Erläuterungen
Allgemeiner Teil
Hauptgesichtspunkte des Entwurfes:
Mit BGBl. I Nr. 153/2017 erfolgt eine Angleichung der nach § 1159 ABGB geltenden Kündigungsfristen der Arbeiter an die für Angestellte geltenden Kündigungsbestimmungen des § 20 AngG. Im Zuge dessen wurden die Kollektivvertragspartner nach § 1159 Abs. 2 und Abs. 4 ABGB ermächtigt, für Branchen, in den Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 ArbVG überwiegen, die Kündigungsfristen abweichend zu regeln. Diese Ausnahmeregelung trat – nach mehrmaligen Verschiebungen – letztlich mit BGBl. I Nr. 21/2021 mit 1. Oktober 2021 in Kraft. In der Praxis kam es im Zusammenhang mit dieser gesetzlichen Ausnahmeregelung vermehrt zu Auslegungsproblemen. Unklar war bzw. ist insbesondere, wie das Wort „überwiegen“ und der Verweis auf § 53 Abs. 6 ArbVG („erheblich verstärkt“) zu verstehen ist. Aus Gründen der Rechtsicherheit wird daher klargestellt, dass die Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit erhalten, in Kollektivverträgen im Zeitraum von 1. Jänner 2018 bis 1. Februar 2025 abweichende Regelungen für Kündigungsfristen und -termine festzulegen. Es ist hiefür jedoch erforderlich, dass die Kollektivvertragsparteien aktiv eine neue Regelung erlassen. Die vorgeschlagene Regelung soll rückwirkend mit 1. Jänner 20xx in Kraft treten.
Diese Änderungen werden im LAG nachvollzogen.
Im Zusammenhang mit den Änderungen im Bereich des § 1159 ABGB sieht das AVRAG für Arbeitnehmer im Bewachungs- sowie im Reinigungsgewerbe Regelungen zur Entrichtung der vom Arbeitgeber nach dem jeweiligen Kollektivvertrag zu leistenden Beiträge an einen Sozialfonds vor. Die Einhebung und Weiterleitung dieser Beiträge an den Sozialfonds soll durch den zuständigen Krankenversicherungsträger erfolgen.
Im Übrigen wird auf die Erläuternden Bemerkungen zu den einzelnen Bestimmungen verwiesen.
Kompetenzgrundlage:
Die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung gründet sich auf Artikel 10 Abs. 1 Z 11 B‑VG („Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht“) und hinsichtlich der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiterinnen und Arbeiter auf Artikel 11 Abs. 1 Z 9 B-VG („Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“).
Besonderer Teil
Zu Art. 1 (Änderung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches):
Zu Z 1 bis 3 (§ 1159 Abs. 2, 3a und 4 ABGB):
In der Praxis ist es iZm dem § 1159 Abs. 2 und 4 dritter Satz ABGB zu Auslegungsproblemen gekommen. Unklar ist insbesondere, wie das Wort „überwiegen“ und der Verweis auf § 53 Abs. 6 ArbVG („erheblich verstärkt“) zu verstehen ist. Die Kollektivvertragsparteien sollen daher die Möglichkeit erhalten, in Kollektivverträgen im Zeitraum von 1. Jänner 2018 bis 1. Februar 2025 abweichende Regelungen für Kündigungsfristen und -termine festzulegen. Es ist hiefür jedoch erforderlich, dass die Kollektivvertragsparteien aktiv eine neue Regelung erlassen.
Nach der vorgeschlagenen Regelung ist das bloße unveränderte Aufrechterhalten einer vor dem 1. Jänner 2018 bestehenden Regelung nicht ausreichend („neu“). Damit unterscheidet sich diese Regelung klar von der bisherigen Rechtsprechung zu § 1159 Abs. 2 ABGB idF BGBl. I. Nr. 153/2017 (vgl etwa OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f Rz 22), welche keine Notwendigkeit für ein aktives Tun festgestellt hat. Jene kollektivvertraglichen Kündigungsfristen, die aufgrund der bisherigen Rechtsprechung ohne aktives Tun unverändert auch nach dem 1. Jänner 2018 weiter galten, verlieren ab dem Inkrafttreten der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung ihre Gültigkeit.
Dass es sich um Branchen handelt, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs. 6 ArbVG überwiegen, ist nach der nun vorgeschlagenen Fassung des § 1159 Abs. 2 dritter Satz ABGB nicht mehr entscheidend.
Das Zeitfenster 1. Jänner 2018 bis 1. Februar 2025 stellt sicher, dass kein Kollektivvertrag, der nach dem 1. Februar 2025 abgeschlossen wurde, von den Kündigungsfristen und –terminen des § 1159 Abs. 2 und 3 ABGB abweichen kann, auch nicht durch rückwirkendes Inkrafttreten. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Kundmachung des Kollektivvertrages (§ 14 Abs. 3 ArbVG) in diesem Zeitfenster. Wird ein Kollektivvertrag, der innerhalb dieses Zeitfensters von den Kündigungsbestimmungen des § 1159 Abs. 2 und 3 ABGB abweichende Regelungen rechtswirksam neu aufgenommen hat, inhaltlich unverändert zur Gänze neu kundgemacht, ändert dies nichts an der Wirksamkeit der abweichenden Regelungen.
Folgende Kollektivverträge erfüllen die Voraussetzung für abweichende Regelungen:
- Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Gewerbe Agrarservice,
- Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe,
- Kollektivvertrag für Bauhilfsgewerbe,
- Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe,
- Kollektivvertrag für das Bodenlegergewerbe,
- Kollektivvertrag für Brunnenmeister, Grundbau-. und Tiefbohrunternehmer,
- Kollektivvertrag für das Dachdeckergewerbe,
- Rahmenkollektivvertrag für Arbeiterinnen/Arbeiter in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung, im sonstigen Reinigungsgewerbe und in Hausbetreuungstätigkeiten,
- Kollektivvertrag für Arbeiter im Eisen- und Metallverarbeitenden Gewerbe für die Berufszweige der Spengler (Spengler und Kupferschmiede),
- Kollektivvertrag
für die Arbeiter/innen und gewerblichen Lehrlinge in den
gewerblichen Forstunternehmen Österreichs,
- Kollektivvertrag für das Glasergewerbe,
- Kollektivvertrag für die Arbeitnehmer/innen in den gewerblichen Friedhofsgärtnereibetrieben Österreichs,
- Rahmenkollektivvertrag für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den gewerblichen Gärtner- und Landschaftsgärtnerbetrieben Österreichs,
- Kollektivvertrag für das Hafner-, Platten- und Fliesenlegergewerbe und Keramikergewerbe,
- Kollektivvertrag für das Holzbau-Meistergewerbe,
- Kollektivvertrag für das Maler, Lackierer und Schilderherstellergewerbe,
- Kollektivvertrag für das Pflasterergewerbe,
- Zusatzkollektivvertrag zum Kollektivvertrag für das Rauchfangkehrergewerbe vom 1.1.1988,
- Rahmenkollektivvertrag Arbeiterinnen und Arbeiter sowie für gewerbliche Lehrlinge in der Schädlingsbekämpfung,
- Kollektivvertrag für das Steinarbeitergewerbe,
- Kollektivvertrag für das Tapezierergewerbe,
- Kollektivvertrag für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe Österreichs in der für die Tischler und Holzgestalter geltenden Fassung vom 1. Mai 2021,
- Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben,
- Kollektivvertrag für die Arbeiter in der Binnenschifffahrt,
- Kollektivvertrag für die Bediensteten der österreichischen Seilbahnen,
- Kollektivvertrag für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe,
- Kollektivvertrag für Arbeiter im Kleintransportgewerbe,
- Kollektivertrag für die Arbeiter in der Stein- und Keramischen Industrie,
- Kollektivvertrag Glasbe- und Verarbeitung, Flachglasschleiferei, Arbeiter/innen.
§ 1159 Abs. 3a vorletzter und letzter Satz ABGB stellen klar, dass abweichende Regelungen der Kündigungsfristen und-termine, die in diesen Kollektivverträgen vorgesehen sind, ab dem 1. Februar 2025 nur zu Gunsten der Arbeitnehmer geändert werden können.
Durch Ausweitung des fachlichen Geltungsbereichs eines Kollektivvertrages kann es dazu kommen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Kollektivvertrag erfasst sind, die bisher nicht erfasst waren. Galten für die neu aufgenommenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (in ihrem bisherigen Kollektivvertrag) bisher keine vom Gesetz abweichenden Regelungen, ändert sich daran nichts. Auch dann nicht, wenn im neuen Kollektivvertrag vom Gesetz abweichende Kündigungsregelungen (für die bereits erfassten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) gelten.
Kommt es durch Zusammenfassung oder Trennung von Branchen zu einem neuen Kollektivvertrag (Neuabschluss), so sollen abweichende Regelungen (verkürzte Kündigungsfristen, andere Kündigungstermine) durch den neuen Kollektivvertrag nur für jene Arbeitsverhältnisse möglich sein, für die der Kollektivvertrag bereits bisher abweichende Regelungen zugelassen hat. Eine Änderung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll jedoch in keinem Fall möglich sein.
Die Möglichkeit abweichender Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist mit dem vorgeschlagenen Text des Abs. 4 ausreichend gewährleistet, da kürzere Fristen bei Kündigung durch die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer für diese/n günstiger sind.
Werden durch Kollektivvertrag lediglich zusätzliche Kündigungstermine nach Abs. 3 zweiter Satz rechtswirksam festgelegt (15. und/oder Monatsletzter als weitere Kündigungstermine zu den vier Kalendervierteln nach Abs. 2 erster Satz), so sind diese Sonderterminvereinbarungen nach Abs. 3 weiterhin zeitlich unbefristet möglich.
Zu Z 4 (§ 1503 Abs. 28 ABGB):
Die vorgeschlagenen Änderungen in § 1159 ABGB sollen rückwirkend mit 1. Jänner 20xx in Kraft treten. Dieses Datum erklärt sich daraus, dass die mit BGBl. I Nr. 153/2017 geschaffenen Regelungen des § 1159 Abs. 2 und Abs. 4 ABGB ursprünglich mit 1. Jänner 2018 in Kraft treten sollten. Zwar traten diese Bestimmungen letztendlich durch BGBl. I. Nr. 121/2021 erst mit 1. Oktober 2021 in Kraft, doch bezieht sich die dazu ergangene OGH-Rechtsprechung (vgl. OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f und OGH 27.4.2022, 9 ObA 137/21v) auf den inhaltlich unveränderten Text des § 1159 Abs. 2 und Abs. 4 ABGB idF BGBl. I Nr. 153/2017.
Zu Art. 2 (Änderung des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes):
Zu Z 1 und 2 (§§ 18b und 18c):
Im Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe sowie im Kollektivvertrag für Arbeiterinnen/Arbeiter in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung sind Sozial- und Weiterbildungsfonds eingerichtet, die den Beschäftigten dieser Branchen nach dem Vorbild des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG), Weiterbildung ermöglichen und zur sozialen Absicherung beitragen sollen. In der Praxis hat sich die Betragseinhebung als schwierig und bürokratisch aufwändig erwiesen. Das Einheben des Beitrags der Arbeitgeber durch den zuständigen Sozialversicherungsträger ist demgegenüber zuverlässiger und effizienter, wie auch das Bespiel des AÜG zeigt.
Die Datenweitergabe durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger an die Sozial- und Weiterbildungsfonds der genannten Branchen ermöglicht zum einen die Anspruchsprüfung und zum anderen die Information der Anspruchsberechtigten im aufrechten Dienstverhältnis und nach dessen Beendigung.
Zu Art. 3 (Änderung des Landarbeitsgesetzes 2021):
Die Änderungen im Bereich des § 1159 ABGB werden für den Bereich der Land- und Forstwirtschaft nachvollzogen, weshalb dem Grunde nach auf die entsprechenden Erläuterungen verwiesen wird. Das Zeitfenster, in dem der Kollektivvertrag von den Kündigungsfristen und -terminen des § 107 Abs. 2 und 4 abweichen kann, wird anders als im ABGB mit 1. Jänner 2018 bis 31. Mai 2025 festgelegt. Anstelle der im ABGB vorgesehenen einwöchigen Kündigungsfrist wird in § 107 Abs. 3a eine zweiwöchige Kündigungsfrist vorgesehen, weil die Kollektivverträge in der Land- und Forstwirtschaft, die von der Saisonbetriebsregelung Gebrauch gemacht haben, überwiegend eine zweiwöchige Kündigungsfrist vorsehen (z.B. im Kollektivvertrag für Arbeitskräfte der landwirtschaftlichen Gutsbetriebe, der bäuerlichen und anderen nicht bäuerlichen Betriebe für Kärnten; im Kollektivvertrag für Land- und forstwirtschaftliche bäuerliche Betriebe, Gutsbetriebe und andere nicht bäuerliche Betriebe für Stmk; im Kollektivvertrag für die Dienstnehmer in den bäuerlichen Betrieben des Bundeslandes Niederösterreich). Als „neu aufgenommen“ im Sinne des LAG sind auch jene Regelungen mitumfasst, welche mit dem Hinweis auf die Saisonalität der Branche bzw. § 107 LAG abgeschlossen wurden.