603/A(E) XXVIII. GP

Eingebracht am 20.11.2025
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten David Stögmüller, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Meldestelle für sexuelle Übergriffe im Bundesministerium für Landesverteidigung

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Sexuelle Übergriffe stellen eine gravierende Verletzung der Rechte, sexuellen Integrität und Selbstbestimmung von Betroffenen dar. Dennoch meldet nur eine sehr geringe Anzahl von Opfern sexualisierter Gewalt diese Taten. Schätzungen zufolge erstatten nur ca. 2–8%[1] der Opfer Anzeige, wobei der Anteil männlicher Opfer noch niedriger liegt, da bei Männern zusätzliche Stigmatisierungen und Barrieren bestehen. Viele Betroffene wissen zudem, wie schwierig der Nachweis eines Übergriffs ist. Zahlreiche Verfahren scheitern an der Frage der Zustimmung oder Einwilligung, die mangels objektiver Beweismittel kaum nachweisbar ist („Aussage gegen Aussage“). Dies führt häufig zu Einstellungen oder Freisprüchen und trägt zur geringen Anzeigebereitschaft bei. Der militärische Kontext bildet hier keine Ausnahme und stellt Betroffene vor zusätzliche Hürden.

 

Die Barrieren, die auf dem Weg zur Anzeige sexueller Übergriffe überwunden werden müssen, sind vielfältig, miteinander verflochten und im militärischen Kontext noch mit zusätzlichen Besonderheiten versehen. Dazu zählen unter anderem:

 

Für Männer sind die Hürden, sich zu melden, aufgrund gesellschaftlicher Stereotype und Stigmatisierungen besonders hoch. Viele befürchten, ihre Männlichkeit infrage gestellt zu sehen oder müssen sich mit Schuldzuweisungen auseinandersetzen, warum sie sich nicht gewehrt hätten. In männerbündischen Strukturen wie dem Militär kommt zusätzlicher Druck hinzu: Man möchte den Zusammenhalt nicht stören oder Kamerad:innen „in den Rücken fallen“.

 

In der Anfragebeantwortung 13166/AB von 2023 führte Ministerin Tanner einige konkrete Kennzahlen für ihr Haus an. So wurden in den Jahren 2018 bis 2022 insgesamt 24 Meldungen betreffend sexuelle Belästigung verzeichnet. Bei den Betroffenen handelte es sich ausschließlich um Frauen, bei den Beschuldigten ausschließlich um Männer. In 17 Fällen wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, deren Ausgang folgendermaßen aufzuteilen ist (ein Fall war noch anhängig):

·         Geldstrafe: 5 Fälle

·         Entlassung: 1 Fall

·         Keine gesonderte disziplinäre Würdigung bzw. Einstellung: 8 Fälle

·         Unterbrochene Verfahren: 2 Fälle

 

Im Jahr 2022 erließ die Ministerin eine eigene Weisung, die das Vorgehen bei Vorfällen sexueller Belästigung regelte und obligatorische Schulungen vorsah.

 

Während diese Maßnahmen notwendigerweise die disziplinar- und strafrechtliche Verfolgung in den Vordergrund stellen, existieren internationale Leitfäden, wie ein stärkerer opfer- und betroffenenorientierter Umgang in militärischen Organisationen aussehen kann. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa        (OSZE) empfiehlt in ihrem Leitfaden „Addressing Sexual Violence in the Armed Forces: A practical Guide[2]“, ein mehrstufiges Meldesystem, das die besonderen Bedingungen von Streitkräften berücksichtigt.

 

Ein solches System kann dazu beitragen, dass mehr Betroffene die Möglichkeit bekommen, Übergriffe zu melden, ohne dass ihr Erfahrungsbericht sofort in einem formalen Ermittlungsverfahren mündet und dieses wiederum möglicherweise zu einer Retraumatisierung oder anderen für die Betroffenen unerwünschten Folgen führt. Im Zentrum steht die bestmögliche Unterstützung der betroffenen Person nach eigenem Bedürfnis, sei es durch medizinische Versorgung, psychologische Hilfe oder Beratung zu möglichen weiteren Schritten.    

 

Gleichzeitig kann ein speziell eingerichtetes System dabei unterstützen, mehr Täter und Täterinnen zur Verantwortung zu ziehen. Der Leitfaden empfiehlt, die Entscheidung, eine Anzeige zu erstatten, der von Gewalt betroffenen Person zu überlassen und sich stattdessen auf eine frühzeitige Beweisaufnahme und Dokumentation der Vorfälle zu konzentrieren, die eine spätere Verfolgung erleichtern. Darüber hinaus ist eine Erhellung des Dunkelfelds möglich.

 

Diese „verfahrensunabhängige Untersuchung“ oder Erhebung ist ein System, das seit mittlerweile einem Jahr in eigens eingerichteten österreichischen Gewaltambulanzen erfolgreich angewendet wird.[3]

 

Der Leitfaden der OSZE schlägt ein mehrstufiges Meldesystem vor, das unter anderem folgende Merkmale umfasst:

 

  1. Anonyme Meldemöglichkeiten: Es wird eine Möglichkeit geschaffen, sexuelle Übergriffe anonym zu melden, ohne dass der/die Täter:in benannt werden muss. Dies dient insbesondere dazu, Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren und Unterstützung in Anspruch zu nehmen (z.B. Beratung, medizinische oder psychologische Hilfe), ohne sofort die juristische Konsequenz eines Verfahrens in Erwägung ziehen zu müssen.
  2. Möglichkeit zur Beantragung einer Versetzung: Das System soll es den Betroffenen auf eigenen Wunsch ermöglichen, ohne Strafverfolgung eine Versetzung zu beantragen, falls der/die Täter:in weiterhin in derselben Einheit verbleibt und eine kontinuierliche Gefahr für die betroffene Person darstellt.
  3. Erstattung einer Strafanzeige: Betroffene habe die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten und an den Ermittlungen bzw. den Prozessen teilzuhaben.
  4. Berücksichtigung von lang zurückliegenden Missbrauchsfällen: Ein solches Meldesystem soll Personen ermöglichen, auch sexuellen Missbrauch zu melden, der lange zurückliegt und zu einer Zeit stattfand, als noch kein solches Meldesystem existierte.

 

Das mehrstufige Meldesystem muss flexibel gestaltet werden, sodass es den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der betroffenen Personen gerecht wird und diese gewährleistet. Es soll den Betroffenen sowohl die Möglichkeit bieten, den Vorfall zu melden, als auch die Kontrolle über den weiteren Verlauf des Verfahrens zu behalten. Dies stärkt das Vertrauen der Betroffenen in das System und unterstützt sie bei weiteren Schritten.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 


 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Landesverteidigung, wird aufgefordert, ein mehrstufiges Meldesystem für sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt im Bundesministerium für Landesverteidigung zu entwickeln und umzusetzen.

 

Dieses System hat zumindest folgende Elemente zu enthalten:

  1. Anonyme Meldemöglichkeiten, die Beratung sowie medizinische und psychosoziale Unterstützung ermöglichen, ohne automatisch ein formales Ermittlungsverfahren auszulösen.
  2. Verfahrensunabhängige, standardisierte Dokumentation und Beweissicherung nach dem Modell der bestehenden Gewaltambulanzen, unter Einbindung entsprechender externer Expertise.
  3. Möglichkeit für Betroffene, auf eigenen Wunsch Schutzmaßnahmen zu erhalten, insbesondere eine rasche und unbürokratische Versetzung, wenn die Sicherheit oder das Wohlbefinden gefährdet sind.
  4. Option zur formellen Anzeigeerstattung, wobei Betroffene über sämtliche rechtlichen Schritte aufgeklärt und während des gesamten Verfahrens begleitet werden.
  5. Ein Meldemechanismus für zurückliegende Übergriffe, auch wenn diese vor Einrichtung des Systems stattgefunden haben.

 

In der Ausarbeitung sollten die Erfahrungen und die Expertise der österreichischen Gewaltambulanzen sowie der parlamentarischen Bundesheerkommission eingebunden werden.

 

Darüber hinaus wird die Bundesministerin für Landesverteidigung aufgefordert, dem Nationalrat jährlich einen anonymisierten Bericht über gemeldete sexuelle Übergriffe, ergriffene Maßnahmen, Anzahl der Verfahren und getroffene Präventionsmaßnahmen vorzulegen.“

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Landesverteidigungsausschuss vorgeschlagen.



[1] Addressing Sexual Violence in the Armed Forces: a Practical Guide, S. 29: https://www.osce.org/files/f/documents/7/3/523901.pdf

[2] Addressing Sexual Violence in the Armed Forces: a Practical Guide:

https://www.osce.org/files/f/documents/7/3/523901.pdf

[3] https://www.gewaltschutzzentrum.at/wp-content/uploads/2023/10/Konzept-zur-Versorgung-mit-Gewaltambulanzen-2022.pdf