Rede des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka bei der Auftaktveranstaltung anlässlich des Schwerpunktes "Bedeutung des Ehrenamtes"

Dienstag, 15.Juni 2021 

Sehr geehrte Vertreter der Freiwilligenorganisationen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen im Nationalrat!

Ich bin heute ermutigt! Ich habe mir das etwas anders vorgestellt, weil ich gelegentlich selbst wahrnehme, dass einige Vereine wirklich ganz große Schwierigkeiten haben: Sie verlieren ein Drittel ihrer Mitglieder, sie sind kaum in der Lage, ihren normalen Betrieb aufrechtzuerhalten. Da hat mich Ihre Diskussion heute doch sehr ermutigt.

Auf der anderen Seite sehen wir die Herausforderungen: Ich glaube, Corona hat vieles sichtbar gemacht, was zuvor wahrscheinlich auch schon bestanden hat, dazu gibt es noch kaum Forschung, denn vieles braucht ja eine gewisse Zeit. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen: Es gab ja unzählige Vereine, die es heute alle nicht mehr gibt. Das Werden eines Vereins geht sehr schnell, das Sterben geschieht aber meistens in Etappen.

Ich denke, es ist auf der einen Seite die Aufgabe des österreichischen Nationalrates – ich nehme da gerne auch den Bundesrat mit –, darüber nachzudenken, andererseits aber auch, den Freiwilligen ein Podium zu geben. Das ist die Auftaktveranstaltung – ich nehme das bewusst wahr. Wir können das Thema gerne in das nächste Jahr hinüberziehen und dann auch darüber nachdenken, wie wir uns dieser Thematik in Permanenz annehmen, die natürlich grundsätzlich strukturell sehr stark in den Ländern verankert ist. Sie wissen das, es gibt dabei zwischen den Körperschaften auf den unterschiedlichen Ebenen natürlich immer wieder auch eine gewisse Redundanz oder vielleicht sogar Rivalitäten. Wir wollen auf keinen Fall jemandem etwas wegnehmen, ganz im Gegenteil, wir wollen ein Podium bieten.

Was hat der Nationalrat als Körperschaft für eine Aufgabe? – Modern sagt man, das Mindset beziehungsweise einfach das Bewusstsein der Menschen zu heben. Das ist in all den großen sechs Themenbereichen, die wir immer wieder behandeln, eigentlich das Wesentlichste, was wir tun wollen.

Wenn man es zerlegt – frei und willig, Ehre und Amt –, dann steckt in diesen vier Begriffen eigentlich alles, was Sie heute erwähnt haben, und es ist, glaube ich, ganz wesentlich, dass man das erhält.

Entstanden sind die Vereine, als die großen bürgerlichen Freiheiten gefordert wurden: Das waren die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, und aus der Versammlungsfreiheit heraus sind 1848 die Vereine entstanden. Ich habe mir das selber einmal als Historiker angesehen: Die Vereine standen davor – da gab es auch schon welche – ungeheuer unter Kuratel. Es ist also ein tiefgehendes Engagement, bei dem sich die Bürger auch wenig dreinreden lassen wollen.

Ich trenne bewusst nicht zwischen Politik und Vereinen. Wir alle sind Politik, und immerhin 50 Prozent der Österreicher sind in einem Verein tätig. Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr bei einem Verein, quasi ein Vereinsmeier. Ich habe keine operative Funktion, aber eine unterstützende oder arbeitende Funktion in Vereinen.

Ich glaube, es ist ein zentraler Punkt, dass sich ein Verein auch entfalten können muss. Das heißt, die Regularien, die gesetzliche Basis sollten wahrscheinlich sehr, sehr reduziert sein. Wir diskutieren das Vereinsrecht ja seit vielen, vielen Jahren. Ich denke, dass man das mit sehr großer Sorgsamkeit diskutieren muss. Einen Verein können heutzutage drei Leute gründen; das ist gut so, und das braucht auch niemand infrage zu stellen. Gleichzeitig wollen wir aber, dass es eine Absicherung im Sozialrechtlichen gibt. Ich sehe da sehr viele Möglichkeiten, auch dahin gehend, jungen Menschen, die sich engagiert zeigen, zu ermöglichen, dass Qualifikationen, die sie erwerben, auch im beruflichen Leben anerkannt werden. Ich weiß nicht, was noch möglich wäre.

Wir haben im Zusammenhang mit Studien im europäischen Bereich mit den ECTS-Punkten einen wesentlichen Fortschritt erzielt. Wir schaffen es aber nicht, diese Vergleichbarkeit im sekundären Bildungsbereich herzustellen. Denken Sie nur daran, wenn der Schulstandort gewechselt wird: Da gibt es keine Bepunktungen, dadurch ist ein Wechsel oftmals sehr schlecht möglich. Wir sehen bei den Vereinen, wie schwierig es ist, dass man das so bemisst, um wirklich einen Maßstab zu finden, der überall Anwendung finden kann. Ich halte es aber für notwendig, darüber nachzudenken, wie sich das vielleicht doch realisieren lässt, um hier einen Anstoß zu geben.

Ich halte den Begriff der Ehre für ganz wichtig. Ich glaube, Ehre spielt eine zentrale Rolle, warum man es eigentlich macht. Wenn man sich selbst als Funktionär oder als Mitglied eines Vereins einmal hinterfragt, wenn man sich fragt, warum man eigentlich dabei ist oder was einen dort bewegt, dann ist es doch – wie Sie es auch angesprochen haben – das Engagement, die Gesellschaft zu gestalten, sich einzubringen, sich zu verwirklichen.

Wir sehen jetzt anhand einer kleinen Untersuchung, dass es in Zeiten von Corona bei sehr vielen Jugendlichen so ist. Ich war erst gestern in einer Impfstraße der Johanniter in Währing, und mir sagten dort die Leute, es gibt gerade in Coronazeiten ein ganz großes Interesse, sich dort zu melden, weil die Jugendlichen sonst nirgends hingehen können und dort Anschluss haben. Das heißt also, das soziale Engagement, dort Leute zu treffen, die gleichgesinnt sind, die dieselben Interessenlagen haben, sich mit ihnen auszutauschen, ist auch in anderen Bereichen ein ganz wesentlicher Motivationsfaktor.

Letzten Endes bleibt das Amt, dass man also eine Aufgabe hat. Es ist heute sehr oft über Sinnstiftung gesprochen worden. Wir wissen aus Untersuchungen, dass Menschen, die länger arbeiten, länger leben; und Arbeit heißt nicht immer nur Lohnarbeit. Wenn wir uns die heutige Situation ansehen, stellen wir fest, letzten Endes kommen zwei Drittel des Einkommens der arbeitenden Bevölkerung aus der Erwerbstätigkeit, ein Drittel aus anderen Bereichen, und bei den Pensionisten aus vielen anderen Faktoren. Das Intrinsische der Arbeit ist, dass man dem Leben eine Struktur gibt. Wir brauchen einen viel umfassenderen, einen viel größeren Begriff der Arbeit. Arbeit wird immer reduziert und meistens mit Leid und Last konnotiert. Sie kennen alle die Situation, dass man sagt: Ich muss mich aufs Wochenende freuen – und am Wochenende ist man dann aber im Verein heftig aktiv und macht sehr viel. Das heißt, es braucht auch ein Bewusstsein, was das Thema Arbeit schlussendlich ausmacht.

Ich denke, dass wir vieles mitnehmen können. Es wäre schön, wenn wir jede Parlamentssitzung so einmütig beginnen könnten und letzten Endes diesen gemeinsamen Fokus finden. Ich darf mich recht herzlich bei unseren Ehrenamtssprechern bedanken. Ich glaube, es wird an euch liegen, dass wir mit den nötigen, wirklich gemeinsamen Initiativen auch den einen oder anderen rechtlichen Punkt in die Umsetzung bringen, damit wir den Vereinen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Ohne Geld ka Musi, heißt es so schön. Sie brauchen finanzielle Unterstützung, sie brauchen Förderung, das ist gar keine Frage, und diese kann immer mehr sein, auch das wissen wir. Sie brauchen aber vor allem – und das wollen wir zum Ausdruck bringen – Wertschätzung!

Ich kann nur sagen, ich ziehe wirklich meinen Hut vor Leuten, die sich freiwillig engagieren, die ungeheuer viel dazu beitragen, dass diese Gesellschaft wirklich in allen Bereichen – und vergleichen Sie das mit anderen Ländern! – einen so guten Zusammenhalt hat. Manchmal beschreiben wir in der sogenannten Politik ein bisschen ein Zerrbild, wenn man nur den Berichten der Medien folgen möchte oder die aus den einzelnen Parteien abgesonderten Botschaften auf sich wirken lässt. Dort, wo es darum geht, sich wirklich ganz intensiv um die Anliegen der Menschen zu kümmern, gibt es Gott sei Dank eine große Gemeinsamkeit.

Freiwilligenarbeit dient ganz wesentlich der Integration oder Inklusion – wie auch immer wir das nennen –, und diese muss die Gesellschaft immer als Ziel haben. Es muss immer das Ziel sein, jemanden hereinzubitten, nicht, jemanden hinauszustellen. Das möchte auch das Parlament tun und ein offenes Haus sein. Ich kann auch ermutigen, Veranstaltungen zu diesem Thema zu machen. Wir werden mit einem Symposium im Herbst fortsetzen, wir werden mit einem Crowdsourcingprojekt Ideen einbringen, die auch heute schon genannt worden sind, sie auch an die jeweiligen Körperschaften weitergeben, die notwendig sind, um das voranzubringen, und wir werden mit einer Veranstaltung am Tag des Ehrenamtes noch einmal versuchen, in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Es ist gefragt worden, was wir tun müssten, wenn es keine Freiwilligen gäbe. Es gibt nicht nur die Frage der Subvention, es gibt auch die Frage der öffentlichen Berichterstattung. Denken Sie an die Medien, wie viele Seiten sie mit Berichten über freiwilliges Engagement füllen. Denken Sie einmal daran, wie viele interessante Botschaften sie bringen! Eine Zeitung, die nur über die Politik berichtet – so wichtig Politik auch ist –, ist, glaube ich, auf Dauer nicht lesbar. Ich denke, was Menschen interessiert, ist ganz wesentlich auch die Arbeit der Freiwilligen. Wir sehen das in der Granulierung: Dort, wo es wirklich ins Lokale, ins Regionale geht, wird das noch wesentlicher – und es ist unsere Aufgabe, diese Bewegungen auch zu unterstützen.

In diesem Sinne noch einmal ein herzliches Dankeschön. Ich freue mich schon, wenn man nach einer Veranstaltung wieder zusammenstehen kann, ein Glaserl trinken – für die Sportler von mir aus ein Glas Wasser, für die anderen vielleicht einen Gspritzten oder etwas anderes – und sich austauschen kann; auch das gehört ganz wesentlich zur Vereinsarbeit. Ein herzliches Dankeschön also an Sie alle, die Sie heute gekommen sind: Sie zeigen nicht nur Interesse, Sie zeigen nicht nur das Anliegen auf, sondern Sie sind für uns auch Multiplikatoren. Tun Sie das, bringen Sie das hinaus, und werden Sie nicht müde dabei!