191/J XXVIII. GP

Eingelangt am 10.12.2024
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Anfrage

 

der Abgeordneten Agnes-Sirkka Prammer, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Missachtung von Grundrechten? Schubhaft-Drohung gegen afghanische Asylwerberin in Wiener Polizeiinspektion

BEGRÜNDUNG

 

Am 27.11.2024 gab es in der Polizeidienststelle in der Pappenheimgasse 33 in Wien einen Vorfall, der laut dem Bericht von „Asyl in Not“[1] ernste Fragen zur Behandlung afghanischer Asylwerberinnen in Österreich aufwirft. Einer afghanischen Frau mit dem Aufenthaltstitel RWR-Karte plus, die in Begleitung ihrer Rechtsberaterin einen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollte, wurde von einer Polizistin unvermittelt die Verhängung von Schubhaft in Aussicht gestellt. Die Polizistin äußerte zudem Zweifel an den Deutschkenntnissen der Antragstellerin, obwohl diese für den Asylantrag irrelevant sind, und suggerierte, ihr Antrag sei ohnehin aussichtslos. Diese Vorgangsweise führte dazu, dass die Rechtsberaterin aus Sorge um die Klientin keinen Antrag stellte, um eine Retraumatisierung zu vermeiden.

Dieser Vorfall steht im klaren Widerspruch zur aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hat festgestellt, dass afghanischen Frauen aufgrund der systematischen Verfolgung durch die Taliban Flüchtlingsstatus zukommt, ohne dass eine Einzelfallprüfung der konkreten Verfolgungssituation zwingend erforderlich wäre.

Die Drohung mit Schubhaft sowie die Abwertung des Asylantrags durch die Polizistin deuten auf mögliche systemische Probleme im Umgang mit afghanischen Asylwerberinnen hin. Diese Handlungen verstoßen gegen europäisches Recht und die Menschenrechte der Betroffenen.

Es muss daher geklärt werden, auf welchen rechtlichen Grundlagen und Dienstanweisungen solche Praktiken beruhen und welche Konsequenzen vorgesehen sind, falls diese nicht beachtet werden. Zudem muss geprüft werden, ob die Rechte der Betroffenen gewahrt werden, insbesondere im Hinblick auf die Begleitung durch Rechtsvertreter:innen und Vertrauenspersonen während des Asylverfahrens. Schließlich sind auch die potenziellen Konsequenzen für Beamt:innen, die gegen diese Standards verstoßen, zu beleuchten.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Laut EuGH-Judikatur kommt afghanischen Frauen in den EU-Mitgliedstaaten (vgl.  C‑608/22 und C‑609/22 betreffend Österreich) aufgrund der systematischen Verfolgungssituation durch die Taliban als Mitglieder der sozialen Gruppe der Frauen aus Afghanistan grundsätzlich der Flüchtlingsstatus zu (sofern deren Geschlecht und Staatsbürgerschaft festgestellt wurden). Teilt das Innenministerium diese rechtliche Sicht? Wenn nein, warum nicht?

2)    Welche Weisungen bzw. Erlässe hat das Innenministerium seit dem EuGH-Urteil vom 4. Oktober 2024 zum Umgang mit

a.    Neuanträgen und

b.    Folgeanträgen von afghanischen Frauen erteilt und

c.    wie lautet deren Inhalt?

3)    Wird in jedem Fall eine Einzelfallprüfung der Verfolgungssituation vorgenommen werden, auch wenn der EuGH deutlich festgehalten hat, dass diese entfallen kann?

a.    Wenn nein, welche Ausnahmen bestehen?

b.    Wenn ja, warum?

4)    Welche Mehrkosten fallen durch eine flächendeckende Einzelfallprüfung, deren Durchführung Sie öffentlich forderten, pro Person im Durchschnitt an? Bitte um eine Aufgliederung der Kosten.

5)    Gibt es Vorkehrungen, um die Verfahren betreffend Asylanträge von afghanischen Frauen, die bereits einen Aufenthaltstitel in Österreich haben oder sich bereits in einem laufenden Asylverfahren befinden, schneller und somit im Sinne der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu gestalten?

a.    Wenn ja, in welcher Form?

b.    Wenn nein, warum nicht?

6)    In dem eingangs beschriebenen Vorfall soll die Polizistin angekündigt haben, dass die Klientin der Rechtsberaterin bei einer Antragstellung in Schubhaft genommen werden könnte. Ist in so einem Fall tatsächlich die Verhängung von Schubhaft möglich?

a.    Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?

b.    Wenn nein, was sind die dienstrechtlichen und/oder disziplinarrechtlichen Folgen/Maßnahmen für Polizistinnen und Polizisten bei einer solchen Falschauskunft, die möglicherweise als Androhung unmittelbaren behördlichen Zwanges gedeutet werden könnte?

7)    Welche Konsequenzen müssen Beamtinnen und Beamte erwarten, die afghanische Frauen bei der Asylantragstellung in Schubhaft nehmen?

8)    Wurden aufgrund des Ereignisses vom 27.11.2024 in der Polizeidienststelle Pappenheimgasse 33 dienstrechtliche und/oder disziplinarrechtliche Folgen/Maßnahmen in Gang gesetzt?

a.    Falls ja, welche konkreten Maßnahmen wurden in die Wege geleitet?

b.    Falls nein, warum nicht?

9)     Wie viele Polizist:innen haben seit Veröffentlichung der Antirassismus-Strategie des BMKÖS am 21. März 2024 im Rahmen von „Maßnahme 3“ das von der Verwaltungsakademie des Bundes angebotene Schulungsprogramm zu Antidiskriminierung, Antirassismus und Diversitätsförderung wahrgenommen?

 



[1] https://asyl-in-not.org/polizei-droht-mit-schubhaft-bei-asylantragstellung/