2167/J XXVIII. GP

Eingelangt am 06.05.2025
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ANFRAGE

des Abgeordneten MMag. Dr. Michael Schilchegger

an den Bundeskanzler

betreffend COVID-19-Berufsschulverordnung - C-BSchVO, BGBl. II Nr. 164/2020

 

 

Der staatliche Umgang mit der COVID-19-Pandemie stellte die verfassungsrechtlichen Garantien unserer Grund- und Freiheitsrechte auf eine harte Probe. In der Vollziehung gesetzlicher Ermächtigungsnormen wurden mehrfach Grenzen überschritten, nicht nur in politischer, sondern auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht.

 

So hielt etwa der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Prüfung einer COVID-19-Verordnung fest (Hervorhebungen nicht im Original):

 

„[…] Die angefochtenen Bestimmungen in § 2 Abs 4 COVID -19-Maßnahmen-verordnung-96 verstoßen also gegen § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz, weil es erstens der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat. Die angefochtenen Regelungen verstoßen zweitens auch deswegen gegen § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz, weil sie zwischen Betriebsstätten des Handels, deren Kundenbereich im Inneren über 400 m² beträgt, und insbesondere Bau- und Gartenmärkten im Sinne des § 2 Abs 1 Z 22 COVID-19-Maßnahmen-verordnung-96 unsachlich differenzieren. Es ist daher festzustellen, dass die angefochtenen Bestimmungen in § 2 Abs 4 COVID-19-Maßnahmen-verordnung-96 gesetzwidrig waren.“[1]

 

Die jeweils erlassenen Verordnungen zur Steuerung der COVID-19-Pandemie haben in Form und Inhalt mitunter auch die Grenzen zur politischen Willkür überschritten. Die Maßnahmen haben keineswegs nur gesetz- und verhältnismäßig in Grundrechte eingegriffen. Vielmehr wurden die Grund- und Freiheitsrechte auch willkürlich verletzt.

 

 

In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Abgeordnete an den Bundeskanzler nachstehende


 

 

Anfrage

 

1.    Inwiefern wurden Umstände, die für die Erlassung der im Titel genannten Verordnung seinerzeit maßgebend waren, aus Sicht des Verfassungsdienstes dokumentiert?

a.    Wenn es keine Dokumentation gibt: Weshalb nicht?

b.    Was waren – auf Basis der Dokumentation – die seinerzeit maß-gebenden Gründe für die Verordnungserlassung?

2.    Welche Ressorts, Organe, Gremien und/oder sonstige Stellen waren – aus Sicht des Verfassungsdienstes – in die Erlassung der im Titel genannten Verordnung eingebunden?

a.    Wie lässt sich die genaue Ablauforganisation der Verordnungserlassung beschreiben?

b.    Welche konkreten Personen waren (allenfalls anonymisiert, nach Funktion geordnet) – aus Sicht des Verfassungsdienstes – an der Verordnungserlassung beteiligt?

c.    Wie viele und welche Personen (allenfalls anonymisiert, nach Funktion geordnet) und/oder Stellen erhielten bereits vor Kundmachung einen oder mehrere Vorentwürfe zur Verordnung?

d.    Wie viele und welche Personen (allenfalls anonymisiert, nach Funktion geordnet) und/oder Stellen gaben eigene Stellungnahmen zu Verordnungsentwürfen ab?

e.    Inwiefern wurden diesbezügliche juristische Auffassungsunterschiede, abweichende Meinungen oder sonstige fachliche Anmerkungen – jeweils aus Sicht des Verfassungsdienstes – dokumentiert?

f.     Wodurch unterscheidet sich der Erstentwurf von der Finalversion der Verordnung?

g.    Hat der Verfassungsdienst selbst eine juristische Stellungnahme zum Inhalt der im Titel genannten Verordnung dem zuständigen Ressort bekanntgegeben oder eine solche intern dokumentiert?

                                          i.    Wenn ja, was war der wesentliche Inhalt dieser Stellungnahme?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

3.    Haben – aus Sicht des Verfassungsdienstes – darüber hinaus auch Personen, Organe, Gremien oder sonstige Stellen außerhalb der Republik Österreich eine oder mehrere Konzepte oder Entscheidungsgrundlagen für die Erlassung der Maßnahmen im Titel genannten Verordnung geboten?

a.    Wenn ja, welche Konzepte oder Entscheidungsgrundlagen waren dies?

b.    Wenn nein, inwiefern kann aus Sicht des Verfassungsdienstes (von wissenschaftlichen Studien abgesehen) ausgeschlossen werden, dass Maßnahmen, die parallel oder kurz davor in anderen Staaten erlassen wurden, die im Titel genannte Verordnung mitgeprägt haben?

4.    Sofern in der Verordnungsdokumentation unter anderem auf Hospitalisierungs- oder Verstorbenenzahlen Bezug genommen wird: Sind in diesen Zahlen nicht nur jene mit SARS-CoV-2 infizierten Personen enthalten, die in Spitälern auf Normal- oder Intensivstationen – im Sinne eines ursächlichen Zusammenhangs – „an" SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 verstorben sind, sondern auch jene infizierten Personen, die „mit" SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 verstorben sind, bei denen aber ein solcher Zusammenhang nicht erweislich war?

a.    Wenn ja, warum wurde diese Zählweise gewählt?

b.    Ersucht wird um Bekanntgabe folgender Zahlen, die aus Sicht des Verfassungsdienstes bei Verordnungserlassung maßgebend waren, wiederum jeweils nach Alterskohorten aufgeschlüsselt:

                                          i.    Personen, die an COVID-19 verstorben sind, Personen, die mit COVID-19 verstorben sind, und Personen, die (asymptomatisch) mit SARS-CoV-2 verstorben sind,

                                        ii.    Personen, die wegen COVID-19 auf Intensivstationen hospitalisiert wurden, Personen, die wegen einer anderen Indikation auf Intensivstationen hospitalisiert wurden, aber auch an COVID-19 litten, und schließlich Personen, die wegen einer anderen Indikation auf Intensivstationen hospitalisiert wurden und (asymptomatisch oder mit mildem, an sich nicht hospitalisierungsbedürftigem Verlauf) mit SARS-CoV-2 infiziert waren,

                                       iii.    Personen, die wegen COVID-19 auf Normalstationen hospitalisiert wurden, Personen, die wegen einer anderen Indikation auf Normalstationen hospitalisiert wurden, aber auch an COVID-19 litten, und Personen, die wegen einer anderen Indikation auf Normalstationen hospitalisiert wurden und (asymptomatisch oder mit mildem, an sich nicht hospitalisierungsbedürftigem Verlauf) mit SARS-CoV-2 infiziert waren.

Soweit die genannten statistischen Daten nur teilweise verfügbar sind, wird um Bekanntgabe der verfügbaren Daten ersucht.

c.    Wenn die vorstehenden Daten nicht mehr verfügbar und auch nicht nachträglich rekonstruierbar sind: Warum nicht?

5.    Wie hoch waren im seinerzeit maßgebenden Zeitraum unmittelbar vor der Verordnungserlassung das Durchschnittsalter und wie hoch das Medianalter der wegen COVID-19 auf Normalstationen und auf Intensivstationen hospitalisierten Personen sowie der an COVID-19 verstorbenen Personen?

a.    Wie hoch war die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Erkrankungsfällen nach Alterskohorten und Geschlecht? Wie hoch war die Zahl der Hospitalisierungen auf Normal- bzw. Intensivstationen pro 100.000 Erkrankungsfällen nach Alterskohorten und Geschlecht?

b.    Wie hoch war die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Infektionen nach Alterskohorten und Geschlecht? Wie hoch war die Zahl der Hospitalisierungen auf Normal- bzw. Intensivstationen pro 100.000 Infektionen nach Alterskohorten und Geschlecht?

c.    Wie hoch war die Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohnern nach Alterskohorten und Geschlecht? Wie hoch war die Zahl der Hospitalisierungen auf Normal- bzw. Intensivstationen pro 100.000 Einwohner nach Alterskohorten und Geschlecht?

6.    Welche Virusvarianten waren im seinerzeit maßgebenden Zeitraum unmittelbar vor der Verordnungserlassung zu welchen Prozentsätzen bei Infizierten bzw. Hospitalisierten bzw. Verstorbenen vertreten?

7.    Wie stellte sich im seinerzeit maßgebenden Zeitraum unmittelbar vor der Verordnungserlassung die prozentuelle Zuordnung von stattfindenden Infektionen auf die von der Verordnung jeweils erfassten Lebensbereiche, wie beispielsweise Familie, Arbeit, Einkauf (Grundversorgung, andere Güter), verschiedene Freizeitbeschäftigungen oder Versammlungen dar?

8.    Um welchen Faktor reduzierte – nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand der Verordnungsdokumentation – das Tragen einer Maske

a.    in geschlossenen Räumen und

b.    im Freien

das Ansteckungs- bzw. Übertragungsrisiko von SARS-CoV-2?

9.    Inwiefern basierten die wesentlichen Maßnahmen und/oder Verhaltens-pflichten, die mit der im Titel genannten Verordnung angeordnet wurden, auf einer empirischen Evidenz? Es wird um Aufschlüsselung ersucht nach der Art der Maßnahme einerseits und der Evidenzgrundlage andererseits.

10. Auf Basis welcher konkreten gesetzlichen Grundlage wurde die im Titel genannte Verordnung mit welcher Zielvorgabe erlassen?

11. Inwiefern wurde – ausgehend von der Dokumentation zu der im Titel genannten Verordnung – besonders geprüft,

a.    welche Auswirkungen die in der Verordnung angeordneten Maßnahmen in tatsächlicher Hinsicht mit Bezug auf das wirtschaftliche und soziale Leben absehbar haben werden?

                                          i.    Wenn ja, mit welchen Auswirkungen wurde gerechnet?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

b.    welche Auswirkungen die in der Verordnung angeordneten Maßnahmen in verwaltungsrechtlicher Hinsicht haben werden?

                                          i.    Wenn ja, mit welchen Auswirkungen wurde gerechnet?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

c.    in welche Grundrechte mit dem Inhalt der Verordnung eingegriffen wird?

                                          i.    Wenn ja, welche Grundrechte waren demnach betroffen?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

d.    ob mit der Verordnung verbundenen Grundrechtseingriffe jeweils sachlich begründet und nicht willkürlich sind und auf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage beruhen?

                                          i.    Wenn ja, welche Erwägungen wurden dokumentiert?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

e.    inwiefern die mit der Verordnung verbundenen Grundrechtseingriffe jeweils geeignet sind, zu dem legitimen Ziel einer Beschränkung der Verbreitung von SARS-CoV-2 beizutragen?

                                          i.    Wenn ja, welche Erwägungen wurden dokumentiert?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

f.     inwiefern trotz der vorstehenden Erwägungen die mit der Verordnung verbundenen Grundrechtseingriffe jeweils verhältnismäßig, d.h. mit besonderer Berücksichtigung der Bedeutung dieser Eingriffe für die hiervon betroffenen Bürger und für das soziale und wirtschaftliche Leben in einem liberalen Rechtsstaat insgesamt angemessen sind?

                                          i.    Wenn ja, welche Erwägungen wurden dokumentiert?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

12. Wurde die Vollziehung der im Titel genannten Verordnung darüber hinaus auch noch durch verwaltungsinterne Erlässe oder Weisungen dazu näher geregelt?

a.    Wenn ja, durch welche Behörde(n)?

b.    Wenn ja, mit welchem (wesentlichen) Inhalt?

c.    Wenn nein, inwiefern kann ausgeschlossen werden, dass auch derartige Erlässe oder Weisungen die Vollziehung der Verordnung in einer grundrechtseinschränkenden Weise determiniert haben?

13. Welche gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden im Zusammenhang mit der im Titel genannten Verordnung geführt? Ersucht wird um Aufschlüsselung nach

a.    Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (mit Bekanntgabe der GZ),

b.    Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (mit Bekanntgabe der GZ),

c.    Verfahren vor den Verwaltungsgerichten (mit Bekanntgabe der GZ),

d.    Verfahren vor den sonstigen Gerichten (mit Bekanntgabe der GZ).

14. Welche Schlussfolgerungen wurden – aus Sicht des Verfassungsdienstes – aus den o.a. Gerichtsverfahren abgeleitet?

15. Für den Fall, dass die im Titel genannte Verordnung in weiterer Folge gänzlich oder teilweise durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde: Wie viele Verwaltungsstrafverfahren wurden auf Basis der aufgehobenen Bestimmung geführt? Ersucht wird um Aufschlüsselung nach

a.    Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (mit Bekanntgabe der GZ),

b.    Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (mit Bekanntgabe der GZ),

c.    Verfahren vor den Verwaltungsgerichten (mit Bekanntgabe der GZ),

d.    Verfahren vor den sonstigen Gerichten (mit Bekanntgabe der GZ),

e.    Verfahren vor den zuständigen Verwaltungsstrafbehörden (Anzahl),

f.     Anzahl und Höhe der im Verwaltungsstrafverfahren rechtskräftig verhängten Geldstrafen, unter Angabe von Durchschnitts- bzw. Median-wert sowie der Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen,

g.    die Dauer der Freiheitsstrafen, die im Verwaltungsstrafverfahren ersatz-weise verhängt wurden und zu deren Antritt die Personen, die auf Basis der aufgehobenen Bestimmung bestraft wurden, aufgefordert wurden, unter Angabe von Durchschnitts- bzw. Medianwert sowie der Gesamt-dauer aller solcherart vollzogenen Freiheitsstrafen.

16. Inwiefern wurden ressortinterne oder -externe Wirkungsanalysen oder ähnliche Führungsmaßnahmen zu Zwecken der Evaluierung nach Inkrafttreten der im Titel genannten Verordnung durchgeführt?

a.    Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt bzw. zu welchen Zeitpunkten?

b.    Wenn ja, was waren die wesentlichen Erkenntnisse

                                          i.    Im Hinblick auf die weitere Eindämmung der Verbreitung von SARS-CoV-2?

                                        ii.    zur Wahrung der Grundrechte der Normunterworfenen auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und das Willkürverbot?

c.    Wenn nein, warum nicht?

17. Wurden außerdem Erfahrungen, die aus nachgeordneten Behörden bzw. jeweils zuständigen Organen der Sicherheits- oder Gesundheitspolizei in Bezug auf die Verordnung gemeldet wurden, dokumentiert?

a.    Wenn ja, in welchen Ressorts war dies der Fall?

b.    Wenn ja, in welcher Form (z.B. ungeordnete oder geordnete E-Mails, elektronische Aktenverwaltung, physische Aktenordner o.ä.)?

c.    Wenn ja, inwiefern wurde sichergestellt, dass jene Personen, die für die Erlassung der im Titel genannten Verordnung bzw. für funktional gleichartige Folgeverordnungen davon Kenntnis erhalten?

d.    Wenn ja, inwiefern lassen sich die häufigsten Rückmeldungen thematisch zusammenfassen?

e.    Wenn nein, warum nicht?

18. Wurden Analysen zu den Auswirkungen der in der Verordnung getroffenen Maßnahmen in rechtlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht auf die Normunterworfenen ressortintern oder extern beauftragt?

a.    Wenn ja, welche Analysen und mit welchem Ergebnis?

b.    Wenn nein, warum nicht?



[1]   VfSlg 20.399/2020