42 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVIII. GP
Bericht
des Gesundheitsausschusses
über den Antrag 102/A(E) der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend eines Berichtes zur gesundheitlichen Situation und Versorgung von Menschen mit Behinderungen in Österreich
Die Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 7. März 2025 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„‚Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können‘, sagt die UN-Behindertenrechtskonvention[1]. Zahlen der Statistik Austria zufolge erleben 25 Prozent der österreichischen Bevölkerung in unterschiedlichem Ausmaß Beeinträchtigungen im Alltag aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, das sind hochgerechnet rund 1,9 Millionen Menschen in Österreich. Rund 570.000 davon sind im Alltag aufgrund ihres Gesundheitszustands stark beeinträchtigt[2]. Eine medizinische Diagnose ist häufig Ausgangspunkt für ein Leben mit Behinderung, doch ist das Gesundheitssystem in Österreich im Umgang mit Behinderungen überfordert.:
Dies zeigt sich an vielen Erfahrungsberichten von Menschen mit Behinderungen
- Personen mit verschiedenen Behinderungen finden keine barrierefreien Praxen.
- Es stehen zu wenig Zeitressourcen für eine Behandlung zur Verfügung, wenn eine Untersuchung aufgrund der Behinderung länger dauert, was dazu führen kann das Untersuchungen nicht durchgeführt oder Patientinnen überhaupt abgewiesen werden.
- Personen, die Gebärdensprache verwenden oder non-verbal kommunizieren werden häufig nicht verstanden und ihre gesundheitlichen Probleme werden dementsprechend verspätet oder gar nicht behandelt.
- Menschen mit Behinderungen, insbesondere jene mit intellektuellen Beeinträchtigungen, werden häufig nicht ernst genommen und ihre Beschwerden häufig nicht erkannt.
Zu diesen Barrieren kommt die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen im Durchschnitt auch häufiger gesundheitliche Probleme als Menschen ohne Behinderungen haben und dementsprechend auch mehr Behandlungen in Anspruch nehmen (müssten). Gründe dafür liegen einerseits in Grunderkrankungen, die zu Behinderungen beitragen, anderseits weisen internationale Studien darauf hin, dass schlechte sozio-ökonomische Bedingungen, wie beispielsweise Armut oder geringe Bildung, aber auch Barrieren im Gesundheitssystem selbst zu höheren gesundheitlichen Belastungen führen.
Während es für Österreich noch keine Erhebungen gibt, ergeben Studien aus anderen Ländern Hinweise darauf, dass das Risiko neben einer Behinderung auch mit einer weiteren chronischen Erkrankung zu leben bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung 10 Mal höher ist, als bei Menschen ohne Beeinträchtigung. Epilepsie tritt beispielsweise bei 18 Prozent aller Personen mit intellektueller Beeinträchtigung auf, bei der nichtbehinderten Bevölkerung sind es nur 0,8 Prozent. Mit einem schlechteren Zahnstatus bzw. überhaupt Zahnlosigkeit leben bis zu 30 Prozent der Menschen mit intellektuellen Behinderungen.[3][4]
Österreich ist mit dem Problem der mangelnden Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen nicht alleine. Internationale Studien zeigen, dass die vielen Barrieren in den Gesundheitssystemen dazu führen, dass insbesondere bei Menschen mit intellektuellen Behinderungen die Mortalitätsrate in allen Altersgruppen höher ist als bei Menschen ohne Behinderungen. Dies führt zu einer geringeren Lebenserwartung von durchschnittlich 20 Jahren. Die Todesursachen wären dabei häufig durch Prävention und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung vermeidbar.[5]
Für Österreich liegen keine vergleichbaren Studien vor. Einen Überblick über die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen gibt es genauso wenig, wie flächendeckende Informationen zur baulichen Barrierefreiheit bzw. der barrierefreien Ausstattung von Arztpraxen im niedergelassenen Bereich bzw. von Krankenhäusern und Ambulatorien. Im NAP Behinderung 2022 bis 2030 ist daher mit Maßnahme 321 vorgesehen, bis Ende 2025 eine Ist-Stands-Erhebung zu ‚Barrierefreies Gesundheitswesen‘ durchzuführen.
In Bereichen wie beispielsweise Frauen oder Gender haben solche Berichte in der Vergangenheit wertvolle Informationen für die gesundheitspolitische Arbeit geliefert. Ein eigener Bericht zur gesundheitlichen Situation und Versorgung von Menschen mit Behinderungen, der in regelmäßigen Abständen erstellt wird, könnte somit einen wesentlichen Beitrag zur mittel- und langfristigen Verbesserung der Versorgungssituation von Menschen mit Behinderung und zu einem inklusiven und barrierefreien Gesundheitssystem leisten.“
Der Gesundheitsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 18. März 2025 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneter Ralph Schallmeiner die Abgeordneten Mag. Verena Nussbaum und Fiona Fiedler, BEd sowie der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak.
Bei der Abstimmung wurde der gegenständliche Entschließungsantrag einstimmig beschlossen
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Gesundheitsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.
Wien, 2025 03 18
Ralph Schallmeiner Mag. Gerhard Kaniak
Berichterstattung Obmann
[1] Republik Österreich (2016): UN-Behindertenrechtskonvention.
https://broschuerenservice.sozialministerium.aUHome/Download?publicationld=19
[2] Statistik Austria (2023): Menschen mit Behinderungen in Österreich I: Erhebungsübergreifende Datenauswertung aktueller Befragungen anhand des GALI-Indikators zu gesundheitsbedingten Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten als Stellvertretervariable für Behinderung,
https://www.statistik.at/fileadmin/user upload/Menschen-mit-Behinderungen-in-Oesterreich-Teil-I.pdf
[3] Fellinger, Johannes (2024): Inklusive Medizin - im Spannungsfeld allgemeiner Barrierefreiheit und Spezialisierung; Vortrag. https://www.behindertenrat.at/2024/10/gesundheit-ohne-barrieren-inklusive-chancengleiche-versorgung-fuer-alle-ein-nachbericht/#Keynote %E2%80%9Clnklusive Medizin im Spannungsfeld allgemeiner Barrierefreiheit und Spezialisierung%E2%80%9D
[4] Cooper, Sally-Ann at al (2015): Multiple physical and mental health comorbidity in adults with intellectual disabilities: population-based cross-sectional Analysis,
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4551707/pdf/12875 2015 Article 329.pdf
[5] Heslop, Pauline et al.(2022): Establishing a national mortality review programme for people with intellectual disabilities: The experience in England. https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/1744629520970365