315 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVIII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (301 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Gerichtsgebührengesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz und die Zivilprozessordnung geändert werden

Ausgangslage

1. Streitigkeiten über (behauptete) Besitzstörung umfassen ein breites Spektrum an tatsächlichen Konstellationen, das von Fällen, in denen etwa ein Kraftfahrzeug beim Umkehren oder Rückwärtsfahren für einen kurzen Zeitraum wenige Zentimeter über fremden Grund ragt, bis zum Umschneiden eines Baumes an der Grundstücksgrenze reicht.

Grundsätzlich wird das Thema Besitzstörung in Lehre und Rechtsprechung, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung als nicht besonders problematisch angesehen; lediglich am Thema Besitzstörung mittels eines Kraftfahrzeugs entzündet sich in regelmäßigen Abständen eine heftige Diskussion. Schon auf Basis der geltenden Rechtslage können die unterschiedlichen Fallkonstellationen einer ausgewogenen und sachgerechten Lösung zugeführt werden, sodass eine Änderung der materiell-rechtlichen Grundlagen nicht angezeigt ist.

Zuletzt sind allerdings vermehrt Fälle zu beobachten, in denen wegen (behaupteter) Störung des Besitzes mittels eines Kraftfahrzeugs eine Besitzstörungsklage angedroht wird, sollte nicht ein höherer Geldbetrag (der mehrere hundert Euro erreichen kann) gezahlt werden. Diese Abmahnungen führen bei Unsicherheit über grundlegende Fragen wie beispielsweise die Eingriffsintensität oder (das Bestehen oder den Wegfall der) Wiederholungsgefahr dazu, dass den Abgemahnten ein Eingehen auf die Forderungen als ökonomisch sinnvollere Lösung erscheint. Dass dabei scheinbar Rechtsschutz gegen Geld abgelöst wird und so finanzielle Anreize bestehen könnten, Besitzstörungen strukturell zu verfolgen, ja sogar die Position einer oder eines in ihrem oder seinem Besitz Gestörten systematisch anzustreben, wird in diesem Zusammenhang von manchen kritisiert.

2. Das Regierungsprogramm sieht – offenbar vor diesem Hintergrund – „Maßnahmen gegen Abzocke bei Besitzstörung und gegen Abmahnmissbrauch“ vor.

Zu jener Unsicherheit, die ein Eingehen auf außergerichtliche Forderungen selbst hoher Beträge nahelegt, trägt neben fehlender Inanspruchnahme einer Beratung oder Fehlberatung auch bei, dass die Judikatur in Besitzstörungssachen nicht immer einheitlich ist.

Zu jenen ökonomischen Faktoren, die ein Eingehen auf Forderungen bei außergerichtlicher Abmahnung begünstigen, zählen jene Kosten, die für eine Besitzstörerin oder einen Besitzstörer anfallen, selbst wenn sie oder er diese nicht bestreitet und einen gerichtlichen Titel gegen sich ergehen lässt. Sind die außergerichtlich erhobenen Forderungen niedriger, so besteht ein gewisser Anreiz, diese selbst dann zu befriedigen, wenn über ihre inhaltliche Berechtigung Zweifel bestehen.

Änderungen bei der Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs

Nach geltendem Zivilverfahrensrecht entscheiden die Landesgerichte in zweiter Instanz in Besitzstörungssachen endgültig. Der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ist ausgeschlossen, weil § 528 Abs. 2 Z 6 ZPO den Revisionsrekurs in Besitzstörungsstreitigkeiten für jedenfalls unzulässig erklärt.

Mit dem Gesetzesvorschlag sollen Leitentscheidungen des Obersten Gerichtshofs ermöglicht werden, dies mit dem Ziel, die bestehende divergierende Judikatur verschiedener Landesgerichte zu vereinheitlichen und durch Rechtsklarheit und Rechtssicherheit Missbrauch zu vermeiden. Leitentscheidungen werden nicht nur für Kundige offene Fragen lösen, sondern auch dem Thema „Besitzstörung und ihre Grenzen“ zu einer verbesserten Sichtbarkeit verhelfen: dadurch werden – so ist es zumindest angestrebt – auch allgemein das Wissen um Recht und Unrecht verbessert und künftig auch Fälle tatsächlicher Besitzstörungen unterbleiben, öfter Beratung in Anspruch genommen werden und die Qualität der Beratung steigen.

Zu diesem Zweck sieht der Gesetzesvorschlag für einen bestimmten Zeitraum einen Instanzenzug in Besitzstörungssachen an den Obersten Gerichtshof vor.

Änderungen bei der Kostenstruktur von Gerichtsverfahren über unbestrittene Besitzstörungen

Vorgeschlagen werden Änderungen im anwaltlichen Kostenrecht und im Gerichtsgebührenrecht, die auf den Kostenersatz im Zivilverfahren durchschlagen. Dadurch soll es für diejenigen, die eine Besitzstörung begangen haben und dies auch nicht bestreiten, kostengünstiger werden, eine gerichtliche Entscheidung ergehen zu lassen. Das soll jene außergerichtlichen Abmahnungen zurückdrängen, die unter Hinweis auf die Kosten eines Gerichtsverfahrens höhere Zahlungen für die Abstandnahme von einer Besitzstörungsklage verlangen.

Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Rechtsvorschriften der Europäischen Union sind nicht berührt.

Kompetenzgrundlage:

Der vorliegende Gesetzesvorschlag stützt sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivilrechtswesen; Angelegenheiten der Rechtsanwälte) und auf Art. 7 Abs. 1 F-VG („Bundesabgaben“).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 25. November 2025 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten MMag. Jakob Grüner, LL.M. die Abgeordneten Dr. Markus Tschank, Mag. Muna Duzdar, Mag. Agnes Sirkka Prammer und Mag. Sophie Marie Wotschke sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Anna Sporrer und der Ausschussobmann Abgeordnete Mag. Klaus Fürlinger.

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.

 

Ferner beschloss der Justizausschuss mit Stimmenmehrheit (dafür: F, V, S, N, dagegen: G) folgende Feststellung:

Die gegenständliche Novelle dient der Umsetzung des Regierungsprogramms im Punkt „Maßnahmen gegen Abmahnmissbrauch bei Besitzstörung“.

Die Mitglieder des Justizausschusses verkennen nicht, dass ein materiellrechtlicher Eingriff in das Recht des Besitzes samt der Abwehr von Störungshandlungen gegen dieses Recht durchaus schwierig ist.

Mit den vorgeschlagenen zeitlich befristeten Änderungen in anderen Gesetzen sollen unter anderem Leitentscheidungen des Obersten Gerichtshofs ermöglicht werden, aber auch Maßnahmen gegen schikanöse Rechtsausübung und überschießende Forderungen, wie zu hohe Kosten oder unberechtigte Schadenersatzforderungen (zb Kameraüberwachung, Bereitschaft von Abschleppdiensten) aus einer allfälligen Störungshandlung gesetzt werden.

Ziel dieser Ausschussfeststellung ist es Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen und Missbrauch zu vermeiden. Dazukommend sollen vorübergehend mögliche höchsgerichtliche Entscheidungen die bestehende divergierende Judikatur verschiedener Landesgerichte vereinheitlichen und offenen Fragen zum Thema „Besitzstörung und ihre Grenzen“ zu einer verbesserten Sichtbarkeit verhelfen. Dadurch wird auch allgemein das Wissen um Recht und Unrecht verbessert und künftig auch Fälle tatsächlicher Besitzstörungen unterbleiben.

Allgemein sollte gelten: Bei extrem geringfügigen Eingriffen, die kein vernünftiger Mensch als Nachteil empfindet, liegt keine Störung im Rechtssinne vor und deren Geltendmachung verstößt gegen das Schikaneverbot. Weiters wird festgestellt, dass geringfügige Eingriffe, wie etwa das einmalige kurzfristige Anhalten, Befahren oder Umdrehen auf einer befestigten Fläche, ohne dass dadurch jemand behindert worden oder ein Schaden entstanden ist, keine Störungshandlung darstellen.

Zudem gilt bei möglichen Besitzstörungen, die mit einem Kraftfahrzeug im Sinne des KFG 1967 begangen worden sind: Halter haftet für Lenker. Der Halter ist verantwortlich und hat Abhilfe zu schaffen. Alles andere würde zu unbilligem Mehraufwand und ausufernden Ermittlungspflichten des in seinem Besitz Gestörten führen.

Der Justizausschuss hält ausdrücklich fest, dass er der Ansicht ist, dass die getroffenen Maßnahmen ausreichen werden, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall sein, wird der Gesetzgeber weitere legistische Maßnahmen zu prüfen haben.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (301 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2025 11 25

                   MMag. Jakob Grüner, LL.M.                                             Mag. Klaus Fürlinger

                                  Berichterstattung                                                                          Obmann