122/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 07.03.2025
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Parlamentarische Materialien

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Elisabeth Götze, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Direktwahl der Wirtschaftsparlamente

 

BEGRÜNDUNG

 

Alle fünf Jahre werden in der Wirtschaftskammer die Gremien neu gewählt. Die Wahlen haben laut Wirtschaftskammergesetz auf Grund des allgemeinen, gleichen und geheimen Verhältniswahlrechtes zu erfolgen. Unter einer gleichen Verhältniswahl versteht man landläufig, dass eine wahlwerbende Gruppe jene Anzahl an Sitzen in dem zu wählenden Gremium erhält, die annähernd ihrem Anteil der erhaltenen Wählerstimmen entspricht.

 

Das Wirtschaftskammergesetz gibt vor, dass nur die Fachgruppenausschüsse und die Fachvertreter – die untersten Ebenen der Selbstverwaltung – direkt gewählt werden (Urwahlen). Alle übrigen Wahlen erfolgen indirekt auf Basis dieser Urwahlergebnisse durch „Hochrechnung.“ Dazu zählen die Landes- und Bundesspartenkonferenzen, Fachverbandsausschüsse der Bundeskammer und die Wirtschaftsparlamente der Länder und des Bundes.

 

Im Gegensatz zu Nationalrats- und Landesparlamentswahlen erfolgt diese Hochrechnung nach errungenen Urwahl-Mandaten und basiert nicht auf der Zahl der bei der Wahl abgegebenen Stimmen. Dadurch gehen Stimmen, aus denen kein Urwahl-Mandat in den Fachgruppenausschüssen resultiert – weil in der Fachgruppe zu wenige Stimmen für eine bestimmte Liste abgegeben wurden – auch für die indirekten Wahlen unwiederbringlich verloren. Als Folge verlieren Wählerstimmen in sehr großen Fachgruppen für die in den Wirtschaftsparlamenten zu erringenden Mandate an Bedeutung, während die Stimmen aus sehr kleinen Fachgruppen exponentiell an Bedeutung gewinnen.

 

Dem Wirtschaftsparlament der Bundeskammer obliegt zudem, selbst einen sogenannten „Sparten-Wahlkatalog“ zu erlassen und nach dem Kriterium der „wirtschaftlichen Bedeutung“ einer Sparte im jeweiligen Bundesland Gewichtungen vorzunehmen: Die Anzahl der Mitglieder der Spartenvertretungen in den Wirtschaftsparlamenten der Landeskammern kann zwischen vier und 15 Mandaten betragen. Dies führt in der Praxis zu teils extremen Verwerfungen zwischen den abgegebenen Stimmen und den errungenen Mandaten in den Wirtschaftsparlamenten. Die daraus entstehenden Absurditäten sind seit langem dokumentiert.[1]

 

Unter diesen Voraussetzungen kann nicht von einem „gleichen Verhältniswahlrecht“ gesprochen werden. Die Branche oder Sparte, in der jemand wirtschaftlich tätig ist, bestimmt, ob eine abgegebene Stimme erheblichen Einfluss hat oder nahezu bedeutungslos ist.

 

Kurz: Die derzeit praktizierte Hochrechnung der Urwahl-Mandate ist höchst undemokratisch, bevorzugt bestehende Strukturen und wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken für die wahlwerbenden Gruppen und die einzelne Wählerin auf.

 

Für noch mehr Verwirrung sorgt die Mandats-Zurechnung im Anschluss an die Wahl. Immer wieder kommt es zu Mandatszurechnungen einer Wählergruppe zugunsten einer anderen bei der Besetzung der höheren Ebenen wie Fachverbandsausschüssen und Spartenkonferenzen. Für die Wahlberechtigten ist das vor der Wahl nicht ersichtlich. Diese Zustände führen zu regelmäßigem Protest der wahlwerbenden Listen[2] ebenso wie politischer Vertreter:innen im Nationalrat.[3]

 

Veranschaulichen lässt sich das etwa an den Wahlergebnissen der Wirtschaftskammerwahlen 2020: Dort erhielt die Fraktion Freiheitliche Wirtschaft (FW) 368 Urwahl-Mandate und nochmals 88 Minderheitenmandate. Nach eifrigem Tauschhandel mit dem Wirtschaftsbund hatte die FW das Gewicht von 604 Urwahl-Mandaten hinter sich, um damit Mandate in den Wirtschaftsparlamenten zu erringen.

Das klingt nicht nur unnötig kompliziert, es ist auch undemokratisch. Um die Integrität der Wahlen zu sichern, gibt es dringenden Handlungsbedarf: durch volle Transparenz über die beabsichtigte Verschmelzung von Listen und den vereinbarten Schlüssel der Weitergabe von Urwahl-Mandaten noch vor der Wahl sowie auf dem Stimmzettel.

 

Auch bei der Zulassung von Unternehmer:innen zur Listenwahl zeigt das Wahlsystem der Kammern demokratische Defizite. Nicht-österreichische Staatsbürger:innen ohne EU-Nationalität sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, sofern das erweiterte Präsidium der Bundeskammer nicht beschließt, dass ein vergleichbares Wahlrecht im jeweiligen Drittstaat vorliegt. Der „Standard“ berichtete jüngst, dass kasachische Unternehmer:innen zum Antritt bei den Wirtschaftskammerwahlen berechtigt sind, schweizerische jedoch ausgeschlossen sind.[4] Wer gesetzlich zur Mitgliedschaft verpflichtet wird, sollte auch umfassende Wahlrechte erhalten, einschließlich des passiven Wahlrechts. Es erscheint willkürlich, nicht-österreichischen Staatsbürger:innen ihre demokratischen Rechte allein deshalb zu verwehren, weil es in ihrem Herkunftsland keine vergleichbare Institution zur Wirtschaftskammer gibt, die österreichischen Staatsbürger:innen ebenfalls ein passives Wahlrecht gewährt.

 

Das Wahlsystem der Wirtschaftskammern steht seit Jahren für die teils undemokratischen, teils intransparenten Praktiken in der Kritik. Drei Kernanliegen wären einfachgesetzlich schnell umzusetzen: die Direktwahl der Wirtschaftsparlamente, die Offenlegung geplanter Mandats-Zurechnungen und das passive Wahlrecht für alle Mitglieder der Wirtschaftskammer.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, möge eine Änderung des Wirtschaftskammergesetzes beschließen, um folgende Prinzipien zu verankern:

 

·         Direktwahl der Wirtschaftsparlamente mit gesondertem Stimmzettel gemeinsam mit der Stimmabgabe für die Fachorganisation

·         Mandats-Zurechnungen müssen bereits vor der Wahl erklärt und auch am Stimmzettel klar ersichtlich ausgewiesen werden

·         Volles passives Wahlrecht für alle Mitglieder mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie vorgeschlagen.



[1] https://www.gruenewirtschaft.at/assets/uploads/2018/07/GW_Analyse_WK_Wahlrecht_2006_Langfassung-1.pdf

[2] UNOS: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230703_OTS0020/unos-wirtschaftskammer-muss-ihr-wahlsystem-reformieren; UNOS: https://steiermark.orf.at/stories/3284227/; FW: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20241022_OTS0079/fw-fuertbauer-zeit-gekommen-die-wirtschaftskammer-wieder-ordentlich-zu-reformieren; GW: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130403_OTS0144/plassgruene-wirtschaft-nach-vfgh-erkenntnis-endlich-wirtschaftskammer-wahlrecht-reformieren 

[3] NEOS: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVI/UEA/126/imfname_726775.pdf; https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/UEA/367/imfname_394840.pdf. SPÖ: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVI/A/674/fname_743445.pdf. GRÜNE: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/A/2186/imfname_639633.pdf

[4] https://www.derstandard.at/story/3000000258731/wirtschaftskammer-wahl-kasachen-duerfen-kandidieren-schweizer-aber-nicht