Donnerstag, 1. September 2022
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Gedenkdiener! Sehr geehrter Herr Rabbi Cooper! Sehr geehrter Herr Dayan! Sehr geehrte Abgeordnete, Panelteilnehmer, Exzellenzen! Liebe Danielle Spera! Es war für mich auf der einen Seite sehr, sehr ergreifend, hat mich aber auch nachdenklich gemacht, die Feier 30 Jahre Gedenkdienst hier im österreichischen Nationalratssitzungssaal zu begehen.
Lassen Sie mich zuerst ein herzliches Dankeschön sagen, denn der Gedenkdienst, der Auslandsdienst, der Friedensdienst ist eine Visitenkarte Österreichs geworden, wie sie besser nicht sein könnte! Wir sehen es an den beiden jungen Herren, aber ich schließe alle ein. Wenn es nur irgendwie geht, besuche ich bei meinen Besuchen in den Ländern auch die Orte, wo Sie Ihren Dienst machen. Es ist fantastisch, zu sehen, wie engagiert Sie sind, was Sie mitnehmen können, was Sie letzten Endes auch als Promotoren tun, um aus dieser Erinnerung heute Verantwortung zu übernehmen. Es gibt – das hat nicht nur die Paneldiskussion, sondern das haben vor allem zuletzt die Ausführungen von Dani Dayan gezeigt – auf der einen Seite durchaus Grund zum Optimismus – der sollte uns leiten –, aber es gibt leider Gottes auch sehr viel Grund dafür, besorgt oder wachsam zu sein.
Ich darf zuerst allen Panelteilnehmern meinen Dank entbieten. Weil Sie von der Kunst in Yad Vashem gesprochen haben, möchte ich auch den Musikerinnen und Musikern sehr herzlich danken, dem Artel-Quartet, das sich auch mit der Betreuung von Exilarte der Künstler annimmt, die sich in den Konzentrationslagern trotz dieser für uns nicht vorstellebaren Bedingungen der Kunst verschrieben haben und Kunst geschaffen haben, die uns immer in doppeltem Sinne tief berührt. – Daher auch für Ihre musikalischen Botschaften und für Ihr Engagement in dieser Sache ein herzliches Dankeschön.
Auch wenn Sie heute nicht hier ist, darf ich Deborah Lipstadt ein Dankeschön entbieten, weil sie in ihren Forschungen sehr klar zum Ausdruck gebracht hat, dass Antisemitismus auch antidemokratisch ist. Es muss daher für jeden Demokraten, der sich auf die Grundfesten der Demokratie und des Rechtsstaates beruft, eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, sich in dieser Form zu engagieren. Ihre Rede hat mich aufgrund ihrer Ergebnisse immer wieder dazu geführt, dass gerade die Parlamente eine besondere Aufgabe haben, dem Antisemitismus entgegenzuwirken.
Einer, der das aus seiner Profession heraus eben schon sehr früh getan hat – er ist vom Außenminister als eine besondere nachhaltige Person beschrieben worden, und auch ich kann davon das eine oder andere erzählen –, ist Herr Dr. Maislinger. – Bei Ihrem Engagement in einer Zeit, in der das in Österreich noch nicht so gesehen wurde und auch nicht gern gesehen wurde, darf ich bemerken: Sie müssen eigentlich eine totale Freude haben, was sich aus Ihren Ideen und aus Ihren Überlegungen heute für eine ganz besondere Bewegung herauskristallisiert hat. Über 1 300 junge Österreicherinnen und Österreicher sind Ihrer Idee gefolgt und haben letzten Endes für sich, aber auch für die Republik vieles geleistet. Ihnen ein herzliches Dankeschön, auch gerade hier vom Nationalrat aus. Vielen, vielen Dank!
Dann darf ich noch einmal auf die Rede von Herrn Dayan zurückkommen: Erstens freut es mich, dass wir heute um 14 Uhr einen Letter of Intent für die Zusammenarbeit unterzeichnen dürfen. Auf der einen Seite geht es um die Zusammenarbeit mit dem Nationalfonds, der für uns ganz wichtig ist, weil dort nicht nur die operative Arbeit bei den Entschädigungen stattgefunden hat. Jetzt schafft der Friedhofsfonds, auch was die Geschichte der Vertriebenen, der Verstorbenen in den Findbüchern bedeutet, für die wissenschaftliche Aufbereitung in seinen Archiven eine ganz hervorragende Ausgangsposition. Dabei mit Yad Vashem zu kooperieren, erfüllt uns mit großer Freude, und wir werden uns anstrengen, damit wir all diese Erwartungen auch erfüllen können.
Letzten Endes ist aber Ihr Ansatz – neben der durchaus optimistischen Blickweise, dass es viele Initiativen gibt – auch der, der mich getrieben hat, zu fragen: Was läuft nicht so? Warum ist der Antisemitismus eigentlich noch immer vorhanden? Warum ist er eigentlich weltweit im Steigen? Ich kann nur jedem ans Herz legen, das Buch der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel „Judenhass im Internet“ zu lesen. Ihre Korpora haben gezeigt, mit welcher Rasanz sich das dort ausbreitet. Ihre Forschung zeigt uns, dass gerade dieses Phänomen des Antisemitismus nicht eines ist, das in der Nazizeit entstanden ist, auch nicht eines, das im 19. Jahrhundert in den nationalen Bewegungen entstanden ist, sondern dass es eine uralte negative kulturelle Haltung ist.
Schon bei Augustinus lesen Sie: Der Jude als Prototyp ist das Schlechte speziell, und er ist dafür verantwortlich, dass es nicht diesen reinen Gottesstaat auf Erden gibt. Das ist in einer Tradition über Martin Luther in das 19. Jahrhundert bis heute heraufgegangen und befeuert heute links wie rechts wie migrantisch die gleiche Diktion. Besorgniserregend ist, dass die Diktion, wie man heute Israel begegnet, letzten Endes mit den gleichen Worten verbrämt formuliert wird, wie es in der Nazizeit der Fall gewesen ist.
Wenn wir heute die Ausstellung der Documenta Kassel betrachten – ich weiß nicht, wer sie von Ihnen gesehen hat –, die so klar antisemitisch war, wie es nicht klarer sein kann, erkennen wir, dass noch immer unter dem falschen Prätext der Freiheit der Kunst eine eigene Diskussion geführt wurde. Dasselbe passiert heute im Internet, wenn es um die Freiheit der Meinungsäußerung geht, wenn unter diesem Deckmantel die Freiheit des Menschen, die Menschenwürde nicht nur gröblich verletzt wird, sondern es bis zur persönlichen Attacke und durch Mobbing zur Selbstgewalt kommt, wie wir es am Beispiel einer Ärztin gesehen haben. Diese Ausformungen müssen uns zutiefst Sorge bereiten.
Bei dem Gespräch mit Rabbi Cooper heute am Morgen haben wir doch sehr klar identifiziert, dass gerade die Verantwortung der Plattformen eine ist, die auch die Parlamente mehr in Augenschein nehmen müssen, um sie an eine rechtliche Basis zu binden, damit das gar nicht erst stattfinden kann. Egal ob es der EU-Digital-Services-Act oder hier in Österreich das Gesetzpaket gegen Hass im Netz ist: Es ist zu wenig, weil es nur der erste Schritt ist! Wir brauchen dabei eine klare Haltung, damit das gar nicht erst viral werden kann.
So ist es heute unsere Aufgabe, den Antisemitismus auf allen Ebenen zu bekämpfen. Es gibt noch eine Erkenntnis Deborah Lipstadts, die wir zwar wussten, die mir persönlich in diesem Moment aber gar nicht so bewusst war: Der Antisemitismus kommt nicht von den Rändern der Gesellschaft, er kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Dort ist er verankert und an den Rändern wird er sichtbar.
Wir kennen ihn unappetitlicherweise vom rechten Rand seit Jahrzehnten, genauso vom linken und in Österreich und in anderen Ländern – auch in Europa – aus der migrantischen Szene. Ohne in andere Stereotype wie Xenophobie oder Muslimfeindschaft zu verfallen, ist es unsere Aufgabe, den Antisemitismus auf allen Ebenen wirksam zu bekämpfen. Deshalb haben wir diesen Simon-Wiesenthal-Preis ins Leben gerufen, der uns helfen soll, die Gesellschaft als Gesamtes bei ihren Aktivitäten zu unterstützen.
Ein Projekt, das den Preis leider Gottes nicht erhalten hat, ist Zikaron BaSalon – ich hoffe, ich habe es richtig ausgesprochen –, das ist eigentlich das Erzählen im Wohnzimmer: Was ist passiert?
Wir brauchen ein breites gesellschaftliches Engagement, das sich auf allen Ebenen ganz klar gegen diese negative kulturelle Haltung einschaltet. Dann kann der Optimismus, den Sie ausgesprochen haben, auch wirklich eine nachhaltige Wendung in unseren Gesellschaften und schlussendlich weltweit erreichen.
Wenn wir heute noch das jüdische Jahr 5 782 haben, in wenigen Wochen, am 25. September, mit Rosch ha-Schana das nächste begrüßen, dann sollte uns bewusst sein, dass wir vieles tun müssen, um die jüdische Kultur und Religion auch sichtbar zu machen. Dann stärken wir diese Gesellschaft in ganz besonderer Art und Weise, wenn wir Jom Kippur, das zehn Tage später stattfindet, auch in unserem Bewusstsein tragen und dieses Fest, das mit besonderer Freude zu Gott gefeiert wird, auch wirklich an die Öffentlichkeit kommt und sich nicht verstecken muss.
Es ist mein Wunsch, dass der Beitrag des Gedenkdienstes nicht nur im Ausland gesehen wird, sondern vor allem auch im Inland Resonanz trägt, dass er im Inland viele motiviert, sich selbst zu engagieren. Daher komme ich wieder zu Ihnen zurück: Vielen Dank für Ihr beispielgebendes Engagement! Motivieren Sie viele junge Menschen, es Ihnen gleichzutun, und werden Sie nie müde, immer wieder aufzustehen, wenn es darum geht, gegen antisemitische Tendenzen klar Flagge zu zeigen! – Herzlichen Dank.