599/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 20.11.2025
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Leonore Gewessler, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Ausstieg aus dem Vertrag über die Energiecharta

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Die Europäische Union, die Europäische Atomgemeinschaft sowie 23 EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) sind eigenständige Vertragsparteien des Vertrags über die Energiecharta (im Weiteren: ECT). Für Österreich ist der ECT mit 16. April 1998 in Kraft getreten. Luxemburg, Slowenien und das Vereinigte Königreich haben ihren Austritt aus dem ECT erklärt, der mit 17. Juni 2024 bzw. 14. Oktober 2024 bzw.
27. April 2025 wirksam wurde. Frankreich, Italien, Polen und Deutschland haben bereits zuvor ihren Austritt erklärt und sind nicht mehr Vertragsparteien des ECT, dieser entfaltet aber aufgrund der Fortgeltungsklausel im Art. 47 Abs. 3 ECT noch Rechtswirkungen für sie.

 

Ursprüngliches Ziel des ECT war, den Rahmen für einen effizienten europäischen Energiemarkt zu schaffen, unter Nutzung der Komplementaritäten von Ost und West (Rohstoff-Ressourcen gegen Investitionen und Know-how), und auf diese Weise die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die Energieeffizienz zu verbessern und zur wirtschaftlichen Erstarkung der östlichen Reformstaaten, für die der Energiesektor einen Schlüsselsektor darstellte, beizutragen. Der Vertrag mit seinen ursprünglich 53 Vertragsstaaten betrifft den gesamten Energiesektor mit dem vollständigen Energiezyklus, das heißt sämtliche Tätigkeiten in Verbindung mit Aufsuchen, Exploration, Produktion, Umwandlung, Speicherung, Beförderung, Verteilung und Verbrauch der verschiedenen Energieträger, die Behandlung und Beseitigung der Rückstände sowie die Stilllegung, Schließung und den Abbau der für die genannten Tätigkeiten eingesetzten Anlagen. Der Vertrag schützt dabei auch Investitionen in nukleare Energieträger.

 

Allerdings widerspricht der mittlerweile mehr als 30 Jahre nahezu unverändert in Kraft stehende Vertrag den geänderten energiepolitischen Rahmenbedingungen Österreichs und der EU. Auch der Abschluss der Verhandlungen zur Modernisierung des Vertrages reichte nicht aus, zahlreiche Bedenken aus verschiedenen EU-Staaten auszuräumen. Die Position der EU zur Modernisierung sieht daher vor, dass EU und Euratom vom Vertrag zurücktreten und den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, in einer Energiecharta-Konferenz den Ergebnissen des Modernisierungsprozesses zuzustimmen oder eine Annahme nicht zu verweigern. Dadurch wird es EU-Mitgliedstaaten offengelassen, vom Vertrag zurückzutreten. Die dafür erforderlichen Ratsbeschlüsse wurden am 30. Mai 2024 vom Rat genehmigt. Auch Österreich stimmte für die vorgelegten Ratsbeschlüsse zum Rücktritt der EU und Euratom, sowie der ausgeführten Position der EU und Euratom in einer Energiecharta-Konferenz.

 

Mit dem Austritt von EU und Euratom sowie zahlreichen EU-Mitgliedstaaten haben die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten im Juni 2024 ihre Mehrheit innerhalb des ECT verloren. Mehrheitsentscheidungen innerhalb des ECT können nun auch gegen den Willen der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten getroffen werden.

 

Zusätzlich zum Verlust der Mehrheit für EU-Mitgliedstaaten bedeutet auch der modernisierte Vertrag keinen zusätzlichen Nutzen für Österreich. Österreich ist Mitglied etlicher anderer internationaler Organisationen und Agenturen (IEA, IRENA, REN21, UNIDO), die in bedeutend größerem Umfang energiepolitische Weichen stellen. Für österreichische Investoren bietet der ECT keine wesentlichen Vorteile gegenüber den umfassenden Regeln des WTO-Rechts. In den Bereichen Handel und Transit stützt sich der ECT im Wesentlichen auf die Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und schloss damit eine potentielle Lücke im Energiesektor für Länder, die noch keine WTO-Mitglieder waren. Inzwischen ist eine Reihe von Ländern der WTO und damit dem GATT beigetreten.

 

Der ECT erlaubt es Konzernen, bei neuen Klimaschutz-Gesetzen, die ihre Profite bedrohen, Schadenersatz einzuklagen. So wurde etwa gegen den Kohleausstieg in den Niederlanden, ein Fracking-Verbot in Slowenien oder gegen das Verbot einer Ölplattform in Italien geklagt. Bestrebungen der EU, den Vertrag mit den Pariser Klimazielen in Einklang zu bringen, sind gescheitert. Der ECT gefährdet damit auch die Dekarbonisierung und die Transformation der Industrie.

 

Nun wurde bekannt, dass die EU-Kommission allen Mitgliedsländern, die weiterhin Vertragspartei des ECT sind, einen Brief geschrieben hat, in dem sie erklärt, dass ihre weitere Teilnahme rechtswidrig ist und sie nicht länger Vertragsparteien bleiben können. Die Kommission hat außerdem mit der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gedroht[1].

 

Zudem wird der Rücktritt zahlreicher Staaten eine wesentliche Erhöhung des jährlichen Mitgliedsbeitrags, den Österreich an das ECT-Sekretariat entrichten muss, zur Folge haben.

 

Laut Art. 47 des Vertrags kann ein Vertragsstaat fünf Jahre, nachdem der ECT für ihn in Kraft getreten ist, durch schriftliche Mitteilung an den Verwahrer zurücktreten. Die Wirksamkeit erfolgt gemäß Art. 47 Abs. 2 ECT zwölf Monate nach Einlangen beim Verwahrer. Nach Ablauf dieses Jahres gelten die Bestimmungen des Vertrags für bereits bestehende Investitionen von Investoren anderer Vertragsstaaten für einen Zeitraum von 20 Jahren weiter (sog. „Fortgeltungsklausel“).

 

Beim Rücktritt von einem Staatsvertrag ist grundsätzlich das gleiche Verfahren wie beim Abschluss einzuhalten. Der Vertrag über die Energiecharta wurde als Staatsvertrag gemäß Art. 50 B-VG vom Nationalrat genehmigt. Der Rücktritt hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher ebenfalls der Genehmigung des Nationalrats. Er hat nicht politischen Charakter. Ein Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG ist nicht erforderlich. Durch das 1. BVRBG wurden die als verfassungsändernd bezeichneten Bestimmungen des Vertrags über die Energiecharta ihrem Verfassungsrang entkleidet und zu einfachgesetzlichen Bestimmungen, der Rücktritt ist daher nicht nach Art. 44 Abs. 2 B-VG zu genehmigen.

 

Der Rücktritt vom Vertrag über die Energiecharta betrifft auch Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder, und zwar insbesondere im Bereich des Elektrizitätswesens, soweit es nicht unter Art. 10 B-VG fällt, daher bedarf es einer Zustimmung des Bundesrates.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten, wird aufgefordert:

 

·         den Rücktritt vom Vertrag über die Energiecharta sowie die Erläuterungen hierzu umgehend zu genehmigen,

·         die Rücktrittserklärung unter Anschluss der Erläuterungen dem Nationalrat zur Genehmigung gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG zuzuleiten,

·         nach erfolgter Genehmigung dem Herrn Bundespräsidenten vorzuschlagen, den Rücktritt gemäß Art. 47 des Übereinkommens zu erklären.“

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie vorgeschlagen.



[1] https://www.contexte.com/eu/news/energy/scoop-commission-urges-remaining-eu-member-states-to-withdraw-from-energy-charter-treaty-threatens-infringement-proceedings_245184?go-back-to-briefitem=245184