Transkript der Veranstaltung:
Jubiläumsveranstaltung 100 Jahre Burgenland
Thomas Hochwarter (Moderation): Herzlich willkommen! Das Burgenland ist, wie Sie alle wissen, ein Land der Pendler. Seit Jahrzehnten pendeln Burgenländerinnen und Burgenländer nach Wien, um hier zu arbeiten. Und auch heute sind wir nach Wien gekommen, allerdings um mit Ihnen zu feiern – und das aus einem wirklich erfreulichen Anlass: 100 Jahre Burgenland.
Mein Name ist Thomas Hochwarter und ich habe die Ehre, Sie im Namen des Dritten Präsidenten des Nationalrates Ing. Norbert Hofer durch diesen heutigen Galaabend zu begleiten.
Begrüßen Sie mit mir die Festredner des heutigen Abends: Herrn Ing. Norbert Hofer, Dritter Präsident des Nationalrates (Beifall), Mag. Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes (Beifall) und Dr. Herbert Brettl, Historiker. (Beifall.)
Es ist für uns eine große Freude, dass in diesem tollen Ambiente heute auch zahlreiche Ehrengäste erschienen sind. Begrüßen Sie bitte mit uns Seine Exzellenz Daniel Glunčić, Botschafter der Republik Kroatien (Beifall), Dr. Zoltán Eperjesi, der erste Botschaftssekretär der Botschaft von Ungarn in Wien (Beifall) in Vertretung des ungarischen Botschafters Dr. Nagy, der heute zeitgleich bei einem Staatsbesuch in Wien und daher verhindert ist.
Begrüßen Sie mit uns Frau Mag.a Astrid Eisenkopf, Landeshauptmannstellvertreterin des Burgenlandes (Beifall).
Wir begrüßen Günther Novak, den Vizepräsidenten des Bundesrates (Beifall), Herrn Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich, Abgeordneter zum Nationalrat und Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft außer Dienst (Beifall), Erwin Preiner, Präsident des Bundesrates außer Dienst (Beifall), Hans Niessl, Landeshauptmann des Burgenlandes außer Dienst. (Beifall.) – Herzlich willkommen.
Frau Mag. Daniela Winkler, Abgeordnete des Burgenländischen Landtags (Beifall), Herrn Mag. Heinrich Dorner, Landesrat der Burgenländischen Landesregierung (Beifall), Dr. Leonhard Schneemann, Landesrat der Burgenländischen Landesregierung – herzlich willkommen. (Beifall.)
Herrn Mag. Dr. Robert Jonischkeit, Superintendent der evangelischen Kirche im Burgenland (Beifall), Robert Hergovich, Klubobmann des SPÖ-Landtagsklubs im Burgenland (Beifall), Markus Ulram, Klubobmann des ÖVP-Landtagsklubs im Burgenländischen Landtag (Beifall), alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates (Beifall), Emmerich Gärtner-Horvath, den Vorsitzenden des Volksgruppenbeirates der Roma – herzlich willkommen. (Beifall.)
Mag. Iris Zsótér, die Obmannstellvertreterin des burgenländisch-ungarischen Kulturvereins (Beifall) und Frau Dr. Susanne Janistyn-Novak, die Parlamentsvizedirektorin – herzlich willkommen. (Beifall.)
Für den gebührenden musikalischen Abschluss und die Umrahmung sorgt heute das Haydn-Quartett – vom Schloss Esterhazy quasi direkt in diese ehrwürdigen Hallen hier ins Palais Epstein gekommen. Begrüßen Sie mit uns Fritz Kircher, Martin Kocsis, Gerswind Olthoff und Nikolai New. (Beifall.)
Die Werke Josef Haydns und seiner Zeitgenossen aus Sicht der Gegenwart neu aufzugreifen und vielleicht auch ein wenig neu zu interpretieren, dafür ist das Haydn-Quartett bekannt und berühmt und Sie hören jetzt ein Streichquartett, das in seiner Entstehungszeit ein völlig neuer Typus war, nämlich aus den „Russischen Quartetten“, Opus 33, „The Joke“, einerseits witzig in der Anmutung, andererseits auch sehr inspirierend, hat sogar Mozart imponiert, inspiriert und er hat sogar dieses Stück abgeschrieben. – Bitte schön.
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(Es folgt ein Musikstück.)
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(Beifall.)
Thomas Hochwarter: In Wien – aber nicht nur hier in Wien – werden sie gerne zum Besten gegeben: die Burgenländerwitze. Heute Abend hoffentlich nicht, heute sind sie hoffentlich tabu. Dass man Bewohner anderer Bundesländer ein wenig auf die Schaufel nimmt, das ist jetzt keine Spezialität, die nur uns Burgenländerinnen und Burgenländer betrifft, das ist einfach in Österreich so üblich. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die Burgenländer eher etwas zurückhaltend sind, eher etwas schüchterner manchmal, sich vielleicht eher auf den hinteren Plätzen einmal einfinden, wenn sie einen Raum betreten und einmal einfach zuhören ein wenig. Das heißt, ist das vielleicht sogar so etwas wie eine Mentalitätsfrage, hat das mit dem Bewusstsein zu tun? Warum tut sich der Burgenländer so schwer mit seiner eigenen Identität? Hat hoffentlich nichts mit dem Burgenländer-Witz zu tun, sage ich jetzt einmal.
Zum Werden des Bewusstseins eines ganzen Bundeslandes hören wir jetzt jemanden, der – ich sage einmal – die Seele des Burgenlandes kennt und vor allem die Geschichte, einen ausgewiesenen Experten, Dr. Herbert Brettl über die Identitätsfrage des Burgenlandes, Historiker aus Halbturn. – Bitte schön. (Beifall.)
Herbert Brettl (Historiker): Hohe Festversammlung! Es ist für mich als Burgenländer eine besondere Auszeichnung, Ehre und zudem Freude, heute während dieses außergewöhnlichen Festaktes zum 100-Jahr-Jubiläum des Burgenlandes mit mir und mit Ihnen einen Blick auf das Werden und das Sein des Burgenlandes machen zu können, einem Land, das nun seit 100 Jahren ein Teil Österreichs ist beziehungsweise anfangs wohl nur mit Österreich verbunden war, wie es in der burgenländischen Landeshymne auch heißt.
Vorweg zugleich: Das Burgenland ist keine Selbstverständlichkeit. Der Angliederung an Österreich gingen zunächst heftige Diskussionen – denken Sie an den Streit zwischen Österreich und Ungarn –, bizarre Aktionen – wie beispielsweise die Ausrufung von regionalen Republiken – und auch gewaltsame Auseinandersetzungen voraus. Und bereits nach 17 Jahren war dieses Bundesland, dieses neue Bundesland wieder Geschichte – während des Nationalsozialismus auf die Reichsgaue Niederdonau und der Steiermark aufgeteilt. Und nach dessen Ende 1945 stieß die Neugründung des Burgenlandes auf Widerstände aus den angrenzenden Bundesländern. Die Wiedererrichtung als eigenständiges Bundesland ist letztendlich Dank der sowjetischen Administration erfolgt.
Ein Land, das öfter in Zweifel gezogen wurde. Als das Burgenland aus der Taufe gehoben wurde, hatte das Land noch keine Grenzen. Mühsam mussten diese erst in den folgenden Jahren geklärt, vermessen oder auch erstritten werden. Gebiete, ja, ganze Dörfer wurden hin- und hergeschoben beziehungsweise eingetauscht, so manche Gemeinde des Burgenlandes wie Pamhagen, Rattersdorf, Liebing oder Luising werden erst nächstes Jahr oder gar übernächstes Jahr die 100-Jahr-Feierlichkeiten nochmals begehen können.
Während die alten Bundesländer Österreichs auf eine jahrhundertlange Traditionsbildung zurückgreifen konnten, so war das neue Bundesland 1921 ein Land ohne Identität und mit sehr geringen Selbstwertgefühlen. Das Burgenland musste diese sichtbaren Lücken durch den Aufbau einer eigenen Identität erst füllen – und diese Identität war eine essenzielle und existenzielle Notwendigkeit, wollte man sich doch von der alten Heimat Ungarn emanzipieren und gleichzeitig die Legitimität der Angliederung an Österreich belegen.
Ich darf dafür ein paar Beispiele anführen:
Zunächst war das Land der Heanzen und der Heidebauern ein Land ohne Namen. Der Prozess der Namensfindung gestaltete sich sehr problematisch. Deutsch-Westungarn oder Heanzenland, ja, auch eigenartige Begriffe wie Awarische Mark, Frankenburg oder Seenland machten die Runde. Der Name Burgenland war für dieses Land dann ausgewählt worden, benannt nach den ungarischen Komitatshauptstädten Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg. Letztendlich musste eine abgespeckte Version des Namens verwendet werden, nachdem keine dieser Städte dem Burgenland auch tatsächlich zugesprochen wurde – ein sehr holpriger Auftakt für das Land.
Nachdem die geplante Hauptstadt Ödenburg bei Ungarn blieb, fehlte dem Land ein repräsentativer Verwaltungs- und Regierungssitz. Eine kurzfristige Ausweichstation war der Kurort Sauerbrunn. Die endgültige Hauptstadtfindung gestaltete sich jedoch sehr, sehr schwierig. Sollte dies Mattersdorf, Eisenstadt, Pinkafeld, Sauerbrunn oder gar Wiener Neustadt werden? Eine schwierige Frage, da diese vor dem Hintergrund diskutiert wurde: Kann sich das Land überhaupt eine Hauptstadt leisten? Es bedurfte ja schlussendlich auch einer Infrastruktur für die Beamtenschaft. Nach längeren Debatten wurde Eisenstadt als Regierungssitz auserkoren und letztlich erst de jure 1981 verfassungsmäßig als Landeshauptstadt erklärt. Zudem mussten in dem neuen konstruierten Land, wo es keinen einzigen Ort mit einem Sitz eines Gerichtshofes oder irgendwelchen anderen Verwaltungseinheiten gab wie beispielsweise Bezirke oder Bezirkshauptstädte, diese erst geschaffen werden.
1921 war dieser theoretisch konstruierte Landstrich an der Ostgrenze, der zuvor noch nie eine Verwaltungseinheit war, ein Gebiet ohne gemeinsam empfundene Geschichte. Das Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte sich sehr, sehr zögerlich. Allzu lang war der Sieggrabener Sattel eine kulturelle Wasserscheide des Burgenlandes. Kittsee im Norden und Kalch im Süden kannten sich kaum und hatten wohl auch keine Gemeinsamkeiten damals.
Für die Identität des Landes war es unbedingt notwendig, sich sinngebende Symbole zu geben. Das Wappen als visuelle Ausdrucksform entsprang einer Komposition aus den Teilen der Mattersdorf/Forchtensteiner aus dem Norden und dem Güssinger aus dem Süden. Hauptkriterium war wohl, dass diese beiden Adelsgeschlechter historisch gesehen eine ungarnkritische Haltung eingenommen hatten. Die Farben Rot und Gold waren wohl eine Anspielung auf die Farben der Vandalen, das germanische Volk, das sich während der Völkerwanderung im Frühmittelalter im heutigen burgenländischen Raum aufhielt und somit man hier eine altgermanische Besiedlung suggerieren wollte. Ja selbst der spätere NS-Gauleiter Portschy betonte in seinem Telegramm an Adolf Hitler 1938, dass im Burgenland Theoderichs Wiege stand. Ebenso musste der ehemalige ungarische Landespatron, der heilige Stephan, per Erlass einem neuen burgenländischen Landespatron weichen. Der heilige Martin, zwar der Legende nach auch im heutigen Ungarn geboren, ist heute höchst populär.
Doch anfangs zeigte sich insbesondere die evangelische Bevölkerung irritiert, da ein dezidierter katholischer Festakt zu einem Landesfeiertag erklärt worden war. Auch die Sozialdemokratie äußerte sich kritisch und sprach sich eher für eine Implementierung des österreichischen Staatsfeiertages aus – ein Zeichen dafür, dass die Identitätsstiftung des Landes eine schwierige war. Der Landespatron war jedoch ein wichtiges Zeichen, um die Selbstständigkeit auch gegenüber der Erzdiözese Wien, wo bekanntlich die Apostolische Administratur des Burgenlandes angesiedelt war, darzulegen. Der letzte formelle Akt des eigenständigen Landes war sicherlich die Errichtung der Diözese Eisenstadt im Jahr 1960, aber auch des ORF-Landesstudios 1967.
Zudem erachtete man es als unerlässlich, dem neuen Land auch eine Hymne zu geben – die Hymnenfindung dauerte 15 Jahre und konnte erst mit einem Wettbewerb beendet werden. Ja, selbst eine eigene Burgenlandtracht erachtete man als wichtige Identitätsstiftung. Wie sehr, das zeigt sich darin, dass die Kreationen der Modeschöpfer 1967 im Burgenländischen Landtag der Regierungsspitze vorgetragen und präsentiert wurden.
Es war die Angst vor einem Revisionismus Ungarns, der lange im Burgenland präsent war, und dieser führte zu der Ausformung einer eigenen Identität. Es war damit auch eine Form des Abwehrkampfes gegen den Nachbarn, dem man lange misstraute. Der Sozialdemokrat Ludwig Leser, Landeshauptmannstellvertreter und Kulturlandesrat, meinte 1931 dazu: Aufräumen mit dem, was noch madjarisch ist, aufbauen und Neues schaffen. Aus diesem Grund gehört in der Gründerzeit der Aufbau einer eigenständigen Kultur zu den Prioritäten, um das Burgenland-Bewusstsein zu kreieren, um sich von der ungarischen Vergangenheit abzugrenzen und gleichzeitig dem übrigen Österreich, das das Land kaum kannte, die kulturellen Leistungen aufzuzeigen. Nach dem raschen Aufbau eines Landesmuseums, Landesarchivs und einer Landesbibliothek waren die sogenannten burgenländischen Kulturpersönlichkeiten Josef Haydn und Franz Liszt als Gallionsfiguren und Integrationsfiguren auserkoren, um den deutschen Charakter des Landes zu belegen.
Aus dem verordneten Landesbewusstsein von damals entwickelt sich erst nach Jahrzehnten eine wirkliche burgenländische Identität. Auch das Bewusstsein, auf das Land stolz zu sein, entwickelte sich erst viel, viel später. Bundeskanzler Fred Sinowatz meinte dazu, dass ein Burgenländer auf die Frage, woher er komme, lange Zeit mit der Aussage: aus der Nähe von Wien!, geantwortet hätte und er den Heimatort meist vor dem Bundesland nannte. Der Minderwertigkeitskomplex entstand aus einer sozialen und wirtschaftlichen Lage des Landes und erst der wirtschaftliche Aufschwung stärkte das Landesbewusstsein.
Erlauben Sie mir nun, ein paar Situationsbestände von damals, aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren aufzuzeigen und die Entwicklungstendenzen des Burgenlandes Ihnen darzubringen:
Das Burgenland war – und ich sage immer wieder ist – ein Land der Dörfer, wo die Sprachvariante vielleicht die Ortszugehörigkeit verriet. Die Dörfer waren die Basis der Gemeinschaft, wo gelebt, vielfach geheiratet und zumeist auch gearbeitet wurde. Das Burgenland hatte 1921 keinen Ort, der über 5 000 Einwohner zählte. Und nachdem die größeren Städte bei Ungarn verblieben, blieben auch die Bildungszentren in Ungarn. Das Burgenland verfügte 1921 nur über eine maturaführende Schule in Oberschützen. Im Land verblieben beinahe nur Volksschulen, die zu 80 Prozent als konfessionelle Schulen geführt wurden. Erst in den 1960er-Jahren konnten in allen Bezirksvororten im österreichischen Kontext höhere Schulen eingerichtet werden. Aber es sollte zudem nicht unerwähnt bleiben, dass die Analphabetenrate im Burgenland auch bei der Angliederung nicht höher als in den anderen Bundesländern war.
Die soziale beziehungsweise gesundheitliche Situation in den 1920er und 1930er Jahren war äußerst prekär. Ein paar Zahlen sollen dies vielleicht verdeutlichen:
Die Kindersterblichkeit lag damals bei 40 Prozent und die Lebenserwartung, sofern man das fünfte Lebensjahr erreichte, lag bei durchschnittlich 57 Jahren. Verantwortlich dafür waren unzureichende Hygienebedingungen, schlechte Wohnverhältnisse, eine mangelhafte Wasser- und Gesundheitsversorgung.
Tuberkulose war die Haupttodesursache im Land, in manchen Dörfern betrug sie 50 Prozent – in einem Land, wo es 1921 in Summe 80 Spitalsbetten, 54 Ärzte für Allgemeinmedizin und vier Zahnärzte gab.
Bei der Angliederung des Burgenlandes 1921 war das Burgenland ein wirtschaftlich vernachlässigtes Grenzland, Fremdenverkehr und Industrie waren kaum entwickelt, es war ein Land ohne Fabriken. Es gab nur 31 Betriebe, die mehr als 20 Arbeitskräfte beschäftigten, 90 Prozent aller Gewerbebetriebe hatten weniger als fünf Beschäftigte. Die junge Republik Österreich, die Konkursmasse der Monarchie, konnte aufgrund seiner eigenen desaströsen finanziellen Situation kaum positive Impulse für einen Aufschwung setzen.
Eine Verkehrsinfrastruktur war praktisch nicht gegeben, die Straßenzustände verheerend. Für eine Fahrt von Eisenstadt nach Jennersdorf benötigte man beinahe einen Tag und nach der Schneeschmelze beziehungsweise nach starken Regenfällen war dies ohnehin nicht möglich. 1927 berichtete die Landesbauleitung stolz, dass erstmals ein Straßenstück von 3,3 Kilometer Länge einen Asphaltbelag erhalten habe. Die Nord-Süd-Verbindung, die sogenannte Burgenlandstraße, wird erst 1972 fertiggestellt werden.
Ebenso bestand nur ein rudimentäres Eisenbahnnetz mit einer fehlenden Nord-Süd-Verbindung – eine Situation, die unverändert blieb. Ja selbst die rund 300 Kilometer Gleisanlagen von 1921 verkürzten sich in den folgenden 100 Jahren auf rund 200 Kilometer. Im selben Ausmaß reduzierte sich auch die Anzahl der Haltestellen.
Das Land war überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Zwei Drittel der burgenländischen Bevölkerung waren in der Landwirtschaft tätig, im Südburgenland um die 80 Prozent.
Die Besitzstruktur war denkbar ungünstig, da 15 Großgrundbesitzer ebenso viel Land bewirtschaften wie 31 000 Kleinbauern. Im Bezirk Mattersburg waren 96 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe kleiner als 10 Hektar – eine Situation, gepaart mit Kapitalmangel, mit niedrigen Agrarpreisen, die zu einer großen Verarmung großer Teile der Bevölkerung führte.
Die Lage verbesserte sich in den folgenden Jahrzehnten kaum, extreme Not und Perspektivenlosigkeit führten dazu, dass das unterentwickelte Armenhaus Österreich in den 1920er-, 1930er-Jahren zum größten Abwanderungs- und Auswanderungsland der Republik wurde. Obwohl das Burgenland nur 3 Prozent der österreichischen Bevölkerung stellte, so stellte es in der Zwischenkriegszeit 30 Prozent der Auswanderer. Jeder fünfte Einwohner aus dem Bezirk Güssing emigrierte, und in manchen Gebieten und in manchen Dörfern war es sogar ein Drittel der Bevölkerung.
In Summe dürften mit der Wanderung vor dem Ersten Weltkrieg, in der Zwischenkriegszeit, aber auch mit der Abwanderung nach 1945 rund 100 000 Burgenländerinnen und Burgenländer ausgewandert sein. Die Zahlen der Binnenmigration dürften ähnlich hoch sein. Fernweh und Heimweh waren lange Zeit ein ständiger Begleiter der Burgenländerin und des Burgenländers.
In den 171 Gemeinden des Landes leben heute knapp 300 000 Menschen, ein Völkergemisch, zu dem auch die autochthonen Burgenlandkroaten, Ungarn und Roma gehören. Dieses ehemals multiethnische Land hat aber schrittweise seine Vielfalt verloren. Durch die Barbarei des Nationalsozialismus wurde das burgenländische Judentum schneller und brutaler ausgelöscht als sonst wo in Österreich. Heute wird das Judentum nur durch museale Einrichtungen und Friedhöfe im Burgenland repräsentiert. Die Volksgruppe der Roma wurde ebenso gnadenlos verfolgt und beinahe vollkommen ausgelöscht. Auch nach 1945 fand die Diskriminierung lange kein Ende. Auch der Anteil der Burgenlandkroaten und der Burgenlandungarn nahm begünstigt durch Abwanderung und Assimilierung drastisch ab. Deren Rechte, obwohl im Staatsvertrag verankert, wurden erst Jahrzehnte später umgesetzt.
Auch, wenn es heute im Bereich der Minderheitenrechte sehr positive Perspektiven gibt, so waren wir lange Zeit kein multi-ethnisches Musterland.
Die bereits angesprochene Zeit des Nationalsozialismus, die anfangs auch im Burgenland vielfach begeistert begrüßt wurde, hatte für das Land fatale Folgen. Jeder dritte Soldat, der eingerückt war – 18 000 Soldaten –, fand im Zweiten Weltkrieg den Tod. Zudem wurden 8 000 Roma, rund 1 500 jüdische Bewohner, mindestens 350 kranke und beeinträchtigte Personen und 116 politische Gegner – selbst der damalige Landeshauptmann – Opfer des Nationalsozialismus. Zu Kriegsende fand obendrein der Holocaust vor unserer Haustür statt, als rund 2 000 ins Burgenland verschleppte jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn ermordet wurden.
Die sozialen und ökonomischen Probleme prägten auch die Anfangsjahre nach dem Krieg. Kriegsende und Besatzungszeit trafen das Burgenland schwer und der Aufbau des Landes erfolgte nur zaghaft, die wichtigsten Wirtschaftshilfen blieben lange aus. Nur 0,33 Prozent der österreichischen Marshallplangelder gelangten ins Burgenland. Wer investiert schon in ein von den Sowjets besetztes Land am Eisernen Vorhang! Die meisten persönlichen Hilfen kamen vielfach von den Auslandsburgenländern.
Ein zögerlicher wirtschaftlicher Aufschwung im mitteleuropäischen Kontext erfolgte für das Aschenputtel am östlichen Rande erst in den späten 1950er und in den 1960er Jahren, als zunehmend Betriebe sich ansiedelten und zumeist Arbeitsplätze für Frauen im Niedriglohnsegment schafften. Aber auch das Gewerbe und der Tourismus konnten den Aufschwung langsam verspüren. Zögerlich und zaghaft deshalb, da der Eiserne Vorhang lange einen Schatten über das Land warf. Er prägte das Land, er engte es ein und er schmälerte die Perspektiven.
Durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft waren zunehmend noch mehr Burgenländerinnen und Burgenländer gezwungen, sich neue, mehr oder weniger gut bezahlte Arbeitsplätze zu suchen. Nachdem diese im Land fehlten, wurde das Burgenland zum Land der Pendler, ja vielfach auch Gastarbeiter Österreichs genannt. Ab 1971 arbeiteten mehr Personen außerhalb der Wohngemeinde als in der Wohngemeinde, die Mehrheit davon in einem anderen Bundesland, zwei Drittel pendelten in die Bundeshauptstadt Wien. Das durchschnittliche Einkommen eines Burgenländers lag Anfang der 1970er-Jahre dennoch damals 36 Prozent unter dem Österreichschnitt.
Der Fall des Eisernen Vorhanges 1989 rückte das Burgenland in den Fokus des Weltinteresses und brachte für das Burgenland, dessen Isolation dadurch beendet wurde, eine entscheidende Zäsur mit sich. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union wurde das Burgenland zum Ziel-1-Gebiet und erhielt großzügige Förderungen. Mit den finanziellen Mitteln aus Brüssel kam es zu einem spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung. Mit dem EU-Beitritt und den EU-Förderungen brach für das Burgenland eine neue Gründerzeit aus, die positiven Auswirkungen sind heute im Burgenland beinahe überall sichtbar und gleichzeitig wurde aus dem traditionellen Abwanderungsgebiet ein regional gefragtes Zuwandererland.
Die Osterweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 verschaffte dem Burgenland wieder einen zentralen Platz in Europa und die Möglichkeit, eine Brückenfunktion zwischen Osten und Westen zu übernehmen.
Ich denke, das Burgenland hat seinen Platz in Europa und in Österreich gefunden – und ich glaube, das Burgenland hat sich auch selbst gefunden. Und wenn mich jemand fragen würde, dann würde ich auf die Frage, woher ich komme - - also ich werde sicher – genauso wahrscheinlich wie Sie – stolz sagen: Ich komme aus dem Burgenland.
Ich wünsche meinem Bundesland – es ist ein einfaches, aber sehr harmonisches Land – und seinen liebenswürdigen Menschen auch in Zukunft vor allem Zufriedenheit. – Danke. (Beifall.)
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(Es folgt ein Musikstück)
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Thomas Hochwarter: How do you do? Wie geht es Dir? Die Frage nach dem Gemütszustand des Burgenlandes hat gerade Dr. Herbert Brettl versucht, zu beantworten. Und das Haydn-Quartett hat mit „How do you?“ do quasi musikalisch geantwortet.
Den Burgenländerinnen und Burgenländern unter Ihnen ist sicherlich schon aufgefallen, es ist nicht zu leugnen, wir haben heute Abend eine sehr hohe Pinkafeld-Dichte. Die Musikschule und die Stadtkapelle Pinkafeld haben Sie schon zum Empfang begrüßt, ich bin gebürtiger Pinkafelder, und der nächste Festredner ist der wohl prominenteste Pinkafelder, den wir heute hier begrüßen dürfen, nämlich Herrn Ing. Norbert Hofer, den Dritten Präsidenten des Nationalrates – über seine sehr persönlichen Erlebnisse und Erinnerungen der vergangenen Jahrzehnte auf diesen Landstrich, auf diese Heimat, auf das Burgenland, auf Pinkafeld und natürlich auch die spannende Frage: Wohin soll sich denn das Burgenland, dieses jüngste Bundesland, in den kommenden Jahren entwickeln? – Bitte schön. (Beifall.)
Norbert Hofer (Dritter Präsident des Nationalrates): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Landeshauptmann! Exzellenzen! Ja, es ist richtig, es gibt eine hohe Dichte an Pinkafeldern heute hier – auch der Bürgermeister von Pinkafeld, Herr Präsident Maczek ist hier und ich freue mich sehr, dass du auch gekommen bist.
Es ist etwas Besonderes, hier im Palais Epstein diese ehrwürdige Veranstaltung abhalten zu dürfen. Und wir sind heute da, nicht als Menschen, die in der Nähe von Wien leben, Herr Doktor, sondern wir sind da als Burgenländer – und das freut mich ganz besonders.
Ich bedanke mich auch dafür, dass Sie auf eine sehr beeindruckende Art und Weise die Geschichte des Burgenlandes uns nähergebracht haben, auch die Suche nach unserer Identität, und ich bin sehr froh, dass Sie uns heute mit dem Wissen und der Expertise begleiten – ich weiß, Sie haben noch einen weiteren Termin, es war gar nicht so einfach, das heute unter einen Hut zu bekommen.
Die Geschichte unseres Bundeslandes ist noch mehr als die Geschichte eines Landes, mehr als die Umstände, unter welchen dieses Land vor 100 Jahren Teil einer jungen Republik wurde, es ist die Geschichte der Menschen in diesem Land und deren Bestreben, aus dieser wirtschaftlich benachteiligten Region – Sie haben gehört, wie die Umstände tatsächlich waren und die waren ja auch viele Jahre am Eisernen Vorhang – eine wirtschaftlich wachsende Region zu machen.
Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ist wie ich ganz zu Beginn der Siebzigerjahre auf die Welt gekommen. Du wirst an diese Zeit wohl ähnliche Erinnerungen haben vielleicht, da wir nur wenige Kilometer entfernt auch aufgewachsen sind, du in Grafenschachen, ich in Pinkafeld, wir müssen auch irgendwann zeitgleich in die Hauptschule Pinkafeld gegangen sein, aber nicht in dieselbe Klasse, das würde ich wohl wissen. Dich hat es dann verschlagen ins Gymnasium Oberschützen, mich nach Eisenstadt in eine HTL für Flugtechnik – und beide hätten wir wohl damals nicht daran gedacht, dass wir irgendwann einmal in der Politik landen würden und wir werden uns nachher darüber unterhalten, ob es eine gute Idee war oder eine schlechte.
Wenn ich mich an meine Kindheit im Burgenland zurückerinnere, dann war es vor allem eine unfassbar unbeschwerte Zeit – eine intakte Natur, starke Familienbande, die älteren Damen in den Gemeinden oft noch mit dem Kopftuch, die Männer auch dann, wenn sie an Wochentagen vielleicht am Schreibtisch gesessen sind, dann doch am Wochenende im blauen Arbeitsgewand, um im Rahmen der sogenannten Nachbarschaftshilfe mitzuhelfen, dass kleine Häuser errichtet wurden, weil es sonst finanziell ja in vielen Bereichen gar nicht möglich gewesen wäre, in den Gemeinden die Wochenmärkte, die Martinifeste, die großen Hochzeiten und überhaupt das Begehen des Brauchtums als Teil des Lebenskreises und als Anker auch unserer Identität.
Als Anker der Identität an ein Bundesland, das, wie Sie bereits gesagt haben, Herr Doktor, diese Identität erst finden musste und sie aber heute längst besitzt. Es ist ein selbstbewusstes Bundesland geworden, doch das war nicht immer so.
Noch vor dem wirtschaftlich Stärkerwerden des Landes war aber schon damals eines gegeben, nämlich die hohe Lebensqualität – das Entschleunigte, das damals noch als Gemütlichkeit bezeichnet wurde, die intakte Natur, die wunderbaren Landschaften in Nord und Süd und die sprichwörtliche Gastfreundschaft, welche heute auch die wichtigste Grundlage des florierenden Tourismus im Burgenland ist und dann auch geworden ist.
Selten gab es für uns auch einen Ausflug nach Ungarn, der Eiserne Vorhang musste überquert werden. Und es war ein eigenartiges, ein beklemmendes Gefühl, wir haben als Jugendliche gespürt, dass es hier Unfreiheiten gibt und dass es nur wenige Kilometer von der Heimatgemeinde entfernt Menschen gibt, die so ganz anders leben mussten als wir.
Mein Vater stand als junger Soldat 1956/57 an der burgenländisch-ungarischen Grenze. Die ungarische Revolution wurde von sowjetischen Truppen und den Truppen des Warschauer Paktes niedergeschlagen und es sollte noch mehr als 30 Jahre dauern, bis der Kommunismus in Europa tatsächlich überwunden werden konnte.
Für uns Burgenländer ist es selbstverständlich, dass die Volksgruppen im Land nicht nebeneinander, sondern miteinander leben, dass wir die kulturellen Wurzeln, die Verschiedenartigkeit und das Gemeinsame schätzen. Das mag in der Zeit vor unserer gemeinsamen Kindheit, Herr Landeshauptmann, nicht immer so gewesen sein, auch etwas später dann, wir sind aber schon in diesem Geist aufgewachsen.
Das Attentat von Oberwart im Jahr 1995 war wohl auch für jene ein tragischer Weckruf, die aus Vorurteilen dieser burgenländischen Volksgruppe mit Vorbehalt begegnet waren und es ist Gott sei Dank auch hier viel geschehen, um ein gleichberechtigtes Miteinander nicht nur nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern auch in den Köpfen und in den Herzen zu gewährleisten.
Für Burgenlands Minderheiten wird es jedoch nicht leichter, das kulturelle Erbe zu bewahren. Denn natürlich hat es viele Burgenlandkroaten, Roma und Sinti und viele Mitglieder der ungarischen Volksgruppe nach Wien oder nach Graz verschlagen und es wird dort studiert, es wird dort gearbeitet, aber es gibt dort nicht jene Möglichkeiten wie in der Heimat, die einen mehrsprachigen Unterricht auch gewährleisten. Diesem Umstand wird die Politik auch Rechnung tragen müssen, wenn das gemeinsame Erbe im Sinne der Vielfalt weiter gepflegt werden soll.
Ich freue mich, dass wir heute nicht nur die traditionsreiche Musikschule Pinkafeld, Stadtkapelle hier haben, auch die herausragenden Künstler des Haydn-Quartetts, sondern auch die bekannte Trausdorfer Tamburizza im ehrwürdigen Palais Epstein zu Gast haben. Sie werden dann sehen im Anschluss, wieviel Schwung auch diese Musik in die Herzen bringt.
Am Wichtigsten ist dabei jedoch, dass das Land nicht nur ein Ort des Wohlfühlens, der Kunst, Volkskultur und der Heimat sein soll, sondern auch jener Ort, an dem man Arbeit und Beschäftigung findet, ein Land, in dem man auch mit der Gründung eines Unternehmens erfolgreich sein kann. Der Fall des Eisernen Vorhangs war eine wichtige Voraussetzung dafür und auch durch das Zuerkennen des Status eines Ziel-1-Gebietes konnte ein Katalysatoreffekt ausgelöst werden. Auch wenn es nicht immer möglich war, alle Förderungen zu 100 Prozent immer ganz wirksam einzusetzen, es ist unfassbar viel gelungen – und das sieht man auch, wenn man heute durch das Burgenland fährt.
Für unsere ungarischen Nachbarn und Freunde war der Verlust des Gebietes des jetzigen Burgenlandes schmerzhaft. Für Österreich war es schmerzhaft, Ödenburg nicht zu gewinnen, das logische Landeshauptstadt gewesen wäre. Es wäre nicht ehrlich, wenn wir heute behaupten würden, dass hier nicht zumindest Narben geblieben sind, die Wunden sind jedoch längst verheilt, zwischen unseren Ländern gibt es eine ehrliche und herzhafte Freundschaft – und ich sage das als jemand, dessen Vorfahren mütterlicherseits, mein Vater kam als Steirer ins Burgenland und verliebte sich hier, als Ungarn gelebt haben und der heute noch in seinem Stammbaum zahlreiche Verwandte in Ungarn findet.
Wohin soll aber das Burgenland künftig gehen? Was wollen wir sein? Ein Land mit Lebensqualität, mit starkem Tourismus? Ja, die Zahl der Gäste steigt und ist stark gestiegen, und auch in der Coronakrise hat sich gezeigt, dass die Gäste das Burgenland mehr schätzen und wir holen auch bei den Gästezahlen wieder auf und werden bestimmt auch bald wieder an die Zeit vor Corona aufschließen können.
Ein Schulstandort? – Ja, wir sind als Schulstandort bekannt und erfolgreich und wollen das auch weiter sein: ein Standort für hervorragende Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Ja, das sind wir erst seit vergleichsweise kurzer Zeit und wir werden das wohl auch weiter ausbauen.
Ein Land der Arbeitsplätze? – Dieser Bereich hat uns über viele Jahre am meisten Sorgen bereitete. Wir waren vor allem ein Land der Pendler und haben nach wie vor viele Menschen, die außerhalb des Landes einen Arbeitsplatz finden mussten, weil es im östlichsten Bundesland noch nicht möglich war. Wir haben jetzt etwa 133 000 erwerbstätige Burgenländer und Burgenländerinnen, rund 100 000 davon haben ihren Arbeitsplatz außerhalb der Wohngemeinde, das sind oft sehr kleine Gemeinden, deswegen auch hier die Zahl etwas höher. Der Anteil der Arbeitspendler in eine andere Gemeinde, in einen anderen Bezirk, in ein anderes Bundesland oder in wenigen Fällen auch ins Ausland liegt im Burgenland bei knapp drei Viertel der Erwerbstätigen.
Von den Pendlern pendeln 15 Prozent wöchentlich, aber 85 Prozent täglich. Für die Familien ist das nicht nur eine soziale Belastung, sondern es ist auch eine finanzielle Belastung. Pendeln ist nicht billig, kostet viel Zeit und da im ländlichen Raum natürlich der öffentliche Verkehr nicht so dicht ausgebaut sein kann wie hier in Wien, braucht es oft auch ein zweites Auto – und das ist eine Investition, die sich viele Menschen natürlich auch gerne ersparen würden.
Das Schaffen des Arbeitsplatzangebotes vor Ort ist also wohl eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft und ich weiß, es ist im Sinne aller Parteien, den Burgenländerinnen und Burgenländern zu ermöglichen, in der Heimat nicht nur leben zu können, sondern auch ihre Beschäftigung, ihr Einkommen zu finden. Hier konnte auch schon einiges erreicht werden, es pendeln auch immer mehr Menschen ins Burgenland ein, auch das muss heute gesagt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Landeshauptmann! Es gibt noch eine Eigenart des Landes, die ich als Politiker heute – und ganz besonders heute – ansprechen will, nämlich die Politik selbst: Als ich als junger Politiker meinen politischen Wirkungskreis vom Burgenland nach Wien verlegt habe, habe ich mir etwas mitgenommen und das ist die Art und Weise, wie Politiker im Burgenland – zumindest meistens – miteinander umgehen. Freilich, es gibt auch hier harte sachpolitische Auseinandersetzungen, es kommt auch immer wieder vor, dass man dabei über das Ziel hinausschießt oder auch persönlich werden kann. Aber wir sind ein kleines Bundesland, man kennt sich, man weiß, dass jeder Mensch seinen Rucksack zu tragen hat und dass in jeder politischen Hülle nicht nur Ideologie steckt, sondern auch ein Mensch. Und ich kann Ihnen sagen, es lebt sich besser, wenn man das beherzigt.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen wunderbaren Abend im Geiste des Geburtstages des Burgenlandes und freue mich auf die Ausführungen des Herrn Landeshauptmannes sowie auf die nachfolgenden Gespräche im gemütlichen Rahmen mit Ihnen und mit der Trausdorfer Tamburizza. – Vielen Dank. (Beifall.)
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(Es folgt ein Musikstück)
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(Beifall.)
Thomas Hochwarter: Wieder einer, der ausgewandert ist aus dem Burgenland und seinen Weg gemacht hat, Karl Goldmark, mit 14 hat er Deutschkreuz verlassen und dann Weltkarriere gemacht. Mit diesem Stück ist er in Wien vorstellig geworden, mit dem Scherzo aus dem Streichquartett Opus 8, und damit dann berühmt geworden.
Wir haben heute schon viel gehört zum Erfolgsweg des Burgenlandes. Diese viel zitierte Erfolgsstory war keineswegs ein linearer Weg und ich glaube, es haben sich auch nicht viele darauf wetten getraut, dass das Burgenland diesen Weg einschreiten wird. Das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen – das war ein Gedanke, eine Idee, die uns in den vergangenen Jahrzehnten begleitet hat und uns ein guter Berater war.
Wir hören jetzt den Landeshauptmann des Burgenlandes Mag. Hans Peter Doskozil mit seinen Ausführungen zur Identitätssuche und zum Jubiläum 100 Jahre Burgenland.
Hans Peter Doskozil (Landeshauptmann von Burgenland): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrter Herr Dr. Brettl! Botschafter! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vielleicht zu Beginn wirklich die Gelegenheit nutzen, mich persönlich bei dir zu bedanken, denn dieser Festakt heute hier in Wien – ausgerichtet natürlich vom österreichischen Parlament – ist der einzige Festakt, mit dem auch der Bund, mit dem auch das österreichische Parlament diesem Jubiläumsjahr des Burgenlandes Rechnung trägt. Es ist aus meiner Sicht eine Wertschätzung unserem Bundesland und unserer Bevölkerung gegenüber.
Und ich will die feierliche Stimmung heute hier nicht stören, aber ich muss es sagen: Diese Wertschätzung dem Burgenland gegenüber, dem Jubiläum des Burgenlandes gegenüber und damit auch den Menschen des Burgenlandes gegenüber vermisse ich von der Bundesregierung. Ich sage das auch zu dieser Feierstunde im vollsten Bewusstsein, weil wir gerade aktuell und heute eine Mitteilung bekommen haben. In der Vergangenheit war es immer üblich, dass Landesjubiläen – sei es 2016 das Landesjubiläum in Salzburg – mit einem mehrfachen Millionenbetrag seitens des Bundes bedacht wurden. Damals wurden auch noch Immobilien aus dem Bundesvermögen, die Feste Salzburg, die Burg Salzburg, in das Landesvermögen transferiert. Dieser Tage wird bei den Budgetbegleitgesetzen und im Budgetbeschluss des Bundes auch für das nächstjährige Jubiläum von Niederösterreich anlässlich der Trennung Niederösterreich und Wien Niederösterreich beispielsweise mit 9 Millionen Euro bedacht, Budgetgesetz des Bundes. Das Burgenland ist anlässlich dieses besonderen Jubiläums, das wir als jüngstes Bundesland Österreichs feiern – wie wir heute schon in der Geschichte und in der Darstellung gehört haben, hatte es eine sehr schwierige Phase, einen schwierigen Übergang –, seitens der Bundesregierung aber mit null bedacht worden ist. Es gibt keine Zuwendung, es gibt kein Budgetbegleitgesetz, das das Burgenland betrifft – und das ist aus meiner Sicht ein Affront dem Burgenland gegenüber. Das ist keine Wertschätzung dem Burgenland gegenüber und das ist schon gar keine Gleichbehandlung der Bundesländer untereinander. Diese leben wir in unserem Zusammenwirken und im Geiste immer, beispielsweise in der Landeshauptleutekonferenz, wo wir viele politische Hürden über Bord werfen, wo es darum geht, die Interessen der Bundesländer zu vertreten. Das ist aus meiner Sicht nicht der Geist, der uns tragen soll. Das ist möglicherweise – und ich hoffe – nur ein kurzzeitiger Geist politischen Denkens.
Wir haben es heute schon mehrfach gehört und ich möchte auch einige Sequenzen aus dieser 100-jährigen Geschichte des Burgenlandes herausnehmen. Es waren sehr schwierige Geburtsjahre im Jänner 1921, die Verfassungsbestimmungen, Ausführung dessen, die wenigen Protokolle, die Landnahme – ich darf nur erinnern: Schandorf im Burgenland wird höchstwahrscheinlich erst 2023 das 100-Jahr-Jubiläum feiern. Man sieht also, ein sehr schwieriger Umbruch und eine sehr schwierige Geburt und Entstehung.
Wir haben es wirklich eindrucksvoll von Ihnen, Herr Dr. Brettl, gehört, wie damals die Identitätssuche oder überhaupt das Selbstbewusstsein der Burgenländer ausgeprägt war. Viele, das wurde heute noch nicht erwähnt, viele sind ausgewandert, nicht, weil sie an das Burgenland nicht glaubten, sondern weil sie ganz einfach keine persönlichen und keine wirtschaftlichen Perspektiven in diesem Landstrich vorfanden.
Es sind aber auch viele geblieben. Die, die geblieben sind, haben wirklich von ganzem Herzen an dieses Burgenland geglaubt. Ich habe zwei Sequenzen, die möchte ich kurz erzählen: Wenn man im ORF teilweise nachliest in der ORF TVthek, sieht man die Regierungserklärung in einem kurzen Ausschnitt von Hans Bögl 1964. Wenn man diese Bilder sieht und wenn man in das Gesicht von Hans Bögl blickt, dann sieht man auch einen Ausdruck – bis zu einem gewissen Grad – des Leidens, einen Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, und er hat damals formuliert: Es gibt drei große Probleme des Burgenlandes, das sind die Wanderarbeiter, das sind die Bodenbesitzverhältnisse und das sind die mangelnden Bildungsmöglichkeiten im Burgenland. Er konzentrierte sich darauf, die Mittel zu fokussieren und diese Dinge zu verändern. Zwei Jahre später bereits war es dann Landeshauptmann Kery – 1966 übrigens war Fred Sinowatz zur damaligen Zeit Landtagspräsident, der wirklich auch verantwortlich dafür zeichnet, dass nicht nur im Burgenland, sondern in Österreich eine sogenannte Bildungsrevolution vonstattenging –, der sagte: Wir haben Aufholbedarf in wirtschaftlichen, in sozialen Belangen, in arbeitsmarktpolitischen Themen. Er formulierte diese schon sehr, sehr positiv und sagte für mich einen ganz wesentlichen Satz, der damals seine Richtigkeit hatte und der heute umso mehr seine Richtigkeit hat: Wir dürfen uns aber dabei auf niemanden verlassen. Das zeigt für mich die damaligen Gegebenheiten, die damalige Situation, wie Theodor Kery das politische Umfeld, die Gegebenheiten einschätzte, das zeigt für mich aber auch schon ganz deutlich, dass bereits damals ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein Platz gegriffen hat. Und dieses Selbstbewusstsein hat sich weiterentwickelt, von diesem Selbstbewusstsein leben wir, zehren wir, und dieses Selbstbewusstsein hat uns mit all diesen Errungenschaften und mit all diesen Erfolgen, die wir heute verzeichnen können, wo wir stolz darauf zurückblicken können, an diesen Punkt gebracht.
Ich erinnere mich auch sehr gerne an die Zeit der Kindheit, an die Siebzigerjahre. Natürlich sieht man die Zeit der Jugend, auch die Zeit der Schule ein bisschen verklärter im Rückblick, aber es war damals schon eine Zeit des Aufbruchs. Es waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine einfachen, jede Familie hatte ein Auto – meine Mutter hatte noch nicht einmal einen Führerschein –, aber es war die Zeit des Aufbruchs. Ich vergleiche das sehr, sehr gerne mit der Situation von damals, wie ist es meinen Eltern gegangen, wie ist es einzelnen Familien damals in der Ortschaft gegangen – ich glaube, 50 Prozent der Arbeitnehmer sind nach Wien gependelt, haben am Bau in Wien gearbeitet. Mein Vater hat das Glück gehabt, in Oberwart, in Pinkafeld arbeiten zu können. Wenn ich das immer wieder vergleiche: Damals, Mitte/Ende der Siebzigerjahre, war es meinen Eltern mit einem Verdienst möglich, und zwar mit einem kargen Verdienst als Alleinverdiener – ein Wienpendler, ein Maurer in Wien hat damals, wenn ich das in Euro umrechne, ungefähr 1 400 Euro verdient –, sich ein Einfamilienhaus zu bauen.
Stellen Sie sich diese Beträge vor und transferieren Sie sie in die heute Zeit, da sehen Sie, wo wir uns hinentwickelt haben, wo wir vielfach auch zugeschaut haben bei dieser Dynamik der Entwicklung, was in der Entwicklung – und das ist auch unsere Verantwortung als Politiker – auf der Strecke geblieben ist, wo wir vielleicht zu wenig hingeblickt haben. Da sehen wir eigentlich in diesem großen Zusammenhang, in dieser großen Zusammenschau, dass doch das eine oder andere nicht richtig gelaufen ist. Nur ein Moment, eine Zahl noch: Damals gab es 7 000 Euro umgerechnet Wohnbauförderung, heute gibt es 40 000, 50 000, 60 000 Euro, je nach Familiensituation, aber ein Einzelverdiener mit 1 400, 1 500 Euro Einkommen kann sich kein Einfamilienhaus heute mehr leisten.
Wir sind alle stolz, alle, die da sitzen und in der einen oder anderen Art und Weise einen Bezug zum Burgenland haben. Ich möchte noch einen dritten, einen vierten Moment herausgreifen – es wurde schon sehr viel gesagt, zu ganzen Entwicklungn, die Dynamik, die auch die Erweiterung der Europäischen Union, von der wir außerordentlich profitiert haben, mit sich gebracht hat –: Ich bin stolz, weil Sie heute hier anwesend sind, auf die Zusammenarbeit und auf das Zusammenwirken, auf die Art und Weise des Zusammenlebens mit unseren Volksgruppen. Natürlich hat es in der Vergangenheit Höhen und Tiefen gegeben, auch dort hat eine Identitätssuche stattgefunden, es hat auch schreckliche Momente gegeben. Die Entstehung des Landes ist vielfach auch davon gekennzeichnet, dass es viele schreckliche, persönliche Schicksale gegeben hat, aber wir sind heute an einem Punkt angelangt, von dem ich selbst überrascht bin, dass es ein außerordentliches Zusammenwirken gibt, dass es ein Miteinander gibt und dass wir, so viel kann ich jetzt schon ankündigen, noch heuer ein Projekt präsentieren werden, das für mich einzigartig ist und das auch für das Zusammenleben und Zusammenwirken für die Zukunft und für die Nachhaltigkeit dieses Zusammenlebens etwas Besonderes sein wird – und dafür möchte ich mich wirklich an dieser Stelle recht herzlich bedanken. An euch alle – und ihr wisst, wovon ich rede –: Danke, dass das umgesetzt werden kann und dass dieses Projekt, das wir vorhaben, auch gelingen mag.
Ich möchte mich zum Abschluss wirklich recht herzlich für diese Feierstunde bedanken, weil sich das Burgenland mit der Identität, mit dem Selbstbewusstsein, das wir mit Sicherheit in einem entsprechenden Ausmaß entwickelt haben, das aber im Burgenland wichtig ist, auch über die Grenzen des Burgenlandes hinaus präsentieren kann und dass wir diese Feierstunde begehen können.
Lieber Norbert, du hast in deinen letzten Worten auch angesprochen: Was sind die Herausforderungen der Zukunft, wo soll sich das Burgenland hinentwickeln? Und du hast sicherlich viele wichtige Dinge angesprochen, es gibt viele Themen, die wichtig sind – es ist halt der Verkehr wichtig, es ist die Entwicklung im Klimabereich wichtig, es ist der Naturschutz wichtig, es ist die Gesundheitsversorgung, es ist die Pflege wichtig, es sind Arbeitsplätze, es gibt massive Themen, die uns ständig begleiten. Eines sollten wir aber immer im Hinterkopf behalten – und ich glaube, das ist der wichtigste Moment, wenn wir daran denken, welche Projekte wir umsetzen, was das Nächste ist und wohin wir uns bewegen wollen –, nämlich dass wir das große Ganze im Blickfeld haben, dass uns bewusst sein muss, dass wir eine Verantwortung haben – zum gegenwärtigen Zeitpunkt der älteren Generation gegenüber. Die ältere Generation ist die Generation, die uns dieses schöne Land in dieser Art und Weise, wie wir heute leben dürfen, geformt hat, die uns dieses Land in dieser Art und Weise übergeben hat. Wir haben aber auch eine Verantwortung der nächsten Generation gegenüber, nämlich auch dieser Generation diese Möglichkeiten zu bieten, die wir vorfinden. Und im Bewusstsein dieser Verantwortungen, auch im politischen Bewusstsein dieser Verantwortungen über die Parteigrenzen hinweg mache ich mir für die Entwicklung des Burgenlandes keine Sorgen. – Es lebe die Republik Österreich! Es lebe unser Heimatland Burgenland! (Beifall.)
Thomas Hochwarter: Vielen Dank, Herr Landeshauptmann! Die sprichwörtliche burgenländische Hilfsbereitschaft, das Miteinander hat auch Joseph Haydn erlebt, wenn auch in etwas anderer Form – sein Rasiermesser war stumpf, jemand, der vorbeigekommen ist, ein Musikverleger, hat ihm seines geborgt und als Dank dafür dann das „Rasiermesser-Quartett“ bekommen. Wenn es nicht stimmt, ist es gut erfunden und sicher auf so manchem Bankerl, wie Sie gesagt haben, Herr Präsident, im Burgenland zum Besten gegeben worden. – Bitte schön.
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(Es folgt ein Musikstück)
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Thomas Hochwarter: Das Haydn-Quartett. (Beifall.)
Das Haydn-Quartett: Musik, Gedankenaustausch, durchaus auch kritische Gedanken. Was fehlt noch? Die burgenländische Gastlichkeit. Im Namen des Dritten Nationalratspräsidenten Ing. Hofer darf ich Sie nun herzlich zum Empfang bitten.
Wir würden Sie bitten, beim Weg in den ersten Stock noch die FFP2-Maske zu tragen, an den Stehtischen können Sie diese natürlich gerne abnehmen. – Das Essen und die Getränke werden serviert.
Und auch da gibt es dann die Vielfalt des Burgenlandes zu erleben, Sie haben es heute schon kurz gehört, die Tamburizza aus Trausdorf wird uns durch diesen Abend begleiten.
Ich danke Ihnen vielmals für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)