114/A XXVIII. GP

Eingebracht am 07.03.2025
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANTRAG

der Abgeordneten Lukas Hammer, Leonore Gewessler, Freundinnen und Freunde

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert wird (36. StVO-Novelle)

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesgesetz, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 geändert wird (36. StVO-Novelle)

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Die Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2024, wird wie folgt geändert:

 

Nach § 98g wird folgender § 98h samt Überschrift eingefügt:

 

„Automationsunterstützte Zufahrtskontrolle

§ 98h. (1) Für Zwecke der automationsunterstützten Feststellung

1.    von Verstößen gegen die Verbote des § 52 lit. a Z 1, Z 2, Z 6a, Z 6b, Z 6c, Z 7a und Z 7f,

2.    der Benützung der dem Fußverkehr vorbehaltenen Gebiete entgegen dem Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs. 1 Z 9a, oder

3.    der Benützung der Omnibussen vorbehaltenen öffentlichen Verkehrsflächen entgegen § 53 Abs. 1 Z 24 und Z 25 StVO 1960

dürfen Behörden bildverarbeitende technische Einrichtungen verwenden, mit denen die Einhaltung der angeführten straßenpolizeilichen Vorschriften in einem speziell definierten Bereich überwacht werden kann, wenn es zur Erhöhung oder Gewährleistung der Verkehrssicherheit, der körperlichen Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit sowie zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm oder Geruch und zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt dringend erforderlich ist und gelindere Maßnahmen hierzu geprüft wurden, aber untauglich sind. Die technischen Einrichtungen umfassen jeweils alle Anlagenteile, die diesem Zweck dienen. Der überwachte Bereich ist durch Verordnung festzulegen.

(2) Während Demonstrationen, Sportveranstaltungen und ähnlichen Großereignissen, bei denen die betroffenen öffentlichen Verkehrsflächen für den regulären Verkehr gesperrt sind, sind die bildverarbeitenden technischen Einrichtungen in den betreffenden Bereichen erkennbar auszuschalten.

(3) Die Ermittlung von Daten mittels Einrichtungen gemäß Abs. 1 hat sich auf die Erfassung von Kennzeichen sowie Ort und Zeit der Straßenbenützung zu beschränken. Daten, die keine Fälle von Verstößen betreffen, sind unverzüglich und in nicht rückführbarer Weise zu löschen. Wird ein Verstoß gegen eine im Abs. 1 angeführte straßenpolizeiliche Vorschrift festgestellt, dürfen über den Zeitpunkt der Feststellung dieses Verstoßes hinaus ausschließlich die Daten verwendet werden, die zur Identifizierung des Fahrzeuges erforderlich sind, und zwar ausschließlich für Zwecke eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen des festgestellten Verstoßes. Eine Verwendung der Daten mittels Einrichtung gemäß Abs. 1 im Sinne des § 53 Abs. 5 SPG ist nicht zulässig. Jede diesbezügliche Anfrage ist dem Rechtsschutzbeauftragten des Innenministeriums zu melden. § 93a Abs. 2 SPG ist nicht anzuwenden.

(4) Soweit die bildgebende Erfassung von Personen technisch nicht ausgeschlossen werden kann, sind diese Personen ohne unnötigen Verzug in nicht rückführbarer Weise unkenntlich zu machen. Dasselbe gilt für Kennzeichen von anderen Fahrzeugen.

(5) Beginn und Ende des mit einer technischen Einrichtung gemäß Abs. 1 überwachten Bereichs sind durch Hinweiszeichen und Bodenmarkierungen anzukündigen.

(6) Die Behörde hat vor der Erlassung einer Verordnung gemäß Abs. 1 eine datenschutzrechtliche Folgeabschätzung durchzuführen und zu veröffentlichen.“

 

 

Begründung:

 

Erläuterungen Allgemeiner Teil

 

Die vorliegende Novelle schafft – ausgehend von politischen Vorstößen für wirksame Verkehrsberuhigung in der Wiener Innenstadt 2020 und ähnlichen Diskussionen in einigen anderen österreichischen Städten sowie auf Ebene des Österreichischen Städtebunds, und in Abschluss der seit 2021 dazu von parlamentarischer und Regierungsebene aus bereits gesetzten intensiven Bemühungen, dies im breiten politischen Konsens sowie auf dem gebotenen, über die diesbezüglich nicht durchgängig hinreichenden Aussagen im für BMK und Städtebund Mitte 2022 erstatteten Rechtsgutachten hinausgehenden Datenschutzniveau zu lösen - eine Rechtsgrundlage für eine automationsunterstützte Überwachung bestimmter Verkehrsverbote.

Die Nichtbeachtung bestimmter Verkehrsverbote (insb. von Fahrverboten) stellt nicht nur eine Gesetzesübertretung dar, sondern kann – neben einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit – auch erhebliche negative Auswirkungen auf den Umweltschutz, die Lebensqualität der Innenstadtbewohner:innen, die Attraktivität als Tourismusstandort usw. haben und insbesondere auch den Zweck verkehrsberuhigter Zonen vereiteln.

Eine international übliche Lösung zur Hintanhaltung solcher Missachtungen ist die automatisierte Erfassung unberechtigter Einfahrt bzw. Befahrung speziell definierter Bereiche mittels bildverarbeitender technischer Einrichtungen. Da davon das Grundrecht auf Datenschutz berührt ist, müssen entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen werden.

Kompetenzgrundlage:

In kompetenzrechtlicher Hinsicht stützt sich diese Novelle auf Art. 11 Abs. 1 Z 4 („Straßenpolizei“) B-VG.

 

Erläuterungen Besonderer Teil

 

Zu § 98h:

Die Missachtung der in Abs. 1 angeführten Verbotszeichen (Fahrverbote), Hinweiszeichen (Fußgängerzone) und/oder Bodenmarkierungen kann erhebliche negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit, aber auch den Umweltschutz, die Lebensqualität der Innenstadtbewohner:innen, die Attraktivität als Tourismusstandort usw. haben und insbesondere auch den Zweck verkehrsberuhigter Zonen vereiteln.

Eine automationsunterstützte Zufahrtskontrolle in besonders definierten Bereichen kann in besonderen Fällen im öffentlichen Interesse liegen, stellt jedoch zugleich auch einen Eingriff in das Recht auf Schutz von personenbezogen Daten dar. Dieser Eingriff kann durch andere, traditionelle Maßnahmen, wie etwa Stichprobenkontrollen, „Planquadrate“, Schranken, versenkbare Poller, bauliche Maßnahmen etc. vermieden oder zumindest geringer gehalten werden. Allerdings können die Alternativen weniger effektiv und/oder weniger effizient sein. Es hat daher vor dem Erlass der Verordnung zum Einsatz bildverarbeitender technischer Einrichtungen für den konkreten Fall eine strenge Abwägung des öffentlichen Interesses an der Verkehrssicherheit, der körperlichen Unversehrtheit und dem Umweltschutz gegenüber dem berechtigten Interesse des Einzelnen am Schutz seiner personenbezogenen Daten stattzufinden, ebenso eine Alternativprüfung verkehrsorganisatorischer oder baulicher Maßnahmen zur Erreichung des Schutzzweckes.

Neben den zulässigen Einsatzzwecken werden daher die datenschutzrechtlichen Mindestanforderungen an die automationsunterstützte Zufahrtskontrolle normiert. Um die angemessenen Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten zu bestimmen, wurde zu diesem Gesetzgebungsprojekt auch bereits eine wirkungsorientierte Folgenabschätzung und in deren Rahmen eine abstrakte Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 DSGVO) durchgeführt. Diese befreit jedoch den Verordnungsgeber nicht von der Pflicht, vor Erlass einer Verordnung gemäß § 98h Abs. 1 StVO eine konkrete Datenschutz-Folgenabschätzung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des betroffenen Verkehrsabschnitts durchzuführen (Art 35 Abs 10 DSGVO).

Die Verantwortlichen sind verpflichtet, durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen das angemessene Schutzniveau sicherzustellen. Bei Bestimmung von angemessenen Maßnahmen sind die Eigenschaften des jeweiligen Bereichs zu berücksichtigen, in dem eine automationsunterstützte Zufahrtskontrolle eingeführt werden sollte. Um den jeweiligen Verantwortlichen bei Erfüllung von datenschutzrechtlichen Pflichten zu unterstützen, ist eine Datenschutzfolgenabschätzung gemäß Art. 35 DSGVO bereits im Verfahren zum Erlass der Verordnung gemäß Abs. 1 durchzuführen. In dieser ist insbesondere auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Datenminimierungsgrundsatzes zu achten.

Die gegenständliche Bestimmung bietet keinerlei Rechtsgrundlage für das Filmen/Fotografieren von Menschen abseits der in Abs. 1, 2 und 3 genannten Verarbeitungszwecke; auch im Rahmen dieser erlaubten Verarbeitungszwecke wird eine erkennbare Erfassung von Menschen aufgrund der Vorgaben des Abs. 2 in aller Regel ausgeschlossen sein. Ungeachtet dessen kann alleine durch das sichtbare Vorhandensein von Kameras ein Gefühl des Überwachtwerdens verursacht werden und damit alleine bereits ein Eingriff in diverse Grundrechte (Versammlungsfreiheit, Privat- und Familienleben) vorliegen. Dem wird entgegengetreten, indem die Kameras erkennbar und für die Dauer des Ereignisses ausgeschalten werden und so auch faktisch nicht in der Lage sind, Menschen zu erfassen.

Das gilt jeweils für alle Kameras, die einen Bereich erfassen, der aufgrund der genannten Veranstaltungen, Versammlungen etc. für den allgemeinen Verkehr gesperrt ist; das Überwachungssystem in seiner Gesamtheit muss hingegen nicht deaktiviert werden.

Zu Abs. 1: Die automationsunterstützte Zufahrtskontrolle dient der Überwachung der Einhaltung von taxativ aufgelisteten straßenpolizeilichen Vorschriften. Bei diesen handelt es sich um Verbote und Gebote nach der StVO, die insbesondere zur Umsetzung flächenhafter Verkehrsberuhigung bei weiterhin (aufgrund etwaig vorgesehener Ausnahmeregelungen für Kfz) bestehendem Mischverkehr in Frage kommen und bei denen eine Kontrolle mittels bildverarbeitender technischer Einrichtungen erforderlich sein kann.

Die automationsunterstützte Zufahrtskontrolle soll nur dort zur Anwendung gelangen, wo besonderen Gefahrensituationen begegnet werden muss. Sie darf nur zur wesentlichen Erhöhung oder Gewährleistung der Verkehrssicherheit, der körperlichen Unversehrtheit, des Umweltschutzes eingeführt werden. Diese Maßnahme muss zur Zielerreichung nachweislich geeignet, effektiv und effizient, sowie dringend erforderlich sein, um die konkrete Gefahrensituationen zu verbessern. Ferner muss sie in ihrer konkreten Ausprägung dem Gebot des gelindesten Mittels entsprechen und somit verhältnismäßig sein. Sofern bauliche Maßnahmen, Schranken- bzw. Pollersysteme oder Stichprobenkontrollen geeignete gelindere Mittel zur Erreichung einer ähnlichen Wirkung darstellen, ist eine automationsunterstütze Zufahrtskontrolle mithilfe bildverarbeitender technischer Einrichtungen nicht zulässig. Zur Beurteilung, ob eine Maßnahme als gelinder zu bewerten ist, sind insb. Aspekte wie technische Eignung und Kostenaufwand – jeweils gemessen an den örtlichen Gegebenheiten – maßgeblich.

Bei den Bereichen, in denen eine automationsunterstützte Zufahrtskontrolle eingeführt werden kann, kann es sich beispielsweise um einzelne Straßenabschnitte oder innerstädtische Bereiche handeln, aber auch um Bereiche in touristischen Gemeinden und in Vorstadtgebieten, auf bzw. in denen aus oben angeführten Gründen die automationsunterstützte Erfassung unberechtigter Einfahrt bzw. Befahrung dringend erforderlich ist.

Nach dem Erkenntnis des VfGH vom 15.6.2007, G 147, 148/06 zur Section Control ergibt sich aus den grundrechtlichen Anforderungen an die Rechtsnatur generell angeordneter behördlicher Datenerfassungen, dass deren Umfang in räumlicher Hinsicht festzulegen ist. Der überwachte Bereich ist daher von der dafür zuständigen Behörde durch Verordnung festzulegen. Welche Behörde für die Erlassung dieser Verordnung zuständig ist, ergibt sich aus den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der StVO in den §§ 94 ff.

Zu Abs. 2: Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit und ein Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre sind nur dann zulässig, wenn dem gegenüber ein sachlicher und verhältnismäßiger Grund steht. Während Veranstaltungen und Demonstrationen sind die technischen Einrichtungen im betreffenden Bereich deshalb zwingend abzuschalten und deren Inaktivität für Passantinnen und Passanten zu kennzeichnen. Dies kann etwa durch eine ferngesteuerte Abdeckung der Kameralinse oder andere geeignete Maßnahmen erfolgen.

Zu Abs. 3: Entsprechend dem Grundsatz der Datenminimierung ist die Ermittlung, Speicherung und Verwendung von Daten auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß zu beschränken. All jene Daten, aus denen keine Übertretung der automationsunterstützt überwachten Verbote und Gebote nach der StVO abgelesen werden kann, oder die zur Identifikation des Fahrzeugs nicht erforderlich sind, sind gar nicht erst zu erfassen oder, sofern dies nicht ausgeschlossen werden kann, unverzüglich zu löschen. Zudem wird dafür Sorge getragen, dass die bei festgestellten Verstößen gewonnenen personenbezogenen Daten nur für unmittelbar daran anschließende Verwaltungsstrafverfahren weiterverwendet werden dürfen.

Zu Abs. 4: Die bildgebende Erfassung von Personen ist technisch soweit als möglich zu vermeiden, eine bewusste Frontfotografie, die auf den Zweck des Erkennens des Fahrzeuglenkers abzielt, ist unzulässig. Es müssen alle technischen und organisatorischen Maßnahmen ergriffen werden, damit gewährleistet ist, dass der erfasste Bildausschnitt sowie die Kameraauflösung so gering wie möglich gehalten ist und dass zufälligerweise erfasste Personen sowie Kennzeichen von anderen Fahrzeugen, die dennoch auf den Aufnahmen ersichtlich sind, sofort unkenntlich gemacht werden.

Zu Abs. 5: Der VfGH hat in seinem „Section-Control“-Erkenntnis ferner ausgesprochen, dass die Datenerhebungen an Ort und Stelle entsprechend anzukündigen sind. Der Beginn und Ende des mittels bildverarbeitender technischer Einrichtungen überwachten Bereichs sind daher durch Hinweistafeln sowie Bodenmarkierungen deutlich kenntlich zu machen.

Zu Abs. 6: Hier wird von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einfachgesetzlich eine datenschutzrechtliche Folgeabschätzung (DSFA) durch den Verordnungsgeber vorzusehen, die zusätzlich zu der bereits im Rahmen der wirkungsorientierten Folgeabschätzung erfolgten abstrakten datenschutzrechtlichen Folgeabschätzung (DSFA) durch den Gesetzgeber zu erfolgen hat.

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Verkehr und Mobilität vorgeschlagen.