Erläuterungen
Allgemeiner Teil
Hauptgesichtspunkte des Entwurfes:
Das Regierungsprogramm 2025–2029 enthält zu „Wirtschaft und Infrastruktur“ unter der Überschrift „Genehmigungsbeschleunigung AVG-Großverfahren“ mehrere Punkte zur Novellierung des Großverfahrens gemäß den §§ 44a ff des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991. Dabei werden einige Bestimmungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 – UVP‑G 2000, BGBl. Nr. 697/1993, ausdrücklich als Vorbild angeführt.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Erfahrungen aus der Praxis zum Großverfahren im Hinblick auf Potenziale zur Beschleunigung und Strukturierung des Verfahrens eingeholt. Insbesondere erfolgte ein Austausch mit Vertretern des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Klima- und Umweltschutz, Regionen und Wasserwirtschaft und des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur zu ihren Erfahrungen mit dem Verfahren nach dem UVP‑G 2000, das in der Praxis den häufigsten Fall für die tatsächliche Anwendung des Großverfahrens nach dem AVG darstellt.
Auf dieser Grundlage sollen einige Änderungen zur Beschleunigung und besseren Strukturierung des Großverfahrens nach dem AVG erfolgen. Dabei sollen insbesondere jene Bestimmungen des UVP‑G 2000, die sich in der Praxis bewährt haben, ins AVG übernommen werden. Darüber hinaus soll die Schwelle für den Einstieg ins Großverfahren niedriger angesetzt werden, um mehr Verfahren einbeziehen zu können, in denen die typischen Probleme eines Großverfahrens (dazu AB 1167 XX. GP, 24 ff) auftreten.
Kompetenzgrundlage:
Die Regelungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 B‑VG („Verwaltungsverfahren“).
Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:
Keine.
Besonderer Teil
Zu Z 1 (§ 41 Abs. 1 zweiter Satz):
Da mit dem vorgeschlagenen § 44a Abs. 3 erster Satz das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) als einheitliche elektronische Kundmachungsplattform für Edikte im Großverfahren eingesetzt werden soll (siehe die Erläuterungen zu Z 4 [§ 44a Abs. 3 erster Satz]), erscheint es zweckmäßig, diese Form der Kundmachung auch in § 41 Abs. 1 zweiter Satz zu nennen.
Zu Z 2 (§ 44a Abs. 1):
Um den Einstieg ins Großverfahren zu erleichtern, soll die maßgebliche Anzahl an Beteiligten von „voraussichtlich insgesamt mehr als 100 Personen“ auf „voraussichtlich insgesamt mehr als 50 Personen“ herabgesetzt werden. Dadurch soll einerseits der Behörde die Prognoseentscheidung erleichtert werden und andererseits soll die Möglichkeit der Durchführung eines Großverfahrens auf Grund der niedrigeren Schwelle in mehr Verfahren offenstehen.
Zu Z 3 (§ 44a Abs. 2 Z 4), Z 4 (§ 44a Abs. 3 erster Satz), Z 8 (§ 44c Abs. 1), Z 9 (§ 44d Abs. 1) und Z 12 (§ 44f Abs. 1 zweiter Satz):
Die im geltenden § 44a Abs. 3 vorgesehene Verlautbarung des Edikts im redaktionellen Teil zweier im Bundesland weitverbreiteter Tageszeitungen und im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ (also gemäß § 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Wiener Zeitung GmbH und Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes – WZEVI-Gesetz, BGBl. I Nr. 46/2023, auf der Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes) erscheint nicht mehr zeitgemäß, weil der mit dieser Form der Kundmachung verbundene Aufwand und die dadurch verursachten Kosten zur erzielten Publizitätswirkung außer Verhältnis stehen. Mit den vorgeschlagenen Bestimmungen soll stattdessen das RIS als einheitliche elektronische Kundmachungsplattform etabliert werden. Bei der Einleitung des Großverfahrens soll die Verlautbarung im RIS von einem entsprechenden Hinweis auf diese Verlautbarung in zwei im Bundesland weitverbreiteten Tageszeitungen begleitet werden. Dieser Hinweis soll durch die Angabe der Fundstelle im RIS und eine verkürzte Wiedergabe der Angaben gemäß § 44a Abs. 2 Z 1 AVG erfüllt werden können. Im weiteren Verlauf des Großverfahrens soll die Verlautbarung im RIS jedoch die einzige Form der Verlautbarung für sämtliche Edikte sein, worauf im einleitenden Edikt gemäß § 44a Abs. 2 Z 4 ausdrücklich hinzuweisen sein soll.
Beim Edikt gemäß § 44a Abs. 3 soll es für den Beginn der Einwendungsfrist gemäß § 44a Abs. 2 Z 2 (oder einer Frist gemäß dem vorgeschlagenen § 44d Abs. 3) weiterhin auf das Datum jener Verlautbarung ankommen, die zuletzt erfolgt (vgl. zur geltenden Fassung bereits AB 1167 XX. GP, 34). Demgegenüber soll bei den ausschließlich im RIS erfolgenden Verlautbarungen das Datum dieser Verlautbarung maßgeblich sein.
Es ist damit zu rechnen, dass die entsprechende Nachschau im RIS in der Praxis nach einer gewissen Etablierungsphase ebenso verbreitet und selbstverständlich sein wird, wie bei der Suche nach Rechtsvorschriften, höchstgerichtlichen Entscheidungen und anderen Kundmachungen. Siehe zu dieser Funktion des RIS auch Art. 15 Abs. 7 B‑VG (und dazu AB 2420 XXVII. GP, 11) sowie § 6 Z 1 lit. e des Bundesgesetzblattgesetzes – BGBlG, BGBl. I Nr. 100/2003 (und dazu AB 2702 XXVII. GP, 4 f).
Zu Z 5 (Entfall des § 44a Abs. 3 letzter Satz):
Wegen der weiten Verbreitung des Internets und weil eine Kenntnisnahme vom Edikt durch die im vorgeschlagenen § 44a Abs. 3 erster Satz vorgesehene Verlautbarung im RIS jederzeit gewährleistet ist, erscheint die Ediktalsperre nicht mehr zeitgemäß und soll daher entfallen.
Zu Z 6 (§ 44b Abs. 1 erster Satz):
Es soll – wie auch mit den vorgeschlagenen Änderungen des § 44a Abs. 2 Z 4 (siehe Z 3), des § 44e Abs. 3 erster Satz (siehe Z 11) und des § 44f Abs. 1 zweiter Satz (siehe Z 12) – eine Anpassung an die neue Rechtschreibung vorgenommen werden.
Zu Z 7 (§ 44b Abs. 3):
Die vorgeschlagene Bestimmung orientiert sich an § 16 Abs. 3 UVP‑G 2000. Sie soll der Verfahrensstrukturierung dienen, indem einerseits der Schluss des Ermittlungsverfahrens gemäß § 39 Abs. 3 AVG nicht nur jeweils hinsichtlich trennbarer Sachen (vgl. RV 193 XXVI. GP, 3), sondern auch für einzelne Teilbereiche derselben Sache (vgl. dazu RV 275 XXVI. GP, 9) erklärt werden kann. Andererseits soll der Schluss des Ermittlungsverfahrens für die Behörde eine verlässliche Zäsur bilden. Nachträgliches Vorbringen soll daher von der Behörde nicht mehr berücksichtigt werden. Schließlich soll auch die befristete Wirkung des Schlusses des Ermittlungsverfahrens gemäß § 39 Abs. 5 AVG nicht zur Anwendung kommen, weil gerade im Großverfahren für die Erlassung des Bescheides auch ein längerer Zeitraum erforderlich sein kann. Die Möglichkeit der Behörde gemäß § 39 Abs. 4 letzter Satz AVG, das Ermittlungsverfahren jederzeit von Amts wegen fortzusetzen, bleibt im Übrigen unberührt.
Zu Z 10 (§ 44d Abs. 3):
Die vorgeschlagene Bestimmung soll – nach dem Vorbild des praxisbewährten § 14 UVP‑G 2000 – Verfahrensverzögerungen durch ergänzendes Vorbringen im zeitlichen Nahebereich zu einer mündlichen Verhandlung hintanhalten. Sie dient insofern wie der vorgeschlagene § 44b Abs. 3 (siehe die Erläuterungen zu Z 7 [§ 44b Abs. 3]) der Verfahrensstrukturierung. Zu diesem Zweck soll der Behörde die Möglichkeit eingeräumt werden, gleichzeitig mit der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch Edikt eine Frist für weiteres Vorbringen zu setzen. Jene Parteien, die gemäß § 44b Abs. 1 AVG schriftliche Einwendungen erhoben haben (und daher nicht bereits präkludiert sind), können nur innerhalb dieser Frist schriftlich „weiteres“ Vorbringen zu ihren bereits erhobenen Einwendungen erstatten, diese also präzisieren und konkretisieren oder darauf bezogene neue Tatsachen oder Beweismittel vorbringen. Verspätetes Vorbringen soll von der Behörde nicht mehr berücksichtigt werden. Eine Einschränkung des Parteiengehörs soll damit jedoch nicht verbunden sein. Die Parteien sind daher zu neuen Beweismitteln (zB zu neuen Gutachten, unabhängig davon, ob diese vor, in oder nach der mündlichen Verhandlung vorliegen) zu hören und können dazu im Rahmen ihrer Parteistellung auch weiteres Vorbringen erstatten. Der Antragsteller ist vom Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Bestimmung nicht erfasst, weil diese auf die Erhebung von Einwendungen gemäß § 44b Abs. 1 AVG abstellt, was beim Antragsteller von vornherein nicht in Betracht kommt.
Die von der Behörde eingeräumte Frist soll „angemessen“ sein, wovon (auch im Hinblick auf § 41 Abs. 2 und § 44a Abs. 2 Z 2 AVG) in der Regel bei einer Frist zwischen zwei und sechs Wochen ausgegangen werden kann. Sie soll spätestens eine Woche vor dem Tag der mündlichen Verhandlung enden, damit der genannte verfahrensstrukturierende und ‑beschleunigende Zweck nicht vereitelt wird. Eine Frist gemäß dem vorgeschlagenen § 44d Abs. 3 kann auch gesetzt werden, wenn die mündliche Verhandlung gemäß dem vorgeschlagenen § 44d Abs. 1 erster Satz iVm. § 44a Abs. 1 AVG gleichzeitig mit der Kundmachung des Antrages durch Edikt anberaumt wird. In diesem Fall muss die Frist voraussetzungsgemäß (arg.: „zu ihren Einwendungen gemäß § 44b Abs. 1“) an die Frist für Einwendungen gemäß § 44a Abs. 2 Z 2 AVG anknüpfen.
Zu Z 11 (§ 44e Abs. 3 erster Satz):
Die im geltenden § 44e Abs. 3 erster Satz vorgesehene Frist von einer Woche für die Erstellung der Verhandlungsschrift hat sich in der Praxis bei umfangreichen Verhandlungen als zu kurz erwiesen und soll daher auf zwei Wochen verlängert werden. Wegen der Länge solcher Verhandlungsschriften soll auch die Mindestdauer der Auflage zur öffentlichen Einsicht auf vier Wochen erhöht werden. Eine erhebliche Verfahrensverzögerung ist dadurch nicht zu befürchten.
Zu Z 13 (§ 44f Abs. 1 letzter Satz):
Wenn Zustellungen im Großverfahren durch Edikt erfolgen, sollen frühere Zustellungen desselben Schriftstückes (zB wenn der Bescheid vor der Kundmachung durch Edikt einzelnen Parteien bereits persönlich zugestellt worden ist) unwirksam werden. Insofern liegt eine Sonderbestimmung zu § 6 des Zustellgesetzes – ZustG, BGBl. Nr. 200/1982, vor, der jedoch im Übrigen unberührt bleibt. Spätere Zustellungen sind daher auch weiterhin gemäß § 6 ZustG unwirksam (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 44f [Stand 1.4.2021, rdb.at] Rz. 5). Dadurch soll für die Zustellung durch Edikt ein einziger, für alle Empfänger einheitlicher Zeitpunkt der Zustellung normiert werden, sodass sich mit subjektiv divergenten Zustellungszeitpunkten zusammenhängende Sachlichkeitsfragen (vgl. VwSlgNF 19.508 A/2016 Rz. 58 f) von vornherein nicht mehr stellen können. Der Behörde bleibt es unbenommen, die Parteien über das Edikt bzw. die Auflage des Bescheides auch persönlich zu verständigen. Für den Beginn von Fristen, die durch die Zustellung ausgelöst werden (zB die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den zugestellten Bescheid), soll jedoch ausschließlich die Kundmachung des Edikts maßgeblich sein.
Zu Z 14 (§ 44f Abs. 2 erster Satz):
Die achtwöchige Auflage des durch Edikt zuzustellenden Schriftstückes wurde ursprünglich damit begründet, dass es sich bei diesem Schriftstück „um einen letztinstanzlichen Bescheid handeln kann, gegen den innerhalb einer Frist von sechs Wochen die Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes offensteht“ (AB 1167 XX. GP, 35). Da gegen einen letztinstanzlichen Bescheid seit dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, gemäß § 7 Abs. 4 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, binnen vier Wochen Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden kann, soll die Auflagedauer entsprechend angepasst werden.
Zu Z 15 (Entfall des § 44g erster Satz):
Da die Verlautbarung des Edikts nach dem vorgeschlagenen § 44a Abs. 3 erster Satz nicht mehr im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“, sondern im RIS erfolgen soll, kann die besondere (vgl. AB 1167 XX. GP, 35) Kostenregelung des geltenden § 44g entfallen.
Zu Z 16 (§ 44g zweiter und dritter Satz):
Die vorgeschlagene Bestimmung orientiert sich an § 3b Abs. 2 UVP‑G 2000 (vgl. dazu RV 626 XXV. GP, 8; vgl. auch AB 271 XXIV. GP, 8 zur Vorgängerbestimmung des § 12 Abs. 3 UVP‑G 2000 in der Fassung der UVP‑G-Novelle 2009, BGBl. I Nr. 87/2009). Die Möglichkeit, den Antragsteller zur direkten Zahlung der sonst der Behörde erwachsenden Barauslagen (zB der Kosten für Gutachten nichtamtlicher Sachverständiger) zu verpflichten, stellt für die Behörde eine Vereinfachung dar, weil sie nicht zunächst die Kosten selbst zahlen und erst anschließend dem Antragsteller vorschreiben muss. Zur weiteren Vereinfachung soll der Antragsteller jedoch zunächst nur aufgefordert werden, binnen zwei Wochen direkt zu zahlen. Nur wenn diese Zahlung nicht nachweislich erfolgt, soll ein Bescheid erlassen werden können.
Zu Z 17 (§ 82 Abs. 27):
Die in diesem Entwurf vorgesehenen Bestimmungen sollen grundsätzlich mit 1. Jänner 2026 in Kraft treten. Auf anhängige Verfahren soll diese Rechtslage jedoch nur dann anzuwenden sein, wenn bis zu diesem Zeitpunkt kein Großverfahren eingeleitet worden ist. Auf Verfahren, in denen davor bereits eine Kundmachung gemäß § 44a Abs. 1 erfolgt ist, soll also die bisherige Rechtslage weiter anzuwenden sein.
Demgegenüber sollen die Bestimmungen über die Verlautbarung im RIS erst in Kraft treten, wenn die technischen Voraussetzungen dafür vorliegen. Das Inkrafttreten soll daher an eine entsprechende Kundmachung des Bundeskanzlers geknüpft werden. Auf in diesem Zeitpunkt anhängige Verfahren soll ebenfalls die bisherige Rechtslage weiter anzuwenden sein, wenn davor bereits eine Kundmachung gemäß (dem geltenden, dem vorgeschlagenen oder einer allfälligen späteren Fassung des) § 44a Abs. 1 erfolgt ist.