Politik am Ring

Kampf gegen Frauenmorde: Wie stoppen wir die Gewalt gegen Frauen?

 

Moderation:                                 Gerald Groß

DiskussionsteilnehmerInnen:   Abg. Mag. Romana Deckenbacher, ÖVP

                                                      Abg. Eva Maria Holzleitner, BSc, SPÖ

                                                      Abg. Rosa Ecker, MBA, FPÖ

                                                      Abg. Mag. Meri Disoski, Grüne

                                                      Abg. Henrike Brandstötter, NEOS

Eingeladene Fachleute:              Prim. Dr. Adelheid Kastner, Kepler Universitätsklinikum

                                                      Mag. Maria Rösslhumer, Autonome Österreichische Frauenhäuser

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Moderator Gerald Groß: Guten Abend und herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einer weiteren Ausgabe von Politik am Ring! Nein, wir diskutieren heute nicht über den Lockdown und auch nicht über das Krisenmanagement der österreichischen Bundesregierung. Bei uns geht es heute um ein Thema, das zu Unrecht im Schatten der Pandemie und der Klimakrise steht, obwohl die Zahlen auch hier erschreckend hoch sind: Es geht um die dramatische Häufung von Frauenmorden in unserem Land. In Österreich wurden heuer bisher bereits 27 Frauen ermordet – von Männern. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind das deutlich mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. Die Bundesregierung will mit einem Gewaltschutzpaket gegensteuern, doch Frauenorganisationen kritisieren, dass immer noch viel zu wenig Mittel für Gewaltschutz und Prävention zur Verfügung stehen. Wie kann die Gewalt an Frauen also gestoppt werden?

Darüber wollen wir heute diskutieren, und zwar mit Romana Deckenbacher von der ÖVP – herzlich willkommen! –, mit Henrike Brandstötter von den NEOS – ebenfalls herzlich willkommen! –, mit Rosa Ecker von der FPÖ – herzlich willkommen! – und mit Eva Maria Holzleitner von der SPÖ sowie last, but not least Meri Disoski von den Grünen – herzlich willkommen! Außerdem freue ich mich auf diese beiden Expertinnen: Adelheid Kastner vom Kepler Universitätsklinikum in Linz und Maria Rösslhumer von den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern.

Bevor wir in die Diskussion einsteigen, lassen Sie uns filmisch das Thema aufbereiten und aufarbeiten. Eine Korrektur zum folgenden Beitrag gleich vorneweg: Im Beitrag ist von 26 Frauenmorden die Rede, seit der Fertigstellung erst vor wenigen Tagen ist ein weiterer Frauenmord dazugekommen, in Innsbruck. Und erst heute Abend gab es erneut Mordalarm in Niederösterreich, auch das ein trauriger Beweis für die Virulenz des Themas.

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Es folgt eine Videoeinspielung:

Sprecher: In diesem Jahr wurden bereits 26 Frauen ermordet, meist von ihren Partnern oder Ex-Partnern. Österreich hält damit einen unrühmlichen Spitzenplatz in der EU.

Rosa Logar (Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie): Aus unserer langjährigen Erfahrung mit Tausenden von Opfern wissen wir, dass es bei Morden und Mordversuchen vorher mindestens in der Hälfte der Fälle oft schon Gewalt gibt, die schon öffentlich bekannt ist, dass es schon Anzeigen gibt, dass es hier auch schon ganz klare gewalttätige Faktoren gibt, und da können wir noch besser werden, dass wir darauf achten, dass wir das ernst nehmen.

Sprecher: Im Mai präsentiert die Regierung ein Gewaltschutzpaket. 24,6 Millionen Euro zusätzlich sollen für den Gewaltschutz bereitgestellt werden. Und das Geld ist dringend nötig, denn in den ersten zehn Monaten dieses Jahres werden von den Behörden bereits 10 900 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.

Gerhard Braunschmidt (Bundeskriminalamt): Wenn Sie Gewalt beenden wollen beziehungsweise Gewalt in der Privatsphäre beenden wollen, dann gibt es nur einen Ansprechpartner, und das ist die Polizei. 133, Polizei verständigen, und dann haben die Kollegen natürlich im Sinne des Gewaltschutzgesetzes mehrere Möglichkeiten, einzuschreiten. Da wäre einerseits das Betretungs- und das Annäherungsverbot, das für 100 Meter von der Wohnung ausgesprochen wird und auch im Umfeld des Opfers für 100 Meter gilt. Das gilt dann 14 Tage und wird von der Polizei auch überprüft.

Sprecher: Seit 1. September 2021 muss auch jeder, gegen den ein Betretungsverbot ausgesprochen wird, verpflichtend eine Beratung in Anspruch nehmen. Innerhalb von zwei Monaten sind das bereits mehr als 1 700 Männer.

Im September passiert auch ein Entwurf den Ministerrat: Bei einem Betretungsverbot soll gleichzeitig auch ein Waffenverbot ausgesprochen werden. Bei den 26 in diesem Jahr ermordeten Frauen gab es allerdings nur in einem Fall ein Betretungsverbot. Viele Frauen zögern mit einer Anzeige.

Rosa Logar: Wir wissen, dass, wenn Opfer Anzeigen erstatten, das bei einem Teil der Täter zu Vergeltungsschlägen führt, also müssen wir auch wissen: Wo sind sozusagen die Gefährlichen, die dann vielleicht noch aggressiver werden? Deswegen ist es auch wichtig, dass eine Anzeige immer mit einem Betretungsverbot und einem Annäherungsverbot verbunden ist. Bei besonders gefährlichen Tätern reicht die polizeiliche Wegweisung nicht aus, insbesondere, wenn es auch Haftgründe gibt – Drohungen mit dem Umbringen, wiederholte eskalierende Gewalt. Da reicht die Wegweisung nicht aus, da gibt es auch die Forderung, dass in diesem Fall U-Haft verhängt wird. Das erfolgt sehr selten, die meisten Gewalttäter, Gewalttäterinnen werden auf freiem Fuße angezeigt. Das ist etwas, was uns große Sorgen macht.

Sprecher: Doch nicht jede Anzeige wird auch weiterverfolgt.

Rosa Logar: Anzeigen werden eingestellt, weil man nicht genügend Gründe für die Strafverfolgung findet – das ist der häufigste Grund –, oder weil das Vorbringen keine strafbare Handlung ist. Wir sehen hier auch, dass es auch mit der Beweissicherung steht und fällt, mit der Untersuchung der Fälle, mit den Ermittlungen. Je genauer die Polizei ermittelt, je mehr Beweise sie sichert – Tatwaffen, Tatortsicherung, zum Beispiel Handys zu konfiszieren oder vielleicht auch einmal eine Hausdurchsuchung zu machen –, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man auch Hinweise auf eine Tat findet.

Sprecher: Seit Oktober gibt es die österreichweite Hotline der Männerinfo. Dorthin können sich Männer mit allen Problemen wenden, von Schulden bis hin zur Arbeitslosigkeit. Vor allem, wenn sie befürchten, gewalttätig zu werden oder bereits Gewalt ausgeübt haben, können sie mit der Möglichkeit, anonym zu bleiben, anrufen.

Alexander Haydn (Männerinfo): Allein schon, wenn Männer es schaffen, über ihr Problem zu sprechen, also auch über ihre Wut oder über ihre Aggression oder über ihre Impulse, die sie gerade verspüren, allein das ist schon ein Garant dafür, dass dieser Impuls in dieser Sekunde dann nicht ausbricht, sondern dass Männer sozusagen eine Metaperspektive einnehmen und ihre eigene Handlung hinterfragen, reflektieren, darüber nachdenken auch – natürlich im professionellen Gespräch, nicht erst dann, wenn der Gewaltvorfall passiert ist und die Polizei da ist.

Sprecher: Oder: Wenn noch eine Frau getötet wird, so wie viele andere in Österreich zuvor.

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Moderator Gerald Groß: Wir sind wieder im Studio von Politik am Ring, und ich möchte gerne für die erste Runde einen Punkt aufgreifen, den Rosa Logar gleich am Beginn dieses Beitrages angesprochen hat. Man weiß aus langjähriger Erfahrung, hat sie gesagt, dass es bei mindestens der Hälfte aller Fälle schon vor einem Mord oder Mordversuch Gewalt gegeben hat und das auch öffentlich bekannt gewesen ist, sprich, es in den meisten Fällen Anzeigen gegeben hat.

Meine Frage daher: Warum können wir dann trotzdem so viele Morde nicht verhindern? Wer hat Schuld? Dabei geht es mir nicht um eine politische und schon gar nicht parteipolitische Schuldzuweisung, vielleicht sollte man die Frage daher auch besser anders stellen: Was hat Schuld? – Ich beginne mit Ihnen, Frau Brandstötter.

Henrike Brandstötter (NEOS): Die Gewalt, die endemische Gewalt, die wir in Österreich haben, ist ein systemisches Problem, und einem systemischen Problem kann man nur begegnen, indem man einmal anerkennt, dass wir ein Gewaltproblem haben – wir sind ein sehr konservatives Land mit noch sehr tradierten Rollenmodellen – und dass Rollenzuschreibungen schon sehr früh beginnen. Das heißt, am Ende eines Weges steht ja Gewalt oder sogar Mord, Femizid, aber auf dem Weg im Leben einer Frau gibt es sehr, sehr viele Stationen, an denen ihr gesagt wird: Du bist weniger wert, dein Platz ist hinter dem Herd, deine Rolle ist es, dich um deine Familie zu kümmern.

Das beginnt im Kindergarten, wo sie schon Rollenverständnis entwickeln, wo wir nach wie vor sehr oft sehr klassische Ausbildungsbilder haben, auch in der Ausbildung der Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen, die dazu führen, dass sie diese Rollen verstärken. Das geht dann weiter in die Schule, wo Schulbücher nach wie vor sehr klassische Rollenbilder verbreiten – 70 Prozent der Darstellungen in Schulbüchern sind Männer, wenn allerdings gekocht, geputzt und gepflegt wird, sind zwei Drittel der Darstellungen Frauen. Und so geht das im Leben einer Frau weiter, bis sie dann eine Familie gründet, wo ihr dann auf dem Weg schon klar ist: Ihr Platz, den die Gesellschaft so sieht, ist sehr häufig jener zu Hause, beim Kind. Das führt dann aber auch in weiterer Folge in eine Abhängigkeit vom Partner und/oder vom Staat, beides ist nicht erstrebenswert. Und diese Schieflage, diese enorme Schieflage zwischen den Geschlechtern, die wir hier in Österreich auch systemisch produzieren, führt dann auch dazu, dass Frauen aus Gewaltsituationen so schwer herauskommen beziehungsweise dass Männer der Meinung sind, dass das eine Verhaltensweise ist, die in Ordnung ist und die ihnen zusteht.

Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir müssen darüber sprechen, dass wir ein systemisches Problem haben. Es ist wichtig, dass wir über Gewaltschutz sprechen, es ist wichtig, dass wir über Opferschutz sprechen, aber das steht am Ende eines Leidensweges. Wir haben uns noch nie wirklich mit dieser ganzen Kette beschäftigt, wo überall Frauen mitgeteilt wird, dass sie weniger wert sind.

Moderator Gerald Groß: Frau Deckenbacher, um jetzt vielleicht gleich das übliche Ritual aufzubrechen, dass wir immer zuerst die Opposition zu Wort kommen lassen und dann erst die VertreterInnen Regierungsparteien, möchte ich gleich mit Ihnen weitermachen. Frau Deckenbacher, wir haben jetzt gehört: systemisches Problem, von der Gesellschaft vermittelte Rollenbilder, Schieflage zwischen den Geschlechtern. Können Sie dem zustimmen beziehungsweise wo widersprechen Sie und was kommt aus Ihrer Sicht noch als wesentlicher Schuldgrund dazu?

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Ich denke mir einmal grundsätzlich: Ja, ich kann bei vielem zustimmen, überhaupt keine Frage, denn wenn wir Frauen nachhaltig vor Gewalt schützen wollen, dann müssen wir vielleicht auch dort hinschauen und dort stärken, wo sie entsteht, und das ist oft bei den Männern. Da bin ich jetzt auch dabei, dass wir auf jeden Fall die Männerberatungsstellen und die Männerberatungshotline noch ausbauen müssen. Wir sind da auf einem guten Weg.

Ich glaube aber auch, dass wir genau hinsehen müssen, welche Rollenbilder wir haben, auch, wie wir unsere Kinder erziehen, unsere Mädchen, unsere Buben. Da bin ich auch bei der Bildung, da bin ich bei der Elementarpädagogik, in der es ganz wichtig ist, in der Gewaltprävention zu arbeiten, aber selbstverständlich auch in den Schulen.

Oft ist es so, dass wir das Problem an der Wurzel packen müssten, dass wir manchmal die Symptome bekämpfen, aber zu wenig in die wirklichen Ursachen hineingehen. Ich sehe das wie einen Flächenbrand, der auftaucht, und die Glutnester, die immer wieder hochschwelen, die gilt es einfach unter Kontrolle zu halten. Das denke ich mir auch oft bei dieser Frage der Gewalt.

Und diese Frauenbilder, die auch die Kollegin gezeichnet hat, denke ich, sollten wir auf jeden Fall in unterschiedlichsten Situationen und Gremien ganz genau anschauen. Da sollten wir ganz genau hinschauen, denn wir haben ein gesamtgesellschaftliches Problem, ein gesamtgesellschaftliches Thema – wir als Politikerinnen, auf der einen Seite, aber auch in allen unseren unterschiedlichen Funktionen, die wir haben: als Nachbarin, als Freundin, aber auch als Lehrerin oder eben als Vorgesetzte.

Moderator Gerald Groß: Frau Holzleitner, wir haben jetzt gerade gehört: nicht nur die Symptome behandeln, sondern das Problem an der Wurzel packen. Wo ist denn für Sie die Wurzel des Problems?

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Diesem systemischen Ansatz kann ich auch zustimmen. Natürlich ist das die Metaebene, und natürlich müssen wir bei den Kindern schon ansetzen. Wie geht man zum Beispiel mit Konfliktprävention um, mit Mobbing an der Schule, Hass im Netz et cetera? Mittlerweile ist Gewalt sehr vielfältig, passiert im digitalen Raum, physisch, psychisch, es ist ja nicht nur der blaue Fleck oder der Frauenmord der schlimme Auswuchs der Gewalt, sondern Gewalt passiert wirklich an ganz, ganz vielen verschiedenen Stellen. Da müssen wir natürlich auch bei der Bubenpädagogik anfangen, in der Elementarpädagogik, das kann ich alles nur unterstreichen.

Ich möchte nur einen Punkt ansprechen, den Rosa Logar auch im Teaser, im Einspieler kurz erwähnt hat, den Punkt, den Sie auch angesprochen haben, nämlich dass bei der Hälfte der Fälle Gewalt ja schon zuvor bekannt war. Ich glaube, ein sehr wesentlicher Punkt, der akut verbessert werden muss, sind die Hochrisikofallkonferenzen. Das ist ein sehr sperriges Wort – was sind Hochrisikofallkonferenzen? – Die Polizei tauscht sich mit der Gewaltschutzeinrichtung aus, und man versucht, die Frau und eventuell auch die Kinder, falls welche da sind, bestmöglich zu schützen und ein Konzept zu entwickeln, wie man diese Frau weiter vor Gewalt schützen kann, damit eben ein Frauenmord oder ein Femizid nicht passiert.

Diese Hochrisikofallkonferenzen sind unter Türkis-Blau damals abgeschafft worden, zum Glück sind sie 2020 wieder eingeführt worden, aber sie passieren noch in viel zu geringem Ausmaß. Wir stecken da bei rund 35, 40 Hochrisikofallkonferenzen und müssten aber mehrere Hundert, Tausende sogar abhalten, um die Gewaltprävention wirklich bestmöglich ausrollen zu können.

Auch die bundesländerübergreifende Arbeit der Polizei und der Gewaltschutzeinrichtungen muss unterstützt werden. Das wäre ein ganz wichtiger Akutfaktor, wo einfach ein Turbo gezündet werden muss, zum Beispiel von der Polizei, vom Innenministerium und vom Frauenministerium, sodass einfach mehr Hochrisikofallkonferenzen stattfinden.

Moderator Gerald Groß: Vielleicht zum noch besseren Verständnis – Sie haben es jetzt dankenswerterweise ohnedies erklärt, aber für alle, die uns jetzt zuschauen und damit nichts anfangen können: Man kennt solche Fallkonferenzen zum Beispiel ja auch aus der Medizin, dass man in ganz konkreten Fällen versucht, eine Risikoabschätzung, eine Risikoabwägung zu machen – Sie haben es gesagt. Mit wem zum Beispiel würde sich die Polizei da zusammensetzen?

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Mit Gewaltschutzeinrichtungen.

Moderator Gerald Groß: Mit Gewaltschutzeinrichtungen – und dann würde es um einzelne Fälle gehen?

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Genau.

Moderator Gerald Groß: Und zu welchem Ergebnis würde man in so einer Fallkonferenz dann kommen oder kommen können?

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Je nach Risikoeinschätzung, wie man eben die Frau bestmöglich beschützen kann. Reicht eine Wegweisung aus oder ein Annäherungsverbot, braucht es wirklich schon stärkeren Polizeischutz und welche anderen Rahmenbedingungen braucht es noch – Beratung, psychologische Unterstützung? In einer Fallkonferenz kann sehr viel rauskommen, und das muss man wie gesagt einfach mehr stattfinden lassen, diese auch finanziell unterstützen. Natürlich braucht es dann auch entsprechendes Polizeipersonal, damit diese Fallkonferenzen stattfinden können, und die Gewaltschutzeinrichtungen in ihrer Vielfältigkeit müssen auch die finanzielle Ausstattung bekommen, damit diese Fallkonferenzen in ausreichendem Ausmaß auch tatsächlich passieren.

Moderator Gerald Groß: Frau Ecker, wir haben jetzt gerade gehört: Ihre Partei hat das gemeinsam mit der ÖVP, damals, als Sie miteinander regiert haben, abgeschafft. Ich will da jetzt gar nicht Vergangenheitsbewältigung betreiben beziehungsweise fragen, was Sie dazu sagen, dass es das jetzt wieder gibt und ob sie auch glauben, dass es mehr davon braucht, sondern ich möchte darüber hinaus noch fragen: Was glauben Sie, was es sonst noch braucht, um diese Eskalation der Gewalt irgendwie einzudämmen?

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Ja, die Situation ist wirklich alarmierend, die Zahl der Frauenmorde steigt von Woche zu Woche, das kann man wirklich so feststellen. Wir präferieren diese Hochrisikofallkonferenzen wirklich nicht, aber nicht nur wir, sondern auch Experten, im Bundesland Kärnten zum Beispiel die Landespolizeidirektion oder das Frauenhaus Klagenfurt, und die werden es wohl auch wissen.

Moderator Gerald Groß: Könnten Sie es auch begründen, ganz kurz nur, weil wir jetzt schon so viel darüber geredet haben?

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Das sollen diese Fachleute begründen, das ist die Stellungnahme dieser Teilnehmer. Sie stellen fest, dass sie sehr gut vernetzt sind und sie sehr schnell und sehr eng miteinander arbeiten, wenn Not ist und einer Frau geholfen werden muss.

Ich denke, es ist wirklich auch ein gesellschaftliches Problem der Individualisierung, dass man sich nicht mehr so um den anderen kümmert. In der Stadt kennt man sich nicht und fühlt sich nicht angesprochen, wenn man im Stock darüber oder auf der Stiege etwas hört, am Land ist vielleicht die Entfernung etwas größer und die Hemmschwelle noch größer, weil man sich so gut kennt, dass man sich auch nicht einmischen will. Das ist der Punkt, wo in der Prävention einfach noch viel mehr getan werden muss.

Moderator Gerald Groß: Also Zivilcourage?

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Genau. Es muss einfach wirklich in sein, die Polizei zu rufen, wenn man etwas hört, jemanden anzusprechen, wenn man sieht, das ist nicht in Ordnung. Das kann genauso im Kaufhaus sein, wenn man merkt, wie ein Mann mit einer Frau kommuniziert oder sie kommandiert. Da braucht es wirklich viel mehr Zivilcourage des Einzelnen, um sich einzumischen, das aufzuzeigen und damit vielleicht auch ein Stopp zu setzen, wie es eben jetzt auch bei diesem Engagement von StoP Partnergewalt ist. Also es gibt einige Maßnahmen, die man noch verstärken kann, aber man muss die Gesellschaft wirklich wachrütteln, mehr auf die Frauen zu schauen und vielleicht auch an die Männer zu appellieren, auf ihre Geschlechtsgenossen einzuwirken, etwa im Gespräch am Wirtshaustisch. Am Stammtisch gibt es ja oft flapsige Bemerkungen, wo Frau sich wünscht, dass ein Mann sagt: Das geht aber nicht!

Moderator Gerald Groß: Jetzt frage ich Sie ganz konkret: Machen Sie zum Beispiel das dann in so einer Situation?

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Ich bin da schon sehr couragiert, ja, ich stehe gut auf meinen Füßen. Das ist nicht bei jeder Frau so, sodass man vielleicht oft den Kopf einzieht und darum auch schnell Angriffen ausgesetzt ist, aber das braucht es wirklich.

Moderator Gerald Groß: Okay, vielen Dank. Frau Disoski, jetzt haben wir vieles schon gehört, zuletzt eben zu diesem gesellschaftlichen Bewusstsein, zu Zivilcourage, zu einem Appell an die Männer. – Reicht das alles, was wir jetzt gehört haben, schon? Oder gibt es da noch mehr?

Mag. Meri Disoski (Grüne): Ich glaube, die wirksamste und nachhaltigste Gewaltprävention haben wir dann, wenn wir konsequente Gleichstellungspolitik betreiben, in allen Lebensbereichen.

Was meine ich damit? – Schauen wir uns beispielsweise die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen an – es ist ein bisschen schon angeklungen –: Wir wissen, Frauen, die in einer gewaltvollen Beziehung sind, werden sich daraus nicht lösen können, wenn sie ökonomisch nicht unabhängig sind. Gleichzeitig wissen wir, dass wir in Österreich die Situation haben, dass Frauen um 20 Prozent weniger verdienen als Männer, dass sie in der Pension um 40 Prozent weniger Pension haben als Männer und so weiter und so fort. Das heißt, da muss man jetzt wirklich konsequent und sehr konstant Maßnahmen setzen, damit diese Ebene abgedeckt wird.

Das Zweite, wie Kollegin Ecker schon gesagt hat, ist diese Idee von Zivilcourage: Schau hin und sage etwas, wenn was passiert! Wir starten jetzt aus dem Gesundheits- und Sozialministerium rund um die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen eine sehr große, öffentlichkeitswirksame Kampagne, die wirklich Männer adressiert, Männer in ihren Männlichkeitsbildern adressiert und auch zur Handlung auffordern möchte. Also: Schau hin und sag was, wenn du den sexistischen Spruch am Stammtisch hörst, wenn du merkst, wie ein Mann mit seiner Frau, mit seinen Kindern spricht, wenn du merkst, dass eine junge Frau, die die Straße entlanggeht, catgecallt wird, dass ihr also etwas Obszönes nachgerufen wird! Steh quasi deinen Mann im positiven Sinn und schreite ein! – Ich glaube, das ist die zweite Ebene. Natürlich muss man auch über Geld und über Finanzierung reden und auch darüber, was in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich verabsäumt worden ist. Fakt ist, in den vergangenen zehn Jahren sind für Gewaltschutz, Gewaltprävention nicht mehr Mittel zur Verfügung gestellt worden, die Budgets waren stagnierend. Wir haben es jetzt zum dritten Mal in Folge, also konsequent, geschafft, nicht nur im Frauenministerium, sondern auch in anderen Ministerien die Mittel dafür zu erhöhen.

Dann braucht es, glaube ich, tatsächlich ganz viele Ansatzpunkte bei präventiver Arbeit, wie es Kollegin Brandstötter vorhin schon gesagt hat, in der Elementarpädagogik und natürlich auch die Arbeit mit Tätern und mit potenziellen Tätern. Wir haben ein großes Thema mit Wiederholungstätern, jemand, der einmal Gewalt ausgeübt hat, ist sehr anfällig, wieder Gewalt auszuüben, deshalb haben wir jetzt beispielsweise – das wurde auch im Zuspieler angesprochen – die sogenannte opferschutzorientierte Täterarbeit gesetzlich verankert. Sehr renommierte Gewaltschutzexpertinnen wie zum Beispiel Michaela Gosch, die Geschäftsführerin der Frauenhäuser Steiermark, sprechen von einem wichtigen Lückenschluss im Gewaltschutz. Es gibt so viele Lücken, die einfach da sind, die es jetzt schnell zu schließen gilt. Ich glaube, wir sind uns wahrscheinlich betreffend Lücken alle sehr einig, aber es gibt viel zu tun, ja.

Moderator Gerald Groß: Vielen herzlichen Dank für diese erste sehr grundsätzliche Runde, für die wir uns auch bewusst ausführlich Zeit genommen haben.

Es ist jetzt höchste Zeit, dass wir unsere erste Expertin hereinholen. Bevor wir das aber machen, lassen Sie mich noch ein wenig auf die Zahlen schauen: Man könnte ja zunächst einmal glauben, dass Männer öfter Männer als Frauen umbringen, im Zuge eskalierender Auseinandersetzungen etwa oder im Zuge von Abrechnungen in kriminellen Milieus. Die Statistik zeigt aber, dass Jahr für Jahr mehr Frauen als Männer umgebracht werden, und zwar von Männern.

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(Im Folgenden wird eine Grafik eingeblendet.)

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Moderator Gerald Groß: Ich weiß nicht, ob wir bei dieser Zuspielung jetzt einen Ton hatten; wenn nicht: Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich und ich musste sie jetzt auch nicht eigens kommentieren.

Ich hoffe, dass uns jetzt unsere erste Expertin live via Skype zugeschaltet ist. Wir gehen jetzt nach Linz zu Frau Primaria Dr.in Adelheid Kastner, weithin bekannte Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Primarärztin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt am Kepler Universitätsklinikum Linz und auch viel beschäftigte Gerichtsgutachterin in teilweise sehr bekannten und spektakulären Fällen. – Einen schönen guten Abend, Frau Primaria Kastner.

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Guten Abend, Herr Groß.

Moderator Gerald Groß: Das klingt gut – Sie können uns hören und wir können Sie hören, und wir hoffen, dass das auch so bleibt. Meine Damen und Herren, für den Fall, dass die Tonqualität zwischenzeitlich etwas schlechter wird, bitte ich Sie schon im Vorhinein, das zu verzeihen. Wir haben uns vorgenommen, wir alle werden sehr langsam sprechen, damit wir allfällige technische Mankos sozusagen ausgleichen können.

Frau Kastner, ich komme zurück auf das, was ich zuletzt angesprochen habe, zu dieser Grafik: Andere Länder haben ähnliche Mordraten wie Österreich, aber – und jetzt kommt dieses große Aber – in Österreich werden deutlich mehr Frauen als Männer umgebracht, und das ist sehr ungewöhnlich und außergewöhnlich. Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Erklärung dafür haben.

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Nein, leider auch nicht. Es hat keiner eine schlüssige, nachvollziehbare und vor allem einfache Erklärung dafür. Es ist zu vermuten, dass die Ursachen nicht einfältig, an einem einzigen Faktor festzumachen sind, sondern dass es ein Ursachenbündel dafür gibt, und eines davon ist vielleicht wirklich dieses tradierte, kulturell gut tradierte Rollenbild der männlichen Dominanz. Das mag durchaus eine wesentliche Rolle spielen. ...

Moderator Gerald Groß: Ich muss jetzt schon unterbrechen, Frau Prof. Kastner, wir sind jetzt schon an dem Punkt, wo wir Sie ganz, ganz schlecht gehört haben. Ich weiß nicht, ob es, wenn Sie näher an das Mikrofon kommen, etwas bewirkt oder ob es wirklich an der Bandbreite liegt, dass es zwischendurch dann einfach schwächer wird – wir versuchen es einfach noch einmal.

Wir haben den ersten Teil der Antwort sehr gut verstehen können, ich möchte vielleicht gleich fortsetzen, weil ich auf die Rollenbilder dann später ohnedies noch zurückkommen möchte. Ich möchte Sie aber vorher noch fragen, ob es so etwas wie eine Typologie der Täter gibt. Man kennt das ja aus der Gewaltprävention, dass man sagt, ein wesentlicher Ansatzpunkt ist immer, dass man die spezifische Tätergruppe sozusagen kennt und etwas darüber weiß. Was gibt es denn bei Frauenmorden, was die Täter betrifft, für Typen? Könnten Sie das einmal kurz für uns skizzieren.

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Man kann drei große Gruppen unterscheiden. Es gibt die eine Gruppe, eine kleine Gruppe, die im Vorfeld gar nicht auffällig wird. Das sind Männer, die bis dahin ganz normal imponieren, ein normales Familienleben führen, nach außen hin unauffällig sind, sich zu Hause nicht durch Übergriffe auszeichnen – und dann kommt es, wie es halt so kommt, zur Trennung und zur Scheidung und dann reagieren diese bis dahin völlig unauffälligen Männer mit einer Handlung der radikalen Verwerfung. Das sind Täter, die bisweilen auch sich selbst suizidieren, die vielleicht das gemeinsame Haus abfackeln; jedenfalls wird dann alles verworfen, was bis dahin so wichtig war, und alle stehen dann fassungslos da und sagen: Der doch nicht, das hätten wir uns nie gedacht! Das ist eine kleine Gruppe, die aber durchaus für dramatische Delikte gut ist, weil die dann bisweilen ganze Familien ausrotten, was dann fälschlicherweise als Familiendrama bezeichnet wird, wo es doch ein schlichter, brutaler Mehrfachmord ist.

Dann gibt es eine große Gruppe: Das sind die Männer, die im Vorfeld auch schon immer wieder über Gewalt auffällig wurden, wobei man da vielleicht auch zwei Gruppen unterscheiden muss: Die eine, das sind Männer in der sogenannten Gewaltspirale, die sich argumentativ nicht durchsetzen können und dann, wenn sie anstehen, zuschlagen, die dann am nächsten Tag mit Rosen dastehen und sagen: Nie mehr wieder, ich werde das sicher nie mehr wieder machen!, die das ganz fürchterlich bereuen und um Verzeihung bitten, bis es halt zum nächsten Krach kommt, bei dem wieder zugeschlagen wird. Die wird man wahrscheinlich mit einer Beratung am besten erreichen, denn sie sehen ja selbst, dass das nicht ganz in Ordnung ist.

Es gibt aber in dieser Gruppe, die im Vorfeld auch schon auffällig wurde, auch Männer, die meinen, dass es ihr Recht ist, sich mit Aggression durchzusetzen, die diese Aggression ganz selbstverständlich einsetzen, die die Frau schlagen, die die Kinder schlagen und die meinen, es gehört einfach zum Mannsein dazu, dass man bestimmt, wer der Herr im Haus ist, und dass man das eben auch mit brachialen Mitteln demonstriert, wenn man es nicht anders vermitteln kann, weil ... zu begreifen, wo ihre Rolle ist. Da gibt es meistens im Vorfeld Anzeigen, Anzeigen, die nicht zu Verurteilungen führen, wo die Strafverfolgung dann eingestellt wird; aber es gibt bekannte Daten über diese Männer, es gibt meistens eine ganze Reihe von polizeilichen Anlassberichten, die man vernetzen kann, die man zusammenführen kann, um ein möglichst breites Bild über den Täter zu generieren, was bei der Risikoeinschätzung ganz bedeutsam ist. Also diese VHR-Einschätzung ... kann nur dann funktionieren, wenn man alle Informationen zusammenträgt und auch verfügbar hat und nicht irgendwelche datenschutzrechtlichen Bestimmungen verhindern, dass man relevante Vorkenntnisse bei der Risikoeinschätzung nutzen kann.

Dann gibt es noch eine ganz kleine Gruppe, die natürlich auch dramatische Delikte generiert, das sind die psychopathisch strukturierten Täter, die prinzipiell keine Regeln akzeptieren, die sich natürlich auch von Wegweisungen in keiner Weise beeindrucken lassen, die generell nur das machen ... erscheint. Da gibt es aber meist auch schon im Vorfeld Auffälligkeiten, die breit gestreut sind, da gibt es meist Delikte quer durch das Strafrecht durch, und natürlich ist für die Risikoeinschätzung die Vernetzung der gesamten Vorinformation ganz wesentlich.

Moderator Gerald Groß: Dann sage ich an dieser Stelle einmal herzlichen Dank, Frau Prof. Kastner; bitte bleiben Sie dran. Wir würden hier jetzt gerne kurz über das, was wir von Ihnen schon gehört haben, diskutieren und versuchen, diesen Input aufzunehmen.

Ich würde gerne an Sie die Frage richten, was Sie aus diesem kurzen Interview mit Frau Primaria Kastner mitgenommen haben beziehungsweise vor allem auch wie schwierig es ist, im Zusammenhang mit diesem Thema der Typologien, die sie jetzt angesprochen hat, eben der unterschiedlichen Tätergruppen, die es gibt, auch wirklich wirkungsvolle Gewaltprävention zu machen. Was ist das Learning daraus? – Ich stelle das jetzt einmal so als Frage in die Runde. Bitte, wer will denn anfangen?

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Henrike Brandstötter (NEOS): Wenn wir wissen, dass nur 17 Prozent der Gewalttaten überhaupt der Polizei gemeldet werden, dann wissen wir auch, dass die Dunkelziffer enorm hoch ist. Und ja, Frau Prof. Kastner hat das auch angesprochen: Täter sind divers, haben unterschiedliche Motive, unterschiedliche Ausprägungen, das heißt, man kann dem aber auch nur mit unterschiedlichen Konzepten begegnen. Es gibt nicht diese eine Lösung.

Um das zu verbessern, brauchen wir eben diesen systemischen Ansatz von Anfang an, aber wir müssen natürlich auch im Gewaltschutz, wie er jetzt ist, einige Dinge verbessern. Stichwort Beweissicherung: Wenn heute eine Frau ins Krankenhaus geht, sind Ärztinnen und Ärzte leider nicht entsprechend geschult und in der Lage, eine ordentliche Beweissicherung vorzunehmen. Das bedeutet aber auch, dass viele dieser Täter freigehen, aus Mangel an Beweisen, wie es so schön heißt; das ist ein Punkt.

Ein weiterer Punkt wäre zum Beispiel, dass es für betroffene Frauen auch einen Unterhaltsvorschuss braucht. Viele Frauen gehen wieder zurück in diese Gewaltbeziehungen, weil sie finanziell von den Männern abhängig sind, und da würde ein Anrecht auf einen Unterhaltsvorschuss zum Beispiel Enormes leisten, damit die Frauen sich auch monetär aus dieser Situation herauslösen können.

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Ich glaube auch, dass genau das zeigt: Gewaltschutz ist nicht gleich Gewaltschutz – eben diese unterschiedlichen Maßnahmen –, und deswegen bin ich auch extrem dankbar, dass es so unterschiedliche Frauenberatungen, Gewaltschutzeinrichtungen und so weiter gibt; angefangen von der Frauenhelpline, wo ich anrufen kann, wenn ich irgendwie von Gewalt betroffen bin, bis hin zur Frauenberatung, wo ich mich auch hinwenden kann, die das breite Potpourri abdeckt.

Wir wissen ja auch – und das zeigen auch die unterschiedlichen Typologien –: Gewalt an Frauen passiert quer durch alle Schichten, also ein Frauenmord kann in jeder Beziehung passieren, und die Trennung ist für Frauen die vulnerabelste Situation und die gefährlichste Situation überhaupt. Der Spruch, den wir alle als Frauensprecherinnen, glaube ich, sehr, sehr oft, einfach gebetsmühlenartig immer wieder wiederholen: Die eigenen vier Wände sind der gefährlichste Ort für die Frauen!, ist einfach der treffendste Satz. Das ist das, warum ich jetzt trotzdem – gerade auch, um auf die aktuelle politische Situation zurückzukommen – wirklich an alle Frauen, die uns heute vielleicht auch zuschauen, noch einmal appellieren möchte: Es gibt diese Einrichtungen, es gibt die Frauenhelpline, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Jetzt, wo wir im Lockdown sind, wenn man im Homeoffice ist, kommen natürlich ökonomische Engpässe und so weiter dazu, und in dieser Vielfältigkeit der Rollenbilder von Gewalttätern kann Gewalt jetzt einfach auch wieder vermehrt passieren; deswegen ist dieser Appell, glaube ich, ganz wichtig, dass man einfach auch sagt: Es gibt eine Hand, eine helfende Hand, die einfach immer, zu jeder Zeit, da ist.

Wie gesagt, es gibt die unterschiedlichsten Opferschutzeinrichtungen, auch das Frauenhaus, das sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Situationen reagieren kann und reagiert, ob mit Kindern, ob ohne Kinder, eben Frauen in Beziehungen ohne Kinder oder mit Kindern. Es gibt da auch unterschiedliche Wohnformen, Übergangswohnungen und so weiter. Wie gesagt, ich glaube, das ist ganz wichtig im Gewaltschutz, dass es diese unterschiedlichen Maßnahmen gibt.

Moderator Gerald Groß: Jetzt wurde mehrmals zum Beispiel das Thema Beweissicherung angesprochen, das so ein Problem ist. Wie kann man da nachher überhaupt beweisen, dass es zu Drohungen gekommen ist, dass es vielleicht zu tätlichen Angriffen gekommen ist?

Wir haben in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Hausdurchsuchungen erlebt, vor einem ganz anderen Hintergrund in ganz anderen Zusammenhängen: Wäre das zum Beispiel eine Möglichkeit, die Sie sehen, dass man sagt, man müsste auch der Staatsanwaltschaft diese Möglichkeit geben, dass es Hausdurchsuchungen gibt, dass Handys konfisziert werden, zum Beispiel? Wie soll man es sonst beweisen?

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Ich denke schon, dass das auch eine Möglichkeit ist. Es ist aber auf jeden Fall auch so, wie Frau Primaria Kastner gesagt hat, betreffend Tätertypen, dass es schon auch Ansätze gibt, dass es Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, bevor diese Situationen überhaupt entstehen, denn es gibt schon auch jugendliche Straftäter, die eine Haftstrafe verbüßt haben, wo vielleicht auch abgeklärt werden könnte, wie das Gefahrenpotenzial ist. Wir haben es leider auch erlebt: Ein junges Mädchen wurde von Zugewanderten drangsaliert, und das hat ihr das Leben gekostet. Also es gibt schon Möglichkeiten, bei einem gewissen Typus von Männern im Vorfeld zu klären, wie hoch das Gewaltpotenzial ist.

Ich denke mir aber, wir brauchen auch noch schnellere Zugänge. Wir hätten im Parlament eine SOS-App gefordert – die gibt es in Belgien, in Frankreich, in Spanien. Da reicht wirklich quasi ein Fingerdruck am Handy, wenn man es in der Hand hat, ohne dass man telefonieren muss, ohne dass der Mann auf die Idee kommt, weil er sieht, man macht ja nichts, so wie wenn man das Licht am Handy einschaltet, und der Notruf geht an die Polizei; die melden sich, und wenn nichts mehr kommt, dann kommen die hoffentlich, bevor der Mord passiert oder bevor eine große Gewalttat begangen wird, und können helfend einschreiten.

Ich denke mir, dass einfach diese Zugänge noch viel schneller kommen müssen. Beweissicherung ist zum Beispiel ganz wichtig in diesen Dingen, wo auch viele synthetische Drogen im Spiel sind, wo in ein Getränk etwas hineingemixt wird und Frauen dann sexuell oder auch anders Schaden erleiden. Wenn da keine Beweissicherung stattfindet, möglichst schnell, dann ist das nicht mehr nachvollziehbar.

Moderator Gerald Groß: Danke schön.

Frau Deckenbacher, Sie waren vorhin sozusagen gleichzeitig am Start, Frau Ecker war einen Tick schneller.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Kein Problem!

Umso wichtiger ist es, dass wir uns weiterhin auch ganz extrem in den unterschiedlichsten Einrichtungen um den Gewaltschutz, die Gewaltprävention kümmern. Wir haben da, das muss man ganz offen sagen, eine der größten Initiativen gestartet, die es zum Thema Gewaltschutz gibt, nämlich mit dem Gewaltschutzmaßnahmenpaket bereits im Mai, bei der es um eine Erhöhung von 24,6 Millionen Euro ging, bei der nämlich genau konzentriert auf Gewaltschutz vieles passiert ist und weiterhin passieren wird.

Diese Einrichtungen, die wir alle schon erwähnt haben, sind ungemein wichtig, nämlich vor allem auch dann, wenn Frauen und Mädchen Hilfe und Unterstützung brauchen. Da bin ich der Meinung, die Zivilcourage und auch die Aufforderung, die Sensibilisierung und die Öffentlichkeitsarbeit, die wir hier auch leisten, ist ungemein wichtig, für den Schutz dieser Mädchen und Frauen. Das ist nämlich das Anliegen, das wir alle haben. Wir alle haben das gleiche Anliegen, dass wir auf unsere Mädchen und Frauen achten müssen, dass wir sie informieren, dass wir sie beraten, dass wir sie auch stärken, dass wir sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken, dass sie dann sozusagen auch die Schritte tun, die notwendig sind, damit sie vor Gewalt geschützt werden können.

Moderator Gerald Groß: Frau Disoski.

Mag. Meri Disoski (Grüne): Ich mag da gern noch auf Kollegin Ecker replizieren, weil ich das wirklich zurückweisen möchte, diesen Versuch, Gewalt gegen Frauen zu ethnisieren und zu kulturalisieren. Gewalt gegen Frauen wird nicht von außen importiert, das ist etwas Systemisches, Strukturelles; wir haben das zu Beginn unseres Gesprächs schon ausführlich erörtert. Das kennt keine Religion, keine Ethnie, keine nationale Grenze, keine sprachliche Zugehörigkeit. Gewalt gegen Frauen hat eine Wurzel, und diese Grundwurzel des Übels ist das Patriarchat und alle damit verbundenen Unterdrückungs- und Herrschaftsformen, die damit einhergehen.

Auf die Frage nach der Justiz und was man dort tun kann: Ich glaube, wir erinnern uns alle sehr drastisch und sehr genau daran, was der damalige Justizminister Jabloner gesagt hat, er hat vom stillen Tod der Justiz gesprochen. Wieso erwähne ich das? – Weil die Justiz tatsächlich einfach chronisch unterfinanziert war. Das hat natürlich auch Auswirkungen gehabt, wenn es um Gewalt gegen Frauen gegangen ist, bei den Staatsanwaltschaften, bei den Richterinnen und Richtern.

Wir haben jetzt beispielsweise genau das Problem, das die Primaria und im Zuspieler vorhin auch Frau Logar von der Interventionsstelle adressiert hat, mit der Strafverfolgung so verbessert und so geregelt, dass es im Bundesjustizministerium einen neuen Erlass gibt, der umfassend überarbeitet worden ist, der regeln soll, dass die Staatsanwaltschaften möglichst intensiv sozusagen an den Sicherheitspolizeikonferenzen teilnehmen, an den sogenannten Hochrisikofallkonferenzen, und dass die Staatsanwaltschaften auch wirklich stärker in der Pflicht sind, die Beweisaufnahme auch schon bei Vernehmungen durchzuführen.

Wir haben beispielsweise eine große Offensive betreffend Ausbildung von RichterInnen und StaatsanwältInnen gestartet, damit diese über Gewaltthematiken, Gewaltdynamiken schon in der Ausbildung verpflichtend lernen – muss man ja tatsächlich sagen –, sich damit auseinandersetzen, weil wir von den Expertinnen und Experten auch wissen, dass in der Justiz eine große Problematik darin gesehen wird, dass Gewalt überhaupt erkannt wird. Eine Frau wird vernommen, und Richter – man muss das tatsächlich in der männlichen Form formulieren, weil es meistens Richter sind – sagen dann: Na ja, aber das war ja nicht so schlimm, Sie haben ihn halt provoziert und er wird halt einen Grund gehabt haben, wieso er ausgezuckt ist! Wenn man so etwas hört, dann weiß man, dass in der Justiz dringender Handlungsbedarf ist. Dieser ist erkannt, und es wird auch dementsprechend gehandelt.

Moderator Gerald Groß: Okay, vielen Dank. (Brandstötter: ... einhaken ...!) – Ganz kurz bitte, bevor wir wieder zu Frau Prof. Kastner schalten.

Henrike Brandstötter (NEOS): Also die SOS-App finde ich übrigens eine hervorragende Idee, wir haben sie aber trotzdem abgelehnt, weil mir da angesichts von Rohrkrepierern wie dem Kaufhaus Österreich auch ein bisschen das Vertrauen fehlt, dass der Staat wirklich der richtige Ansprechpartner ist, um so etwas zu tun, aber: Private sind aufgefordert, genau so etwas zu konzipieren.

Moderator Gerald Groß: Vielen Dank.

Ich bitte jetzt die Regie, wieder nach Linz zu Frau Primaria Kastner zu schalten. Hallo, Frau Kastner, können Sie uns hören?

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Ja.

Moderator Gerald Groß: Ja, sehr gut, wir hören und sehen Sie jetzt auch wieder, es gelten also sozusagen die gleichen Regeln wie vorhin. Ich weiß nicht, ob Sie unserer Diskussion hier folgen konnten und ob Sie das mitbekommen haben: Es gibt heute bei diesem Thema unter den Abgeordneten aller Parteien natürlich sehr viel Konsens, da oder dort aber durchaus auch ein wenig Dissens, wenn ich das so sagen darf.

Einen Dissens, den wir gerade gehört haben, nämlich zwischen Frau Ecker und Frau Disoski, möchte ich aufgreifen. Es ging da um den Punkt der Kulturalisierung des Themas Gewalt, und da möchte ich Sie fragen, wie Sie eigentlich zur These des sogenannten importierten Rollenbildes stehen und was Sie aus wissenschaftlicher Sicht dazu sagen.

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Es ist ein Faktum, dass Migranten überproportional häufig Täter der zur Diskussion stehenden Delikte sind. Das heißt, der Anteil der Täter mit Migrationshintergrund bei den Femizidtätern ist höher als der Anteil in der Bevölkerung gesamt ... Es ist aber auch ein Faktum, dass ein großer Teil, der größere Teil der Täter, österreichischer Abstammung ist. Also es ist kein nur importiertes Problem, beileibe nicht, und es ist eher so, dass diejenigen, die am allermeisten und am lautesten gegen Migration opponieren, sich in ihren Rollenvorstellungen mit den Migranten oft am verblüffendsten decken. Das sind dann so ganz, ganz archaische Mann-Frau-Rollenbilder, wo eigentlich zwischen den beiden Gruppen ein erstaunlicher Konsens festzustellen wäre.

Moderator Gerald Groß: Frau Kastner, wir haben heute schon in der ersten Runde hier sehr oft den Begriff der Rollenbilder, die von der Gesellschaft geprägt und vermittelt werden, gehört. Ich möchte auf diesen zurückkommen und Sie fragen – weil auch dieses Thema bereits mehrfach angesprochen worden ist, sozusagen die Schieflage zwischen den Geschlechtern beziehungsweise überhaupt das Thema Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern –: Bedeutet mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern automatisch weniger Gewalt, jetzt aus der Sicht der Medizinerin?

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Na ja, das möchte man hoffen, das ist das, worauf wir alle hoffen würden, aber wenn man sich jetzt zum Beispiel die Zahlen aus Schweden anschaut, das ja, was Gleichberechtigung betrifft, ein eher fortschrittliches Land ist, dann ist nicht ganz sicher, ob die Hoffnung berechtigt ist. Schweden hat relativ viele Femizide, und der Anteil der Femizide bei den Tötungsdelikten ist auch relativ hoch.

Es ist aber natürlich ein gesamtgesellschaftliches Anliegen – oder muss es sein –, dass diese Ungleichbehandlung der Geschlechter und diese Diffamierung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihres Geschlechts irgendwann einmal endet und dass das auch wirklich gesellschaftlich geächtet wird. Da ist noch erstaunlich viel Akzeptanz für schenkelklopfend-sexistische Witze oder entsprechende Bemerkungen, und da, glaube ich, ist jeder Einzelne aufgerufen, dann eben einzuschreiten und zu sagen: Das ist aber jetzt nicht lustig, das braucht es überhaupt nicht!

Das ist aber eine Sache, die sich mit Verordnungen eben nicht ändern lässt, das ist eine Sache, die in der Gesellschaft ankommen muss und bei der auch wirklich ein sehr, sehr breiter Konsens dafür herrschen muss, damit sich das ändert.

Moderator Gerald Groß: Ich möchte Sie noch zum Thema verpflichtende Beratung fragen: Für wie sinnvoll halten Sie die? Wir haben jetzt darüber gesprochen, dass sich diese Rollenbilder über viele Jahre hinweg manifestieren, oft über Generationen tradiert werden. Können Sie dann in wenigen Stunden erschüttert oder abgeändert werden? Ich frage Sie das auch als Gutachterin, weil Sie ja viele dieser Täter auch persönlich kennen und mit ihnen gesprochen haben.

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Man weiß sehr wohl, dass diese Basic Beliefs – man kann jetzt sagen, die Männer sind wichtiger und gescheiter und auf jeden Fall bedeutsamer als Frauen, das ist ja bei einigen offenbar so eine Grundüberzeugung, das nennt man dann Basic Belief – circa sieben Generationen brauchen, bis sie sich verändern, also das ist ein veritables Langzeitprojekt. Jetzt zu glauben, dass man mit einer, ja, überschaubaren Anzahl von Beratungseinheiten an diesen Grundüberzeugungen wirklich Relevantes verändert, ist im besten Fall naiv, aber es ist wahrscheinlich falsch.

Die erste Gruppe, die ich genannt habe, also die, die dann aus dem Nichts heraus zum Täter wird, kann man gar nicht erreichen, weil die vorher nicht auffallen.

Die Gruppe derjenigen, die das selbst nicht für adäquat halten, aber immer wieder in ihrer Handlung enden, in solchen Aggressionshandlungen enden, wird man vielleicht noch am ehesten irgendwo anbinden können, bei ihnen vielleicht am ehesten eine Eigenmotivation erwirken können, dass sie etwas ändern, aber da braucht es sicher wesentlich mehr Zeit und wesentlich mehr Beratungsstunden, als jetzt vorgesehen sind.

Die Gruppe derjenigen, die meinen, dass Gewalt ein männliches Prärogativ ist und dem Mann qua Geschlecht zusteht, wird man damit sicher nicht erreichen können. Die wird man vermutlich auch mit einer mehrere Jahre überdauernden therapeutischen Intervention nicht wirklich erreichen können, weil die kein eigenes Problembewusstsein haben, und ich kann niemanden, der selbst kein Problem erkennt, gegen seinen Willen therapieren. Das funktioniert halt leider nicht wie eine Blinddarmoperation.

Moderator Gerald Groß: Ich möchte Sie zum Abschluss noch bitten, Frau Primaria Kastner, Ihren Blick auf die Frauen zu richten, und Sie fragen: Warum bleiben Frauen Ihrer Einschätzung nach oft in gewalttätigen Beziehungen, bis es schließlich zum Äußersten kommt? Wir haben heute auch schon viel darüber gehört. Oft sind es natürlich auch wirtschaftliche Abhängigkeiten, aber was sagt denn da die Psychiaterin?

Prim. Dr. Adelheid Kastner: Na ja, bei den Frauen ist es auch ein ganzes Bündel an möglichen Ursachen, das dazu führen kann, dass man sich aus solchen Beziehungen nicht löst oder nicht früh genug löst.

Zum einen kann es natürlich wirklich eine wirtschaftliche Verquickung sein, die befürchten lässt, dass der eigene Lebensstandard oder die Subsistenz gefährdet ist, wenn man sich trennt oder das Leben um ein Wesentliches ungemütlicher wird.

Dann muss man ja auch immer bedenken, dass sich solche Gewaltbeziehungen in der Regel nicht am ersten Tag des Kennenlernens etablieren, sondern dass das so einschleichende Übergriffe sind, wo die Männer die Grenzen immer mehr verschieben. Dann kommt halt auch eine ganz wesentliche Scham vonseiten der Frau dazu, die sich nicht sofort als jemand outen will, der zu Hause geschlagen wird. Dann denken sie: Na ja, so schlimm wird es schon nicht werden und er wird es schon irgendwann einmal einsehen und es wird schon nicht so schlimm kommen – und es kommt immer schlimmer. Die Entwicklung ist in der Regel, dass das immer schlimmer wird.

Wenn man das Verschieben von Grenzen zulässt, dann muss man gewärtig sein, dass die Grenzen immer weiter verschoben werden. Das will man aber nicht glauben, dann sind ja auch noch die Kinder da, dann will man den Kindern auch nicht den Vater nehmen, dann müssten sie vielleicht wegziehen und das Haus geht drauf. Dann kommt irgendwann einmal der Punkt, an dem man schon so viel akzeptiert hat, dass es ganz, ganz schwerfällt, jetzt voller Scham mit dem, was man alles schon akzeptiert hat und sich hat gefallen lassen, herauszurücken.

Das Prinzip Hoffnung ist natürlich auch ein relevanter Punkt. Man glaubt, es wird schon nicht zum Äußersten kommen, man muss da halt ein bisschen durchhalten und irgendwann einmal wird es schon besser werden, und das wird immer enger, der Trichter wird immer enger.

Dann gibt es natürlich auch Frauen, die für sich genommen eine problematische Persönlichkeitsstruktur haben, eher abhängig strukturiert sind und jemanden zu brauchen glauben, weil sie sich alleine für nicht ausreichend lebens- und entscheidungsfähig halten. Denen müsste man dann natürlich genauso eine Beratung, eine Therapie nahelegen, wie man das bei den Tätern macht. Die gehören genauso in Behandlung, denn die werden von einer solchen Beziehung, wenn es gelingt, sich daraus zu lösen, meistens unmittelbar in die nächste analoge Beziehung gehen.

Moderator Gerald Groß: Frau Dr.in Kastner, vielen herzlichen Dank und schöne Grüße von uns allen an dieser Stelle zu Ihnen nach Linz. Das war Primaria Adelheid Kastner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Primaria an der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt am Kepler-Universitätsklinikum.

Im folgenden Film, meine Damen und Herren, möchten wir Ihnen jetzt zwei Frauen zeigen beziehungsweise zwei Frauen zu Wort kommen lassen, die beide gewalttätigen Männern ausgesetzt waren. Sie erzählen, wie alles begonnen hat, aber auch, wie viel Mut und Unterstützung es braucht, um zum Beispiel zur Polizei zu gehen und den Täter anzuzeigen. Ihr Beispiel soll deutlich machen, wie groß die Angst und die Belastung für Frauen in solchen Situationen sind.

*****

Es folgt eine Videoeinspielung:

Andrea: Es hat einfach mit Kontrolle begonnen, die ich aber als Aufmerksamkeit am Anfang noch positiv wahrgenommen habe, und ist dann einfach irgendwann in Gewalt eskaliert: Knochenbrüche, Bedrohung mit Messer, versucht, aus dem Fenster zu stoßen. Das ging über zwei Jahre.

Sprecher: Andrea hat massive Gewalt durch ihren Ex-Mann erlebt.

Andrea: Nach dem ersten Vorfall, das war noch verhältnismäßig, ich nenne es jetzt mal, gering, da ging es um Ohrfeigen, da habe ich mir noch gedacht: Ja, wenn das noch einmal passiert, dann bin ich weg – also, ich glaube, ganz klassisch, und mein Ex-Mann hat natürlich beteuert und geschworen, dass das nie wieder passieren wird. Als es dann aber wieder passiert ist, war das eigentlich gleich ziemlich massiv mit Bedrohung mit Umbringen, mit dem Messer.

Sprecher: Als sie es schafft, die Beziehung zu beenden, lauert er ihr auf. Die Situation eskaliert. Andreas Bruder kann das Schlimmste verhindern. Mir ihm geht sie zur Polizei und zeigt ihren damaligen Ehemann an. Ein Annäherungsverbot wird ausgesprochen. Entscheidet man sich für eine Anzeige, raten ExpertInnen dazu, sich gut vorzubereiten.

Andrea Czak (Verein Fema): Man sollte E-Mails, wo zum Beispiel Drohungen, also auch Morddrohungen drinnen stehen, sammeln, ausdrucken, SMS ausdrucken. Man sollte Kleidungsstücke sammeln, die zum Beispiel blutbefleckt sind, oder Arztbestätigungen, wo eben diese Gewaltvorfälle auch dokumentiert sind.

Sprecher: In Andreas Fall helfen weder Anzeige noch Annäherungsverbot.

Andrea: Er hat sich in Wirklichkeit weder an die Wegweisung noch an das Betretungsverbot gehalten. Er hat mich ständig kontaktiert und irgendwie, ich wusste, dass er weiß - -, also er wusste, wo ich arbeite et cetera, also es war immer irgendwie ein Problem, von A nach B zu kommen. Ich habe dann am Anfang bei einer Freundin geschlafen, es gab eigentlich eine ziemlich engmaschige Betreuung durch die Polizei und auch durch die Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Mir wurde dann aber von der Polizei aus nahegelegt, ins Frauenhaus zu ziehen, weil sie gemeint haben, sie können mich so nicht schützen. Mein Ex-Mann ist abgetaucht, keiner wusste, wo er ist.

Sprecher: Andrea lebt in ständiger Angst.

Andrea: Dann hat die Polizei mir damals auch Polizeischutz angeboten, aber der wäre auch nur von meinem Arbeitsort bis zur U-Bahn-Station gewesen, und dann hätte ich halt von dort - -, also bin ich dann halt von dort auch alleine weitergefahren, wo ich dann im Nachhinein draufgekommen bin, dass er eh die ganze Zeit wusste, wo ich bin, und verfolgt hat, also dann auch wusste, wo das Frauenhaus ist.

Sprecher: Nach Jahren in Angst schafft sie es, ihrem gewalttätigen Ex-Mann zu entkommen, weil dieser ins Ausland geht.

Auch Maria hat Angst vor ihrem Ex-Mann. Nach der Trennung kommt es bei einer Übergabe der Tochter zur einer Gewaltsituation.

Maria: Er hat mich gegen den Türstock gestoßen und am Arm gepackt, mein linker Arm war zerkratzt.

Sprecher: Marias Vater ruft die Polizei.

Maria: Es war dann so, dass man mir die Option gegeben hat, ich könnte eventuell eine Wegweisung machen, aber sie würden es mir nicht empfehlen, und wenn sie an meiner Stelle wären, würden sie das nicht machen, weil das würde dann implizieren, dass er das Kind nicht sieht, und dann könnte er noch mehr aggressiv sein, wenn er nicht eh schon aggressiv ist.

Sprecher: Maria lässt ihren Ex-Mann, der auch mehrere Schusswaffen besitzen soll, nicht wegweisen und zeigt ihn trotz eines zweiten Vorfalls nicht an. Die Expertin weiß, dass in solchen Extremsituationen oft falsch reagiert wird.

Andrea Czak: Was ganz wichtig ist: darauf hinweisen, dass man Angst hat, also die ganzen Dinge nicht verharmlosen, damit auch die Polizei merkt, die Frau hat Angst und der muss jetzt auch geholfen werden. Die Wiener Frauenhäuser oder auch die Interventionsstelle gegen Gewalt haben ExpertInnen, die die Frauen dann zur Anzeige bei der Polizei begleiten.

Da wäre es natürlich wichtig, auch kühlen Kopf zu bewahren, strategisch vorzugehen und sich eventuell auch Unterstützung zu holen. Da gibt es auch PräventivbeamtInnen, die können zum Beispiel auch von der Interventionsstelle vor der Anzeigenaufnahme angerufen werden und die machen dann eine schonende Einvernahme.

Sprecher: Maria hat sich Hilfe geholt und sich beraten lassen. Sie weiß nun, wie sie reagieren muss, sollte es noch einmal zu einem Vorfall mit ihrem Ex-Mann kommen.

*****

Moderator Gerald Groß: Zurück im „Politik am Ring“-Studio begrüße ich nun unseren nächsten Gast, und zwar Frau Mag.a Maria Rösslhumer. Herzlich willkommen! Sie ist unsere zweite Expertin heute, auf dem Feld der Frauenberatung seit vielen Jahren äußerst aktiv. Sie sind derzeit Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser – derzeit: seit 1999 schon, habe ich gelernt! –, und Sie sind unter anderem auch Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt, auch die gibt es schon sehr lange, seit 1998. Da waren Sie auch so etwas wie eine Pionierin in vielen Bereichen, und Sie gehören noch vielen Netzwerken in diesem Bereich an, die ich jetzt gar nicht alle aufzählen könnte, und es ist auch nicht notwendig.

Diese Gewaltspirale, von der wir heute schon mehrmals gesprochen haben, auf die möchte ich auch bei Ihnen noch einmal zurückkommen, Mord dann als die Spitze der Gewalt. Frauen werden lange Zeit bedroht, wir haben das jetzt gerade wieder sehr authentisch gehört: Wenn du etwas unternimmst, dann passiert etwas Schreckliches. – Warum ist es so schwierig, diese Gewaltspirale zu unterbrechen und durchbrechen?

Mag. Maria Rösslhumer (Autonome Österreichische Frauenhäuser): Zuerst einmal vielen Dank für die Einladung. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass es bereits den 28. Femizid gibt. In Mistelbach ist eine Frau auf der Straße gefunden worden, sie ist offensichtlich von ihrem Lebensgefährten angefahren worden und er wurde jetzt in Haft genommen. Und wir haben auch zusätzlich noch 45 Mordversuche, also Frauen, die in lebensgefährlichen Situationen bedroht worden sind. Also die Situation und das Ausmaß der Gewalt ist sehr, sehr gravierend, und fast tagtäglich passieren Morde oder Mordversuche. Das macht natürlich sehr betroffen.

Ja, aus dieser Spirale herauszukommen ist für viele Frauen extrem schwierig, weil es einfach oft - - Das größte Problem ist oft, dass die Frauen nicht bei der Polizei anrufen oder sich oft eben nirgendwohin wenden, weil sie große Angst haben, dass noch mehr passiert, wenn sie einen Schritt tun, dass es noch mehr eskaliert. Das ist oft das Problem, und es ist schwer, den Frauen immer wieder zu raten: Ruft bei der Polizei an!, weil sie oft eben große Angst haben, das öffentlich zu machen. Es ist auch ganz, ganz schwierig - -

Moderator Gerald Groß: Kann man den Frauen eigentlich diese Angst guten Gewissens nehmen, dass man sagt: Wenn du so oder so oder so vorgehst, dann kann man sozusagen maximale Sicherheit gewährleisten oder garantieren?

Mag. Maria Rösslhumer: Das kann man leider nicht. Vor allem ist es auch so, das muss ich auch dazusagen, es werden leider die Frauen auch, wenn sie sich Hilfe holen, oft im Stich gelassen. Also man kann nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Frauen tatsächlich unterstützt werden.

Wir haben letzten Donnerstag ein Beispiel im Burgenland erlebt, eine Frau, die zur Polizei gegangen ist, weil ihr Mann sie jahrelang psychisch terrorisiert hat, extrem eifersüchtig war. Sie ist zur Polizei gegangen und wollte eine Wegweisung. Die Polizei hat ihn zwar weggewiesen, aber hat die Wegweisung wieder zurückgenommen, mit der Begründung, wenn man ihm die Familie nimmt, dann zuckt er womöglich noch mehr aus. Also das heißt, das ist mehr Täterschutz als Opferschutz. Das ist einfach katastrophal, und wenn die Frauen sich schon Hilfe holen - - Das Schlimmste dabei war, dass er dann nachher wirklich das Haus angezündet hat. Erst dann ist er sozusagen in U-Haft gekommen.

Also was muss noch alles passieren, damit die Frauen ernst genommen werden in ihrer Situation? Und so etwas passiert leider sehr, sehr oft.

Moderator Gerald Groß: Weil Sie jetzt diesen konkreten Fall angesprochen haben: Ist es am Land mitunter noch schwieriger, weil alle halt irgendwie auch alle kennen und irgendwie auch miteinander verbandelt sind?

Mag. Maria Rösslhumer: Ja, dieser männliche Schulterschluss ist natürlich in ländlichen Gebieten oft sehr, sehr spürbar. Jeder kennt jeden, die Polizei kennt auch die Männer, die gewalttätig sind. Also da gibt es schon auch immer eher so eine Solidarität den Männern gegenüber, um Gottes willen, man muss ihn sozusagen eher schützen, bevor noch mehr passiert. Die Frauen werden dann aber einfach im Stich gelassen oder es wird ihnen sogar noch die Schuld zugeschoben, warum sie nicht das oder das gemacht haben.

In diesem Fall wäre es gewesen, haben sie gesagt: Hätte sie doch eine einstweilige Verfügung beantragt! – Also sie müssen sich auch über rechtliche Dinge selber informieren, wenn sie etwas nicht richtig beziehungsweise falsch gemacht haben, dann wird ihnen noch die Schuld zugeschoben.

Moderator Gerald Groß: Ein Thema, das jetzt gerade von dieser einen betroffenen Frau, die hier gesprochen hat, angesprochen worden ist, Sie haben es dann auch schon kurz aufgegriffen, möchte ich noch vertiefen: Meist oder oft sind ja auch Kinder im Spiel und da sind dann auch Kinder in Gefahr, weil Männer dann drohen, auch den Kindern etwas anzutun, und das ist natürlich eine ganz, ganz starke und scharfe Waffe eigentlich, muss man sagen. Wie geht man damit um und was kann man da tun?

Mag. Maria Rösslhumer: Ja, es ist ein großes Problem für Frauen, denn Frauen schützen ihre Kinder und versuchen, alles zu tun, um die Kinder zu schützen, und wenn er ihnen droht: Ich entführe dir die Kinder!, oder: Ich nehme dir die Kinder weg!, oder: Ich bringe sie auch noch um!, ist das für die Frauen noch einmal eine größere Hürde, überhaupt eine Anzeige zu machen, überhaupt einen Schritt zu setzen.

Da muss man also die Frauen natürlich stärken, unterstützen und ihnen auch immer wieder sagen, dass sie, wenn sie eine Anzeige machen, nicht alleine sind. Es gibt eben Prozessbegleitung, es gibt Einrichtungen, die sie unterstützen und begleiten. Das ist schon sehr, sehr wichtig, aber es reicht nicht aus.

Es ist auch Folgendes wichtig: Ich glaube, wir müssen generell auch bei den Behörden ansetzen, dass die Frauen dann, wenn sie schon Hilfe holen, wirklich adäquat und richtig und bestmöglich unterstützt werden, so wie es eben auch in der Istanbulkonvention steht. Also Österreich hat die Istanbulkonvention ratifiziert – das ist die europäische Konvention, wo drinnen steht, dass jede Frau das Recht auf den bestmöglichen Schutz hat, und zwar nicht nur allgemein, sondern jede Einzelne. Und da glaube ich müssen wir ansetzen.

Moderator Gerald Groß: Noch eine für diese Runde jetzt abschließende Frage zum Thema Corona: Ich habe heute eine Meldung aus Frankreich gelesen, wonach die Gewalt, die häusliche Gewalt in Frankreich während der Pandemie um circa 10 Prozent zugenommen hat. Ich nehme an, das sind Werte, die in dieser Größenordnung vielleicht auch für viele andere Länder gelten könnten. Ich weiß nicht, ob es da für Österreich schon ganz konkrete Auswertungen gibt, ob Sie diesbezüglich mehr darüber wissen. Ich möchte Sie zunächst einmal fragen, wie sehr Corona, was diese Probleme betrifft, noch eine Verstärkerwirkung haben kann.

Mag. Maria Rösslhumer: Die Pandemie ist ganz sicher eine Verstärkung, aber wir hatten Gewalt oder das hohe Ausmaß an Gewalt ja auch schon vor Corona – 2018 hatten wir 41 Morde an Frauen, also Femizide –, also das ist jetzt kein Phänomen nur aufgrund von Corona, aber das hat sich durch die Situation natürlich wesentlich verstärkt.

Zahlen in dem Sinn haben wir wenige, außer die Zahlen, die wir haben, zum Beispiel haben bei der Frauenhelpline die Anrufe um 20 Prozent zugenommen. Und es berichten viele Beratungsstellen, dass sich sehr viele Frauen an die Beratungsstellen gewandt haben, aber wir haben 2020 eine Rückgang bei der Auslastung eben bei den Frauenhäusern gehabt. Das heißt, viele Frauen haben zwar angerufen, sie wollen kommen, aber sie konnten dann nicht, weil eben die Familie ständig da war oder der Partner ständig kontrolliert hat. Also das waren so diese beiden ...

Moderator Gerald Groß: Sie kennen das: Nach der letzten Frage kommt immer noch eine allerletzte Frage – für diese Runde jetzt –, um auch unsere Diskussion hier wieder ein wenig sozusagen zu befeuern.

Dieses Gewaltschutzpaket, das von der Regierung auf den Weg gebracht und unter großem medialen Getöse, könnte man jetzt sagen, heuer im Frühjahr präsentiert worden ist, wurde als Meilenstein bezeichnet und hat auch sonst noch viele Superlative umgehängt bekommen. Geschah das zu Recht, oder wie sehen Sie es?

Mag. Maria Rösslhumer: Na ja, es ist zwar groß berichtet worden, aber ich glaube, das Geld ist nicht tatsächlich dort hingeflossen, wo es auch wirklich gebraucht wird. Also es gibt Einrichtungen, die haben Geld bekommen, obwohl sie eigentlich nicht per se Gewaltschutz ausüben und wirklich machen – das haben wir sehr kritisiert.

Natürlich fließt jetzt sehr viel in die Täterarbeit oder in Burschen- und Männerarbeit. Das ist grundsätzlich wichtig, aber wir dürfen auch die Einrichtungen wie Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen nicht vergessen, die von diesem Geld nichts gesehen haben – bis jetzt nicht! Also wir sind froh über jede Erhöhung des Budgets und so weiter, aber es darf keine Schieflage entstehen, also dass sozusagen wirklich Frauen- oder Opferschutz nicht vergessen wird.

Also es ist Geld geflossen – ich weiß ja nicht, ob die Mittel dann auch schon wirklich angekommen sind –, aber wir – also wir als Einrichtung und auch Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen – haben davon eigentlich noch nichts gesehen.

Moderator Gerald Groß: Okay, dann lassen Sie uns auch über dieses Paket reden. Frau Holzleitner, ich beginne bei Ihnen. Sie haben es seinerzeit als Mogelpackung, glaube ich, einmal bezeichnet. Warum eigentlich?

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Genau! Frau Rösslhumer hat schon eine Stelle angesprochen, die mir persönlich auch sehr wichtig ist, nämlich die Frauen- und Mädchenberatungsstellen, die beim Gewaltschutzpaket zum Beispiel nicht berücksichtigt worden sind und bei denen die Problemlage einfach auch schon davor eine sehr prekäre war.

Also, die Frauen- und Mädchenberatungsstellen finanzieren sich überwiegend über Projektfinanzierungen. Das ist ein immenser administrativer Aufwand, und in Wahrheit kann ich zum Beispiel Personal, das ich einstelle, nicht die Perspektive geben, dass es einfach über lange Zeiten und wirklich dauerhaft in einem sicheren Arbeitsverhältnis ist, um Frauen dann eben bestmöglich zu beraten, zu begleiten und so weiter – also alles zu tun, was eben im Gewaltschutzbereich zum Beispiel notwendig ist. Und da sagen wir ganz klar, es braucht für die Frauen- und Mädchenberatungsstellen eine ausreichende Basisfinanzierung, damit die eben langfristig planen können und damit der Euro aus dem Gewaltschutzpaket dann nicht über eine Projektfinanzierung fließt, wie es teilweise der Fall ist, sondern über eine Basisfinanzierung direkt in der Beratungsstelle und dann eben über diese Beratungsstellen auch direkt bei den betroffenen Frauen ankommt.

Was es auch auf jeden Fall bräuchte – die Istanbulkonvention ist ja schon angesprochen worden –, ist einfach wirklich das Wissen, dass es unterstützende Stellen gibt, und das ist zum Beispiel eben die Helpline. Diesbezüglich habe ich es zum Beispiel total super gefunden, dass einzelne Bundesländer – Wien, aber auch die Steiermark zum Beispiel – Initiative gezeigt haben, und unten am Supermarktbon ist dann quasi die Helplinenummer abgedruckt gewesen. Das muss aber bundesweit ausgerollt werden! Also da sehe ich schon auch den Bund in der Verantwortung, konkret die Frauenministerin, dass eben eine Helpline ausreichend unterstützt wird, dass es da einfach auch eine bundesweite Kampagne gibt, damit jede Frau in diesem Land die Nummer auswendig weiß. – Das passiert eben in zu geringem Ausmaß.

Wir haben weiters gesagt, dass auch die Hochrisikofallkonferenzen, die wir schon vorhin angesprochen haben, eben noch mehr unterstützt gehören.

Die Gewaltschutzeinrichtungen fordern ja 228 Millionen Euro, um die Istanbulkonvention ausreichend beziehungsweise bestmöglich erfüllen zu können, plus 3 000 Vollzeitarbeitsstellen in Beratungsstellen et cetera, damit dieser Schutz gemäß Istanbulkonvention wirklich auch passieren kann – das bedeutet, von der Finanzierung von Einrichtungen bis zur Kampagnenarbeit und so weiter.

Moderator Gerald Groß: Okay. – Gehen wir vielleicht die Oppositionsparteien jetzt durch.

Frau Brandstötter, jetzt nehmen wir mit, die Basisfinanzierung ist ein ganz wesentlicher Punkt, der immer wieder von der Opposition angesprochen wird, versus Projektfinanzierung, dieses Thema Hochrisikokonferenzen und Istanbulkonvention, 228 Millionen Euro. Gibt es aus Ihrer Sicht darüber hinaus noch Kritikpunkte?

Henrike Brandstötter (NEOS): Ja, wir haben heute ja schon sehr viel von unterschiedlichen Einrichtungen und Institutionen, die es gibt, gehört. Die gibt es tatsächlich! Sie sind im ländlichen Bereich weniger dicht vorhanden, aber wenn man sich in die Situation einer von Gewalt betroffenen Frau hineinversetzt, so ist diese in einer absoluten Ausnahmesituation. Sie weiß nicht, wo ihr der Kopf steht, und was sie braucht, ist Hilfe. Sie braucht jemanden, der sie durch das System durchlotst, der sagt: Gut, du bist jetzt in dieser Situation, wir müssen zur Polizei gehen, wir müssen zum Arzt gehen, wir müssen zu einer Frauen- und Mädchenberatungsstelle gehen oder in eine Gewaltschutzeinrichtung.

Ich glaube, dass das ein Missing Link ist, den es ganz dringend braucht, um eben die Frauen auch ganz gezielt durch dieses System durchzulotsen und nicht sich selbst zu überlassen, denn was passiert denn anderenfalls? Das ist eine absolut überfordernde Situation für Frauen! Wir haben auch Fälle, in denen sich die Polizei, die heute gesagt hat, sie sei der erste Ansprechpartner, nicht als vertrauenswürdiger Ansprechpartner erwiesen hat. Es gab ja vor wenigen Monaten auch den Fall, bei dem eine Frau die Polizei gerufen hat, und die Situation ist dann sehr eskaliert – sie hat dann letztendlich auch eine Verwaltungsstrafe bekommen. Also auch an diesem Eck gibt es noch Schulungsbedarf.

Das sind aber Situationen, die für Frauen so herausfordernd sind, und deshalb brauchen wir auch dieses Lotsensystem, damit Frauen besser durch diese Situation durchkommen und auch ihre Hilfe gezielt bekommen.

Moderator Gerald Groß: Vielen Dank.

Frau Ecker noch.

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Ich kann mich Kollegin Brandstötter da nur anschließen. Es braucht wirklich einen sicheren Korridor, und es braucht eine Begleitung, die die Rechtslage dazu gut im Kopf hat und die jetzt auch von der sozialen Art her dementsprechend geeignet ist, und ich bin davon überzeugt, dass es da ganz, ganz viele Frauen geben wird, die das auch können. Und es braucht auf jeden Fall mehr Mutter-Kind-Heimplätze und es braucht mehr Übergangswohnungen in den Bezirken, und die nämlich wirklich auch wohnortnah, weil eben, wenn ich mich dazu entschließe zu gehen, wenn ich mich traue, die nächste freie Wohnung nicht ums Eck ist.

Und es braucht wirklich gute rechtliche Beratung, weil wir sehen, dass heute Pensionistinnen mit einem Pensionsbescheid kommen, auf dem 720 Euro steht, und dabei vermerkt ist, es gebe ja Unterhaltsansprüche. Auf die hat man irgendwann einmal verzichtet, weil man das Verfahren schnell hinter sich bringen und weil man nicht noch einen Streitpunkt dazugeben wollte und weil Frauen grundsätzlich schauen, dass sie das dann irgendwie selbst schaffen. Die kommen durchs Leben und ziehen die Kinder groß, haben nicht so viel an finanziellen Mitteln und stehen in der Pension mit noch weniger da, weil sie auf vieles verzichtet haben – und ich glaube, da braucht es wirklich gute Beratung.

Eine weitere Hemmschwelle, und das habe ich jetzt auch zweimal im Bekanntenkreis erlebt, ist, wenn man als Frau, wenn man sich entscheidet, das Haus zu verlassen und in einer aufrechten Ehe ist, aber eigentlich quasi einen Antrag beim Familiengericht auf eigenständiges Wohnen stellen muss. Dafür muss der Familienrichter Verständnis haben, und der Ehepartner muss das dann quasi auch noch erlauben. Und das ist auch ein Schritt, den ich nicht so schnell gehe, weil ich, wenn ich dieses Verlangen äußere, vielleicht damit rechnen muss, dass wieder etwas passiert.

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Wenn ich ganz kurz mit einem Satz - -

Moderator Gerald Groß: Einen Satz!

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): - - zum Loch in dem System einhaken darf: Genau das ist das Problem mit der Projektfinanzierung.

Man stelle sich Folgendes vor: Frauenberatungsstelle Osttirol; die gewaltbetroffene Frau kommt hin, bekommt dort Beratung; der Prozess findet in Innsbruck statt. Die Frauenberatungsstelle beziehungsweise die Beraterin würde die gewaltbetroffene Frau gerne zum Prozess nach Innsbruck begleiten, kann aber weder Fahrtkosten noch Zugticket abrechnen.

Das ist ein Problem, weil genau da braucht es eben diese - - wenn man sich schon an eine Stelle gewendet und diese Schwelle überschritten hat, dann muss es einfach möglich sein, dass solche Dinge wie Zugticket und Kilometergeld von Osttirol nach Innsbruck kein Problem sind.

Moderator Gerald Groß: Okay.

Mag. Maria Rösslhumer: Oder eine Taxirechnung abgerechnet wird (Holzleitner: Ja!) – also ich habe vor Kurzem eine Frau mit 120 Euro finanziert, damit sie ins Frauenhaus kommen kann, weil sie sich kein Taxi leisten konnte –, oder dass die Polizei sie ins Frauenhaus bringt. Das wäre eigentlich - - müsste also selbstverständlich sein.

Moderator Gerald Groß: Frau Disoski, jetzt sitzen Sie natürlich als Abgeordnete einer der beiden Regierungsparteien hier, aber ich unterstelle Ihnen einmal eines: Wirklich zufrieden können Sie mit diesem Gewaltschutzpaket ja auch nicht sein, oder?

Mag. Meri Disoski (Grüne): Ich will noch einen Schritt zurückgehen und auf das, was Frau Rösslhumer vorhin gesagt hat, Bezug nehmen, weil es mich wirklich erschüttert, wenn eine Frau einen Notruf an die Polizei tätigt und dort mit Beamten konfrontiert ist, die dem Täter glauben und die eigentlich das vorexerzieren, worüber wir vorhin gesprochen haben, nämlich Männerseilschaften, Banalisieren von Gewalt und so weiter und so fort. Das erschüttert mich wirklich und das zeigt einen Handlungsbedarf, auf den wir dringend auch noch einmal hinschauen müssen, nämlich dort, wo es sozusagen auch strukturelle Gewalt gegen Frauen in den staatlichen Institutionen gibt, und die ist nach wie vor vorhanden – no na ist die vorhanden!

Lange Zeit waren diese Institutionen nur männlich geprägt und es gibt dort auch dementsprechende Männerbilder, Familienbilder, Frauenbilder, und ich orte auch bei der Polizei wirklich noch dringenden Handlungsbedarf. Der wird auch gesehen, und es gibt auch dementsprechende Schulungsmaßnahmen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.

Zum Gewaltschutzpaket, das jetzt adressiert worden ist – ich möchte das auch für die Zuseherinnen und Zuseher, die das vielleicht nicht in der Detailliertheit wissen, noch einmal aufdröseln –: Wir hatten wirklich von 2009 bis 2019 die Situation, dass die Mittel für den Gewaltschutz, für die Gewaltprävention gleich bleibend waren. Zehn Jahre lang haben GewaltschutzexpertInnen, OpferschutzexpertInnen mehr Geld gefordert, aber die Forderungen sind nicht erhört worden. Zehn Jahre lang gab es also nicht mehr Mittel, und jetzt haben wir es zum dritten Mal in Folge geschafft, sowohl bei den Opferschutzeinrichtungen, bei den Gewaltschutzeinrichtungen als auch dort, wo man über präventive Arbeit mit möglichen Tätern oder mit schon sozusagen straffällig gewordenen Tätern spricht, Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Gewaltschutz, die Gewaltprävention und auch den Opferschutz zu stärken.

Um auch noch einmal konkret auf Kollegin Rösslhumer zu sprechen zu kommen: Was wir mit der opferschutzorientierten Täterarbeit, die vorhin auch im Zuspieler thematisiert wurde, tun möchten, ist zu verhindern, dass sich Gewalt wiederholt. Wir haben heute schon viel über die Gewaltspirale und über die Gefahr, dass Gewalt sich wiederholt, gesprochen. Keiner glaubt, dass sechs Beratungsstunden dazu führen werden, dass jemand aus der Gewaltberatung hinausgeht und sagt: Es war sehr schön, danke; ich werde nie wieder etwas Böses, Gewalttätiges tun!, aber wofür diese Stunden gut sein sollen, ist, eine Verhaltensänderung bei einem Gewalttäter zu bewirken, der sich dann Hilfe holen soll, um sich auch mit seinen Problemen, die sich da manifestieren – Gewalt als Konfliktlösungsmechanismen, ein Rollenbild, das dementsprechend verankert ist und so weiter und so fort – auseinanderzusetzen.

Ich bin dann zufrieden, wenn wir solche Sendungen wie die heutige nicht brauchen – dann bin ich zufrieden! So weit ist es leider noch nicht. Wir haben es gehört: Es hat heuer den 28. Frauenmord und 45 weitere Mordversuche gegeben, und die Dunkelziffer – wir reden jetzt über die Spitze des Eisbergs – dessen, was wir alle, die wir hier sitzen – jede einzelne Frau in ihrem Alltag – an Gewalt, an Sexismen erleben, das kann man hier ja gar nicht diskutieren. Das ist so viel, dass man mit der Sendezeit gar nicht zurechtkommen würde. Deswegen ist auch dort noch einmal hinzuschauen – das würde ich gerne noch als zwei Aspekte, die wir heute noch gar nicht diskutiert haben, einbringen –, wo wir sozusagen auch Medien und Werbung in der Verantwortung haben.

Es gab letzten März eine unglaubliche Kampagne, bei der eine TV-Zeitschrift während des ersten Lockdowns ein Sujet gepostet oder gedruckt hat, das einen Mann zeigt, der einer Frau, die vermeintlich vor sich hinbrabbelt, mit der Zeitung eine übers Maul haut – das ist auch in dieser Annonce so drinnen gestanden. Wie gibt es das, dass so etwas geschaltet werden kann? Wie gibt es das, dass wir diese Form von Banalisierung von Gewalt in unserer Gesellschaft nach wie vor tolerieren? – Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es braucht ein sofortiges Verbot von Gewalt verharmlosenden Sujets in der Werbung, in den Medien. Da muss man auch über Medienförderung reden und auch darüber nachdenken, welche Mechanismen es gibt, um auch da einen Akzent zu setzen.

Moderator Gerald Groß: Weil Sie die Medien angesprochen haben: Ich würde das gerne sozusagen noch in unseren Themenspeicher für eine der Schlussrunden hineingeben, wenn uns die Zeit bleibt, nämlich auch, wie Medien auch grundsätzlich in der Berichterstattung mit Frauenmorden zum Beispiel, mit Femiziden umgehen, weil das ja durchaus auch ein Thema sein kann. (Holzleitner: ... Familientragödie!) – Die Familientragödie.

Das beginnt natürlich in der Sprache, endet aber auch bei der Fragestellung: Provoziert man damit möglicherweise Nachahmungstäter? – Man kennt das ja aus dem Suizidbereich, da Medien eine selbst auferlegte Zurückhaltung zum Beispiel bei der Berichterstattung über Suizide an den Tag legen. (Rösslhumer: Oder Opfer-Täter-Umkehr!) – Opfer-Täter-Umkehr. Also auch da ist wahrscheinlich noch viel zu tun und ist noch viel offen.

Wir können heute nicht alles besprechen und natürlich schon gar nicht lösen, aber, Frau Deckenbacher, ich bitte Sie jetzt abschließend noch zu dieser Runde und zu all diesen offenen Punkten beziehungsweise auch zu diesen Kritikpunkten, die da jetzt, wie ich finde; doch sehr massiv, aber auch sehr sachlich und auch sehr gut begründet vorgebracht worden sind.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Also ich verstehe natürlich, dass die Opposition Kritik übt, und das ist auch gut und richtig so, aber ich möchte trotzdem, dass man hier vielleicht einmal zur Kenntnis nimmt, dass wir wirklich eines der größten Gewaltschutzpakete seit vielen, vielen Jahren sozusagen zusammengebracht und beschlossen haben, und dass diese Sofortmaßnahmen auch wirklich in einer beträchtlichen Höhe zustande gekommen sind, nämlich in Höhe von 24,6 Millionen Euro. Wir haben auch das Frauenbudget innerhalb der Amtszeit von Ministerin Raab zum dritten Mal erhöht, und da geht es um insgesamt 18,4 Millionen Euro, also eine Erhöhung von 81 Prozent, und das ist wirklich sehr, sehr viel.

Da werden selbstverständlich Gewaltschutzeinrichtungen gestärkt, da wird schwerpunktmäßig in den Gewaltschutz investiert und natürlich auch in die Gewaltprävention. Da gibt es zum Beispiel auch die Frage der Querschnittsmaterie: Nicht nur im Frauenbereich, sondern auch im Innenressort, im Justizressort, aber auch im Sozialressort gibt es viele, viele Investitionen zu diesem Thema. Da möchte ich zum Beispiel nur an die Ausdehnung des Betretungsverbotes erinnern und dass es auch ein mobiles Annäherungsverbot gibt – das ist auch in einem der Beiträge angesprochen worden –, sodass die Frauen nicht nur im häuslichen Bereich oder nur im Wohnungsbereich geschützt sind, sondern eben auch, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen.

Es gibt auch eine großartige Zusammenarbeit mit der Polizei, und da gibt es auch ein Mehr an PräventionsbeamtInnen für den häuslichen Bereich, eine Aufstockung von 500 auf 700 Bedienstete – auch das sollte man vielleicht nicht vergessen –, und eine Sensibilisierung für unsere angehenden RichterInnen und Staatsanwälte im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen, sodass diese auch wesentlich sensibler mit den Frauen umgehen können.

So gibt es einfach viele, viele Dinge, die bereits passiert sind, die glaube ich gut sind und richtig laufen, aber selbstverständlich kann man auch immer nach oben revidieren.

Mag. Maria Rösslhumer: Darf ich - -

Moderator Gerald Groß: Ja, natürlich!

Mag. Maria Rösslhumer: - - zum Budget noch etwas sagen? – Es ist sehr begrüßenswert, dass das Budget ausgebaut wird, und Sie haben damit völlig Recht, dass das Budget früher auch nicht sehr hoch war, aber Österreich hat jetzt einen neuen Auftrag, nämlich die Umsetzung der Istanbulkonvention. Das ist etwas Neues, das gab es vorher nicht. Das heißt, Österreich hat sich verpflichtet, die Istanbulkonvention – alles davon – umzusetzen, und dafür braucht es Geld, und dafür reichen eben nicht einzig diese Millionen, sondern wir brauchen wesentlich mehr, um auch die Folgekosten zu reduzieren. Die Ausgaben sind ja enorm hoch! Je mehr wir in die Prävention investieren, umso besser ist es, und das fordern wir.

Ich glaube, wir müssen ja - - Die Istanbulkonvention sagt ja auch, dass wir bei der Gleichstellungspolitik anfangen müssen. Wir sind so weit entfernt von einer echten Gleichstellungspolitik; Frauen sind einfach so stark benachteiligt, dass wir noch weit von einer Gleichstellung entfernt sind. Und dass es jetzt 1,2 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung nicht mehr gibt, also dass das verhindert worden ist, das ist ja auch fatal, das muss man einfach sagen, und die Frauen leiden da sehr.

Da muss man ansetzen! Ich glaube, das ist eine der Ursachen, warum Gewalt an Frauen noch immer stattfindet: weil es eben ein systemisches Problem ist.

Und das zweite Problem ist: Es ist ein tiefgehend patriarchales System, in dem wir leben, das heißt, wir müssen sehr, sehr viel investieren, damit sich eben ein gesellschaftlicher Klimawandel vollzieht, damit eben dieses patriarchale Muster, dieses Denken, diese toxischen Männlichkeiten endlich aufgebrochen werden.

Da braucht es viel, viel Geld! Da braucht es viele Bewusstseinskampagnen, da müssen wir auf allen Ebenen ansetzen. Es muss wirklich auf allen Ebenen an den Schrauben gedreht werden, damit es endlich eine Veränderung gibt. Und da braucht es natürlich die Behörden und die, die die Gesetze machen, und so weiter, und auch, dass sie umgesetzt werden. Wir haben ja gute Gesetze! Österreich hat gute Gewaltschutzgesetze, gute Maßnahmen, aber es scheitert in der Umsetzung. Es gibt - -

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Ich glaube, eine vertane Chance, die man auch ausgelassen hat - -

Wir haben ja – das auch für die Zuseherinnen und Zuseher – gerade das Budget für 2022 diskutiert, und es ist auch beschlossen worden. Eine Chance, die man glaube ich gerade bei der Untergliederung für Frauen und Gleichstellung tatsächlich komplett auslassen hat, ist der EU-Recoveryfund, also eine der wenigen Untergliederungen, bei denen man diese EU-Gelder quasi zum Wiederaufbau, zum Ankurbeln nicht genutzt hat. Ich glaube, das ist sehr schade, vor allem auch weil es nämlich aus dem Europaparlament von Europaabgeordneter Evelyn Regner, die auch Vorsitzende des Frauenrechteausschusses im Europaparlament ist, einen Brief – ich habe ihn sogar da – an die Frauenministerin mit konkreten Vorschläge aus Rumänien, Kroatien und Finnland, die aus diesen EU-Geldern tatsächlich Dinge für den Gewaltschutz gemacht haben, gegeben hat. Es ist der Vorschlag gekommen, und da hätte man auch etwas übernehmen können. Auf den Brief, der im Übrigen am 15. Juli geschickt worden ist, ist meines Wissens nie geantwortet worden. Auch das wäre ein Topf gewesen, bei dem man wirklich quasi mit beiden Händen hätte zugreifen können.

Moderator Gerald Groß: Vielleicht eine ganz kurze Erwiderung dazu, und dann möchte ich doch noch ein paar Punkte ansprechen, die vielleicht auch auf der gesetzlichen Ebene noch zu tun wären. – Bitte sehr.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Ich möchte noch auf die Istanbulkonvention eingehen, zu der wir uns selbstverständlich ganz klar bekennen. Sie ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Es ist aber auch da bereits viel passiert: Wir haben eine ressortübergreifende Budgeterhöhung im Gewaltschutz, wir haben zum Beispiel den Ausbau von juristischer und psychosozialer Prozessbegleitung, und wir haben noch etwas: Wir haben auch das großartige Paket gegen Hass im Netz beschlossen. Ich glaube, auch das ist etwas, das wir hier nicht vergessen dürfen.

Eines, Frau Rösslhumer, möchte ich hier nicht im Raum stehen lassen: dass man 1,2 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung sozusagen nicht freigegeben hat, oder wie auch immer. Das ist einfach nicht richtig, denn 1,6 Milliarden Euro wurden ausbezahlt.

Mag. Maria Rösslhumer: Aber die Kinderbetreuung - -

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Kinderbetreuung, ja.

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Der Rechtsanspruch.

Mag. Maria Rösslhumer: Der Rechtsanspruch ist weg, ja, also das ist - -

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Weil wir nach wie vor der Meinung sind, dass auch die Wahlfreiheit etwas ist, - -

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Der Rechtsanspruch hätte niemandem die Wahlfreiheit genommen. Man hätte einfach nur einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Ich wollte einfach nur richtigstellen, dass es nicht stimmt – dass natürlich sehr wohl Kinderbetreuung stattfindet.

Moderator Gerald Groß: Ich fürchte, da machen wir jetzt sozusagen einen Topf auf, den wir wahrscheinlich nicht mehr zu Ende diskutieren können.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Der wahrscheinlich auch nicht hierher gehört, ja, aber das musste ich richtigstellen.

Moderator Gerald Groß: Vielleicht merken Sie es sich für die Schlussrunde! – Ich möchte trotzdem noch auf ein Thema zurückkommen, das mir immer wieder untergekommen ist, auch in der Vorbereitung auf diese Sendung: die Problematik, dass Täter ja meist auf freiem Fuß angezeigt werden und daher mitunter – wir haben das heute ja bereits mehrmals angesprochen – irgendwie so etwas wie tickende Bomben für Frauen sind. Das heißt, das Thema ist mögliche U-Haft für Männer in solchen Fällen. Ich nehme an, Sie (in Richtung Rösslhumer) sind dafür.

Mag. Maria Rösslhumer: Natürlich, es ist einfach ganz wichtig, dass, wenn das Gewaltschutzgesetz oder die Wegweisung alleine nicht reicht, wenn sich herausstellt, dass jemand besonders gefährlich ist, er in U-Haft genommen wird, bevor er auf freien Fuß gesetzt wird. Das ist natürlich für die Frauen ganz wichtig. Ich muss wirklich auch lobend erwähnen, dass das Justizministerium jetzt einen Erlass an die Staatsanwaltschaft erstellt hat, dass noch besser ermittelt werden muss – also von der Staatsanwaltschaft besser ermittelt werden muss –, dass nämlich alle Fakten, alle Daten gesammelt werden müssen, damit der Täter dann eben auch in U-Haft kommt, falls er sehr gefährlich ist. Es muss auch eine Gefährlichkeitseinschätzung gemacht werden. Das ist bis jetzt bei der Justiz eigentlich nicht passiert. Das sind also Maßnahmen, die wir sehr, sehr begrüßen, und das waren ja lange Zeit Forderungen.

Wir brauchen auch eine Mordanalyse. Wir müssen aus diesen Fällen lernen. Warum kommt es immer wieder zu diesen Morden und Mordversuchen an Frauen? Das ist eben gerade der Punkt der Umsetzung. Es ist auch wirklich fatal, finde ich, wenn Frauen Anzeige erstatten und diese dann nicht weiterverfolgt wird. Bei acht von zehn Anzeigen wird das Verfahren eingestellt. Das ist eine Demütigung für jede Frau und ein Freibrief für die Täter. Da braucht es eben eine noch bessere Beweisführung: alle Zeugen und Zeuginnen einvernehmen und auch wirklich - -

Moderator Gerald Groß: Und es ist natürlich auch keine Ermutigung für andere Frauen, dann überhaupt eine Anzeige zu machen, nicht?

Mag. Maria Rösslhumer: Genau, wenn sie kein Vertrauen in das Justizsystem haben, dann verlieren sie da einfach.

Moderator Gerald Groß: Ein Punkt, bei dem ich jetzt zugeben muss, dass ich nicht genau weiß, wie da der Stand der Dinge ist – darum schaue ich in die Runde, damit wir das vielleicht auch noch besprechen –, ist das Thema, dass ein Betretungsverbot beziehungsweise Annäherungsverbot gleichbedeutend mit einem Waffenverbot ist. Das ist ja, glaube ich, irgendwie auf dem Weg. Können Sie da im Moment ad hoc sagen, wie da der Stand der Dinge ist?

Mag. Meri Disoski (Grüne): Das kann ich gerne.

Moderator Gerald Groß: Frau Disoski, das ist ja, glaube ich, Ihr Thema gewesen, das haben Sie ja eingebracht.

Mag. Meri Disoski (Grüne): Ja, es gab im Mai eine Häufung, eine Serie von Frauenmorden, die damals mit Schusswaffen durchgeführt worden sind, und ich habe daraufhin eine parlamentarische Anfrage an den Innenminister gestellt, um herauszufinden, wie viele der Frauenmorde der vergangenen zehn Jahre mit Schusswaffen verübt worden sind. Die Zahl war wirklich horrend: Ein Drittel dieser Frauenmorde ist mit Schusswaffen verübt worden. Wir haben im Zuge der parlamentarischen Anfrage herausgefunden, dass es tatsächlich eine gesetzliche Lücke gibt, dass, wenn gegen einen Gewalttäter von der Polizei ein Betretungs- oder Annäherungsverbot ausgesprochen wird, nicht automatisch geschaut wird, ob dieser Mann – in den meisten Fällen sind es Männer – eine Schusswaffe zu Hause hat, und wenn ja, gar nicht der nächste Schritt gemacht wurde: dass diese Waffe automatisch abgenommen wird.

Jetzt haben wir vorhin schon gehört, dass Frauen in Trennungssituationen und Situationen wie Wegweisungen, Betretungsverboten sehr vulnerabel sind. Das sind Situationen, in denen klarerweise auch eine Schusswaffe ein größeres Gefahrenrisiko für Frauen und auch für Kinder, so sie im Haushalt da sind, darstellt. Was wir jetzt geschafft haben – und wir haben es gerade am Freitag im Parlament auch wirklich beschlossen –, ist, aus einer bisherigen Kannbestimmung – die Polizei kann im Falle eines Betretungs- und Annäherungsverbotes eine Waffe abnehmen – eine Mussbestimmung zu machen. Das heißt, künftig werden, so es Waffen gibt und die Polizei so ein Verbot ausgesprochen hat, Schusswaffen automatisch entnommen.

Was noch eine Neuerung ist: Es wird auch geprüft, ob eine permanente Waffenentnahme stattfinden kann. Es gibt einen Kriterienkatalog, der da erarbeitet worden ist und nach dem dann systematisch geschaut wird: Muss man, kann man die Waffe dauerhaft entziehen? Es hat mich sehr irritiert – weil wir auch über Dissens gesprochen haben –, dass die FPÖ diese Maßnahme nicht unterstützt hat und auch der Kollege von der FPÖ damals im Innenausschuss, wo wir diese Maßnahme zum ersten Mal diskutiert haben, meinte, solche Waffenverbote würden meistens nach sich ziehen, dass die Männer die Leidtragenden seien – weil wir heute auch über Opfer-Täter-Umkehr gesprochen haben und darüber, wie tief verwurzelt auch Banalisierung von Gewalt ist. Das hat mich wirklich erschüttert, Kollegin Ecker, und ich bin sehr froh, dass wir es im Parlament trotzdem mit großer Mehrheit geschafft haben, wieder einen Baustein im Gewaltschutz, im Opferschutz hinzuzufügen. Das war längst überfällig und eigentlich unglaublich, dass wir das im Jahr 2021 in Österreich noch nicht automatisiert hatten.

Moderator Gerald Groß: Okay, vielen Dank. – Bitte merken Sie es sich für die Schlussrunde (in Richtung Ecker), wenn Sie entgegnen wollen!

Ich möchte für den Abschluss noch einmal zu Ihnen zurückkommen, Frau Rösslhumer. Ich weiß, das ist jetzt kein wissenschaftlich-soziologischer Befund, aber ein Gefühl: Erleben wir nicht im Moment auf allen Ebenen eine Verrohung der Gesellschaft – ich würde es einmal so bezeichnen –, die oft auf der verbalen Ebene beginnt? Welche Rolle spielen Ihrer Einschätzung nach in diesem Zusammenhang Social Media, aber vor allem auch SMS und Co – wenn ich etwa an Stalking und an Droh-SMS oder so denke, die zum Beispiel von Männern geschickt werden? Wie lang oder wie kurz ist eigentlich der Weg von der verbalen hin zur tatsächlichen körperlichen Gewalt?

Mag. Maria Rösslhumer: Also diese gesellschaftliche Frauenverachtung ist überall spürbar. Das hat meiner Meinung nach zugenommen, und das ist natürlich in den sozialen Medien spürbar. Diese frauenverachtende Sprache, dieser Hass gegenüber Frauen ist sehr spürbar. Jede dritte Frau erlebt das, auch in den sozialen Medien wird da mit allen möglichen Dingen bedroht. Der Weg ist also meiner Meinung nach ein kurzer – wie kurz, das ist immer unterschiedlich, es kommt auch auf die Beziehung an: Ist es eine Beziehung oder ist es jemand Fremder? Wir spüren das dann auch bei Gewalt, zum Beispiel bei sexueller Gewalt: dass Frauen für den Frust der Männer herhalten müssen. Wenn sie ihren Sex nicht erwidern, dann werden sie zusammengeschlagen. Das haben wir auch gehabt – einen Täter mit einer Eisenstange auf der Straße. Der hat gesagt: Ich habe sie geschlagen, weil sie meinen Sex nicht erwidert hat. – Das ist so spürbar: dieser Frust, den Männer auf die Frauen übertragen.

Moderator Gerald Groß: Zurückkommend noch einmal auf das, was wir vorhin schon angeschnitten haben: Da möchte ich Sie jetzt einfach bitten, zum Schluss Ihren Wunsch an die Medien zu formulieren, ganz konkret. Wie sollen sie mit dieser Thematik umgehen? Natürlich ist es Aufgabe der Medien, aufzuklären, Aufgabe der Medien ist es, zu informieren, zu berichten. Auf der anderen Seite: Wie soll darüber berichtet werden, in welcher Sprache, in welcher Intensität?

Mag. Maria Rösslhumer: Auch in der Istanbulkonvention steht, es braucht eine verantwortungsvolle Berichterstattung. Verantwortungsvolle Berichterstattung heißt, die Gewalt nicht zu verharmlosen, die Frauen nicht zu viktimisieren und auch keine Opfer-Täter-Umkehr zu machen. Das heißt also im Grunde genommen, es beginnt schon mit der Sprache: Wie berichtet man? Berichtet man verharmlosend, indem man Kavaliersdelikt oder Beziehungsdrama oder sonst irgendetwas schreibt? Und: Erzeugt man mit der Berichterstattung eben die Beschuldigung der Opfer? Sozusagen: Hätte sie sich nicht getrennt, wäre sie nicht umgebracht worden. – In diese Richtung geht es ja immer wieder. Oder: Er hat sie wegen Leidenschaft, Liebe und Eifersucht umgebracht. – Das stimmt nicht. Niemand mordet wegen Liebe, Leidenschaft oder Eifersucht, sondern weil er Zurückweisungen, Kränkungen und eben Kontrollverlust nicht ertragen kann. Das sind die Ursachen, und darüber müsste man berichten, nämlich über die wirklichen Hintergründe.

Dann eben auch diese Opfer-Täter-Umkehr: dass die Männer dann sozusagen die Opfer sind und die Frauen die Gefährder und Täter werden. Das kommt immer wieder vor, und da muss man hinschauen. Wenn diese Berichterstattung weiterhin so passiert, entsteht natürlich auch so eine Männersolidarität untereinander. Wenn man sagt: Okay, er hat sie aus Eifersucht oder aus Leidenschaft und Liebe umgebracht!, dann entsteht so eine Solidarität unter den Männern und auch Verständnis auch dafür, dass er sie umgebracht hat.

Moderator Gerald Groß: Dann sage ich vielen herzlichen Dank für Ihre Expertise und dafür, dass Sie heute für dieses Interview zu uns gekommen sind!

Ich möchte jetzt zur Schlussrunde mit Ihnen, den Abgeordneten, kommen. Natürlich wäre noch viel zu diesem Thema zu sagen – das weiß ich schon –, wir könnten damit noch mehrere Sendungen füllen, aber ich möchte und muss Sie trotzdem um Kürze und um Prägnanz bitten. Ich würde Sie einfach bitten, dass Sie sich bei den vielen Wünschen und bei dem vielen Offenen, das es noch gibt, wirklich auf einen Punkt fokussieren und sagen, was das Erste sein müsste, das passieren muss, damit wir vielleicht doch aus dieser Spirale herauskommen.

Henrike Brandstötter (NEOS): Die Freiheit der Frau beginnt in der eigenen Geldbörse, und deshalb müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass Frauen Herrinnen über ihre eigenen Geldbörsen sind. Das bedeutet, wir brauchen endlich flächendeckend anständige Kinderbetreuungsplätze und einen Rechtsanspruch darauf, damit Frauen arbeiten gehen können, nicht zu Hause bleiben und somit auch leichter aus schwierigen Situationen herauskommen – egal ob sie von Gewalt betroffen sind oder sich generell in einer schwierigen Situation befinden.

Moderator Gerald Groß: Frau Deckenbacher.

Mag. Romana Deckenbacher (ÖVP): Eine gewachsene Demokratie wird vor allem daran gemessen, wie man mit Gewalt umgeht, und da sind die finanziellen Mittel, die bereitgestellt werden müssen, für alle Organisationen selbstverständlich ungemein wichtig, und das ist auch unsere Aufgabe als Politik, unabhängig von den gesetzlichen Grundlagen. Für mich ist das aber mehr, für mich braucht es auch einen entsprechenden Umgang miteinander. Das heißt: Wie gehen wir in unserem beruflichen, in unserem privaten, aber auch in unserem politischen Leben miteinander um? Das beginnt natürlich auch mit der Sprache, und da bin ich auch wieder bei den Medien. Ich möchte hier, wenn Sie mir erlauben, allen Mädchen und Frauen Mut zusprechen, dass sie sich an Menschen wenden, denen sie vertrauen, sei es die Nachbarin, sei es die Freundin, sei es die Lehrerin oder die Ärztin oder wer auch immer, denn alle Mädchen sollen wissen, wo sie Information und Hilfe bekommen, und vor allem sollen sie das Gefühl haben, in Sicherheit und nicht allein gelassen zu sein.

Moderator Gerald Groß: Danke schön. – Frau Ecker.

Rosa Ecker, MBA (FPÖ): Ich darf noch auf den Vorwurf mit dem Waffengesetz replizieren. Kollege Amesbauer hat es im Plenum ganz genau erklärt: Es ist ja in den seltensten Fällen so, dass diese Waffen legal im Besitz sind – da wäre die Abnahme schon immer möglich gewesen –, sondern es ist eher so, dass die Waffen zu diesem Zweck illegal erworben werden. Wenn man sich jetzt die Frauenmorde des letzten Halbjahres so ansieht, dann sieht man, dass da ganz, ganz viele Messermorde dabei sind. Messer gibt es leider überall und gerade im trauten Heim mehr, als für einen Mord notwendig sind.

Ja, ich würde mir viel mehr Mutmachprogramme für die jungen Mädchen – von denen haben wir heute gar nicht so gesprochen – wünschen. Ich war zu einem Besuch in einem Frauenhaus, wo mir – ich habe es nicht geglaubt – gesagt worden ist, dass auch junge Mädchen, jung verheiratete Frauen zum Beispiel nicht wissen, was der Mann verdient. Die können sich nicht ausrechnen, wie das weitergehen soll. Wir müssen den Mädchen also klarmachen: Es braucht wirtschaftliche Selbstständigkeit, Eigenständigkeit und den Mut, auch einfach Nein zu sagen. Das sollten die ganz jungen Mädchen schon lernen, aber auch später ist das einfach etwas ganz Wichtiges. Sich Unterstützung zu suchen ist keine Schande. Die Scham und dieses: Ich rede nicht darüber! – Mädchen müssen lernen, dass das sein darf, dass das sein muss, dass das überlebensnotwendig sein kann.

Moderator Gerald Groß: Vielen Dank. – Frau Disoski.

Mag. Meri Disoski (Grüne): Sie fragen, was die dringendsten Maßnahmen sind – das ist aus meiner Sicht ganz klar: dass wir von dieser Projektfinanzierung, wie wir sie jetzt im Gewaltschutz haben, wegkommen hin zu einer langfristigen Basisfinanzierung für die Frauenberatungsstellen, für die Frauen- und Mädchenberatungseinrichtungen, für die Gewaltschutzzentren und viele andere Organisationen, die wirklich tagtäglich sehr wichtige und auch wirklich schwierige und belastende Arbeit leisten. Es ist wirklich belastend, was da im Alltag an Geschichten auf die Frauen, die in diesen Einrichtungen arbeiten, zukommt. Da muss man auch Wertschätzung und Anerkennung für diese Art der Arbeit zeigen, indem man langfristig finanziell absichert. Das hat für mich Priorität.

Dann würde ich sagen: Mein größter Wunsch und mein größtes Ziel – und das kennt keine parteipolitische Farbe –, ist, dass wir endlich von dieser rhetorischen Gleichstellung, die oftmals bemüht wird, wegkommen: Frauen haben eh schon so viel erreicht, und du kannst eh jeden Job machen – und ich weiß nicht, was sonst noch. – Es ist es eh super, dass wir das können, aber trotzdem sind wir sozusagen in der Situation, dass wir im gesellschaftlichen Leben nach wie vor eine Allzuständigkeit von Frauen haben. Politologin Katharina Debus hat das kürzlich in einem Buch so zusammengefasst: Wir haben aufgrund der Emanzipation unterschiedliche Möglichkeiten gewonnen – uns als Frauen eigentlich erkämpft –, die wir vorher nicht hatten, aber gleichzeitig ist diese ganze unbezahlte Arbeit bei uns Frauen geblieben: die ganze unbezahlte Sorgearbeit, das Erziehen von Kindern, auch die ganze emotionale Arbeit. Das alles ist nach wie vor bei den Frauen, und das geht sich einfach nicht aus.

Deshalb braucht es aus meiner Sicht ganz klar – und da gibt es auch in der Koalition noch keine einheitliche Auffassung – politische Maßnahmen, die dafür Sorge tragen, dass Carearbeit, Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern fair verteilt wird, weil es nicht sein kann, dass Frauen unbezahlte Arbeit leisten, dann genau in dieser ökonomischen Abhängigkeit vom Partner bleiben und sich im Fall von Gewalt nicht aus Beziehungen, die ihnen nicht guttun und sie im Maximalfall auch das Leben kosten können, lösen können. Ich möchte an dieser Stelle auch wirklich all jenen, die im Gewaltschutz, in der Gewaltprävention und in diesen Bereichen tätig sind, ein großes Danke sagen. Das ist wichtige Arbeit, die sie leisten, und wir haben das im Blick. Ich werde mich sicher weiterhin dafür einsetzen, dass wir die Bedingungen verbessern.

Moderator Gerald Groß: Vielen Dank. – Frau Holzleitner noch zum Schluss.

Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Natürlich ist die große Vision die Gleichstellung der Geschlechter und das endliche Überwinden des Patriarchats. Das ist, glaube ich, nicht nur die Vision von vielen Frauenpolitikerinnen heute, sondern auch von Johanna Donahl als erster Frauenministerin gewesen, auch von Helga Konrad: „Ganze Männer machen halbe-halbe!“ – Ich glaube, das alles waren schon extrem großartige Initiativen, Kampagnen, die es leider noch immer braucht. Die Gleichstellung der Geschlechter ist einfach nach wie vor nicht zu 100 Prozent gegeben. Das muss aber frauenpolitisch das Ziel sein – hoffentlich nicht langfristig, sondern eher mittelfristig, mit einem gewissen Optimismus.

Wenn es ganz konkret um den Gewaltschutz jetzt und die Maßnahmen, die es ganz dringend braucht, geht: Das ist eben die Basisfinanzierung von Frauen- und Mädchenberatungsstellen, und ich freue mich, wenn wir im nächsten Gleichbehandlungsausschuss auch gleich einen Antrag von unserer Seite diskutieren können, auch überfraktionell, vielleicht finden wir ja irgendwo einen Konsens. Ich glaube, da sind die Türen bei allen in dieser Runde ja grundsätzlich offen, auch wenn Opposition und Regierung natürlich immer wieder verschiedene Ansichten haben.

Auch die Initiative, die Maria Rösslhumer angesprochen hat, diese Mordanalyse: In anderen Ländern passiert das, zum Beispiel jetzt in Finnland mit einer Datenbank, die aufgearbeitet wird – auch ein spannender Ansatz. Was nichts kosten würde, aber Gewalt an Frauen noch stärker sichtbar machen würde, wäre auch ein Öffentlichmachen der Zahlen von Gewalt an Frauen – von Femiziden und von Mordversuchen – in den Zeitungen, ähnlich wie wir es jetzt mit den Coronazahlen haben, einfach um diese erschreckenden Zahlen auch tagtäglich sichtbar zu machen.

Das Ziel muss gesamtgesellschaftlich sein, diese Zahlen auf null zu drücken und grundsätzlich Frauenpolitik auch medial einfach wieder stärker in den Fokus zu rücken, denn auch da wissen wir, dass Frauenpolitik coronabedingt einfach in den Hintergrund gerückt ist und prozentuell gesehen weniger Platz gehabt hat. Frauenpolitik einfach stärker in den Fokus zu rücken, sozusagen in die Mitte der Gesellschaft, auf die Titelblätter – das wäre, glaube ich, auch ein sehr zentraler Punkt.

Mag. Maria Rösslhumer: Darf ich noch einen - -

Moderator Gerald Groß: Einen allerletzten Schlusssatz – bitte sehr, Frau Rösslhumer.

Mag. Maria Rösslhumer: Gewalt an Frauen ist ein Männerproblem. Ich glaube, wir müssen auch bei den Männern ansetzen, wir brauchen nämlich Männer, positive Vorbilder, die Verantwortung übernehmen. Dafür braucht es einfach auch Zivilcourage: dass Männer Zivilcourage gegen Partnergewalt ausüben. Es ist mein zentrales Anliegen in unserer Gesellschaft, dass wir einfach wirklich auch einmal da ansetzen, nicht immer nur bei den Frauen. Den Frauen wird alle Verantwortung zugeschanzt. Wir brauchen Männer, die wirklich auch mitmachen.

Moderator Gerald Groß: Ich sage vielen herzlichen Dank für diese konstruktive und wertschätzende Diskussion. Das war bei diesem Thema durchaus, denke ich, zu erwarten. Trotzdem habe ich da oder dort Bruchlinien wahrgenommen, aber keine Gräben, wie ich glaube, und das ist in Zeiten wie diesen schon sehr, sehr, sehr viel wert. Ich glaube, unser aller Wunsch ist in Erfüllung gegangen, wenn es tatsächlich – wie Sie, Frau Disoski, glaube ich, heute schon einmal gesagt haben – so eine Sendung nicht mehr braucht, aber ich fürchte, das wird noch dauern.

Noch einmal vielen herzlichen Dank! Meine Damen und Herren, auch Ihnen Danke schön fürs Dabeisein! Ich hoffe, möglichst viele Botschaften sind angekommen, aber hoffentlich auch viele Informationen, und ich hoffe, wir haben vielleicht der einen oder anderen Frau, die uns heute zugeschaut hat, auch Mut machen können.

Das war die Novemberausgabe von Politik am Ring, übrigens ein kleines Jubiläum: Genau vor einem Jahr haben wir mit Politik am Ring begonnen. Die nächste Ausgabe gibt es dann schon am 13. Dezember, das wäre dann ja eigentlich auch das Ende des Lockdowns – hoffen wir, dass das auch so ist! Vielen herzlichen Dank noch einmal, alles Gute, und bleiben Sie gesund! Auf Wiedersehen.