1162/J XXVIII. GP

Eingelangt am 25.04.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Franz Jantscher, Michael Seemayer, Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Nahrungsergänzungsmittel {NEM) für Kinder und Jugendliche

Obwohl eine abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und guten Fetten den Nährstoffbedarf gesunder Menschen deckt, entscheiden sich viele Konsument:innen aus verschiedensten Gründen regelmäßig für die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.

Nahrungsergänzungsmittel sind „konzentrierte Nährstoffe" in Form unüblicher Darreichungsformen und fallen unter den Lebensmittelbegriff („Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von zB Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen“, § 3 Z 4 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG).

Nahrungsergänzungsmittel werden in Österreich durch die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NEMV) geregelt, die auf der EU-Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie basiert. Zusätzlich sind das Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) sowie die EU-Verbraucherinformationsverordnung (LMIV) sowie die EU-Health-Claims-Verordnung relevant.

Als Lebensmittel dürfen sie keine arzneimittelähnliche Wirkung haben, sonst müsste es ein Zulassungsverfahren mit Wirkungs- und Nebenwirkungsprüfung geben und eine Abgabe an Konsument:innen wäre nur über bestimmte Wege (Apotheken) möglich. Nahrungsergänzungsmittel hingegen werden nicht vorab geprüft und dürfen von allen Verkaufsstellen, die Lebensmittel abgegeben, verkauft werden. Da Nahrungsergänzungsmittel rechtlich als Lebensmittel gelten, bedürfen sie keiner Zulassung, Meldung, Registrierung oder Anmeldung. Sie dürfen nur verpackt abgegeben werden und müssen bestimmte Kennzeichnungsvorschriften erfüllen. Der Versandhandel ist zulässig, aber Privatpersonen dürfen für den Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln nicht aufgesucht werden. Nur allfällige gesundheitsbezogene Angaben brauchen eine Zulassung und für sie ist der Hinweis „zur Ergänzung der Ernährung" verpflichtend. Typische Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln sind Vitamine, Mineralstoffe, essentielle Fettsäuren, Aminosäuren oder Pflanzenbestandteile, in letzter Zeit boomen „Botanicals" und exotische bzw. in Lebensmitteln unübliche Substanzen wie z.B. Steinpulver.

Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln in den meisten Fällen unnötig. Für bestimmte Personengruppen kann eine zeitweilige, gezielte Ergänzung nach ärztlicher oder diätfachlicher Feststellung sinnvoll sein (z.B. Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere, hochbetagte Personen, Leistungssportler:innen, Personen mit sehr einseitigen Ernährungsgewohnheiten, Veganer:innen, nach langer Bettlägrigkeit, etc). Von einer selbstverordneten dauerhaften Einnahme wird landläufig eher abgeraten. Insbesondere kranke Personen sollten eine Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln immer mit ihren Ärzt:innen besprechen, da eventuell die Wirkungen von Medikamenten beeinflusst werden (verstärkend oder abschwächend) oder andere Kontraindikationen für laufende oder beabsichtigte Therapie vorliegen können.

Der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln ist keine Randerscheinung. Laut Untersuchungen in Deutschland konsumieren rund 25 bis 30% der Erwachsenen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel; eine Befragung in Österreich aus dem Jahr 2024 ergab, dass rund 82, 7% der Befragten ab und zu und rund 36% täglich Nahrungsergänzungsmittel konsumieren. Zudem sind Nahrungsergänzungsmittel ein gutes Geschäft: Der Umsatz bei Vitaminen& Mineralstoffen wird für 2025 mit etwa 145,67 Mio. € angegeben. Durch günstige Rohstoffe und einen geringen Regelungsstand findet sich hier ein doppelt lukratives Feld. Jede:r darf Nahrungsergänzen herstellen und/oder vermarkten. Eine bestimmte Ausbildung ist dazu nicht nötig. Dazu kommt, dass die Produkte vorab nicht geprüft werden und auch keine Zulassung des Produktes nötig ist. Viele Inhaltsstoffe wie z.B. das beliebte Vitamin C sind zudem recht günstig zu haben. So kostet ein Kilo Vitamin C im Chemie-Großhandel ca. 6 Euro. Daraus lassen sich 10.000 den Tagesbedarf abdeckende Vitamin C-Pillen herstellen.

Sich um seine Gesundheit zu kümmern oder einem gewissen Körperbild nachzueifern, liegt auch auf Social Media hoch im Trend; so bewerben lnfluencer:innen verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die beim Muskelaufbau und/oder dem Fettabbau helfen, das Immunsystem stärken oder entgiften sollen. Häufig wird sogar suggeriert, dass ein Mehr an Vitaminen oder anderen Stoffen nicht schaden könne. Die wahllose Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln kann jedoch auch zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen. Insbesondere bedenklich sind die immer beliebter werdenden hochdosierten Vitamin- und Mineralstoffprodukte und die vielen „Botanicals", wo Wirkungen und obere Sicherheitslimits wissenschaftlich noch gar nicht abgeklärt sind. Bei fettlöslichen Vitaminen wiederum (das sind Vitamin A, D, E und K) kommt es zur Anreicherung im Körper, die unerwartete negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, bis hin zu schwerwiegenden Folgen wie Nierenund Leberschäden. Nahrungsergänzungsmittel sollten daher weder hochdosiert noch dauerhaft eingenommen werden. Zudem sollten die Mengen der supplementierten Stoffe aus der „normalen“ Ernährung ebenfalls berücksichtigt werden, um chronische Überversorgungen zu vermeiden.

Problematisch wird das insbesondere bei der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln bei Kindern und Jugendlichen, da sich die Dosierungs- und Verzehrempfehlungen bei vielen Produkten auf Erwachsene beziehen. Gerade via Werbung, Kennzeichnung und Aufmachung als für Kinder geeignet dargestellte Nahrungsergänzungsmitteln werden zudem auch oft in Formen angeboten, die typisch für Süßigkeiten sind (zB in Form von Bärchen oder Bonbons). Wenn die Vitaminpräparate aber wie Süßigkeiten gegessen werden, besteht die Gefahr, dass über den Tag über die Nahrungsergänzungsmittel mehr Vitamine und Mineralstoffe aufgenommen werden als gesund ist.

Um die Sicherheit von Nahrungsergänzungsmitteln zu gewährleisten, wurden in den letzten Jahren im Durchschnitt ca. 450 Proben jährlich von Nahrungsergänzungsmitteln amtlich kontrolliert. Die Ergebnisse werden jedes Jahr im Lebensmittelsicherheitsbericht veröffentlicht. Ungefähr ein Drittel der Proben wurden hauptsächlich aufgrund von Kennzeichnungsmängeln (bspw. inkorrekte Angaben oder nicht zugelassene gesundheitsbezogene Aussagen) beanstandet. Die deutsche Stiftung Warentest hat erst kürzlich einen aktuellen Test publiziert und warnt vor Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder. Von 18 getesteten Produkten habe nur ein einziges keine Mängel aufgewiesen; 15 der getesteten Produkte überschreiten die empfohlene Menge an Vitaminen und Mineralstoffen, von fünf der getesteten Produkte rät die Stiftung Warentest sogar stark ab, da sie zu einer Überdosierung von Vitamin A oder Kupfer führen können.

Die Verwendung von 11anderen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung" (11andere Stoffe") zur Anreicherung von Lebensmitteln und/oder für Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ist in der EU nur teilweise harmonisiert. Für die meisten Stoffe zur Anreicherung und für NEM fehlen bislang gesetzlich verbindliche Höchstmengen. Lediglich für Stoffe, die in Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 über angereicherte Lebensmittel und in der Durchführungsverordnung (EU) 2017/24702 (Unionsliste der neuartigen Lebensmittel) aufgeführt sind, besteht eine einheitliche rechtliche Regelung in der EU. Erstere regelt, welche Verbindungen von Vitaminen und Mineralstoffen zur Anreicherung und in NEM eingesetzt werden dürfen, zweitere ist die Liste der zugelassenen neuartigen Lebensmittel- bzw. -zutaten, die je nach Zulassungsbeschluss auch Höchstmengen für NEM enthalten kann, falls ein Einsatz in NEM beantragt und zugelassen wurde.

Eine Arbeitsgruppe (AG „Nahrungsergänzungsmittel" der Heads of Food Safety Agencies) in der 26 europäische Länder aktiv beteiligt waren, hat in einem Bericht vom Juni 2024 zahlreiche Stoffe identifiziert, die aufgrund ihrer möglicherweise gefährlichen Eigenschaften ein Gesundheitsrisiko darstellen können. Der Europäische Gesetzgeber ist hier seit Jahren mit der Bewertung im Rückstand. Der Bericht der Chefs der Lebensmittelsicherheitsbehörden der EU-Länder liefert hier jedoch eine gute Zwischenlösung. Die von den Expert:innen identifizierten Stoffe sollten daher bis zum Abschluss einer Evaluierung durch die EFSA in Nahrungsergänzungsmitteln nicht zum Einsatz kommen.

Die EFSA hat die wissenschaftlichen Vorarbeiten erledigt, jetzt sind die EU-Gesetzgeber am Zug. Der trendigen Unart der Überdosierung von Vitaminen, Mineralstoffen oder auch Proteinen (bei Sport- Nahrungsergänzungsmitteln) sollte aus präventiven und auch aus Glaubwürdigkeitsgründen ein Riegel vorgeschoben und die Dosierung beschränkt werden.


 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher nachstehende

Anfrage

1.   Liegen Ihrem Ressort Daten vor, wie hoch die Zahl von Kindern und Jugendlichen ist, die regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel nehmen?

2.   Gibt es Daten wie sich die Zahl in den letzten Jahren entwickelt hat?

3.   Wie schätzt Ihr Ressort die wissenschaftlichen Risiken von Überdosierungen bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln durch Kinder und Jugendliche ein?

4.   Haben Sie Daten zur Dosierung von Vitaminen und Mineralstoffen der in Österreich erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel?

5.   Haben Sie Daten zu den in Österreich in Nahrungsergänzungsmitteln verwendeten sonstigen Stoffen? Wenn ja, um welche Stoffe handelt es sich?

6.   Haben Sie Daten zur Anreicherung von Lebensmitteln und falls ja, was wird in welchen Mengen welchen Lebensmitteln beigesetzt?

7.   Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in mehrfacher/kombinierter Form bzw. der gleichzeitige Konsum angereicherter Lebensmittel kann vor allem für vulnerable Gruppen (Kinder, Jugendliche, chronisch Kranke, ältere Personen) gesundheitlich problematisch sein . Sehen Sie die Notwendigkeit einer Aufklärungskampagne über den Nutzen und die Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln, die sich spezifisch auch an diese vulnerablen Gruppen richtet? Sehen Sie die Notwendigkeit der unabhängigen Aufklärung von Gesundheitspersonal?

8.   Eine ganz wesentliche Forderung zum Schutz der Konsument:innen von Nahrungsergänzungsmitteln ist jene nach verbindlichen Höchstmengenregelungen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln, die idealerweise nach Altersgruppen differenziert wird. Dazu gibt es auch bereits Initiativen auf EU-Ebene über die Arbeitsgruppe „Nahrungsergänzungsmittel“ der Heads of Food Safety Agencies. In welcher Form bringt sich Österreich in diese Beratungen ein, welche Institutionen sind/waren darin vertreten und wie ist dazu der aktuelle Stand der Beratungen?

9.   Wie wird sich Österreich bei der Festlegung von Höchstmengen für Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel auf EU-Ebene verhalten? Sind Sie und die Gesundheitsexpert:innen ihres Hauses und der AGES der Meinung, dass mehr als der 3-fache Tagesbedarf in einem Nahrungsergänzungsmittel gerechtfertigt ist, selbst wenn keine Gefahren für die einnehmenden Personen ableitbar sind?

10. Wie beurteilen Sie die Forderung nach einem deutlich sichtbaren Warnhinweis, wenn mehr als das Doppelte der täglich empfohlenen Aufnahmemenge in der empfohlenen Tagesdosis des Nahrungsergänzungsmittels enthalten ist?