306/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 22.05.2025
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Parlamentarische Materialien

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Meri Disoski, David Stögmüller, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Österreichs Bemühen um Freilassung der israelischen Geiseln, dringend notwendige humanitäre Hilfe sowie Einhaltung des humanitären Völkerrechts in Gaza

 

BEGRÜNDUNG

 

Israel ließ seit Anfang März 2025 keine Hilfslieferungen mehr in das abgeriegelte Küstengebiet Gaza, in dem ca. zwei Millionen Palästinenser:innen leben. Am Dienstag, 20.5. durften erstmals wieder „etwa hundert“ Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern in den Gazastreifen einfahren, nachdem der israelische Ministerpräsident Netanjahu einer minimalen Hilfslieferung zugestimmt hatte.

Laut den Vereinten Nationen haben im Gazastreifen hunderttausende Menschen nicht mehr genug zu essen. Unterernährung und Hunger nehmen akut zu. Die Versorgungslage, seien es medizinische Produkte, Lebensmittel oder sauberes Trinkwasser, verschärft sich mit jedem weiteren Tag. Die aktuelle Bilanz beinhaltet über 50.000 dokumentierte Tote, davon mindestens ein Drittel Kinder, die Zerstörung von über 15 Krankenhäusern und Geburtskliniken, hunderte getötete Rettungskräfte und zig getötete Journalist:innen.

Am 7. Oktober 2023 hat die radikal-islamistische Terrororganisation Hamas ein grauenvolles Massaker an der israelischen Bevölkerung verübt. Mit mehr als 1.200 Toten war es der tödlichste Angriff auf Juden und Jüdinnen seit dem Ende des Holocausts. Die durch die Hamas verübten systematischen Tötungen von Zivilist:innen, Folter, sexualisierte Gewalt, Entführungen und Geiselnahmen sind völkerrechtliche Straftaten, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auf das Schärfste zu verurteilen sind. Von den durch die Hamas verschleppten israelischen Geiseln sollen 24 am Leben und 35 tot bereits sein.

In Reaktion auf diesen Terrorangriff sah Israel sich dazu gezwungen, den Kriegszustand auszurufen und eine Notstandsregierung („Kriegskabinett“) wurde von der Knesset bestätigt, um das Land gegen die Hamas zu verteidigen.

Seit der Blockade im März verstärkt sich jedoch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der militärischen Reaktion Israels, sowohl aus humanitärer als auch als völkerrechtlicher Sicht. Mit den erneuten Bodenoffensiven und weiteren massiven Zerstörungen der Lebensgrundlage im Gazastreifen ist es dringend an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft, die EU und Österreich die israelische Regierung zur Verantwortung mahnt, zum Orientierungsrahmen der Genfer Konventionen sowie des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zurückzukehren sowie zu einer Konfliktlösung, die die langfristige Sicherheit Israels und der Region im Blick hat.

Denn die israelischen Angriffe in Verbindung mit der Einfuhrsperre von lebensnotwendigen Gütern wie Essen und sauberem Wasser sind aus derzeitiger Sicht nicht nur lebensbedrohlich, sondern tödlich für die palästinensische Bevölkerung, insbesondere für Frauen und Kinder. Die Hilfsorganisationen vor Ort schlagen seit Wochen Alarm. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das über die Genfer Konventionen wacht, warnt, dass die Menschen kaum noch überleben können.

Israel ist als Besatzungsmacht nach dem humanitären Völkerrecht verpflichtet, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken, so das IKRK.

In jeder militärischen Auseinandersetzung sind die Regeln des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts, einzuhalten. Das gilt auch für Israel im Kampf gegen die Terrororganisation Hamas. Diesbezüglich sind auch bereits Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofes anhängig.

Trotz zunehmender Forderungen in der israelischen Öffentlichkeit sowie seitens der israelischen Opposition nach einem Kriegsende bleibt Ministerpräsident Netanjahu nicht nur bei seinem Ziel, die Hamas zu zerstören. Nunmehr möchte er den gesamten Gazastreifen durch weitere Militäroperationen einnehmen und kontrollieren. Vor kurzem beschloss das israelische Sicherheitskabinett einen Plan für eine drastische Ausweitung des Militäreinsatzes im Gazastreifen, mit dem Ziel, den gesamten Gazastreifen einzunehmen. Ministerpräsident Netanjahu hat in einer auf Telegram veröffentlichten Videoansprache am 19.5. offiziell angekündigt, die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernehmen zu wollen. Zudem beinhaltet der Plan, die palästinensische Bevölkerung in den Süden des Gazastreifens umzusiedeln. Setzt Israel dies tatsächlich um, wäre das eine weitere massive völkerrechtliche Verletzung, die vom Internationalen Strafgerichtshof zu prüfen wäre.

Die Veröffentlichung der oben erwähnten Pläne sowie die öffentlich getätigten Aussagen Netanjahus zur Umsiedelung und zum sogenannten „freiwilligen Ausreiseprogramm“ für Gazas Bewohner:innen befeuern einmal mehr den Vorwurf der ethnischen Säuberung.

Seit Sonntag, 18.5., hat die israelische Armee abermals umfassende Bodeneinsätze im Gazastreifen gestartet. Bereits seit April stehen rund 70 Prozent des abgeriegelten Küstenstreifens unter einem Evakuierungsbefehl Israels und werden von der Armee als Sperrzone betrachtet. Die flüchtenden Menschen können sich somit nur mehr in einem immer enger werdenden Gebiet aufhalten. Wir reden hier von ca.  2 Millionen Menschen, die den Gazastreifen nicht verlassen und keinen geschützten Ort mehr aufsuchen können, da beinahe alle Gebäude und die Infrastruktur vor Ort komplett zerstört sind.

Die illegale Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland schreitet währenddessen voran. Nach dem 7. Oktober 2023 wurden nach Angaben der Organisation „Peace Now“ 43 neue sogenannte Außenposten installiert. Ca. 9.000 neue Wohneinheiten wurden vom israelischen Staat genehmigt und gefördert. Dies verstößt nach Auffassung des Internationalen Gerichtshofs gegen das Völkerrecht.

Österreich muss sich ohne Wenn und Aber in allen Fällen für das Einhalten des Völkerrechts sowie der regelbasierten Weltordnung einsetzen. Mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Besetzung und Annexion müssen verurteilt werden.

Die israelische Zivilgesellschaft sowie Teile der Opposition kämpfen gegen die autokratischen Tendenzen der derzeitigen Koalition, die zudem rechtsextrem fundamentalistische Minister umfasst. Diese hatten gemeinsam mit Ministerpräsident Netanjahu versucht, durch eine Justizreform den Obersten Gerichtshof zu entmachten. Die Massenproteste gegen die Aushöhlung der Demokratie fanden nach dem grauenvollen Hamas-Massaker ein abruptes Ende. Die Europäische Union und Österreich sollten daher die israelische Gesellschaft darin unterstützen, die demokratischen Werte und damit verbundenen Institutionen in Israel zu schützen. Es braucht eine umsetzbare Vision für eine handlungsfähige legitime palästinensische Regierung in Gaza, mit dem weiterhin aufrechten Ziel, auf eine Zweistaatenlösung hinzuarbeiten, um ein friedliches Zusammenleben in der Region herbeizuführen.

Angesichts der dramatischen humanitären Lage in Gaza ist es dringend an der Zeit, dass Österreich, die EU und die internationale Gemeinschaft auf Israel einwirken, damit humanitäre Hilfe in ausreichendem Ausmaß zugelassen wird und die Zivilbevölkerung in Gaza genug Nahrung, sauberes Wasser, medizinische Versorgung und ein Dach über den Kopf erhält. Die massiven Bodenoffensiven müssen sofort eingestellt werden. Gleichzeitig müssen die israelischen Geiseln unverzüglich freigelassen werden und endlich zu ihren Familien zurückkehren können. Es braucht einen erneuten Waffenstillstand und unter Einbindung aller zentralen Akteur:innen ernsthafte Überlegungen, wie eine nachhaltige Zukunft in Gaza unter Einhaltung des Völkerrechts aussehen kann.

In einem von der EU Außenbeauftragten Kaja Kallas sowie von derzeit 23 Außenminister:innen – darunter Österreich, Deutschland, Frankreich, Kanada und Großbritannien – unterzeichneten Brief wird die israelische Regierung dazu aufgefordert, die Einfuhr von Hilfslieferungen in Gaza zu ermöglichen. Solche Appelle sind wichtig, reichen jedoch nicht mehr aus.

Die Außenminister:innen der EU-Staaten kamen am 20.5. zu einer Ratssitzung in Brüssel zusammen, in der die niederländische Initiative einer Prüfung des EU-Israels Assoziierungsabkommens zur Diskussion stand. Die fortschreitende Verletzung des humanitären Völkerrechts durch Netanjahus Regierung zeigt, dass härtere Maßnahmen nötig sind. Österreich muss hier klar Position beziehen, auch in Hinblick auf die Kandidatur zum VN Sicherheitsrat 2027-28, die auf folgenden Leitlinien Österreichs aufbaut:

„Österreich glaubt fest an eine multilaterale Ordnung, die auf internationalem Recht als Voraussetzung für dauerhaften Frieden, Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt beruht. Dafür ist es wesentlich, die Straflosigkeit von Individuen, die internationale Verbrechen begehen, zu bekämpfen und diese für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in den internationalen Beziehungen war und ist unsere oberste Priorität.“[1]

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Österreichische Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten, soll alle relevanten diplomatischen Akte in Erwägung ziehen, inklusive der Einbestellung von Botschafter:innen, um die sofortige Freilassung der verbliebenen Geiseln in Gaza voranzutreiben, sowie um die sofortige und vollumfängliche humanitäre Hilfe in Gaza zu erwirken;

 

Weiters soll sich die Österreichische Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten dafür einsetzen,

 

-       die Überprüfung des EU Israel Assoziierungsabkommens mit Blick auf Einhaltung der Menschenrechte so schnell wie möglich voranzutreiben und das Assoziierungsabkommen in weiterer Folge so bald als möglich aussetzen zu lassen;

-       ein temporäres Waffenembargo gegenüber Israel zu beschließen;

-       weitere restriktive Maßnahmen im Rahmen der globalen Sanktionsregelung der EU gegen den Ausbau illegaler Siedlungen im besetzten Westjordanland vorzunehmen und Israel nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, den Ausbau rückgängig zu machen und die schweren Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland zu stoppen;

-       die Bodenoffensive Israels sofort zu beenden und einen Waffenstillstand zu verhandeln, mit dem weiteren Ziel, eine nachhaltige Friedenslösung und einen Wiederaufbau Gazas unter einer international legitimierten Verwaltung zu unterstützen;

-       Israel und seine Zivilgesellschaft in der Demokratie- und Friedensarbeit auf allen Ebenen zu unterstützen.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Außenpolitischen Ausschuss vorgeschlagen.



[1] https://www.bmeia.gv.at/themen/oesterreich-und-die-vereinten-nationen/kandidatur-zum-un-sicherheitsrat (20.5.2025)