162/A(E) XXVIII. GP
Eingebracht am 26.03.2025
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Parlamentarische Materialien
der Abgeordneten Agnes-Sirkka Prammer, Freundinnen und Freunde
betreffend Familienzusammenführung
BEGRÜNDUNG
Maßnahmen zur Familienzusammenführung werden in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen, die in zahlreichen Instrumenten des Völkerrechts verankert ist. Die Familienzusammenführung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist. Sie trägt zur Schaffung soziokultureller Stabilität bei, die die Integration Drittstaatsangehöriger in dem Mitgliedstaat erleichtert; dadurch wird auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert.[1]
Das Recht auf Familienzusammenführung leitet sich unter anderem aus Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention ab und findet in der RICHTLINIE 2003/86/EG DES RATES vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung seinen unionsrechtlichen Niederschlag. Innerstaatlich ist das Recht in § 35 AsylG (Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden) umgesetzt.
In ihrem Regierungsprogramm sieht die Bundesregierung nun folgende Maßnahme vor: „Familiennachzug wird mit sofortiger Wirkung vorübergehend und im Einklang mit Art. 8 EMRK gestoppt.“ Bereits beim ORF-Antrittsinterview bekräftige Bundeskanzler Stocker diese Forderung: „Dafür werde ich kämpfen“. Tags darauf schickte Innenminister Karner einen „Brief an Brüssel“, in dem er ebenfalls die Maßnahme ankündigte.
Nun sieht die Familienzusammenführungsrichtlinie zwar vor, dass eine Familienzusammenführung unter bestimmten Gründen abgelehnt werden kann, dies setzt aber im Einklang mit Artikel 8 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus. Zweck der Ausnahmebestimmung ist es, Menschen an einer Einreise im Wege der Familienzusammenführung zu hindern, die etwa schwerwiegende Straftaten begangen haben oder den internationalen Terrorismus unterstützen. Eine pauschale Ermächtigung, die Familienzusammenführung an sich auszusetzen, lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten.
Die Bundesregierung versucht deshalb den bereits verkündeten Stopp des Familiennachzugs über Artikel 72 AEUV (EU-Notfallklausel) zu argumentieren. Die Familienzusammenführung gefährde demnach die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des österreichischen Staates und seiner wichtigsten öffentlichen Dienste. Die Bundesregierung sehe sich daher gezwungen, die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, entgegen des unionsrechtlichen Rechtsbestands, selbst festzulegen.
Grund- und europarechtlich erscheint auch dieser Weg wenig erfolgsversprechend. Tatsächlich wurde vom EuGH noch in keinem Mitgliedsstaat je eine dem Artikel 72 AEUV entsprechende Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit erkannt, die eine Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates begründet hätte. In seiner parlamentarischen Anfrage 8996/J XXV. GP wies der Neos-Mandatar Nikolaus Scherak unter Verweis auf die EuGH-Judikatur zu Recht darauf hin, dass für die Berufung auf eine Störung der öffentlichen Ordnung nicht jede Gesetzesverletzung ausreiche sondern vielmehr das Vorliegen „einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“, erforderlich sei.
Schlussendlich musste die Bundesregierung auch noch feststellen, dass für den sofortigen Stopp der Familienzusammenführung auch innerstaatlich die Rechtsgrundlage fehlt. So sieht das Asylgesetz derzeit keine ausreichende Verordnungsermächtigung für den geplanten Stopp vor. Mittels Ministerratsvortrag 2/10 vom 12. Mai 2025 wurde daher vorerst beschlossen, alle notwendigen Schritte auf EU- und nationaler Ebene, inklusive der Anpassung der nationalen gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, zu setzen, um den Familiennachzug mit sofortiger Wirkung vorübergehend zu stoppen und so die öffentliche Ordnung sicherzustellen.
Es ist aktuell völlig unklar, wie ein solcher Stopp grund- und europarechtskonform tatsächlich umgesetzt werden kann. Die Aussage von Innenminister Karner, dass ihm die Reaktionen aus Brüssel relativ egal seien, lässt befürchten, dass die Bundesregierung hier bewusst einen Bruch des Unionsrechts und letztendlich eine Verletzung von Grundrechten billigend in Kauf nimmt.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Inneres werden aufgefordert, die angekündigten Maßnahmen im Bereich der Familienzusammenführung ausschließlich im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu setzen. In diesem Sinne ist zu respektieren, dass eine mitgliedsstaatliche Kompetenzermächtigung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr voraussetzt, die ein Grundinteresse der Österreichischen Bevölkerung berührt. Unbeschadet dessen sind jedenfalls auch alle primär- bzw. völkerrechtlichen Garantien, wie insbesondere die Grundrechte-Charta der Union (GRC) und insofern auch die EMRK, die KRK und die GFK, ausnahmslos einzuhalten.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgeschlagen.