Transkript der Veranstaltung:

Ausstellungseröffnung: „Aus dem Leben gerissen. Schicksale österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss 1938“

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Rifka Junger (Moderation): Shalom Aleichem! Das bedeutet: Frieden sei mit euch! Herzlich willkommen im österreichischen Parlament zur Eröffnung der Ausstellung „Aus dem Leben gerissen. Schicksale österreichischer Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss 1938“! Verzeihung, wenn meine Stimme ein bisschen schwach ist.

Ich darf einleitend einige Ehrengäste herzlich begrüßen – zuallererst den Gastgeber, Nationalratspräsident Mag. Wolfgang Sobotka. (Beifall.)

Ich begrüße sehr herzlich – erev tov – den Botschafter des Staates Israels, David Roet. (Beifall.)

Es ist mir eine besondere Ehre, den Vorstandsvorsitzenden von Yad Vashem, Dani Dayan, bei uns zu begrüßen, zusammen mit seinem wunderbaren Team. (Beifall.)

Weiters begrüße ich Vertreterinnen und Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde, insbesondere Präsident Oskar Deutsch und Oberrabbiner Jaron Engelmayer. (Beifall.)

Ich darf noch zwei Personen begrüßen, die im Rahmen des heutigen Abends auftreten werden, den Kurator dieser Ausstellung, Michael Tal (Beifall), und einen Urenkel der Familie Finali, Tobias Brossmann, der heute deren Geschichte teilen wird. (Beifall.)

Vor 85 Jahren, bereits im März 1938 mit dem Anschluss, begann für die Jüdinnen und Juden in Österreich der Ausschluss aus der Gesellschaft, die Vertreibung und dann später die Verschleppung und Ermordung. Im August 1938 gründete Adolf Eichmann die Auswanderungsbehörde im Palais Rothschild – dort, wo heute die Arbeiterkammer ist –, und somit begann das Encouraging – da fehlt mir jetzt das Wort auf Deutsch –, die Juden zum Flüchten oder zum Auswandern aus Österreich zu ermutigen oder zu pushen.

Wandern, das kennen wir Juden sehr gut. Morgen Abend beginnt Sukkot, der Feiertag, das Laubhüttenfest, wo wir uns an die Wanderung in der Wüste, an die 40 Jahre in der Wüste nach dem Auszug aus Ägypten, erinnern. In den folgenden 2 000 Jahren haben die Juden leider immer wieder von Wanderung erfahren, so auch vor 85 Jahren.

Die Juden, die Österreich verlassen haben, haben nicht viel mitnehmen können, oft nur wenig Gepäck. Und jeder hat sich das ausgesucht, was für sie oder ihn einen sentimentalen Wert hatte und sie oder ihn an die Heimat erinnert und auch an die Vergangenheit, an das Leben davor erinnert; und manche dieser Objekte sind dann in Yad Vashem gelandet. Diese Objekte werden heute – ich glaube, die meisten Objekte zum ersten Mal überhaupt – vorgestellt, gezeigt, und durch diese Objekte, durch die Geschichte dieser Objekte wird die Geschichte der Einzelschicksale der Jüdinnen und Juden erzählt, die Österreich verlassen mussten. Sie geben uns ein bisschen einen persönlicheren Einblick in die Tragödie der Schoah, da Zahlen wie 200 000 Juden aus Österreich oder sechs Millionen Juden, die ermordet wurden, viel zu enorm sind, um sie aufzunehmen.

Diese Ausstellung ist ein Produkt der Kooperation, die wir mit Yad Vashem seit September 2022 haben. Wir haben bereits einiges mit Yad Vashem gemeinsam gestaltet: die Dauerausstellung in der Bibliothek, Workshops, verschiedene Workshops, verschiedene Gedenkinitiativen; das ist eines der vielen Tools, die wir hier im Haus nützen, um Antisemitismus zu bekämpfen.

In den letzten Jahren hat sich im Parlament viel zu diesen Themen getan, im Kampf gegen Antisemitismus, im Gedenken an den Holocaust, an die Schoah – Gedenken, um nicht zu vergessen, und Gedenken, um nicht zu wiederholen; und das alles unter der Leitung des Nationalratspräsidenten Sobotka, den ich nun um seine Worte bitten darf. (Beifall.)

Wolfgang Sobotka (Präsident des Nationalrates): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Dani Dayan! Es ist eine große Ehre, dass Sie die Reise auf sich genommen haben. Ich weiß nicht, zum wievielten Male Sie in diesem Jahr schon in Österreich sind. Sehr geehrter Herr Botschafter, werte gnädige Frau! Lieber Ossi! Lieber Jaron! Ich freue mich, dass die Delegation aus Yad Vashem mitgekommen ist. Einige dieser Gegenstände durfte ich bei meinem Besuch schon sehen und auch erkennen, was eigentlich die Intention dieser Ausstellung ist.

Für mich ist das heute ein ganz besonderer Tag. Wir haben am Nachmittag schon mit unserer Sitzung des Kuratoriums des Nationalfonds quasi unsere Periode abgeschlossen, auch das novellierte Gesetz mit einer Konferenz in Kraft gesetzt und uns damit auseinandergesetzt: Was ist unsere Aufgabe?

Vor mehr als 25 Jahren, eigentlich genau 1995 gegründet, hat dieser Fonds bis heute eine bedeutende Aufgabe entwickelt und viele Initiativen getragen. Er ist im Parlament angesiedelt, und der jeweilige Präsident darf dort den Vorsitz führen. Es ist für uns gerade in dieser Zeit so wichtig, eine große Zahl von Mitstreitern zu finden, die Antisemitismus zu bekämpfen helfen.

Diese Ausstellung ist in diesem großen Puzzle ein ganz besonderer Baustein; ich würde nicht Schlussstein sagen, aber sie ist ein besonderer Baustein geworden. Die Artefakte, die hier gezeigt werden, erinnern mich daran, als ich das erste Mal im Konzentrationslager Mauthausen gewesen bin und mir in dieser damals noch nicht sehr ausgestalteten Gedenkstätte Hans Maršálek eine Brille gezeigt hat und gemeint hat: Was bedeutet sie eigentlich? Er hat durch diese Brille eine ganze Geschichte erzählt, wem sie gehört hat, wessen Schicksal dahintersteht und was das heute für uns bedeutet.

So ist es auch bei diesen Gegenständen. Wir haben uns gerade in der Säulenhalle das eine oder andere schon vorweg ansehen dürfen und auch gesehen, mit welcher Bedachtsamkeit diese Gegenstände ausgewählt wurden. Daher auch dem Kurator ein herzliches Dankeschön, in welcher Form er die Gegenstände ausgewählt hat, die auf den ersten Blick scheinbar nicht den Kosmos erschließen, der sich dahinter verbirgt, und die für uns heute, wenn wir sie richtig einordnen und in den richtigen Konnex bringen, die ganze Tragik des Jahres 1938, das schon viel früher begonnen hat, verdeutlichen.

Dass diese antisemitische Haltung, die Hunderte Jahre alt ist, eine Ausformung wie im Jahre 1938 und in den folgenden Jahren genommen hat, war vorweg zwar erkennbar, aber in der Tragweite nicht wirklich erahnbar. Bei diesem Vernichtungswahn, dem industrialisierten Massenmord an Jüdinnen und Juden und auch an anderen Opfergruppen unter dem Nationalsozialismus war Österreich nicht nur ein Opfer, sondern vielfach auch ein Täter und hat einen ganz besonderen Anteil gehabt.

Das muss Österreich in seiner Verantwortung – und wo besser als im österreichischen Parlament, das letzten Endes die gesamte Republik repräsentiert? – auch zum Ausdruck bringen. Es ist diese Verantwortung vor der Zeit des 9. November 1938, als sich dann dieser Hass in der Pogromnacht entladen hat. Was aber davor schon immer wieder in der Haltung klar spürbar gewesen ist, hat sich in ungeheurer Kraft und negativer Energie wie eine Welle über unsere Landsleute ergossen.

Zuvor war die jüdische Gemeinschaft 200 000 Menschen stark, heute haben wir 9 000, 10 000. Ich hoffe, es werden mehr. Wir nehmen gerne auch jene auf, die aus der Ukraine oder aus anderen Ländern kommen, damit sie hier eine sichere und eine für sie lebenswerte Heimat finden.

Uns freut es, dass viele von dem Recht Gebrauch gemacht haben, die Doppelstaatsbürgerschaft wieder anzunehmen, und sie und auch die Kinder und Kindeskinder wieder zu ihrer alten Heimat einen Bezug zu suchen pflegen. Für uns ist das ganz wichtig, um zu zeigen, dass Österreich aus der Geschichte wirklich die richtigen Lehren gezogen hat, um auch klar unsere Verantwortung im Gesamten zu unterstreichen und das Nie-wieder nicht nur in der Ausstellung, sondern aus Aktualitätsgründen zu leben.

Es war, als wir die Pläne gehegt haben, diese Ausstellung zu gestalten, nicht klar, was für einen grausamen Bezug es hat, gerade in diesem Jahr diese Ausstellung zu zeigen. Niemand wurde gewahr, was am 7. Oktober 2023 passiert ist. Die Kooperation mit Yad Vashem, für die wir sehr dankbar sind, geht, wie schon Frau Junger betont hat, schon weiter zurück, und heute hat gerade diese Arbeit eine ganz andere und eine viel tiefere Bedeutung.

Wenn der Botschafter des Staates Israel nicht müde wird, auch überall zu erklären, was sich heute in Israel wirklich ereignet, wie purer Antisemitismus das jüdische Volk in allen umfänglichen Situationen bedroht, so darf es nicht seine Aufgabe und seine primäre Aufgabe sein, sondern muss es unsere Aufgabe sein, dem auch couragiert entgegenzutreten. From the River to the Sea!, ist in Österreich einfach untragbar und darf in dieser Form nicht zum Ausdruck gebracht werden! (Beifall.)

Ich habe das auch ganz klar in einem offenen Brief an den Österreichischen Rundfunk zum Ausdruck gebracht: Jemanden, wie es im Radio war, alleine als sogenannten Botschafter auftreten zu lassen – ich weiß nicht, welchen Staates, aber als Palästina benannt –, der ohne Entgegnung seinen Antisemitismen, seiner Täter-Opfer-Umkehr, letzten Endes auch seinen Fantasien dieser Verschwörungsmythen freien Lauf lassen kann, ist untragbar.

Auch das Interview in der „ZIB 2“! Schon alleine die Einladung halte ich am Jahrestag des 7. Oktober 2023 und im Jahr 2024 für eine wirklich beschämende Aktion unseres öffentlichen Rundfunks. Ich werde das auch nicht hinnehmen und das sowohl dem Stiftungsrat als auch dem Publikumsrat sehr deutlich zur Kenntnis bringen. (Beifall.)

Ich brauche dafür viel Unterstützung, wenn ein Konflikt länger dauert, wenn ein Konflikt letzten Endes diese Bilder produziert, die wir sehen, wenn undifferenziert von 40 000 gesprochen wird, die gestorben sind, und nicht differenziert wird, wie viele Kämpfer dabei gewesen sind. Wir sehen Bilder, und die sehe ich gerade durch unsere Medien, die das auch transportieren: Das sind Zivilisten, die sind nicht als Kämpfer erkenntlich.

Dann braucht es auch eine klare Erklärung, wie das passiert, dann braucht es auch ein Dazustehen, dass es ein Guerillakrieg ist. Wie man einen Guerillakrieg bekämpft, in dem tagtäglich von denen, die ihn führen, auch Kriegsverbrechen begangen werden, dafür kann Israel letzten Endes nicht als Schuldiger herangezogen werden. Das muss auch immer wieder betont und unterstrichen werden.

Mir ist es ganz wesentlich, in dieser Form auch zum Ausdruck zu bringen, dass Österreich, das offizielle Österreich auch eine klare Haltung hat. Gerade wenn wir so eine Ausstellung von Yad Vashem zeigen, muss uns mehr denn je bewusst sein, dass wir diesem größten genozidalen Verbrechen des Vorjahres nach der Schoah hier nicht nur das Gedenken und das Erinnern ermöglichen, sondern auch die Aktivität an den Tag legen, dagegen aufzutreten.

Es wird nicht mit dieser Ausstellung zu Ende sein, es wird nicht mit unseren Aktionen zu Ende sein. Wir werden den Simon-Wiesenthal-Preis wieder im März vergeben können. Wir haben heute auch die Preisträger, die von der Jury vorgeschlagen wurden, beschlossen. Wir werden sehen, dass es vielleicht ein Stück des Weges ist, um Leute zu ermutigen, in der gesamten Breite der Gesellschaft dagegen aufzutreten, aber es soll uns heute ein Auftrag sein, auch unsere Besucher damit zu konfrontieren. Die Ausstellung wird auch in die Führung eingebaut, und es ist wesentlich, dass Menschen, die zu uns kommen, sich mit dieser Situation konfrontieren.

Nur Bildung, nur Wissen darüber ermöglichen es – das zeigen unsere Forschungen sehr klar –, diese antisemitischen Einstellungen zu reduzieren. Und das muss unser Anspruch sein. Diese Ausstellung gemahnt uns. Wenn Sie sich die einzelnen Geschichten dort vor Augen halten und lesen, dann ist das nicht Geschichte, dann ist das Heute, dann ist das für uns heute der Auftrag.

Ihnen das zu erzählen, bin ich falsch am Platz. Ich muss das draußen tun, und Sie können sich darauf verlassen, in welcher Funktion auch immer ich tätig sein werde, ich werde das nicht im Geheimen tun, nicht im Kreis der Mitstreiter, sondern dort, wo man es nicht hören will.

In diesem Versprechen können Sie mich auch beim Wort nehmen, lieber Dani Dayan. Vielen Dank für eure große Kooperationsbereitschaft! Yad Vashem war für uns immer ein Vorbild, wie man etwas darstellt, wie man Menschen berührt, wie man auf Menschen zugeht, welche Möglichkeiten sich in der Vermittlung, in der Forschung und letzten Endes auch in der Darstellung eröffnen. Daher auch ein herzliches Dankeschön für Ihr und für euer Engagement. Es seien alle Mitarbeiter herzlich inbegriffen. In diesem Sinne freue ich mich schon auf den heutigen Abend. (Beifall.)

Rifka Junger: Vielen Dank, Herr Präsident.

Es hat etwas gedauert, bis Österreich sich zu seiner Geschichte bekannt hat. Heute gibt es in Österreich viele Initiativen, und ich würde gerne auch Vertreter zweier Organisationen begrüßen: aus dem Vorstand des Nationalfonds Hannah Lessing und Judith Pfeffer sowie von der Gedenkstätte Mauthausen Dr. Barbara Glück – guten Abend! (Beifall.)

Es gibt viele Personen, denen man danken muss. Es würde ziemlich lange dauern, aber ich darf einige Namen nennen, die einfach genannt werden müssen: das Bundeskanzleramt, das diese Ausstellung auch gefördert hat, der Herr Bundeskanzler, Bundesministerin Edtstadler und die Abteilung für österreichisch-jüdische Kultur, Dr. Antonio Martino – vielen Dank! (Beifall.)

Dem Team von Yad Vashem: Wenn ich die Namen alle aufzählen würde, wäre es lange, aber insbesondere möchte ich mich bei dem Kurator noch einmal bedanken, Michael Tal, und bei der Direktorin des Archivs und des Museums, Medy Shvide. Auch vielen Dank an Iris Rosenberg und Dr. Haim Gertner für die Begleitung und die Vorbereitung für den heutigen Abend. (Beifall.)

Für die Planung und das Design – das ist wirklich beeindruckend; wenn man oben ist, bekommt man wirklich das Gefühl, dass man die Leute zu Hause besucht und ihre Geschichten kennenlernt – der Firma Nofrontiere, Silvia Seitl und Team (Beifall), und seitens der Parlamentsdirektion der Abteilung für Kunst und Kultur und dem ganzen Team unter der Leitung von Frau Dr. Gudrun Faudon-Waldner – vielen Dank! (Beifall.)

Heute Abend eröffnen wir ein Produkt einer Idee, die es seit eineinhalb Jahren gibt. Geboren wurde diese Idee, nachdem ich eine Ausstellung in Berlin gesehen habe, die „Sechzehn Objekte“-Ausstellung, wo zu allen 16 Bundesländern in Deutschland einzelne Objekte von jüdischen Familien vorgestellt wurden. Wir werden ein bisschen später mit Michael Tal darüber sprechen, was die Challenge war, dass wir diese Ausstellung nicht duplizieren konnten, weil Österreich eine andere Geschichte als Deutschland hat. Aber ich möchte gerne den Vorstandsvorsitzenden von Yad Vashem um seine Worte bitten. (Beifall.)

Dani Dayan (Vorstandsvorsitzender Yad Vashem) (in deutscher Simultandolmetschung): Exzellenzen! Herr Nationalratspräsident Sobotka! Botschafter Roet! Vorsitzender Deutsch! Geschätzte Rabbiner! Liebe Freundinnen und liebe Freunde in diesem Raum! Marta Byk war 14 Jahre alt, ein Kind, als die Nazis - -, als der Anschluss im März 1938 geschah.

Sie lebte mit ihrer Familie in der Praterstraße im 2. Wiener Gemeindebezirk, Praterstraße 25A. Ich habe meine Google-Maps-App verwendet und habe gesehen, dass das von hier circa 15 Minuten mit dem Auto entfernt ist. Ihre Mutter und ihr Bruder Herbert beschlossen, in die Vereinigten Staaten von Amerika zu fliehen, aber Marta wollte nicht mitgehen. Sie war eine Zionistin, und sie bestand darauf, in Wien zu bleiben, obwohl sie nur ein Kind war. Sie schloss sich einer Gruppe von Schüler:innen an, die über die Donau nach Eretz Israel, in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, aufbrach. Nachdem Marta sich von ihrer Mutter und ihrem Bruder verabschiedet hatte, begann sie, Briefe zu schreiben. In den Briefen beschrieb sie ihre Erlebnisse mit der Gruppe der jungen Zionistinnen und Zionisten, der sie sich angeschlossen hatte.

Ich möchte einen Teil von diesem Brief vorlesen, vom 7. März 1940:

Mein lieber kleiner Herbert! Jetzt haben wir uns schon so lange nicht gesprochen. Im Juli setzte sich mein kleiner Bruder in ein Taxi, verabschiedete sich von seiner großen Schwester und sagte: auf Wiedersehen! Aber siehst du, ist es nicht eine große Dummheit, dass die Menschen sich immer trennen müssen? Wir wollen einer vom anderen nichts wissen; hier Juden, hier Christen, hier Schwarze, hier Weiße. Das ist doch dumm! Wir werden das ganz anders machen! Die Kinder werden den Anfang machen. Meinst du nicht auch, Herbert, dass es eine schöne Idee wäre, wenn alle Kinder der ganzen Welt versuchen würden, sich kennenzulernen und sich zu verstehen? Ich glaube, dann könnte es nie wieder Krieg geben. – Zitatende.

Marta und ihre Gruppe begaben sich also auf die Donau, aber sie mussten in Jugoslawien anhalten, sie konnten ihre Reise nicht fortsetzen.

Martas Traum, in das gelobte Land zu gelangen und die Welt von dort aus zu ändern, ist gescheitert, war zunichte. Im April 1942 wurde sie von den deutschen Nazis bestialisch ermordet, in einem Lager in der Nähe von Belgrad. Ihr einziges Verbrechen war, dass sie eine Jüdin war.

Martas Geschichte ist nur eine von vielen, von vielen grauenhaften Geschichten, die sich in dieser Ausstellung, die wir heute eröffnen, wiederfinden. Der gemeinsame Traum von all diesen Heldinnen und Helden war, dass sie als Jüdinnen und Juden in Wien leben; sie betrachteten Wien als ihre Heimat – nicht nur betrachteten, sondern Wien war einfach tatsächlich ihre Heimat. Sie waren in dieser Stadt groß geworden, und ganz plötzlich wurde ihrem Leben und ihren Träumen ein Ende gesetzt.

Diese Jüdinnen und Juden repräsentieren nicht nur die Geschichte des österreichischen Judentums, sondern Österreichs insgesamt. Im Jahr des Anschlusses, im März 1938 waren es ungefähr 185 000 Jüdinnen und Juden, die in Österreich lebten, ungefähr 95 Prozent davon in Wien, in dieser Stadt. Ihr Leben wurde über Nacht zu einem einzigen Horror, die Juden wurden erniedrigt, sie wurden auf den Straßen niedergeschlagen, sie wurden gezwungen, die Straßen mit den Zahnbürsten zu putzen – Rifka, wir haben das doch bei der Antisemitismusausstellung gesehen –, und sie mussten auf ihren Knien durch die Straßen kriechen. Die jüdischen Auslagenfenster wurden mit dem Davidstern versehen und es wurde das Wort Jude draufgeschmiert. Jüdische Kinder wurden aus den öffentlichen Schulen vertrieben, und die Juden durften auch nicht auf den öffentlichen Parkbänken sitzen. Wir werden einen Klapphocker in der Ausstellung sehen, den eine Jüdin mitgebracht hat, wenn sie in einen Park ging, damit auch sie irgendwo sitzen konnte.

All das, geschätzte Freundinnen und Freunde, wurde von deutschen und österreichischen Nazis verbrochen, mit der Mittäterschaft von allzu vielen Wienerinnen und Wienern, die hinter dem Anschluss und auch hinter all den Gräueltaten standen, die an den Juden begangen wurden.

Stefan Zweig, der berühmte jüdische österreichische Schriftsteller, schrieb, bevor er sich aus Verzweiflung das Leben nahm, über das, was in Europa geschah. Er beschrieb, dass er meinte, er hätte all die schrecklichen Dinge vorweggenommen, als Hitler an die Macht kam. Aber, so sagte er, meine Gedanken, alle vorstellbaren menschlichen Gedanken, lagen hinter dem zurück, wie groß diese Unmenschlichkeit war, die sich an jenem 13. März 1938 entlud. Da sank die Maske, da wurde nicht mehr bloß geraubt und gestohlen, sondern jedem privaten Rachegelüst freies Spiel gelassen. – Zitatende.

Was darauf in Österreich und im gesamten NS-besetzten, okkupierten Europa in den schrecklichen Jahren des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts folgte, ist natürlich für unsere gemeinsame Erinnerungskultur wesentlich. Aufgrund der Dauer, des Ausmaßes und der mörderischen Gräueltaten des Holocausts hätte man sich vorstellen können oder erwarten können, dass das Österreich der Nachkriegszeit, die Bürger der österreichischen Nachkriegszeit und die österreichische Zivilgesellschaft sofort Verantwortung für ihre zentrale Rolle als willfährige Mittäter übernehmen, aber das war nicht der Fall.

Stattdessen wurden ein falsches Nachkriegsnarrativ ins Leben gesetzt, das von Österreich und den Österreicherinnen und Österreichern gelebt wurde, nämlich dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus war und keine aktive Rolle im Holocaust hatte – als wäre Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Erst etwa 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer neuen Beurteilung dieses Narratives. Die Proteste und Kundgebungen zeigten, dass es notwendig war, sich der Vergangenheit zu stellen, der unbequemen Vergangenheit, und sich diesem komplexen und furchtbaren Erbe als voller Täter des Holocausts zu stellen.

Im Laufe der Zeit haben sich diese Trends auch institutionalisiert, Österreich ging Partnerschaften mit Gedenkstätten ein, insbesondere auch mit Yad Vashem. Wir haben uns gemeinsam der Holocaustforschung verschrieben, auch der Bildung, der Aufklärung, dem Gedenken, der Erinnerungskultur und sind ein Engagement eingegangen, das sich auch in dieser Ausstellung zeigt.

Insbesondere in diesen Tagen möchte ich eines hinzufügen: Ich hoffe, wir hoffen, dass sämtlichen negative, vernichtende Faktoren, welche die Nation wieder zurückwerfen, überwunden werden können. Damit das passiert, braucht es weise Führung im Land und braucht es weise und mutige Entscheidungen im Land. Wenn ich morgen nach Israel zurückkehre, werde ich mit den Spitzen dieses Staates, mit dem Bundespräsidenten, dem Kanzler, dem Nationalratspräsidenten, zusammengetroffen sein, und ich muss sagen, dass mich das doch etwas optimistischer stimmt.

Geschätzte Freundinnen und Freunde! Diese Ausstellung ist eine gemeinsame Anstrengung des österreichischen Parlaments und von Yad Vashem mit der Unterstützung des österreichischen Bundeskanzleramtes. Mein Dank, mein ganz persönlicher Dank und auch der Dank von Yad Vashem gilt den Teams im österreichischen Parlament, im Bundeskanzleramt und natürlich auch unseren Teams von Yad Vashem, die sich sehr angestrengt haben, damit diese Ausstellung zustande kam.

Abschließend möchte ich noch eines sagen: Unter den österreichischen Staatsspitzen haben wir Mut und Weisheit gesehen in diesem sehr komplexen Prozess der Vergangenheitsbewältigung, des Sich-der-dunklen-Vergangenheit-Stellens. Wolfgang Sobotka steht als Schlüsselpersönlichkeit dafür ein. Herr Nationalratspräsident Sobotka legte persönliche Integrität an den Tag, Führungsfähigkeiten und seine persönliche Werte und seine Aufklärungsbemühungen. Ja, Wolfgang Sobotka ist ein Lehrer in diesen Dingen, und er lebt es auch selbst.

Lieber Wolfgang – wenn ich dich so ansprechen darf –, du hast ständig unsere Freundschaft und unsere tiefe Bewunderung verdient. Präsident Herzog sagte mir, als ich ihm von meiner Reise nach Österreich erzählte – er sagte das auf Hebräisch, Rifka wird das später übersetzen –: Sobotka ist ein Zaddik. (Beifall.)

Herr Nationalratspräsident Sobotka ermöglichte einen faktischen Dialog über die Vergangenheit und er brachte auch die Wahrheit an die Stelle des Narratives. Ich erinnere mich noch, als wir gemeinsam in Mauthausen waren, im Steinbruch, und Sie haben mir damals ins Ohr geflüstert, dass hier die Schüler und Studentinnen und Studenten die Todesstiege zu sehen bekamen und dass sie das Mitgefühl selbst spüren sollen, dass alle Österreicherinnen und Österreicher das spüren sollen.

Ihre Anstrengungen, Herr Präsident Sobotka, im Gedenken an Marta Byk und viele, viele andere Jüdinnen und Juden, die während des Holocausts verfolgt und ermordet wurden, Ausstellungen wie diese, die wir heute eröffnen, auf Ihre Initiative hin, helfen uns, dieser Menschen zu gedenken und ihr Erbe hochzuhalten. Damit ist der Satz „Niemals wieder“ nicht nur ein hohles Klischee, sondern wird zu einer gelebten Realität. Auf Hebräisch sagen wir: Toda raba (Beifall) – vielen Dank, Herr Nationalratspräsident Sobotka! (Beifall.)

Rifka Junger: Vielen Dank für diese sehr bewegenden Worte, Herr Vorsitzender Dayan.

Wenn ich kurz etwas ganz Persönliches erzählen darf, im Zusammenhang mit dem, was Herr Dayan gerade gesagt hat: Ich bin als Nachkomme von vier Holocaustüberlebenden schon sehr jung sehr stark geprägt gewesen, dass ich in einer Stadt wie Wien lebe, wo so viel passiert ist. Als ich 14 war, habe ich ein Jahr Highschool in New York gemacht. Ich habe dort die Oma einer Klassenkameradin kennengelernt, die, sobald sie gehört hatte, dass ein Mädchen aus Wien an der Schule ist, mich zu Besuch eingeladen hat. Ich bin dann ein Jahr lang wöchentlich zu ihr nach Hause gegangen und habe Geschichten angehört, wo sie gewohnt hat, um die Ecke, wo ich aufgewachsen bin. Mindestens zehn Jahre danach haben wir uns noch Briefe geschrieben, die ich noch alle habe. Was man da merkt, ist, dieses Gefühl des Verlustes der Heimat ist immer geblieben, die Freude, Deutsch zu sprechen, ist aber nie verloren gegangen und, ich glaube, wie wir später auch in unserer Konversation mit den zwei Herrschaften sehen werden, in den Generationen dann auch weitergegeben worden.

Ich darf nun das Kunstprojekt Voice of Peace vorstellen, das uns gleich ein weiteres Stück vorspielen wird. Voice of Peace sagt schon alles – die Stimme des Friedens und der Hoffnung auf Frieden –, und das spiegelt sich auch in der Gruppe, die wir heute hier haben, wider: ein israelischer Musiker, Chen Zimbalista (Beifall), der Initiator der Gruppe; ein palästinensischer Musiker und Sänger, Marwan Abado (Beifall); die renommierten österreichischen Künstler Stefan Heckel und Erich Oskar Huetter (Beifall); und ich glaube, die Sängerin Timna Brauer muss ich in Österreich niemandem vorstellen. (Beifall.)

Das nächste Stück heißt „Still growing“, ist eine Botschaft der Hoffnung und des Durchhaltens: dass wir niemals die Hoffnung auf eine bessere Welt aufgeben, so wie es die Schoahüberlebenden uns bewiesen haben, indem sie weitergelebt haben und neue Familien gegründet haben, und so wie wir auch jetzt nach dem 7. Oktober die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Geiseln wieder nach Hause kommen, lebend und gesund, und dass Frieden im Nahen Osten, in Israel einkehrt – „Still growing“. (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)

Rifka Junger: Vielen Dank.

Die Ausstellung zeigt uns viele Gesichter, viele Namen und erzählt uns über die Einzelschicksale. Wir haben heute die Möglichkeit, von einer Person über das Schicksal seiner Familie zu hören, und vom Kurator, der mit vielen anderen Familien auch in Kontakt war. Ich möchte Michael Tal und Tobias Brossmann bitten, mit mir eine kleine Konversation zu führen. (Beifall.)

Herr Brossmann, Ihr Urgroßvater war ein Fotograf, der dann seinen Job verloren hat, sein Talent aber genutzt hat, um Jüdinnen und Juden in Fotografie auszubilden, nachdem die Kultusgemeinde diese Umschulungskurse für Leute, die dann ausgereist sind, eingerichtet hat. Er war ein glühender Österreicher, ein Patriot, seine Frau – also Ihre Urgroßmutter – und die zwei Töchter haben es geschafft, aus Österreich zu entkommen, der Vater leider nicht.

Was können Sie uns erzählen? Hat man zu Hause darüber gesprochen? Sie haben mir gestern Abend erzählt, dass Sie sich an Ihre Großmutter erinnern können. Hat sie darüber erzählt, wurde es eher verschwiegen? Hat sie über die Vergangenheit, über Wien davor gesprochen?

Tobias Brossmann (Urenkel des Fotografen Richard Finali, dessen persönliche Geschichte in der Ausstellung vorgestellt wird): Das wurde zu Hause thematisiert, und ich kann mich an ganz, ganz, ganz viele Momente erinnern, wo meine Großmutter immer wieder Geschichten erzählt hat, über meinen Urgroßvater, aber auch über ihre eigene Fluchtgeschichte. Meine Großmutter Eva Finali, später Brossmann, und ihre Schwester Hannah, sind nach England emigriert. Für mich war das ein Thema, das in unserer Familie immer da war.

Jetzt, in Vorbereitung auch auf diesen Termin und auf das hier Sitzen und Sprechen, war es auch sehr interessant, in Gesprächen in meiner Familie festzustellen, dass das für alle unterschiedlich, in einem unterschiedlichen Ausmaß auch, Thema war und eine schwierige Sache war, auf jeden Fall, dass es für uns als Familie schwer war, Momente zu finden, wo explizit nur das einmal Thema sein konnte und Gedenken stattfinden konnte, denn für unseren Urgroßvater, für Richard Finali, gibt es kein Grab. Es gab keine öffentliche Anerkennung oder irgendetwas. Er war einfach wie nicht existent, wie verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben, haben manche in der Familie gesagt.

Das erste Gedenken, das in Österreich an meinen Urgroßvater errichtet wurde, war ein Stein des Gedenkens, ein sogenannter Stolperstein, der von meiner Großmutter Eva im Jahr 2010 selber initiiert und bezahlt werden musste. Ich denke, das fasst recht gut zusammen, wie emotional und wichtig dieser Moment heute für uns als Familie ist, dass es einmal einen Ort gibt, wo offen und direkt über die Ermordung meines Urgroßvaters gesprochen wird und ihm Würde zurückgegeben wird, die er sonst in seinem Leben nicht bekommen hat. An dieser Stelle möchte ich danke sagen an Michael und danke an alle, die das ermöglicht haben, dass wir heute hier sitzen können und auch einmal in diesem Rahmen gedenken können. (Beifall.)

Rifka Junger: Ich möchte noch dazusagen: Die Ausstellung beginnt auch mit Ihrem Großvater. Es beginnt mit einem Gedicht, einem sehr bewegenden Gedicht, das er geschrieben hat, über das Gefühl, was es für ihn bedeutet, als Jude, der ein Österreicher ist, auf einmal anders behandelt zu werden und anders zu sein, was das für ein Verlust für ihn war. Also in der Ausstellung wird sehr prominent auch an ihn erinnert.

Ich möchte noch eine Person erwähnen, die heute mit uns hätte sein sollen. (In deutscher Simultandolmetschung:) Ich werde das jetzt auf Englisch sagen, weil ich glaube, dass sie live aus Israel zugeschaltet ist: Danit Beer, die Enkelin von Margit Weiner, sollte heute bei uns sein, um über ihre Erinnerungen und andere Gedanken zu sprechen, um über ihre Familie zu sprechen, aber aufgrund der aktuellen Lage war es ihr nicht möglich, einen Flug von Israel nach Österreich zu bekommen. – Danit, wir sind in Gedanken bei Ihnen und dieser Abend steht auch im Zeichen des Andenkens an Ihre Familie. (Beifall.)

Michael, jedes Artefakt, jeder Gegenstand erzählt eine Geschichte. Sie waren sehr lange mit diesen Gegenständen beschäftigt. Unser erstes Treffen war vor fast zwei Jahren und wir haben dabei über die Herausforderung gesprochen, wie schwierig es ist, Alltagsgegenstände von österreichischen Jüdinnen und Juden zu finden. Gibt es irgendwelche Gegenstände, die eine besondere Bedeutung, eine besondere Geschichte für Sie haben und über die Sie jetzt sprechen möchten?

Michael Tal (in deutscher Simultandolmetschung): Als ich begann, nach Alltagsgegenständen in Yad Vashem zu suchen, um diese Ausstellung oder dieses Projekt vorzubereiten, war mir selbst nicht ganz klar, wonach ich suchte. Ich dachte einfach an verschiedene Artefakte in Yad Vashem, die alle mit Geschichten, mit Andenken an Personen und Familien verbunden waren, die jetzt auch für das Gedenken und das Schicksal dieser Personen stehen. Bei meinen Forschungen wurde mir eines klar, nämlich dass die meisten Objekte und Dokumente in Yad Vashem von Personen stammen, die aus Wien deportiert wurden.

Die meisten Jüdinnen und Juden lebten ja in Wien und nicht über ganz Österreich verteilt, und das macht auch das Besondere an diesen Gegenständen aus. Viele dieser Gegenstände erzählen Geschichten von Menschen auf der Flucht, Menschen, die aus ihren Häusern aufbrechen mussten. Die Entscheidung, die Richtung, die ich hier einschlug, ging dahin, die Geschichte von fliehenden Menschen zu erzählen. Für diesen Weg habe ich mich entschieden, und dabei habe ich dann immer mehr über die Dokumente und die Objekte in Yad Vashem gelernt.

Eines der ersten Dinge, die ich dabei fand, war das Fotoalbum der jüdischen Gemeinde. Das sind Fotos, wo man sieht, wie die jüdische Gemeinde es Jüdinnen und Juden in Österreich ermöglichte, neue Tätigkeiten, neue Berufe zu erlernen, damit sie nach ihrer Auswanderung in andere Länder einer Tätigkeit nachgehen konnten – diese Umschulungsfotos. Das war ein sehr interessantes Album, aber es gab so gut wie keine Informationen über die Personen, die diese Umschulungen durchführten oder anboten, oder die Studierenden zum Beispiel, über die gab es auch sehr wenig.

Durch meine Recherchen stieß ich auf immer mehr Informationen. Einige Informationen gab es über die unterschiedlichen Lehrer und Lehrerinnen, einige über die Schüler, Schülerinnen, und auf einem Foto stand etwas, nämlich dass dieser Fotografielehrer Finali war. Wir wussten nicht, wer dieser Finali war, und wir hatten von ihm noch nie ein Foto gesehen. Dann vertieften wir eben unsere Recherchen und nahmen Kontakt mit den Angehörigen oder den Hinterbliebenen in Österreich auf. Wir entdeckten dabei immer mehr Informationen, die es uns ermöglichten, diese Person zu fassen, diese sehr faszinierende Person mit dem so tragischen Schicksal.

Von der Familie erhielten wir Fotos: Fotos, die er selbst machte – er war ein herausragender Fotograf. Seine Familie schickte uns auch ein Gedicht, ein Gedicht, das Sie bei der Ausstellungseröffnung sehen. Das ist das Gedicht eines Mannes, der seine Heimat verloren hat. Die Geschichte dieses Albums und die Geschichte dieser Person, dieses Herrn Finali, haben immer mehr Bezug für mich hergestellt, das war für mich auch sehr, sehr wichtig, und das galt dann auch für die anderen Ausstellungsobjekte. Später konnte ich dann die Familie Finali treffen. Das war ein sehr, sehr wichtiger Schritt für mich.

Noch einen anderen Gegenstand möchte ich erwähnen, und zwar eine kleine Schachtel, die ein Mädchen erhielt, und zwar als Geburtstagsgeschenk von ihren Freundinnen und Freunden. Das ist die Kladovo-Šabac-Affäre, Dani Dayan hat das angesprochen, das ist die Sache, in der auch Marta Byk eine Rolle spielte. Über diese Geschichte wusste ich eigentlich nicht viel. Das ist eine sehr, sehr tragische Geschichte von jungen, glücklichen Zionistinnen und Zionisten, Jüdinnen und Juden, die versuchten, aus Österreich davon und entlang der Donau in das britische Mandatsgebiet Palästina zu gehen, nach Eretz Israel, aber sie steckten dann in Jugoslawien fest und konnten 18 Jahre nicht weiter oder wurden von den Deutschen ermordet.

Auch darauf stieß ich in meinen Recherchen für diese Ausstellung. Ich habe in Israel eine Familie kennengelernt, eine Frau, deren Mutter auch bei diesem Transport dabei war, sie war eine von den 200 Überlebenden. Diese Frau sagte mir, dass sie von dieser Reise auf der Donau, von dieser Flucht noch einen Gegenstand, einen Erinnerungsgegenstand hatte.

Ich dachte zuerst, in Yad Vashem haben wir gar nichts zu diesem Thema, und das wäre aber sehr wichtig, dass die Menschen, die Besucherinnen und Besucher von Yad Vashem darüber mehr erfahren. In diesen Diskussionen ergab sich dann zwei Monate später, dass sie mich anrief und mir sagte, sie hätte diese Schachtel, die sie Yad Vashem spenden wollte. Das war für uns ein sehr starkes Symbol, ein sehr starkes Zeichen. Wir haben uns dann sehr gut angefreundet, und für mich ist das ein ganz besonderer Gegenstand.

Rifka Junger (in deutscher Simultandolmetschung): Also nicht jeder Gegenstand war schon in Yad Vashem, sondern einige sind durch Ihre Arbeiten erst in Ihr Zentrum gekommen, und jeder Gegenstand birgt eine ganze Geschichte, eine tragische Geschichte, ein Schicksal. (Ende der deutschen Simultandolmetschung.)

Tobias, die Fotos: Viele davon sind ja auch nicht in Yad Vashem gewesen, sondern sind von euch an Yad Vashem übermittelt worden. Das Gedicht, das ich vorhin erwähnt habe, erzählt auch von diesem starken Verlust, den Ihr Urgroßvater gespürt hat. Gibt es eine Message für heute, für die Welt von heute aus der tragischen Geschichte von damals, von der Sie erhoffen, dass die Menschen sie mitnehmen?

Tobias Brossmann: Ja, also ich denke, dass sehr, sehr viele, sehr traurige Nachrichten in diesem Gedicht drinnen stecken. Wir haben es auch in den Reden am Anfang gehört: Auch heute ist das ein stark politisches Thema und gerade Antisemitismus ist ein Riesenthema. In dem Gedicht von Richard kommt ganz stark heraus, wie vielseitig dieser Mensch war. Richard war ein Patriot. Er war jemand, der begeistert wandern gegangen ist, der im Ersten Weltkrieg für Österreich gekämpft hat, der im Widerstand gegen den Austrofaschismus gekämpft hat, der anderen Jüdinnen und Juden geholfen hat, damit sie ausreisen können und vielleicht einen Job, eine Arbeitsstelle irgendwo bekommen können.

Für ihn kam jede Möglichkeit, Asyl zu bekommen, zu spät, denn alle Länder, die ihn hätten aufnehmen können, die Schweiz, Großbritannien, die USA, haben das nicht getan, obwohl sie das hätten tun können, und deswegen hat sein Leben 1942 auch sein Ende gefunden. Ich denke, das ist auch eine Nachricht, die man aus seinem Leben und aus seiner Biografie rausziehen kann: dass es die Möglichkeiten für Menschen braucht, Asyl zu bekommen. Es ist wichtig, dass diese Menschen nicht pauschalisiert werden und wir nicht die Ungleichwertigkeitserzählungen in unserer Gesellschaft nähren, sondern ein Auge für die Menschen und ihre Geschichten, ihre Vielfältigkeit haben und ihnen die Möglichkeit geben, auch in sichere Länder wie Österreich zu fliehen, wenn sie politisch verfolgt werden.

Ich wünsche mir eine ähnliche Inbrunst wie in der Eingangsrede dabei, auch klar zu sagen, dass eine Partei wie die Freiheitliche Partei, die einen antisemitischen Einzelfall nach dem nächsten produziert, ihren Anführer Volkskanzler nennt, so wie sich damals Adolf Hitler genannt hat, dass diese Partei nicht in eine Regierungsverantwortung in Österreich kommt. (Beifall.)

Es ist fast schon schmerzhaft für mich, nur diese Seiten und diese Nachrichten aus seinem Leben und seinen Geschichten jetzt hier teilen zu können, weil für anderes vielleicht die Zeit fehlt, aber trotzdem scheint es mir unglaublich notwendig.

Rifka Junger: Wir haben leider nicht mehr viel Zeit. Ich hätte noch einige Fragen, also ich könnte eigentlich stundenlang Fragen stellen und zuhören.

(In deutscher Simultandolmetschung:) Michael, viel Zeit bleibt uns leider nicht mehr, aber ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Botschaft für uns haben. Was ist Ihre Hoffnung in Bezug auf diese Ausstellung? Was werden die Menschen, die Besucher und Besucherinnen aus dieser Ausstellung mitnehmen?

Michael Tal (in deutscher Simultandolmetschung): Ich hoffe, dass die Menschen einen Bezug zum Schicksal dieser Menschen herstellen können und dass sie verstehen können, was diese Menschen erlitten haben. Das waren Menschen, die einfach leben wollten. Das Gedenken an sie ist hier in diese kleinen Gegenstände eingeschlossen, und diese Gegenstände lassen wir sprechen, lassen wir die Geschichten dieser Menschen erzählen.

Und noch etwas: Die Vorbereitung dieser Ausstellung brachte mich der Geschichte meiner eigenen Familie näher, die ebenfalls hier in Wien ist. Der Cousin meines Vaters ist in Österreich bekannt, er ist an der Namensmauer, darüber freuen wir uns sehr. Diese ganze Ausstellung war für mich wie eine Reise, eine Reise zu meinen eigenen Wurzeln, zu den Wurzeln meiner Großeltern, die lange vor dem Anschluss emigrierten, aber die ganze restliche Familie war zur Zeit des Anschlusses noch hier. Kurt Yakov Tutter hat auch in meinem Herzen einen ganz besonderen Platz, und ihm und seinen Angehörigen möchte ich diese Ausstellung auch widmen. (Beifall.)

Rifka Junger: Meine Damen und Herren, wir kommen zum Ende der Eröffnung. Bevor wir noch ein letztes Stück genießen dürfen, möchte ich mich von euch verabschieden, mich bedanken, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Ich hoffe, dass diese Ausstellung auch viel mitgibt und die Geschichten dieser Familien auch weiterleben werden.

Der Weg zur Säulenhalle führt über diese Tür hinauf, es gibt Schilder entlang des Weges in den ersten Stock. Wir laden gleichzeitig auch zum Empfang ein, es ist ein koscherer Empfang.

Ich möchte nun Voice of Peace um ein Stück bitten: Fisherah – On The Street erzählt die Geschichte eines jungen Musikers, der durch die Straßen wandert und musiziert, es erzählt von – und wir kommen wieder zurück zum Anfang – the Wandering Jew. – Vielen Dank. (Beifall.)

Chen Zimbalista (Voice of Peace) (in deutscher Simultandolmetschung): Liebe Freundinnen und Freunde, lieber Herr Sobotka, lieber Dani! Wir bedanken uns ganz herzlich, dass wir zu dieser so wichtigen Ausstellungseröffnung von Parlament und Yad Vashem eingeladen sind und daran teilnehmen dürfen. Unsere Gruppe ist ziemlich vielfältig und ziemlich gemischt. Wir möchten an das Ende dieses Abends ein sehr dynamisches und energiegeladenes Stück stellen. Wir haben uns für einen jüdischen Song entschieden, Timna Brauer wird singen, aber davor haben wir noch ein anderes Stück gewählt.

Marwan und ich wurden ungefähr im selben Jahr im Nahen Osten geboren, und zwar in Ländern, die eine feste Grenze zueinander hatten. Marwan sagte: Ja, natürlich werde ich mitspielen, ich möchte mit einem Sabbatsong einstimmen! – Vielen Dank, Marwan! Danke, Stefan Heckel, danke, Erich Huetter, Timna Brauer! (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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(Beifall.)