295/A XXVIII. GP

Eingebracht am 22.05.2025
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ANTRAG

der Abgeordneten David Stögmüller, Meri Disoski, Alma Zadic, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Schutz vor Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken (Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz – Konv-Sch-G) erlassen wird

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Schutz vor Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken (Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz – Konv-Sch-G) erlassen wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Bundesgesetz über den Schutz vor Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken (Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz – Konv-Sch-G)

 

Inhaltsverzeichnis

            § 1   Ziel und Geltungsbereich

            § 2   Begriffsbestimmungen

            § 3   Verbot der Durchführung von Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken

            § 4   Werbe- und Provisionsverbot

            § 5   Strafbestimmung

            § 6   Verwaltungsstrafbestimmungen

            § 7   Inkrafttreten

            § 8   Vollziehung

Ziel und Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz dient dem vorbeugenden Schutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit von allen Personen vor Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken.

(2) Dieses Bundesgesetz ist nicht auf wissenschaftlich anerkannte Behandlungen von Störungen der Sexualpräferenz oder paraphilen Störungen anzuwenden.

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

       1. „Konversionsmaßnahmen“: jegliche Art der Interventionen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung, der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität oder des Geschlechtsausdrucks gerichtet ist.

       2. „Konversiv-reparative Praktiken“: jegliche professionellen oder sonstigen zielgerichteten Maßnahmen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung, der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität oder des Geschlechtsausdrucks gerichtet sind und nicht unter Z 1 fallen. 

(2) Medizinisch-indizierte, operative Eingriffe, Hormonbehandlungen oder andere indizierte Behandlungen, die darauf gerichtet sind, die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zum Ausdruck zu bringen, fallen nicht unter die Begriffe „Konversionstherapie“ oder „konversiv-reparative Praktiken“ und werden von diesem Bundesgesetz nicht berührt.

(3) Psychiatrische, psychotherapeutische, gesundheitspsychologische, klinisch-psychologische, musiktherapeutische oder ähnliche wissenschaftlich fundierte bzw. anerkannte  Behandlungen, Beratungen oder Betreuungen, die darauf gerichtet sind, die selbstempfundene geschlechtliche Identität einer Person zum Ausdruck zu bringen oder ergebnisoffen zu unterstützen, fallen ebenso nicht unter die Begriffe „Konversionsmaßnahmen“ und „konversiv-reparative Praktiken“ und werden von diesem Bundesgesetz nicht berührt.

Verbot der Durchführung von Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken

§ 3. Die Durchführung von Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken an

       1. einer minderjährigen Person,

       2. einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bei Ausnützung einer Zwangslage oder eines Mangels an Urteilsvermögen,

       3. einer nicht entscheidungsfähAigen oder wegen Gebrechlichkeit, physischer oder psychischer Krankheit oder vergleichbarer Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit wehrlosen volljährigen Person, oder

       4. einer Person zu der sie oder er in einem der im § 212 des Strafgesetzbuches - StGB, BGBl. Nr. 60/1974, bezeichneten Verhältnisse steht

ist unzulässig. Eine Einwilligung in eine solche ist nicht wirksam.

Werbe- und Provisionsverbot

§ 4. (1) Es ist unzulässig, für Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparative Praktiken im Sinne dieses Bundesgesetzes zu werben. Das Werbeverbot umfasst das Anbieten, Ankündigen und Anpreisen von Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativen Praktiken.

(2) Es ist unzulässig, sich oder Dritten eine Vergütung für die Zuweisung von Personen an sie bzw. ihn oder durch sie bzw. ihn zum Zweck der Durchführung von Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativen Praktiken zu versprechen, zu geben, zu nehmen oder zusichern zu lassen. Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind nichtig. Leistungen aus solchen Rechtsgeschäften können zurückgefordert werden.

Strafbestimmungen

§ 5. Wer entgegen § 3 Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparative Praktiken durchführt, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Verwaltungsstrafbestimmungen

§ 6. (1) Wer den Bestimmungen des § 4 zuwiderhandelt, begeht, wenn die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllt, eine Verwaltungsübertretung.

(2) Wer eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 begeht, ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 15.000 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu zwölf Wochen, zu bestrafen.

(3) Wer den Bestimmungen des § 4 zuwiderhandelt, ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 30.000 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vierundzwanzig Wochen zu bestrafen.

Inkrafttreten

§ 7. Dieses Bundesgesetz tritt mit dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft.

Vollziehung

§ 8. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist die für das Gesundheitswesen zuständige Bundesministerin im Einvernehmen mit der für das Justizwesen zuständigen Bundesministerin betraut.

 

 

 

Begründung:

 

I. Allgemeiner Teil

Sämtliche sexuellen Orientierungen wie Homosexualität, Bisexualität, Heterosexualität, Asexualität oder von cisgender abweichende Empfinden des eigenen Geschlechts wie Transidentität und Nicht-Binarität sind gleichwerte Ausdrücke menschlicher sexueller Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten und keine psychischen Störungen. Ebenso sind alle Kombinationen dieser Charakteristika bzw. Eigenschaften „normal“ und nicht pathologisch.

Es fehlt daher jedenfalls eine Indikation für eine medizinisch-psychotherapeutische Behandlung oder Interventionen. Wenn es zu einer psychischen Belastung durch nicht-heterosexuelle Orientierung oder Genderidentität kommt, so kann diese Belastung Ausgangspunkt einer Beratung oder Therapie sein, die jedoch nicht zum Ziel haben darf, die sexuelle Orientierung oder das Geschlecht zu verändern. Vielmehr sollte versucht werden, die psychischen Störungen und damit einhergehende Symptombelastung oder Leidensdruck zu verringern. Personen sind aufgrund internalisierter und institutioneller/struktureller cis-het-Normativität und anderen distalen (z.B. Diskriminierung) und proximalen Stressoren (intern. Cisnegativität) einem höheren Leidensdruck ausgesetzt als die Durchschnittsperson (Minority Stress Model, Meyer et al 2003). Der damit einhergehende soziale Druck erklärt u.a. die überdurchschnittliche Prävalenz psychischer Störungen, die durch Fachpersonen für die psychische Gesundheit auch behandelt werden sollten in einem für ihr SOGIESC affirmativen Rahmen.

Das biologische Geschlecht beinhaltet alle körperlichen Geschlechtscharakteristika; sowohl reproduktive Strukturen als auch Funktionen, die sich in Phänotyp als auch Genotyp darstellen. Im Englischen wird dafür in Abgrenzung zum sozialen Geschlecht „gender“ der Begriff „sex“ verwendet.

Geschlechtsidentität bezeichnet das persönliche Bewusstsein über die eigene Geschlechtszugehörigkeit (männlich/weiblich, maskulin/feminin, inter, nicht-binär etc.) bzw. die Identifikation damit. Die Identifikation mit einem Geschlecht oder mehreren Geschlechtern findet sich zu allen Zeiten und in allen Kulturen, wobei Geschlechtsidentität nur eine von mehreren möglichen Identitätsbeschreibungen ist. Sie inkludiert das persönliche Körpergefühl, welches mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmen kann – oder auch nicht. Physische Charakteristika sowie psychologische und soziale Faktoren tragen zur Entwicklung der Geschlechtsidentität bei.

Der Begriff Geschlechtsausdruck, der im Englischen als „gender expression“ erfasst wird, bezieht sich auf die individuelle Manifestation der persönlichen Geschlechtsidentität sowie der Wahrnehmung dieser Geschlechtsidentität durch Dritte. Typischerweise versuchen Personen ihren Geschlechtsausdruck mit ihrer Geschlechtsidentität übereinzustimmen, unabhängig von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.

Die Bezeichnungen Trans*/Transgender Personen/Transsexuelle stellen Überbegriffe für Personen dar, die eine Geschlechtsidentität und/oder einen Geschlechtsausdruck haben, der von dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht (cisgender) abweicht. Inkludiert sind Männer und Frauen mit einer transsexuellen Vergangenheit, wie auch Personen, die sich als transsexuell, transgender, cross dresser, androgyn, polygender, genderqueer, agender bezeichnen bzw. sich nicht in der klassischen Kategorie Mann/Frau wiederfinden.

Davon zu unterscheiden sind unterschiedliche sexuelle Orientierungen. Die sexuelle Orientierung ist gemeinsam mit biologischen Geschlechtsmerkmalen, Geschlechtsidentität oder Geschlechterrollen eine der Komponenten der sexuellen Identität. Die sexuelle Orientierung spiegelt das Begehren einer Person hinsichtlich des Geschlechts einer erwünschten Partnerin oder eines Partners für emotionale Verbundenheit, Liebe und Sexualität wider. Es wird zwischen verschiedenen sexuellen Orientierungen unterschieden, wobei die gesellschaftlich bekanntesten sexuellen Orientierungen Homosexualität, Bisexualität und Heterosexualität sind. Die Grenzen zwischen diesen Orientierungen verlaufen weniger klar als oft angenommen wird, wobei alle sexuellen Orientierungen gleich wertvoll und zu respektieren sind.

Menschen, die sich psychisch, emotional und erotisch vorwiegend zu Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlen, bezeichnet man als „homosexuell“. Menschen, die sich psychisch, emotional und erotisch sowohl zu Menschen des gleichen Geschlechts wie auch zu Menschen des anderen Geschlechts hingezogen fühlen, werden insbesondere als „bisexuell“ bezeichnet. Fühlen sich Menschen psychisch, emotional und erotisch vorwiegend zu Menschen des anderen Geschlechts hingezogen, wird von „heterosexuell“ gesprochen.

Dazu ist weiters aus fachlicher Sicht festzuhalten, dass Homosexualität als Diagnose einer psychischen Störung 1991 von der Weltgesundheitsorganisation im ICD-10 ersatzlos gestrichen wurde, ebenso wurden 2019 im ICD-11 die Geschlechtsidentitäten als psychische Störungen entfernt und somit entpathologisiert. Die homosexuelle Orientierung wird neben der Heterosexualität als eine eigene anthropologisch gegebene Grunddisposition menschlicher Sexualität betrachtet und weist als solche keine wie auch immer geartete Affinität zu psychopathologischen Entwicklungen auf. Heterosexualität und Homosexualität sind verschiedene Ausprägungen der einen vielgestaltigen Sexualität. Homosexualität wird in der Sexualforschung nicht als krankhaft oder abnorm, sondern als eine Entwicklungsvariante und eine Ausdrucksform menschlichen Lebens, gesehen. ICD-11 Angaben, die „Geschlechtsinkongruenz“ betreffend, wurden beibehalten, um den Zugang zu und Erstattung von (medizinisch) indizierter Behandlung zu ermöglichen.

Bei der Ausübung religiöser oder spiritueller Praxis sowie dem Anbieten bzw. der Bereitstellung solcher „Dienstleistungen“ sollte ebenso bezweckt werden, mögliches konflikthaftes Erleben, das sich durch eine nicht-heterosexuelle Orientierung oder Cisgenderidentität ergibt, zu verringern ohne auf eine Änderung dieser hinzuwirken.

Am 1. März 2018 verabschiedete das Europäische Parlament einen Antrag zur Verurteilung von „Konversionstherapien“ und forderte die EU-Mitgliedstaaten auf, Gesetze zu erlassen, um diese zu verbieten.

In der 74. Tagung der UN-Generalversammlung am 17. Juli 2016 übermittelte der Generalsekretär der Generalversammlung den gemäß der Resolution 41/18 des Menschenrechtsrats vorgelegten Bericht des Unabhängigen Experten für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, Victor Madrigal-Borloz.

Zusammengefasst wird festgehalten, dass […] der Unabhängige Experte [untersuchte], inwiefern lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche und diversgeschlechtliche Menschen nach wie vor durch diskriminierende Rechtsvorschriften und soziokulturelle Normen im Bildungswesen, in der Gesundheits- und Wohnraumversorgung, in der Arbeitswelt sowie in anderen Bereichen marginalisiert und ausgegrenzt werden. Darüber hinaus betrachtet der Unabhängige Experte das Thema Inklusion und den Zugang zu den entsprechenden Rechten unter dem Aspekt der Intersektionalität und analysiert die verstärkende Diskriminierung, die zu Ausgrenzung und Marginalisierung führt. Er erörtert dann, inwiefern eine inklusive Gesellschaft und wirksame staatliche Maßnahmen Menschen ermöglichen können, Schutz vor Diskriminierung und Gewalt zu genießen, und beleuchtet die besondere Rolle von Führungspersönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen, die allesamt dazu beitragen, den Kreislauf der Ausgrenzung zu durchbrechen, und falsche Vorstellungen, Ängste und Vorurteile, die Gewalt und Diskriminierung befeuern, zu zerstreuen.“

Die Empfehlungen am Ende des Berichts enthalten unter anderem:

„- Diskriminierungsbekämpfung, die Entpathologisierung und Entkriminalisierung sowie die soziale Inklusion;

- dringende Maßnahmen zur Beseitigung repressiver Systeme, die die Idee aufzwingen, diverse sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten schadeten der Gesellschaft, LSBT-Personen litten an einer Störung oder der Ausdruck ihrer Identität sei eine Straftat.“

In einem Bericht aus 2020 spricht sich der Unabhängige Experte erneut für ein globales Verbot aus (vgl. UN Doc. A/HRC/44/53, 2020).

Die gravierenden Folgen von „Konversionstherapien“ können unter anderem durch deren Verknüpfungen mit Folter hervorgehoben werden (vgl. UN Doc. A/HRC/44/53, 2020).

Der Wunsch nach der Umsetzung eines dem in Deutschland bereits bestehenden Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen entsprechenden Gesetzes ist wiederholt im Parlament geäußert worden (vgl. bspw. die einstimmige Entschließung des Nationalrats vom 16.06.2021 betreffend ein Verbot von Konversions- und "reparativen" Therapieformen an Minderjährigen).

 

Der beim ehemaligen Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz angesiedelte Beirat für psychische Gesundheit hat in seiner 39. Sitzung am 10. September 2019 einstimmig beschlossen:

1.   Sexuelle Orientierungen und Genderidentität sind keine Erkrankungen, daher ist auch keine Legitimation einer therapeutischen Intervention bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gegeben. (siehe: ICD-10 bzw. ICD-11, DSM-5).

2.   Konversionsverfahren bzw. sog. „Konversionstherapien“ werden von allen im Beirat vertretenen Fachexpertinnen und Fachexperten und Betroffenenvertretern als unethisch und nach vorliegender Evidenz als schädlich eingestuft.

3.   Die Anwendung von sog. „Konversionstherapien“ stellt eine Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung gegen LGBTI[Q]–Personen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender and Intersexual [bzw. Queer]) dar.

Im Nachhang zu dem Beschluss erging ein Informationsschreiben des ehemaligen Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz an Behörden, Kammern und Berufsverbände vom 29.10.2019 (BMASGK-92100/0108-IX/A/3/2019).

Konversionsmaßnahmen können nach derzeit geltendem Strafrecht erst dann zu einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung gemäß §§ 83ff StGB führen, wenn dadurch ein Zustand mit Krankheitswert aus medizinischer Sicht hervorgerufen wird. Bei der Schädigung an der Gesundheit im Sinne des § 83 StGB wird zunächst auf den Nachweis einer Funktionsstörung abgestellt. Gemäß der Umschreibung in EBRV 1971, 212 wird eine Gesundheitsschädigung als Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Krankheit definiert, wobei nach der Rspr und hA im Schrifttum neben körperlichen auch geistig-seelische Leiden in Betracht kommen (vgl. 13 Os 98/86, SSt 57/56; Burgstaller/Schütz in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 83 (Stand 1.4.2021, rdb.at) Rz 9 mwN aus der jüngeren Rspr; Birklbauer/Lehmkuhl/Tipold, BT I5 § 83 Rz 8; aA Bertel/Schwaighofer/Venier, BT I15 § 83 Rz 4).

Beim Zufügen seelischer Qualen kann eine Strafbarkeit nach den Spezialdelikten der §§ 92 oder 312 StGB erfüllt werden (Burgstaller/Schütz in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 83 (Stand 1.4.2021, rdb.at) Rz 25).

Dadurch wird jedoch aktuell der durch die Verletzung der sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung bedingte Unrechtskern bei Durchführung von Konversionstherapien und konversiv-reparativen Praktiken nicht hinreichend erfasst.

Erfahrungsberichte aus der Praxis haben bestätigt, dass sogenannte „Konversionstherapien“ häufig von Personen durchgeführt werden, die nicht Angehörige eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes sind und damit keinem Berufsgesetz unterliegen, weshalb im Hinblick auf den möglichen Täterkreis ein umfassendes Verbot vorzusehen war. Diese Verletzungen können im Einzelfall weder durch die Berufs- bzw. Behandlungsfreiheit der Konversionstherapie anbietenden Personen, noch durch die Religions- bzw. Meinungsfreiheit dieser oder möglicher gesetzlicher Vertreter:innen gerechtfertigt werden.

Um den vollständigen Schutz von Betroffenen vor Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativen Praktiken zu erreichen und das erhebliche Unrecht, das durch die Verletzung von deren verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern entsteht, angemessen abzuwenden, war eine Sonderstrafrechtsnorm vorzusehen.

Ziel dieses Gesetzes ist neben dem Schutz von Betroffenen die gesellschaftspolitische Klarstellung, dass es sich bei nicht-heterosexuellen Orientierungen um normale Varianten menschlicher Sexualität und nicht um Pathologien handelt. Der Respekt der Menschenrechte und der Würde aller erfordert eine ethische Verantwortung aller Berufsgruppenangehörigen, die sich Personen mit konflikthaften Erleben aufgrund ihrer nicht-heterosexuellen Orientierung widmen. Ein vorurteilsfreier Umgang mit dem Thema Homosexualität oder anderen Sexualitäten ist notwendig und es darf zu keiner „Bekehrung“ zur Heterosexualität oder zur Abstinenz erzwungen werden. Eindeutig festgehalten muss werden, dass keine wissenschaftlichen Nachweise zur Effektivität von solchen „Konversionsbehandlungen“ vorliegen (vgl. Birken, Gutachten im Auftrag der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) zur Fragestellung von so genannten Konversionsbehandlungen bei homosexueller Orientierung, Hamburg (2019)).

Der Regelungsvorschlag wurde unter Einbeziehung von betroffenen Personen und Expert:innen in den relevanten Bereichen ausgearbeitet.

§§ ohne nähere Bezeichnung beziehen sich auf den Entwurf.



Zu § 1:

§ 1 Abs. 1 stellt als Ziel dieses Bundesgesetzes den Schutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit sowie den Schutz vor Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativen Praktiken in den Mittelpunkt.

Abs. 2 stellt klar, dass wissenschaftlich anerkannte Behandlungen von Störungen der Sexualpräferenz oder paraphilen Störungen (DSM V) nicht unter die Begriffe Konversionsmaßnahmen oder sonstige konversiv-reparativen Praktiken fallen und daher dieses Bundesgesetz keine Anwendung auf diese Behandlungen findet.

Zu § 2:

§ 2 Abs. 1 enthält Legaldefinitionen der grundlegenden Begriffe, die in diesem Gesetz Verwendung finden.

Konversionsmaßnahmen, die eine Veränderung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen Geschlechtsidentität zum Ziel haben, bestehen aus einer Aneinanderreihung unterschiedlicher Techniken aus anerkannten Therapieverfahren, während Konversionsmaßnahmen an sich keine wissenschaftlich anerkannte Methode sind. Diese wissenschaftlich fundierten Techniken tragen richtig angewendet zur Linderung oder Heilung psychischer Störungen und damit einhergehender Leidenszustände bei. In der Konversionsbehandlung zur Veränderung der sexuellen Orientierung sind sie unethisch und können großen Schaden zufügen. So werden etwa kognitive Strategien, mit denen nur ein heterosexuelles Leben positiv und ein davon abweichendes Leben negativ besetzt werden sollen, ebenso angewendet wie die Verstärkung gender-und heteronormativen Verhaltens (Sport, Schminken, sich mit gegengeschlechtlichen Personen verabreden), Entwicklung von Strategien zur Vermeidung queerer Gedanken (Gedanken-Stopp-Technik) und zur Vermeidung queeren Verhaltens (Vermeidung von Triggern), die Förderung asexueller Freundschaften zu Personen des gleichen Geschlechts, die biografische Suche nach den vermeintlichen „Ursachen“ der Homosexualität oder Queerness (die dann häufig dysfunktionalen Familienbeziehungen und Traumata zugeschrieben werden) sowie in Einzelfällen Hypnose oder regressionsfördernde Techniken (z.B. Rebirthing). Zu Konversionsmaßnahmen zählen jegliche nachhaltige Bemühungen queere Identitäten andauernd und bewusst zu leugnen oder zu unterdrücken (vgl. UN Doc. A/HRC/44/53, 2020).  Es wurde davon Abstand genommen die teilweise als synonym genutzten Begriffe „Konversionsbehandlung“ oder „Konversionstherapie“ (aus dem Englischen „conversion therapy“) zu verwenden um zu signalisieren, dass die Anwendung dieser Praktiken und diese Zielverfolgung unter den Berufsangehörigen der gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe ausdrücklich abgelehnt wird und nichts mit Krankenbehandlung oder Therapie im Sinne von Psychotherapie oÄ zu tun hat.

Darüber hinaus kann wegen der Entpathologisierung von Homosexualität eine Umwandlung queeren in heterosexuelles Handeln oder queerer in heterosexueller Orientierung heute kein professionell legitimierbares Therapieziel einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung mehr darstellen. Vielmehr verstoßen solche Behandlungen gegen allgemein anerkannte fachliche medizinische und psychotherapeutische Standards sowie solche der anderen gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe.

Konversiv-reparative Praktiken, die nicht unter den Begriff „Konversionsmaßnahmen“ fallen, aber dennoch eine Veränderung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen Geschlechtsidentität zum Ziel haben, wie etwa Exorzismen, sind ebenso verboten. Dazu zählen alle auch anhaltenden Versuche oder Bemühungen, die die Absicht haben, die sexuelle Orientierung oder den Geschlechtsausdruck einer Person zu verändern, zu unterdrücken oder zu verdrängen (vgl. UN Doc. A/HRC/44/53, 2020).

Abs. 2 und 3 verdeutlichen, was nicht in die Legaldefinitionen im Sinne dieses Bundesgesetzes fallen soll. Es gibt fachlich fundierte Behandlungsmöglichkeiten, deren Ziel u.a. in einer Selbstwertstärkung lesbischer, schwuler, bisexueller oder nicht cisgender Klient:innen liegt. Ziel eines solchen Behandlungsprocederes ist die Verringerung des Leides und der inneren und äußeren Konflikte der Klient:innen. In der Therapie sollte durch Ressourcenstärkung und das Aufzeigen von sozialen Unterstützungsmöglichkeiten der Möglichkeitsraum der Klient:innen so erweitert werden, dass sie selbstbestimmte Entscheidungen bezüglich des Lebens ihrer soziosexuellen Orientierung treffen können. Dazu zählt auch der Wunsch einer Person einem gesellschaftlich als „weiblich“ oder „männlich“ gesehenen körperlichen Erscheinungsbild zu entsprechen. Ebenso fallen andere gender-affirmative Behandlungen, sowie der sogenannte „diagnostische Prozess“ und die Begleitung oder Feststellung der Notwendigkeit medizinischer Maßnahmen bei Genderinkongruenz nicht unter die mit diesem Gesetz verbotenen Praktiken. Da die in Abs. 2 und 3 genannten Tätigkeiten, sofern sie von den dazu berechtigten Personen lege artis durchgeführt werden, nicht unter die Begriffe Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparative Praktiken fallen, bleiben sie von diesem Bundesgesetz unberührt. Dies umfasst auch ergebnisoffene Therapieansätze, solange diese nach bestem Wissen und Gewissen am Stand der jeweiligen Wissenschaft des konkreten gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes ausgeübt werden. Patient:innen und Klient:innen bleibt es weiterhin möglich, alle Themen, die diese belasten oder Leiden verursachen, im Rahmen ihrer Therapie zu besprechen und diese Bereiche zu bearbeiten. Abgestellt werden muss auf die Ziele der jeweiligen Therapie und ob die dahinterstehende Intention die Änderung der sexuellen Orientierung oder des Geschlechtsausdrucks darstellt oder den Umgang der Patient:innen bzw. Klient:innen mit diesen Umständen. Letzteres fällt nicht unter die mit diesem Bundesgesetz verbotenen Tätigkeiten.

Zu § 3:

§ 3 normiert nunmehr ausdrücklich das Verbot der Durchführung von Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken und zwar bei minderjährigen Personen, also Kindern und Jugendlichen (Z 1), sogenannten jungen Erwachsenen, also Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bei Ausnützung einer Zwangslage oder eines Mangels an Urteilsvermögen (Z 2), nicht entscheidungsfähigen oder wegen Gebrechlichkeit, physischer oder psychischer Krankheit oder vergleichbarer Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit wehrlosen Volljährigen (Z 3) sowie Personen, zu denen die durchführende Person in einem im § 212 StGB genannten Verhältnis steht (Z 4). Das Verbot gelangt daher nicht nur bei entsprechendem Alter des Opfers und/oder anderer in der Person liegenden Gründe zur Anwendung, sondern – sofern nicht ohnedies bereits ein Fall der Z 1 bis 3 gegeben ist – ebenso bei Vorliegen eines besonderen Autoritätsverhältnisses im Sinne des § 212 StGB.

Im Hinblick auf die besondere Vulnerabilität dieser in Z 1 bis 4 genannten Personengruppen ist der umfassende Schutz vor der Durchführung von Konversionsmaßnahmenn oder sonstigen-reparativen Praktiken unerlässlich.

Das Schutzgut des § 212 StGB ist die sexuelle Integrität in Verbindung mit der Willensbildungs- und -betätigungsfreiheit (Kienapfel/Schmoller, BT III §§ 212–213 Rz 1). Eben diese Willensbildungs- und -betätigungsfreiheit ist auch bei der Ausübung von Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativen Praktiken eines betreuten Menschen durch eine betreuende Person besonders zu schützen.

Eine Einwilligung in die Durchführung einer solchen Konversionsmaßnahme oder konversiv-reparativer Praktiken durch die betroffene Person oder ihre gesetzlichen Vertreter:innen ist nicht wirksam.

Zu § 4:

§ 4 enthält ein umfassendes Werbeverbot sowie ein Provisionsverbot betreffend Konversionsmaßnahmen und konversiv-reparativen Praktiken. Unter Werbung fällt auch jegliche Form der Anbahnung. Diese Verbote orientieren sich an den vergleichbaren Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen - ÄsthOpG, BGBl. I Nr. 80/2012 sowie den Berufsgesetzen der gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe, wie etwa dem Psychotherapiegesetz, BGBl. Nr. 361/1990, oder dem Psychologengesetz 2013, BGBl. I Nr. 182/2013.

Zu § 5:

Die Schaffung einer neuen gerichtlichen Strafbestimmung in § 5 ist für die effektive Umsetzung des durch das Verbot gemäß § 3 etablierten Schutzes jedenfalls notwendig. Wer entgegen § 3 Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparative Praktiken durchführt, soll vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen sein. Vorgesehen ist eine ausdrückliche Subsidiarität dieser Strafbestimmung: Sofern die Durchführung einer Konversionsmaßnahme oder von konversiv-reparativen Praktiken im Einzelfall das Tatbild einer anderen gerichtlich strafbaren Handlung mit höherem Strafmaß erfüllt, ist die/der Täter:in nach diesem Delikt zu bestrafen. Dies kann insbesondere bei qualifizierten Körperverletzungsdeliken gemäß den §§ 84ff des Strafgesetzbuchs - StGB, BGBl. Nr. 60/1974, der Fall sein.

Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des gerichtlichen Strafrechts gelten die Regelungen des § 12 StGB (Behandlung aller Beteiligten als Täter) sowie des § 15 StGB (Strafbarkeit des Versuchs). Gemäß § 12 StGB begeht nicht nur der unmittelbare Täter die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt. Die Tat gilt im Sinne des § 15 Abs. 2 StGB als versucht, sobald die Täterin ihren bzw. der Täter seinen Entschluss, sie auszuführen oder eine:n andere:n dazu zu bestimmen, durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt.

Zu § 6:

Verstöße gegen das Verbot des § 4 werden als Verwaltungsstraftatbestand normiert. Hierbei wird der Vorrang des gerichtlichen Strafrechts gegenüber dem Verwaltungsstrafrecht ausdrücklich festgelegt. Es wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob konkrete Verhaltensweisen wie etwa die Vermittlung der Durchführung von Konversionsmaßnahmen oder konversiv-reparativer Praktiken als ihrerseits gerichtlich strafbare Beitragshandlungen (§ 12 3. Fall StGB) zu einer nach § 5 gerichtlich strafbaren Handlung zu qualifizieren sind oder ob der Verwaltungsstraftatbestand verwirklicht ist.

Festzuhalten ist, dass § 5 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt, zur Anwendung kommt. Fahrlässigkeit ist gemäß dieser Bestimmung bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Zu § 7:

§ 7 legt den Zeitpunkt des Inkrafttretens fest. Die Regelungen sollen mit dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft treten.

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gleichbehandlungsausschuss vorgeschlagen.