107/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 07.03.2025
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Parlamentarische Materialien

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Sigrid Maurer, Freundinnen und Freunde

 

betreffend dringende Umsetzung der höchstgerichtlich aufgetragenen Gremienreform sowie Stärkung der Unabhängigkeit im ORF

 

BEGRÜNDUNG

 

Der Verfassungsgerichtshof hat am 5. Oktober 2023 Bestimmungen des ORF-Gesetzes über die Bestellung und die Zusammensetzung des Stiftungsrats und des Publikumsrats als verfassungswidrig aufgehoben. Laut dem Erkenntnis verstoßen Teile des aktuellen Gesetzes gegen das Gebot der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung der beiden Organe, konkret:

 

Stiftungsrat:

·         „Übermäßiger Einfluss der Bundesregierung: Neben sechs Vertretern auf Vorschlag der im Nationalrat vertretenen Parteien bestellt die Bundesregierung weitere neun Mitglieder des Stiftungsrats, ohne auf Vorschläge Bedacht nehmen zu müssen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Z 3 ORF-Gesetz). Bei diesen Mitgliedern handelt es sich um eine relativ große Gruppe, die ein deutliches Übergewicht zu den vom (gesellschaftlich repräsentativ zusammengesetzten und staatsfernen) Publikumsrat bestellten sechs Mitgliedern hat. Das verstößt gegen die Verfassungsgebote der Unabhängigkeit und des Pluralismus bei der Bestellung und Zusammensetzung der Leitungsorgane des ORF.

·         Vorzeitige Abberufungsmöglichkeit: Die Mitglieder des Stiftungsrats werden grundsätzlich für die Dauer von vier Jahren bestellt. Die je neun von der Bundesregierung und den Ländern bestellten sowie die sechs vom Publikumsrat bestellten Mitglieder des Stiftungsrats können nach Bildung einer neuen Bundes- oder Landesregierung bzw. nach einer Neukonstituierung des Publikumsrats abberufen werden. Dies widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Unabhängigkeit. Keine Bedenken bestehen gegen die Möglichkeit einer vorzeitigen Abberufung der sechs Parteienvertreter und der fünf Belegschaftsvertreter im Stiftungsrat.

·         Mangelnder Pluralismus: Die von der Bundesregierung und vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrats müssen hohen persönlichen und fachlichen Anforderungen genügen, die sie in unterschiedlichen Bereichen erworben haben. Das ORF-Gesetz enthält aber keine Vorkehrungen dafür, wie sich diese Vielfaltsanforderungen innerhalb der von der Bundesregierung und dem Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder widerspiegeln sollen. Damit ist aber der Entscheidungsspielraum, welche Personen die Bundesregierung und der Publikumsrat bestellen, zu weit gezogen, weil der im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben bedeutsame Pluralismusaspekt in der Zusammensetzung des Stiftungsrats leerlaufen kann. Das verstößt gegen Art I Abs 1 BVG Rundfunk.“[1]

 

Publikumsrat:

·         „Übermäßiger Einfluss des Bundeskanzlers: Der derzeit insgesamt 30-köpfige Publikumsrat besteht erstens aus 13 Mitgliedern von im ORF-Gesetz unmittelbar genannten Organisationen (u.a. Sozialpartner, Kammern der freien Berufe, Kirchen). Zweitens hat der Bundeskanzler (derzeit die Medienministerin) für weitere 17 Mitglieder Dreiervorschläge von Einrichtungen bzw. Organisationen einzuholen, die für 14 Bereiche (Gruppen) wie Hochschulen, Kunst, oder ältere Menschen repräsentativ sind (§ 28 Abs. 4 ORF-Gesetz). Diesen 17 vom Bundeskanzler zu bestellenden Mitgliedern des Publikumsrats kommt ein deutliches Übergewicht gegenüber den 13 übrigen, von repräsentativen Einrichtungen unmittelbar zu bestellenden Mitgliedern zu. Dies entspricht nicht der Unabhängigkeitsanforderung aus dem BVG Rundfunk: Der Gesetzgeber muss die Regelung so austarieren, dass die unmittelbar von repräsentativen Einrichtungen bestellten Mitglieder zumindest im selben Ausmaß im Publikumsrat vertreten sind wie die vom Bundeskanzler (bzw. von der Medienministerin) in Auswahl aus Vorschlägen bestellten Mitglieder.

·         Zu weiter Spielraum des Bundeskanzlers: Der Bundeskanzler (bzw. derzeit die Medienministerin) bestellt 17 Mitglieder des Publikumsrats aufgrund von Dreiervorschlägen von Organisationen, die für im ORF-Gesetz näher genannte Bereiche bzw. Gruppen (z.B. Bildung, Kunst, Sport, Jugend, ältere Menschen, Volksgruppen, Umweltschutz) repräsentativ sind. Der Bundeskanzler ist jedoch an keine Vorgaben gebunden, wie viele solche Organisationen er aus einem Bereich bzw. für eine Gruppe als repräsentativ auswählt und zur Erstattung von Vorschlägen auffordert. Er ist auch nicht gebunden, aus welchen Dreiervorschlägen er dann auswählt und wie die 17 Mitglieder auf die 14 im Gesetz genannten gesellschaftlichen Bereiche bzw. Gruppen zu verteilen sind. Damit ist die Auswahl dieser 17 Mitglieder des Publikumsrats so weitgehend in das Belieben des Bundeskanzlers (bzw. der Medienministerien) gestellt, dass die verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung dieses Leitungsorgans des ORF verletzt sind.“[2]

 

Die verfassungswidrigen Bestimmungen treten mit Ablauf des 31. März 2025 außer Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, eine Neuregelung zu treffen.

 

Nachdem die Regierungsverhandlungen nun bereits seit Oktober 2024 andauern, ist der verbleibende Zeitraum für eine rechtzeitige Umsetzung des Erkenntnisses nahezu geschwunden. Angesichts der Tatsache, dass die ÖVP bereits seit Oktober 2023 Zeit gehabt hätte, die Gremienreform umzusetzen, sollte der geringe verbleibende Zeitraum jedoch auch nicht als Argument dafür dienen, dass man sich nun bloß auf eine – immer wieder kolportierte – Minimallösung verständigt.

Vielmehr haben die letzten Wochen einmal mehr gezeigt, wie vulnerabel der unabhängige Journalismus sein kann, wenn er zum Spielball rechtsextremer Parteien zu geraten droht. Und wie dringend es deshalb ist, ihn langfristig abzusichern.

 

Es gibt, abgesehen von den zwingenden Erfordernissen, die das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vorgibt, zahlreiche weitere Möglichkeiten, die Effektivität und Unabhängigkeit der ORF-Gremien zu stärken. Das betrifft die sehr hohe Anzahl der Mitglieder in den Gremien, qualifizierte Mehrheiten bei wichtigen Entscheidungen, die Möglichkeit geheimer Abstimmungen, zwingende Geschlechter-parität, Regelungen zu Interessenkonflikten oder auch eine Ombudsperson für Anliegen des Publikums.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat zeitnah einen Entwurf für eine Gremienreform im ORF-Gesetz vorzulegen, der einerseits den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs (G 215/2022-26, 5. Oktober 2023) hinreichend Rechnung trägt und andererseits eine Gremienstruktur schafft, die eine größtmögliche Effektivität und parteipolitische Unabhängigkeit für die Leitung und Aufsicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sicherstellt. Dies soll durch eine Senkung der Anzahl der Mitglieder im Stiftungsrat, qualifizierte Mehrheiten bei wichtigen Entscheidungen, die Möglichkeit geheimer Abstimmungen, zwingende Geschlechterparität sowie eine Ombudsperson für Anliegen des Publikums erreicht werden.

Die novellierten Bestimmungen sollen im Sinne der nachhaltigen Absicherung gegen Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Verfassungsbestimmungen vorgesehen werden.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.



[1] https://www.vfgh.gv.at/medien/ORF_Gesetz_Gremien.php

[2] https://www.vfgh.gv.at/medien/ORF_Gesetz_Gremien.php