Transkript der Veranstaltung

Buchpräsentation „Der politische Aufstieg der Frauen“

Petra Stuiber (Moderation): Nachdem Sie mich alle schon so anschauen: Ich bin leider diejenige, die zu spät gekommen ist. Ich habe eine gute Ausrede: Schienenersatzverkehr – Entschuldigung. Mein Name ist Petra Stuiber. Ich arbeite beim „Standard“ als stellvertretende Chefredakteurin, bin politische Journalistin und darf die heutige Veranstaltung moderieren, worauf ich mich sehr freue.

Wir haben ja ein kleines Konkurrenzprogramm – Deutschland gegen England –, aber umso mehr freut es mich, dass wir jetzt über Frauen reden werden.

Ich muss auch gestehen, ich habe einen Begrüßungsvorschlag bekommen. Ich bin nicht so geübt in parlamentarischen Veranstaltungen. Ich bin sehr froh, dass ich einen Vorschlag bekommen habe, damit ich hier alles richtig mache, wen ich jetzt gleich einmal zu Beginn begrüßen darf.

Zunächst einmal darf ich die Gastgeberin der heutigen Veranstaltung begrüßen: die Zweite Präsidentin des Nationalrates, Frau Doris Bures. (Beifall.) – Herzlichen Dank.

Ganz herzlich begrüßen darf ich außerdem natürlich den Autor des Buches, das heute präsentiert wird – „Der politische Aufstieg der Frauen“ –: Herrn Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka. – Willkommen. (Beifall.)

Namentlich begrüßen darf ich auch weitere Mitwirkende unserer Veranstaltung: Frau Mag.a Waltraud Moritz, die Geschäftsführerin des Böhlau Verlages – herzlich willkommen! (Beifall) –, und selbstverständlich als Diskutantin – wir werden dann ein Fachgespräch führen mit dem Herrn Professor –: Frau Prof. MMag. Dr. Kathrin Stainer-Hämmerle. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft. – Herzlich willkommen! (Beifall.)

Zudem begrüße ich natürlich alle aktiven und ehemaligen Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften. Ein besonderer Gruß geht auch an Sie, werte Zuseherinnen und Zuseher, die die Veranstaltung von zu Hause aus mitverfolgen. Ich muss dazusagen: Die Veranstaltung, die Buchpräsentation wird per Livestream in der Mediathek des Parlaments übertragen und findet aufgrund der Covid-19-Pandemie im Beisein eines kleinen, eher geschlossenen Personenkreises statt.

Ich muss auch dazusagen: Auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen muss natürlich Bedacht genommen werden. Das machen wir alle, die Frau Präsidentin hat es auch schon gesagt.

Ich darf gleich überleiten zur Begrüßung. – Frau Präsidentin, ich bitte um Ihre einleitenden Worte. (Beifall.)

Doris Bures (Zweite Präsidentin des Nationalrats): Vielen Dank, liebe Petra Stuiber. Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Drei ganz unterschiedliche Frauen stellt Prof. Pelinka in den Mittelpunkt seines Buches „Der politische Aufstieg der Frauen“: Eleanor Roosevelt, Margaret Thatcher und Indira Gandhi – drei Zeitachsen, die sich teilweise überschneiden, und drei Kontinente mit ganz unterschiedlichem politischen Klima, in dem diese Frauen aufwuchsen, politisch aktiv wurden und wirkten.

Die erste Frau, die uns im Buch vorgestellt wird, ist Eleanor Roosevelt, 1884 bis 1962: Feministin, Humanistin, Philosophin, First Lady und Mitverfasserin der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Der zweite Erzählstrang führt uns nach Indien zu Indira Gandhi, 1917 bis 1984: Politikerin in einem gerade von der Kolonialmacht losgelösten Land voller Unruhen und Krieg, Angehörige einer privilegierten Kaste und erste weibliche Premierministerin. Prof. Pelinka stellt sie uns als eine Regierungschefin mit teils autoritärem Stil unter Einsatz nötigenfalls gewaltsamer Mittel oder Zwang vor.

Der dritte politische Aufstieg führt uns nach Großbritannien zu Margaret Thatcher, 1925 bis 2013: konservative Abgeordnete, Oppositionsführerin, Ministerin, offen, konfliktbereit und erste weibliche Premierministerin, die sogenannte Iron Lady.

Also: zwei gewählte Politikerinnen und eine First Lady, die andere Wege finden, um Politik zu machen. Auf den ersten Blick sind das drei Frauenleben, die kaum unterschiedlicher sein können: drei Frauen auf drei unterschiedlichen Kontinenten mit drei ganz unterschiedlichen politischen Perspektiven und Einstellungen. Wenn wir aber die drei Lebensgeschichten vergleichen, dann erkennen wir jedenfalls vier Gemeinsamkeiten, sozusagen die Formel, die diese Frauen auf ihren politischen Weg gebracht hat. Die erste Gemeinsamkeit: Alle drei wurden in Familien hineingeboren, in denen Verwandte Politiker waren. Zu Hause wurde Zeitgeschehen thematisiert, Politik diskutiert und gelebt. Die zweite Gemeinsamkeit: Durch ihre Familien hatten alle drei Frauen politische Netzwerke. Sie gehörten zu einem elitären politischen Kreis. Die dritte Gemeinsamkeit: Ihnen allen wurde eine ausgezeichnete Bildung ermöglicht. Alle drei gingen in Europa in Privatschulen. Indira Gandhi und Eleanor Roosevelt verließen für die Ausbildung sogar ihr Heimatland. Die vierte Gemeinsamkeit: Alle drei waren Kämpferinnen. Bei Niederlagen haben sie nicht aufgegeben, sondern sie suchten neue Wege und fanden diese auch. Sie alle – Eleanor Roosevelt, Indira Gandhi und Margaret Thatcher – waren Pionierinnen: die erste politisch aktive First Lady der USA, die erste weibliche Premierministerin Indiens und die erste weibliche Premierministerin Großbritanniens.

Auch wenn man inhaltlich nicht mit dem übereinstimmt, welche Politik sie gemacht haben, so ist es mir wichtig, doch festzuhalten, dass sie Fußabdrücke auf dem Weg ihres politischen Aufstiegs hinterlassen haben – Fußabdrücke, an denen sich andere Frauen und Mädchen der nächsten Generationen auch orientieren können. Durch ihre Vorreiterrolle wurden Türen für Frauen geöffnet, wo vorher keine waren: Türen, die – wie Sie, Herr Prof. Pelinka, das in Ihrem Buch beschreiben und anmerken – nicht wieder versperrt werden können. Ich möchte das aber ergänzen. Diese Türen werden für die nächsten Frauen auch nicht automatisch aufgehalten. In Großbritannien hat es 26 Jahre gedauert, bis mit Theresa May erstmals dann wieder eine Frau Premierministerin war, und in Indien gab es seit Indira Gandhis Tod 1984, also seit über 35 Jahren, keine Frau mehr in vergleichbarer Position – von Frauenleben in Indien gar nicht zu sprechen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Frau in Führungsposition freut mich, weil es ein Zeichen sein kann, dass die gläserne Decke durchbrochen wird. Eine Frau, die es nach oben schafft, kann Vorbild sein. Ihr erfolgreicher Aufstieg kann anderen möglicherweise auch die Kraft geben, gegen Widerstände anzukämpfen, eben im Wissen: Frau schafft es. Eine mächtige Frau kann mit ihrer Biografie zu Recht in die Historie eingehen. Jedoch: Eine mächtige Frau kann in einem System von mächtigen Männern nicht alleine alles verändern. Echte politische Veränderungen zu erreichen und einen wirklichen Perspektivenwechsel herbeizuführen, das schafft nicht nur eine. Dafür braucht es ganz, ganz viele. Es braucht Frauen – genauso wie Männer –, überall und dauerhaft, es braucht Diversität an jedem Ort: in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft, in der Wissenschaft oder in der Kultur. Nur wenn unser gesellschaftliches System mit dieser Vielfalt an Wissen, Perspektiven und auch Erfahrungen durchflutet wird, können wir die komplexen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft auch demokratisch, gleichberechtigt und solidarisch bewältigen.

Johanna Dohnal formulierte ihre Version des Feminismus folgendermaßen: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ,weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“

In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, wünsche ich uns allen einen Abend voller Einblicke und vielleicht auch Ausblicke. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend! (Beifall.)

Petra Stuiber: Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die durchaus bedenkenswerten Worte. Ich darf jetzt Frau Mag.a Waltraud Moritz herausbitten. Sie wird uns ein bisschen etwas erzählen über die Entstehungsgeschichte des Titels.

Waltraud Moritz (Geschäftsführerin des Böhlau Verlages): Einen wunderschönen guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätztes Publikum! Ich bin so begeistert, dass ich hier stehen darf und Sie im Namen des Böhlau Verlages begrüßen und ein paar Worte sprechen darf. Begeistert bin ich, weil es so ein schöner Rahmen ist. Begeistert bin ich aber auch aus bekannten Gründen: dass sehr, sehr lange nicht stattgefunden hat. Das Werk von Herrn Prof. Pelinka ist schon letzten Herbst erschienen, aber konnte aus bekannten Gründen nicht in Präsenz einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ich freue mich sehr, dass das heute hier stattfinden kann, dass wir beisammen sein können. Ich bedanke mich sehr, sehr herzlich bei allen, die diese Kooperation ermöglicht haben. – Herzlichen Dank!

Vielen Dank natürlich auch an unseren Autor, Herrn Prof. Pelinka. Ja, Frau Stuiber hat es gesagt: Es ist ungefähr ein Jahr – nein, es ist ein bisschen länger her - - Zu Beginn des Jahres 2020 haben Sie diesen Publikationsvorschlag an uns herangetragen und ich gestehe: Ich habe nicht lange gebraucht, um zu wissen, dass wir das wollen, und zwar wusste ich das schon sehr bestimmt. Die Fragestellung, der Sie nämlich nachgehen in diesem – darf ich es Ihnen ganz stolz zeigen? – kleinen, kompakten, aber sehr, sehr fundierten Büchlein – wenn ich sagen darf, obwohl so viel drinnen steht –, eine Frage, der Sie nachgehen ist ja: Was ändert sich wirklich, wenn Frauen an der politischen Macht sind, wenn sie gestalten können? Und zwar: Wie verändern sich die Inhalte von Politik? Diese Frage ist, glaube ich, für uns alle hier und heute immer noch so aktuell, obwohl natürlich die letzten 20 Jahre die Zahl der Frauen, die in diese Positionen gekommen sind, sehr gestiegen ist. Also: Ich war sehr froh, dass Sie auf uns zugekommen sind und wir sind sehr, sehr stolz, dieses Werk in unserem Programm zu haben.

Wenn Sie vielleicht erlauben: ein kleiner Satz über uns als Verlag. Ich denke, viele von Ihnen kennen den Böhlau Verlag als einen traditionsreichen, österreichischen Wissenschaftsverlag mit Wurzeln bis 1624. Das ist sehr lange zurück. Lange Jahre waren wir in österreichischem Familienbesitz. Seit 2017 waren wir im Verbund der in Göttingen beheimateten Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht tätig und seit März dieses Jahres gehören wir zu einem nicht weniger traditionsreichen und renommierten niederländischen Verlagshaus, nämlich dem Verlagshaus Koninklijke Brill. Ganz unabhängig aber von wechselnden Eigentumsverhältnissen haben wir uns beim Böhlau Verlag, hat sich der Verlag einer Sache verschrieben: Wir wollen exzellente Wissenschaftsbücher herausbringen, unsere Expertise dafür einbringen, aber auch einem breiteren Lesepublikum ein spannendes Sachbuch präsentieren. Dieses Buch hier, denke ich, ist auch in der sehr verständlichen Art und Weise, wie Sie das präsentieren, etwas, worauf wir sehr stolz sind.

So, jetzt haben Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, mir etwas weggenommen. Sie haben mir etwas geschenkt. Zuerst einmal noch einmal Danke für diesen sehr schönen Fächer, aber ich wollte jetzt tatsächlich ernsthaft mit diesem selbigen Zitat von Johanna Dohnal zum Herrn Professor überleiten. Ich habe nämlich tatsächlich das Gefühl gehabt, dass das Zitat, das Sie eben bereits gebracht haben, wirklich eine schöne Brücke schlägt. – Sie, Herr Professor, haben ja Ihre Keynote auch unter den Titel gestellt: Kein Matriarchat und kein Patriarchat. Ich denke, dass Johanna Dohnal für uns alle im österreichischen Raum – auf diesen wird ja auch der Blick in der Diskussion dann auch gelenkt werden – ein ganz, ganz großes Vorbild ist. Natürlich darf ich mich darüber gar nicht beschweren, sondern ich möchte mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

Ich möchte Ihnen auch einen sehr erkenntnisreichen Abend wünschen und vielleicht noch einmal darauf hinweisen, dass es dank der Buchhandlung Schaden unten im Hof einen Büchertisch gibt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie vielleicht hineinschmökern wollen, und freue mich auch auf das eine oder andere Gespräch. – Herzlichen Dank, danke. (Beifall.)

Petra Stuiber: Herzlichen Dank der Geschäftsführerin des Böhlau Verlages, Frau Mag.a Moritz. Ich habe jetzt den Kampf gegen das Headset endgültig verloren. Ich hoffe, Sie können mich hören. Geht es auch bei Ihnen halbwegs? Wunderbar.

Ich habe natürlich eines vergessen in der Begrüßung. Ich möchte nämlich noch jemanden begrüßen, nämlich die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft, die auch heute anwesend sind. Erlauben Sie mir, stellvertretend eine herausragende Psychoanalytikerin namentlich zu begrüßen. Sie ist als Kind vor den Nationalsozialisten aus Wien geflohen und sie wird nächste Woche in Wien einen besonderen Geburtstag feiern: herzlich willkommen, Frau Dr.in Erika Freeman. (Beifall.) – Sehr schön, dass Sie da sind und dass Sie es trotz der Hitze zu uns geschafft haben.

Erika Freeman: Man muss nur lang genug leben.

Petra Stuiber: Jetzt darf ich Herrn Prof. Pelinka um seine Keynote bitten. Der Titel ist schon angesagt worden. Sie werden uns gleich erzählen, was es damit auf sich hat – herzlichen Dank und Applaus für den Autor. (Beifall.)

Anton Pelinka (Autor, Politikwissenschaftler und Jurist): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Buchpräsentation hat eine Vorgeschichte – auf die wurde schon verwiesen – der pandemiebedingten Verschiebung. Es war für mich aber besonders bemerkenswert, erfreulich und alles andere als selbstverständlich, dass die Frau Präsidentin und ihre Mitarbeiterinnen hier sozusagen der Pandemie nicht nachgegeben haben. Endlich kommt es dazu und da sage ich Ihnen, Frau Präsident, und den Mitarbeiterinnen: herzlichen Dank!

Meine Damen und Herren, eine persönliche Beobachtung: Ich habe zum ersten Mal 1967 eine Sitzung des US-Senats am Capitol Hill besucht. Da war eine Frau – Margaret Chase Smith von Maine, von einer Spezies, die fast ausgestorben scheint, nämlich eine liberale Republikanerin –, eine Frau, 99 Männer. Heute ist die Zahl, der Anteil der Frauen ein Vielfaches. Etwa bis zur Wahl von Kamala Harris waren beide Senatorenpositionen des größten Bundesstaates Kalifornien von Frauen besetzt. Was in den USA zu beobachten war in den letzten drei, vier Jahrzehnten, hat sich überall abgespielt, ich füge hinzu: überall, wo es demokratische, freie und faire Wahlen gegeben hat, ein sprunghaftes Ansteigen der Frauen in politischen Machtpositionen, in Parlamenten, aber auch in Regierungen – übrigens auch in der Höchstgerichtsbarkeit. Erst in den 1980er-Jahren ist die erste Frau in den Supreme Court der USA berufen worden. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, dass der Supreme Court nur aus Männern bestünde.

Das heißt, wir haben hier einen Megatrend, der aber auch gleichzeitig eine auffallende Verspätung zeigt. In den meisten Demokratien der Welt wurde das Frauenstimmrecht nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Trotzdem ist der Anteil der Frauen in den demokratisch gewählten Parlamenten zunächst vernachlässigenswert gewesen. Noch in den 1970er-Jahren war der Frauenanteil im österreichischen Nationalrat unter 10 Prozent. In den Achtzigerjahren beginnt das überall sprunghaft zu steigen. Das ist das, was ich einen Megatrend nenne: ein Trend, eine gesellschaftliche Entwicklung, die nicht im engsten Sinn politisch gesteuert wird, die auch im engsten Sinn politisch nicht gebremst werden kann. Man kann diesen Megatrend verstärken, man kann ihn vielleicht bremsen, verlangsamen, aber er passiert. Er passiert ebenso in Nordeuropa wie in Mexiko, ebenso in Japan – hier mit einer kulturell bedingten, auffallenden Verspätung –, er passiert überall.

Das hat auch nichts mit links/rechts zu tun. Das ist auch der Grund, warum ich neben den beiden Frauen, zu denen ich aufgrund meiner früheren Forschungstätigkeit eine Art politikwissenschaftliches Naheverhältnis erworben habe, nämlich zu Eleanor Roosevelt und Indira Gandhi, eine Frau gewählt habe, die so ganz und gar nicht der Vermutung entspricht, dass der Aufstieg der Frauen etwas mit links zu tun hat. Er passiert gesellschaftlich. Er kann und ist bei linken Parteien früher beobachtbar, aber es ist eben – die Frau Präsidentin hat auf zwei britische Premierministerinnen verwiesen - -, man könnte auch hinzufügen: Wo ist die erste Labour-Premierministerin? Die gibt es nicht und ich würde hinzufügen: noch nicht, wenn wir der Labour Party zumuten können, dass sie jemals wiederum die Position in der Downing Street 10 besetzen kann, dann wird es auch eine Frau aus der Labour Party geben können. Das heißt, es ist nicht mit der traditionellen Links-rechts-Begrifflichkeit zu erfassen. Deswegen habe ich Margaret Thatcher mithineingenommen: weil sie so überhaupt nicht dem Typus – insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik – linker politischer Inhalte entspricht.Für mich ist dieser Aufstieg der Frauen etwas, was nicht primär mit politischen Inhalten zu tun hat – also nicht, was wir in der Politikwissenschaft Policies nennen –, sondern mit politischen Prozessen, mit Politics. Das heißt, der Aufstieg der Frauen bedeutet nicht mehr inhaltliche Gerechtigkeit, aber mehr formelle Gerechtigkeit, eine Zugangsgerechtigkeit. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wenn eine Frau ein Mandat im britischen Unterhaus, im deutschen Bundestag, in der italienischen Abgeordnetenkammer besetzt, sie einem Mann einen Sitz wegnimmt. Es geht ja um Wettbewerb, um Konkurrenz, es geht um Macht. Frauen in der Politik bedeuten nicht, dass die Politik liebenswert, sanft wird – überhaupt nicht. Frauen in der Politik sind dann erfolgreich, wenn sie Politik so beherrschen und ausüben, wie das eben in der Politik üblich ist: als Wettbewerb – in der Demokratie als friedlicher Wettbewerb.Da gibt es gerade auch bei den drei Frauen Beispiele, dass sie gerade nicht der Vorstellung entsprochen haben, Frauen in der Politik sind im Zweifel Pazifistinnen. Eleanor Roosevelt hat massiv darauf gedrängt, dass ihr Mann, mit dem sie eine arbeitsteilige politische Vereinbarung gehabt hat - - Doris Kearns nennt das: Eleanor sagt das, was richtig ist, und Franklin tut das, was möglich ist. Das heißt, Eleanor Roosevelt hat die Regierung ihres Mannes dazu gedrängt, in den Zweiten Weltkrieg militärisch einzugreifen – gegen Nazideutschland, gegen Japan. Das heißt, sie war überhaupt keine Pazifistin. Sie war dafür, dass die USA auf der Seite einer für sie gerechten Sache auch militärisch agieren.

Das Gleiche gilt auch für Indira Gandhi, in deren Regierungszeit ja der Aufstieg Indiens zur Atommacht begonnen hat. Indira Gandhi hat 1975/76 Krieg geführt gegen Pakistan – erfolgreich Krieg geführt. Sie war, was ihre militärische Kapazität und Fähigkeit betrifft, erfolgreicher als ihr von Mahatma Gandhis geprägten Pazifismus noch gleichsam geprägten Vater Nehru entsprochen hat. Sie hat Krieg geführt. Man kann lange diskutieren, ob das gut oder schlecht war, aber sie hat militärisch gehandelt.

Margaret Thatcher: Ihr Krieg war 1982 im Südatlantik. Sie hat den argentinischen Militärdiktatoren gezeigt, dass sie sich das als Frau nicht gefallen lässt. Sie hat übrigens auch sehr geschickt ihren guten Freund im Weißen Haus, Ronald Reagan, dazu gebracht, dass er sie nach einigem Zögern letztlich doch unterstützt beim militärischen Eingreifen im Südatlantik.

Das heißt – nur als Beispiel –, dass Frauen in der Politik als solche den Erfolg darstellen, weil sie mehr Zugangsgerechtigkeit zur politischen Macht ausdrücken. Das heißt aber nicht, dass damit ein anderer Inhalt, ein qualitativ anderer Inhalt, verbunden sein muss. Er kann damit verbunden sein, er muss aber nicht damit verbunden sein. Der Aufstieg der Frauen in der Politik ist mehr Gerechtigkeit im Sinne von Zugangsgerechtigkeit – oder wie das die Frau Präsidentin gesagt hat: das Durchstoßen eines gläsernen Plafonds. Frauen sind nicht mehr wie früher ausgeschlossen und das können wir in der Gesellschaft beobachten.

Als ich noch Jus studiert habe, in Wien, hat man Frauen gesagt: Wenn ihr Jus studiert, macht euch keine Hoffnung auf das Richteramt; Frauen werden in das Richteramt nicht aufgenommen, weil den Bauern am Land ist nicht zuzumuten, dass sie sich der Autorität einer Frau unterwerfen. – Heute ist der Richterberuf weitgehend verweiblicht. Das heißt, wir haben hier einen massiven Wandel – nicht nur in der Politik, sondern in der Gesellschaft. Die Rollenbilder – was typisch männlich, was typisch weiblich ist – verschwimmen. Es ist immer weniger eindeutig, was Sache des Mannes und was Sache der Frau ist. Daher ist die Alternative zum Patriarchat, das ich definiere als die De-facto-Diskriminierung von Frauen, nicht das Matriarchat, sondern das Ende des Patriarchats, aber nicht durch das Matriarchat, sondern durch ein Verfließen der gesellschaftlichen Funktionen und Rollenbildern zwischen Männern und Frauen.

Eleanor Roosevelt, Indira Gandhi und Margaret Thatcher sind für mich interessante Beispiele, aber sie stehen für einen Megatrend und nicht nur für sich allein. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

Petra Stuiber: Darf ich Sie bitten, dass Sie in der Mitte Platz nehmen? – Okay, wir haben technische Probleme. Was soll ich jetzt machen? Tanzen? (Heiterkeit.)

Wir setzen uns einmal hin. – Frau Professorin, bitte. Immerhin sitzen wir schon einmal gut.

(Aufgrund einer technischen Störung ist die Tonaufnahme unterbrochen.)

Dann erzähle ich Ihnen vielleicht ein bisschen etwas über das Buch, bevor wir zu diskutieren beginnen. Ich habe es ja natürlich gelesen. Das ist das Buch, ich halte es noch einmal hoch. Wenn man jetzt einmal von den politologischen Erkenntnissen des Herrn Professor absieht, ist es auch zeithistorisch sehr interessant. Es ist sehr detailliert beschrieben, also ich habe vieles erfahren. Ich lese sehr gerne historische Bücher, ich erfahre sehr gerne etwas über Biografien – besonders von Frauen. Zum Buch muss man sagen, dass wirklich sehr detailliert und auf jeden Fall auch sehr gut zusammengefasst ist: Was macht diese Frauen aus? Was macht sie so besonders? Wobei man ja sagen muss, zum Beispiel Margaret Thatcher: Natürlich, sie hat gute Bildung, sie kam aus einem bürgerlichen Haushalt, aber sie zählte natürlich nicht zur Elite ihrer Partei, also sie hat sich sehr wohl hochgearbeitet und hat einige Männer hinter sich gelassen, die ihr das furchtbar übel genommen haben, aber wenn man Wahlen gewinnt, wird einiges verziehen.

So, geht es los? – Wunderbar, okay. Ich möchte zu einer kurzen Diskussion überleiten. Der Herr Professor hat die Präsentation gehalten. Ich möchte mich Kathrin Stainer-Hämmerle beginnen und möchte sie fragen: Teilen Sie die Analyse, dass wir es mit einer Feminisierung der Politik zu tun haben, dass wir sozusagen einen unumkehrbaren Prozess gestartet haben? Ist es tatsächlich so, dass die Frauen nicht mehr aufzuhalten sind? Was ist Ihre Analyse dazu?

Kathrin Stainer-Hämmerle (Politik- und Rechtswissenschaftlerin): Also ich teile die Analyse auf jeden Fall, dass Frauen keine andere Politik machen, aber natürlich ist es nicht egal, ob Frauen an der Politik teilnehmen, weil sie andere Sichtweisen einbringen aufgrund ihrer Lebensumstände, wobei ich allerdings den Optimismus nicht ganz so teilen kann mit dieser Selbstverständlichkeit, dass dieser Prozess eingetreten ist. Mit der Geschwindigkeit – vor allem in Österreich – bin ich nicht zufrieden. Ich muss auch sagen, ich bin auch skeptisch, ob derartige Prozesse unumkehrbar sind, wenn es um Frauenpolitik geht – also nicht Frauen in der Politik, sondern wenn es um Politik für Frauen geht. Das erleben wir auch in Europa in diesen Zeiten, glaube ich, wenn man jetzt nach Polen oder Ungarn blickt.

Mein großer Einwurf ist natürlich: Österreich – keine Bundespräsidentin, das wissen wir, keine gewählte Bundeskanzlerin, drei Landeshauptfrauen von beinahe 70, aber je näher wir zur Bevölkerung kommen, desto dramatischer werden die Zahlen. Das heißt, wir haben jetzt 9 Prozent Bürgermeisterinnen in Österreich. Das würde bedeuten, bis wir bei 50/50 sind: noch einmal 400 Jahre.

Petra Stuiber: Das ist zu lang.

Kathrin Stainer-Hämmerle: Also das ist definitiv zu lang. Auch auf der kommunalen Ebene der Gemeinderäte und -rätinnen sind es gerade einmal 25 Prozent. Das heißt, da würde es auch noch einmal 100 Jahre dauern in dieser Geschwindigkeit. Selbstverständlich wird es schneller gehen.

Für mich gibt es aber zwei Aspekte, die es Frauen immer noch sehr schwer machen. Das ist einerseits das Verhältnis zur Macht oder auch der Blick auf Frauen mit Macht und das andere ist auch dieser andere Megatrend, den wir erleben in dieser Gesellschaft – ich glaube, Margaret Thatcher ist ein bisschen ein Beispiel dafür –, nämlich die Individualisierung. Ich erkläre es kurz anhand von drei Generationen aus meiner Familie. Meine Mutter brauchte noch das Einverständnis ihres Gatten, um arbeiten zu dürfen. Das war im Gesetz festgeschrieben, nicht gleichgestellt, und das hat natürlich auch Solidarität zwischen Frauen möglich gemacht: gegen etwas gemeinsam einzutreten. Bei mir selber, in meiner Jugend, war die gesetzliche Gleichstellung schon sehr stark verankert, noch nicht perfekt, aber der Anspruch oder das Ablehnen von Ungleichheit aufgrund des Geschlechtes war vorhanden, aber was mir noch oft gesagt wurde, ist: Du kannst das nicht, du sollst das nicht, weil du ein Mädchen oder eine Frau bist. – Also diese Diskriminierung per Geschlecht war zwar gesetzlich im Schwinden, aber gesellschaftlich noch vorhanden. Vielleicht auch noch eine Anekdote: Als ich Jus studiert habe, galt Ähnliches, aber gegenüber den Männern. Da hieß es meinen männlichen Kommilitonen gegenüber, sie sollten sich keine Hoffnung machen auf eine Richterausbildung, im Moment werden Männer nicht genommen. Bei mir war es sogar fast noch eine Phase der Bevorzugung.

Anton Pelinka: Ich habe es vor Broda erlebt, Sie haben es nach Broda erlebt. Das macht einen Unterschied. (Heiterkeit.)

Kathrin Stainer-Hämmerle: Also ich muss gestehen, das war schon in den Neunzigern, also da ist noch einiges. Jetzt komme ich aber noch zum entscheidenden Punkt: Meine Tochter bekommt nicht mehr zu hören: Du kannst das nicht, du darfst das nicht, weil du ein Mädchen bist, sondern Frauen wird heute suggeriert, es ist die persönliche Leistung – ihr Vermögen oder ihre Unzulänglichkeit –, die verhindert, und das stimmt noch nicht ganz. Natürlich ist es immer noch der andere Blick auf Frauen, die andere Einschätzung auf Frauen, was ich aber sehr stark bemerke – gerade, wenn ich eben auch mit Frauen rede, die interessiert wären, in die Politik einzusteigen –, ist, dass sie viel mehr das Gefühl haben, selbst noch unzulänglich dafür zu sein, eben wegen dieses Blicks der Gesellschaft, aber nicht wegen des Geschlechts.

Petra Stuiber: Wenn wir das noch vertiefen in Bezug auf die kommunale Politik: Frauen auf kommunaler Ebene werden oft nicht aufgestellt oder sie setzen sich nicht durch oder sie werden dann auch nicht gewählt. Ist der Grund dafür dieser Blick von außen, dass Frauen mit Macht etwas Böses sind? Oder was ist der Grund dafür?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Na ja, es ist eigentlich beides. Es gibt ja dieses Problem des Double Bind, und das merke ich schon noch ganz stark. Das heißt vereinfacht gesagt: Mächtige Frauen sind nicht sexy. Also eine Frau, die sich für Macht entscheidet, muss zu einem gewissen Teil, um als kompetent wahrgenommen zu werden, als ebenbürtig mit den Männern, auf ihre weibliche Attraktivität verzichten. Das hat sozusagen viele Ursachen und es gilt zum Beispiel immer noch – es ist egal, ob das eine Feministin betrachtet oder konservative Teile der Bevölkerung –: viel Haut zu zeigen macht inkompetent. Männer kommen da selten in die Versuchung, viel Haut zu zeigen, aber Frauen würden das vielleicht gerne öfters tun, aber es funktioniert nach wie vor nicht. Es wird besser und wir sollten auch daran arbeiten, aber es funktioniert nicht. Das ist dieses Double-Bind-Problem. Natürlich lehnen Frauen durch diesen Mechanismus Macht viel stärker ab. Für mich ist das schlechteste Argument bei so einem Politikerinnen-Lehrgang, wenn ich dann frage, was sie denn planen, was ihr Ziel nach diesem Lehrgang ist, dann sagen ganz viele: Mir geht es um die Sache und nicht um mich. – Das funktioniert in der Politik natürlich nicht, weil man eine Sache sozusagen nicht kommunizieren kann, wenn man nicht bereit ist, sich in die erste Reihe zu stellen. Und jetzt sind wir noch nicht bei dem Thema, dass Frauen natürlich Mehrfachbelastungen haben, weniger Zeit haben und, gerade diese Tage auch, ganz anders behandelt werden, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten, nämlich auch noch mit viel mehr Feindseligkeit und Untergriffigkeit zu rechnen haben.

Petra Stuiber: Davon können Journalistinnen übrigens auch ein Lied singen. – Herr Professor, wir haben auch ein bisschen über die Individualisierung gesprochen. Einer, der es um die Sache ging und der es aber auch sehr stark um sich selbst ging, war zum Beispiel die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Eine Frage, die mich wirklich interessiert: Warum haben – ich weiß schon, 21. Jahrhundert – Sie sie nicht in Ihr Buch hineingenommen?

Anton Pelinka: Ich habe Golda Meir nicht hineingenommen!

Petra Stuiber: Ja, stimmt. (Heiterkeit.)

Anton Pelinka: Ich habe viele nicht hineingenommen. Ich habe mich auf die drei konzentriert, wie gesagt: Roosevelt und Gandhi, weil sie mir nahe waren, und Thatcher, weil ich zeigen wollte: Das ist nichts, was einfach mit links/rechts zu tun hat. Ich habe Merkel natürlich auch nicht hineingenommen, weil sie noch am Leben und Kanzlerin war, als ich das Buch geschrieben habe, während ich über Roosevelt und Gandhi und Thatcher geschrieben habe, als ich bereits Bilanz ziehen konnte.

Petra Stuiber: Okay.

Anton Pelinka: Aber natürlich ist Merkel ein interessanter Fall. Vielleicht noch etwas: Alle Daten der britischen Meinungsforschung zeigen, dass Margaret Thatcher überproportional von Männern gewählt wurde und unterproportional von Frauen gewählt wurde. Das sagt sehr viel aus. Das sagt aus, dass Frauen offenkundig mit einer Frau, die so männlich auftritt – die Eiserne Lady –, mehr Schwierigkeiten haben als Männer. Das ist ein Datum, das, glaube ich, Anlass zum Nachdenken gibt.

Übrigens: Megatrend ist ein Trend. Ein Trend ist nicht zu Ende und die Zukunft ist offen und es kann natürlich alles passieren. Gerade nach 1,5 Jahren Pandemie wissen wir: Die Zukunft ist offen. Immerhin steigt der Anteil der Frauen jahrzehntelang in allen Bereichen der Politik, in allen Bereichen der Wissenschaft. Ich habe mich noch in den Achtzigerjahren massiv dafür einsetzen müssen, dass eine Frau an die sozial- und wissenschaftswirtschaftliche Fakultät als Professorin berufen wurde. Heute ist das kein Thema mehr. Im Universitätsrat, dem ich angehöre, sitzen vier Frauen neben drei Männern. Im Vizerektorat der Universität Innsbruck sitzen zwei Frauen und zwei Männer. Das heißt, im Bereich Bildung als Zugang zur Macht haben wir einen massiven Trend. Der kann natürlich enden, nur sehe ich es noch nicht, dass der endet. Das heißt, wenn wir einen Trend nicht als einen Abschluss einer Entwicklung sehen, sondern als eine Entwicklung. Natürlich können radikale neokonservative Populisten das alles umdrehen, aber immerhin ist die europäisch prominenteste radikale Neopopulistin eine Frau, Marine Le Pen. Mir fällt auf, dass eine Spitzenkandidatin der Alternative für Deutschland eine gleichgeschlechtlich orientierte Frau ist. Auch das wäre vor 40 Jahren undenkbar gewesen. Das heißt, wir haben einen Trend, der offenkundig auch die betrifft, die Reserven haben, Affekte haben, wenn es um „Genderisierung“ geht, die glauben, die Freiheit ist bedroht, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch trägt – da passiert auch Feminisierung. Warum ist Marine Le Pen unbestritten bis auf Weiteres die Spitzenvertreterin des Rassemblement National? – Weil es eben den Megatrend gibt, aber nicht das Ende.

Petra Stuiber: Mich würde noch etwas interessieren, Herr Professor. Es gibt ja trotzdem keinen Grund, zufrieden zu sein. Wir haben gehört – Johanna Dohnal –, es geht um eine menschliche Gesellschaft. Damit können wir ja wohl nicht zufrieden sein, wenn wir immer noch zum Beispiel, ich glaube, 7, 9 Prozent Universitätsprofessorinnen haben. Wenn es tatsächlich so schwierig ist, eine gewählte Bundeskanzlerin zu bekommen, wenn es tatsächlich so schwierig ist, Bundesparteivorsitzende einer staatstragenden Partei zu sein: Was soll man denn tun? Ist zum Beispiel Frauensolidarität etwas, was uns weiterhelfen kann? Frau Prof.in Stainer-Hämmerle hat es ausgerechnet: In 400 Jahren haben wir Gleichstellung. Das kann es ja auch nicht sein, oder?

Anton Pelinka: Also erstens einmal glaube ich, dass das Ende von Patriarchat und Matriarchat heißt, dass das, was ich derzeit in Grenzen für vernünftig halte – nämlich das Quotendenken –, überholt sein wird und wenn der Trend weitergeht, sozusagen nicht mehr geschaut werden, gezählt werden, wie groß der Frauen- und Männeranteil ist, und alles, was nicht 50/50 ist, wird irgendwie als Defizit empfunden. Das ist aber der lange Blick. Das heißt, das Frausein und das Mannsein wird bedeutungslos werden und es ist ja schon, wenn wir jetzt einmal schauen – Universitäten – seit, glaube ich, mindestens 20 Jahren die Mehrheit der an österreichischen Universitäten Studierenden weiblich.

Petra Stuiber: Das stimmt, aber wo sind die alle?

Anton Pelinka: Bis man Professorin wird, dauert es eine Zeit lang. Ich kenne die Zahl nicht, 9 Prozent, aber wie viel von den in den letzten zehn Jahren berufenen waren Frauen? Sicherlich viel mehr als 9 Prozent. Da sieht man einen Trend. Wir haben den Endpunkt nicht erreicht. Was man den Frauen sagen kann: natürlich – Bildung! Das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche, die Grund haben, sich benachteiligt zu fühlen. Zuwanderer und Zuwandererinnen, ethnische Minderheiten – Bildung! Und daher ist doch die Tatsache, dass über 50 Prozent der in Österreich Studierenden weiblich sind, Grund für Optimismus.

Petra Stuiber: Natürlich. – Frau Stainer-Hämmerle, wie optimistisch sind Sie?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Optimistisch bin ich generell, allerdings doch nicht ganz so zufrieden mit dem Tempo.

Anton Pelinka: Zufrieden bin ich auch nicht, aber ich sage als Mann: Das ist Sache der Frauen. Ich würde ersuchen: Kämpft darum! Kämpft darum! Ich bewerbe mich nicht um einen Sitz im Parlament, der den Frauen weggenommen werden könnte. Ich bin draußen.

Kathrin Stainer-Hämmerle: Das Thema Frauensolidarität: Frauen und Männer sind sehr unterschiedlich. Es ist schon auch Thema des Rechts- oder Linkssein, nämlich insofern, dass die Vorstellungen über Gleichstellung oder das Ziel der Gleichstellung sehr unterschiedlich sind, je nachdem, ob man rechts oder links der Mitte steht. Das verunmöglicht Frauensolidarität, weil natürlich Frauen innerhalb der Gruppe noch viel unterschiedlichere politische Vorstellungen haben wie zwischen Männern und Frauen. Also ich appelliere natürlich, Männer mitzunehmen, einzuladen, um für eine menschlichere Welt zu sorgen – also ganz im Sinne von Johanna Dohnal –, aber zu Frauen sage ich auch, sie sollen es ablehnen, immer zu sagen, sie müssen solidarisch sein – weil es nicht geht. Es gibt nämlich eine eigentlich sehr logische Begründung dafür, dass Frauenleben immer noch viel, viel komplizierter sind, nämlich zusätzliche Trennlinien haben zu Männerleben. Das bedeutet, Männer haben unterschiedliche Ausbildungen, unterschiedliche politische Vorstellungen, sie haben eine unterschiedliche Berufswahl, aber ein Männerleben ist generell immer noch relativ uniform. Man kann jetzt natürlich Lehrer werden oder Unternehmer, Handwerker oder Akademiker, aber es ist sozusagen vorgezeichnet. Frauen wollen das auch, sie unterscheiden sich hier auch, aber es gibt noch zusätzliche Fragen, nämlich: Wie viele Kinder möchtest du haben? Wie lange wirst du zu Hause bleiben?, und alle diese Themen. Das heißt, Frauen haben miteinander noch einmal eine Trennlinie, die nicht nur sachlich diskutiert werden kann, sondern wo wir auch dazu neigen, uns moralisch zu bewerten: Hast du das richtig gemacht? Hast du das falsch gemacht? Würde ich das auch so machen?

Petra Stuiber: Sie selbst oder andere Frauen?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Andere, natürlich aufgrund der eigenen Erfahrung, aber auch oft der Erfahrungen innerhalb der Familie, die Frauen in den Generationen davor schon gemacht haben. Was Frauen besonders schwerfällt, ist natürlich, einen anderen Lebensentwurf, den sie selber gewählt haben oder vielleicht wählen würden, zu unterstützen. Dieses Problem haben Männer nie. Das bedeutet, wenn die Sozialdemokratie dafür eintritt, zu sagen, Frauen sollen in den Arbeitsprozess integriert sein – das wäre Gleichstellung –, eigenes Einkommen – Autonomie –, ja, dann können natürlich andere Parteien sagen: Nein, wir wollen, dass die Tätigkeit von Frauen, wenn sie zu Hause bleiben und Kinder erziehen, gleich viel wert ist und geben ihnen Müttergeld. Ich kann nicht entscheiden, welches das bessere Modell ist, was die Gleichstellung betrifft. Es sind einfach unterschiedliche. Solange man von Frauen erwartet, sich auf eines dieser Modelle zu einigen, verunmöglicht man natürlich jegliche Weiterentwicklung in dieser Richtung. Ich gehe in kein Frauennetzwerk mehr, weil ich seit vielen Jahrzehnten die Diskussion erlebe, dass man sich immer nur nicht einig werden kann, wer jetzt den besseren oder gerechteren Lebensentwurf hat. Es sind ja einfach ideologische, politische Fragen, aber keine Frage von richtig oder falsch. Das muss ich einfach sagen, da haben Frauen – noch – eine deutliche Unterscheidung.

Für mich ist Gleichstellung dann erreicht, wenn zum Beispiel Armut so definiert wird, dass diese nicht nur weniger Pension im Alter betrifft. Dieser Spalt ist übrigens wieder aufgegangen in diesem Jahr, also es gibt durchaus auch Rückschritte in der Gleichstellung. Frauen haben heuer noch weniger Pension als Männer als sie letztes Jahr hatten.

Petra Stuiber: Natürlich auch was die Rollenbilder betrifft.

Kathrin Stainer-Hämmerle: Also immer, wenn es ökonomisch eng wird, dann bleibt Frauenpolitik, Gleichstellungspolitik etwas auf der Strecke. Gleichstellung ist aber nur dann erreicht, nicht, wenn Frauen ermöglicht wird, Männerleben zu führen, sondern wenn Männer – oder wir alle – sagen: Armut im Alter ist auch Armut an sozialen Kontakten – zum Beispiel, wenn man die Kinder nicht mehr gesehen hat, die Enkelkinder nicht kennt – und wenn uns allen klar wird, dass natürlich Männer auch ein einseitiges Leben führen, das nicht in dem Sinn das ganze Spektrum abbildet. Darum bin ich sehr froh, dass in den letzten Jahren Mädchenförderungen nicht mehr nur heißt: Frauen in die Technik, sondern es muss auch immer heißen: Männer in Erziehungsberufe oder in Pflegeberufe. Das sind Dinge, die sehr lange gebraucht haben. Da sind wir schon lange nach Dohnal, bis wir erkannt haben, dass es in beide Richtungen gehen muss. Von dieser generellen Unterscheidung sind wir noch lange entfernt – zum Beispiel, dass Männer die Frage bekommen, wenn sie Kinder haben, wie lange sie zu Hause bleiben und andere Männer dann beurteilen, ob das richtig oder falsch ist.

Petra Stuiber: Herr Professor, zum Abschluss habe ich noch eine Frage. Wir haben jetzt gehört, die Voraussetzungen, die die drei von Ihnen porträtierten Frauen hatten, waren zum Teil recht ähnlich: Sie waren alle sehr gebildet.

Anton Pelinka: Alle drei waren Mütter.

Petra Stuiber: Okay, vielleicht kann man ja daraus etwas ableiten. Was haben sie aber auch getan, um sich gegen die sehr starke männliche Konkurrenz auch tatsächlich durchzusetzen und an der Spitze zu bleiben? Was können Politikerinnen des 21. Jahrhunderts, vielleicht in Österreich, davon lernen?

Anton Pelinka: Erstens einmal, nur um klarzustellen: Das Patriarchat ist nicht am Ende. Es gibt viel zu tun, das Patriarchat wegzubekommen. Es passiert aber bisher viel in diese Richtung und es kann noch sehr viel passieren und es sollte noch sehr viel passieren.

Zweitens: Was wir von den drei Frauen lernen können, ist – das hat die Frau Kollegin schon beschrieben –, Macht nicht von sich wegzuschieben, sondern Macht zu ergreifen. Margaret Thatcher hat die Männer mit Macht ausgetrickst und die argentinischen Admiräle und Generäle mit militärischer Gewalt besiegt. Das heißt, sie hat ein Verhältnis zur Macht gehabt, was man in einer traditionellen Denkart als unweiblich sieht.

Ähnliches gilt für Indira Gandhi: Sie hat Macht bedient. Sie hat auch 1,5 Jahre am Rande eines autoritären Systems – 1975 bis 1977 – regiert. Da war sie nicht unbedingt eine Vorzeigedemokratin, aber bemerkenswert ist, dass sie dann wiederum zur Demokratie und zum Verfassungsstaat zurückgekehrt ist, aber sie hat natürlich Macht geübt. Sie ist in dem Sinn ja auch Opfer Ihres Umgangs mit Macht geworden, weil sie militärische Gewalt eingesetzt hat, um den Sieg Separatismus im Tempel von Amritsar zu überwinden – aus meiner Sicht begründbar, logisch, um Indien zusammenzuhalten –, aber deswegen wurde sie von Sikh-Attentätern ermordet. Das heißt, ihre Macht wurde mit Macht, Gewalt, Terror beantwortet.

Das heißt, wichtig scheint mir zu sein, einen nüchternen Umgang mit Politik, zu akzeptieren, dass man Macht nicht einfach negativ bewerten darf, wenn man in die Politik geht, wenn man sich mit Politik beschäftigt – Mut zur Macht –, natürlich, in der Demokratie zu einer demokratisch verregelten Macht, mit Respekt für das Machtbestreben anderer. Das ist bei Frauen sicherlich im Zuge der Sozialisierung, Weiblichkeitswahn und so weiter, ein größeres Problem – noch – als bei Männern, aber „noch“ heißt ja schon, dass es vor 40 Jahren noch viel nocher war als heute.

Petra Stuiber: Okay, ich möchte es jetzt gerne dabei belassen: Mut zur Macht. Bitte allen Frauen weitersagen – auch und vor allem in der Politik, aber nicht nur dort.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinem Podium, wenn ich so sagen darf: bei Frau Prof.in Stainer-Hämmerle, beim Autor Herrn Prof. Pelinka. Es war eine interessante Diskussion. Ich glaube, wir können sie auch noch ein bisschen weiterführen. Wenn Sie noch keine Sommerlektüre haben – das ist de facto wirklich eine gute: Sie lernen etwas dabei und, das darf ich jetzt als Journalistin sagen, es ist auch wirklich lebendig geschrieben.

Denken Sie darüber nach, fürchten Sie sich nicht vor Macht. Ich bedanke mich, dass Sie heute dabei waren, dass Sie zugehört haben, dass Sie alle möglichen Tonprobleme mit uns gemeinsam überwunden haben. Ich darf auch der Gastgeberin, der Frau Präsidentin danken. Es ist noch nicht vorbei, die Frau Präsidentin lädt uns noch ein in den Innenhof des Palais Epstein, wo es ein paar Erfrischungen gibt. Ich freue mich auf weitere Gespräche und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. – Herzlichen Dank. (Beifall.)