Transkript der Veranstaltung:
Virtuelle Veranstaltung anlässlich des Internationalen Weltfrauentages

Patricia Pawlicki (Journalistin): Herzlich willkommen, meine Damen und Herren! Wir sind hier im Dachfoyer in der Hofburg, anlässlich des Internationalen Frauentages. Die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures hatte die Idee zu dieser Veranstaltung, die unter dem Titel steht: „Unter Druck – Frauen in der Krise“. Herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind!

Hier im Publikum sind wir nur ganz wenige – ausschließlich Frauen, was mich besonders freut. Bei Ihnen zu Hause über den Stream des Parlaments oder über Facebook hoffe ich doch sehr, dass es auch viele Männer gibt, die heute zuhören.

Wir werden sehr viele wichtige Themen besprechen. Teilweise sind die heute schon in der Sondersitzung des Parlaments angerissen worden. Es war heute zum ersten Mal, dass es am Weltfrauentag eine Sondersitzung des österreichischen Parlaments gegeben hat, wo sehr klar herausgekommen ist, welche unglaubliche, große, starke und herausfordernde Rolle die Frauen in Österreich seit der Pandemie innehaben und einnehmen müssen.

Vielleicht nur eine Zahl: So ist die Arbeitslosigkeit unter Frauen seit der Pandemie in Österreich um 40 Prozent gestiegen, die der Männer um 24 Prozent.

Ich darf Ihnen ganz kurz etwas zum Ablauf sagen: Es wird die Historikerin Gabriella Hauch, Professorin für Geschichte an der Universität Wien, uns dann gleich das Impulsreferat geben. Es wird danach Präsidentin Doris Bures eine Keynotespeech zum Thema: Frauen 2021, eine kritische Analyse, halten. Danach freue ich mich ganz besonders, dass wir heute, an diesem Internationalen Frauentag, zwei Frauen begrüßen dürfen, die tatsächlich eigentlich für jede Frau ein Rolemodel sein können, könnten, müssen – in Wirklichkeit müssen.

Ich darf ganz herzlich Dr.in Erika Freeman begrüßen – herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind –, Psychoanalytikerin, Autorin, eigentlich wirklich ein Star in den USA. Wir werden dann gleich darüber reden. Und ich freue mich auch ganz besonders, dass Jutta Menschik-Bendele zu uns gekommen ist, ehemalige Ordinaria der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt, auch Psychotherapeutin. Auch sie wird uns sehr viel erzählen können, auch wie Frauen sich stärken können, gerade jetzt in der Krise.

So, die Regie sagt mir gerade ins Ohr, dass ich schon wieder viel zu lange spreche, deswegen würde ich jetzt gerne Frau Prof. Gabriella Hauch bitten, dass sie zu uns kommt: Impulsreferat Zukunft braucht Vergangenheit, 110 Jahre Weltfrauentag heute in Österreich, vom Frauenleben damals und heute. – Bitte, Frau Professorin.

Gabriella Hauch (Universitätsprofessorin für Geschichte, Universität Wien): Liebe Frauen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause an den Bildschirmen! Wir wollen das Glück der Menschheit: Mit diesem Motto feierten die Sozialdemokratinnen in Linz den Frauentag im Jahre 1917. Eine sehr erstaunliche Parole, denn gerade in Kriegszeiten, in Zeiten von Hunger, Not und Tod wurden normalerweise bei Demonstrationen zum Internationalen Frauentag auch in der Monarchie und in der Ersten Republik Transparente mit Losungen mitgetragen, die irgendwie sehr konkret gefordert haben: Weg mit dem patriarchalen Eherecht!, oder: Her mit dem gleichen Lohn für Arbeit! Im Gegensatz dazu wird mit dieser universalen Forderung nach dem Glück der Menschheit keine spezifische Ungerechtigkeit fokussiert. Es werden keine Klassen oder Geschlechterdifferenzen beschworen, sondern mit dem Glück der Menschheit wurde quasi ein Raum zum Nachdenken, ein Raum für utopische Zukunftsentwürfe für im wahrsten Sinn des Wortes alle entworfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frauen! Diese zentrale Parole aus der österreichischen Provinz vor über 100 Jahren ist wahrhaftig sehr aktuell. Es braucht einen offenen Raum für das Erinnern an Vergangenheiten und an Traditionen, die ein gutes Leben für alle zum Ziel hatten. Es gilt, sie ernst zu nehmen und als hoffnungsfrohe Traditionen zu nutzen. Und dieser offene Raum steht für das Nachdenken und für die Entwicklung neuer Konzepte und Strategien, wie das Ziel, das Glück der Menschheit, zu erreichen sei. Das meint der Titel meiner kurzen Ausführungen zu: Zukunft braucht Vergangenheit.

Geschlechtsspezifisch inspiziert bedeutete das Glück der Menschheit damals, das heißt in der Monarchie, während des Ersten Weltkrieges, zuallererst die Aufhebung derjenigen Gesetze, die Frauen zu Menschen zweiter Klasse gemacht haben, denn das zeichnet die Entwicklung der bürgerlichen Moderne des 19. Jahrhunderts aus: Geschlecht wurde zu ihrer zentralen Ordnungskategorie, Frauen wurden vom Gesetzgeber als Geschlechtergruppe gefasst. Das heißt, die Rede von „den Frauen“ ist keine Erfindung des Feminismus, sondern eine der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Gesetzgeber und ihrer Ideologen.

1811 definierte das Familienrecht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch im § 91 den Mann als Haupt der Familie. Die Frau wurde von ihm erhalten, dafür musste sie ihn und die Kinder versorgen, ihm an jeden Wohnort folgen, sie war ihm zum Beischlaf verpflichtet und musste gratis an seinem Verdienst mitwirken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Älteren unter Ihnen können sich wahrscheinlich noch an die Sechzigerjahre erinnern, als Ehemänner ihren Frauen die Erwerbsarbeit verbieten konnten oder als Frauen die Unterschrift des Ehemannes für einen Pass gebraucht haben. Wenn ich das meinen Studierenden heute erzähle, bekommen sie große Augen und können das nicht glauben – und das ist gut so.

Gleichzeitig entsprach dieses Familienmodell aus dem AGBG von 1811 nicht den realen Lebensverhältnissen der Menschen, denn die große Masse der Frauen war erwerbstätig. 1910 waren 43 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich weiblich. Lassen Sie sich das ruhig auf der Zunge zergehen, denn all diese Erzählungen über die gute alte Zeit, als die Frauen noch Hausfrauen waren, hat mit der gesellschaftlichen Realität sehr wenig zu tun.

Der zweite Bereich, der den Platz der Frauen in der Gesellschaft fixiert hat, war die Politik. § 30 des Vereinsrechts verbot Frauen, sich gemeinsam mit Männern oder alleine in politischen Vereinen oder Parteien zu organisieren – bis 1918. Aber selbstverständlich suchten sich Frauen in die Angelegenheiten des Staates – so wurde politisch sein damals definiert – einzumischen. Sie mussten eigene Frauenvereine gründen und diese explizit als unpolitisch definieren, auch wenn sie keine waren.

Drittens: Es gab keine höhere Bildung, keine Berufsausbildungen. Es gab keine Mädchengymnasien und sie hatten auch keinen Zugang zur Universität. Das erste private Mädchengymnasium in Österreich wurde 1892 in Wien gegründet, das Gymnasium in der Rahlgasse im 6. Bezirk. 1897 eröffnete die philosophische Fakultät der Universität Wien als erste ihre Tore auch für Frauen. Bei so einer Ausgangslage ist es nur logisch, dass die Frauen, die in diese für sie vorher per Geschlecht geschlossenen Bereiche eingetreten sind, zu etwas Besonderem geworden sind. Vorher per Geschlecht ausgeschlossen gelten sie jetzt als die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Die Scheinwerfer wurden und werden auf sie gerichtet. Besteht sie den Vergleich? Schafft sie es? Kommt sie mit den Bedingungen klar? Übrigens Bedingungen, die von Männern für Männer gemacht wurden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich Ihnen ganz deutlich den Film von Beate Thalberg „Die Unbeugsamen – drei Frauen und der Weg zum Wahlrecht“, ein „Universum History“, empfehlen. Er ist übermorgen auf 3sat zu sehen und später noch in der ORF TVthek nachzusehen. Sorgfältig recherchiert, spannende Erzählungen, tolles historisches Filmmaterial etwa zum ersten Frauentag in Wien oder zu Clara Zetkin, auf deren Initiative im Jahr 1910 bei der Sitzung der Sozialistischen Internationale in Kopenhagen der Internationale Frauentag als Jahrestag beschlossen wurde. Dieser Tag sollte den Kampf ums Frauenwahlrecht wieder ankurbeln, aber er war auch als Feiertag für die eigene Stärke gedacht.

Im Jahr darauf, 1911, marschierten am ersten – also sozialistischen – Frauentag am 19. März 20 000 Menschen in Wien über die Ringstraße. Bei der Abschlusskundgebung sprach neben der führenden Sozialdemokratin Adelheid Popp, die übrigens auch in dem Film „Die Unbeugsamen“ vorkommt, auch eine Vertreterin des bürgerlich-liberalen Frauenstimmrechts, Ernestine von Fürth. Diese Überparteilichkeit beim ersten Frauentag wurde als Erfolg verbucht. Es sollte wirklich ein Tag aller Frauen sein.

Dieser Tag wurde aber nicht nur in Wien gefeiert, sondern in allen größeren Städten und Industrieorten der Monarchie. Ein Blick in die sogenannte Provinz zeigte auch dort Begeisterung und Erfolg. Zum Beispiel versammelten sich in Linz weit über 2 000 Frauen. Das war bei den rund 98 000 Einwohnern und Einwohnerinnen, die Linz damals hatte, eine ganz schöne Zahl.

Mit der Gründung der Ersten Republik Österreich im Kontext der österreichischen Revolution wurden die ursprünglichen Anliegen des Internationalen Frauentages, nämlich die Abschaffung der politischen und rechtlichen Ausschlusskategorie weibliches Geschlecht, erfüllt. Frauen, allerdings bis 1923 mit Ausnahme der Prostituierten, haben das Wahlrecht erhalten und jetzt durften sie sich auch ganz offiziell politisch organisieren, Bubengymnasien besuchen und auch studieren. Deswegen hat sich die Frage erhoben, ob denn das Frauentagfeiern nicht obsolet geworden wäre, und von 1919 bis 1924 fanden auch keine Frauentage der Sozialdemokratinnen mehr statt.

Allerdings war Ende des Ersten Weltkrieges aufseiten der Linken durch die Gründung der Kommunistischen Parteien eine neue politische Kraft auf internationaler Ebene entstanden, und diese nahmen die Tradition des Internationalen Frauentages auf. Eine Konkurrenz solcher Art wollten sich die Sozialdemokratinnen nicht gefallen lassen, aber sie haben in diesen wenigen Jahren der Ersten Republik auch registrieren müssen, dass die offiziell nun verankerte Gleichheit der Geschlechter außerhalb der Wahlkabine kaum in die Realität sickerte und dass das auch in der nun gemeinsamen Partei mit den Genossen galt. Sie brauchten einen Hebel, sich auf die Füße zu stellen, und das war ab 1924 wieder der Internationale Frauentag. So gab es verschiedene Frauentage. In Wien marschierten Zehntausende Sozialdemokratinnen, geschmückt mit roter Nelke, und die Kommunistinnen nur zu einigen wenigen Hunderten mit roten Kopftüchern. Wichtig war das öffentliche Zeigen, den öffentlichen Raum für Frauen und ihre Anliegen zu erobern.

Die Frauentage der Ersten Republik waren ein Projekt der Linken. Die bürgerlich-liberalen, parteiunabhängigen Frauen hatten in dieser Zeit keine Konjunktur. Zu den katholischen und den deutschnationalen Frauen gab es nach einigen überparteilichen Zusammenschlüssen im Nationalrat zur Frauenbildung und zum Thema rechtliche Absicherungen von Frauen am Beginn der Zwanzigerjahre keinerlei Brückenschlag mehr. Das wird besonders seit dem Eintreffen der internationalen Wirtschaftskrise in Österreich Anfang der 1930er-Jahre deutlich. Die kurze Erfolgsstory der Frauenemanzipation ging ihrem Ende zu. Die Regierung, eine Koalition von Christlich-Sozialen und Deutschnationalen, begegnete der Krise mit Austeritätspolitiken, die durch harte Sparmaßnahmen geprägt waren.

Bereits damals analysierten Wissenschafterinnen wie Käthe Leichter oder Marie Jahoda die frauenspezifischen Folgen. Heute tun das etwa für die Finanzkrise des Jahres 2008 ff. oder die heutige sogenannte Coronakrise eine geschlechtersensible und feministische Ökonomie. Ihr Befund betreffend die geschlechtsspezifischen Betroffenheiten in und durch die Krisen nimmt vor allem die Trennung und die Hierarchisierung von öffentlichem Bereich und privatem Bereich in den Blick. Sogenannte Krisenlösungsstrategien blenden den Bereich der Reproduktion, das heißt der Pflege und Versorgungsarbeit, aus beziehungsweise wird das unausgesprochene Funktionieren des Alltags durch Mehrleistungen von Frauen vorausgesetzt.

Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich: Der Mann ist das Haupt der Familie, ihm die Politik und Öffentlichkeit, der Frau das Private. Deswegen ist der Hinweis auf die Geschichte der Gewordenheit der Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse kein unzeitgemäßes Jammern, sondern die Grundlage für die Analyse, warum die gesellschaftlichen Machtverhältnisse so sind, wie sie sind, nämlich ungerecht. Die neue Frauenbewegung, die in den 1970er-Jahren entstanden ist, hat lustvoll an die kämpferische Tradition des Internationalen Frauentages angeknüpft, und sie entwickelte vor allem ein zentrales Motto: Das Private ist politisch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Wir leben derzeit in einer multiplen Krisensituation: von Corona über das Klima bis zu den sozialen Ungleichheiten und den Geschlechterverhältnissen, die nicht mehr nur Männer und Frauen, sondern auch Inter- und Transpersonen meinen, aber immer noch Machtverhältnisse sind. Gerade in dieser Situation eröffnet die Erkenntnis, das Private ist politisch, den Raum für die notwendige gesellschaftspolitische Transformation für das Glück der Menschheit. – Danke.

Patricia Pawlicki: Herzlichen Dank für den Vortrag! Ich glaube, mein Mikrofon ist jetzt auch eingeschalten, herzlichen Dank! Bevor Präsidentin Doris Bures jetzt gleich mit ihrer Analyse Frauen 2021 auf die Bühne kommen wird, habe ich noch eine Bitte an Sie zu Hause: Wenn Ihnen Fragen eingefallen sind, stellen Sie diese bitte! Sie können auf Facebook diese Fragen schreiben. Wir bekommen die Fragen. Ich werde die Fragen dann auch an unsere beiden Gästinnen weiterleiten. Auch jetzt bei der Keynote der Nationalratspräsidentin Doris Bures: Was immer Ihnen an Fragen einfällt, auf Facebook schreiben und wir werden die Fragen dann beantworten.

Bitte die Keynote von Doris Bures. – Herzlichen Dank, herzlich willkommen!

Doris Bures (Zweite Präsidentin des Nationalrates): Liebe Weltfrauen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor 110 Jahren wurde der Weltfrauentag ins Leben gerufen, und er begann mit einem Brot-und-Rosenstreik. Die New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneiderman sagte 1911: The woman worker needs bread, but she needs roses too.

Ich denke, Gabriella Hauchs Ausführungen haben gezeigt, dass das bis heute Gültigkeit hat. Es geht auch heute um faire Einkommen und um gerechte oder menschenwürdige Lebensbedingungen. Die Geschichte hat uns auch gezeigt – und wir hatten ja jetzt einen kurzen Rückblick in der Frauengeschichte –, dass der Weg zur Gleichberechtigung kein linearer war. In der Entwicklung hat es Phasen des Fortschritts gegeben, es hat Phasen des Stillstands gegeben und es gab auch einen massiven Rückschritt im Bereich der Emanzipation und Gleichberechtigung von Frauen.

Ich und meine Frauengeneration durften den Fortschritt in der Frauenpolitik erleben. Und es ist vielen Pionierinnen der Frauenbewegung gelungen, manch große Schritte, ganz, ganz viele kleine Schritte zu setzen, um diesen Weg der Aufhebung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auch zu erreichen und eben ein Mehr an Lebenschancen und besseren Lebensbedingungen für alle Frauen in unserem Land zu schaffen. Manchmal war das etwas langsam und manchmal war es auch etwas zaghaft, aber es hat diese Weiterentwicklung gegeben.

Ich finde, am deutlichsten sieht man es daran, wenn man einen historischen Rückblick hört, aber auch wenn wir uns die Lebenssituation der Frauen ansehen. Wenn ich an die Lebenssituation meiner Großmutter und ihr Frauenleben denke und das mit meiner Tochter und jungen Frauen heute vergleiche, dann sieht man: Es hat sich vieles zum Besseren entwickelt, aber zu wenig. Der Weg ist noch ein weiter, der dazu führt, dass wir mehr an Unabhängigkeit, dass wir ein Weniger an Ungerechtigkeiten, ein Mehr an Diversität in unserer Gesellschaft, von der wir alle profitieren würden, auch erreichen. Ich bin den Pionierinnen der Frauenorganisation dankbar dafür, dass wir heute auf ihren Schultern stehen können und diese frauenpolitische, positive Weiterentwicklung auch weitertragen können.

Es ist so, dass wir wie gesagt viel zu tun haben. Ich weiß, es gibt auch Frauenleben, für die scheint ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben unerreichbar oder eine Utopie zu sein. Es wird unsere Aufgabe sein, das in die Realität, in ihr Frauenleben zu bringen, sodass nächste Frauengenerationen davon reden können, dass wir die Geschichte so fortschreiben, dass es für zukünftige Frauengenerationen eben tatsächlich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben geben kann.

Wenn ich heute die Aufgabe habe, so eine frauenpolitische Standortbestimmung vorzunehmen, dann kann das natürlich auch nur geschehen, indem man zwölf Monate Krisenentwicklung, zwölf Monate eine Pandemie in Österreich, in Europa, weltweit auch miteinbezieht und sich einer Analyse unterzieht. Es zeigt sich deutlich, dass natürlich alle von dieser Krise betroffen sind, Frauen allerdings wesentlich stärker. Es zeigt sich auch, dass gesellschaftliche Ungleichheiten, die wir noch nicht überwunden hatten, jetzt eigentlich noch stärker werden und sich in Wirklichkeit massiv verschärfen. Also die Pandemie, die Krise, die damit auch verbunden ist, trifft uns alle, als Gesellschaft insgesamt, aber uns Frauen im Besonderen und uns Frauen massiv stärker.

Man könnte fast sagen, für viele Frauen wurde in diesen letzten zwölf Monaten das Leben auf den Kopf gestellt. Und ich möchte ein paar Zahlen nennen, die das leider auch verdeutlichen. 7 Prozent der Frauen sind heute arbeitslos, das ist ein doppelt so hoher Prozentsatz als bei den Männern. Die Arbeitslosigkeit stieg dramatisch, Patricia Pawlicki hat darauf verwiesen. Die Arbeitslosigkeit ist insgesamt dramatisch gestiegen, bei Männern um rund 24 Prozent, bei Frauen um über 40 Prozent in diesen letzten zwölf Monaten.

75 Prozent aller Frauen, das heißt, drei von vier Frauen, die Kinder unter 15 Jahre haben, arbeiten in Teilzeit. Es sind 6 Prozent der Männer im Vergleich dazu. Damit verbunden sind geringere Löhne und in Folge natürlich geringere Pensionen, und viele ältere Frauen leben unter der Armutsgrenze. Das führt auch dazu, dass in Österreich mit heutigem Stichtag und Untersuchungen jede dritte Frau von ihrem Einkommen nicht leben kann und sich daher in Abhängigkeit vom Partner befindet und eben kein unabhängiges Leben führen kann.

Österreich ist bei einzelnen Parametern, was Frauenungleichheiten betrifft, im EU-Vergleich noch immer trauriges Schlusslicht. Bei den Vorständen, die auch für viele Frauen Vorbilder sein können – Frauen als Vorstände in börsennotierten Unternehmen –, sind wir in den EU‑27 gerade an 26. Stelle. Liechtenstein ist das einzige Land, wo es noch dramatischer ist. Wir sehen, was Karrierechancen betrifft, haben Frauen hier eine Menge aufzuholen, und Österreich ist da in der Europäischen Union fast Schlusslicht. Das gilt auch beim Genderpaygap. Da sind wir von den EU‑27 an 25. Stelle und haben nur zwei Länder hinter uns – und, und, und, und, und. Sie kennen diese Zahlen. Jeder kennt aus seinem Leben nicht nur eine Zahl, sondern eine konkrete Lebenssituation, an der man sieht, dass im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter wir wirklich noch viel zu tun haben, weil die Lebensrealität der Frauen das eigentlich täglich vor Augen führt.

Ich finde, dass diese Zahlen eben unseren Standort bestimmen, aber es ist der Standort, an dem wir nicht stehen bleiben werden, sondern den es gilt, zu verändern, unseren Standort in diese Richtung zu verändern, dass wir uns dagegenstemmen, wenn es Entwicklungen gibt, die nicht ein Fortschreiten der Gleichstellung von Frauen in sich haben, sondern die Gefahr eines Rückschritts der Rollenklischees, der Rollenbilder von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft, und die dazu führen können – und diese Gefahr besteht –, dass Frauen zu den Krisenverliererinnen werden.

Weil wir uns diese Zahlen vor Augen führen, nicht indem wir dann traurig darauf hinschauen, sondern weil uns die Zahlen für uns und die Lebenssituation der Frauen, die sich in diesen Zahlen ja widerspiegelt, Motivation, Kraft und Entschlossenheit geben sollen, um daraus die notwendigen Veränderungen für die Frauen zu erreichen, freue ich mich jetzt ganz besonders auf die Diskussion. Wenn wir davon reden, dass wir Frauen eine innerliche, seelische Gefasstheit brauchen, um diese politische Auseinandersetzung führen zu können, dass wir diese psychische Stärke brauchen, die so eine Auseinandersetzung uns auch abverlangen wird, dann zeigt sich, dass es notwendig ist, dass wir uns auch darüber unterhalten, was diese Krise mit uns Frauen eigentlich macht, und was wir tun müssen, um zu verhindern, dass sie uns kraftlos macht, um das Gegenteil aus dieser Situation zu machen.

Es ist notwendig, dass wir uns mit der psychischen Verfasstheit der Frauen befassen. Ich teile natürlich zu 100 Prozent, das wissen wir Frauen am meisten: Das Private ist politisch, und daher ist auch die Frage der seelischen und psychischen Verfasstheit eine politische Frage. Ich glaube, daher ist es auch so schön und wichtig und richtig, dass diese Diskussion im österreichischen Parlament stattfindet, dem Ort der Demokratie und der Politik, weil es politisch ist. Es ist auch der Internationale Frauentag der richtige Moment, das wieder zu sagen, immer wieder zu sagen, nicht nur an dem einen Tag. Aber den werden wir heute nicht vergehen lassen, ohne darüber zu sprechen und uns darüber auch Gedanken zu machen.

Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Ich möchte mich bei der Journalistin Patricia Pawlicki ganz herzlich bedanken, die das Hohe Haus kennt wie ihre Westentasche. Sie hat die Sendung jahrelang moderiert und immer einen Einblick gehabt. Sie kennt die Situation der Frauen in der Welt und moderiert das „Weltjournal“, und sie moderiert ein neues Format im Österreichischen Rundfunk, das heißt „3 Am Runden Tisch“.

Was gibt es Schöneres, als heute drei Frauen am runden Tisch zu haben und diese Diskussion zu führen? Ich freue mich wirklich, weil alle drei faszinierende, beeindruckende und starke Frauen sind. Daher vielen Dank auch an Jutta Menschik-Bendele. Sie ist wie gesagt Psychoanalytikerin und sie war über 15 Jahre lang die einzige weibliche Professorin an der Universität in Klagenfurt.

Ich möchte auch abschließend meinen größten Respekt und meine Hochachtung Frau Erika Freeman aussprechen, die aufgrund ihrer eigenen Biografie, ihrer eigenen Lebensgeschichte weiß, was es heißt, mit Krisen umzugehen und aus diesen Krisen auch stark zu werden und sie zu bewältigen. Sie ist eine der anerkanntesten Psychoanalytikerinnen der USA. Sie ist Frauenrechtlerin; sie hat sich auch in einem der Interviews so bezeichnet. Ich möchte auch sagen – weil es so viele Menschen gibt, die die Meinung vertreten, es gibt im Leben keinen Zufall –: Ich habe vorher immer gedacht, ich habe Erika Freeman zufällig getroffen; aber es gibt eben keinen Zufall im Leben. Es war am politischsten Ort, den es in Wien gibt, es war das Kaffeehaus, in dem wir uns ganz zufällig getroffen haben und nach einem zweiminütigen Gespräch, glaube ich, war klar, dass wir uns wiedersehen möchten und gemeinsam auch ein Gespräch führen möchten, wofür ich mich auch persönlich ganz, ganz herzlich bedanke.

Wie gesagt, wir werden gemeinsam alle, auch Sie zu Hause, diese Frauengeschichte trotz der Krise oder gerade wegen der Krise, weil Frauen sie besser bewältigen, positiver weiterschreiben. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass zukünftige Frauengenerationen in einer solidarischeren, in einer diverseren, in einer faireren und gerechten Zukunft auch selbstbestimmt leben können. Daran erinnert uns der 110. Weltfrauentag. Daher: von Herzen alles Gute, Brot und Rosen!

Patricia Pawlicki: Herzlichen Dank! Herzlichen Dank, Präsidentin Doris Bures, für diesen Impuls und auch diesen Aufruf, dass wir dranbleiben sollen, dass wir weitermachen sollen. Ich möchte jetzt gleich einen Gedanken aus dieser Analyse hier auch weitertreiben.

Frau Dr. Erika Freeman, Präsidentin Doris Bures hat jetzt in ihrem Impulsreferat gesagt, es gab immer wieder auch Rückschritte in der Frauenbewegung. Wir sind jetzt eben, auch das haben wir gehört, in der Situation, dass Frauen in dieser Pandemie viel mehr ertragen müssen und gleichzeitig viel mehr draufzahlen. Ist Ihre Analyse auch, dass Frauen jetzt wirklich weltweit einen Rückschritt erleben müssen, hinnehmen müssen, gerade aufgrund der Pandemie?

Erika Freeman (Psychoanalytikerin, Zeitzeugin und Autorin): Das ist kein Rückschritt, das ist so wie immer. Wenn es viel ist, kriegen wir mehr. Wir schauen das als ganz gewöhnlich, normal an. Natürlich, es ist mehr zu tragen – wir tragen mehr, und wir fragen nicht einmal: Warum soll ich das selbst tragen? Wenigstens haben wir jetzt Kameradinnen, die mit uns tragen. Mit den Männern ist das keine Frage; natürlich machen wir ein paar Gentlemen, die sollen auch was tragen für uns.

Patricia Pawlicki: Ich habe eine ganz liebe Freundin Ihrer Generation. Die lebt auch in New York, auch eine emigrierte Wienerin, Dschudi Kisselof (phonetisch). Mit ihr habe ich vor ein paar Tagen telefoniert, und sie hat gesagt, wenn sie jetzt noch eine junge Frau wäre und es würde Mother’s Day sein – der ist in den Vereinigten Staaten immer, glaube ich, eine Woche oder zwei Wochen später als bei uns –, sie würde sich einen Boxsack zum Mother’s Day wünschen.

Erika Freeman: Okay. Ich glaube, man kann Mother’s Day haben, man kann Frauentag - -Zwei Tage! Normalerweise haben wir nur einen Tag gekriegt, Mother’s Day. Endlich haben wir Frauentag – zwei Tage! Die Männer kriegen das ganze Jahr? Entschuldigung! Wir brauchen das ganze Jahr. Wir gebrauchen das ganze Jahr. Wir tun mehr. Wir verlangen weniger. Wir kriegen weniger, weil: Wir arbeiten dieselbe Arbeit und kriegen viel weniger. Vielleicht fängt es schon anders an, aber wir waren immer – wie sagt man? – grateful, dankbar, dass wir sie überhaupt bekommen haben, anstatt zu sagen: Was heißt das? Was hat da solange gedauert? Für das, was wir uns erkämpfen, sind wir noch dankbar.

Patricia Pawlicki: Sie haben in Ihrer ganz langen Karriere als eine wirklich sehr, sehr bekannte Analytikerin in New York wirklich viele Leute beraten – das durfte ich in Ihrem Lebenslauf auch lesen –, auch Männer, Woody Allen, Robert De Niro steht da geschrieben.

Erika Freeman: Robert De Niro nicht.

Patricia Pawlicki: Robert De Niro nicht, aber Woody Allen.

Erika Freeman: Aber das waren Freunde, das waren nicht Patienten. Ich rede niemals - -

Patricia Pawlicki: Okay, waren Freunde. Aber Golda Meir steht auch auf Wikipedia. Haben Sie sie beraten oder war sie auch eine Freundin?

Erika Freeman: Ja, beides. Zuerst waren wir Freunde und dann wurde ich ihre Beraterin. Darf ich Ihnen ein Beispiel geben?

Patricia Pawlicki: Ja, bitte.

Erika Freeman: Ich war in Tel Aviv vor vielen Jahren. Um Mitternacht ruft mich ihre PA an und sagt: Golda packt und sie ist sehr nervös, weil sie morgen nach Amerika fliegt und Nixon sehen muss! Jeder weiß, er war ein Antisemit, und es war schwer. Also sie macht sich Sorgen. Sie fragt: Willst du, kannst du mit ihr reden? Mitternacht, Golda macht sich Sorgen – natürlich will ich mit ihr reden. Dann sage ich: Schau, Golda, mach dir keine Sorgen, du kriegst alles, was du willst! Es ist ganz still. Da sagt sie plötzlich: Ich habe dich niemals gefragt. Wenn du mir etwas gesagt hast, habe ich es immer geglaubt. Aber dieses Mal – weil jeder weiß, Nixon ist unmöglich – musst du mir sagen, warum.

Ich sage: Schau, Nixon ist ein injustice collector. Das heißt, alles, was man ihm Böses tut, sammelt er. Aber er sammelt auch gute Sachen und vergisst sie niemals. Wenn er die Wahl verloren hat, zuerst als Präsident, dann als Gouverneur, ist er wie andere auf eine Weltreise gefahren. Jeder hat ihn ignoriert, als ob er schon ganz fertig wäre. Zwei Länder nicht: Israel und Pakistan. Seine Frau und Kinder sind auch noch zwei Wochen in einem Kibbutz geblieben. Das wird er niemals vergessen, das hat er nicht vergessen. Was du willst, wirst du kriegen.

Patricia Pawlicki: Was du willst, wirst du kriegen – das ist aber auch ein schöner Slogan, nämlich für den Internationalen Weltfrauentag. Es gibt doch ganz viel, was wir Frauen wollen müssen, wollen sollen, aber schon sehr lange und über viele Generationen nicht kriegen. Was würden Sie denn raten, auch politischen Frauen, Politikerinnen? Wie und wo und wie oft sollen wir denn aufstehen und Stopp sagen?

Erika Freeman: Wir müssen uns erlauben, es zu wollen, dann werden wir es kriegen. Zuerst geben wir die Erlaubnis allen Männern, dass sie zuerst kriegen, was sie wollen. Wir kommen als Zweite dran. Für sich selbst, für uns Frauen, wir erlauben es ja nicht einmal. Mit anderen Frauen auch: Natürlich, komm! Geh hinein, erlaube es dir! Zuerst erlaube es dir! Zweitens bist du doppelt so viel wert, wie du meinst. Jetzt tu es und es wird gehen! Jetzt sind wir mehr Kameradinnen. Wir sind nicht mehr: Wähle den Mann, und so eine Konkurrenz. Das ist schon fertig Gott sei Dank.

Patricia Pawlicki: Ja, sehr schön. Erlaub dir etwas – da darf ich zu Jutta Menschik-Bendele kommen. Wir haben gehört, Präsidentin Doris Bures hat es erwähnt, Sie waren ganz lange die einzige Frau auf der Universität in Klagenfurt. Da gab es sonst keine andere Professorin. Wenn Sie da heute zurückschauen: Was können Sie denn von den Skills, die Sie damals gebraucht haben, um überhaupt in die Position zu kommen und auch dort erfolgreich zu sein, heutigen Frauen mitgeben?

Jutta Menschik-Bendele (Psychoanalytikerin, em. Universitätsprofessorin und eh. Vizerektorin der Alpe-Adria-Universität): Ich habe so ein Motto, das hat Karl Marx im „Kapital“ seinem Freund vorangestellt, und das Motto ist: Gehe deinen Weg und lass die Leute reden. Das hat mich ziemlich gut begleitet, und ich denke, das kann man auch anderen Frauen sagen. Nicht so viel sich drum kümmern, wie man dasteht, was geredet wird, sondern spüren: Wo will ich hin und was ist vernünftig und was macht Sinn? Dann merkt man auch, dass, wenn man sich nicht verstellt, andere zu einem halten, sich anschließen, dann kann man sich auseinandersetzen und dann wird das eine gute Gruppe.

Patricia Pawlicki: Wir sind ja auch hier, um über diese Pandemie zu reden, obwohl wir natürlich alle gar nicht mehr drüber reden wollen, weil wir wirklich fernab damit sind. Aber gerade wenn wir auf die Frauen schauen, und das haben wir jetzt auch in diesen beiden Impulsreferaten gehört, Sie haben es auch schon gesagt: Eine große, schwere Last liegt auf den Frauen. Besteht eigentlich die Gefahr, dass wir bald quasi ein neues Krankheitsbild haben werden, nämlich Frauenburnout, Mutterburnout, weil es so nicht mehr weitergehen kann, wenn die Pandemie jetzt noch einige Monate andauert, weil eben zum Beispiel in Europa das die Problematik ist, dass nicht so schnell durchgeimpft wird, wie es nötig wäre?

Jutta Menschik-Bendele: Ja, ich habe vorhin bei den Vorträgen gedacht: Ich kenne überhaupt keine arbeitslose Frau. Ich kenne viele Frauen, die keine Berufsarbeit im Moment haben und nichts verdienen, aber Arbeit haben sie alle. In so einer Pandemie sieht man die Schieflagen besonders deutlich. Ich habe eine Praxis und meine Praxis ist voll. Man kann sagen, dass die Frauen, die kommen, so die ganze Palette der schwierigen Gefühle mitbringen. Sie haben Angst um ihre Existenz. Sie haben Angst, ob sie die Miete bezahlen können, wenn sie sich gerade ein Haus gebaut haben, ob sie die Kredite zurückzahlen können. Sie haben Angst, wie sie das alles stemmen können. Sie sind traurig. Ich finde, sie sind etwas trauriger oder wehmütiger als die Männer.

Wir haben ja gehört, die Frauen brauchen nicht nur Brot, sie brauchen auch Rosen, und zu diesen Rosen gehören für die Frauen auch die Kontakte, die ganz normalen Kontakte, auf dem Weg zur Schule die Nachbarin treffen oder mit der Kindergärtnerin sprechen oder wenn man Brot kauft ein bisschen schwätzen. Diese normalen Kontakte, die das Leben ein bisschen freundlicher machen. Die Frauen sind auch zornig. Sie sagen, wie soll ich das alles schaffen? Wie soll ich das alles stemmen? Manche Frauen machen sich nicht nur Sorgen um sich selber, sie machen sich Sorgen um die Kinder, um den Mann, um die Familie, um die ganze Umgebung.

Patricia Pawlicki: Aber kommen wir da weiter? Ich meine, wenn wir jetzt auf das Politische schauen: Wir haben heute schon sehr schön gehört, das Private ist politisch, und in einer Krise ist das noch viel mehr der Fall. Das heißt, so gefragt: Was aus Ihrer Sicht - - Sie sind beide Psychoanalytikerinnen, es hören uns hoffentlich viele Frauen zu, vielleicht können Sie beide auch drei, vier Punkte nennen, die jetzt wichtig sind zu tun – nicht nur Sorge, nicht nur Leiden, sondern rausgehen und zu sagen: Stopp!, oder rausgehen und zu sagen: Das und das will ich jetzt? Gerade jetzt die Zeit in der Pandemie zu nützen, auch frauenrechtliche Forderungen klar zu definieren? Frau Dr. Freeman?

Erika Freeman: Frauen haben sich immer mehr Sorgen gemacht. Zuerst haben sie sich Sorgen gemacht um die Männer, dann über die Kinder und drittens vielleicht mal über sich selbst. Also wir sind leider an Sorgen schon gewöhnt. Die Sache ist, wenn du dir Sorgen machst, dann hast du ein Problem. Es ist leicht zu sagen und schwer zu tun: Mach dir keine Sorgen! Du wirst es schaffen, du hast es schon geschafft, nur hat man dir nicht gesagt, dass du es geschafft hast, weil der Mann hat the credit – wie sagt man das? – bekommen; aber du hast es immer geschafft.

Patricia Pawlicki: Aber ich will es vielleicht gar nicht schaffen, sondern ich will einfach die gleichen Chancen wie die Männer.

Erika Freeman: Das willst du, aber jetzt weißt du genau in deinem Herzen, du willst es zuerst tun, weil es getan werden muss. Du hilfst ihnen, es besser zu tun, nicht für dich selbst besser, zuerst für die anderen und dann für dich. Weil: Frauen denken leider nicht wie Männer; vielleicht nicht leider, aber wie es - - Eine Frau leider kommt noch nicht für sich selbst zuerst.

Patricia Pawlicki: Aber welche Forderungen sollten wir jetzt aufstellen? Eine Forderung, wo Sie sagen, Sie kennen ja beide Seiten. Sie kennen die USA. New York ist ein melting pot. Da ist vieles natürlich anders als in Wien. Es gibt ja auch den Spruch von Karl Kraus: Wien ist so eine wunderschöne Stadt, weil wenn die Welt untergeht, dann passiert das in Wien erst ein paar Monate später. Aber was ist jetzt wichtig auch für die Frauen im österreichischen Parlament? Wir sitzen hier im Herzen der Demokratie. Wir hatten heute eine Sondersitzung zum Thema Weltfrauentag. Welche Forderung müssten Frauen in Österreich schnell auch politisch aufstellen?

Erika Freeman: Jede Forderung. Alles, was eine Frau hier tut, ist eine Forderung. Alles, was sie nicht tun darf und tun soll, ist eine Forderung. Such es dir aus, das ist deine Freiheit! Weil wenn du gar nichts tun kannst, dann kannst du alles tun. Weil du sagst: Das ist mir wichtig. Für Frauen ist die Welt immer wichtiger als für sich selbst. Ein Mann weiß, was wichtig für ihn ist und für seine Politik. Für eine Frau ist alles wichtig. Also muss sie zuerst anfangen, zu sagen: Was ist für mich wichtig? Denn wenn ich gesund bin, wenn ich stark bin, dann kann ich die Welt retten. Frauen retten immer die Welt.

Patricia Pawlicki: Bevor wir gleich auf Facebook gehen und schauen, welche Fragen reingekommen sind, hätte ich noch gerne eine Frage an Sie, Frau Menschik-Bendele. In Ihrer Zeit, als Sie eben allein als Frau die Position als Professorin hatten, haben Sie da auch in Ihrer Wahrnehmung Situationen erlebt, wo sich Männer vor Ihnen gefürchtet haben?

Jutta Menschik-Bendele: Vor mir gefürchtet? Na, vielleicht waren sie eher verlegen, weil ich mehr die Seite der Psyche, mehr der soften Wissenschaften vertreten habe und immer gesagt habe: Was nutzt es uns, wenn wir alles immer auf Ökonomie und Wachstum und Finanzen reduzieren und dabei vergessen, dass der Mensch auch ein fühlendes Wesen mit Empfindungen ist? Damit habe ich, glaube ich, manchmal etwas Verwirrung gestiftet, aber doch auch mit einigem Erfolg, dass nämlich das Studium Psychologie ein Vollstudium geworden ist und jetzt nicht so ganz schlecht dasteht.

Patricia Pawlicki: Das klingt ja nach einem großen Erfolg. Ich darf jetzt eine Frage, die über Facebook reingekommen ist, an Sie beide richten. Ich habe sie selber jetzt gerade erst bekommen. Johannes Hinterberger (phonetisch) fragt zur gleichen Bezahlung: Die Kollektivverträge gelten für alle gleich, aber meinen Beobachtungen nach fragen Männer heutzutage durchschnittlich öfter bezüglich Gehaltserhöhungen nach. Woran könnte das liegen? Wie könnte man das verändern? – Zu viel Bescheidenheit der Frau?

Erika Freeman: Die Frauen denken zuerst an die Männer. Man hat uns nicht gelehrt, zuerst an sich selbst zu denken. Man muss aufpassen! Call your attention! Ich habe dich was gefragt: Was willst du? Du sagst mir, was er will, was er wollte, was das Kind vielleicht will, aber deine Frage, was du willst, darüber hast du noch nicht einmal nachgedacht. Es ist ja nicht einmal in der Tasche, du sagst noch nicht, weil du denkst nicht daran. Und wir müssen den Frauen nicht nur erlauben, aber fast: Push a little! Schau, nicht nur darfst du, aber du sollst. Frag, was du deinem Mann geben würdest, frag, was du für ihn schaffen würdest, und schaffe es für dich zuerst.

Patricia Pawlicki: Es gibt aber auch Frauen, die sind ganz glückliche Singles und haben gar keinen Mann und finden das ganz okay.

Erika Freeman: Manchmal ist das noch besser, aber leider in unserer Gesellschaft ist alles so, wie die Gänse gehen: two by two by two. Wenn du allein bist, dann bist du in der Lunch ... Man lädt dich zum Lunch ein, aber Dinner? – Nein. Da musst du eine Hose mit dir haben.

Patricia Pawlicki: Darf ich Sie fragen: Haben Sie als Professorin genauso viel verdient wie Ihre männlichen Kollegen?

Jutta Menschik-Bendele: Das schon, ja.

Patricia Pawlicki: Aber?

Jutta Menschik-Bendele: Nichts aber. Als Beamtin verdient man gleich, aber es gibt ja nicht so viele Beamte und Beamtinnen. Die Mehrheit ist anders. Und zu Ihrer Frage: Ich glaube, heute noch gilt: Wenn ein Junge etwas verlangt, dann ist er durchsetzungsstark und tüchtig. Wenn ein Mädchen etwas verlangt, ist sie unverschämt. Ich glaube, dass das noch ganz tief in den Knochen sitzt. Man darf nicht nach etwas fragen, wovon man überzeugt ist, dass es einem zusteht, wenn man eine Frau ist.

Patricia Pawlicki: Ich würde hoffen, dass die Generationen nach uns da schon – salopp formuliert – anders drauf sind, also Frauen unter 30 da schon ein anderes Selbstverständnis haben. Ich traue mich auch, zu behaupten, dass, wenn man durch Wien geht, man manchmal auch ausmacht, dass es da schon 50 : 50 gibt, zumindest was die Kinderbetreuung betrifft – nicht 50 : 50, aber Männer doch auch etwas mehr als in den letzten 30 Jahren in Väterkarenz gehen. Ist das auch etwas, wo man als Frau oder wo die jungen Frauen sagen müssen: Du, das ist nicht nett, wenn du das machst, sondern du musst das machen. – Gehört da auch einfach mehr klare Forderung rein?

Erika Freeman: Yes, man muss sie lehren. Wir wissen was, und dann sagen sie: Nein, wir tun sowieso, und nebbich, er kann nicht oder er will nicht – warum soll ich ihm Sorgen machen? Wir müssen sie lehren und belehren, was sie tun sollen, weil von selbst wissen sie nämlich nicht sehr viel. Die haben ein großes Problem, die Männer – ich weiß, dass das von Freud kommt –, aber die haben so einen Herzog oder einen Herrscher, und der ist da unten nebbich.

Patricia Pawlicki: Der Penis – ja, aber was können wir dafür?

Erika Freeman: Wenn er klein ist oder nicht groß genug ist, irgendwas, und dann kämpfen sie, und man kann mit ihnen nicht reden, weil sie solche Angst haben, dass irgendwann unten nichts passieren wird. Oder dass sie glauben, dass sie nicht ein Mensch sind, sondern das ist die Kommandatura, da müssen Frauen - -

Patricia Pawlicki: Ist das tatsächlich so? Ich meine, es würde einen ja als modern denkende Frau erstaunen, dass die Psychoanalytikerin, die sehr viel in ihrem Leben gehört und gesehen hat, es dann unterm Strich doch runterbricht auf: Wir haben immer noch diese alten, tradierten Muster.

Erika Freeman: Die Männer denken - - Wir sind schneller als die Männer. Wir sind schon in der Zukunft. Man muss sie nur mitschleppen. Schlepp mich, ich gehe gerne – er geht nicht gerne. Wir gehen gerne. Das muss man zugeben, weil die haben mehr Angst und das ist eine größere Schande. Man kann ihnen nicht einmal helfen mit ihrer Angst, weil sie nicht zugeben können, dass sie Angst haben. Da können wir nicht Schritt mit Schritt gehen, weil jedes Mal musst du schauen: Hat er Angst? Nebbich, muss ich ihm helfen. Wir meinen, das ist unsere Pflicht als Frauen, die Männer zu stärken. Die Kraft, die Männer für sich selbst benützen, dieselbe Kraft, die wir haben, benützen wir nicht für uns Frauen.

Patricia Pawlicki: Wenn wir jetzt einen Blick auf heute in einem Jahr wagen: Corona wird nach wie vor ein Thema sein, es wird voraussichtlich aber nicht mehr so stark unser Leben bestimmen. Werden Frauen dann im Rückblick sagen: Wir haben da wieder viel falsch gemacht, wir haben da wieder viel Verständnis gehabt, wir haben zu viel Verständnis gehabt?

Erika Freeman: Das ist genug, dass die Frauen meinen, dass sie schuldig sind. Du hast nichts „wieder“ getan, du hast es getan, weil du daran gewöhnt bist. Jetzt kommt die neue Sache. Etwas Neues ist man noch nicht gewöhnt, man muss es ein bisschen üben. Aber wir machen uns selbst schuldig. Ein Mann hat nicht genauso viel Schuld gewusst - - Ein Mann will, was er will. Er kriegt und tut, was er will. Wir tun, was wir wollen? – Äh äh, wir sind schuld!

Patricia Pawlicki: Das heißt, wir Frauen sollen keine Schuldgefühle mehr haben. Wir Frauen sollten ganz klar für uns selbst definieren, was wir wollen, wohin die Reise gehen soll. Dann wird es besser?

Erika Freeman: Yes, we deserve it. (Heiterkeit.)

Patricia Pawlicki: Wir verdienen es. Sie haben jetzt gelacht, aber sehr befreit haben Sie gelacht. Sie können mit Frau Dr. Freeman da, glaube ich, ganz gut mit.

Jutta Menschik-Bendele: Ja, ich stimme Erika zu. Was ich beobachte in den Paartherapien, ist, dass Frauen sich oft von dem Mann wünschen, dass er errät, was sie nötig haben, was sie brauchen. Sie müssen eigentlich sich dazu durchringen, zu sagen: Ich brauche das von dir – denn Männer werden doch gerne gebraucht und haben doch so gerne Vorschläge für Lösungen. Die wollen aber auch abgefragt und eingefordert werden.

Zu der Frage in einem Jahr: Die Frauen haben die Angehörigen versorgt, sie sind mit den Kindern klargekommen, ohne die Großeltern. Sie haben dafür gesorgt, dass aus den Kindern keine kleinen Idioten werden, sondern sie haben sie weiter erzogen, dass sie hier zur Schule gehen können. Sie haben die Kinder, die vielleicht nicht so dabei sind, gut versorgt. Sie haben so viel getan.

Was ich mir wünsche, ist, dass man in einem Jahr das, was wir jetzt erfahren, erinnert. Nämlich: Das Virus macht ja keinen Unterschied. Wenn ich mich vor dem Virus schütze, schütze ich andere, und indem andere sich schützen, schützen sie mich auch. Dieses Gefühl, dass wir alle gemeinsam etwas Vernünftiges tun können, das sollte doch bleiben. Ich finde, man sollte sich auch erinnern, dass Menschen, die jetzt so tüchtig sind und so arbeits-, leistungsfähig waren, krank geworden sind, auf einmal gemerkt haben, wie es ist, wenn sie schwach sind, monatelang schwach sind, kaum atmen können – etwas, was vorher nicht vorstellbar war, sodass wir, wenn wir in die Zukunft denken, nicht wieder nur in diese Beschleunigungs- und Wachstumsrichtung denken, sondern doch diese Fürsorge mitnehmen.

Patricia Pawlicki: Mehr Geruhsamkeit haben Sie mir im Vorgespräch gesagt.

Jutta Menschik-Bendele: Mehr Geruhsamkeit, mehr Fürsorge, ja.

Patricia Pawlicki: Mehr Geruhsamkeit. Ich muss natürlich sagen, ich bin wahrscheinlich schon ein Realo, und ich habe mir die Zahlen für unsere Veranstaltung auch angesehen, zum Beispiel was die Aufsichtsrätinnen in Österreich betrifft. Österreich ist noch immer Schlusslicht in Europa, was Aufsichtsrätinnen betrifft. Es gibt kaum Frauen, die diese glass ceiling, diese gläserne Decke, durchstoßen, auch in Führungsfunktionen. Es gibt noch immer sehr wenige Vorständinnen in Österreich, in der österreichischen Wirtschaft. Denen ist nicht geholfen, wenn wir sagen, sie sollen den Männern die Angst nehmen, weil die haben selber mehr Ängste. Was machen junge Managerinnen, die sagen, ich möchte jetzt – seize the moment –, ich möchte meine Chance und ich möchte sie auch nehmen können?

Erika Freeman: Okay! Für einen Mann wäre das keine Frage. Er sieht eine Chance, er nimmt sie. Die Frau muss noch fragen und sagen: Ich würde gerne mögen, und wir müssen sagen: Ja? Also wir Frauen müssen uns daran gewöhnen: Wir wollen es, wir sehen es, wir nehmen es. Wir brauchen keine Genehmigung, wir brauchen keine permission. Aber wir machen uns Sorgen um die Männer.

Patricia Pawlicki: Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche, aber heißt das, dass letztlich wir als Frauen, als Gemeinschaft, die auch für die nächsten Generationen kämpfen möchte, dass wir in Wirklichkeit uns anlernen sollten, männlicher zu denken?

Erika Freeman: Nein: menschlicher zu denken. Weil männlich denken ist sehr - -Das hat noch viel Krieg und hat viel Kämpfen und hat viel Schreierei und nicht so viele Sachen. Die Männer, die Künstler sind, haben sehr viel Weibliches, sie sind keine Boxer. Also wir geben den Männern zu viel credit – wie sagt man?

Patricia Pawlicki: Vorschuss.

Erika Freeman: Wir haben ja alles und wir geben zu viel weg. Wir nehmen no credit. Das heißt, du hast es geschafft. Du kannst. Er kann - - Ehrenwort, das ist ehrlich: Ohne dich kann er es nicht schaffen. Und du verheimlichst es vor ihm, dass er es ohne dich nicht schaffen könnte. Weil wenn nicht du, dann hat er eine andere, 50 Jahre jünger, aber: Jemanden hat er, und jemanden Weiblichen hat er, und wir nicht.

Patricia Pawlicki: Es ist ja auch ein ganz besonderer Moment heute. Ich glaube, das sehen auch alle Frauen, die jetzt hier sitzen dürfen und hoffentlich auch alle Zuhörerinnen und Zuhörer über Facebook und die Mediathek. Sie sitzen heute hier im österreichischen Parlament, wo wir uns alle sehr dafür bedanken, dass Sie von der Nationalratspräsidentin eingeladen wurden. Sie sind in Wien geboren, Sie mussten das Land wegen der Nazidiktatur verlassen. Sie haben eine sehr, sehr schwere Zeit gehabt. Hätten Sie all das, was Sie im Leben geschafft haben, überhaupt schaffen können ohne diese so schwere Biografie, diese schwere Kindheit?

Erika Freeman: Wenn man etwas schaffen muss und im Leben ist, weiß man nicht, dass es schwer ist. Das heißt, dass es schwerer ist. Man weiß, dass es schwer ist, aber man weiß nicht, dass es jemand anderer leichter hat – doch, manchmal, die Eltern, man wird nicht weg - -, und der Vater ist nicht im KZ und alle solche Sachen. Aber die Frage ist, wie man dir die Welt gezeigt hat und was deine Pflicht im Leben ist. Als ich klein war - -, das heißt, ich bin weggefahren. Ich habe mich jetzt erinnert, ich habe nachgedacht. Ich war an der Bahn und ich war allein, und ich sitze und plötzlich spaziert ein Gedanke in mein Gehirn. Der Gedanke sagt: Ich werde niemals wieder glücklich oder happy oder fröhlich sein. Ich habe gesagt: Okay! – Ich meine, das war nicht so, das war ganz einfach: So wird das sein. Weil ohne Eltern, mein Vater war schon im KZ, meine Mutti noch nicht, dann muss man etwas - - Ich wollte tapfer sein, damit meine Mutti sich keine Sorgen machen soll.

Patricia Pawlicki: Sie waren damals zwölf Jahre alt. Das heißt, Sie waren wirklich noch ein Kind. Ich glaube, Sie haben Jahrzehnte gedacht, dass Ihr Vater verstorben ist, ermordet wurde im KZ.

Erika Freeman: Man hat uns gesagt, dass er erschossen wurde.

Patricia Pawlicki: Er wurde ermordet. Sie haben ihn dann zu Jom Kippur oder Ihren Onkel bei Jom Kippur in New York zufällig auf der Straße getroffen – oder wie ist das? Wie hat sich das zugetragen?

Erika Freeman: Das ist so ein Wunder. Wunder geschehen die ganze Zeit, man weiß nur nicht, wann. Man kann sich Wunder nicht vorstellen, denn wenn du es dir vorstellen kannst, ist es kein Wunder, kannst du ja schaffen. Und wenn du es dir vorstellen würdest, sagt man, du bist schizophren. Das heißt, mein Vater ist offiziell tot. Im Schattenkabinett der Sozialdemokraten war er der Außenminister, also sofort im KZ, eine kleine Festung in Theresienstadt damals. Man hat uns gesagt, dass er gestorben ist. Okay, fertig, basta, Information.

Spaziert er eines Tages – Jom Kippur, das heißt der heilige Tag, noch am Samstag, das ist der heiligste Tag, und der liebe Herrgott ist so ein netter Kerl –, er ist nicht im Tempel, mein Onkel ist auch nicht im Tempel. Er spaziert am Broadway, stell dir vor. Da kommt dieser Mann zu ihm und sagt: Joschi (phonetisch), was suchst du da? Der Mann sagt: Was suchst du da? Du bist doch tot!, sagt mein Onkel. Sagt der Mann: Nein, ich bin nicht tot, das Kind ist tot! Sagt mein Onkel: Das Kind ist nicht tot, sie ist da! – So habe ich meinen Vater getroffen.

Patricia Pawlicki: Wie alt waren Sie da?

Erika Freeman: 18, fast 19. Aber das kann man sich nicht vorstellen und man kann es sich nicht einmal wünschen. Meine Mutti hat das Ganze durchlebt, denn am 12. März 1945 ist sie gestorben. Sie hat das Ganze durchgemacht. Es ist so interessant, wie das passiert ist, aber man muss an Wunder glauben und man muss an sich selbst glauben, dass du es schaffen kannst – nicht Sachen wie schizophren, dass mein Vater nicht tot ist; das ist ein Wunder Gottes.

Patricia Pawlicki: Aber lassen Sie uns kurz noch einmal zurück hier nach Österreich, eben ins Herz der Demokratie, kommen. Es gab schon öfters Nationalratspräsidentinnen im österreichischen Parlament. Es gab ganz kurz jetzt in einer Beamtenregierung das erste Mal eine Bundeskanzlerin in Österreich. Wird es sehr bald, in naher Zukunft vielleicht wirklich mal eine Regierung in Österreich geben können, wo mehr Frauen als Männer sein werden?

Erika Freeman: Hoffentlich. Wenn die Frauen es schaffen wollen und sich nicht über die Männer Sorgen machen und ein paar Männer auch reinkommen: Hey fellows, you had it long enough, genug, jetzt ist our turn! Natürlich schaffen wir das, aber wir müssen glauben, dass wir es schaffen dürfen oder dass wir es schaffen sollen, und einander unterstützen. Weil: Es ist nicht lange her, da waren Frauen wie Konkurrentinnen. Ich habe sie immer als Kameradinnen gesehen. Aber damals, wenn du irgendetwas geschafft hast, warst du die einzige Frau, und dann kommt noch eine andere Frau. Und die Frau, die es geschafft hat, hat plötzlich eine Konkurrenz. Jetzt ist es schon nicht mehr so.

Patricia Pawlicki: Also das erlebt man zum Glück nicht mehr.

Erika Freeman: Nein.

Patricia Pawlicki: Also das dürfte wirklich eine Generationssache sein.

Erika Freeman: Jetzt haben wir die Pflicht und wir wollen einander succe- -

Patricia Pawlicki: Erfolgreich sein.

Erika Freeman: Erfolgreich sein. Weil vorher - - Aber jetzt sind wir füreinander da und das ist schon herrlich.

Patricia Pawlicki: Ich würde jetzt gerne abschließend noch einen Blick zurück und trotzdem nach vorn machen. Ich schaue jetzt noch einmal auf Facebook, ob Fragen da sind. Auf meinem iPad sind keine. Ich darf dann noch hinten die Kolleginnen fragen: Falls es noch Fragen gibt, könnten Sie die vielleicht formulieren?

Ich würde derweil noch eine Frage an Sie beide stellen, die zurück und trotzdem nach vorn schaut: Wenn Sie es heute noch einmal entscheiden müssten, Sie wären Anfang 20, welchen Beruf würden Sie ergreifen?

Jutta Menschik-Bendele: Ich würde denselben Beruf ergreifen. Ich bin ein bisschen über Umwege dazu gekommen. Ich habe erst Politikwissenschaft studiert, dann bin ich von den allgemeinen immer mehr zu besonderen Menschen gekommen, habe das Erste aber nie vergessen. Ich würde dasselbe noch einmal machen, denselben Weg. Rückblickend würde ich mir wünschen, dass ich ein bisschen mehr Zeit für meine Kinder gehabt hätte, mehr Unterstützung.

Patricia Pawlicki: Frau Dr.in Freeman, was würden Sie machen, wenn Sie heute 18, 20 Jahre alt sind in der heutigen Zeit?

Erika Freeman: Ich wollte damals die Welt retten, daher habe ich International Relations studiert. Dann hat mich der erste ... zur UNO gebracht. Ich würde gerne noch einmal in die Politik. Damals habe ich gesehen, wie diese Diplomaten, die Botschafter, ganz verrückt werden, dachte, er kann die Welt zerstören. Wenn ich ihn retten kann, dann wird er die Welt nicht zerstören. Darum bin ich in dieses Fach, aber ich glaube, ich würde doch noch nächstes Mal: Prime Minister.

Patricia Pawlicki: Machen Sie es selber? Werden Sie Politikerin?

Erika Freeman: Wieder Politik.

Patricia Pawlicki: Sie würden Kamala Harris sein? Sie würden in die Politik gehen? Also keine Beraterin, keine Analytikerin, Sie würden Politikerin sein?

Erika Freeman: Golda Meir, ja.

Patricia Pawlicki: Okay. Jetzt darf ich noch einmal fragen, ob es noch die Möglichkeit gibt. Würden Sie noch eine Frage an unser Podium richten?

Fragestellerin: Also es gibt noch eine Frage an beide Expertinnen bitte: Was sollte in Österreich gemacht werden, um psychische Erkrankungen und Therapien zu enttabuisieren? Warum ist das in den USA anders?

Jutta Menschik-Bendele: Psychotherapie enttabuisieren. Erstmal ist es gut, dass wir so einen öffentlichen Raum haben und dass die Psyche heute hier auch ein Thema sein kann. Zweitens, Enttabuisieren, wenn es nicht ein Privatgeschäft bleibt, wenn es nicht etwas ist, was man sich von der Börse abspart, um privat zu bezahlen und dann möglichst heimlich, sondern wenn es selbstverständlich ist, dass nicht nur der Zahn wehtun darf, sondern auch die Psyche. Dass das anerkannt wird, dass das eine Leistung ist, die man in Anspruch nehmen kann. Dann wird man darüber sprechen, darüber schreiben, und dann wird man sich auch nicht mehr dafür schämen müssen.

Patricia Pawlicki: Da muss man sagen, da gibt es einen Gap. In den Vereinigten Staaten hatte in den Siebzigerjahren schon jeder einen shrink, der etwas auf sich gehalten hat. Das heißt, dort ist das viel einfacher zu sagen: Ja, ich mache eine Psychotherapie. Es ist nicht unbedingt billiger, aber es ist einfacher.

Erika Freeman: I don’t quite get the question.

Patricia Pawlicki: Wir haben jetzt darüber geredet, dass Psychotherapie salonfähig werden soll; just to be normal to have a shrink.

Erika Freeman: Es soll billiger werden und man soll sich nicht schämen, seine eigene Psyche kennenzulernen. Das ist keine Schande. Weil es gibt noch Menschen, überhaupt mit Männern - - Mit Frauen ist es schon mehr gescheit. Gott sei Dank! Wir sind mehr gescheit, wir wollen es nur nicht zugeben, weil es passt den Männern nicht. Aber man soll zugeben, dass man sich selbst finden kann, dass man sich selbst öfters erfinden muss, weil das mit der Familie nicht leichte Sachen sind. Yes, self-finding. Wenn du dich selbst findest, dich selbst rettest, dann kannst du der Welt nützlich sein.

Patricia Pawlicki: Ich hätte jetzt auch noch gerne eine Frage an Sie gerichtet, an Frau Dr.in Freeman. Ich habe gelesen, Sie sind im 93. Lebensjahr. Ich bin mir nicht sicher - -

Erika Freeman: 93 oder 94. Ich glaube, 94.

Patricia Pawlicki: Okay, 94. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Ihnen das glauben soll.

Erika Freeman: Ich weiß, dreimal 31 bin ich schon. Also 94.

Patricia Pawlicki: Also ich soll Ihnen glauben, dass Sie schon wirklich über 90 sind. Gut. Dann wollen wir, glaube ich, alle hier im Raum und auch alle zu Hause wissen: What is your secret?

Erika Freeman: Ich habe einen herrlichen Freund da oben, der liebe Herrgott. Er ist ein sehr netter Kerl. Wenn du Geduld mit ihm hast, hat er Geduld mit dir. Wenn du was zu schaffen hast - - Ich bin noch nicht fertig. Ich weiß noch nicht, was meine wirkliche Aufgabe auf dieser Welt ist. Ich weiß, ich habe eine. Ich weiß, wir alle haben eine. Dass ich so lange leben darf und noch arbeiten kann und darf und nützlich sein kann und darf - - Irgendwas ist da noch. Was genau das ist, weiß ich nicht.

Patricia Pawlicki: Is it something about self-discipline?

Erika Freeman: Entschuldigung?

Patricia Pawlicki: Hat das auch etwas mit Selbstdisziplin zu tun?

Erika Freeman: Ich weiß nicht. Ich bin sehr nett zu mir.

Patricia Pawlicki: Sie machen viel Sport. Sie essen ganz wenig. Sie trinken nie Alkohol. Sie rauchen nicht. Erzählen Sie Ihr Geheimnis!

Erika Freeman: Nein, ich rauche nicht und kein Alkohol. Sport, ein bisschen schäme ich mich, ich muss wirklich anfangen. Ich mag gehen, aber ich bin ein bisschen faul. Ich lese was, ich soll spazieren gehen, ich lese lieber. Man soll Sachen tun, die einen glücklich machen. Mich macht glücklich, nützlich zu sein, auch wenn man es nicht will. Aber wir müssen aufpassen, weil manchmal gibst du Menschen Sachen, die dann gestehen: Ich will es lieber nicht. – Weil du brauchst es, zu geben. Da musst du aufpassen. Gib nicht, was du geben willst, sondern was die andere Person wirklich braucht.

Patricia Pawlicki: Dann sage ich Ihnen beiden herzlichen Dank, dass Sie heute da waren. Meine Damen und Herren, auch zu Hause, ich hoffe, Sie konnten das eine oder andere mitnehmen, fühlen sich jetzt gestärkt, um weiterzumachen, um auf Ihre Rechte zu pochen und sich auch nicht unterkriegen zu lassen. Wenn es noch Fragen gibt, die Sie jetzt gestellt haben, dann werden die selbstverständlich nach dieser Veranstaltung noch beantwortet werden. Allen Männern, die uns zugehört haben, möchte ich sagen: Fürchtet euch nicht! Auf Wiederschauen und danke für Ihr Interesse! Vielen Dank!