572/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 19.11.2025
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Entschliessungsantrag

 

der Abgeordneten Christian Lausch, Nicole Sunitsch

und weiterer Abgeordneter

betreffend Überbelegung der Justizanstalten

 

 

Seit Jahren ist die österreichische Justizverwaltung mit einer strukturellen Überlastung ihrer Haftanstalten konfrontiert. Die Bediensteten, insbesondere die Justizwache, arbeiten vielerorts am Rand oder bereits jenseits ihrer physischen und psychischen Belastungsgrenzen. Diese andauernde Überbeanspruchung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit, Ordnung und Betreuung der Insassen und gefährdet somit nicht nur die Stabilität des Strafvollzugs, sondern letztlich auch die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.

 

Mit Stichtag 1. Oktober 2025 standen 9.105 Inhaftierten lediglich 8.298 Haftplätze gegenüber – das entspricht einer Auslastung von 109,73 Prozent.[1] Bereits im Jahr 2020 wurde diese Problematik im Nationalrat parteiübergreifend erkannt und thematisiert: „Die Justizanstalten sind zeitweise sehr stark überlastet, überbelegt“, stellte Abg. Karin Greiner (SPÖ) im Plenum am 20. November 2020 fest.[2]

 

Die Abgeordnete Mag.a Selma Yildirim, früher eine Fürsprecherin der Justizwachebeamten und Bediensteten im Vollzug, warnte im Entschließungsantrag 384/A(E) vom 27. Februar 2020[3] vor den absehbaren Konsequenzen einer solchen Überbelegung. Trotz dieser wiederholten Hinweise hat sich die Lage seither nicht entspannt – im Gegenteil, denn die strukturellen Engpässe haben sich weiter verfestigt.

 

Diese Entwicklung wird regelmäßig vom Rechnungshof, zuletzt in seinem Bericht Reihe BUND 2024/8, bestätigt. So lag die Auslastung in mehreren Justizanstalten im Jahr 2024 deutlich über der genehmigten Kapazität.[4] Um den Haftbetrieb aufrechterhalten zu können, mussten Zusatzbetten aufgestellt werden – ein deutliches Symptom für chronische Überbelegung. Solche Notlösungen führen zwangsläufig zu Doppel- und Dreifachbelegungen von Hafträumen, wodurch sich sowohl die Sicherheitslage als auch die Betreuungsqualität massiv verschlechtern.

 

Hinzu kommt die zunehmende Komplexität des Haftalltags. Derzeit beträgt der Anteil nicht österreichischer Insassinnen und Insassen über 50 Prozent, lediglich 47,34 Prozent der Inhaftierten besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Dies erfordert mehr Dolmetschleistungen, einen höheren Übersetzungsaufwand, mehr Koordination und einen erhöhten sicherheitsrelevanten Abstimmungsbedarf. Diese personellen Mehrbelastungen gehen zwangsläufig zulasten anderer Kernaufgaben des Strafvollzugs, beispielsweise bei medizinischen Maßnahmen, der Vollzugsplanung oder der Resozialisierung.

 

Gerade die Resozialisierung ist im Strafvollzug ein zentrales rechtsstaatliches Ziel. Der Rechnungshof hat wiederholt gefordert, die Beschäftigungsmöglichkeiten von Häftlingen auszubauen, um Rückfallquoten zu senken und gesellschaftliche Reintegration zu fördern. Doch unter den Bedingungen permanenter Überbelegung und Personalmangels geraten solche Aufgaben zunehmend ins Hintertreffen.[5]

 

Die aktuelle Situation zeigt daher deutlich: Die österreichischen Justizanstalten stehen an einem systemischen Wendepunkt. Ohne strukturelle Entlastung, personelle Aufstockung und nachhaltige strategische Steuerung droht eine Erosion des rechtsstaatlich gebotenen Strafvollzugsstandards.5 Es liegt nun am Gesetzgeber, dieser Entwicklung mit klaren Maßnahmen entgegenzutreten.

 

Wer Haft sicher, rechtsstaatlich und menschenwürdig vollziehen will, darf Überbelegung nicht länger hinnehmen. Es muss endlich etwas geschehen.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Justizministerin, wird aufgefordert, ein Sofortpaket zur Entlastung der Justizanstalten vorzulegen, welches folgende Punkte zum Inhalt hat:

·         rasche und dauerhafte Senkung der Belegungsquote unter 100 Prozent,

·         Ende der Doppel- und Dreifachbelegung,

·         Erweiterung von Kapazitäten und Modernisierung bestehender Häuser sowie

·         Umsetzung eines Verlegungs- und Personalreservekonzepts zur sofortigen Entlastung besonders belasteter Anstalten.“

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Antrag dem Justizausschuss zuzuweisen.



[1]    https://www.justiz.gv.at/strafvollzug/statistik/verteilung-des-insassinnen-bzw-insassenstandes.2c94848542ec49810144457e2e6f3de9.de.html (aufgerufen am 04.11.2025)

[2]    https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/NRSITZ/64/fname_885549.pdf , S. 85 (aufgerufen am 04.11.2025)

[3]    https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/384/imfname_784659.pdf (aufgerufen am 04.11.2025)

[4]    https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/2024_8_Resozialisierung_Justiz.pdf , S. 13f (aufgerufen am 04.11.2025)

[5]    https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/news/Meldungen_2024/Resozialisierung_
Beschaeftigung_von_Haeftlingen_steigern.html
(aufgerufen am 04.11.2025)