261/A(E) XXVIII. GP
Eingebracht am 13.05.2025
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Parlamentarische Materialien
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Freundinnen und Freunde
betreffend Umgehende Umsetzung bundesweit einheitlicher, (spitals-)ambulanter Versorgungsstrukturen für Long COVID und ME/CFS gemäß FAG und Gesundheitsreform
BEGRÜNDUNG
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere, neuroimmunologische Multisystemerkrankung, die seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische Erkrankung anerkannt ist. Bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie war ME/CFS in der breiten Bevölkerung und auch unter vielen Ärzt:innen weitgehend unbekannt. Erst durch die pandemiebedingte Zunahme von Long COVID-Fällen, bei denen ME/CFS-ähnliche Symptome auftreten, wurde das Krankheitsbild einer größeren Öffentlichkeit bewusst. In Österreich sind laut aktuellen Schätzungen um die 80.000 Menschen betroffen.
ME/CFS wirkt sich massiv und vielschichtig auf den Alltag der Betroffenen aus. Bereits eine milde Ausprägung der Erkrankung führt zu einer mindestens 50-prozentigen Einschränkung des vorherigen Aktivitätsniveaus. Typisch ist eine anhaltende, schwere Erschöpfung, die sich auch durch Ruhe nicht bessert, begleitet von Schmerzen, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisproblemen sowie einer ausgeprägten Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Geräuschen oder anderen Reizen. Das Leitsymptom, die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM), bedeutet, dass sich der Zustand nach bereits geringfügiger körperlicher oder geistiger Anstrengung deutlich verschlechtert – diese Verschlechterung kann Tage, Wochen oder sogar Monate anhalten und zwingt viele Betroffene dazu, Aktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren.
Im Alltag bedeutet das: Selbst einfache Tätigkeiten wie Duschen, Zähneputzen oder ein kurzer Spaziergang können einen „Crash“ auslösen und führen zu einer teils vollständigen Bettlägerigkeit. Viele Betroffene sind dauerhaft auf Unterstützung angewiesen, etwa bei der Haushaltsführung, beim Einkaufen oder bei der Körperpflege. Etwa 25 % der Erkrankten sind an Haus oder Bett gebunden, Schwerstbetroffene können das Bett kaum verlassen, sind extrem reizempfindlich und benötigen umfassende Pflege bis hin zur künstlichen Ernährung. Über 60 % sind nicht mehr arbeitsfähig, viele verlieren ihre berufliche und soziale Teilhabe und geraten in finanzielle Abhängigkeit von Angehörigen. Das soziale Leben ist häufig stark eingeschränkt, Freundschaften und Partnerschaften können kaum aufrechterhalten werden, und viele Betroffene erleben eine tiefe soziale Isolation.
Die Lebensqualität von Menschen mit ME/CFS ist damit oft deutlich niedriger als bei vielen anderen schweren chronischen Erkrankungen. Die Erkrankung betrifft nicht nur die Betroffenen selbst, sondern belastet auch das Umfeld, insbesondere Angehörige, die häufig die Pflege übernehmen müssen.
Die derzeitige Versorgungslage ist für die Betroffenen untragbar: Sie werden in ein fragmentiertes System aus zahlreichen Facharztterminen gezwungen, obwohl jede Fahrt ein PEM-Risiko darstellt. Die durchschnittliche Zeit bis zur Diagnose beträgt nach aktuellen Erhebungen in Österreich rund fünf Jahre, was zu einer langen Phase ohne adäquate Behandlung führt. ME/CFS-Betroffene fallen laut der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS auf allen Ebenen durch das Gesundheits- und Sozialsystem; neben fachlichen Defiziten berichten Betroffene auch von fehlender Anerkennung der Erkrankung und einer Stigmatisierung.
Im Zuge der Verhandlungen zum Finanzausgleichsgesetz (FAG) haben sich Bund und Länder unter anderem darauf geeinigt, die Versorgungssituation für Betroffene und Angehörige zu verbessern und entsprechende Versorgungseinrichtungen einzurichten. Insbesondere sei hier auf den Abschnitt 9, Artikel 31 der Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens hingewiesen.
Trotz dieser Vereinbarung, die von allen Stakeholdern unterschrieben wurde, ist bisher in Sachen verbesserte Unterstützung für Betroffene von postviralen Erkrankungen kaum etwas passiert. Einzig das vom Bund verantwortete nationale Referenzzentrum wurde bisher eingerichtet. Im Gegenteil versuchen einzelne Bundesländer, bereits getätigte Zusagen zu relativieren oder aufzuweichen. Ein Bundesland (Oberösterreich) will überhaupt erst dann aktiv werden, wenn der Bund entsprechende Vorgaben macht. Dies geschieht, obwohl das FAG-Paktum von allen Bundesländern und dem Bund unterzeichnet und beschlossen wurde.
Warum (spitals-)ambulante One-Stop-Shops kein Luxus, sondern leider eine Überlebensfrage sind:
Zur Strategie des Relativierens und der Aufweichung gehört es, die Verantwortung in den extramuralen Bereich abzuschieben. Länder wie Niederösterreich oder Salzburg setzen auf „virtuelle Netzwerke“. Dies ist jedoch aus mehreren Gründen eine unzureichende Lösung:
- Die PEM-Belastung durch wiederholte Termine bei externen Fachärzt:innen (Kardiologie, Pneumologie, etc.) verschlimmert die Erkrankung.
- Es bestehen weiterhin gravierende Wissensdefizite: Nur ein kleiner Teil der niedergelassenen Ärzt:innen kennt z.B. die Kanadischen Konsenskriterien für ME/CFS oder hat entsprechende Fortbildungen absolviert.
- Fehlende Therapiekoordination: Ohne zentrale Steuerung erhalten Patient:innen widersprüchliche Ratschläge (z.B. kontraindizierte Bewegungs-therapien).
- Niedergelassene Ärzt:innen verfügen weder über die notwendige Infrastruktur (z.B. PEM-sichere Ruheräume) noch über die Zeit für ausführliche Anamnesen.
- Kassenverträge honorieren keine interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Die geforderten (spitals-)ambulante Ambulanzen lösen diese Probleme durch:
- Gebündelte Diagnostik an einem Ort in kurzer Zeit (Blutanalysen, kardiopulmonale Belastungstests, neurologische Assessments).
- PEM-sichere Rahmenbedingungen: rollstuhlgerechte Zugänge, Liegemöglichkeiten, sensorgesteuerte Beleuchtung.
- Therapieplanung durch ein interprofessionelles Gremium, das regelmäßige Fallkonferenzen abhält und sich in weiterer Folge mittels Telemedizin mit den Betroffenen austauscht.
Die Umsetzung (spitals-)ambulanter Strukturen ist daher keine politische Option, sondern eine Verpflichtung im Sinne der Betroffenen und entspricht auch den Vereinbarungen des Finanzausgleichs, wie sie von allen Bundesländern und vom Bund gemeinsam ausgehandelt und vereinbart wurden. Jeder weitere Verzug kann zu irreversiblen Gesundheitsschäden bei Betroffenen durch verzögerte Diagnosen führen und fördert einen systemischen Vertrauensverlust in die Gesundheitspolitik.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere für Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, im Rahmen der Landesgesundheitsreferent:innen-Konferenz die Blockadehaltung der Länder zu thematisieren und dort die verbindliche Etablierung von (spitals-)ambulanten interdisziplinären Kompetenzzentren für postvirale Syndrome wie zum Beispiel ME/CFS in zumindest jedem Bundesland bis spätestens Mitte 2026 sicherzustellen.
Dabei ist darauf zu achten, dass diese personell entsprechend ausgestattet werden und mit dem nationalen Referenzzentrum für postvirale Erkrankungen eng abgestimmt zusammenarbeiten.
Zudem ist ein Monitoring-System zur Überprüfung der Zielerreichung zu implementieren, indem halbjährlich an den Gesundheitsausschuss über Fortschritte bei der Ambulanz-Errichtung, der Kooperation mit dem Referenzzentrum und dem Betrieb der Ambulanzen berichtet wird.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gesundheitsausschuss vorgeschlagen.