Transkript der Veranstaltung:

Verleihung der Concordiapreise

Claudia Schanza (Moderatorin): Einen schönen guten Tag und herzlich willkommen im wunderschönen großen Redoutensaal, wo das Parlament in der Hofburg zu Hause ist, bei der Verleihung der Concordiapreise 2022! Leider kann die Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, die durch die Veranstaltung führen sollte, heute nicht hier sein – und vor allem: wollte nicht hier sein –: Sie ist leider gestern erkrankt. Ich bin kurzfristig eingesprungen und habe auch einen gewissen Bezug zum Presseclub Concordia und auch zum Hohen Haus.

Ich bin Mitglied des Presseclubs Concordia als Journalistin und ich habe 1988 meine allerersten Schritte als Journalistin im Parlament gemacht: bei der Parlamentssendung „Hohes Haus“, wo ich viele Jahre gearbeitet habe. Allerdings bin ich jetzt zum ersten Mal in den Redoutensälen, und es freut mich, Sie heute begleiten zu dürfen – und wir wollen jetzt mit einem kräftigen Applaus, die Veranstaltung wird ja gestreamt, Daniela Kraus baldige Besserung wünschen. (Beifall.)

Jetzt aber möchte ich wirklich dem Gastgeber des heutigen Tages ganz herzlich danken, dass die Preisverleihung hier stattfinden kann. Wir begrüßen ganz herzlich den Präsidenten des Nationalrats Magister Wolfgang Sobotka. (Beifall.) Danke, dass wir hier sein dürfen und dass Sie es wieder ermöglichen, dass wir vom Presseclub das hier auch durchführen können.

Ganz herzlich begrüßen möchte ich auch die Bundeskanzlerin außer Dienst Dr.in Brigitte Bierlein. (Beifall.)

Namentlich begrüßen möchte ich außerdem den Außenminister außer Dienst der Tschechischen Republik Karl Schwarzenberg (Beifall) – schön, dass Sie hierhergekommen sind –, die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten außer Dienst Dr.in Ursula Plassnik – sie (erheitert) versteckt sich in der letzten Reihe, ist in Pink aber trotzdem nicht zu übersehen – und die Präsidenten des Bundesrats außer Dienst Prof. Herwig Hösele und Alfred Schöls – sie sind beide da. Schönen guten Tag! (Beifall.)

Ich freue mich sehr, die Vertreterinnen und Vertreter des Presseclubs Concordia willkommen zu heißen. Zwei, die wir beide gleich auch noch länger hören und sehen werden, seien jetzt namentlich hervorgehoben: zuerst die Dritte Präsidentin des Nationalrats außer Dienst und Vorsitzende der Jury des Concordiapreises Dr.in Heide Schmidt (Beifall) und der Präsident des Presseclubs Concordia und sehr erfolgreicher Journalist – das muss man schon auch immer dazusagen; das ist ja nicht nur ein Verein, ihr seid ja Journalisten, das ist der Mittelpunkt des Lebens – Dr. Andreas Koller. (Beifall.)

Jetzt kommen wir zu den zentralen Figuren des heutigen Tages, den Preisträgerinnen und Preisträgern. Es ist ja kein Geheimnis, Sie haben auch schon auf der Einladung gesehen, wer heute den Preis gewinnt. Das ist hier keine Romygala, es ist eine Würdigung journalistischer Leistungen. Wir begrüßen die PreisträgerInnen Christa Zöchling, Martin Thür und Prof. Paul Lendvai. (Beifall.)

Ebenfalls ganz herzlich begrüßen wollen wir auch die Laudatorin und die Laudatoren, die Journalistin Dr. Melita Šunjić (Beifall) – schönen guten Tag, danke schön –, die Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung Mag.a Cathrin Kahlweit (Beifall) – in der zweiten Reihe – und den stellvertretenden Chefredakteur und „ZIB-2“-Moderator Armin Wolf (Beifall) – Dr. Armin Wolf, wir wollen hier den akademischen Grad nicht unterschlagen.

Es freut mich sehr, alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates zu begrüßen (Beifall), sie sind hier im ganzen Saal – schönen guten Tag, ein schönes Wiedersehen! –, und abschließend heiße ich auch die hier anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Interessenvertretungen aus den Bereichen Medien, Wirtschaft und Wissenschaft herzlich willkommen!

Ich weiß nicht, wer jetzt nicht genannt wurde – Sie alle sind hier, und das ist wunderschön. Und vor allem: Wir haben ja über den Livestream auch noch mehr Zuseherinnen und Zuseher – schönen guten Tag! (Beifall.)

Ich bitte Sie, den Gastgeber des heutigen Tages, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, jetzt um die offizielle Begrüßung der feierlichen Preisverleihung.

Wolfgang Sobotka (Präsident des Nationalrates): Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem werte Preisträgerin und Preisträger, Laudatorinnen, werter Laudator! Werte Vertreter des Presseclub Concordia! Sie stehen heute im Mittelpunkt dieser Veranstaltung. Ich freue mich, dass so viele gekommen sind – viele Minister außer Dienst, Abgeordnete außer Dienst und im Dienst –, das zeigt die Bedeutung dieser Preisverleihung, die zum zehnten Mal, glaube ich, hier im österreichischen Nationalrat, im österreichischen Parlament stattfindet. Ich freue mich, dass Sie wieder diesen Ort gewählt haben, weil er natürlich eine ganz besondere Bedeutung hat. Als Herz der Demokratie ist es dem Nationalrat in cumulo ein großes Anliegen, seine Arbeit auch mit Partnern aus der Publizistik in die Breite zu bringen.

Heute haben wir auf der einen Seite die Tatsache, dass die Publizistik die Aufgabe hat, die Bildung voranzutreiben, und auf der anderen Seite die Notwendigkeit, als vierte Gewalt auch Kontrolle auszuüben. Dass das mit einem Qualitätsjournalismus zusammenhängt, versteht sich von selbst und brauche ich Ihnen nicht näher zu erläutern. Es zeichnet den Presseclub Concordia aus, dass er das jedes Jahr dann auch mit einer besonderen Öffentlichkeitswirksamkeit tut.

Die Wichtigkeit der journalistischen Arbeit heißt aber auch gleichzeitig, letzten Endes eine hohe Verantwortung für diese Arbeit betreffend die Recherche auf sich zu nehmen. Sie wissen, dass wir uns heute vielfach mit der Frage: Was ist Fakt und was ist Fake?, auseinanderzusetzen haben, und schlussendlich geht es gerade auch hier in Österreich wieder um Persönlichkeitsrechte, um sie in all diesen Fragen zu wahren, denn es ist sehr schnell eine mediale Vorverurteilung zu sehen, und was dann am Schluss und am Ende des Tages nach den entsprechenden gerichtlichen Verfahren zu bemerken ist, hat längst nicht diese Aufmerksamkeit, wie sie es vorher gehabt hat. Daher ist es, glaube ich, auch für uns als Gesellschaft im Gesamten eine große Verantwortung, da mit der Sorgsamkeit und mit auch der Unantastbarkeit des freien Journalismus umzugehen.

Ich weiß, dass auch da insbesondere der Gesetzgeber eine Verantwortung in der Frage des Medientransparenzgesetzes hat, das derzeit in Ausarbeitung ist und uns hoffentlich auch bald dementsprechende Möglichkeiten gibt, uns gerade auch in der Frage von Fakten und Fake eine entsprechende Unterstützung zu bringen und auch in der Frage der heiklen Inseratenvergabe und dem dann angeschlossenen Berichtswesen eine dementsprechend klare Trennung zu vollziehen.

Die Europäische Union hat mit dem Digital Services Act glaube ich eine erste klare Position bezogen, vor allem bei den digitalen Medien auch Grenzen einzuziehen. Mir ist es schon in meiner früheren Position ein großes Anliegen gewesen – und das ist es bis zum heutigen Tag und ich bringe das auch auf jeder internationalen Sitzung –, dass wir eine Gleichstellung zwischen den traditionellen Medien und den digitalen Plattformen, die ja gleichzeitig als Medien auftreten und alle Kennzeichen der Medien haben, erreichen, insbesondere eine editoriale Verantwortung.

Das, was die Europäische Union heute vorgibt, ist natürlich eine erste Möglichkeit, vor allem die Fakenews und den Hass im Netz entsprechend zu bekämpfen. Wir stellen heute fest, dass gerade, was den Hass im Netz anlangt, die weitverbreiteten antisemitischen Strömungen in Europa in einem enormen Ausmaß zugenommen haben, dass rassistische Ausprägungen enorm zugenommen haben und dass das Ausmaß an persönlichen Attacken zugenommen hat. Das auch rechtlich in den Griff zu bekommen, sind wir aufgefordert. Und gerade, was Sie als Vertreter auch der traditionellen Medienlandschaft betrifft, wünsche ich mir auch hier diese Partnerschaft, dass wir letzten Endes für die nächsten und auch für zukünftige Generationen den hohen Wert einer freien Presse umfänglich absichern können, um die Menschen nicht in Echokammern zu entlassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, für ihre Meinungsbildung wirklich bestmöglich informiert zu sein.

Ich darf der Preisträgerin und den Preisträgern herzlich gratulieren, gestatten Sie mir aber, Prof. Lendvai, der heute für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, in besonderer Art und Weise zu gratulieren, dem ich schon oftmals bei den vielfältigsten Gelegenheiten begegnet bin, dessen Exzellenz und vor allem Haltung in österreichischen Fragen, aber auch in internationalen Fragen, insbesondere auch betreffend sein ursprüngliches Heimatland Ungarn, für Aufmerksamkeit in Österreich, aber auch international gesorgt hat und da auch für eine sehr kritische Haltung. Ich darf Ihnen persönlich gratulieren, dass Sie mit einer klaren Haltung, auch verbindlichem Ton stets dafür gesorgt haben, dass diese Haltung auch in besonderer Art und Weise eine Verbreitung erfährt und auch akzeptiert wird. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Arbeit und wünsche Ihnen noch viel, viel Gesundheit! Ein Journalist hört nie auf zu schreiben, ein Journalist hört nie auf, seine Stimme zu erheben. Ihr Wort hat immer Gewicht gehabt, und das wünsche ich Ihnen auch in den zukünftigen Zeiten.

Alles Gute, und auch allen anderen, die ich persönlich nicht so kenne, herzliche Gratulation zu Ihren Auszeichnungen! (Beifall.)

Claudia Schanza: Danke, Herr Präsident! – Ich bitte jetzt den zweiten Gastgeber des heutigen Tages – dieser Preisverleihung – um seine einleitenden Worte: den Präsidenten des Presseclubs Concordia Andreas Koller.

Andreas Koller (Präsident des Presseclub Concordia): Herzlichen Dank. – Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, dass Sie durch Ihr zahlreiches Erscheinen ein so machtvolles Zeichen für die Pressefreiheit, die gerade wenige Kilometer von hier so arg unter die Räder kommt, setzen. Wenn ich schon beim Dankesagen bin, bedanke ich mich bei Claudia Schanza, dass du so kurzfristig eingesprungen bist und hier die Moderation übernommen hast – ich glaube, das hat auch einen Applaus verdient. (Beifall.)

Und mein Dank gilt nicht zuletzt Nationalratspräsident Sobotka, der die Tore des Parlaments für uns geöffnet hat und damit der Verleihung der Concordiapreise wieder einen besonders würdevollen Rahmen gibt. Die Preise werden jetzt schon seit Jahren hier im Parlament verliehen, und wir – wir von Concordia – betrachten das durchaus als Auszeichnung.

Herr Präsident! Sie sind in den vergangenen Wochen, das werden Sie ja bemerkt haben, durchaus auch kritischer Berichterstattung ausgesetzt gewesen – nicht zuletzt von Kolleginnen und Kollegen, die auch hier heute in unseren Reihen anwesend sind. Und ich glaube, das ist jetzt gar nicht der Ort und der Platz und die Gelegenheit, diese Meinungsverschiedenheiten, die es da möglicherweise gegeben hat, auszutragen, ich kann nur sagen, es spricht für das hohe demokratische Niveau unseres Landes, wenn ein Politiker, der von Journalisten kritisiert wird, sich in dieser Weise, wie Sie das jetzt tun und getan haben, einen Abend hinsetzt und sich seinen Kritikern sozusagen stellt. Und das weiß ich sehr zu schätzen, denn man muss sich das vorstellen: Der Präsident des Nationalrats wird kritisiert von Journalistinnen und Journalisten, und er öffnet das Tor, die Tore des Parlaments für Journalisten und Journalistinnen, die Preise an Journalisten und Journalistinnen vergeben, und er nimmt an dieser Veranstaltung sogar teil.

Jetzt kann man natürlich sagen: Das ist ja ganz selbstverständlich!, denn im Grunde ist das eine demokratische Selbstverständlichkeit. Das Parlament gehört nicht dem Präsidenten des Nationalrats, das Parlament gehört uns Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes. – Also gut, es ist selbstverständlich, dass der Herr Präsident uns hier empfängt, auf der anderen Seite muss man sagen, diese Selbstverständlichkeit ist nicht immer selbstverständlich – und jetzt bin ich wieder dabei, dass ich auch nur 50 Kilometer in den Osten blicke: Da wäre das wahrscheinlich nicht möglich, und bei uns in Österreich ist das möglich, und darum sage ich: Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie uns hier empfangen und dass Sie hier sind!

Mein Dank gilt wie jedes Jahr Frau Dr. Schmidt als Vorsitzende unserer Jury. Sie machen das in einer bewährten Art und Weise, und ich versuche jedes Jahr, Sie zu pragmatisieren, um allfällige Ideen, dass Sie dieses Amt zurücklegen könnten, bitte zu zerstreuen. Herzlichen Dank, dass Sie das heuer wieder gemacht haben, und zwar in einer so wirklich guten Art und Weise, hervorragenden Art und Weise, denn wieder ist es so, natürlich ist es so – ich hoffe es zumindest –, dass sich die Preisträgerin und die beiden Preisträger mit dem Preis der Concordia schmücken können, aber gleichzeitig schmückt sich natürlich die Concordia mit diesen hervorragenden Preisträgern, und wir können uns sozusagen ein Federl auf den Hut stecken, dass wir wieder Preisträger haben, die diesen Preis verdienen und die uns eine große Ehre machen.

In diesem Sinne danke ich auch dem Preisträger, ich danke den Laudatoren. – Jetzt bin ich mit meinem Dank am Ende und wünsche uns allen einen schönen Abend. Danke schön! (Beifall.)

Claudia Schanza: Dann wollen wir doch gleich die Präsidentin der Jury, die Jury-Vorsitzende – Entschuldigung: die Jury-Vorsitzende – zu Wort kommen lassen, und ich bin gespannt, ob es leicht oder schwierig war, die PreisträgerInnen zu küren.

Heide Schmidt (Vorsitzende der Jury): Ich freue mich sehr, dass wir auch heuer wieder den Concordiapreis hier im Parlament vergeben dürfen. Danke schön für die Gastfreundschaft!

Ich freue mich deswegen, denn – und ich kenne als ehemalige Parlamentarierin durchaus die Schwachstellen auch des Parlamentarismus – für mich ist und bleibt das Parlament das Herz der Demokratie, so wie die Menschenrechte und wie die Pressefreiheit unverzichtbare Lebensadern der Demokratie sind. Und wenn der Concordiapreis die Absicht hat – und ich hoffe, er erfüllt diesen Zweck –, jenen, die sich um Pressefreiheit und Menschenrechte verdient gemacht haben, den Rücken zu stärken und das auch zu benennen, so glaube ich, dass wir Bürgerinnen und Bürger uns auch unmissverständlich zu Wort melden müssen, wenn dem Herz der Demokratie, dem Parlament, Schaden zugefügt wird. Und es wird ihm Schaden zugefügt, wenn seine Kontrollinstrumente untergraben, ausgehöhlt oder gar lächerlich gemacht werden, und es wird ihm Schaden zugefügt, wenn seine Kontrollinstrumente zuerst von den unmittelbar Betroffenen und daher in weiterer Folge (die Tonaufnahme ist unterbrochen) ... aber es einfach in Kauf nimmt. Nicht nur in der Justiz, sondern bei jeder Kontrollausübung ... Kontrolle eine Grundvoraussetzung.

[HINWEIS: Es kam bei der Liveübertragung aufgrund eines technischen Fehlers zu einer Unterbrechung des Streams. Der Presseclub Concordia hat uns dankenswerterweise die fehlende Stelle der Rede von Juryvorsitzender Heide Schmidt zur Verfügung gestellt:

„Und es wird ihm Schaden zugefügt, wenn seine Kontrollinstrumente untergraben, ausgehöhlt oder gar lächerlich gemacht werden. Und es wird ihm Schaden zugefügt, wenn seine Kontrollinstrumente zuerst von den unmittelbar Betroffenen und daher in weiterer Folge vom Staatsvolk nicht mehr ernst genommen werden. Es wird ihm auch schon Schaden zugefügt, wenn man das nicht gezielt will, aber es einfach in Kauf nimmt. Nicht nur in der Justiz, sondern bei jeder Kontrollausübung, ist die Unbefangenheit der Leitung der Kontrolle eine Grundvoraussetzung."

Die vollständige Rede ist hier abrufbar: https://concordia.at/rede-von-heide-schmidt-bei-den-concordia-preisen-2022]

Befangenheit ist nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern Unbefangenheit muss vor allem von der Außenwelt glaubhaft wahrgenommen werden. Das ist so ein bisschen wie mit der Neutralität: Da genügt es auch nicht einfach nur, dass man behauptet, dass man neutral ist, sondern die Neutralität kann ihre Wirkung erst entfalten, wenn sie aufgrund des staatlichen Verhaltens – also wenn sie gelebt wird – auch von der Außenwelt so wahrgenommen wird.

Und deswegen habe ich das Gefühl, dass das Herz der Demokratie, das Parlament, derzeit an Herzrhythmusstörungen leidet – und das kann gefährlich werden, und daher muss man dringend etwas dagegen tun, Herr Präsident! (Beifall.)

Heute aber widmen wir uns und befassen wir uns mit den weiteren Lebensadern der Demokratie, nämlich der Pressefreiheit und den Menschenrechten. Und ich wurde schon gefragt, wie schwierig es war: Ja, es war auch heuer wieder schwer, eine Entscheidung zu treffen, und zwar deswegen, weil so viele auszeichnungswürdige Vorlagen nominiert wurden, aber – auch das wie immer – es war für uns schließlich nach einem, wie ich doch hoffe und glaube, verantwortungsbewussten Auswahlprozedere letztlich dann leicht, und wir haben uns geeinigt – widerspruchslos geeinigt – auf jene beiden Preisträger. Und, Herr Professor, Sie kommen bei mir nicht vor, weil das eine Auszeichnung ist, die der Club Concordia verleiht und nicht die Jury, aber dass die Wahl auf diese beiden Preisträger hier – nämlich für die Kategorie Menschenrechte Christa Zöchling und für die Kategorie Pressefreiheit Martin Thür – gefallen ist, war letztlich nach Langem – aber überzeugt von allen – ein klarer Fall.

Nachdem sie beide hochkompetente Laudatorinnen haben, will ich ihnen gar nicht ins Handwerk pfuschen. Das machen dann Sie, und ich brauche daher nur wenig darüber zu sagen, dass Christa Zöchling mit ihrer Arbeit seit Jahren versucht, das Bewusstsein in der Bevölkerung dafür zu schärfen, was das Wesen der Menschenrechte ist und warum wir sie daher alle brauchen – das ist evident. Sie kümmert sich dabei nicht nur um die Vergangenheit – sie kümmert sich um die Vergangenheit –, sie kümmert sich um die Gegenwart, und das alles in der Hoffnung, dass das eine Chance für eine bessere Zukunft bildet. Ich will mir meinen Optimismus auch nicht nehmen lassen, wiewohl er mir immer schwerer fällt.

Wenn sie in ihrem Artikel, den wir als Grundlage unserer Auszeichnung genommen haben, das Schicksal einer afghanischen Familie auf ihrem Fluchtweg schildert, dann öffnet das hoffentlich so manchem auch die Augen darüber, was trotz der schrecklichen Spielregeln, die sich Österreich und Europa gegeben haben und die hoffentlich bald verändert werden, humaner ablaufen könnte, wenn es mehr Empathie, Verantwortung und Courage der handelnden Personen gäbe. Das ist der Grund gewesen, warum wir gefunden haben: Dieser Artikel macht das hoffentlich mehr Menschen deutlich als denen, die es vorher auch schon gewusst haben.

Auch Martin Thür hat – in der Kategorie Pressefreiheit – bewiesen, was er unter Verantwortung und Courage versteht, was er unter Kontrollauftrag des Journalismus versteht. Er hätte es sich einfach machen können, und niemand hätte es ihm übel genommen, denn der Anlass für das alles, warum er ausgezeichnet wurde – die Auskunftsverweigerung vom Parlament – ist nicht irgendetwas, sondern von einer hoch angesiedelten und prinzipiell auch hoch angesehenen Institution – mit der Kontrollbereitschaft scheint es ein bisschen ein Problem zu geben.

Martin Thür wollte das nicht widerspruchslos hinnehmen und ist daher zum Verfassungsgerichtshof gegangen und hat damit - -. Und jetzt kann man sagen – das ist ein Selbstverständnis –: Wir leben in einer Demokratie, wo ist da Mut notwendig? Wir alle wissen, dass es in bestimmten Berufsfeldern die unterschiedlichsten Überlegungen gibt, von Rechten Gebrauch zu machen. Martin Thür allerdings hat nur seine Grundprinzipien, die er als Journalist hat, im Auge gehabt, und hat damit ein beträchtliches neues Stück Informationsfreiheit beim Verfassungsgerichtshof erkämpft, und das haben wir in der Jury für vorbildhaft empfunden.

Ich hoffe sehr, dass der Gesetzgeber Parlament in naher Zukunft – sehr bald – diese demokratisch notwendige Informationsfreiheit auch tatsächlich beschließt, sie absichert und natürlich unter Abwägung auch des Datenschutzes in ein Gesetz gießt, dass man sich eben nicht erst durchkämpfen muss, um etwas zu erfahren. Vielleicht wird auch jenes Rechtsstaat und Antikorruptionsvolksbegehren, das vom 2. bis 9. Mai zur Unterschriftsleistung aufliegt, einen Anstoß für den Gesetzgeber geben, was in welchem Umfang und wie sehr von der Bevölkerung auch gewünscht zu tun ist.

Der Presseclub Concordia hat es sich also zur Aufgabe gemacht, aktiv die Demokratie zu stärken, die Menschenrechte, die Pressefreiheit. Die heutige Veranstaltung, die Preisverleihung, ist auch ein Beitrag dazu, und deshalb danke ich Ihnen allen, vor allem aber auch der Preisträgerin und den Preisträgern, dass Sie heute hier sind. – Danke schön. (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück. – Beifall.)

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Claudia Schanza: Vielen Dank. – Den musikalischen Rahmen verdanken wir heute Miloš Todorowski und Oskar Anatolí, und wir werden euch noch einmal hören. – Vielen Dank.

Ja, und jetzt wird die Spannung immer größer: Es wird der erste Preis verliehen, und dazu bitte ich eine wirklich kompetente Laudatorin nach vorne. Melita Šunjić ist selbst Journalistin, Sie ist aber eine ausgewiesene Expertin zum Thema Menschen auf der Flucht, zum Thema Humanitäre Hilfe. Sie ist selbst eben Journalistin, aber vor allem lange Pressesprecherin, Öffentlichkeitsverantwortliche des UNHCR, und ich freue mich auf Ihre Laudatio für Christa Zöchling. (Beifall.)

Melita Šunjić (Journalistin): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Preisträgerin und liebe Preisträger! Werte Festgäste! In der Kategorie Menschenrechte erhält Christa Zöchling – Christa Zöchling vom „Profil“, wie wir wissen – heute den Concordiapreis für ihre Reportage, die sich wie ein Thriller liest: „Der Hölle in Afghanistan entrissen“. Lapidar heißt es im Vorspann: „Nach neuneinhalb Wochen, versteckt in einem Keller in Kabul, sind eine Richterin und ihre Familie den Taliban entkommen. Christa Zöchling über eine Flucht, bei der viele mitgeholfen haben. Die österreichische Regierung war nicht dabei.“ – Aber Christa Zöchling war dabei, und es wurde eine spannende Geschichte über eine afghanische Familie von intellektuellen Schwestern und einem behinderten Bruder, über die Lage im Lande nach der Machtübernahme durch die Taliban und über die europäische Flüchtlingspolitik – exzellent recherchiert, exzellent geschrieben.

Als Leser fiebert man bei jedem Absatz mit, obwohl man eigentlich den glücklichen Ausgang durch den Vorspann schon kennt. Bereits für das Verfassen einer so herausragenden Reportage verdient Christa Zöchling den Preis, aber ihre Rolle hier war weit bedeutender und weit entscheidender als die einer Journalistin. Paradoxerweise gebührt ihr dieser Preis dafür, dass sie nicht nur wie eine Journalistin gehandelt hat, sondern – wie sie selbst schreibt – „in dieser Situation nicht einfach zur journalistischen Tagesordnung übergehen“ konnte.

Die herkömmliche Rollenverteilung zwischen Journalismus und Politik geht ungefähr so: Journalistinnen und Journalisten beobachten und beschreiben die Wirklichkeit. Sie schildern Probleme, sie bilden die Realität ab. Die Politik ist es hingegen, welche die Wirklichkeit verändert; nicht selten zwar durch die Macht der Medienöffentlichkeit angestoßen, aber letztlich sind es die Politiker, welche eingreifen und handeln, während die Journalisten sich mit der Rolle von Chronisten und Chronistinnen begnügen.

Das war hier nicht der Fall: Christa Zöchling blieb keine distanzierte Beobachterin, sie wurde zur Aktivistin, zur Akteurin. Als sie erfasste, in welcher Gefahr sich ihre Interviewpartnerin in Kabul befand, griff sie zum Telefon und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um sie und ihre Geschwister zu retten. Sie machte sich zum Anwalt dieser Familie. Nach herkömmlicher Lesart journalistischer Kriterien ist das ein Kardinalfehler. Ich zitiere aus den „Spiegel“-Standards:

„Nähe ist manchmal nötig für unsere Geschichten, um exklusive oder andere Informationen zu erhalten oder möglichst dicht an die Figur und ihre Geschichte heranzukommen. Nähe ist aber gefährlich. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein.

Wir können Verständnis für die schwierige Lage von Protagonisten“ haben, „aber wir beraten sie nicht, wir ,therapieren‘ nicht oder werden gar zu deren Verbündeten. Wir wahren professionelle journalistische Distanz.“ – Zitatende.

Solche ethischen Standards haben ihre Berechtigung – ihre volle Berechtigung! –, wenn es um die Nähe zu Parteien oder zu Interessengruppierungen geht, aber bei existenziellen Notlagen und bei Menschenrechten verlieren sie ihre Gültigkeit. Soll etwa ein Fotoreporter, der Zeuge eines Herzinfarktes wird, einfach mitfotografieren, oder soll er die Kamera weglegen und mit Wiederbelebungsmaßnahmen anfangen? – Natürlich werden sie sagen: Zweiteres! – Das ist nicht seine berufliche Verpflichtung, es ist seine menschliche Verpflichtung.

Genau so hat Christa Zöchling gehandelt. Sie hat das getan, was sie als Mensch für ihre Pflicht erachtete – aber mit journalistischer Sorgfalt hat sie jeden ihrer Schritte dokumentiert und sie hat die Leserinnen und Leser nicht über ihre Doppelrolle im Unklaren gelassen, auch wenn sie ihren Beitrag zur Rettung in ihrer bescheidenen Art sehr heruntergespielt hat.

Wir waren damals in Kontakt, und sie war verzweifelt ob der Gefahr für die Betroffenen und der Indolenz der österreichischen Politik. Sie appellierte an das Büro des Vizekanzlers – keine Reaktion –, das Büro des Außenministers – keine Reaktion, dafür ein Stehsatz, der täglich in den Medien zu lesen war: Österreich habe genug getan und werde keine weiteren Flüchtlinge aus Afghanistan ins Land lassen. Nur der Wiener Bürgermeister plädierte öffentlich für die Aufnahme afghanischer Frauenrechtlerinnen, doch ein Landeshauptmann kann keine Einreise genehmigen, das können nur die Bundesbehörden.

Christa Zöchling aber brennt für ihre Geschichten, wie ihre Bekannten und Redaktionskolleginnen und -kollegen ihr bescheinigen. Wenn sie etwas tut, sagen sie, dann macht sie es 120-prozentig. Und so war das auch in diesem Fall: Sie setzte eine Rettungskette in Bewegung, die ihresgleichen sucht. Sie mobilisierte direkt oder indirekt Alice Schwarzer, RichterkollegInnen der Betroffenen, eine US-Senatorin, den luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn sowie belgische und deutsche PolitikerInnen und DiplomatInnen.

„Die profil-Story hat eine fieberhafte Rettungsaktion ausgelöst“, schreibt Frau Zöchling in ihrem Artikel. In Wirklichkeit war sie es, welche diesen Wettlauf mit der Zeit und mit dem Tod lostrat, der schließlich erfolgreich endete mit einer Evakuierung nach Luxemburg samt persönlicher Begrüßung durch den Außenminister – den luxemburgischen, notabene.

Frau Zöchling ist über ihre Rolle als Journalistin hinausgewachsen, weil die übliche Rollenverteilung zwischen Journalismus und Politik in Flüchtlingsfragen in Österreich nicht oder nicht mehr funktioniert. Sie trat in Aktion, als die österreichische Regierung sich weigerte, das zu tun.

Damit hat sie quasi als Beifang zu dieser Reportage über ein menschliches Drama und zur Rettungsaktion, die sie losgetreten hat, eine dritte, eine besonders wichtige Leistung, ja, eine urjournalistische Leistung vollbracht. Sie hat der hässlichen, verwerflichen, ungerührten österreichischen Flüchtlingspolitik gegenüber Afghanen einen Spiegel vorgehalten. Sie hat sie entlarvt und demonstriert, dass es auch anders geht. Für diese dreifache Leistung ist ihr heute zu danken. – Herzlichen Glückwunsch zum Concordiapreis, liebe Frau Zöchling! (Beifall.)

Claudia Schanza: Vielen Dank. Andreas, ich darf dich nach vorne bitten, die Preisträgerin darf ich auch nach vorne bitten – Sie kriegen ja etwas. Frau Zöchling bekommt nicht nur schöne Worte. Herzliche Gratulation! Frau Šunjić, wenn Sie die Blumen an die Preisträgerin übergeben, und macht ein gemeinsames Foto! – Herzliche Glückwünsche!

Andreas, du musst aber auch dabei sein, entschuldige, du hast ja auch den Scheck der Bank Austria übergeben. Diese gehört an dieser Stelle auch gewürdigt, weil wir schon sagen müssen: Preise gäbe es nicht ohne Sponsoren. Da wollen wir uns an dieser Stelle bei der Bank Austria bedanken. (Beifall.)

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Herzliche Gratulation! Ich bitte jetzt die glückliche Gewinnerin und herausragende Journalistin um ein paar gesprochene Worte, nicht nur geschriebene.

Christa Zöchling (Preisträgerin Kategorie Menschenrechte): Tja, wie das so ist, bei Journalisten/Journalistinnen, die schreiben, sind dann auch die gesprochenen Worte die geschriebenen, weil man es nicht gewohnt ist, in freier Rede zu sprechen. Es ist gar nicht so leicht, nachdem was Frau Šunjić jetzt gesagt hat, zu sprechen.

Ich begrüße Sie, ich bin froh, dass sie alle gekommen sind. Liebe Jury! Liebe Festgäste! Liebe Freunde und Freundinnen! Melita Šunjić, ich danke Ihnen auch deshalb, weil ich mich sehr gut daran erinnere, als die erste Vorgeschichte der großen Geschichte von „Profil“ online ging. Es war, glaube ich, ein Freitag, oder nein, ein Samstag. Nachdem es kurz online war, habe ich eine Nachricht auf meinem Handy gehabt, eine SMS von Melita Šunjić mit der Frage: Kann ich helfen? Kann ich etwas tun? – Und es waren dann im Endeffekt viele, die gefragt haben: Können wir da etwas tun? Können wir irgendwen anrufen, irgendetwas organisieren, mit irgendeinem Kontakt helfen?

Ich muss gestehen, als die gesamte Geschichte, die Frau Šunjić als Thriller bezeichnet hat, erschienen ist, war ich lange mit mir selbst uneins, ob man eine solche Geschichte für einen journalistischen Preis einreichen kann. Ich habe mich natürlich gefragt: Ist das nicht ein bisschen zu viel Aktivismus neben dem Journalismus, zu viel Engagement? Ist das nicht ein zu billiger Triumph, wenn man eine solche Geschichte einreicht? Denn wer wäre denn schon gegen das, was dann am Ende herausgekommen ist, nämlich die Rettung einer Richterin und ihrer Schwestern und ihrer Mutter und ihres halb blinden Bruders? Ich habe mich dann doch entschieden, auch auf Grund meiner Kolleginnen und Kollegen beim „Profil“, die gesagt haben – die mich geschubst haben –: Jetzt reiche doch endlich mal ein!

Ich habe mich dann also doch entschieden, und ich glaube, im Endeffekt war es richtig, weil es in der Gesamtbetrachtung dann doch ein Stück Aufklärung geworden ist. Diese Aufklärung führt mich, und ich hoffe, auch viele, die es gelesen haben, zu der viel größeren Frage, wie wir umgehen mit dem Satz: Alle Menschen sind an Würde und Rechten gleich geboren. – Wie integrieren wir den Inhalt dieses Satzes in unseren Alltag und wie integrieren wir diesen Satz in unsere Politik, die von unseren Politikern gemacht wird?

Der Grundgedanke geht zurück auf die Französische Revolution. Das ist jetzt mehr als 200 Jahre her, und wir kämpfen noch immer mit der Ambivalenz der Aufklärung. Wir sollten uns nichts vormachen: Menschenrechte sind universal oder sie sind nicht.

Hannah Arendt, eine sehr leidenschaftliche Gegnerin jeder Art von Totalitarismus, hat nach 1945 sehr bittere Worte gefunden für die Heuchelei bei der Rede von den Menschenrechten. Sie hat geahnt, dass aus den nie eingehaltenen Idealen der Aufklärung das rechte Denken seine Kraft bezieht, eben dadurch, dass die Universalität der Menschenrechte zwar dekretiert, aber eben nicht verwirklicht wird.

Hannah Arendt, die Deutschland im Jahr 1933 verlassen musste, war angesichts des Grauens der Naziherrschaft skeptisch, was den Menschen betrifft. Ich zitiere jetzt Hannah Arendt: „Je besser die Völker einander kennenlernen, desto mehr scheuen sie begreiflicherweise vor der Idee der Menschheit zurück, weil sie spüren, dass in der Idee der Menschheit, gleich ob sie in religiöser oder humanistischer oder schwärmerisch kosmopolitischer Form auftritt, eine Verpflichtung zu einer Gesamtverantwortung entsteht, die sie nicht so gern zu übernehmen wünschen.“

So schaut's aus!, hätte an dieser Stelle Willi Resetarits gesagt, der uns schmerzlich fehlen wird in der Zukunft. Vor allem wird er Menschen wie Palwasha, der Richterin fehlen.

Diese Richterin wurde gerettet. Nach vielerlei vergeblichen Bemühungen hat sie in Luxemburg Asyl bekommen, weil dort Jean Asselborn amtiert, ein Außenminister, der nicht nachrechnet, wie viele wir schon aus Afghanistan haben, der nicht nachrechnet, sondern handelt, wenn er von einer Frau in Todesangst hört, oder in dem Fall von mehreren Frauen und einem halb blinden Mann in Todesangst, die sich in einem Keller versteckt gehalten haben. Die Richterin muss keine Angst mehr haben, sie ist jetzt in Luxemburg. Außenminister Jean Asselborn hat mich sogar einmal angerufen, um mir zu berichten, wie es ihr geht. Sie muss keine Angst mehr haben, aber das allein reicht nicht zum Lebensglück. Alles, was sie gelernt hat, worin sie sich bewährt hat, was sie aufgebaut hat, gilt nichts mehr.

Für solche Menschen wie Palwasha hat Resetarits vor Jahren – ich weiß jetzt nicht, vor wie vielen Jahren, es ist schon sehr lange her – das Integrationshaus gegründet, und er hat uns damit klargemacht: Das Humane ist ein Anspruch, eine Anstrengung, eine zivilisatorische Leistung, die immer wieder neu zu vollbringen ist.

Heutzutage muss man das sagen, denn umso mehr ist es notwendig in einem Krieg, wie wir ihn in der Nachbarschaft, in der Ukraine haben, wo jede helfende Hand zählt, jede Geste der Freundlichkeit. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich denke mir, Wolodymyr Selenskyj hätte doch über eine Videoschaltung hier reden sollen, im österreichischen Parlament. (Beifall.)

Ich danke am Schluss jetzt allen, die geholfen haben, um die Richterin, ihre Schwestern, ihre Mutter und ihren halb blinden Bruder nach Luxemburg zu bringen: Jean Asselborn ist schon genannt worden, Mirwais Wakil, Maryam Fraidoon, Edith Zeller – Edith Zeller sollte eigentlich wirklich einen besonderen Applaus bekommen, denn sie war letztlich ausschlaggebend, dass die Sache mit dem Asyl in Luxemburg in Gang gekommen ist (Beifall) –, Alice Schwarzer, Joachim Lottmann, Christian Kern, Heinz Fischer, Leopold Specht, Alfred Gusenbauer.

Ich bin mir ganz sicher, Palwasha wird es glücklich machen, wenn sie erfährt – ich glaube, sie hat es wohl schon erfahren –, dass diese Geschichte gewürdigt wird. Mich hat der Preis auch glücklich gemacht, und ich sage Danke schön. (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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Claudia Schanza: Vielen Dank für diesen musikalischen Impuls. Jetzt wird der zweite Concordiapreis verliehen, und zwar in der Kategorie Pressefreiheit. Die Laudatio wird die Korrespondentin der „Süddeutsche Zeitung“ für Mittel- und Osteuropa halten, Cathrin Kahlweit. – Vielen Dank, und ich freue mich schon auf Ihre Laudatio für Martin Thür.

Cathrin Kahlweit (Korrespondentin der „Süddeutsche Zeitung“): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine Ehre, dass ich hier sprechen darf, und ich möchte, so viel Zeit muss sein, vorab der großartigen Christa Zöchling und meinem verehrten Freund Paul Lendvai gratulieren.

In Zöchlings preisgekrönter Arbeit geht es um das brutale Ende einer dysfunktionalen Demokratie, die von alten Clanstrukturen geprägt wurde. Und in Lendvais eindrucksvollem Lebenswerk geht es um den Aufbau von neuen Clanstrukturen, die beschönigend immer noch illiberale Demokratie genannt werden. Aber immer, immer geht es um Freiheit, weshalb ich mich, bevor ich über Martin Thür spreche, sorry, noch einmal Wladimir Putin und Viktor Orbán zuwenden muss.

Vor wenigen Wochen hätten wir uns alle in diesem Raum nicht träumen lassen, wie schnell in Russland die letzten Reste der Presse- und Meinungsfreiheit abgetötet werden. Ausländische Agenten werden zu Staatsfeinden, Journalisten zu Flüchtlingen, 180 kritische Webseiten und Zeitungen zu verbotener Ware. Eine Autokratie wurde zu einer Diktatur.

Am meisten schockiert mich persönlich, die ich mich seit 40 Jahren mit Russland befasse, die Begeisterung, mit der so viele Russen sich dem Schweigegebot unterwerfen. Als wären Nichtwissen und Belogenwerden eine Befreiung, weil sie die Scham und die moralische Pflicht zum Widerstand aushebeln, die ja auch in Russland durchaus gelebte Geschichte waren.

Vor wenigen Wochen hätten sich viele von uns wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass Viktor Orbán die Parlamentswahl in Ungarn so eindeutig gewinnt – auch wenn notorische Pessimisten wie Paul Lendvai und ich wahrscheinlich dachten, dass es so kommen musste.

Einer der Gründe dafür ist die gewollte, die geplante Einschränkung der Pressefreiheit. Und wieder schockiert mich, die ich seit vielen Jahren über Ungarn schreibe, die Gleichmut, mit der so viele Ungarn die Propaganda und die Fakenews hinnehmen, obwohl es doch Zeiten gab, in denen es anders war, und obwohl sie doch wissen müssten, was verloren geht – die Freiheit, etwas wissen zu dürfen. It can go with a bang or with a whimper – um eine bekannte Zeile von T.S. Eliot zu paraphrasieren, was mich noch nicht ganz, aber fast zu Martin Thür bringt.

Pressefreiheit und Informationsfreiheit sind nämlich zwei Seiten einer Münze. Sie sind keine Geschenke. Sie wachsen dort, wo sie als Recht, als Bürgerrecht betrachtet werden. Wenn sie aber mit Spindoktoren, mit dunklen Andeutungen in Hinterzimmergesprächen, mit beleidigter Messagecontrol und Angriffen auf demokratische Institutionen mutwillig entkernt, kleingeredet oder weggeschoben werden, dann müssen sich Journalisten Daten, Fakten und Erkenntnisse auf teils langwierige, teils klandestine, manchmal gefährliche, manchmal sogar andere Menschen gefährdende Weise erkämpfen, um ihren Job zu machen – zu informieren und damit letztlich demokratische Kontrolle auszuüben.

Ist das banal? Immer weniger. Aus gutem Grund ist investigative Recherche so wichtig geworden. Sie bietet nicht nur Aha-Effekte in einer Zeit, in der schön geschriebene Geschichten nicht mehr so nachgefragt werden, sondern sie nutzt neue Strukturen, neue Methoden, neue Ideen, um eine immer komplexere, immer hermetischere Social-Media-getriebene, immer ungleiche Welt zu durchdringen. Sie muss sie nutzen. Man kann von Notwehr sprechen.

Österreich steht im Ranking für den Access to Information auf dem vorletzten Platz – 135. Österreich nimmt somit natürlich auch unter den europäischen Ländern den letzten Platz ein. Immerhin gibt es neuerdings den Versuch, das zu ändern, endlich ein modernes, ein umfassendes Informationsfreiheitsgesetz zu schaffen.

Würde es das jetzt schon geben, hätte Martin Thür vielleicht nicht so viel Arbeit und Nerven in einen Versuch stecken müssen, etwas herauszufinden, von dem er völlig zu Recht findet, dass es nicht nur einen Journalistenrecht, sondern ein Bürgerrecht ist, das zu wissen: Welche Politiker bekamen nach ihrem Rückzug wieviel Gehaltsfortzahlung? Und: Welche Unternehmen bekamen wie viele Millionen an Coronahilfen?

Martin Thür ist ein echter, ein gelernter, ein ernsthafter, ein hartnäckiger, ein investigativer, fast möchte ich sagen, ein notorischer Journalist. Seine Zuschauer und er hätten es vielleicht verdient, dass Österreich in internationalen Rankings nicht absteigt, sondern aufsteigt.

Man kann Rankings albern finden, aber es ist schon merkwürdig, dass im V-Dem-Index für Demokratie, im Demokratieindex des „Economist“, bei Transparency International, bei Reporter ohne Grenzen die Tendenz immer nach unten geht, oder? Muss es also wirklich immer mehr Thürs geben, damit Österreich bei Indikatoren wie funktionierende Regierung, politische Kultur oder Pressefreiheit punktet? Ist das die Lösung für ein erkanntes Problem?

Thür hat sich nicht selbst beworben, er wurde quasi beworben – von Joe Barth, auch einem hartnäckigen Verfechter der Idee, dass Menschen ein Recht auf Informationen von denen haben, denen sie ihr Geld und ihre Gemeinschaft anvertrauen. Sinnigerweise hat er in dem Formular, das man für die Nominierung ausfüllen musste, ein paar Kategorien verändert. Da, wo er ORF hätte eintragen müssen, weil Thür schließlich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, hat er alle Mediengattungen hingeschrieben, und da, wo hätte stehen müssen, wo genau dieser preiswürdige Beitrag erschienen ist, steht jetzt Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof.

Barths Begründung: Thür habe schließlich nicht nur für ein, für sein Medium, sondern für alle Medien etwas erkämpft. Er habe mit zwei Klagen die Pressefreiheit und die Informationsfreiheit erweitert und damit ein neues Rechercherecht für alle JournalistInnen geschaffen, also ein neues Instrument, einen Hebel, eine Struktur, weil jetzt Informationsrechte theoretisch weiter ausgelegt werden müssen, als es Parlament und Regierung bisher zugestehen. Ein schöner, ein trauriger Sieg. Aber Achtung, weitere Klagen, hoffentlich auch weitere Siege stehen an, weil es offenbar nicht anders geht; Notwehr, ceterum censeo.

In diesem Verfassungsgerichtsurteil, dass Martin Thür erkämpft hat, steht übrigens, wir seien, er sei ein Watchdog, ein Public Watchdog. Ich mag das, denn in dem Begriff ist alles drin: Für die Öffentlichkeit wird etwas kritisch geprüft, und wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann wird laut gebellt. Die Richter haben das Ganze natürlich eleganter beschrieben, sie sprechen von einem Menschenrecht auf Meinungsäußerung. Und trotzdem steht Österreich immer noch auf Platz 135 beim Access to Information. Dieses Land lernt zu langsam.

Warum das alles so ungeheuer wichtig ist? Warum es so wichtig ist, dass es in diesem Land Journalisten wie Martin Thür gibt, deren Arbeit, deren permanentes Fragen als Nervensägerei, ja sogar als Gefahr für die politische Stabilität, für den Datenschutz, für den Staatsschutz, für das Geheimhaltungsinteresse Betroffener, ja für die Arbeitsfähigkeit von Behörden eingeschätzt wird? Warum es so wichtig ist, dass er den ganzen Weg geht und dass ihm dabei, das soll hier nicht unterschlagen werden, die Rechtsabteilung des vielgescholtenen ORF zur Seite gestanden hat? Dass sich jemand nicht zufrieden gibt, nicht einschüchtern lässt, sich nicht in langweiligen Daten und Listen und Abrechnungen und Dokumenten vergräbt und sich, mehr als viele von uns, die wir unseren Job auch so schon ziemlich anstrengend finden, nicht abwimmeln lässt? – Weil Österreich genau da, wo Thür und wo zum Glück immer mehr Kollegen hinschauen, so schlecht dasteht.

Verzeihen Sie, wenn ich Gefahr laufe, mein Gastrecht zu missbrauchen, aber ein Land, das bis heute das Amtsgeheimnis über die Freiheit des Zugangs zu Informationen stellt, läuft Gefahr, seine Demokratie unter den Sedimenten des Gewohnheitsrechts, der Anmaßung, der Selbstbedienung und der Steuerverschwendung zu versenken. (Beifall.)

Wo Martin Thür klagen muss, um zu erfahren, welches Unternehmen welche Hilfen aus Steuermitteln bekommt, wo er klagen muss, um zu erfahren, welche Politiker welche Gelder aus Steuermitteln bekommen, wo die „Dossier“-Kollegen klagen mussten, um zu erfahren, wie viel Steuergeld die Stadt Wien in Inserate bei einem SPÖ-nahen Verlag steckt, da entsteht Misstrauen, da riecht es – sorry – nach Korruption, auch wenn, wie immer, die Unschuldsvermutung gilt.

Wo es trotz aller Bekundungen, aller Versprechen, aller Koalitionsvereinbarungen immer noch kein Mediengesetz, kein – hoffentlich bald – Parteiengesetz, kein ORF-Gesetz, keine Whistleblowerregelung und auch noch kein Transparenzgesetz gibt, da riecht es nach Missbrauch.

Wenn man im Verfassungsministerium nachfragt – Sie wissen das alle –, dann heißt es, das Gesetz sei ausverhandelt und ein – wörtlich – Paradigmenwechsel stehe vor der Tür, aber die Länder würden blockieren. Wenn man bei Verfassungsjuristen nachfragt, dann sagen die, das sei ein vorgeschobenes Argument, der Bund könne ja mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn man bei den Ländern nachfragt, zum Beispiel bei der in dieser Causa nicht sehr beweglichen SPÖ Wien, dann heißt es, man begrüße den Vorstoß vollumfänglich. Aber dann folgen, ich habe es gezählt, zwölf Aber und die Botschaft: So geht das nicht. Und wenn man dann im Büro des zuständigen Stadtrates nachfragt, dann heißt es, man bastelt an einem eigenen Gesetz, falls der Bund das seine schuldig bleibt. Ich finde, das ist ein seltsam destruktiver Wettbewerb.

Gut möglich, dass es also wieder einmal nichts wird mit diesem Gesetz bis zum Ende der Legislaturperiode. Dabei wollten doch ÖVP und SPÖ unbedingt – und jetzt aber sofort – schon 2013 den Verfassungsrang für das überkommene Amtsgeheimnis aushebeln und Transparenz für alle mit Steuermitteln, also im Wortsinne mit Bürgergeld schaffen. Warum also tauchen dann täglich neue Berichte auf über einen allzu engen Konnex zwischen Inseraten, Parteien und Amtsinhabern? Warum muss der Kanzler in Interviews negieren, dass Österreich ein Korruptionsproblem hat, wo es doch so einfach wäre, den Blick in die Taschen von Staaten und Parteien zuzulassen, um Verdachtsmomente auszuräumen? – Mir wird seit Jahren auf diese Frage geantwortet, das seien im Zweifel die Relikte der Metternich-Zeit von vor 200 Jahren und des überkommenen Misstrauens der Regierenden gegen die Regierten. Oder, wie Matthias Huter vom Forum Informationsfreiheit sagt, es sei das – Zitat – „buckelige, untertänige Staatsverständnis“ – Zitatende –, das proaktive Politik unmöglich mache. Florian Skrabal von „Dossier“ nennt das – Zitat – „Politik nach Gutsherrenart“.

Es gibt die böse These, dass Intransparenz eben sehr praktisch ist, wenn man etwas zu verbergen hat. Und dann gibt es natürlich noch die Idee, dass in einem Land, das kaum Machtwechsel kennt, das Verständnis dafür verloren gegangen sein könnte, was man seinen Wählern schuldet: Offenheit und Teilhabe. Also muss man sich Offenheit und Teilhabe erkämpfen, weil es nicht anders geht; Notwehr, wie gesagt.

Weshalb ich noch einmal und endlich so richtig den wunderbaren Kollegen würdigen will, der Schwächen offenlegt und Maßstäbe setzt, wo sie gesetzt werden müssen. Der Preisträger ist, das muss ich neidlos anerkennen, der geborene Journalist. Er hat schon bei ATV und bei „Addendum“ gegraben und ist dann zum ORF gewechselt und hat sich dort in Rechercheaufträge vergraben und über keine oder dünne oder unleserlich lange Antworten von unwilligen Bürokraten geärgert. Und er ärgert sich auch, wenn sich Politiker als Fans der Transparenz darstellen, nur um dann im eigenen Interesse zu mauern. Oder er ärgert sich noch mehr, wenn Verfahren gewonnen werden und die zur Herausgabe von Informationen verurteilte Seite nicht mitspielt. Auch das ist nämlich in diesem Land erstaunlicherweise immer noch möglich, dass man vor Gericht gewinnen, aber seine Ansprüche schlicht nicht durchsetzen kann.

Man kann mit Martin Thür ganz wunderbar darüber reden, ob gelernte Korrumpierbarkeit durch erzwungene Öffentlichkeit quasi wegerzogen werden könnte, und ob überforderte Systeme sich reflexhaft abschotten. Aber weil er ein bescheidener Mensch ist, betont er, dass er nichts Besonderes sei und kein Philosoph; ein Datenfreak eben, ein Nerd, keine akademische Größe, aber immerhin gut in Mathe und ein Fan des D’hondtschen Verfahrens – irgendwelche Hobbys muss der Mensch haben. Vor allem ist er ein Kämpfer – für seinen Beruf, für unsere Berufsehre, für die Pressefreiheit und damit für die Demokratie in Österreich.

Herzlichen Glückwunsch zu diesem sehr hart erarbeiteten und sehr verdienten Preis! (Beifall.)

Claudia Schanza: Danke, Frau Kahlweit.

Herzliche Gratulation! Ich freue mich jetzt auf Florian Strohmayer als zweiten Übergeber des Preises, den Sponsor von der Privatstiftung Dr. Strohmayer, die Laudatorin Cathrin Kahlweit und auf Preisträger Martin Thür. Andreas Koller übergibt bitte die Blumen. Bitte aufs Foto, Andreas!

Herzliche Gratulation! – Ja, da ist etwas drinnen, Sie brauchen es nicht zu verstecken.

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Martin Thür (Preisträger Kategorie Pressefreiheit): Cathrin Kahlweit beschämt mich.

Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank der Jury! Vielen Dank, dass ich mit so wunderbaren und großartigen Kolleginnen und Kollegen wie Christa Zöchling und Paul Lendvai heute hier sein darf.

74 141 Euro und 49 Cent, diese Summe hat Sophie Karmasin an Bezugsfortzahlung vom Bundeskanzleramt erhalten und vergangene Woche komplett zurückgezahlt. 74 141 Euro und 49 Cent, die das Kanzleramt und der Nationalrat lieber geheim gehalten hätten. Ob sich jemand an die Regeln zur Bezugsfortzahlung in Österreich hält, kontrollieren diese beiden Behörden nicht. Die Anspruchsvoraussetzungen – wie das so schön heißt – werden zu Beginn überprüft, aber anders als bei Arbeitslosen, wo jeder Cent auch danach kontrolliert und sofort zurückverlangt wird, werden Ex-Politikerinnen und -Politiker nicht mit Kontrollen behelligt.

Es ist wie vieles in Österreich: Eigentlich gibt es Regeln, sehr strenge sogar, aber mal ehrlich: Wir werden keinen Richter brauchen. Die Politik, sie schützt ihre schlampigen Verhältnisse. Also bleibt geheim, was, wenn es öffentlich werden würde, eine Straftat aufdecken könnte. Die Bezugsfortzahlung blieb jahrzehntelang eine Blackbox. Es ist wie der Baum, bei dem niemand weiß, ob er ein Geräusch macht, wenn er auf den Boden kracht, da niemand da ist, der es hören könnte. Journalismus sieht hin und hört hin, wir machen das Krachen hörbar; und zur Not müssen wir halt klagen.

In den vergangenen Jahren sind die alten, ohnehin schon schlampigen Verhältnisse in diesem Land noch schlampiger geworden, nicht nur zwischen Politik und Medien. „Die Macht der Parteien ist zu groß, um noch demokratiepolitisch erträglich zu sein“, schreibt der nicht gerade als Umstürzler bekannte Concordiapräsident Andreas Koller am Wochenende in den „Salzburger Nachrichten“, und ich würde behaupten, daran trägt auch ein Journalismus Verantwortung, der bestenfalls achselzuckend zugesehen und im schlimmsten Fall sich selbst an die Politik verkauft hat.

Wenn die Parteien seit Jahren daran scheitern, sich selbst zu reinigen und effektive Regeln für eine saubere Demokratie zu etablieren, darf das Journalismus nicht einfach als rot-weiß-rotes Lokalkolorit akzeptieren. There is a crack in everything, that’s how the light gets in, singt der großartige Leonard Cohen, und wie immer hat er recht. Dass Journalistinnen und Journalisten, dass Medien in Österreich für öffentliche Informationen vor Gericht gehen, das war noch vor einigen Jahren undenkbar. Wenn aber mittlerweile eine Hundertschaft an PR- und Pressemitarbeitern in Landes- und Bundesregierungen mit Steuergeld verhindert, dass die Öffentlichkeit erfährt, was in unserem Namen mit unserem Geld passiert, müssen auch wir unsere Methoden erweitern. Wie gesagt, es gibt die Regeln, wir müssen uns nur daran halten.

Dass wir das in diesem Fall öffentlich machen konnten, einen Spalt gefunden haben, durch den das Licht gekommen ist, das war harte Arbeit von Menschen, denen Spielregeln wichtig sind, gerade weil es eben kein Spiel ist. Das sind die großartigen Kolleginnen und Kollegen in der ORF-Rechtsabteilung, die mich dabei unterstützt haben, den Staat zu verklagen. Ulrike Schmid, Daniela Nemecek, Daniel Schörg und Rainer Rauch, vielen Dank, ihr seid nichts weniger als fantastisch! (Beifall.)

Danke – das sei auch erwähnt – auch meiner Freundin, die da hinten sich irgendwo versteckt, selbst eine großartige Journalistin, die es erträgt, wenn ich dann spätabends zu Hause sitze und Beschwerden entwerfe. Sie ermuntert mich sogar hin und wieder dazu. (Beifall.)

Meine Damen und Herren, ich spreche sehr ungerne an diesem Ort, denn dieser Ort ist der Ort der Politik. Das Rednerpult hier im Nationalrat gehört Ihnen, Herr Präsident, und den 182 anderen Abgeordneten. Unser Platz ist da oben auf der Galerie, dort gehört der Journalismus hin. Wir beobachten Politik, wir kontrollieren, wir erinnern an Versprechen. Genauso wie wir unseren Ort kennen sollten und nicht Journalismus mit Politik verwechseln, müssen wir gerade in diesen Tagen Politik an ihren Platz erinnern.

Wenn – übrigens mit aufgedeckt vom ORF – sich die Politik in Sidelettern ausschnappst, wer im ORF Karriere machen darf und wer nicht, dann werden wieder einmal existierende Regelungen umgangen. Wenn sich Regierungen allen Ernstes Gedanken machen, wer was wird im ORF, dann ist das nicht ihr gesetzlicher Auftrag, dann ist das eine Zumutung. (Beifall.)

Dabei glaube ich nicht einmal, dass es den Regierungsverhandlern wirklich wichtig war, wer denn etwa Sendungsverantwortlicher der Daytimeformate im ORF wird – ich wusste bis dorthin nicht einmal, dass wir so etwas haben oder was das ist. Da geht es längst nicht mehr – unter Anführungszeichen – nur um Einfluss auf die Berichterstattung, da geht es darum, zu zeigen, wer die Macht hat, wer bestimmt, und darum, zu beweisen, dass Regeln nicht für alle gelten. Und nur, damit man mich hier nicht falsch versteht: Alle Regierungsparteien der letzten Jahrzehnte haben dieses schlampige System ausgenutzt und die bestehenden Normen umgangen. Eine behauptet, dazu gezwungen worden zu sein – warum es das besser machen sollte, verstehe ich allerdings auch nicht.

Ich bin jetzt seit drei Jahren in diesem Unternehmen und noch immer blicke ich mit einer Mischung aus Verzweiflung und Verwunderung auf die Art und Weise, wie Führungspositionen im ORF vergeben werden. Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt, hat der fantastische Helmut Qualtinger einmal gesagt und kaum wo hat es so gut gepasst wie beim ORF. Erstaunlicherweise wissen alle immer schon, wer einen Job bekommt, noch bevor er ausgeschrieben wird. Ausschreibungen dienen nicht einem Wettstreit der Ideen, an dessen Ende die oder der Beste gewinnt, sondern sie wirken nicht selten wie ein rechtliches Erfordernis für eine längst getroffene Entscheidung.

Der ORF steht wieder vor so einer wichtigen Weichenstellung. Der Generaldirektor hat angekündigt, relativ rasch die neuen Ressortchefinnen und -chefs der neu zusammengelegten Informationen aus Radio, Fernsehen und Online ausschreiben zu wollen. Der gelernte Österreicher, der Zyniker, könnte jetzt also sagen: Wer es wird, steht schon fest!, doch ich will den Glauben noch nicht aufgeben, dass Regeln und Gesetze in diesem Land noch etwas wert sind.

Jeweils eine einzige Person wird künftig in der Innen- und in der Außenpolitik, in der Wirtschaft und in der Chronik sowie am neuen Newsdesk die Berichterstattung des Hauses wesentlich bestimmen, über alle Mediengattungen des ORF hinweg – Information für Millionen von Menschen. Das sind wirklich wichtige Jobs und sie sollten an die Besten gehen. Und wenn es für manche schwer ist, da objektive Kriterien zu finden, lassen Sie mich mit einem Maßstab, der neben Kompetenz, Erfahrung und Verantwortungsgefühl meiner Meinung nach entscheidend ist - ‑ Führungsfunktionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollten nicht an jene gehen, die einer Partei besonders nahe sind, sondern an jene, die allen Parteien möglichst distanziert gegenüberstehen. (Beifall.)

Nicht Nähe, sondern kritische Distanz zeichnet uns Journalistinnen und Journalisten aus. Das ist nicht mal eine besonders originelle Forderung. Das ORF-Gesetz verlangt das von uns zu Recht, wie ich meine – wieder so eine Regel. Die Journalistinnen und Journalisten des Hauses halten sich tagtäglich daran. Es wird Zeit, dass es die Politik auch tut. Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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Claudia Schanza: Heute haben wir hier „ZIB 2“-Festspiele. Wir kommen jetzt zur dritten Kategorie der Concordia-Preise 2022. Da steht sie – es ist der Ehrenpreis für das Lebenswerk. Ich freue mich sehr, jetzt den Laudator für Prof. Paul Lendvai ans Rednerpult zu bitten. Armin Wolf wird die Laudatio halten für diesen Ehrenpreis.

Armin Wolf („ZIB 2“-Moderator): Herr Präsident! Werte Festgäste! Vorab ganz herzlichen Glückwunsch an die anderen beiden PreisträgerInnen. Ich bin ein ganz, ganz großer Fan seit ganz langer Zeit von beiden. Christa Zöchling war – sie weiß das gar nicht – dafür verantwortlich, dass ich vor fast 30 Jahren ein Angebot des „Profil“ nicht angenommen habe, weil ich mir damals gedacht habe, so gut wie die Christa bin ich nicht, ich habe dort nichts verloren. Und Martin Thür war bei ATV so gut, dass wir uns gedacht haben, den brauchen wir unbedingt in der „ZIB 2“. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir ihn gekriegt haben. Jetzt ist er da, und wenn Sie die Sendung regelmäßig sehen und wenn Sie seine Rede gerade gehört haben, dann wissen Sie, was für ein Gewinn er für diese Sendung und für den ORF und für den Journalismus in Österreich ist. Euch beiden ganz, ganz herzlichen Glückwunsch!

Da bin ich aber, um jemanden zu loben und zu preisen, dessen Lebenswerk Sie alle kennen und das wir alle bewundern. Praktischerweise hat Cathrin Kahlweit schon über Russland gesprochen und Martin Thür schon über den ORF, sodass ich jetzt ausschließlich über Paul Lendvai sprechen kann.

Ich muss ja gestehen, dass ich durchaus überrascht war, als mich Paul Lendvai vor einigen Wochen gefragt hat, ob ich die Laudatio auf ihn heute halten würde – freudig überrascht, weil das natürlich für mich die sehr viel größere Auszeichnung ist als für ihn, aber auch überrascht, weil ich mir dachte: Wie oft kann man eigentlich den Concordia-Preis fürs Lebenswerk kriegen? Ich war mir nämlich ganz sicher, dass Paul Lendvai den schon hat, und zwar schon länger. Ich meine, der Mann hat 1974 den Renner-Preis bekommen – der damals auch noch was wert war – und das Goldene Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik 1974. Da haben sich die Eltern von Martin Thür noch fünf Jahre lang gar nicht gekannt und Paul Lendvai war bereits ein sehr berühmter Journalist, aber da war noch nicht einmal Halbzeit bei ihm.

Seither wurde ihm – völlig zu Recht – praktisch jeder Preis, jeder Titel und jeder Orden verliehen, den dieses Land für Menschen aus unserem Gewerbe zur Verfügung hat, vom Professor über den Staatspreis für Kulturpublizistik oder den Ehrenpreis des Buchhandels bis zum Horst-Knapp-Preis für Wirtschaftsjournalismus im letzten Jahr. Er ist mutmaßlich der einzige Mensch, der den Bruno-Kreisky- und den Alois-Mock-Preis hat (Heiterkeit), dazu noch Ehrungen in Deutschland, in Polen, natürlich in Ungarn – immer in Jahren, in denen Viktor Orbán gerade nicht Regierungschef war – und 2019 wurde er auch noch Europäer des Jahres. Mit dem heutigen Tag ist er endgültig ausdekoriert, wie das so schön heißt. Nur den Paul-Lendvai-Preis hat er noch nicht, der wurde tatsächlich vor wenigen Wochen erstmals vergeben, bescheidenerweise aber nicht an ihn. (Heiterkeit.)

Dass Paul Lendvai in Österreich ein berühmter Journalist wurde, ja einer der großen Publizisten des 20. Jahrhunderts, wie niemand Geringerer schreibt als die „Neue Zürcher Zeitung“, das war aber keineswegs ausgemacht. Er galt zwar in Ungarn als eine Art journalistisches Wunderkind und schrieb schon mit 18 Jahren in der Parteizeitung „Szabad Nép“ und danach bei der Nachrichtenagentur MIT, doch schon mit 23 musste er aus politischen Gründen acht Monate in Haft, danach folgten drei Jahre Berufsverbot.

Und als er 1957 über Prag nach Wien kam, kannte er hier zwar Hugo Portisch von einem Treffen in Polen, aber kaum ein Wort Deutsch, und das zweite war vielleicht nicht ganz die ideale Voraussetzung für unseren Beruf in diesem Land. Anfangs schrieb er noch unter Pseudonymen, um seine Mutter in Ungarn nicht zu gefährden. György Holló hieß er und Árpád Bécs und für englischsprachige Zeitungen Paul Landy. Er schrieb vor allem für „Die Presse“ und für die „NZZ“. Schon nach drei Jahren, ab 1960, war er Osteuropakorrespondent des Weltblatts „Financial Times“, der er dann 20 Jahre lang blieb.

Wir alle kennen Paul Lendvai aber aus dem Fernsehen, wo ihn Gerd Bacher erst als Kommentator holte und ihn dann ab 1982 als Chefredakteur eine eigene Osteuroparedaktion aufbauen ließ, in der so fantastische JournalistInnen wie Barbara Coudenhove, Susanne Scholl oder Fritz Orter, den ich vorher irgendwo gesehen habe, bei ihm gearbeitet haben und die für die sowjetische „Iswestija“ und für die „Tass“ ein Hort antikommunistischer Propaganda war.

Unsere Aufgabe ist es, zu schreien, wenn wir etwas Böses sehen, man darf nicht schweigen, hat Lendvai einmal gesagt, und an anderer Stelle: Man muss aussprechen, was Sache ist, mein Motto ist ein Zitat von Marx: de omnibus dubitandum est – an allem zweifeln.

Als Chef der Osteuroparedaktion im ORF hat uns Paul Lendvai die Terra incognita hinter dem Eisernen Vorhang erklärt und hat uns diese gleichzeitig benachbarten und damals doch so weit entfernten Länder auch nahegebracht, mit seiner Erfahrung, mit seinem Wissen, aber auch mit seiner unverwechselbaren Stimme und mit seinem Akzent, den er wie Henry Kissinger im Englischen bis heute nicht verloren hat.

1974 hat er quasi nebenbei die „Europäische Rundschau“ gegründet und bis 2020 als Chefredakteur geführt. Dass diese kluge, international sehr beachtete Vierteljahresschrift mangels Finanzierung ihren fünfzigsten Geburtstag nicht mehr erleben konnte, war eine seiner großen beruflichen Enttäuschungen und ist objektiv eine Schande.

Na ja, Bücher hat er auch noch geschrieben, wie viele ist nicht ganz sicher. Offiziell sind es 19, auf Wikipedia stehen 20. Erschienen sind einige davon auch in Englisch, Französisch, Ungarisch, Slowakisch, Tschechisch, Polnisch, Kroatisch, Slowenisch und Estnisch, zwei auf Japanisch und eines auf Hebräisch. Ich kenne auf Deutsch nicht alle, aber definitiv empfehlen kann ich Ihnen die aktuellste Version seines Ungarnbuchs, das Standardwerk überhaupt über dieses Land, den autobiografischen Interviewband „Leben eines Grenzgängers“ und „Mein Österreich“, dessen Fortsetzung in wenigen Monaten, im September, erscheinen wird.

Paul Lendvai ist ja von Geburt jüdischer Ungar, aber aus Überzeugung und mit Enthusiasmus Österreicher. Ich zähle die Jahre erst seit ich in Wien bin, ich verdanke diesem Land alles, hat er einmal erzählt. Und dieses Land verdankt ihm seit sechs Jahrzehnten einen Journalismus, den es hierzulande viel zu wenig gab und gibt, das Gegenteil von provinziell und auf sich selbst konzentriert, sondern weltoffen, weitblickend, international sich stets an den Weltbesten messend und nicht am Kollegen, der am nächsten Schreibtisch sitzt. Da war sein letzter Job vor der formalen ORF-Pensionierung nur passend: Intendant von „Radio Österreich International“.

24 Jahre später ist er unverändert fleißig, unermüdlich, neugierig und wie eh und je voller Leidenschaft. Nach wie vor schreibt er regelmäßig eine stets lesenswerte Kolumne im „Standard“. Kein Kommentator im Land sieht die Entwicklung im Osten Europas kompetenter, klüger und klarer. Und es gibt vielleicht keinen passenderen Zeitpunkt, einem Publizisten einen Preis für sein Lebenswerk zu verleihen, der gut drei Jahrzehnte lang über den Kalten Krieg berichtet hat, danach gut drei Jahrzehnte lang über das angebliche Ende der Geschichte und jetzt über eine neue Zeitenwende, über die Rückkehr der Geschichte nach Europa. Putin ist der Zerstörer Europas: Darüber sind wir uns heute alle einig, nur, Lendvai hat diesen Satz schon vor Jahren gesagt.

Heute ist er, jedenfalls soweit ich das feststellen konnte, der älteste noch regelmäßig aktive Fernsehmoderator der Welt. Alle paar Wochen präsentiert Paul Lendvai das „Europastudio“, ein gänzlich unmodernes und deshalb umso klügeres Stück Fernsehen. Ein paar gescheite Männer – Pardon –, ein paar gescheite Menschen (erheitert) – furchtbar, wirklich furchtbar (Heiterkeit); ich meine, ich werde fast jeden Tag ein paar Mal dafür geprügelt, dass ich ihm Fernsehen gendere – aus den verschiedensten Ländern Europas sitzen bei einem in der Regel noch gescheiteren Moderator und diskutieren über die wirklich relevanten Themen unserer Zeit. Wer dabei zuhört, ist danach ebenfalls gescheiter, und viel mehr kann man von einer Stunde Fernsehen ehrlich nicht erwarten.

Denken Sie nie ans Aufhören?, wurde Paul Lendvai vor zwei Jahren in einem Interview zu seinem 90. Geburtstag gefragt. Nie, ich schaue immer in die Zukunft, hat er geantwortet, und das ist gut so. Wenn ein publizistisches Lebenswerk einen Preis verdient, dann dieses. Herzlichen Glückwunsch, Herr Prof. Lendvai. (Beifall.)

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(Es folgt ein Musikstück.)

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Claudia Schanza: Herzliche Gratulation, Herr Professor! Wir dürfen Sie um Ihre Rede bitten. (Beifall.)

Paul Lendvai (Ehrenpreis für das Lebenswerk): Ich bin in einer sehr schwierigen Situation. Nach diesen Worten von Armin Wolf sollte ich eigentlich mit meiner Frau verschwinden und irgendwo in Übersee einige Monate nachdenken, was ich jetzt machen soll – aber ich versuche weiterhin, vorwärts zu schauen. Und wenn ich hier das Publikum überblicke, Menschen, die mein Leben in verschiedenen Phasen begleitet haben, könnte ich von vielen Freuden sprechen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nur zwei Personen hervorhebe – meine Frau natürlich immer hervorgehoben, aber jetzt zwei Personen. Es freut mich ganz außerordentlich, dass Fürst Karel Schwarzenberg da ist. (Beifall.) Weil er in zwei Staaten, in Österreich und Tschechien, Wegbereiter für die Presse war und ist und bis heute wachsam die politische Entwicklung verfolgt und rechtzeitig diverse Bundeskanzler und sonstige Machthaber ermahnt.

Und auch Oscar Bronner, der mehr als jeder andere für die Pressefreiheit in Österreich getan hat, indem er drei bis heute existierende Blätter – „Trend“, „Profil“ und „Standard“ – gegründet und mich 2003 eingeladen hat, Kolumnist zu werden bei einer rosaroten Zeitung, die meinem ehemaligen Arbeitgeber, der „Financial Times“, nicht nur in der Farbe ähnelt, sondern auch darin, zwar wenig Honorar zu zahlen (Heiterkeit), aber maximale inhaltliche Freiheit für die Mitarbeiter zu gewähren. (Beifall.)

Bei diesem Anlass möchte ich auch für das viel kritisierte Medium, den Österreichischen Rundfunk, ein gutes Wort einlegen. Wie Sie gehört haben: Einige Jahrzehnte bin ich hier als Chefredakteur, Intendant und derzeit Außenstation tätig. Während dieser ganzen Zeit hat sich niemand dahin gehend eingemischt, wen ich als Chefredakteur oder Intendant engagiert habe oder wen ich zum „Oststudio“ und zum „Europastudio“ eingeladen habe. Mit der Ausnahme einer einzigen Person, die auch mich abschaffen wollte, habe ich während dieser ganzen Zeit völlige Freiheit genossen.

Journalisten sind nicht populär, meistens gescheiterte Existenzen mit abgebrochenem Studium, vor allem Ruhestörer. In unserem Land gelten sie, wenn sie über 50 sind, als Publizisten, über 60 bereits oft als Legenden, bei Leuten über 70 wird hinzugefügt lebende Legende. (Heiterkeit.)

Journalismus sei der schönste, der schrecklichste aller Berufe mit der Lust am Wort, mit der Lust an der Beobachtung, mit dem Segen der unstillbaren Neugier. Journalismus sei die Chance, viele Leben zu leben. – All das schrieb einmal der bedeutende, leider verstorbene Kollege Klaus Harpprecht.

Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, sagte: Wenn ich zu wählen hätte zwischen einem Land mit einer Regierung, aber ohne Zeitung und einem Land mit Zeitungen, aber ohne Regierung, dann würde ich mich für das Land ohne Regierung entscheiden. – Häufig zitiert, aber oft vergessen ist dabei, dass er nach der Veröffentlichung über Jeffersons viele Kinder mit schwarzen Sklavinnen diese Zeitung verbieten wollte.

Selbst Bruno Kreisky, mit dem ich 30 Jahre lang ein engstes Verhältnis gehabt habe und der eigentlich selber das engste Verhältnis zwischen einem Politiker und den Journalisten symbolisierte, beschwerte sich bei der Neuen Zürcher Zeitung einmal über die Berichterstattung des Wiener Korrespondenten.

Ich habe auch besondere Freude, dass ich diesen Preis mit zwei jungen Kollegen bekommen habe, die so viel für die Freiheit der Medien und die Menschenrechte getan haben und tun.

In Ungarn, meiner ursprünglichen Heimat, erlebt man das stille Erwürgen der letzten Reste der freie Medien. In meiner zweiten Heimat, der meine uneingeschränkte Loyalität in guten und schlechten Zeiten gilt, gibt es eine freie Presse und den ORF mit freien Redakteuren und Korrespondenten. Zwei glückliche Zufälle haben zur Rettung der Medienfreiheit beigetragen: das Ibizavideo und das konfiszierte Mobiltelefon von Thomas Schmid, einer der berühmtesten neuen Persönlichkeiten (Heiterkeit), mit 334 000 Chatnachrichten. Dass diese Ereignisse eine Breitenwirkung hatten, ist nicht nur der Justiz, sondern auch dem ORF und den österreichischen Zeitungen zu verdanken.

Joseph Roth war nicht nur der Autor von „Radetzkymarsch“ und „Die Kapuzinergruft“, er war vor allem ein Journalist, der 24 Jahre lang bei circa 120 Zeitungen gearbeitet hat. Er schrieb einmal an seinen Redakteur bei der Frankfurter Zeitung: Ich mache keine witzigen Glossen, ich zeichne das Gesicht der Zeit. – Roth ist laut Karl-Markus Gauß der bedeutendste Journalist der österreichischen Literatur. Wir alle sind natürlich verglichen mit diesem Giganten kleine Schreiberlinge, Scribbler.

Ein Freund vor mir bei der New York Times sagte einmal, als er sehr verbittert war: We newspaper men are not a profession, but a trade. – Ich war und bin mit ihm nicht einverstanden. Wir haben trotz allem einen großartigen Beruf. Wir Kommentatoren, Kolumnisten, Reporter, Redakteure, Moderatoren zeichnen auch das Gesicht der Zeit. Ohne uns wäre die Gesellschaft blind und taub, eine leicht lenkbare Masse für jene, die mit Zudeckungsjournalismus die Zeit des starken Mannes vorbereiten wollen.

Die Wahlergebnisse in Frankreich und Slowenien sind ermutigend. Sie zeigen, dass die Bäume der Populisten und Populistinnen von rechts und von links nicht in den Himmel wachsen können. Arbeiten wir dafür, dass es bei den kommenden Wahlen auch in Österreich so geschehen möge! Ich als lebende Legende und jemand, der diese Laudatio von Armin Wolf hoffentlich überleben wird, werde mein Bestes dafür tun. Ich danke Ihnen. (Beifall.)

Claudia Schanza: Herzlichen Glückwunsch und danke für dieses wunderbare Ende der Verleihung der Concordiapreise. Vielen Dank!

Bevor wir jetzt zum Schluss kommen: Es gibt noch eine Einladung des Hauses zu einem kleinen Umtrunk, da können Sie dann auch der Preisträgerin und den beiden Preisträgern persönlich gratulieren.

Erlauben Sie mir bitte auch noch einen Satz, der an Sie und auch an alle, die via Stream zuschauen, gerichtet ist: Es war heute mehrmals vom Geld die Rede, und ich möchte Sie alle dazu einladen, auch weiterhin für Medienkonsum freiwillig zu bezahlen, denn nur so werden wir uns unabhängigen Qualitätsjournalismus auch leisten können.

Ich wünsche Ihnen alles Gute, Ihnen allen, die hier sind, weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Herzliche Gratulation den drei Preisträgern. Das Haus lädt ein: Bei der mittleren Türe geht es hinaus zum Umtrunk und zum gemeinsamen Feiern. – Alles Gute und einen schönen Tag! (Beifall.)