193/J XXVIII. GP
Eingelangt am 10.12.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Meri Disoski, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Waffengewalt gegen Frauen in Österreich
Österreich ist eines der wenigen Länder, in dem weitaus mehr Frauen als Männer ermordet werden. Im Jahr 2023 wurden 42 Frauen getötet, darunter 26 Femizide[1], während im Vergleich dazu 30 Männer ermordet wurden. Diese Zahlen verdeutlichen: Österreichs hat ein massives Problem mit Männergewalt. International ist dieses Verhältnis umso erschreckender, da die Mordrate hierzulande im internationalen Vergleich insgesamt sehr niedrig ist. Auffällig dabei ist der hohe Anteil von Ermordungen durch Schusswaffen: Jeder vierte Täter erschoss sein Opfer[2]. Dies erfordert eine genaue Analyse der Ursachen und der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die diese durch Schusswaffen verübten Gewalttaten begünstigen könnten.
Ein wichtiger Faktor, dessen Zusammenhang mit Frauenmorden kaum beleuchtet wird, ist der Zugang zu Waffen insbesondere für Personen, deren psychische Gesundheit ein Risikofaktor sein könnte.
Ein Blick auf das Waffenrecht in Österreich zeigt viele Lücken und wenig Willen, dies zu ändern. Abgesehen von Verschärfungen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten und der automatischen vorübergehenden Abnahme von Waffen bei der Verhängung eines Annäherungs- und Betretungsverbot nach häuslicher Gewalt unter der schwarz-grünen Regierung, sind die meisten Änderungen auf die notwendige Umsetzung von EU-Richtlinien zurückzuführen.
Doch nicht einmal zwingendes EU-Recht wird in Österreich immer umgesetzt. Seit mehreren Jahren versucht Schweden auf Österreich einzuwirken, seine Gesetzeslage zu Waffen zu ändern, nachdem österreichische Waffenteile ungeprüft und unproblematisch nach Schweden gelangen konnten und dort für Auftragsmorde eingesetzt wurden und werden. Der Unwille des Innenministeriums, hier konsequent zu handeln, führte jetzt sogar zu einem EU-Vertragsverletzungsverfahren für Österreich.[3]
2021 gaben das Bundesministerium für Justiz, das Bundesministerium für Inneres und das Bundeskanzleramt eine Studie in Auftrag, die Frauenmorde in Österreich erstmals qualitativ untersuchen sollte. Unter anderem prüften die Autorinnen, wie wahrscheinlich ein tödlicher Ausgang eines gewaltsamen Angriffs gegen weibliche Opfer ist. Sie konnten feststellen, dass der Einsatz von Schusswaffen in etwa 62 % der Fälle zum Tod der Frau führte – „der Einsatz einer Schusswaffe die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat tödlich endet, [also] enorm“ erhöht[4]. Bei mehr als jedem 10. Angriff wurde eine Schusswaffe verwendet. Viele davon waren im legalen Besitz des Angreifers.[5] Und die Zahl der mit legalen Schusswaffen verübten Gewalttaten wie Morde und Mordversuche stieg in den letzten Jahren drastisch an.

Abbildung 1Einsatz von Schusswaffen (2010-2020). Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse; 2023; Haller, Eberhardt, Temel; S12.
Die Autorinnen der Studie halten fest: „Im Vergleich der beiden Zeiträume 2010 bis 2016 und 2017 bis 2020 wird deutlich, dass zunehmend mehr legale Schusswaffen bei (versuchten) Morden zum Einsatz kommen: Zwischen 2010 und 2016 war nur rund jede vierte verwendete Schusswaffe legal, in den letzten vier Jahren des Untersuchungszeitraums lag ihr Anteil hingegen bei 46,6 Prozent.“[6]
Ein Blick auf die Täterprofile der Femizide zeigt, dass sich diese in vielen Bereichen unterscheiden. So findet man Täter in allen Altersklassen, unabhängig von Staatsbürgerschaft und sozioökonomischem Hintergrund. Einen ausschlaggebenden Faktor hat aber der Großteil gemein: Sie leiden unter psychischen Erkrankungen. So belegt die Frauenmordstudie, dass fast jeder zweite Täter eine psychische Erkrankung hatte (46,9%).[7]
Psychische Erkrankungen und Waffen vertragen sich nicht. Das weiß eigentlich auch das Waffenrecht, weshalb es unter anderem deshalb eine Verlässlichkeitsprüfung gibt, die die psychische Gesundheit untersuchen und somit psychische Erkrankungen bzw. entsprechende Risikofaktoren vor legalem Waffengebrauch aufdecken sollte. Doch wie treffsicher diese Prüfung ist, ist angesichts der Datenlage und zahlreicher Bespiele fragwürdig. Zusätzlich gibt es auch hier eine fatale Lücke im Gesetz. So wird die Bescheinigung der Zuverlässigkeit für Personen mit einer Jagdprüfung stark erleichtert bzw. sogar vollständig ausgespart. Hinzu kommt, dass der Entzug der Jagdkarte bei Aussprache eines Waffenverbots den Bundesländern obliegt und dort unterschiedlich gehandhabt wird. Ergeht ein Waffenverbot, muss die Jagdkarte also nicht automatisch eingezogen werden und Waffen und Munition bestimmter Kategorien können somit weiter gewerblich erworben werden. Der Verwaltungsgerichtshof stellte in der Vergangenheit gar fest, dass rechtlich gesehen „das Vorliegen eines Waffenverbotes nicht zwingend zur Einziehung einer Jagdkarte führt“[8].
Ein weiteres Sicherheitsnetz im Querschnitt Waffen und Gewalt gegen Frauen stellt das Annäherungs- und Betretungsverbot dar. So gilt seit 2022 ein automatisches, vorläufiges Waffenverbot gegenüber Personen, gegen die ein Annäherungs- und Betretungsverbot (AV/BV) nach § 38a SPG ausgesprochen wurde. In weiterer Folge ist allerdings unklar, ob der Zugang zu Waffen nach Ende des AV/BV wiederhergestellt wird, bereits bekannten Gefährdern also wieder Zugang zu ihrer Waffe gewährt wird. Expert:innen berichten, dass das nur in Einzelfällen durch Fallkonferenzen bekannt wird und verorten hier dringenden Verbesserungsbedarf.[9]
Die Zahlen und Beispiele zeichnen somit ein klares Bild. Der leichte Zugang zu Schusswaffen macht Angriffe gegen Frauen – gerade im sozialen Nahraum – um ein vielfaches tödlicher. Die gesetzlichen Vorkehrungen des legalen Waffenbesitzes sind nicht zielsicher genug, um Morde zu verhindern. Es bestehen somit berechtigte Zweifel, ob Verlässlichkeitsprüfungen und vorläufige Waffenverbote treffsicher genug sind, um Gefährder tatsächlich am Zugang zu Waffen zu hindern.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1. Unter den von 2016 bis einschließlich 2024 mit Schusswaffen ausgeübten Morden an Frauen:
a. Um welche Art von Schusswaffen hat es sich hier jeweils gehandelt? Bitte genau auflisten.
b. Wie viele dieser Schusswaffen waren davon
i. in legalem Besitz
ii. davon wiederum im Zusammenhang mit Besitz einer gültigen Jagdkarte
iii. in illegalem Besitz.
c. Bei wie vielen dieser Morde wurde im Vorfeld ein Annäherungs- und Betretungsverbot nach § 38a SPG gegen den Täter ausgesprochen?
d. Bei wie vielen dieser Morde wurde ein verhängtes Annäherungs- und Betretungsverbot vom Täter gesetzeswidrig übertreten?
2. Unter den von 2016 bis einschließlich 2024 mit Schusswaffen versuchten Morden an Frauen
a. Um welche Kategorien von Schusswaffen hat es sich hier jeweils gehandelt? Bitte genau auflisten.
b. Wie viele dieser Schusswaffen waren davon
i. in legalem Besitz
ii. davon wiederum im Zusammenhang mit Besitz einer gültigen Jagdkarte
iii. in illegalem Besitz.
c. Bei wie vielen dieser Morde wurde im Vorfeld ein Annäherungs- und Betretungsverbot nach § 38a SPG gegen den Täter ausgesprochen?
d. Bei wie vielen dieser Morde wurde ein verhängtes Annäherungs- und Betretungsverbot vom Täter gesetzeswidrig übertreten?
3. Im Zeitraum von 2021 bis einschließlich 2024
a. Wie viele Annäherungs- und Betretungsverbote nach § 38a SPG wurden in Summe ausgesprochen?
b. Wie viele Annäherungs- und Betretungsverbote nach § 38a SPG wurden in Summe von der weggewiesenen Person übertreten?
c. Wie viele Schusswaffen wurden aufgrund des gesetzlich geltenden automatischen Waffenverbots bei ausgesprochenen Annäherungs- und Betretungsverboten nach § 38a SPG abgenommen?
d. Wie viele Schusswaffen waren davon
i. in legalem Besitz
ii. davon wiederum im Zusammenhang mit Besitz einer gültigen Jagdkarte
iii. in illegalem Besitz.
e. Wie viele der weggewiesenen Personen haben sich die abgenommenen Waffen nach Ablauf des Annäherungs- und Betretungsverbot wiederbeschafft?
f. Wie viele weggewiesene Personen haben aufgrund des Besitzes einer illegalen Schusswaffe weitere Strafanzeige(n) erhalten?
g. Was passiert mit abgenommenen Waffen aus illegalem Besitz?
4. Im Zusammenhang mit der waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfung für den Erwerb, Besitz sowie das Führen einer Waffe:
a. Werden die jeweiligen für die waffenrechtliche Verlässlichkeitsprüfung zuständigen Behörden vor der Prüfung über ausgesprochene und damit gegen eine Person vorliegende Annäherungs- und Betretungsverbote informiert?
i. Wenn ja, wie gestaltet sich dieser Prozess genau?
ii. Wenn nein, wie viele Personen haben seit 2021 aufgrund eines Annähherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG ein negatives Gutachten und somit keine Waffenbesitzkarte und keinen Waffenpass ausgestellt bekommen?
iii. Wenn nein, plant der Bundesminister für Inneres dies im Sinne des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention gesetzlich zu ändern und somit ausgesprochene Annäherungs- und Betretungsverbote künftig bei Antrag auf eine Waffenbesitzkarte und Waffenpasses bzw. im Prozess der waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfung zu berücksichtigen?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
b. Werden die jeweiligen zuständigen Behörden automatisch und zeitnah über Annäherungs- und Betretungsverbote nach § 38a SPG informiert, sodass dem jeweiligen Gefährder die Waffenbesitzkarte bzw. der Waffenpass entzogen werden kann?
i. Wenn ja, wie gestaltet sich dieser Prozess genau?
ii. Wenn ja, wie viele Personen haben seit 2021 aufgrund eines gegen sie ausgesprochenes Annäherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG ihre Waffenbesitzkarte bzw. ihren Waffenpass verloren?
iii. Wenn nein, plant der Bundesminister für Inneres dies im Sinne des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention gesetzlich zu ändern und somit ausgesprochene Annäherungs- und Betretungsverbote künftig automatisch der jeweiligen zuständigen Behörde zu melden?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
iv. Wenn nein, sollten aus Sicht des Bundesministers für Inneres Personen, gegen die ein Annäherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG ausgesprochen wurde, ihre Waffenbesitzkarte bzw. ihren Waffenpass verlieren?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
c. Wie viele Verlässlichkeitsprüfungen werden österreichweit jährlich negativ beurteilt, wie viele werden positiv beurteilt? Bitte um Aufschlüsselung der Jahre 2014 - 2024.
i. Falls es dazu keine Zahlen gibt, wie wird sichergestellt, dass die Verlässlichkeitsprüfung tatsächlich Gefährder erkennt und am Waffenzugang hindert?
5. Im Zusammenhang mit dem Besitz einer gültigen Jagdkarte:
a. Werden die jeweiligen für das Ausstellen einer Jagdkarte zuständigen Behörden vorab über ausgesprochene und damit gegen eine Person vorliegende Annäherungs- und Betretungsverbote informiert?
i. Wenn ja, wie gestaltet sich dieser Prozess genau?
ii. Wenn nein, wie viele Personen haben seit 2021 trotz eines gegen sie ausgesprochenes Annähherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG eine Jagdkarte ausgestellt bekommen?
iii. Wenn nein, plant der Bundesminister für Inneres dies im Sinne des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention gesetzlich zu ändern und somit ausgesprochene Annäherungs- und Betretungsverbote künftig bei Antrag auf eine Jagdkarte zu berücksichtigen?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
b. Wie werden die jeweiligen für das Ausstellen einer Jagdkarte zuständigen Behörden über Annäherungs- und Betretungsverbote nach § 38a SPG informiert, sodass dem jeweiligen Gefährder die Jagdkarte entzogen werden kann?
i. Wie gestaltet sich dieser Prozess genau?
ii. Wie viele Personen haben seit 2021 aufgrund eines gegen sie ausgesprochenes Annäherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG ihre Jagdkarte verloren bzw. wie viele Personen haben ihre Karte weiter behalten?
iii. Plant der Bundesminister für Inneres dies im Sinne des Gewaltschutzes und der Gewaltprävention gesetzlich zu ändern und somit ausgesprochene Annäherungs- und Betretungsverbote künftig automatisch der jeweiligen für das Ausstellen einer Jagdkarte zuständigen Behörde zu melden?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
iv. Sollten aus Sicht des Bundesministers für Inneres Personen, gegen die ein Annäherungs- und Betretungsverbots nach § 38a SPG ausgesprochen wurde, ihre Jagdkarte verlieren?
1. Wenn nein, wieso nicht?
2. Wenn ja, mithilfe welcher Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen?
6. Die polizeiliche Kriminalstatistik zählt die unterschiedlichen Tatbestände gesondert nach Waffentyp auf (Schusswaffe, Stichwaffe, Hiebwaffe), nicht jedoch gleichzeitig nach Geschlecht der Täter:innen und Opfer. Gerade im Sinne eines präzisen Gewaltschutzes, der Gewaltprävention und der opferschutzorientierten Täterarbeit sind aber dahingehend differenzierte Statistiken relevant.
a. Plant der Bundesminister für Inneres in der polizeilichen Kriminalstatistik und Berichterstattung zukünftig zusätzlich das Geschlecht von Täter:innen und Opfern anzuführen?
i. Wenn ja, ab wann?
ii. Wenn nein, wieso nicht?
b. Plant der Bundesminister für Inneres für die polizeiliche Kriminalstatistik und Berichterstattung zukünftig den Tatbestand „Frauenmord“ anzuführen?
i. Wenn ja, ab wann?
ii. Wenn nein, wieso nicht?
[1] https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/2023/Frauenmorde-2023_Liste-AOeF.pdf; Femizid ist die Ermordung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlecht bzw. sämtliche Tötungsdelikte durch einen aktuellen oder früheren männlichen Intimpartner. (nach Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse; 2023; Haller, Eberhardt, Temel; S. 65)
[2] https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2023/files/Haller_4_2023.pdf
[3] https://orf.at/stories/3377127/
[4] Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse; 2023; Haller, Eberhardt, Temel; S. 11
[5] Ebenda; S. 10ff.
[6] Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse; 2023; Haller, Eberhardt, Temel; S12.
[7] Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse; 2023; Haller, Eberhardt, Temel; S 82.
[8] https://www.vwgh.gv.at/rechtsprechung/aktuelle_entscheidungen/ra_2023030195.html
[9] Beim Gewaltschutz helfen auch automatische Waffenverbote, Salzburger Nachrichten, 4.12.2024 https://www.sn.at/panorama/oesterreich/beim-gewaltschutz-waffenverbote-169592785