Rede des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka anlässlich der Veranstaltung 50 Jahre Romapolitik

Donnerstag, 8. April 2021

Ich darf Sie alle recht herzlich begrüßen! Liebe Romnja, liebe Roma! Liebe Podiumsteilnehmer! Liebe Frau Horvath! Frau Minister! Herr Janoska!

Ich darf mich gleich am Anfang recht herzlich bedanken, dass es möglich ist, auch in dieser Zeit diese Veranstaltung durchzuführen. Ich weiß, wie viel Vorbereitung und wie viel Anstrengung es braucht, das zu tun. Es ist nicht nur als ein äußeres Zeugnis wichtig, sondern es ist auch für unser Selbstverständnis ganz entscheidend.

Ich denke, wir haben durch die künstlerischen Beiträge gesehen, wie reich die kulturelle Tradition und die musikalische Sprache der Roma sind, die seit dem 16. Jahrhundert Teil unserer Gesellschaft, Teil unserer Identität und Teil unseres vielfältigen Europas sind und für Österreich ganz wesentliche Beiträge geliefert haben.

Am Beispiel der Musik sehen Sie aber schon das Missverständnis, das man seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu prolongieren versucht hat, als man versucht hat, diese Musik als ungarische Musik, zum Teil als Zigeunerweisen, zu interpretieren, die traditionell in einem ganz anderen Kontext zu verstehen ist. Zigane Musik ist autochthon und dann von vielen aufgenommen worden. Es ist ein Zeichen gerade des 19. Jahrhunderts, dass man kulturelle Einflüsse aus unterschiedlichsten Regionen in seine eigene Kultur hereingenommen und aufgearbeitet hat. Und genau das ist eigentlich auch der Zugang, den wir heute haben sollten.

Ich darf diese Romapolitik – es gibt viele Facetten – für mich in drei große Blöcke zusammenfassen: Da sind auf der einen Seite die Gedenkkultur und das Gedenken insbesondere dort, wo unsere Zeitzeugen uns nicht mehr in dieser Fülle zur Verfügung stehen, um uns den Schrecken des Holocaust noch einmal ins Bewusstsein zu rufen. Der Kampf gegen den Antiziganismus ist das Zentralste, was wir zu leisten haben. Das ist ein Mindset, wie es neudeutsch heißt, um langfristig Erfolg haben zu können. Und schlussendlich geht es darum, die Identität, die Sprache, die Kultur und natürlich auch die soziale Struktur in der Zukunft abzusichern.

Dieser Festakt, der anlässlich des 50. Jahrestages des ersten Weltkongresses in London stattfindet, ist für mich ein Festakt der besonderen Art, weil es auch um den Ausblick geht. Der Rückblick ist ganz wichtig, und es freut mich als Österreicher, dass wir auch in der internationalen Staatengemeinschaft doch einigermaßen an Reputation gewonnen haben. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass das vor allem auch dank vieler Bemühungen der Volksgruppe der Roma, die sehr vieles dazu beigetragen hat, im Bewusstsein der Gesellschaft verankert werden konnte. Es gibt natürlich auch viele politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen, die heute zumindest die Basis sind, um auf einer guten Grundlage weiterbauen zu können.

Frau Dr. Schweitzer hat schon angesprochen, dass wir nicht die Namen aller Opfer kennen. Das Lager Lackenbach ist noch immer der Stachel im Fleisch unserer Geschichte und wird es immer bleiben. An diesen mit seinen vielen anderen Ausformungen zu erinnern, ist für uns ein ganz wichtiges Momentum. Daher wird es auch notwendig sein, dort ein nationales Denkmal zu verorten und vonseiten der Republik ein Denkmal zu setzen: einerseits ein Denkmal der Erinnerung, auch für die Nachkommen, damit sie im Gedenken sich und ihre eigene Geschichte noch einmal bewusst wahrnehmen dürfen, und auf der anderen Seite ein Zeichen des Kampfes gegen den Antiziganismus.

Aus dem Antisemitismus und der neuen Antisemitismusforschung wissen wir, dass gerade diese beiden Formen nicht mit anderen rassistischen Vorurteilen eins zu eins zu vergleichen sind. Sie sind über Jahrhunderte gewachsene, epigenetisch weitergegebene traditionelle Vorurteile. Für uns ist es daher auch ein ganz wesentliches Momentum, dass das nicht nur in einer Randgruppe erscheint, sondern dass diese Haltung immer wieder in der Mitte der Gesellschaft an Bedeutung gewinnt. Das geschieht zum Teil ohne Bedacht, andere Handlungen werden zum Teil ganz bewusst gesetzt, um auszugrenzen. An den Rändern unserer Gesellschaft wird das dann viel, viel deutlicher. Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des Parlaments – aller unserer 183 Abgeordneten! –, gesamtheitlich gegen Antiziganismus aufzutreten.

Ich freue mich, dass die Bundesregierung diesbezüglich ihre neue Strategie beschlossen hat, die ganz wesentlich ist, weil sie operative Maßnahmen enthält. Diese sind notwendig und wichtig und schaffen eine Grundlage. Was wir aber auch brauchen, ist eine breite Bewegung der gesamten Bevölkerung, sich diesem Thema anzunehmen und auch gegen dementsprechende Äußerungen aufzutreten.

Es ist schön, wenn sich Romnja und Roma in politischen Organisationen engagieren. Ich freue mich, dass sie im Gemeinderat aktiv sind. Ich kann nur ersuchen, dass sich viele in den öffentlichen Gebietskörperschaften engagieren, sich der Kandidatur stellen, um letzten Endes damit auch ihr Anliegen voranzutreiben und es schlussendlich auch in die Breite zu bringen. Das ist für uns ein Anlass, uns auch dessen bewusst zu sein, dass wir eine höhere Sensibilität in der Verwendung unserer Sprache und unserer Bilder brauchen.

Ich freue mich ganz ausdrücklich, dass gerade erst ein Betrieb eingesehen hat, dass es eben nicht geht, diese Begriffe weiterhin zu verwenden, sondern dass man ohne Schmerzen etwas verändern kann. Tradition bedeutet nicht Anbetung der Asche, sondern Weitergabe des Feuers, und zwar immer so, dass wir Traditionen verändern und in Formen bringen, die das 21. Jahrhundert von uns verlangt.

Es wurde heute schon oftmals angesprochen, dass es für uns ganz entscheidend ist, die Sprache der Romnja und Roma weiterhin zu unterstützen, im Kindergarten und in den Volksschulen zu lehren. Wir wissen, dass das für den Erhalt der Volksgruppe ganz wesentlich ist. Wir wissen auch, dass die Sprache letzten Endes ganz entscheidend ist, um auf der anderen Seite die Integration intensiv zu fördern, denn Zweisprachigkeit ist ein besonderes Geschenk.

Österreich ist stolz, dass es sechs autochthone Volksgruppen hat, und ich weiß, dass das betreffende Ministerium – nicht nur, weil es das Budget erhöht hat, sondern weil es auch im inhaltlichen Bereich sehr vieles gibt – gerade daran arbeitet, das weiterzuentwickeln. Auch das österreichische Parlament nimmt sich dieser Thematik ganz stark an, weil es notwendig ist, diese Vielfalt nicht nur für die Zukunft zu retten, sondern uns auch bewusst zu machen, dass nur aus der Vielfalt schlussendlich ein friedliches Zusammenleben möglich wird.

Ich freue mich auch, dass in der Zeit der Pandemie die Probleme unserer Gesellschaft deutlicher werden. Wenn wir uns die letzten Arbeitslosenzahlen ansehen, sehen wir, das wir heute besser als im Vorjahr liegen. Das heißt, dass die Maßnahmen der politisch Verantwortlichen auch greifen. Diese greifen aber nur dann, wenn sie die Bevölkerung in ihrer Breite, in den Unternehmen auch wirklich mitnehmen. Jeder Unternehmer ist heute aufgefordert, etwas zu tun, um die Leute in seinem Betrieb zu integrieren, auch sprachlich zu integrieren, auch in der Frage, nicht auszugrenzen, egal woher sie kommen, welcher Herkunft sie sind, welcher Volksgruppe sie angehören. Das ist für uns doch ein Zeichen, dass sich in der Pandemie zeigt, dass die Arbeitslosenzahlen sinken und es eine positive Entwicklung gibt, sodass wir in eine richtige Richtung gehen.

Ich hoffe, dass wir gerade was die soziale Absicherung anlangt, einen gemeinsamen Weg beschreiten. Sie haben schon angesprochen, dass das viele trifft. Es trifft nicht nur Angehörige von einzelnen Volksgruppen, es ist Gott sei Dank nicht ein Kennzeichen einer Volksgruppe, das anderswo in Europa eben nicht der Fall ist. Wir dürfen nicht nur mit dem schalen Finger nach Osten zeigen. Dort ist es sicherlich notwendig, vieles zu tun, wie ich bei all meinen Reisen am Balkan oder in unseren Nachbarländern gesehen habe. Wir müssen aber auch in den Westen und in den Süden zeigen, denn die Situation der über 400 000 oder 500 000 Romnja und Roma in Italien ist keine, die uns zufriedengestellt zurücklassen kann. Von diesen Formen gibt es viele, gegen die es gilt, gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen.

Das ist für mich ein Anlass, hier nicht in ein Stereotyp zu verfallen. Wir sehen ja immer wieder auch in unseren politischen Äußerungen, dass der Westen sich manchmal sehr überheblich, reflektorisch und stereotypisch an den Osten wendet. Man muss auch sehen, dass diese Länder 40, 50 Jahre in einem diktatorischen Regime gelebt haben, und diese lange Zeit der Diktatur auch lange Zeit nicht gänzlich überwunden werden konnte. Sie besitzen andere kulturelle Herkünfte und ethnische Herausforderungen und haben dadurch auch mit großen Herausforderungen zu kämpfen.

Unsere Unterstützung, die des österreichischen Parlaments, ist ihnen gewiss. Wir unterstützen die Parlamente im Bereich des Balkans mit Stipendien, sodass die Leute hierherkommen können, um österreichische demokratische Entwicklungen kennenzulernen. Wir unterstützen sie damit, indem wir die Demokratiewerkstatt als einen Exportartikel für diese Länder bereithalten. Wir sind in Montenegro aktiv, wir haben in der nächsten Zeit vor, das in Serbien und Albanien und in Nordmazedonien zu tun, denn Demokratie ist der wesentliche Baustein dafür, dass wir gegen Stereotype wie Antisemitismus und Antiziganismus nachhaltig vorgehen. Beides ist in seiner Haltung demokratiegefährdend, und die Demokratie zu stärken, muss vor allem für das Parlament auch an diesem 50. Jubeltag ein ganz großer Auftrag sein.

Vielen Dank für das heutige Dasein, für die künstlerischen Darbietungen, die wir sehr, sehr genießen und schätzen, und wovon wir noch möglichst viele hören wollen, und auch für Ihre Arbeit in der Zukunft.