212/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 24.04.2025
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Süleyman Zorba, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Achtung Massenüberwachung - nein zu flächendeckender Chatkontrolle

 

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Im Rahmen eines Verordnungsvorschlags plant die EU-Kommission die Einführung einer allgemeinen und flächendeckenden Chat-Kontrolle. Messengerdienste sollen verpflichtet werden, die Inhalte von privaten Nachrichten zu filtern.

 

Diese Chatkontrolle soll alle Nachrichten betreffen – ohne richterliche Anordnung, ohne eingeleitetes Strafverfahren, ja sogar ohne konkreten Verdacht. Der Entwurf sieht somit eine flächendeckende, nicht-anlassbezogene Massenüberwachung der gesamten Kommunikation aller Bürgerinnen und Bürger, die über Messenger stattfindet, vor. Umgesetzt wird das durch den Einsatz von Scan-Tools, die die private Kommunikation nach bestimmten Inhalten filtern.  

 

So eine Massenüberwachung ist ein massiver Eingriff in mehrere Grundrechte: Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation, Datenschutz, aber auch in die freie Meinungsäußerung.[1] Erwiesen ist, dass schon das Bewusstsein darüber, dass abgehört wird, zu einer Selbstzensur führt.[2] Bürger:innen trauen sich nicht mehr offen zu kommunizieren, wenn sie befürchten müssen, dass ihre private Kommunikation nach für sie nicht durchschaubaren Filtermechanismen überprüft wird.

 

Diese Chatkontrolle würde zudem auch geschützte Kommunikation wie jene von Rechtsanwält:innen, Ärzt:innen oder Journalist:innen betreffen.

 

In Anbetracht des Verordnungsentwurfs wurde vom ständigen Unterausschuss des Hauptausschusses des Nationalrates in Angelegenheiten der Europäischen Union am 3. November 2022 eine bindende Stellungnahme gem Art. 23e B-VG gefasst, mit dem Inhalt:

 

Die österreichische Bundesregierung, insbesondere der zuständige Bundesminister für Inneres, die Bundesministerin für Justiz und die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien werden ersucht, sich auf europäischer Ebene weiterhin

-      für den Ausbau und die verstärkte EU-weite Harmonisierung und Koordinierung von geeigneten, wirksamen und grundrechtskonformen Maßnahmen zum Schutz vor Kindesmissbrauch und Grooming online und offline einzusetzen, und

-      im Rahmen der Verhandlungen für eine Verordnung zur Festlegung von Vorschriften für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (COM(2022) 209 final) für die Sicherstellung einer grundrechtskonformen Ausgestaltung dieser Verordnung aktiv einzusetzen und der genannten Verordnung nur zuzustimmen, wenn sichergestellt ist, dass diese grundrechtskonform- im Sinne des Fließtextes- ausgestaltet ist.

 

Diese Stellungnahme ist nach wie vor bindend.

 

Abgesehen von verfassungsrechtlichen und grundrechtlichen Bedenken, gibt es auch erhebliche technische Schwächen bei der geplanten Chatkontrolle: Tatsache ist, dass Filtermethoden, wie im Verordnungsentwurf geplant, einen hohen Anteil falscher Treffer produzieren. Das gilt auch und insbesondere beim Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Klassifizierung der massenweise überwachten Inhalte.[3] Diese massenhaften falschen Hinweise werden zu einer Überforderung in der Polizeiarbeit und gleichzeitig zu einer Kriminalisierung völlig harmloser Kommunikationen führen.[4]

 

Unsere freie Gesellschaft und unsere Demokratie leben davon, dass wir uns frei und ohne Angst vor Verfolgung äußern können. Offline, wie auch online. Dieses hohe Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit und Privatsphäre darf nicht leichtfertig untergraben werden.

 

Sind derartige Mechanismen für Massenüberwachung erst installiert, so werden auch undemokratische Begehrlichkeiten zunehmen und Pläne, derartige Überwachungstechniken auch für ganz andere Zwecke zu nutzen. Die zum Einsatz kommenden Filter und Datenbanken werden ja schließlich nicht öffentlich gemacht. Für „illiberale Demokratien“, wie wir sie auch in Europa haben, wären derartige Überwachungsmöglichkeiten mit Sicherheit ein willkommenes Mittel, um unliebsame Opposition und andere Meinungen zu kontrollieren. Auch die zahlreichen Überwachungsskandale der vergangenen Jahre innerhalb der EU zeigen eindrucksvoll: Wo Überwachungssysteme zum Einsatz kommen, ist der nächste Skandal meist nicht weit.[5]

 

Cybersicherheitsforscher warnen, dass die Chatkontrolle ein massives Sicherheitsrisiko darstellt.[6] Das Risiko dieser Chatkontrolle überwiegt den möglichen Nutzen bei weitem. Schließlich ist klar, dass Kindesmissbrauchs-Netzwerke keineswegs auf überwachte Messenger-Dienste angewiesen sind, sondern sich sehr effizient im Darknet organisieren können. Das zeigt auch der aufsehenerregende aktuelle Fall des Kidflix-Netzwerks, das im Rahmen einer koordinierten Europol-Operation ausgehoben werden konnte.[7]

 

Um effektiv gegen sexuellen Kindesmissbrauch im Netz vorzugehen brauchen wir mehr finanzielle und personelle Ressourcen für Polizeiarbeit, mehr Prävention und Unterstützung für Kinderschutzorganisationen und einen Ausbau der Zusammenarbeit im Rahmen von Europol.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die österreichische Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass eine Massenüberwachung, etwa in Form der Chatkontrolle in der Verordnung COM(2022) 209 final, nicht beschlossen wird. Weiters wird die Bundesregierung aufgefordert, mehr Geld und Ressourcen für Polizeiarbeit und Prävention im Einsatz gegen Kindesmissbrauch bereit zu stellen und Kinderschutzorganisationen finanziell zu unterstützen. Auf EU-Ebene möge sich die Bundesregierung für eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen von Europol bei der Identifizierung und Zerschlagung von Kindesmissbrauchs-Netzwerken einsetzen.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Digitalisierung vorgeschlagen.

 



[1] Gutöhrle, Chatkontrolle, https://epub.jku.at/obvulihs/download/pdf/9391855

[2] Offener Brief zur Machbarkeit von “Chat Control”:
Einschätzungen aus wissenschaftlicher Sicht, https://www.ins.jku.at/chatcontrol/

[3] Offener Brief zur Machbarkeit von “Chat Control”:
Einschätzungen aus wissenschaftlicher Sicht, https://www.ins.jku.at/chatcontrol/

[4] https://www.informatikaustria.at/2024/06/20/chatkontrolle-ist-ein-sicherheitsrisiko/, https://www.derstandard.at/story/3000000224972/die-chatkontrolle-ist-ein-sicherheitsrisiko-fuer-ganz-europa

[5] Siehe etwa https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/europas-neuer-ueberwachungsskandal, https://netzpolitik.org/2023/267-off-the-record-die-pegasus-protokolle/ uva.

[6] https://www.informatikaustria.at/2024/06/20/chatkontrolle-ist-ein-sicherheitsrisiko/

[7] https://www.bundeskriminalamt.at/news.aspx?id=56306246485461635A544D3D