was hat sich dann verbessert? Du kriegst immer die großen Fragen.
Isolde Kafka: Ich beziehe es jetzt vor allem einmal auf die Antidiskriminierungsstellen, auf die Beratungsstellen. Wir sind ja nicht für uns da, wie es Sandra Konstatzky immer sagt – und da kann ich nur zustimmen –, sondern für die Menschen, und wir sind ja auch ein starkes Bindeglied zu den Vereinen, die uns Menschen schicken und die wir dann wirklich auch gemeinsam rechtlich beraten und wo es manchmal mit euch auch zu einer Klage kommt.
Für diese ganzen Stellen wünsche ich mir oder denke ich mir: In zehn Jahren – das ist die Vision – gibt es noch wesentlich mehr Unabhängigkeit, das beginnt schon bei Bestellung der Personen. Es gibt ausreichende Ressourcen. Das bedeutet: nicht nur für rechtliche Beratung, sondern auch für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, für den Bereich Datenerhebung, Studien, also dafür, viele Grundlagen zu schaffen.
Es bedeutet auch, dass wir einheitlichere Systeme haben, eben nicht mehr nur diese 50 Gesetze, sondern da zumindest eine gleiche Struktur, überall Beratung, eine Kommission, einen gerichtlichen Weg, also eine wirkliche Rechtsdurchsetzung. Es bedeutet aber für mich vor allem, und das wünsche ich mir, dass wir gleich gut vernetzt zusammenarbeiten können wie in den letzten 20 Jahren, da hat sich nämlich ein sehr starkes Netz aufgebaut. (Beifall.)
Paul Haller: Ich danke dir.
Es braucht Vernetzung, es braucht Ressourcen, es braucht mehr Rechte. Wir haben heute auch schon gehört, es braucht ein Verbandsklagerecht zu allen Diskriminierungsmerkmalen. Es braucht einen Mindestschadenersatz für Diskriminierungsbetroffene. Es braucht viel, viel mehr.
Jetzt noch einmal zu der Frage: Was können wir voneinander lernen?
Bernadette Feuerstein, was konntest du denn eigentlich von Antirassismusorganisationen lernen beziehungsweise was können wir von Antirassismusorganisationen lernen?
Bernadette Feuerstein: Was wir lernen können – beziehungsweise die vielen Gemeinsamkeiten, die wir haben –, ist, dass wir selbst für uns eintreten müssen, dass wir uns selbstbewusst für unsere Rechte einsetzen und natürlich immer froh über Unterstützung sind, die wir bekommen, weil sich die Diskriminierungserfahrungen sehr ähneln. So gesehen finde ich es auch wichtig, wenn sich die verschiedenen Gruppierungen, die für ihre individuellen Rechte kämpfen, nicht auseinanderdividieren lassen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern gemeinsam für ihre Rechte kämpfen.
So wie Doris Bures gesagt hat: Ich bin ich, aber gemeinsam sind wir natürlich mehrere und gemeinsam sind wir viele und gemeinsam sind wir stark. (Beifall.)
Paul Haller: Du bist aber nicht die Einzige, die diese Frage bekommt, sondern sie geht in abgewandelter Form auch an Ann-Sophie Otte: Was kann denn die LGBTIQ-Community, die du ja heute repräsentierst, von der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung lernen?
Ann-Sophie Otte: In Personalunion – danke, Paul.
Ich habe mich im Vorfeld ein bisschen damit auseinandergesetzt und ich war beeindruckt, wie professionalisiert die Community und die Bewegung ist, sowohl auf einem strukturellen Level als auch in den Veröffentlichungen. Ich glaube, da muss die LGBTIQ-Community noch nachziehen. Das ist natürlich auch eine Ressourcenfrage, aber das ist beeindruckend, wie gut und wie solide da die Community einfach aufgestellt ist.
Ich glaube, eine Sache, die bei mir sehr hängen geblieben ist, war das Zitat oder das Motto „Nichts über uns ohne uns“. Ich glaube, das ist etwas, was wir für unsere Community sehr, sehr gut mitnehmen können. Wir haben viele Homos, aber wir sind sehr heterogen in unserer Community. Es gibt sehr, sehr viele Teile der Community, und es ist wichtig, dass wir auch in der Community nicht vergessen, dass es Selbstrepräsentation gibt und dass diese sehr wichtig ist und dass die gehört werden muss.
Gleichzeitig ist es aber auch für uns wichtig, zu schauen: Wo sind wir nicht repräsentiert? LGBTIQ-Personen sind 10 Prozent der Bevölkerung. Im besten Fall haben wir einen weißen homosexuellen Mann in jeder Partei außer der FPÖ, das ist dann auch schon mal eine Ansage von Repräsentation. Dann können wir runtergehen in die Gemeinderäte und weiter in die wirklich kleineren Ebenen der Politik: Auch da ist Repräsentation einfach sehr wichtig. Ich glaube, wenn wir dabei angekommen sind, dass nichts über uns ohne uns erzählt wird, und das gilt für alle Diskriminierungsformen, dass es wenigstens eine gewisse Repräsentation gibt, dann sind wir an einem Punkt, an dem wir auch davon reden können, dass Politik für uns gemacht wird. (Beifall.)
Paul Haller: Nichts über uns ohne uns – mich hast du schon einmal überzeugt. Danke für deine starken Worte.
Ümmü Türe, jetzt auch noch einmal an dich die Frage in abgewandelter Form: Was ist ein Beispiel dafür, was Antirassismusorganisationen von der LGBTIQ-Bewegung lernen können?
Ümmü Türe: Was ich im Rahmen meiner Arbeit oder generell auch privat immer wieder merke, ist: Nur weil ich von einer Form von Diskriminierung nicht betroffen bin, bedeutet das nicht, dass es mich nichts angeht. Das bedeutet, wie Audre Lorde gesagt hat – was du gesagt hast –, dass wir kein isoliertes Leben führen.
Es gibt ja dieses eine Sprichwort von Ubunto: „I am because we are“. Das bedeutet, es kann nicht sein, dass es mir gut geht und einer anderen Person nicht gut geht. Das bedeutet, dass es im Alltag eine tagtägliche Reflexionsarbeit erfordert, um nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Umgebung zu schauen, wie es den Menschen in meiner Umgebung geht, und auch zu sehen, dass unsere Kämpfe miteinander verbunden sind.
Kämpfe, das klingt immer sehr negativ, aber das bedeutet: Als Gesellschaft machen wir die Gesellschaft aus. Das ist das, was wir im Rahmen unserer Dokustellenarbeit sagen: Wenn wir in dieser Gesellschaft ein Problem thematisieren, bedeutet das nicht, die Personen selbst sind dafür verantwortlich, sondern ganz im Gegenteil: Wir schauen darauf, dass es allen gut geht und diese Kämpfe solidarisch getragen werden.
Das ist das, was ich auch im Rahmen unserer Arbeit auch sehr stolz sagen kann: dass wir sehr starke verbündete Partner aus diversen Bereichen haben. Wir sind sehr communityübergreifend aktiv und wir sehen, dass wir ähnliche „Kämpfe“ – unter Anführungszeichen – führen, weil es doch strukturelle Benachteiligungen sind, die sich verschieden zeigen. (Beifall.)
Paul Haller: Das sind sehr starke Wortmeldungen heute. Man kommt gar nicht darum herum, dass man jedes Mal danach applaudiert. Vielen Dank auch für diese Worte
I am because we are – deswegen geht meine letzte Frage – es ist die Abschlussfrage – auch nicht an eine Person, sondern gleich an drei Personen – Fiorentina Azizi-Hacker, Rhonda D’Vine, Martin Ladstätter –: Es ist wieder eine Frage in Richtung Zukunftsvisionen, und diese Zukunftsvisionen, die können wir halt auch nicht alleine beantworten.
Stellt euch vor, wir treffen uns in 20 Jahren noch einmal hier, vielleicht hier im Plenarsaal, und wir sind am Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft ein Stückchen weitergekommen. Was wäre eine konkrete Sache, die sich verbessert hat? Vielleicht magst du gleich anfangen?
Fiorentina Azizi-Hacker: Sehr viele Dinge, die ich heute gehört habe, sind Dinge, die wir voll mittragen würden, nämlich vor allem dieses Miteinander und dieses gemeinsame Vorgehen gegen strukturelle Diskriminierungen.
Ich glaube, eine Sache, die ich persönlich eigentlich sagen würde, ist: In 20 Jahren, wenn wir Erfolg gehabt haben, sind wir nicht mehr hier. Also ich glaube, dass das Wichtige ist: Wir müssten eigentlich daran arbeiten, dass wir als Organisationen, die sich gegen Diskriminierung einsetzen, wenn wir unsere Arbeit gut gemacht haben, dann nicht mehr hier sind. Das steht nicht in meinen Speaking Notes, das hätte ich jetzt vielleicht sagen sollen, aber ich glaube nur, es ist ganz, ganz wichtig, einfach zu sehen, dass wir hier als Unterstützungsorganisationen damit dann Erfolg gehabt haben, wenn diese Unterstützung in dem Sinne nicht mehr notwendig ist. (Beifall.)
Paul Haller: Danke dir.
Rhonda D’Vine, die gleiche Frage an dich: Was hätte sich verbessert?
Rhonda D’Vine: Na ja, den Klagsverband gibt es jetzt 20 Jahre. Das Personenstandsgesetz, das eigentlich festschreibt, das nur lapidar sagt, wenn sich das als unrichtig erweist, muss es neu beurkundet werden, das liegt 40 Jahre zurück. Ich würde hoffen, dass das in 20 Jahren dann tatsächlich so weit umgesetzt ist, wenn sogar der Verfassungsgerichtshof dementsprechend schon festgestellt hat, dass dem so zu sein hat, und auch in dem Sinn, dass halt auf europäischer Ebene oder gesamtgesellschaftlich betreffend die Diskriminierung gerade eben von geschlechtlichen Minderheiten und auch intergeschlechtlichen Personen immer noch kein Verbot für nicht medizinisch notwendige Operationen an Kindern und Jugendlichen da ist, dass diese Sachen in Zukunft dann als Hirngespinste aus einer tiefen Vergangenheit angesehen werden können. (Beifall.)
Paul Haller: Martin Ladstätter, mit Blick auf Antidiskriminierungsrecht: eine konkrete Sache, die sich in 20 Jahren verbessert hat.
Martin Ladstätter: Ich liebe die Frage, was in Zukunft anders sein soll, eigentlich überhaupt nicht so. Die Zukunft startet jetzt, und ich glaube, das ist der wichtigste Satz. Wenn wir uns damals hingesetzt hätten und gesagt hätten, na ja, jetzt haben wir eine Antidiskriminierungsrichtlinie, irgendetwas wird sich geändert haben: Was glauben wir, dass sich ändert? – Wir sind die Zukunft, wir müssen das Selbstbewusstsein haben, unsere Leute empowern, dass sie sich auch wehren! Und nein, ich will nicht, dass der Klagsverband in 20 Jahren abgeschafft ist. Das ist unser Werkzeug, damit können wir auf Augenhöhe Diskriminierungen bekämpfen.
Was helfen würde, ist: erstens einmal noch bessere Gesetze. So schlecht sind sie nicht, ich bin jetzt schon seit 35 Jahren in dem Bereich tätig, sie sind schon besser geworden, aber sie können noch deutlich besser werden, und es kann auch nicht so sein, dass je nach gewissen Diskriminierungsgründen unterschiedliche Rechte da sind. Das muss sich ändern, und jetzt komme ich zum Anfang: jetzt und hier. (Beifall.)
Paul Haller: Gut. Wir sind quasi schon am Ende. Ich würde noch gerne mit einem Wordrap und mit Geburtstagswünschen an den Klagsverband schließen, weil wir uns so gerne selber feiern.
Lieber Martin, und danach alle hier auf der Regierungsbank, ein Wort: Was wünscht du dem Klagsverband für die nächsten 20 Jahre?
Martin Ladstätter: 500 Klagen pro Jahr.
Ann-Sophie Otte: Durchhaltevermögen.
Fiorentina Azizi-Hacker: Dass ihr zwei noch lange für den Klagsverband arbeitet. (Beifall.)
Isolde Kafka: Genug Geld und Ressourcen. (Beifall.)
Bernadette Feuerstein: Viele neue so tolle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wie sie es jetzt sind. (Beifall.)
Ümmü Türe: Neben den finanziellen Ressourcen auch emotionale Ressourcen.
Rhonda D’Vine: Weitere großartige Erfolge. (Beifall.)
Paul Haller: Vielen herzlichen Dank an diese tollen Vertreter:innen von unseren 69 Mitgliedsorganisationen hier auf der Regierungsbank.
Vielen Dank an Sie alle, dass Sie hier waren. Vielen Dank an alle Redner:innen des heutigen Tages. Vielen Dank für die Geburtstagswünsche, die werden wir nachher in den Plenarsaal des Hohen Hauses mitnehmen, dort werden wir noch gemeinsam anstoßen und gemeinsam feiern – ah, zu oft Plenarsaal gesagt heute –, in die Säulenhalle zu meiner Rechten, genau, also dorthin werden wir die Geburtstagswünsche auf jeden Fall mitnehmen. Mögen sie in Erfüllung gehen!
Ich darf mich noch einmal ganz herzlich bei der Zweiten Nationalratspräsidentin dafür bedanken, dass wir heute die Veranstaltung hier machen durften. (Beifall.)
Ich darf mich beim Vorstand des Klagsverbands bedanken. Heute hier sind Christopher Frank, Barbara Murero-Holzbauer, Katrin Wladasch und Jakob Putz. Vielen Dank für eure Unterstützung! (Beifall.)
Ein herzliches Danke an das Team des Klagsverbands, an unser Büroteam, Theresa Hammer, Barbara Praher, Emma Stayner, Marlena Wachauf. Vielen Dank an euch, vielen Dank für eure großartige Unterstützung auch heute! (Beifall.)
Sie dürfen sich auf ein tolles Buffet freuen. Es ist vegetarisch und vegan. Beim Kuchen hat sich die Konditorei unseres Vertrauens etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Sie wollte die Vielfalt unserer Mitgliedsorganisationen auch im Kuchenbuffet zum Ausdruck bringen. Das heißt, Sie werden viele verschiedene Kuchen und Nachspeisen vorfinden. Kosten Sie sich einfach durch, lassen Sie es sich schmecken!
Ich sage noch ganz kurz: Ich bitte alle Redner:innen, die heute hier am Podium oder von der Regierungsbank aus gesprochen haben, nach vorne für ein Gruppenfoto. Damit beende ich die Veranstaltung. Vielen herzlichen Dank für Ihr Hiersein! (Beifall.)